Titel:
"Beauftragte Stelle" nach ViehVerkV als Verwaltungshelfer ohne Befugnis zu hoheitlichem Handeln – Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses gem. § 17a GVG an das Verwaltungsgericht – Gebühren für Stichtagsmeldung des Bestands an Schafen und Ziegen
Normenketten:
VwGO § 173
GVG § 17 Abs. 2, § 17a Abs. 2 Nr. 3
ViehVerkV § 26 Abs. 3
BGB § § 280, § 286, § 611
BayVwVfG Art. 1 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Verwaltungshelfer (hier: eine „Beauftragte Stelle“ zur Entgegennahme der Stichtagsmeldungen nach § 26 Abs. 3 Nr. 2 ViehVerkV) besitzt keine eigene Befugnis zu hoheitlichem Handeln. Auch wenn er für die Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung eingesetzt ist, handelt er folglich nicht als Behörde iSd Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, VwVfG § 1 Rn. 66). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Handeln der "Beauftragten Stelle nach § 26 Abs. 3 Nr. 2 ViehVerkV ist im Verhältnis zu einem Schaf- und/oder Ziegenhalter als Handeln auf privatrechtlicher Ebene zu sehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wurde von einem Amtsgericht der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht verwiesen, ist die Verweisung ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Verweisung bindend, § 17a Abs. 2 S. 3 GVG, § 173 VwGO. Das für zuständig erklärte Gericht entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten, § 17 Abs. 2 GVG, § 173 VwGO. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
bindende Rechtswegverweisung, Gebühren für Stichtagsmeldung des Bestands an Schafen und Ziegen, „beauftragte Stelle“, Verwaltungshelfer, Dienstleistungsvertrag, Unkostenpauschale, Mahnkosten, beauftragte Stelle, Stichtagsmeldung, Bestandsmeldung, Bestand, Schaf, Ziege, Rechtswegverweisung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 4063
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13,46 EUR zu zahlen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Zahlung der Gebühr für eine Stichtagsmeldung einschließlich Mahnkosten und Unkostenpauschale.
2
Der Kläger ist die vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz beauftragte Stelle in Bayern - die sogenannte Regionalstelle - für die Kennzeichnung und Registrierung von Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen. Nach den Vorgaben der Viehverkehrsverordnung (Verordnung zum Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen im Viehverkehr - ViehVerkV) werden vom Kläger für diese Tierarten Ohrmarken ausgegeben und Meldungen erfasst. Der Beklagte, der beim Kläger als Schaf- und/oder Ziegenhalter geführt wird, meldete zum 20. Juli 2017 einen Bestand von 260 Tieren.
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Mit Rechnung vom 23. Februar 2018 über einen Gesamtbetrag von 8,36 EUR, der sich aus einer Gebühr in Höhe von 1,56 EUR (netto) für die Stichtagsmeldung Schafe/Ziegen und der Grundgebühr in Höhe von 6,25 EUR (netto) zuzüglich 7% Mehrwertsteuer zusammensetzt, rechnete der Kläger diese Meldung mit dem Beklagten ab. Es wurde um Überweisung des Rechnungsbetrags vom 28. März 2018 gebeten.
4
Mit Schreiben des Klägers vom 26. Juli 2018 wurde der Kläger unter Fristsetzung bis 10. August 2018 erstmalig gemahnt. Da eine Begleichung des Betrags durch den Kläger nicht erfolgte, mahnte der Kläger beim Beklagten erneut die Zahlung des offenen Betrages an. Es wurde eine Mahngebühr in Höhe von 2,60 EUR berechnet. Dem Beklagten wurde eine Frist zur Zahlung des offenen Betrages in Höhe von 10,96 EUR zum 23. November 2018 gesetzt unter Ankündigung der Einleitung eines gerichtlichen Mahnverfahrens nach Ablauf der Frist.
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Am 26. März 2019 stellte der Kläger beim Amtsgericht Coburg einen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids, worauf am 27. März 2019 ein Mahnbescheid erlassen wurde. Das Verfahren wurde am 26. Juni 2019 an das Amtsgericht Obernburg a. Main abgegeben, nachdem der Beklagte am 11. April 2019 Widerspruch gegen den Mahnbescheid erhoben hatte.
6
Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2019, eingegangen bei Gericht am 16. Juli 2019, begründete der Kläger seinen Anspruch.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger würden nach den Vorgaben der Viehverkehrsverordnung (ViehVerkV) Ohrmarken für Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen ausgegeben und Meldungen erfasst. Alle gemäß ViehVerkV erforderlichen Informationen würden in der HI-Tier-Datenbank gespeichert. Jede Veränderung des Bestandes sei binnen sieben Tagen zu melden. Zum 1. Januar (Stichtag) eines jeden Jahres sei der im Betrieb befindliche Bestand an Schafen und Ziegen, getrennt nach den Altersgruppen zu melden. Die Meldung könne schriftlich über die Regionalstelle oder direkt in HI-Tier erfolgen. Die Meldefrist laufe bis 15. Januar. Zum 20. Juli 2017 habe der Beklagte per Meldebogen einen Bestand von 260 Tieren gemeldet. Diese Meldung habe der Kläger mit dem Beklagten entsprechend der gültigen Gebührenordnung mit Rechnung vom 23. Februar 2018 über einen Gesamtbetrag von 8,36 EUR abgerechnet. Der Beklagte befinde sich spätestens seit der ersten Mahnung in Verzug.
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Der Beklagte äußerte sich nicht.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Obernburg a. Main vom 19. September 2019 (** * …) wurde der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Würzburg verwiesen.
10
In der mündlichen Verhandlung am 19. November 2018 ist der Beklagte nicht erschienen. Der Kläger beantragte,
der Beklagte wird verurteilt, 13,46 EUR an den Kläger zu zahlen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
13
Der Beschluss des Amtsgerichts Obernburg a. Main vom 19. September 2019 (** * …), wonach der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten unzulässig ist, ist für das Verwaltungsgericht Würzburg, an welches der Rechtsstreit verwiesen worden ist, ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Verweisung bindend, § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 173 VwGO. Das für zuständig erklärte Gericht entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten, § 17 Abs. 2 GVG, § 173 VwGO.
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Die als allgemeine Leistungsklage statthafte Klage ist zulässig und begründet.
15
Der Kläger ist beteiligtenfähig nach § 61 Nr. 1 VwGO.
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Dem Kläger steht der gegenüber dem Beklagten geltend gemachte Anspruch aus zivilrechtlichem Dienstleistungsvertrag gem. § 611 Abs. 1 BGB zu.
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Die Stichtagsmeldung des Beklagten über seinen Bestand an Schafen und Ziegen erfolgte auf Grundlage von § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ViehVerkV. Hiernach hat der Tierhalter der zuständigen Behörde oder einer von dieser beauftragten Stelle bis zum 15. Januar eines jeden Jahres die Anzahl der jeweils am 1. Januar (Stichtag) im Bestand vorhandenen Schafe und Ziegen, getrennt nach den Altersgruppen bis einschließlich neun Monate, zehn bis einschließlich 18 Monate und ab 19 Monaten, anzuzeigen.
18
Der Kläger wurde vom Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, durch öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Bestellung als „Beauftragte Stelle“ im Sinne der Abschnitte 9 und 11 der Viehverkehrsverordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 3. März 2010 (BGBl. I S. 203) als „Beauftragte Stelle“ zur Entgegennahme der Stichtagsmeldungen nach § 26 Abs. 3 Nr. 2 ViehVerkV verpflichtet, § 1 Satz 2 Buchst. a des genannten öffentlich-rechtlichen Vertrags. Der Kläger wird hierbei nach § 1 Satz 2 des genannten öffentlich-rechtlichen Vertrags als Verwaltungshelfer tätig.
19
Ein Verwaltungshelfer besitzt jedoch keine eigene Befugnis zu hoheitlichem Handeln. Auch wenn er für die Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung eingesetzt ist, handelt er folglich nicht als Behörde i.S.d. Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Auflage 2019, § 1 Rn. 66). Das Handeln des Klägers im Verhältnis zum Beklagten ist vielmehr als Handeln auf privatrechtlicher Ebene zu sehen. Dafür spricht auch die Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 1 des oben genannten öffentlich-rechtlichen Vertrags, wonach der Auftragnehmer berechtigt ist, für die Wahrnehmung der mit diesem Vertrag übertragenen Aufgaben privatrechtliche Entgelte entsprechend den Kosten (Gebühren und Auslagen) des Kostengesetzes zu erheben.
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Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Gebühr von 8,36 EUR (1,56 EUR Stichtagsmeldung und 6,25 EUR Grundgebühr zuzüglich 7% MwSt.) ergibt sich aus dem Dienstleistungsvertrag, der mit dem Beklagten jedenfalls konkludent durch dessen Einreichung der Stichtagsmeldung (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 15. Juli 2019) geschlossen wurde. Gem. § 611 Abs. 1 BGB wird durch den Dienstvertrag derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Eine Leistung des Beklagten ist mangels gegenteiligen Nachweises nicht erfolgt. Nach Angaben des Klägers ist eine Zahlung durch den Beklagten nicht eingegangen. Der Kläger hat hier seine Gegenleistung durch die Entgegennahme und Erfassung der Stichtagsmeldung erbracht (§ 5 des genannten öffentlich-rechtlichen Vertrags). Die Höhe der Gebühren ergibt sich aus der Gebührenordnung des Klägers. Anhaltspunkte, dass diese Kostenerhebung nicht entsprechend den Kosten des Kostengesetzes erfolgt (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 des öffentlich-rechtlichen Vertrags), bestehen nicht.
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Anspruchsgrundlage für die Mahnkosten in Höhe von 2,60 EUR und die Unkostenpauschale von 2,50 EUR sind § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB. Der Beklagte wurde durch das Mahnschreiben des Klägers vom 26. Juli 2018 in Verzug gesetzt, § 286 Abs. 1 BGB. Die Unkostenpauschale ist hierbei als Verzugsschaden zu sehen.
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Die Klage ist demnach erfolgreich.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.