Titel:
Kein Familiennachzug zu 26-jährigem Sohn, der Qualifizierten Hauptschulabschluss anstrebt
Normenkette:
AufenthG § 28 Abs. 3
Leitsatz:
Ausgebildet iSv § 28 Abs. 3 S. 2 AufenthG wird nur, wer das Ausbildungsangebot ernsthaft und nachhaltig wahrnimmt und den entsprechenden Abschluss tatsächlich anstrebt. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
Kein Familiennachzug zu Sohn, der 26 Jahre alt ist und seit 8 Jahren den Hauptschulabschluss anstrebt, russische Staatsangehörige, deutscher Sohn, Qualifizierter Hauptschulabschluss, Abhängigkeitsverhältnis, Familiennachzug
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40820
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin ist russische Staatsangehörige und reiste am 17. Januar 2011 gemeinsam mit ihrem am 14. Dezember 1993 geborenen Sohn mit einem Schengenvisum über Finnland in das Bundesgebiet ein. Der Sohn der Klägerin ist deutscher Staatsangehöriger. Die Klägerin erhielt seit dem 17. Februar 2011 zuletzt bis zum 24. April 2017 eine Aufenthaltserlaubnis, zunächst bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes und im Anschluss daran zum Familiennachzug wegen des Schulbesuchs des Sohnes.
Zuletzt beantragte sie am 11. April 2017 die Verlängerung. Ihr Bevollmächtigter beantragte mit Schriftsatz vom 30. Juli 2019 darüber hinaus eine Niederlassungserlaubnis.
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Die Klägerin und ihr Sohn haben durchgehend Leistungen nach dem SGB II bezogen. Der Sohn der Klägerin ist 26 Jahre alt, strebt weiterhin den Qualifizierten Hauptschulabschluss an und wohnt nach Angaben der Klägerin bei ihr in einer 1-Zimmer-Wohnung.
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Mit Bescheid vom 25. September 2019 lehnte die Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab (Nrn. 1 und 2). Die Klägerin wurde zur Ausreise bis zum 31. Oktober 2019 aufgefordert (Nr. 3) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von einem Jahr bei schuldhafter Überschreitung dieser Frist angedroht (Nr. 4). Die Abschiebung nach Russland wurde angedroht (Nr. 5). Der Bescheid ist im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht mehr vorlägen, da der Sohn der Klägerin den schulischen Bildungsabschluss eines Qualifizierten Hauptschulabschlusses nicht mehr erreichen werde, nachdem er seit September 2013 bis heute ohne Erfolg mehrere schulische Einrichtungen besucht habe. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung des Bescheids Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2019 erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage und beantragte,
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Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids vom 25. September 2019, zugestellt am 25. September 2019, der Klägerin die Aufenthaltserlaubnis entsprechend dem Antrag der Klägerin vom 11. April 2017 zu verlängern.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG lägen vor. Der Sohn der Klägerin befinde sich in Ausbildung mit dem Ziel eines Qualifizierten Hauptschulabschlusses. Die negative Prognose der Beklagten sei zum einen falsch und zum anderen vom Gesetz nicht vorgesehen. Der Sohn der Klägerin brauche länger und benötige deshalb auch seine Mutter länger, da er nie allein gelebt habe. Die Klägerin sei als Pflegekraft tätig.
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Die Beklagte beantragte,
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Der Sinn und Zweck der Regelung des § 28 AufenthG sei zu berücksichtigen, wonach ein Kind die Unterstützung der Eltern für einen überschaubaren Zeitraum bis zum Abschluss einer Ausbildung erhalten solle. Der Sohn der Klägerin versuche seit acht Jahren, einen Qualifizierten Hauptschulabschluss zu machen. Der Lebensunterhalt von Mutter und Sohn sei nicht gesichert; Stand 20. September 2019 (Bl. 242 Behördenakte) fehle der Klägerin zur Sicherung des Lebensunterhalts monatlich 520, 26 Euro.
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Einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 22. April 2020 abgelehnt (M 9 S 19.5320). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Juni 2020 die Beschwerde zurückgewiesen (10 CS 20.1125) und ausgeführt, dass der Sohn der Klägerin sich nicht ernstlich in einer Ausbildung befinde.
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Die Beteiligten wurden zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört. Die Klägerin hat dazu vorgetragen, dass sie dies für illegal halte, Art. 19 Abs. 4 GG auch Ausländern uneingeschränkten Rechtsschutz gewähre, ein prozessuales Menschenrecht dadurch verletzt werde, dass sie gehindert worden sei, persönlich anwesend zu sein. Die Entscheidung sei grausam und unmenschlich und verkenne Art. 6 GG. Die Vertreibung der Mutter werde die wirtschaftliche und persönliche Existenz ihres deutschen Sohnes erheblich verschlechtern und es träfe nicht zu, dass dieser nicht studiere und nicht arbeite.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte sowie die Akten im Verfahren M 9 S 19.5320 und die in dem Verfahren ergangenen Gerichtsentscheidungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid ergehen, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da Sach- und Rechtslage die darin geforderten Voraussetzungen erfüllen. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich. Die Anhörung dazu ist erfolgt; der Bevollmächtigte hat sich im Übrigen nicht geäußert.
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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
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Der Bescheid der Beklagten vom 25. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die umfangreiche Begründung des Bescheids, die Gründe des Beschlusses vom 22. April 2020 (M 9 S 19.5320) und die Beschwerdeentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Juni 2020 (10 CS 20.1125) Bezug genommen. Ergänzend dazu gilt folgendes:
16
Die Kammer folgt der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass sich der Sohn der Klägerin nicht tatsächlich in einer Ausbildung befindet und damit bereits tatbestandlich § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht erfüllt ist. Ausgebildet im Sinne dieser Vorschrift wird nur, wer das Ausbildungsangebot ernsthaft und nachhaltig wahrnimmt und den entsprechenden Abschluss tatsächlich anstrebt.
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Die Klägerin hat nach wie vor keinerlei Nachweise dafür vorgelegt, dass ihr Sohn ernsthaft und nachhaltig einen Hauptschulabschluss anstrebt, nachdem er, soweit aus den Akten ersichtlich vier verschiedene private Institutionen ausweislich der Ausbildungsverträge besucht hat. Es ist nicht ansatzweise belegt, dass der Sohn der Klägerin mit 26 Jahren seine Mutter benötigt. Die Kammer geht weiterhin davon aus, dass der Sohn der Klägerin wie jeder andere 26-jährige in der Lage ist, ohne seine Mutter zu leben, da weder vorgetragen noch nach Aktenlage Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er aufgrund gesundheitlicher oder sonstiger Umstände einen besonderen Betreuungsbedarf hat.
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Hinsichtlich der beantragten Niederlassungserlaubnis nimmt die Kammer vollumfänglich Bezug auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 22. Juni 2020 (10 CS 20.1125), Rn. 5 ff.
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Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.