Titel:
Tierseuchenrechtliche Kennzeichnung von Ziegen und Schafen
Normenketten:
ViehVerkV § 34 Abs. 1, Abs. 3, § 45 Abs. 2
VO (EG) Nr. 21/2004 Art. 4 Abs. 2
Rinderkennzeichnungs-VO Art. 4 Abs. 5
EU-RindersonderkennzeichnungsVO Art. 1
VO (EG) Nr. 2680/1999 Art. 1
VO (EU) 2019/2035 Art. 47
AEUV Art. 13
GG Art. 20a
Leitsätze:
1. Die nationale Ausnahmemöglichkeit des § 45 Abs. 2 ViehVerkV ist hinsichtlich der tierseuchenrechtlichen Kennzeichnungspflicht für Ziegen und Schafe nicht anwendbar, da die der ViehVerkV vorrangigen Kennzeichnungsvorschriften der VO (EG) Nr. 21/2004 keine Ausnahmemöglichkeiten von den dort geregelten Kennzeichnungskombinationen vorsehen. (Rn. 32)
2. Allein durch die Aufnahme und Pflege kranker bzw. hilfsbedürftiger Tiere entsteht keine „ähnliche Einrichtung“ i.S.d. § 45 Abs. 2 ViehVerkV. Dies gilt auch dann, wenn die Tiere am Ort der Aufnahme bis zum natürlichen Tod wie ein „Familienmitglied“ umsorgt und als „Kinderersatz“ angesehen werden. (Rn. 45 und 21)
„Ähnliche Einrichtung“ wie die in § 45 Abs. 2 ViehVerkV genannten Zoos, Wildparks und Zirkusse bedürfen eines Öffentlichkeitsbezuges. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
tierseuchenrechtliche Kennzeichnung von Ziegen und Schafen, Vorrang des Europarechts, Unanwendbarkeit des § 45 Abs. 2 ViehVerkV bei Ausnahmeantrag zur Kennzeichnung von Ziegen und Schafen, Kennzeichnung, Ziege, Schafe, Ausnahmegenehmigung, Mikrochip, kulturelle oder sportliche Veranstaltungen, Messen, Öffentlichkeitsbezug, Hobbytierhaltung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40907
Tenor
1. Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die tierseuchenrechtliche Kennzeichnungspflicht der klägerischen Ziegen und Schafe.
2
Bei einer Kontrolle des klägerischen Betriebes in …, Stadt …, Landkreis …, durch das Veterinäramt am Landratsamt … am 05.02.2019 wurde festgestellt, dass die Klägerin Ziegen und Schafe hält, die nicht gekennzeichnet sind. Vom Amtstierarzt wurde noch vor Ort mündlich angeordnet, dass die Ohrmarken der Schafe und Ziegen zu bestellen und einzuziehen sind (Frist: 01.05.2019). Die mündliche Anordnung wurde mit Schreiben vom 13.03.2019 schriftlich gegenüber der Klägerin bestätigt.
3
Mit Schreiben vom 13.05.2019 führte die Klägerin gegenüber dem Beklagten aus, alle Tiere seien ihr halbtot in einem Karton gebracht worden. Sie habe die Tiere aufgezogen. Alle Tiere hätten überlebt und seien ihre Familie. Sie werde alles dafür tun, dass ihnen keiner auch nur den kleinsten Schaden zufüge. Sie bitte um Verständnis für die enge Bindung zu den Tieren und die Wertschätzung als Lebewesen und nicht als Nutztier.
4
Bei einer Nachkontrolle am 01.07.2019 wurde erneut festgestellt, dass die vier Schafe und zwei Ziegen nicht gekennzeichnet sind. Der fachlichen Stellungnahme vom 12.07.2019 ist insoweit zu entnehmen, dass die eingeforderten Ohrmarken zur Kennzeichnung der vier Schafe und zwei Ziegen zwar laut HIT-Datenbank bestellt worden seien und der Klägerin vorlägen, aber nicht eingezogen gewesen seien.
5
Mit Bescheid vom 29.07.2019 ordnete das Landratsamt … an, dass die vier Schafe und zwei Ziegen im Betrieb der Klägerin ordnungsgemäß nach § 34 Abs. 1 ViehVerkV bis spätestens 02.08.2019 zu kennzeichnen sind (Ziff. 1). Für den Fall, dass die in Ziff. 1 des Bescheidstenors verfügte Anordnung nicht oder nicht vollständig erfüllt wird, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 50,00 EUR pro Verstoß und pro Tier angedroht (Ziff. 2).
6
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Ziff. 1 des Bescheides stütze sich auf § 24 Abs. 3 TierGesG i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 ViehVerkV. Da die vier Schafe und zwei Ziegen auch bei einer Nachkontrolle am 01.07.2019 ungekennzeichnet gewesen seien und die Klägerin sich weigere, die Kennzeichnung durchzuführen bzw. durchführen zu lassen, ergehe die Anordnung unter Ziff. 1 des Bescheides. Diese entspreche einer pflichtgemäßen Ermessensausübung. Sie sei das mildeste Mittel zum Vollzug der Kennzeichnungspflicht, da kein Ausnahmetatbestand abweichend von dieser Pflicht einschlägig sei. Insbesondere hätten die mündlichen und schriftlichen Anordnungen in der Vergangenheit keinerlei Wirkung gezeigt. Das öffentliche Interesse an einer Einhaltung der tierseuchenrechtlichen Vorgaben überwiege das Individualinteresse der Klägerin, ihre Schafe und Ziegen nicht zu kennzeichnen. Die Fristsetzung zur Erfüllung sei angemessen, da die Klägerin bereits seit 05.02.2019 zur Erledigung der Kennzeichnungspflicht aufgefordert worden sei. Die Zwangsgeldandrohung unter Ziff. 2 des Bescheidstenors stütze sich auf Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG (wird weiter ausgeführt).
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Mit Schriftsatz vom 02.08.2019 wandte sich der Bevollmächtigte der Klägerin an die Beklagte und führte aus, der Bescheid vom 29.07.2019 sei der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 01.08.2019 zugestellt worden. Es sei der Klägerin unmöglich, innerhalb der Frist von nur einem Tag, die Anordnung gemäß Ziff. 1 des Bescheides zu erfüllen. Eine Frist von nur einem Tag sei keine Frist, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden könne, wie es von Art. 36 Abs. 1 VwZVG vorgeschrieben sei. Sogleich wurde beantragt, die Frist bis zum 16.08.2019 zu verlängern, woraufhin das Landratsamt … mit Schreiben vom 05.08.2019 die im Bescheid vom 29.07.2019 gesetzte Frist antragsgemäß bis zum 16.08.2019 verlängerte.
8
Mit Schriftsatz vom 02.09.2019, eingegangen beim Verwaltungsgericht Ansbach am selben Tag und von dort verwiesen mit Beschluss vom 11.09.2019 an das Verwaltungsgericht Bayreuth, erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragte zunächst, den Bescheid des Landratsamts Bayreuth vom 29.07.2019, Az. 23-5654.4, zugestellt am 02.08.2019, aufzuheben.
9
Mit Schriftsatz vom 04.12.2019 beantragte die Klägerin beim Beklagten, die Genehmigung zu erteilen, die zwei Ziegen und vier Schafe ohne Anbringung von Kennzeichnungen gemäß § 34 ViehVerkV zu halten, hilfsweise anstelle von Ohrmarken-Transpondern und/oder Ohrmarken als erstes und zweites Kennzeichen eine andere Kennzeichnung, z.B. einen Mikrochip, zu genehmigen, dessen jederzeitige Ablesbarkeit gewährleistet sei. Die nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV enthaltene Beschränkung auf Zoos, Wildparks, Zirkusse oder ähnliche Einrichtungen sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass als ähnliche Einrichtung in diesem Sinne auch die Tierhaltung der Klägerin gelte, die die Tiere ausschließlich als Haustiere in ihrem umfriedenden Besitztum ohne jedwede gewerbliche Nutzung halte. Die Klägerin habe zu den Tieren eine besondere, auch emotionale, Beziehung, was von den Tieren wahrgenommen werde, weshalb diese sich besonders zutraulich und zugewandt gegenüber der Klägerin verhielten. Die Tiere bekämen besonders zubereitetes Futter und würden in jeder Hinsicht optimal versorgt und gepflegt. Dadurch habe sich eine Situation ergeben, die sich völlig von einer Nutztierhaltung unterscheide. Die ViehVerkV sei in Umsetzung der RL 92/102/EWG erlassen worden, nach deren Erwägungsgründen die Kennzeichnung für erforderlich gehalten werde, wenn es sich um „Tiere für den innergemeinschaftlichen Handel“ handle. Nationale Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie müssten richtlinienkonform ausgelegt werden. Dies bedeute, dass Ziegen und Schafe, die nicht für den innergemeinschaftlichen Handel bestimmt seien, nach dem Regelungszweck der Richtlinie nicht gekennzeichnet werden sollten. Im vorliegenden Fall sei es ausgeschlossen, dass das Fleisch der von der Klägerin gehaltenen Tiere in die Lebensmittelkette gelange. Die Tiere würden niemals geschlachtet. Die Klägerin versorge sie vielmehr bis zum natürlichen Ende ihrer Lebenszeit. Ohrmarken hätten nur eine geringe Lebensdauer, da sie von den Tieren abgerissen werden könnten. Während der Lebenszeit müssten die Ohrmarken daher mehrfach, womöglich mehr als zehn Mal neu gesetzt werden, wodurch den Tieren unnötig Schmerzen hinzugefügt würden.
10
Mit Schriftsatz vom 30.01.2020 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten der Klägerin mit, eine Kennzeichnung der Schafe und Ziegen sei unabhängig von der Frage, wie sie genau vorzunehmen sei, erforderlich. Dies ergebe sich aus Art. 4 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 21/2004 in Zusammenschau mit den Erwägungsgründen der VO. Auch § 34 ViehVerkV nehme Bezug auf Art. 4 der Verordnung. Die zitierte RL 92/102/EWG müsse für den vorliegenden Fall ohne Bedeutung bleiben, da Schafe und Ziegen von ihrem Anwendungsbereich gemäß Erwägungsgrund (5) der VO (EG) Nr. 21/2004 ausgenommen seien. Selbstverständlich sei man mit einer rechtlich zulässigen Kennzeichnungsalternative einverstanden. Derzeit fehle jedoch noch die Erklärung der Klägerin, in der sie versichere, dass die Tiere nicht für den innergemeinschaftlichen Handel bestimmt seien. Soweit auf eine Alternativkennzeichnung mit einem Bolus bzw. einer Tätowierung bestanden werden sollte, habe die Klägerin Lösungsansätze vorzubringen, um die gegenwärtig bestehenden rechtlichen/praktischen Hindernisse (fehlendes Kraftfahrzeugkennzeichen für eine Tätowierung, da Geburtsbetrieb der Tiere dem Amt nicht bekannt sei; fehlender Fachmann für die Durchführung der Kennzeichnung mittels Bolus-Transponder) auszuräumen. Ansonsten müsse der Antrag auf Alternativkennzeichnung förmlich abgelehnt werden.
11
Mit Schriftsatz vom 15.04.2020 teilte der Klägerbevollmächtigte dem Gericht mit, die Klägerin habe sich über die mit dem Einsetzen von Bolus-Transpondern für die Tiere verbundenen Risiken informiert. Es bestehe die Gefahr, dass sich der Bolus verlagere, wodurch im Extremfall der Tod des Tieres verursacht werden könne. Aus diesem Grund könne die Klägerin sich nicht für diese Methode der Kennzeichnung entscheiden. Eine für die Klägerin akzeptable Lösung sei die Anbringung eines injizierbaren Transponders, den die VO (EG) 933/2008 im Anhang A 4 b) ii) im Fall von Tieren, die nicht für den innergemeinschaftlichen Handel bestimmt seien, erlaube, allerdings im Zusammenhang mit einem weiteren Kennzeichen in Form einer Ohrmarke. Die ViehVerkV setze u.a. die RL 92/102 um, die die Kennzeichnung von Nutztieren, insbesondere Schlachttieren, vorschreibe. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch nicht um solche Tiere. Es sei daher unverhältnismäßig, die mit erheblichen Leiden und Folgerisiken verbundene massiven Kennzeichnungsmaßnahmen anzuordnen. Hinzu komme die inzwischen enorme psychische Belastung der Klägerin aufgrund der drohenden zwangsweisen Durchsetzung der Kennzeichnungsanordnung. Die Klägerin sei bereit, sich mit einem Vertragsstrafeversprechen zu verpflichten, die Tiere niemals zu verkaufen oder sonst an Dritte abzugeben. Sie sei auch bereit, dies eidesstattlich zu versichern und die Vertragsstrafe durch eine Bankbürgschaft abzusichern.
12
Mit weiterem Schriftsatz vom 08.05.2020 führte der Bevollmächtigte der Klägerin aus, die Klägerin halte eine Kennzeichnung der Tiere mit einer Kombination aus Fußfessel und Mikrochip-Transponder unter der Haut für eine sinnvolle Lösung, worauf der Beklagte mit Schriftsatz vom 08.05.2020 ausführte, aus seiner Sicht bestehe eine Divergenz zwischen den Vorgaben der VO (EG) Nr. 21/2004 in der neusten Fassung vom 01.07.2013, in die Änderungen der VO (EG) Nr. 933/2008 eingearbeitet worden seien, und den Vorgaben der ViehVerkV. Während die EU-Verordnung eine Kennzeichnungskombination mit einem „injizierbaren Transponder mit den unter Nummer 6 aufgeführten technischen Eigenschaften“ kenne, sei diese in der ViehVerkV nicht vorgesehen.
13
Nachdem das Gericht mit Schreiben vom 12.05.2020 auf den grundsätzlichen Vorrang des Europarechts hingewiesen hat, führte der Beklagte mit Schriftsatz vom 27.05.2020 aus, eine Kennzeichenkombination aus einem Mikrochip-Transponder und Ohrtätowierung bzw. Fußfessel sei auch in der maßgeblichen VO (EG) Nr. 21/2004 nicht vorgesehen. Im Anhang A Nr. 3, 4 der maßgeblichen Verordnung seien die möglichen Kennzeichnungskombinationen abschließend aufgeführt. Im Übrigen ließen sich nur Kennzeichnungskombinationen, die rechtlich vorgesehen sind, in die Datenbank eingeben. Die Abweichung werde spätestens bei einer von mehreren Überprüfungen der Eingaben durch verschiedene nationale Stellen (Regierung von Oberfranken, Bayerisches Staatsministerium, Führungsakademie in Landshut) angemahnt oder möglicherweise sogar von Seiten der Europäischen Union empfindlich sanktioniert werden.
14
Das mit Beschluss vom 18.12.2019 ruhend gestellte Verfahren (früheres Az. B 7 K 19.836) wurde - nach Scheitern der Einigungsbemühungen zwischen den Beteiligten - am 30.07.2020 von Amts wegen wiederaufgenommen.
15
Mit Schriftsatz vom 29.10.2020 teilte der Beklagte dem Gericht mit, dass aufgrund des Vortrags im Klageverfahren der klägerische Antrag vom 04.12.2019 auf Verzicht der Durchführung einer Kennzeichnung bei den betroffenen Tieren und auch der Hilfsantrag nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV als abgelehnt anzusehen sei. § 45 Abs. 2 ViehVerkV sehe als Rechtsfolge nur vor, dass eine Abweichung von den abschließend festgesetzten Kennzeichnungskombinationen nach pflichtgemäßen Ermessen der Behörde erfolge, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm erfüllt seien. Über die Kennzeichnungspflicht als solche könne sich nicht hinweggesetzt werden. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 2 ViehVerkV seien jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Eine „ähnliche Einrichtung“ im Sinne dieser Vorschrift setze voraus, dass dort Tiere zur Schau gestellt werden. Dies habe die ähnliche Einrichtung mit den übrigen in § 45 Abs. 2 ViehVerkV genannten Einrichtungen gemein. Die Klägerin verfolge jedoch nicht, Tiere öffentlich zur Schau zu stellen. Sie sehe in den sechs Tieren allein ihre Familie. Ein Gewerbe zur Zurschaustellung der Tiere sei nicht angemeldet worden. Ein Antrag auf Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach § 11 TierSchG sei ebenfalls weder gestellt, noch erteilt worden. Letztlich könne dahinstehen, ob eine ähnliche Einrichtung vorliegend gegeben sei, wenn das Europarecht keinen Raum für die Anwendung der Vorschrift im konkreten Fall lasse, d.h. wenn überhaupt nur die europarechtliche Kennzeichnung von Schafen und Ziegen nach VO (EG) Nr. 21/2004 entscheidend sei. Dies sei wiederum der Fall, wenn § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG ausschließlich auf einen Verstoß gegen die VO (EG) Nr. 21/2004 als unmittelbar geltenden Rechtsakt der europäischen Gemeinschaft im Anwendungsbereich des TierGesG abstellt, jedoch nicht auf einen Verstoß gegen die ViehVerkV, die als Vorschrift aufgrund des TierSG, jedoch nicht aufgrund des TierGesG ergangen sei. Eine europarechtliche Ausnahmevorschrift sei vorliegend nicht ersichtlich. Zwar sehe Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 der VO (EG) Nr. 1760/2000 eine generelle Ausnahmemöglichkeit von den Kennzeichnungskombinationen bei Rindern im Falle des Vorliegens von kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen vor, eine vergleichbare Ausnahmevorschrift existiere jedoch in der VO (EG) Nr. 21/2004 bei Schafen und Ziegen nicht. Der Verordnungsgeber habe vielmehr einen strengen Rechtsrahmen für die Kennzeichnung von Schafen und Ziegen vor dem Hintergrund der Eindrücke der Maul- und Klauenseuche vorgesehen. Die Kennzeichnung der Tiere solle neben der Rückverfolgbarkeit auch die Kontrolle der Tiere ermöglichen.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 16.11.2020 führte der Beklagte aus, bezüglich Alternativkennzeichnungen seien im Anhang Abschnitt A der VO (EG) Nr. 21/2004 die möglichen Kennzeichnungskombinationen abschließend aufgeführt. Ausnahmevorschriften, die abweichende Kennzeichnungskombinationen zulassen würden, existierten im vorliegenden Fall nicht. Weder sei § 45 Abs. 2 ViehVerkV einschlägig, noch sehe das Europarecht eine Ausnahme für den vorliegenden Fall vor. Eine mit Art. 4 Abs. 5 UAbs. 1 der VO (EG) Nr. 1760/2000 vergleichbare Ausnahme lasse sich aus der VO (EG) Nr. 21/2004 nicht entnehmen.
17
Nach gerichtlichem Hinweis erweiterte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19.11.2020 die Klage und beantragte zusätzlich zum bisherigen Klageantrag aus der Klageschrift vom 02.09.2019, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV dahin zu erteilen, dass die vier Schafe und zwei Ziegen der Klägerin mit einem Mikrochip, hilfsweise mit einem Mikrochip und einer Fußfessel, gekennzeichnet werden (1.), hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gem. § 45 Abs. 2 ViehVerkV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (2.).
18
Nachdem die Klage gegen den Bescheid vom 29.07.2019 in der Hauptsache in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, beantragt der Klägerbevollmächtigte zuletzt:
1. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV dahin zu erteilen, dass die vier Schafe und zwei Ziegen der Klägerin mit einem Mikrochip, hilfsweise mit einem Mikrochip und einer Fußfessel, gekennzeichnet werden.
2. Hilfsweise: Der Beklagte wird verurteilt, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gem. § 45 Abs. 2 ViehVerkV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
19
Zur Begründung der Klage auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung wird im Wesentlichen ausgeführt, bei der Tierhaltung der Klägerin handele es sich um eine ähnliche Einrichtung im Sinne des § 45 Abs. 2 ViehVerkV.
20
Der Begriff sei verfassungskonform in der Weise auszulegen, dass der vom Grundgesetz beabsichtigte Schutzzweck erreicht werde. Nach Art. 20a GG schütze der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürliche Lebensgrundlage und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung. Dadurch erkenne der Gesetzgeber an, dass Tiere Mitgeschöpfe des Menschen seien und ebenso wie dieser Freude und Leid empfinden könnten. Tiere seien keine Sachen (§ 90a BGB). Schon von Verfassungs wegen sei auf die Belange der Tiere Rücksicht zu nehmen, was bedeute, dass unnötige und unverhältnismäßige Eingriffe in deren körperliche Unversehrtheit, zumal solche, die mit Schmerzen und Leiden sowie wiederkehrenden Verletzungen verbunden seien, vermieden werden müssten. Auf dem 45 ha großen Grundstück der Klägerin befänden sich Hecken, Sträucher, Gestrüpp und begrünte Freiflächen. Bei den frei umherlaufenden Ziegen und Schafen führe dies zwangsläufig dazu, dass sich die Ohrmarken in Ästen oder Gestrüpp verfangen und durch die reflexartigen Bewegungen der Tiere aus den Ohren gerissen würden. Da die Tiere jetzt schon sechs Jahre alt seien, verursache das Einziehen der Ohrmarken deutlich größere Schmerzen als bei jungen Tieren. Die Heilungsprozesse durch die entstehenden Wunden seien mit einem wesentlich höheren Infektionsrisiko verbunden.
21
Eine „ähnliche Einrichtung“ im Sinne des § 45 Abs. 2 ViehVerkV sei auch eine solche Tierhaltung, die ideellen Zwecken diene, nämlich - wie im vorliegenden Fall - den Zweck, geschundene Tiere gesund zu pflegen und bis zu deren natürlichen Tod in jeder Hinsicht artgerecht zu halten. Dieser anerkennenswerte Zweck habe in rechtlicher Hinsicht jedenfalls denselben Rang wie die in § 45 Abs. 2 ViehVerkV beispielhaft genannten gewerblichen Betriebe (Zoos, Wildparks und Zirkusse). Es gebe keinen vernünftigen Grund für solche gewerblich gehaltenen Tiere eine Ausnahme von der rigiden Kennzeichnungspflicht mittels verletzender Ohrmarken oder Ohrtransponder zu erlauben, jedoch demjenigen diese zu verweigern, der seine Tiere nur deshalb hält, damit es ihnen gut gehe. Der von der Klägerin verfolgte reine Tierschutz stehe rechtlich und ethisch mindestens auf der gleichen Stufe wie die in § 45 Abs. 2 ViehVerkV genannten Beispiele. Auch die Klägerin mache ihre Tiere der Öffentlichkeit zugänglich, in dem sie jeden, der die Tiere besichtigen wolle, dies gestatte. Sie halte nicht nur vier Schafe und zwei Ziegen, sondern außerdem sechs Katzen, die ihr in verletztem Zustand gebracht worden seien, und einen Hund. Sie versorge auf dem weitläufigen Grundstück verletzte Wildtiere wie Vögel, Eichhörnchen, Igel und Kröten, für welche sie Überwinterungsplätze schaffe. Die Klägerin halte und pflege all diese Tiere mit eigenen finanziellen Mitteln und käme nie auf den Gedanken, hierfür von irgendeiner öffentlichen oder sonstigen Stelle Zuwendungen zu beanspruchen. Ihr gehe es um das Wohlergehen der Tiere. Sie könne nicht verstehen, dass ihre vier Schafe und zwei Ziegen, von denen feststehe, dass diese niemals verkauft oder geschlachtet würden, Verletzungen und Schmerzen zugefügt werden sollten, nur um die vermeintlich bindenden Buchstaben des Gesetzes durchzusetzen. Der Beklagte habe bei seiner Entscheidung das von ihm eingeräumte Ermessen nicht ansatzweise betätigt, da er von vornherein davon ausgegangen sei, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ausgeschlossen sei. Soweit seitens des Beklagten unionsrechtliche Gesichtspunkte angeführt werden, sei darauf hinzuweisen, dass auch das Unionsrecht, nämlich Art. 13 AEUV, den „Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen“ hohe Bedeutung beimisst. Insoweit werde auch auf den vorgelegten Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 28.09.2020 verwiesen, welches zutreffend die Auffassung vertrete, dass bei Auslegung des Begriffs „ähnliche Einrichtung“ im Sinne des § 45 Abs. 2 ViehVerkV die Belange des Tierschutzes zu berücksichtigen seien.
22
Der Beklagte beantragte - unter Hinweis auf sein bisheriges Vorbringen - in der mündlichen Verhandlung,
23
Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 30.11.2020 wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
24
Das Verfahren war in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 29.07.2019 gerichtet hat. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 30.11.2020 wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache nämlich insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Aufgrund der hier vorliegenden Teilerledigung des Rechtsstreites, konnte die Entscheidung über die Verfahrenseinstellung zusammen mit der Sachentscheidung über den nicht erledigten Teil (Verpflichtungsanträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung) im Urteil erfolgen (BVerwG, U.v. 2.6.1965 - 5 C 88.63 - juris; BVerwG, B.v. 7.8.1998 - 4 B 75.98 - juris).
25
Soweit mit Schriftsatz vom 19.10.2020 die ursprüngliche Anfechtungsklage um Verpflichtungsanträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV erweitert wurde, handelt es sich um eine zulässige Klageänderung in Form der Klageerweiterung nach § 91 Abs. 1 VwGO, die das Gericht für sachdienlich hält und der zudem der Beklagte nicht widersprochen bzw. auf die sich der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingelassen hat (§ 91 Abs. 2 VwGO).
26
Nachdem in der mündlichen Verhandlung zudem die ursprüngliche Klage gegen den Bescheid vom 29.07.2019 übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, hat das Gericht ausschließlich über die mit Schriftsatz vom 19.10.2020 gestellten Klageanträge, auf die in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen wurde, streitig zu entscheiden.
27
1. Der als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage in zulässiger Weise erhobene Hauptantrag, die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV dahingehend zu erteilen, dass die vier Schafe und zwei Ziegen der Klägerin (nur) mit einem Mikrochip gekennzeichnet werden dürfen, bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Kennzeichnung ihrer Tiere mit lediglich einem Mikrochip (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
28
a) Die Kennzeichnungspflichten für Schafe und Ziegen sowie die konkreten Kennzeichnungsmöglichkeiten ergeben sich aus § 34 ViehVerkV i.V.m. Art. 4 Abs. 2 VO (EG) Nr. 21/2004 i.V.m. Anhang Abschnitt A zur VO (EG) Nr. 21/2004 (vgl. hierzu auch VG Neustadt a.d. Weinstraße, B.v. 28.9.2020 - 7 L 708.20.NW - m.w.N.). Zwar enthält die gegenüber der nationalen ViehVerkV vorrangige VO (EG) Nr. 21/2004 (vgl. insoweit auch § 34 Abs. 3 ViehVerkV) die weitergehende Möglichkeit, Ziegen oder Schafen mit einem injizierbaren Transponder zu kennzeichnen. Der europäische Verordnungsgeber eröffnet diese Möglichkeit jedoch nur als zweites Kennzeichen bei Tieren, die nicht in der innergemeinschaftlichen Handel kommen, soweit die Erstkennzeichnung des Tieres mit einer Ohrmarke erfolgt (vgl. Nr. 4b ii i.V.m. Nr. 3b des Anhangs Abschnitt A zur VO (EG) Nr. 21/2004). Dementsprechend sieht weder das nationale Recht (vgl. § 34 Abs. 3 und 3a ViehVerkV), noch das europäische Recht die Kennzeichnung mit lediglich einem Mikrochip als (Regel-) Kennzeichnungsmethode vor.
29
b) Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV sind im Fall der Klägerin nicht gegeben.
30
Nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV kann die zuständige Behörde für nach dieser Verordnung kennzeichnungspflichtiges Vieh, das in Zoos, Wildparks, Zirkussen oder ähnlichen Einrichtungen gehalten wird, andere Kennzeichnung genehmigen, soweit deren jederzeitige Ablesbarkeit gewährleistet ist. Die nationale Ausnahmevorschrift des § 45 Abs. 2 ViehVerkV ist jedoch im Hinblick auf die Kennzeichnungspflicht von Ziegen und Schafen schon nicht anwendbar bzw. jedenfalls europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass lediglich in dem Umfang Ausnahmen genehmigt werden können, die auch europarechtlich vorgesehen sind (vgl. VG Oldenburg, U.v. 27.9.2016 - 7 A 1649/14 - juris).
31
aa) Die VO (EG) Nr. 21/2004 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Ziegen und Schafen sieht - beispielsweise im Gegensatz zu bestimmten Ausnahmemöglichkeiten des Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1760/2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern - keine europarechtlichen Ausnahmemöglichkeiten für die Kennzeichnung von Ziegen und Schafe vor. Die Nichtzulassung von abweichenden Kennzeichnungen bei Schafen und Ziegen über die in der Verordnung normierten Kennzeichnungskombinationen hinaus war dem Verordnungsgeber auch durchaus bewusst, da die hier maßgebliche VO (EG) Nr. 21/2004 erst über drei Jahre nach der VO (EG) Nr. 1760/2000 erlassen wurde. Zudem wird im Erwägungsgrund (3) der VO (EG) Nr. 21/2004 Folgendes ausgeführt:
„Vorschriften für die Kennzeichnung und Registrierung insbesondere von Schafen und Ziegen sind bereits mit der RL 92/102/EWG zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Tieren festgelegt worden. Bei Schafen und Ziegen haben die bisherigen Erfahrungen und vor allem die MKS-Krise gezeigt, dass die praktische Umsetzung der genannten Richtlinie nicht zufriedenstellend ist und verbessert werden muss. Daher sind strengere und spezifischere Vorschriften zu erlassen, wie dies für Rinder mit der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.07.2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern geschehen ist.“
32
Da die VO (EG) Nr. 21/2004 keinerlei Ausnahmemöglichkeiten von den dort ausdrücklich normierten Kennzeichnungskombinationen vorsieht und das Europarecht Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht genießt (vgl. EuGH, U.v. 5.2.1963 - 26/62 - NJW 1963, 974 ff.; EuGH, U.v. 15.7.1964 - 6/64 - juris; EuGH, U.v. 9.3.1978 - C-106/77 - juris; BVerfG, B.v. 6.7.2010 - 2 BvR 2661/06 - juris), kann jedenfalls bei Schafen und Ziegen die insoweit entgegenstehende nationale Regelung des § 45 Abs. 2 ViehVerkV als Rechtsgrundlage für eine Ausnahmegenehmigung nicht herangezogen werden. Soweit die Klägerseite anführt, aufgrund der fehlenden Ausnahmemöglichkeiten bei der Kennzeichnung von Ziegen und Schafen sei der allgemeine Gleichheitssatz bzw. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch im Unionsrecht gelte, verletzt, ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass eine rechtliche Gleichbehandlung von Ziegen und Schafe mit Blick auf die mit der Kennzeichnung verfolgten Zwecke mit Rindern oder gar Haustieren zwingend geboten wären (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 21.10.2013 - 11 N 52.12 - juris; VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 - 10 S 2447/17 - juris). Auch aufgrund des Hinweises des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung, wonach eine „Rechtsfortbildung“ notwendig sei, sieht das Gericht daher keine Veranlassung, den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV mit der Streitsache zu befassen.
33
bb) Selbst, wenn man den europarechtlichen Ausnahmetatbestand des Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1760/2000, der nur für die Registrierung von Rindern gilt, für die Kennzeichnung der hier streitgegenständlichen Ziegen und Schafe entsprechend heranziehen könnte und würde, wäre der Klägerin der begehrte Anspruch verwehrt. Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) 1760/2000 erlaubt nämlich alternative Kennzeichnungsmittel nur für Tiere, die für andere kulturelle oder sportliche Veranstaltungen als Messen und Ausstellungen bestimmt sind. Diese Voraussetzungen liegen bei der Haltungsform und der Zweckbestimmung des klägerischen Betriebes jedoch ersichtlich nicht vor.
34
Gleiches gilt für die Ausnahmemöglichkeiten nach der VO (EG) Nr. 644/2005. Mit der VO (EG) Nr. 644/2005 wurde - in Anbetracht des Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) 1760/2000 - eine getrennte Verordnung („Durchführungsverordnung“, vgl. BVerwG, B.v. 26.2.2019 - 3 B 46/18 - juris) erlassen, um ein besonderes Kennzeichnungssystem für Rinder festzulegen, die für kulturelle und historische Zwecken in einem von der Behörde zu diesem Zweck anerkannten Betrieb gehalten werden (vgl. Erwägungsgründe 2, 4 und 5 sowie Art. 1 der VO (EG) Nr. 644/2005). Zum einen beschränkt sich deren Anwendungsbereich wiederum ausdrücklich auf Rinder, zum anderen ist auch nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass die Klägerin ihre Ziegen und Schafe aus kulturellen und historischen Zwecken in einem von der Behörde zu diesem Zweck anerkannten Betrieb hält. Daneben ermöglicht die VO (EG) Nr. 644/2005 lediglich das Nichtanbringen bzw. Entfernen von Ohrmarken, aber keine Kennzeichnung mittels Mikrochip (vgl. Art. 2 der VO (EG) Nr. 644/2005).
35
Lediglich am Rande ist noch darauf hinzuweisen, dass sich nichts anderes aus Art. 1 der VO (EG) Nr. 2680/1999 ergibt, da diese „Durchführungsverordnung“ lediglich für „Kampfstiere“ Ausnahmen von der Ohrmarkenpflicht vorsieht (vgl. auch VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 - 10 S 2447/17 - juris), aber keine Kennzeichnungsmöglichkeit mittels Mikrochip.
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cc) Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt a. d. Weinstraße vom 28.09.2020 (5 L 708/20.NW) beruft, ist darauf hinzuweisen, dass das dortige Gericht nicht darauf eingeht, dass für die Kennzeichnungspflicht von Ziegen und Schafe gerade keine europarechtliche Ausnahmevorschriften existieren, insbesondere dass die - unter Verweis auf das Urteil des VG Oldenburg vom 27.09.2016 (7 A 1649/14) - aufgezeigte Ausnahmemöglichkeit gemäß Art. 1 VO (EG) 644/2005 nur für zu kulturellen und historischen Zwecken gehaltene Rinder, jedoch eindeutig nicht für Ziegen und Schafe gilt.
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dd) Eine Ausnahmemöglichkeit von den zwingend vorgeschriebenen Kennzeichnungsmethoden für Ziegen und Schafe vermag das Gericht - insbesondere im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen zu den detaillierten und differenzierenden Regelungen des Europarechts - auch nicht im Lichte des Art. 13 AEUV bzw. Art. 20a GG herzuleiten.
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Nach Art. 13 AEUV tragen die Union und die Mitgliedsstaaten bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehrsbinnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung; sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedsstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten, kulturelle Traditionen und das regionale Erbe. Aufgrund der systematischen Stellung stellt Art. 13 AEUV eine tierschutzrechtliche Querschnittsklausel im Primärrecht dar, der jedoch keine umfassende Rechtswirkung zukommt. Art. 13 AEUV enthält vielmehr ein Rechtsgebot im Sinne eines verbindlichen Handlungsauftrags an Union und Mitgliedsstaaten. Neben seiner Bedeutung als Rechtsgebot dient Art. 13 AEUV auch als Auslegungshilfe im Zusammenhang mit anderen Normen des Unionsrechts, insbesondere bei der Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe und im Rahmen von Ermessensentscheidungen (vgl. Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 13 AEUV Rn. 1, 7 ff.). Jedenfalls ergeben sich aus dem objektiv-rechtlichen Prinzip des Art. 13 AEUV keine subjektiven Rechte (Streinz, EUV/AEUV, 3. Auflage 2018, Art. 13 AEUV Rn. 2). Da es vorliegend keinerlei Auslegungsprobleme gibt - vielmehr ist die kodifizierte europarechtliche Lage zur Kennzeichnungspflicht von Ziegen und Schafen eindeutig - und darüber hinaus Art. 13 AEUV der Klägerin keinerlei subjektive Rechte verleiht, scheidet ein Anspruch auf Alternativkennzeichnung mittels Mikrochip auch im Hinblick auf Art. 13 AEUV aus.
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Gleiches gilt in Anbetracht der geltend gemachten Normen des Grundgesetzes, insbesondere für die Eigentumsfreiheit, die allgemeine Handlungsfreiheit und die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG. Die hier maßgebliche unionsrechtliche Kennzeichnungsverpflichtung kann die Klägerin in ihren Grundrechten schon deshalb nicht verletzen, weil Unionsrechtsakte wie die VO (EG) Nr. 21/2004 - mit Ausnahme von Ultra-vires-Akten und Verletzungen der Verfassungsidentität - grundsätzlich nicht am Maßstab des Grundgesetzes, sondern allein am Unionsrecht zu messen sind (vgl. VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 - 10 S 2447/17 - juris m.w.N.). Im Übrigen vermag das Gericht die geltend gemachten (Grundrechts-) Verletzungen schon im Ansatz nicht zu erkennen. Art. 20a GG richtet sich als Zielbestimmung nur an den Staat und kann daher schon wesensmäßig keine Drittwirkung gegenüber der Klägerin entfalten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass den Tieren bei der Regelkennzeichnung mit Ohrmarken unvermeidlich nennenswerte Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt würden (so auch VGH Mannheim, U.v. 26.7.2018 - 10 S 2447/17 - juris). Insoweit hat es die Klägerin mit in der Hand, unnötiges Leid der Tiere durch das gelegentlich vorkommende „Ausreißen“ der Ohrmarken zu minimieren, indem eine artgerechte Einzäunung verwendet wird bzw. die Tiere lediglich in den Bereich des klägerischen Anwesens gehalten werden, indem derartige Gefahrenquellen nicht vorherrschen, was in Anbetracht von sechs Tieren und einem 45 ha großen Anwesen möglich sein dürfte. Im Hinblick auf das hohe Schutzgut des Tierseuchenrechts müssen die kurzzeitigen und erträglichen Schmerzen beim Einziehen der Ohrmarken sowie die marginale Eigentumsbeeinträchtigung an den Tieren durch das Anbringen und Tragen gegenüber der gesetzlich vorgesehenen Kennzeichnung zweifelsohne zurückstehen. In diesem Zusammenhang hat das Gericht den Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch entnommen, dass ein nicht unwesentlicher Grund für die Ablehnung der Kennzeichnung mit Ohrmarken in der Optik der Tiere liegt. Die Klägerin erklärte insoweit, sie habe „sehr schöne Tiere“, die nicht mit Ohrmarken versehen werden sollen. Daneben hat sie offensichtlich einen Ziegenbock, der bereits mit einer Ohrmarke gekennzeichnet gewesen ist, die Ohrmarke in rechtswidriger Weise entfernen lassen, obwohl hierzu keine medizinische Indikation bestanden hat.
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c) Ein Anspruch auf Ausnahmegenehmigung im Sinne des klägerischen Antrags ergibt sich gegenwärtig auch nicht aus Art. 47 Abs. 1 der delegierten VO (EU) 2019/2035 der Kommission vom 28.06.2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2016/429 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich Vorschriften für Betriebe, in denen Landtiere gehalten werden, und für Brütereien sowie zur Rückverfolgbarkeit von bestimmten gehaltenen Landtieren und Brütereien.
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Zwar kann die zuständige Behörde gemäß § 47 Abs. 1 der VO (EU) 2019/2035 Unternehmer geschlossener Betriebe und Unternehmer, die Schafe und Ziegen zu kulturellen, Freizeit- oder Wissenschaftszwecken halten, von den Identifizierungsanforderungen nach Art. 45 Abs. 2 der VO (EU) 2019/2035 ausnehmen. Hierfür muss die zuständige Behörde sicherstellen, dass sie entweder einen Bonustransponder oder einen injizierbaren Transponder zur Identifizierung der Ziegen und Schafen genehmigt hat und dass dieses genehmigte Identifizierungsmittel den Anforderungen des Art. 48 Abs. 3 der VO (EU) 2019/2035 erfüllt, d.h. dass unter anderem der Identifizierungscode der Tiere angezeigt wird und das Identifizierungsmittel von der zuständigen Behörde des Mitgliedsstaats genehmigt ist.
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Eine Ausnahmegenehmigung gemäß Art. 47 der VO (EU) 2019/2035 kann seitens des Beklagten jedoch gegenwärtig schon deswegen nicht erteilt werden, da der Ausnahmetatbestand noch nicht in Kraft getreten ist. Ausweislich des Erwägungsgrundes (24) der VO (EU) 2019/2035 gilt für die Kennzeichnung von Ziegen und Schafen gegenwärtig noch die VO (EG) Nr. 21/2004, welche erst mit Wirkung vom 21.04.2021 aufgehoben und ersetzt wird. Erst ab diesen Zeitpunkt richtet sich die Kennzeichnungspflicht für Ziegen und Schafen nach der VO (EU) 2016/429 in Verbindung mit der VO (EU) 2019/2035.
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Die künftige Rechtslage entfaltet auch keine Vorwirkung dahingehend, dass der Beklagte schon heute im Lichte der künftigen Regelungen eine entsprechende Ausnahmegenehmigung erteilen müsste. Stichtagsregelungen in der „Gesetzgebung“ sind üblich und dienen der Rechtsklarheit. Insbesondere sieht die VO (EU) 2019/2035 auch keine Übergangsregelung vor. Obwohl die VO (EU) 2019/2035 bereits am 05.12.2019 im Amtsblatt der Europäischen Union bekanntgemacht wurde, sieht diese ausdrücklich vor, dass die „neuen“ Regelungen über die Kennzeichnung von Ziegen und Schafen erst ab April 2021 gültig sind und bis dahin die gegenwärtige Rechtslage aus der VO (EG) Nr. 21/2004 fortgilt. Mit diesem zeitlichen Vorlauf will der Verordnungsgeber offensichtlich sicherstellen, dass die notwendigen Vorkehrungen im Hinblick auf die Identifizierungsmittel und die Kennzeichenmethoden sowohl in technischer als auch in tatsächlicher Hinsicht getroffen werden können, sodass zum maßgeblichen Zeitpunkt eine europaweite effektive Anwendbarkeit der zukünftigen Regelungen ermöglicht wird.
44
d) Im Übrigen - und ohne, dass es noch entscheidungserheblich darauf ankommt - stünde der Klägerin selbst unter Ausblendung der europarechtlichen Problematik kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV zu, da die diesbezüglichen Tatbestandsvoraussetzungen nach Auffassung der Kammer nicht vorliegen.
45
Die Tierhaltung der Klägerin stellt insbesondere keine „ähnliche Einrichtung“ wie die in § 45 Abs. 2 ViehVerkV genannten Zoos, Wildparks und Zirkusse dar. Der Haltungsform der Klägerin fehlt es insoweit schon am vergleichbaren Öffentlichkeitsbezug. Daran ändert auch der Vortrag im Klageverfahren nichts, dass jeder gerne vorbeikommen könne, um die Tiere anzusehen. Ferner mag das Gericht in § 45 Abs. 2 ViehVerkV keine Art. 3 Abs. 1 GG widersprechende Bevorzugung gewerblicher Tierhaltungen zu erkennen. Zwar liegt es auf der Hand, dass die dort genannten Haltungsformen regelmäßig gewerblicher Natur sind. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch nichtgewerbliche Einrichtungen im Sinne der Vorschrift vom Anwendungsbereich umfasst sind, soweit kein Anwendungsvorrang des Europarechts besteht.
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Letztlich verweist die Kammer im Zusammenhang mit den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 45 Abs. 2 ViehVerkV auf die tierseuchenrechtliche Rechtsprechung, wonach Einrichtungen, wie die von der Klägerin betriebene Tierhaltung, vergleichbar mit den Zielen eines „Tierschutzhofes“, als reine Hobbytierhaltung nicht in den Geltungsbereich der Ausnahmeregelung nach § 45 Abs. 2 ViehVerkV fallen (vgl. hierzu VG Neustadt a.d. Weinstraße, B.v. 28.9.2020 - 5 L 708/20.NW - m. w. N.; VG Oldenburg, U.v. 27.9.2016 - 7 A 1649/14 - juris; OVG Lüneburg, B.v. 19.6.2013 - 10 LA 28/13 - juris). Soweit die Klägerseite auf die Ausführungen im vorstehenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße Bezug nimmt, wo nach Stimmen in der Kommentarliteratur als ähnliche Einrichtungen im Sinne des § 45 Abs. 2 ViehVerkV auch solche Haltungsformen gelten können, in denen die Kennzeichnung mittels Ohrmarken wegen der Haltungsform Schwierigkeiten bereite oder undurchführbar sei bzw. die Demonstration eines art- und umweltgerechten Umgangs mit Tieren durchaus als „Kultur“ anzusehen sei, ist darauf hinzuweisen, dass die vom dortigen Gericht zitierte (vereinzelte) Kommentarstelle (Hirth/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Auflage 2016, § 5 Rn. 14) nicht einmal annähernd problematisiert, dass sich die Kennzeichnungspflicht für Ziegen und Schafe aus der VO (EG) Nr. 21/2004 ergibt und daher der Hinweis auf die systematische und teleologische Auslegung des Art. 4 VO (EG) Nr. 1716/2000 allenfalls dazu führen kann, dass besondere Formen der Rinderhaltung als ähnliche Einrichtung im Sinne des § 45 Abs. 2 ViehVerkV angesehen werden können, jedoch nicht die hier streitgegenständliche Haltung von Ziegen und Schafen. Im Übrigen ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass aufgrund der klägerischen Haltungsform der Ziegen und Schafe unüberwindbare Schwierigkeiten bestünden, diese mittels Ohrmarken zu kennzeichnen oder dass die Kennzeichnung mittels Ohrmarken sogar gänzlich undurchführbar wäre. Wie bereits ausgeführt, lässt sich nämlich die Gefahr des Ausreißens - auch und gerade aufgrund der weiträumigen Haltungsmöglichkeiten der Klägerin - weitestgehend minimieren.
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e) Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Klägerin gegenwärtig unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung dahingehend zusteht, ihre Tiere lediglich mit einem Mikrochip zu kennzeichnen.
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2. Die hilfsweise erhobene Klage, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin zu gestatten, die Tiere mittels eines Mikrochips und einer Fußfessel zu kennzeichnen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Für die begehrte Kennzeichenkombination besteht aufgrund der unter 1. dargestellten Ausführungen ebenfalls kein Anspruch (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da diese Kennzeichenkombination weder europarechtlich noch national vorgesehen ist. Im Hinblick auf eine etwaige Ausnahmegenehmigung wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen zur alleinigen Kennzeichnung der Tiere mittels Mikrochip verwiesen.
49
3. Über den weiteren „Hilfsantrag“ (hilfsweise über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 2 ViehVerkV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden), bedarf es keiner gesonderten Entscheidung, da der Bescheidungsantrag als Minus bereits in den gestellten Vornahmeanträgen enthalten ist (vgl. Schübel-Pfister in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 113 Rn. 51) und es sich dementsprechend um keinen Hilfsantrag im Rechtssinne handelt.
50
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass vorliegend relevante Ermessensfehler schon deswegen nicht in Betracht kommen (können), da nach der gegenwärtig maßgeblichen Rechtslage überhaupt keine mit Ermessen ausgestattete Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren besteht bzw. selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 45 Abs. 2 ViehVerkV jedenfalls die Tatbestandsvoraussetzungen für die Ausnahmegenehmigung nicht erfüllt sind, sodass es insoweit auf die Frage einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung durch den Beklagten nicht mehr ankommt.
51
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO unter Beachtung der § 161 Abs. 2 und § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO im Hinblick auf den für übereinstimmend erledigt erklärten Teil der Klage. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
52
Berufungszulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, da der Anwendungsvorrang des Europarechts geklärt ist, die Rechtsfragen ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind und die Auslegung des Begriffs „ähnliche Einrichtung“ in § 45 Abs. 2 ViehVerkV in der vorliegenden Streitsache nicht entscheidungserheblich ist (vgl. auch Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124 Rn. 34 ff.).