Titel:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogenkonsums (Amphetamin, Ecstasy)
Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1
FeV Anl. 4 Nr. 9.1
Leitsätze:
1. Die Fahreignung entfällt beim Konsum von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Fahrerlaubnis ohne Ermessenseinräumung und ohne die Möglichkeit von Billigkeitserwägungen bereits dann zwingend zu entziehen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte harte Drogen wie Amphetamin oder Methamphetamin konsumiert hat. (Rn. 19 und 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Steht der Betäubungsmittelkonsum harter Drogen aufgrund einer durchgeführten Blutuntersuchung und damit die fehlende Fahreignung fest, spielt die Frage des Trennungsvermögens keine Rolle und kommt die Einholung eines Gutachtens im Rahmen des Entziehungsverfahrens nicht in Betracht. (Rn. 21 und 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Konsum von Betäubungsmitteln, Kraftfahreignung, Ermessen, Billigkeitserwägungen, Trennungsvermögen, Einholung eines Gutachtens
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.02.2021 – 11 ZB 20.2980
Fundstelle:
BeckRS 2020, 42279
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
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Der im Jahr 1998 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen sowie die Abgabeverpflichtung seines Führerscheins.
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Die Beklagte erhielt durch Mitteilung der Polizeiinspektion …- … vom 31. Mai 2019 Kenntnis davon, dass der Kläger am 27. April 2019 um 4:00 Uhr einer Verkehrskontrolle unterzogen wurde. Dabei wurde festgestellt, dass dieser unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln einen Pkw führte und eine geringe Menge Marihuana (0,93 g netto) mit sich führte. Eine um 4:45 Uhr entnommene Blutprobe ergab nach dem Bericht des MVZ Labor … GbR einen Amphetaminwert von 128 µg/l, einen MDA-Wert von 21 µg/l und einen MDMA-Wert von 591 µg/l. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung äußerte sich der Kläger dahingehend, dass er am Abend des 26. April 2019 gegen 19:00 bis 19:30 Uhr mehrmals an einem Joint mit einem Marihuana-Tabak-Gemisch gezogen habe und dass das aufgefundene Marihuana ihm gehöre. Der Kläger wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts … - Jugendgericht - wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.
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Mit Schreiben vom 21. August 2019 hörte die Beklagte den Kläger zum beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis an. Nachdem sich der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 2. September 2019 angezeigt hat, wurde Akteneinsicht gewährt. Eine Stellungnahme gelangte nicht zur Akte.
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Mit Bescheid vom 23. September 2019 wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis aller Klassen entzogen (Ziffer 1) und der Kläger unter Androhung unmittelbaren Zwangs (Ziffer 3) verpflichtet, den Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzuliefern bzw. für den Fall, dass der Führerschein unauffindbar oder verloren gegangen sein sollte, eine Versicherung an Eides statt über den Verbleib des Führerscheins vorzulegen (Ziffer 2). Sofortvollzug wurde angeordnet (Ziffer 4). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Gebühr in Höhe von 144,60 EUR, Auslagen in Höhe von 4,10 EUR). Für den Fall, dass der Führerschein nicht fristgerecht abgegeben und deshalb ein zwangsweiser Einzug erforderlich wird, wurde eine zusätzliche Gebühr in Höhe von 200,00 EUR für die Durchführung der Zwangsmaßnahme festgesetzt (Ziffer 5). Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen auf die belegte Einnahme von Amphetamin und Ecstasy gestützt, so dass sich der Kläger nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe.
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Der Klägerbevollmächtigte teilte mit am 2. Oktober 2019 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben mit, dass der Führerschein fristwahrend bei der Beklagten abgegeben werde und bat darum, dass die Entgegennahme nebst Ableistung des einmonatigen Fahrverbotes dem Amtsgericht … gegenüber bekannt gegeben wird.
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Der Kläger gab den Führerschein am 14. Oktober 2019 ab.
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Mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 23. Oktober 2019 erhob der Kläger Klage und führte zur Begründung aus, dass der Beweis eines häufigeren Konsums von Cannabis durch den Kläger nicht als erbracht angesehen werden könne. Zudem könne nicht angenommen werden, dass dem Kläger das Trennungsvermögen zwischen Cannabiskonsum und Fahrtantritt fehle. Die Fahrerlaubnisentziehung werde ausschließlich auf den nicht bewiesenen regelmäßigen Cannabiskonsum durch den Kläger gestützt. Der Akte sei bislang lediglich ein einmaliger Verstoß zu entnehmen. Es könne daher allenfalls von gelegentlichen Konsum ausgegangen werden. Auch die Werte in der Blutprobe betreffend Amphetamin, MDA und MDMA würden nicht für eine Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Einholung eines Gutachtens ausreichen. Der Klägerbevollmächtigte bezog sich im Weiteren auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019 (Az. C 13/17) und führte aus, dass der erstmalige Verstoß eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten gegen das Gebot des Trennens von Konsum und Fahren regelmäßig nicht unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen könne. Deshalb sei die vollzogene Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Einholung eines medizinischpsychologischen Gutachtens offensichtlich rechtswidrig. Allenfalls wäre die Anordnung der Einholung eines medizinischpsychologischen Gutachtens rechtmäßig gewesen sowie die Fahrerlaubnisentziehung bei nicht fristgerechter Vorlage eines entsprechenden Gutachtens oder Vorlage eines negativen Gutachtens. Darüber hinaus wurde mitgeteilt, dass der Verlust des Führerscheins existenzielle Bedeutung für den Kläger habe.
1. Der Entziehungsbescheid der Beklagten vom 23. September 2019 wird aufgehoben.
2. Die Zuziehung anwaltlicher Bevollmächtigter für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der Anwaltskanzlei der Rechtsanwälte …, … & …, Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB für deren jeweiliges vorgerichtliches Tätigwerden freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung wurde auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen und ausgeführt, dass sich der Bescheid ausschließlich auf die gutachtlich nachgewiesene alleinige Einnahme von Amphetamin und Ecstasy stütze. Die geforderte Anordnung eines medizinischpsychologischen Gutachtens sei zu keinem Zeitpunkt erforderlich gewesen. Die Entziehung sei bereits gerechtfertigt, wenn einmalig harte Drogen im Körper des Fahrerlaubnisinhabers und damit deren Einnahme nachgewiesen worden sei. Ein Ermessensspielraum stehe der Fahrerlaubnisbehörde nicht zu.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte sowie wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf das Protokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung aufgrund eines entsprechenden Hinweises in der ordnungsgemäßen Ladung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
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Der Kläger begehrt nach Auslegung (§ 88 VwGO) die Aufhebung des Fahrerlaubnisentzugs in Ziffer 1 und der Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins in Ziffer 2 des Bescheides vom 23. September 2019. Der Antrag wird weiter dahingehend ausgelegt, dass er sich nicht auf die Androhung unmittelbaren Zwangs in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides bezieht, da der Kläger seinen Führerschein bereits abgegeben hat und die Verpflichtung aus Ziffer 2 des Bescheides insoweit schon erfüllt ist.
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Die so verstandene zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Anfechtungsklage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 23. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Voraussetzungen der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV liegen vor.
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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV ist eine Fahrerlaubnis dann zu entziehen, wenn sich der Fahrerlaubnisinhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ein Ermessensspielraum kommt der Fahrerlaubnisbehörde nicht zu. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist insbesondere von einer Nichteignung auszugehen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen.
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Ergänzend sind hier die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: 31. Dezember 2019) heranzuziehen, denen verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde liegt und die deshalb nach der ständigen Rechtsprechung zur Würdigung des Sachverhalts und zur Beurteilung der Eignung zur Führung von Kraftfahrzeugen mit heranzuziehen sind.
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Nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV und Ziffer 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung ist derjenige nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, der Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) konsumiert. Das vom Kläger konsumierte Amphetamin fällt unstreitig darunter (vgl. Anlagen zu § 1 Abs. 1 BtMG). Gleiches gilt für das im Blut des Klägers festgestellte MDA und MDMA.
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Die Fahreignung entfällt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, von der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, von einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen. Dementsprechend ist die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber mindestens einmal sogenannte harte Drogen wie Amphetamin oder Methamphetamin konsumiert hat (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 19.1.2016 - 11 CS 15.2403 - juris Rn. 11; B.v. 23.2.2016 - 11 CS 16.38 - juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 23.7.2015 - 16 B 656/15 - juris Rn. 5 ff. m.w.N.).
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Unter Beachtung dieser Maßgaben ist der Kläger ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Der Kläger hat, was vorliegend unstreitig ist, am 27. April 2019 ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln, nämlich von Amphetaminen, MDA und MDMA geführt. Dies bestätigte das Gutachten des MVZ Labor … GbR, welches aufgrund der Analyse des Blutes des Klägers einen Amphetaminwert von 128 µg/l, einen MDA-Wert von 21 µg/l und einen MDMAWert von 591 µg/l im Blut des Klägers festgestellt hat. Damit sind, wie dargelegt, die Voraussetzungen nach Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV gegeben. Für den Kläger besteht daher keine Eignung mehr. Dies hat zur Folge, dass die Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zu entziehen hatte, ohne dass ihr hierzu noch ein Ermessen zukommen würde.
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Bei feststehender Ungeeignetheit kommt die vom Klägerbevollmächtigten geforderte Einholung eines Gutachtens im Rahmen des Entziehungsverfahrens nicht in Betracht. Die Beklagte musste auch nicht aufgrund des Ablaufs der von der Rechtsprechung entwickelten sog. „Verfahrensfrist“ ein Gutachten anordnen. Nach Ablauf einer einjährigen Frist ab dem behaupteten Beginn einer Abstinenz ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (z.B. BayVGH, B.v. 9.5.2005 - 11 CS 04.2526 - juris) die Fahrerlaubnisbehörde gehindert, die Fahrerlaubnis unmittelbar zu entziehen. Vielmehr hat sie in einem solchen Fall die dann bestehenden Eignungszweifel durch geeignete Maßnahmen aufzuklären bzw. den Betroffenen aufzufordern, die zur Abklärung der Zweifel notwendigen Gutachten beizubringen. Unabhängig davon, dass der Kläger vorliegend nicht behauptet hat, keine berauschenden Substanzen mehr zu sich genommen zu haben, ist die Einhaltung eines einjährigen Abstinenzzeitraumes bereits aus zeitlicher Sicht nicht möglich, so dass der Kläger die Fahreignung noch nicht wiedererlangt haben kann. Nach dem feststehenden Drogenkonsum des Klägers am 27. April 2019 erfolgte die Entziehung der Fahrerlaubnis am 23. September 2019, mithin vor Ablauf eines Jahres.
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Soweit sich der Klägerbevollmächtigte auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage des gelegentlichen Cannabiskonsums bei erstmaligem Verstoß gegen das Trennungsvermögen bezieht und deshalb die Einholung eines medizinischpsychologischen Gutachtens fordert, kann er nicht durchdringen. Denn vorliegend steht der Betäubungsmittelkonsum harter Drogen (u.a. Amphetamin) des Klägers aufgrund der durchgeführten Blutuntersuchung fest. Es liegt gerade kein Konsum von Cannabis vor. Die Frage des Trennungsvermögens spielt daher keine Rolle.
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Aufgrund der festgestellten Nichteignung war die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV zur Entziehung der Fahrerlaubnis verpflichtet. Der Fahrerlaubnisbehörde war für diese Entscheidung keinerlei Ermessen eingeräumt. Billigkeitserwägungen wie das Angewiesensein auf den Führerschein - auch zur Berufsausübung - können nicht entgegengebracht werden. Steht die Nichteignung fest, so ist die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen.
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Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers im streitgegenständlichen Bescheid vom 23. September 2019 ist damit rechtmäßig.
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Da die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtmäßig erfolgte, hat dies zur Folge, dass auch die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ablieferungsverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV ebenfalls rechtmäßig ist. Mit Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis und der Führerschein ist abzuliefern.
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Nachdem ein Vorverfahren nicht stattgefunden hat, besteht für eine Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO keine Notwendigkeit (vgl. Eyermann/Schmidt, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 162 Rn. 12).
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Zudem besteht für die vom Klägerbevollmächtigten beantragte Freistellung des Klägers von den Kosten der Anwaltskanzlei für das vorgerichtliche Tätigwerden kein Anlass.
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Nach alledem ist die Klage vollumfänglich mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.