Inhalt

VG München, Urteil v. 21.01.2020 – M 1 K 18.2496
Titel:

Baugenehmigung, Bebauungsplan, Überbaubare Grundstücksfläche, Garage, Befreiung, Grundzüge der Planung

Normenketten:
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
Schlagworte:
Baugenehmigung, Bebauungsplan, Überbaubare Grundstücksfläche, Garage, Befreiung, Grundzüge der Planung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.01.2021 – 1 ZB 20.409
Fundstelle:
BeckRS 2020, 41297

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung für die Errichtung einer Doppelgarage auf dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück FlNr. 1593 Gemarkung … unter Befreiung von den Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen des am 17. Februar 2005 als Satzung beschlossenen und am 3. Januar 2006 bekannt gemachten Bebauungsplans „R* …“ der Beigeladenen, in dessen Geltungsbereich das Baugrundstück liegt.
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Bereits am 4. Dezember 2013 hatte der Kläger erstmals einen Bauantrag und einen Antrag auf Befreiung vom Bebauungsplan zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit einer Doppelgarage nordwestlich unmittelbar angebaut an das Wohnhaus gestellt. Hierzu verweigerte die Beigeladene ihr Einvernehmen. Am 19. Mai 2014 wurde ein sog. „Austauschplan“ vorgelegt, der eine Verschiebung der Garage in den südwestlichen Grundstücksbereich vorsah. Hierzu erteilte die Beigeladene ihr Einvernehmen. In seinen Äußerungen vom 4. und 11. August 2014 sah jedoch der Beklagte diese Variante aus anderen Gründen als nicht genehmigungsfähig an. In der Folge wurde deshalb der „Austauschplan 2“ vom 22. August 2014 vorgelegt, der die Situierung der Doppelgarage an der hierfür im Bebauungsplan festgesetzten Stelle vorsieht. Die Baugenehmigung für das Einfamilienhaus mit dieser Garage wurde unter dem 28. August 2014 erteilt und ist bestandskräftig geworden.
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Eine Ortseinsicht durch den Beklagten am 17. Oktober 2017 hatte ergeben, dass die Doppelgarage planabweichend und unter Verstoß gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans „R* …“ im Nordwesten an das Einfamilienhaus angebaut errichtet worden ist. Im Rahmen seiner Anhörung zum Erlass einer Beseitigungsanordnung, welche unter dem 22. März 2018 auch erging und Gegenstand des Verfahrens M 1 K 18.1476 ist, trug der Kläger vor, er beabsichtige, einen Bauantrag für die planabweichende Ausführung der Garage zu stellen.
4
Am 12. Februar 2018 erfolgte die Stellung des Bauantrags und eines Antrags auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „R* …“. In der Bauausschusssitzung vom 6. März 2018 verweigerte die Beigeladene ihr Einvernehmen hierzu u.a. unter Verweis auf die Grundzüge der Planung und die geordnete städtebauliche Entwicklung.
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Unter dem 22. März 2018 erließ das Landratsamt eine Beseitigungsanordnung bezüglich der planwidrig errichteten Garage, die Gegenstand des Klageverfahrens M 1 K 18.1476 ist.
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Nach vorheriger Anhörung des Klägers lehnte das Landratsamt mit Bescheid vom 15. Mai 2018 die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ab. Das Vorhaben widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen. Die Beigeladene habe ihr Einvernehmen zur Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB zu Recht verweigert.
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Mit der am 23. Mai 2018 bei Gericht eingegangenen Klage macht der Kläger insbe sondere geltend, aus der vorgelegten Auflistung ergebe sich, dass bereits viele Abweichungen von den Festsetzungen der Bebauungspläne „R* …“ und „R* … II“ über Garagen und Stellplätze verwirklicht worden seien. Der Kläger habe einen Anspruch auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „R* …“ hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen für Garagen. Die Zulassung der bereits errichteten Garage berühre nicht die Grundzüge der Planung. Gegen das Berührtseins eines Grundzugs der Planung spreche, dass die Beigeladene der Niederschrift über die Bauausschusssitzung vom 14. Mai 2013 zufolge einer Befreiung für die schon damals an der jetzt streitigen Stelle beantragten Errichtung der Garage zugestimmt habe. Die Beigeladene als Planungsträgerin sei selbst nicht von einem Grundzug der Planung ausgegangen; diese Auffassung habe erst das Landratsamt ins Spiel gebracht. Es treffe nicht zu, dass eine klare Gestaltung des Wohngebiets ablesbar sei, die bewusst zur Schaffung einer Art „Innenhof“ gewählt worden sei. Weder in der Bebauungsplanbegründung noch an anderer Stelle finde sich ein Hinweis darauf, dass mit der Anordnung der Garagen eine besondere Zielsetzung verfolgt worden sei. Zwar sei richtig, dass die einzelnen Bauzeilen eine einheitliche planerische Gestaltung aufwiesen. Wo aufgrund der besonderen Lage des Grundstücks nötig, sei hiervon aber auch abgewichen worden. Es sei zu berücksichtigen, dass das klägerische Grundstück einen im gesamten Plangebiet einzigartigen Zuschnitt habe; es weise in der südwestlichen Ecke einen dreiecksartigen Auswuchs auf. Die Festsetzung des Bebauungsplans zu Stellplatz und Garage blockiere eine sinnvolle Nutzung dieses Grundstücksbereichs und würde dazu führen, dass dieser optisch eher der anschließenden Verkehrsfläche als dem klägerischen Grundstück zuzuordnen wäre. Die zu gewährende Befreiung greife somit einen Gedanken auf, der im Bebauungsplan bereits angelegt sei. Eine Bezugsfallwirkung sei nicht zu befürchten, weil es im Plangebiet keine vergleichbare Grundstückssituation gebe. Auch die Genehmigungspraxis zeige, dass die garagenbezogenen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht als abweichungsfester Grundzug der Planung angesehen werden. Auf den Parzellen 1, 3, 4, 8, 10, 16, 18, 21, 22, 23 sei eine Vergrößerung oder Veränderung des Garagengebäudes zugelassen worden. In den Baufenstern 14, 16 und 19 sei eine teils erhebliche Verschiebung der Garagengebäude zugelassen worden. Auf den Parzellen 8, 15, 17, 19, 21, 22 und 25 seien weitere Nebenanlagen außerhalb der festgesetzten Baugrenzen zugelassen worden. Auf der Parzelle Nr. 11 weiche die Bebauung mit einem Swimmingpool und einem Poolhaus völlig vom Bebauungsplan ab. Auch im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R* … II“ seien mehrere Befreiungen von den Vorgaben zu den Garagen, im Fall der Parzellen 36a und 36b auch Verschiebungen ermöglicht worden. Besonders augenfällig sei die Situation auf der so benannten Parzelle Nr. 26b im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R* … II“. Dort sei entsprechend der streitgegenständlichen Gestaltung die Garage vollkommen aus dem Baufenster heraus nach Norden verschoben, angrenzend an das Wohnhaus errichtet. Daraus lasse sich ableiten, dass die Garagensituierung gerade nicht als Grundzug der Planung angesehen worden sei. Aus den geschilderten Gründen sei die Befreiung auch städtebaulich vertretbar i.S.d. § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB. Die Sondersituation mache eine Anpassung der Gestaltung erforderlich. Die neu gewählte Gestaltung orientiere sich, auch hinsichtlich der Firstrichtung, an dem, was auf der gegenüberliegenden Straßenseite vorzufinden sei. Auch würde die Durchführung des Bebauungsplans zu einer unbeabsichtigten Härte i.S.d § 31 Abs. 2 Nr. 3 BauGB führen, weil dadurch ein Teil des Grundstücks abgeschnitten werde. Dass dies so nicht gewollt sei, zeige sich insbesondere an der Handhabung auf der Parzelle 26b im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R* … II“. Die Gartenbereiche der Grundstücke müssten einheitlich nutzbar sein und dürften nicht ohne Not durch die Situierung von Gebäuden zerschnitten werden. Durch die vorgegebene Gestaltung werde das Eigentumsgrundrecht unangemessen beeinträchtigt. Die Befreiung sei auch unter Würdigung der nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die grenzständige Garage schließe unmittelbar an den Stellplatz bzw. Garagenraum der Nachbarn an. Auch habe die betroffene Nachbarin ihre Zustimmung zu dem Vorhaben gegeben. Andere Gründe zur Ablehnung des Bauantrags seien nicht ersichtlich. Der Bebauungsplan sei überdies aus formalen Gründen unwirksam, sodass sich die städtebauliche Prüfung nach § 34 BauGB richten müsse, wonach die streitige Garage in zulässiger Weise errichtet worden sei. Der Bebauungsplan sei unbestimmt und in sich widersprüchlich. Es sei unklar, welche Fassung der Planzeichnung Gültigkeit habe. Ausweislich der textlichen Festsetzungen gelte der Plan in der Fassung vom 12. Oktober 2004. Den Verfahrensvermerken sei dagegen zu entnehmen, dass Grundlage des Satzungsbeschlusses die Planfassung vom 11. Januar 2005 sei. Dieser Widerspruch führe darüber hinaus zu Ausfertigungsmängeln. Der Bebauungsplan sei nicht ordnungsgemäß ausgefertigt. Der Unterschrift auf dem Original-Plan sei keine Datumsangabe beigefügt. Auch fehle es an der nach der Rechtsprechung erforderlichen „gedanklichen Schnur“ zwischen den einzelnen Bestandteilen des Bebauungsplans. Es bleibe unklar, welche Planfassung Gültigkeit habe, diejenige vom 12. Oktober 2004 oder die vom 11. Januar 2005. Auch die Einzelblätter der textlichen Festsetzungen seien nicht ausgefertigt worden; insoweit fehle es ebenfalls an einer hinreichenden „gedanklichen Schnur“. Es seien nicht einmal Seitenzahlen vorhanden. Die Verbindung mittels einer Heftklammer genüge den Anforderungen der Rechtsprechung nicht. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Seiten gestempelt seien. Auffällig sei, dass die Verfahrensvermerke selbst nicht gestempelt seien.
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Der Kläger beantragt,
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Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids vom 15. Mai 2018 verpflichtet, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
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Hilfsweise:
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Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids vom 15. Mai 2018 verpflichtet, den Bauantrag vom 12. Februar 2018 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
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Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt im Wesentlichen vor, der Bebauungsplan „R* …“ sei wirksam und seine Festsetzungen trotz kleinerer Abweichungen im Einzelfall nicht obsolet geworden. Die Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen auch betreffend die Garagen seien ein Grundzug der Planung. Eine Befreiung für die Verschiebung der klägerischen Garage sei deshalb nicht möglich.
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Am 26. März 2019 fand die mündliche Verhandlung statt, in der die Beteiligten sich mit einem Übergang in das schriftliche Verfahren, u.a. auch zur Prüfung etwaiger Auswirkungen des in der Zwischenzeit erlassenen Bebauungsplans „R* … II“ auf das vorliegende Verfahren, einverstanden erklärten. In der Folge wurden die Planaufstellungsakten zum Bebauungsplan „R* … II“ vorgelegt. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit, sich hierzu zu äußern, wovon der Kläger mit Schriftsatz vom … September 2019, die übrigen Beteiligten jedoch nicht Gebrauch gemacht haben.
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Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift vom 26. März 2019, wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten, auch im Verfahren M 1 K 18.1476 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit kann ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) und auch keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Entscheidung über den Bauantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
I.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für die planwidrig errichtete Garage, weil diese öffentlichrechtlichen Vorschriften widerspricht, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, § 30 Abs. 1 BauGB, Art. 68 Abs. 1 Satz 1, Art. 59 Satz 1 BayBO, und weil eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „R* …“ über die überbaubare Grundstücksflächen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB nicht erteilt werden kann.
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1. Der am 17. Februar 2005 als Satzung beschlossene Bebauungsplan „R* …“ der Beigeladenen ist wirksam.
23
a) Die vom Kläger gerügten, untersch* …ichen Datierungen führen nicht zur Unbestimmtheit des Bebauungsplans „R* …“. Entgegen dem klägerischen Vorbringen ist nicht unklar, welche Fassung der Planzeichnung Gültigkeit hat.
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Es trifft zu, dass sich in den Planaufstellungsakten ein ausgefertigtes Exemplar der textlichen Festsetzungen befindet, deren Präambel lautet:
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„Für das Gebiet „R* …“ in … gilt der vom Architekturbüro … R* … aus … ausgearbeitete Plan in der Fassung vom 12.10.2004, der zusammen mit den nachstehenden Vorschriften den Bebauungsplan bildet.“
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Jedoch handelt es sich dabei der Chronologie der Planaufstellungsakte nach nicht um das bekanntgemachte Exemplar des Bebauungsplans. Der Gliederung der Planaufstellungsakte zufolge findet sich unter „Nr. 17 Inkrafttreten“ der vollständige Bebauungsplan, so wie er am 3. Januar 2006 bekannt gemacht worden ist. Darin lautet die Präambel wie folgt:
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„Für das Gebiet „R* …“ in … gilt der vom Architekturbüro … R* … aus … ausgearbeitete Plan in der Fassung vom 11.01.2005, der zusammen mit den nachstehenden Vorschriften den Bebauungsplan bildet.“
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Aus der durch das Gericht hervorgehobenen Passage ergibt sich, dass das in Kraft getretene Exemplar des Bebauungsplans berichtigt worden war und infolgedessen auch in Bezug auf das Datum der Planfassung unmissverständlich ist. Auch den Verfahrensvermerken ist zu entnehmen, dass Grundlage des Satzungsbeschlusses die Planfassung vom 11. Januar 2005 war. Die originale Planfassung trägt auf der Deckseite des Planteils mittig mit dem Datum „12.10.2004“ die Bestätigung des 1. Bürgermeisters dafür, dass die Beigeladene die Planung veranlasst hat. Es erschließt sich aber unmissverständlich, dass es sich dabei nicht um das Datum der letzten Planänderung handelt.
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b) Auch fehlt es nicht an einer jeden Zweifel über deren Zusammengehörigkeit ausschließenden Verbindung der Planbestandteile.
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Hierzu ist zunächst klarzustellen, dass es einer „gedanklichen Schnur“ nur dann bedarf, wenn sich die Regelungen des Bebauungsplans auf mehreren, untereinander nicht hinreichend fest verbundenen Einzelblättern befinden. Die einzelnen Blätter des Bebauungsplans müssen entweder körperlich miteinander verbunden sein oder in dem ausgefertigten Teil muss mit hinreichender Bestimmtheit auf die übrigen Teile oder Einzelblätter der Satzung Bezug genommen werden oder es muss auf andere Weise, mittels einer „gedanklichen Schnur“, jeder Zweifel an der Zugehörigkeit der nicht gesondert ausgefertigten Teile zur Satzung ausgeschlossen sein (BayVGH, U.v. 28.4.2017 - 15 N 15.967 - juris Rn. 38).
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Im Gegensatz zu den vom Bayer. Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fällen, die der Kläger zitiert (U.v. 28.4.2017 - 15 N 15.967- juris Rn. 37 ff.; U.v. 4.8.2017 - 15 N 15.1713 - juris Rn. 19 ff.), sind bezogen auf das in der Planaufstellungsakte der Beigeladenen befindliche Original des Bebauungsplans „R* …“ die vier Blätter mit textlichen Festsetzungen in einer Weise körperlich miteinander verbunden, die den Anforderungen von § 10 Abs. 3 BauGB und Art. 26 Abs. 2 BayGO genügt. Die linke obere Ecke der Blätter ist nach hinten umgeknickt, durch eine Heftklammer sind die Blätter auf dem Knick fest verbunden und die nach hinten umgeknickte Ecke zusätzlich gesiegelt. Auch sind die solchermaßen körperlich verbundenen textlichen Festsetzungen auf dem letzten Blatt unter dem Datum des Satzungsbeschlusses, 17. Februar 2005, vom 1. Bürgermeister unterschrieben und mit einem Siegel versehen. Die Verfahrensvermerke sind mit den textlichen Festsetzungen körperlich nicht verbunden. Sie tragen die Unterschrift des 1. Bürgermeisters vom 18. Februar 2005 und daneben ein Siegel, ferner den Bekanntmachungsvermerk mit Siegel und Unterschrift des Bürgermeisters unter dem Datum des 5. Januar 2006. Der Planteil des Bebauungsplans „R* …“ ist ebenfalls nicht körperlich mit den textlichen Festsetzungen verbunden und trägt nur die Unterschrift des 1. Bürgermeisters vom 12. Oktober 2004 für die Beigeladene als Planveranlasserin. Eine gesonderte Ausfertigung fehlt.
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Die Ausfertigung des Bebauungsplans „R* …“ ist in der Unterschrift des 1. Bürgermeisters vom 17. Februar 2005 unter den textlichen Festsetzungen zu sehen. Die Unterschrift vom 18. Februar 2005 unter den Verfahrensvermerken bezieht sich dagegen nicht nur auf den Satzungsbeschluss, sondern bescheinigt auch den Ablauf des Bauleitplanverfahrens im Übrigen
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Zur Erfüllung der Identitätsfunktion kommt es darauf an, dass die Ausfertigungsunterschrift alle relevanten regelnden Teile der Satzung umfasst (BayVGH, U.v. 28.4.2017 - 15 N 15.967 - juris Rn. 40). Das Blatt mit den Verfahrensvermerken spielt deshalb im zu entscheidenden Fall keine Rolle, weil es weder die Ausfertigungsunterschrift noch regelnde Teile des Bebauungsplans „R* …“ umfasst. Es geht somit allein um die Frage, ob jeder Zweifel an der Zugehörigkeit des nicht gesondert ausgefertigten Planteils zu den textlichen Festsetzungen ausgeschlossen ist. Insoweit ist eine ausreichende „gedankliche Schnur“ zwischen dem Planteil und den textlichen Festsetzungen der Satzung gegeben, denn in den textlichen Festsetzungen wird der Bebauungsplan „R* …“ ebenso wie im Planteil mit diesem Namen bezeichnet, es wird das auch auf dem Plan befindliche Datum „11.01.2005“ genannt und die textlichen Festsetzungen spiegeln sich in den planlichen Festsetzungen und Planzeichen. Die Zusammengehörigkeit von Planteil und textlichen Festsetzungen ist somit eindeutig genug ersichtlich, um die Funktion des Ausfertigungsvermerks zu erfüllen, nämlich sicherzustellen, dass alle regelnden Einzelteile des als Satzung beschlossenen Bebauungsplans mit dem Willen des beschließenden Gremiums im Zeitpunkt der Beschlussfassung übereinstimmen. Auch die Funktion, mittels der durch die Ausfertigung vollzogenen Urkundenherstellung zu gewährleisten, dass sich die Betroffenen verlässlich Kenntnis vom Inhalt der als Satzung beschlossenen Rechtsnorm verschaffen können, ist erfüllt. Dass es in den textlichen Festsetzungen heißt „Plan in der Fassung vom 12.10.2004“, obwohl dieses Datum tatsächlich dasjenige der Unterschrift des 1. Bürgermeisters für die Planveranlasserin ist, ändert daran nichts. Hierdurch kann nämlich kein Zweifel daran entstehen, dass der unterschriebene und gesiegelte Planteil, zuletzt geändert am 11. Januar 2005, zusammen mit den textlichen Festsetzungen am 17. Februar 2005 als Satzung beschlossen wurde, denn ein Planteil mit dem 12. Oktober 2004 als Datum der Planfassung existiert tatsächlich in der Planaufstellungsakte nicht. Eine Verwechslungsgefahr ist somit ausgeschlossen.
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2. Die vom Kläger bereits errichtete Garage, deren bauaufsichtliche Genehmigung er begehrt, widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans „R* …“, § 30 Abs. 1 BauGB. Eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kann nicht erteilt werden.
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a) Der Bebauungsplan enthält Festsetzungen über überbaubare Grundstücksflächen für die jeweiligen Hauptbaukörper und Garagen. Auf dem Grundstück des Klägers FlNr. 1593 (im Bebauungsplan Parzelle Nr. 13) ist der Bauraum für eine Garage sowie einen Stellplatz frei stehend südwestlich des Hauptbaukörpers festgesetzt. Tatsächlich hat der Kläger seine Garage jedoch nordwestlich an den Hauptbaukörper direkt angebaut.
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b) Die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen wurde zu Recht verweigert, denn das streitige Vorhaben berührt die Grundzüge der Planung. Ist das wie hier der Fall, kommt eine Befreiung unabhängig davon, ob sie etwa städtebaulich vertretbar oder mit den Nachbarinteressen vereinbar wäre, nicht mehr in Betracht.
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aa) Wann eine Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, lässt sich nicht für alle Konstellationen abstrakt bestimmen. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass z.B. Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung stets oder zumindest in der Regel zu den Grundsätzen der Planung gehören, lässt sich nicht aufstellen. Ob eine Abweichung die Grundzüge der Planung berührt, beurteilt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, nämlich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck gebrachten planerischen Wollen. Bezogen auf dieses Wollen darf der Abweichung vom Planinhalt keine derartige Bedeutung zukommen, dass die angestrebte und im Plan zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird. Es muss mit anderen Worten angenommen werden können, die Abweichung liege noch im Bereich dessen, was der Planer gewollt hat oder gewollt hätte, wenn er die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes für die Abweichung gekannt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 29.1.2009 - 4 C 16.07 - juris Rn. 23; U.v. 4.8.2009 - 4 CN 4.08 - juris Rn. 12). Die Grundzüge der Planung bilden die den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrunde liegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption.
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Die Grundzüge der Planung werden nicht als solche im Bebauungsplan festgesetzt.Sie ergeben sich aber aus dessen Festsetzungen (insbesondere aus dem den Festsetzungen zugrunde liegenden planerischen Konzept), aus seiner Begründung oder ggfs. auch aus weiteren Unterlagen der Planaufstellung (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2019, § 31 Rn. 36 m.w.N.). Das planerische Konzept muss aus den Unterlagen erkennbar sein, wozu es aber nicht unbedingt ausdrücklicher Erklärungen oder Ausführungen bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2017 - 15 ZB 16.940 - juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 15. 9. 2016 - 5 S 114/14 - BauR 2017, 225 - juris Rn. 34). Ist das planerische Grundkonzept ohne weiteres aus Planzeichnung und textlichen Festsetzungen erkennbar, reicht dies für die Feststellung eines Grundzugs der Planung aus.
39
Für die Frage, ob es sich um einen Grundzug der Planung handelt, kommt es auf den Willen des Plangebers zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses an (Spieß in Jäde/Dirnberger, BauGB, 9. Überarbeitete Auflage 2018, § 31 Rn. 13 m.w.N.), bei der Frage, ob ein Grundzug der Planung berührt wird dagegen auf den Zeitpunkt der Abwägungsentscheidung im Rahmen der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB. Für die Bestimmung der Grundzüge der Planung ist das Plangebiet insgesamt, zumindest aber der für das jeweilige Vorhaben relevante Teilbereich maßgeblich (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Auflage 2019, § 31 Rn. 29).
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Aus den Zusammenhängen von Festsetzungen und dem zugrunde liegendem Planungskonzept folgt, dass nicht die Festsetzung allein, von der auf dem betreffenden Grundstück abgewichen werden soll, bei der Frage entscheidend ist, ob die Grundzüge der Planung berührt sind, sondern auch die sich aus dem zugrundeliegenden Planungskonzept ergebenden Zusammenhänge. Die Grundzüge der Planung sind schon berührt, wenn die Einhaltung der Festsetzung, von der abgewichen werden soll, für die Bewahrung des Grundkonzepts relevant ist. Daraus ergibt sich, dass für eine Gruppe von Festsetzungen, denen ein Grundkonzept oder ein spezielles planerisches Konzept zugrunde liegt, im Allgemeinen höchstens untergeordnete Abweichungen im Wege der Befreiung in Betracht kommen können (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2019, § 31 Rn. 37 m.w.N.).
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bb) Dies zugrunde gelegt, ist bereits aus der Planzeichung des Bebauungsplans „R* …“ ablesbar, dass die Situierung der Bauräume für Garagen auf den Bauparzellen zusammen mit den Festsetzungen der Bauräume für die Hauptbaukörper einem planerischen Grundkonzept folgt. Die Schaffung einer „Innenhofsituation“ für die jeweils von der Straße abgewandten, rückwärtigen Grundstücksbereiche war offenbar bezogen auf die Bauparzellen Nr. 14 bis 23 ein konzeptioneller Gedanke des Plangebers. Hier ist deutlich ablesbar, dass alle Bauräume zur Straße hin orientiert und die rückwärtigen Grundstücksbereiche von Bebauung freigehalten sind. Das gilt indes nicht für das Grundstück des Klägers FlNr. 1593, im Bebauungsplan „R* …“ als Parzelle Nr. 13 bezeichnet. Dieses Grundstück liegt in der Baureihe an der östlichen Grenze des Geltungsbereichs des Bebauungsplans und nicht in dem Geviert mit der offensichtlichen „Innenhofsituation“. Auch in den westlichen und nördlichen Häuserzeilen des Bebauungsplangebiets ist die Ausbildung einer „Innenhofsituation“ nicht vorhanden. Dennoch ist nach den planerischen Festsetzungen im gesamten Bebauungsplangebiet deutlich ablesbar, dass der Situierung der Bauräume für die Hauptbaukörper und Garagen im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zur jeweiligen Erschließungsstraße ein planerisches Konzept zugrunde liegt. Die Anordnung der Bauräume ist nicht etwa regellos oder unsystematisch, sondern einheitlich und mit erkennbarer Gestaltungsvorstellung getroffen. Dass die Situierung nicht über das gesamte Plangebiet hinweg völlig gleichförmig ist, ist in der konkreten Planungssituation unerheblich. In Bezug auf die Häuserzeile, in der das klägerische Grundstück sich befindet (Parzellen Nr. 9 bis 13), ist eine gleichförmige Anordnung der Bauräume für Hauptbaukörper (jeweils mittig im nördlichen Grundstücksbereich) und Garagen (jeweils südwestlich vom Hauptbaukörper und mit diesem nicht verbunden) offensichtlich. Gleiches gilt analog für die übrigen beschriebenen Teilbereiche des Geltungsbereichs des Bebauungsplans „R* …“. Es ist jeweils eindeutig ablesbar, dass die Beigeladene im Hinblick auf die Bauräume für Hauptbaukörper und Garagen bezogen auf das jeweilige Geviert eine regelhafte Gestaltung vorgenommen hat. Diese regelhafte Konzeption hat die Annahme eines Grundzugs der Planung zur Folge.
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cc) Die Grundzüge der Planung in Bezug auf den Bereich der Parzellen Nr. 9 bis 13 werden durch die Situierung der klägerischen Garage in zweierlei Hinsicht berührt, § 31 Abs. 2 BauGB. Zum einen ist die Garage nicht freistehend, sondern an den Hauptbaukörper angebaut. Zum anderen befindet sie sich nicht südwestlich vom Hauptbaukörper, sondern nordwestlich davon. Daran vermag die Argumentation des Klägers nichts zu ändern.
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(1) Der vom Kläger vorgelegte Auszug aus der Niederschrift des Bauausschusses der Beigeladenen vom 14. Mai 2013 belegt, dass die die Sitzungsvorlage erstellende Gemeindeverwaltung gerade auf die Grundzüge der Planung hingewiesen hat und auch ein Teil der Mitglieder des Bauausschusses diese als berührt ansah. Die Mehrheit der Ausschussmitglieder sah die Grundzüge der Planung damals nicht als berührt an; dass sie als nicht existent betrachtet worden wäre, geht aus der Niederschrift nicht hervor. Es handelte sich um eine Befassung mit dem Anliegen des Klägers außerhalb eines bauaufsichtlichen Verfahrens. Bereits in seiner Sitzung vom 10. Dezember 2013, in der der nunmehr förmlich gestellte Vorbescheidsantrag des Klägers vom 4. Dezember 2013 behandelt wurde, sah der Bauausschuss die Grundzüge der Planung einstimmig als berührt an. Auch ist der vorgelegten Niederschrift nicht zu entnehmen, welche Situierung der Garage genau der Beratung des Bauausschusses zugrunde lag.
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Der Umstand, dass am 14. Mai 2013 außerhalb eines bauaufsichtlichen Verfahrens und somit auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 36 BauGB sechs Gemeinderatsmitglieder der Beigeladenen durch eine vom Bebauungsplan abweichende Situierung der Garage Grundzüge der Planung nicht als berührt ansahen, hat auf die Rechtslage im vorliegenden Verfahren keine Auswirkungen, denn, wie bereits ausgeführt, kommt es für die Frage, ob es sich bei Festsetzungen um Grundzüge der Planung handelt, auf den Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses bezogen auf den in Rede stehenden Bebauungsplan, hier also auf den 17. Februar 2005, an. Über die Frage, ob eine Abweichung vom Bebauungsplan die einmal festgestellten Grundzüge der Planung berührt, wird in dem Verfahren zur Erteilung der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB durch die zur Entscheidung zuständige Behörde, hier im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens durch die Bauaufsichtsbehörde, bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt im Einvernehmen mit der Gemeinde (§ 36 BauGB) befunden. Die Sichtweise des Bauausschusses am 14. Mai 2013 spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
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(2) Dass Abweichungen von den Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R* …“ zugelassen oder hingenommen wurden, hat weder zur Folge, dass die Festsetzungen, die die beschriebenen Grundzüge der Planung beinhalten, obsolet geworden wären, noch kann der Kläger hieraus Bezugsfälle herleiten.
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Es wird nicht einheitlich beantwortet, ob die Grundzüge der Planung durch die Ertei lung einer Befreiung zur Disposition gestellt werden können (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 2019, § 31 Rn. 37a m.w.N.; für die verschiedenen Auffassungen insbesondere BayVGH, B.v. 26.7.2018 - 2 ZB 17.1656 - juris Rn. 3; U.v. 9.8.2007 - 25 B 05.1337 - juris Rn. 35 ff.). Nach der Auffassung, der die Kammer folgt, kann ein Grundzug der Planung, d.h. die Festsetzung, der er entnommen wird, funktionslos werden, wenn davon in einer Weise befreit wurde, die in die planerische Grundkonzeption eingreift. Berühren Befreiungen dagegen das planerische Grundkonzept nicht, bleiben die Festsetzungen, die die Grundzüge der Planung bilden, wirksam und stellen dann auch weiterhin Grundzüge der Planung dar, die einer Befreiung entgegengehalten werden können. Bezugsfälle dergestalt, dass eine geringfügige Abweichung wegen des Gleichheitssatzes eine Aufgabe der planerischen Grundkonzeption nach sich ziehen müsste, können nicht abgeleitet werden. Zum einen geht es dann nicht um vergleichbare Sachverhalte i.S.d. Art. 3 GG, denn eine Abweichung, die das Plankonzept unberührt lässt, ist ein aliud zu einer Abweichung, die in das Grundkonzept der Planung eingreift. Zum anderen sind Abweichungen, die das planerische Grundkonzept berühren, der planenden Gemeinde vorbehalten; das planerische Ermessen darf nicht durch die Bauaufsichtsbehörde ersetzt werden. Eine Befreiung darf nie die Grundzüge der Planung berühren, weil sie damit die Grenze zur erforderlichen förmlichen Planänderung überschreitet (vgl. BVerwG, U.v. 20.11.1984 - 4 B 1063.89 - juris; B.v. 5.3.1999 - 4 B 5.99 - juris Rn. 5 f.).
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Dies zugrunde gelegt, sind die Grundzüge der Planung hier nicht obsolet geworden. Wie durch die Erörterung in der mündlichen Verhandlung auf der Basis des Bebauungsplans sowie mit Hilfe von Luftbildern und Lageplänen der Vermessungsverwaltung festgestellt, gibt es im Bebauungsplangebiet „R* …“ Abweichungen von den festgesetzten Bauräumen in nicht geringer Zahl. Allerdings bewegen sich diese Abweichungen allesamt in einem Rahmen, der das Grundkonzept des Bebauungsplans unberührt lässt. Die Baukörper sind zumeist relativ geringfügig, jedenfalls aber in einer Weise planabweichend ausgeführt, dass das durch Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen geschaffene planerische Gestaltungskonzept ablesbar bleibt. Es kann deshalb ungeklärt bleiben, in wie weit für die in Rede stehenden Abweichungen Befreiungen erteilt wurden. Wenn nämlich durch Befreiungen von Festsetzungen abgewichen wird, die das jeweilige Planungskonzept nicht tragen, oder wenn die Abweichung von Festsetzungen, die für die Grundzüge der Planung maßgeblich sind, nicht ins Gewicht fallen (BVerwG B.v. 19.5.2004 - 4 B 35.04 - juris Rn. 3) kann eine Befreiung ohne Berührung der Grundzüge der Planung in Betracht kommen. Die Befreiung darf nur das planerische Konzept, das den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Grunde liegt, nicht verändern (vgl. auch Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Juli 2019, § 31 Rn. 36; BVerwG, B.v. 19.5.2004 - 4 B 35.04 - juris Rn. 3; U.v. 19.9.2002 - 4 C 13.01 - juris Rn. 24).
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(3) Zur Begründung seiner Auffassung, die Festsetzungen über die überbaubaren Grundstücksflächen für Garagen würden keine Grundzüge der Planung darstellen, zieht der Kläger zu Unrecht die Verhältnisse im Rahmen des am 22. Juni 2010 als Satzung beschlossenen Bebauungsplans „R* … II“ der Beigeladenen heran.
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(a) Der Bebauungsplan „R* … II“ ist nicht wegen Unbestimmtheit oder eines Ausfertigungsmangels unwirksam. Die Ausfertigung des Bebauungsplans „R* … II“ weist dieselben Besonderheiten auf wie die des Bebauungsplans „R* …“. Der Kläger rügt hier zwar die Umstände nicht, die nach seiner Meinung zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans „R* …“ führten. Die Prüfung führt aber entsprechend zu demselben Ergebnis wie beim Bebauungsplan „R* …“ (s.o. Nr. I. 1. der Entscheidungsgründe), nämlich zu dessen Wirksamkeit.
50
(b) Der Bebauungsplan „R* … II“ schließt mit seinem Geltungsbereich unmittelbar östlich an den Geltungsbereich des hier einschlägigen Bebauungsplans „R* …“ an. Jedoch hat die Beigeladene nicht etwa durch eine Änderung des Bebauungsplans „R* …“ dessen Geltungsbereich erweitert, sondern einen neuen, rechtlich selbständigen Bebauungsplan mit Rechtsnormcharakter i.S.d. § 10 BauGB erlassen.
51
(c) Der Kläger macht geltend, besonders augenfällig sei die Situation auf der Parzelle Nr. 26b im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R* … II“. Dort sei entsprechend der streitgegenständlichen Gestaltung die Garage vollkommen aus dem Baufenster heraus nach Norden verschoben, angrenzend an das Wohnhaus errichtet. Daraus lasse sich ableiten, dass die Garagensituierung gerade nicht als Grundzug der Planung angesehen worden sei.
52
Die Verhältnisse im Geltungsbereich des Bebauungsplans „R* … II“ können indes nicht zur Beantwortung der Frage herangezogen werden, ob die Festsetzungen des fünf Jahre zuvor beschlossenen Bebauungsplans „R* …“ zu den überbaubaren Grundstücksflächen Grundzüge der Planung darstellen. Grundlegend für die Beurteilung dessen, was Grundzüge der Planung sind, ist der Wille der planenden Gemeinde zum Zeitpunkt des Erlasses des fraglichen Bebauungsplans (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Auflage 2019, § 31 Rn. 29). Das ist hier der 17. Februar 2005, an dem der Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan „R* …“ gefasst wurde. Selbst wenn beim Satzungsbeschluss für den Bebauungsplan „R* … II“ am 22. Juni 2010 die überbaubaren Grundstücksflächen für Hauptbaukörper und Garagen ebenfalls das planerische Konzept maßgeblich bestimmt haben und deshalb als Grundzüge der Planung anzusehen sind, kann das auf die Beurteilung im vorliegende Rechtsstreit keinen Einfluss haben. Hiergegen spricht bereits der Gesetzeswortlaut von § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 2 BauGB („Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans“, „Von den Festsetzungen des Bebauungsplans“), der sich jeweils eindeutig auf die Festsetzungen desjenigen Bebauungsplans bezieht, in dessen Geltungsbereich sich das betroffene Grundstück befindet. Auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sprechen gegen eine Berücksichtigung der Verhältnisse im Geltungsbereich anderer Bebauungspläne. Unterschiedliche Bauleitpläne können unterschiedliche Schicksale haben. So kann eine Gemeinde im Geltungsbereich des einen Plans ihr Plankonzept bewusst aufgeben und ggfs. i.S.d. § 1 Abs. 8 BauGB eine Planänderung vornehmen, jedoch aus städtebaulichen Erwägungen in einem angrenzenden Plangebiet ebenso bewusst das ursprüngliche Konzept beibehalten. Die Vorstellungen der planenden Gemeinde über die städtebauliche Gestaltung können sich in den Geltungsbereichen angrenzender Bebauungspläne unterschiedlich entwickeln, auch wenn die Motive für die Planung anfänglich dieselben waren.
53
(4) Auch die vom Kläger ins Feld geführte „atypische Grundstückssituation“ rechtfertigt keine Befreiung von der Festsetzung über die überbaubaren Grundstücksflächen für die Garage auf dem Grundstück FlNr. 1593.
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Zum einen ist der Grundstückszuschnitt der FlNr. 1593 nicht derart außergewöhnlich, dass eine Vorbildwirkung auch bezogen auf weitere Parzellen im Plangebiet gänzlich ausscheiden würde. Auch die Parzellen 14 und 15 sowie 24 und 25 z.B. weisen keinen exakt rechteckigen Zuschnitt auf.
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Zum anderen hat die Beigeladene die Planung der überbaubaren Grundstücksflächen auf der FlNr. 1593 in Kenntnis des Grundstückszuschnitts vorgenommen. Bei der Abwägung i.S.d. § 1 Abs. 7 BauGB ging sie ersichtlich davon aus, dass die städtebaulichen Argumente für die Festsetzung der überbaubaren Grundstückfläche überwiegen. Wenn aber der Plangeber „angesichts des Falles“ bewusst eine Festsetzung getroffen hat, die einem Vorhaben entgegensteht, scheidet eine Befreiung in aller Regel aus (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Auflage 2019, § 31 Rn.29).
56
Ein Fehler im Abwägungsvorgang gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB im Hinblick auf die Eigentümerrechte des Klägers aus Art. 14 GG wäre nicht mehr beachtlich, weil es an einer rechtzeitigen Rüge i.S.d. § 215 Abs. 1 Nr. 3 BauGB fehlt. Ein Hinweis i.S.d § 215 Abs. 2 BauGB war der Bekanntmachung des Bebauungsplans „R* …“ beigefügt.
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Auch liegt kein stets beachtlicher Fehler im Abwägungsergebnis vor. Der Bebauungsplan lässt keine schlechthin nicht zu rechtfertigende Belastung des Grundstücks des Klägers zu. Auf den nördlichen rechteckigen Grundstücksteil mit rund 640 Quadratmetern Fläche folgt südwestlich eine ca. 150 Quadratmeter große, etwa dreieckige Teilfläche an. Wiederum südlich davon schließt sich die FlNr. 1608/43 an, auf der sich ein öffentlicher Parkplatz befindet. Südlich davon folgt die Straßen A. R. mit einer Breite von rund 5,5 Metern und südlich davon ein Waldstück. Zieht man südlich des festgesetzten Bauraums für Garage und Stellplatz eine gerade Linie bis zu dem etwa mittigen Messpunkt an der südlichen Grundstücksgrenze, ergibt sich südlich des festgesetzten Bauraums eine restliche Grundstücksfläche von gut 70 Quadratmetern. Das ist die Fläche, von der der Kläger behauptet, sie wäre gleichsam vom Rest des Grundstücks abgeschnitten, eine sinnvolle Nutzung sei blockiert und sie würde von einem unbefangenen Betrachter eher dem südlich folgenden Parkplatz als dem Klägergrundstück zugeordnet. Diese Sichtweise ist aber keineswegs zwingend und hängt maßgeblich von der Freiflächengestaltung durch den Kläger ab. Friedet er z.B. sein Grundstück nach Süden zum Parkplatz hin durch Bepflanzung ein und nutzt die an den Stellplatz südlich anschließende Fläche, sei es durch eine Kompostanlage, durch Spiel- oder Sportanlagen für Kinder oder durch sonstige Nebenanlagen i.S.d. § 14 BauGB, die i.Ü., wie Nr. 3 Buchst. c) der textlichen Festsetzungen zeigt, durch den Bebauungsplan „R* …“ nicht ausgeschlossen sind, kann der behauptete Effekt jedenfalls vermieden werden. Das von der Beigeladenen gefundene Abwägungsergebnis war somit nicht wegen des Eigentumsgrundrechts des Eigentümers der FlNr. 1593 (zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses war dies noch nicht der Kläger) unvertretbar.
II.
58
Eine Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Verbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entsprechend § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil das Vorhaben Grundzüge der Planung berührt und das in § 31 Abs. 2 BauGB eröffnete Ermessen deshalb nicht im Sinne einer Befreiung ausgeübt werden kann.
III.
59
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen eigenen Antrag gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO entsprechend).
60
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.