Inhalt

VG München, Urteil v. 01.07.2020 – M 7 K 17.4275
Titel:

Widerruf einer Waffenbesitzkarte wegen Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung

Normenketten:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 1, § 45 Abs. 2 S. 1, § 46 Abs. 2
VwGO § 42 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdienen, mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umzugehen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Reichsbürgertypische Indizien sind die Beantragung eines Staatsangehörigenausweises unter Berufung auf das RuStAG 1913 und die Leugnung der Legitimität von Befugnissen von Hoheitsträgern der Bundesrepublik Deutschland. (Rn. 34 – 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf der Waffenbesitzkarte, Waffenrechtliche (Un-)Zuverlässigkeit, „Reichsbürgerbewegung“, Waffenbesitzkarte, Widerruf, Unzuverlässigkeit, Reichsbürgerbewegung, reichsbürgertypisch, Staatsangehörigkeit, gelber Schein, Gerichtsvollzieher, Legitimation, Distanzierung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 29.12.2020 – 24 ZB 20.1876
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40209

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Waffenbesitzkarte Nr. ... sowie gegen die hierzu ergangenen Folgemaßnahmen mit Bescheid des Landratsamts ... (im Folgenden: Landratsamt) vom 10. August 2017.
2
Am 10. Juli 2016 unterzeichnete der Kläger einen Formularantrag des Bundesverwaltungsamts auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis). In diesem war unter Nr. 1.6 (Geburtsstaat), Nr. 1.11 (Wohnsitzstaat) sowie Nr. 5.1 (Meine Aufenthaltszeiten seit Geburt) jeweils „Kgr. Bayern“ vermerkt. Zudem war unter Punkt 1.9 (Ehe/Lebenspartnerschaft) „Kgr. Preußen“ sowie zweimal „Kgr. Bayern“ angegeben. Des Weiteren fehlte bei der aktuellen Anschrift die Angabe der Postleitzahl vor der Ortsangabe ... Des Weiteren war zu Nr. 4.2 (Ich besitze/besaß neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch folgende weitere Staatsangehörigkeiten) war unter Nr. 4.3 „Kgr. Bayern, RuStAG 1913 4.1 seit Geburt erworben durch Abstammung“ eingetragen. Den Punkt 4.1 (Ich besitze nur die deutsche Staatsangehörigkeit) ließ er unausgefüllt. Die entsprechenden Eintragungen finden sich auch in den Angaben sowohl zu seinem Vater als auch zu seinem Großvater in der jeweiligen Anlage V.
3
Mit Schreiben vom 4. April 2017 teilte das Polizeipräsidium Oberbayern Süd mit, dass beim Kläger unter Berücksichtigung der derzeit geltenden Definition „Reichsbürger“ nach polizeilicher Einschätzung eine Zugehörigkeit zur Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ bzw. Staatsleugnung oder Selbstverwaltung eindeutig erkennbar sei. Zur Begründung wurde neben der Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises angeführt, dass das Amtsgericht ... am 20. März 2017 mitgeteilt habe, dass der Kläger gegenüber Gerichtsvollziehern „für Reichsbürger typische Eingaben, Schreiben und Angaben“ gemacht habe. Er habe pauschal die Gerichtsvollzieher in Frage gestellt und sein Handeln mit einer „NGO“ (Non-Government-Organisation bzw. Nichtregierungsorganisation) begründet. Ferner habe das Landgericht München II am 20. März 2017 berichtet, dass der Kläger sich gegen die Eintragung ins Schuldnerverzeichnis wehre. Er habe sich geweigert Rundfunkgebühren zu bezahlen und dies mit den Worten „Ich verweise (...) darauf, dass ich nicht dem Handelsrecht der Bundesrepublik Deutschland GmbH unterliege, sondern als deutscher Staatsangehöriger nach RuStAG 1913 im Rechtskreis vor 1914 angehöre. Sollten weitere unrechtmäßige Handlungen von Seiten des Gerichts (...) erfolgen, werde ich die zuständigen Militärbehörden informieren und auf den Bruch der Haager Landkriegsordnung (HLKO) verweisen“ begründet. Der Kläger befinde sich, glaube man seiner Einlassung, noch immer im Kriegszustand und sei seiner Vorstellung nach „Gefangener in einem besetzten Deutschland“. Seiner Diktion zufolge lebe der Kläger in einem Zustand der „handelsrechtlichen Selbstverwaltung“, einem definierten Unterfall der sog. „Reichsbürgerideologie“. Sein Weltbild sei, sein Verhalten zu Grunde gelegt, geprägt vom abstrusen Weltbild der Existenz „natürlicher Personen“, die heute in einem handelsrechtlichen Konstrukt verhaftet seien. Hoheitliches Handeln bedürfe der besonderen Legitimation, letztlich der Haager Landkriegsordnung, und sei besonders nachzuweisen. Der Kläger zeige durch seine Einlassungen, dass er sich offensichtlich völlig dem sog. „Reichsbürgergedanken“ ergeben habe. Staatliche Regelungen und Gesetze würden nur insofern Relevanz entfalten, solange sie für ihn begünstigend oder neutral seien. Seine Argumentationslinie sei geprägt von querulatorischen Elementen.
4
Mit Schreiben vom 10. Mai 2017 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass beabsichtige werde dessen Waffenbesitzkarte nach § 45 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und c WaffG zu widerrufen, da bei diesem eine Zugehörigkeit zur Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ bzw. Staatsleugnung oder Selbstverwaltung eindeutig erkennbar sei.
5
Mit Schreiben vom ... Mai 2017 erklärte der Kläger, dass er keine einheitliche Definition gefunden habe, was die Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ sei. Die einzig historisch verbürgte Definition sei das Reichsbürgergesetz von Hitler. Hiervon distanziere er sich auf das Entschiedenste. Er sei überzeugter Anhänger des Grundgesetzes und bestehe auf den Grundrechten, die ihm im Grundgesetz zugesichert würden: Der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses und auf dem Recht gemäß Art. 116 GG, deutscher Staatsangehöriger zu sein. Er habe noch nie einen Staat geleugnet. Er habe einen Pass der EU/BRD, einen vom Landratsamt ausgestellten Führerschein und besitze die deutsche Staatsangehörigkeit durch Abstammung. Er habe im Laufe seines Lebens hunderte von tausenden DM/Euro an Steuern bezahlt und bezahle diese noch heute. Er empfinde es als Zumutung, dass er sich offensichtlich für seine Staatsangehörigkeit nun einer Gesinnungsschnüffelei nach Art des Dritten Reiches ausgesetzt sehe. Er sei 19** geboren worden. Zu diesem Zeitpunkt habe es keine BRD gegeben. Nach Völkerrecht habe es damals nur das Deutsche Reich gegeben. Das Deutsche Reich von 1871 sei ein Staatenbund gewesen, dem auch das Königreich Bayern beigetreten sei. Das Deutsche Reich sei laut verschiedener Urteile des Bundesverfassungsgerichts bis heute nicht untergegangen. Er habe sich in seinem Antrag in Übereinstimmung mit dem geltenden Völkerrecht nicht auf das sog. Dritte Reich, sondern auf das noch existente, wenn auch handlungsunfähige Deutsche Reich vor dem 1. Weltkrieg und das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG - von 1913 beziehen wollen und daher als Geburtsstaat das Königreich Bayern angegeben. Das RuStAG von 1913 sei noch voll gültig. Es sei demnach völlig richtig gewesen, das Königreich Bayern als Wohnsitz zum Zeitpunkt der Geburt anzugeben. Eines habe er sicher nicht gewollt: Die Staatsangehörigkeit zu Hitler-Deutschland. Er frage sich, wie er den Punkt 4.1 hätte ausfüllen sollen, da er doch noch gar nicht im Besitz der Deutschen Staatsangehörigkeit gewesen sei. Bis zur Aushändigung des „gelben Scheins“ habe er überhaupt keine Staatsangehörigkeit gehabt, sondern sei de jure staatenlos gewesen. Nach Art. 116 GG sei Grundlage für die deutsche Staatsangehörigkeit das Deutsche Reich und nicht etwa die BRD. Denn die BRD sei nicht Deutschland. Auf der Webseite des Freistaats Bayern habe er gefunden, dass der Bundespersonalausweis oder der deutsche Reisepass kein Nachweis über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit seien. Dies habe ihn verblüfft. Auch habe er sich immer über die Staatsangehörigkeit „deutsch“ im Personalausweis gewundert, weil er wisse, dass dieser Begriff von Hitler eingeführt worden sei. Da er nicht staatenlos habe sein wollen, habe er dann eben den gelben Schein nach RuStAG beantragt und bekommen und sei somit nicht mehr staatenlos. Der Gerichtsvollzieher und das Amtsgericht hätten gegen das Grundgesetz und das Gerichtsverfassungsgesetz verstoßen. Im Jahr 2012 sei den Gerichtsvollziehern der Beamtenstatus entzogen worden. Viele Gesetze seien fehlerhaft und unlogisch und hätten nach den Bereinigungsgesetzen durch die Alliierten keinen Geltungsbereich mehr, was nach dem Bundesverfassungsgericht zur Nichtigkeit führe. Weiterhin habe nicht er die Behauptung aufgestellt, dass die BRD bei der UNO als NGO gemeldet worden sei, sondern der jetzige Außenminister und Vizekanzler Gabriel. Den Verweis auf seine deutsche Staatsangehörigkeit habe er nur deshalb gemacht, damit dem Gericht klar sei, dass er kein Staatenloser sei.
6
Mit E-Mail vom 12. Juni 2017 teilte das Polizeipräsidium Oberbayern Süd mit, dass trotz der Stellungnahme des Klägers das Votum vom 25. April 2017 uneingeschränkt aufrechterhalten werde. Der gesamte Argumentationsstrang des Klägers sei inhaltlich „Reichsbürger“immanent. Anzeichen für einen Gesetzesirrtum bzw. eine Missinterpretation der einschlägigen Vorschriften seien nicht zu erkennen. Das vom Kläger in seinem Schreiben gezeigte Verhalten werde als sinnwidrig, sinnverzerrend und querulatorisch erachtet. Die von ihm gezeigten Merkmale eines sog. „Reichsbürgers“ seien eindeutig.
7
Mit Bescheid vom 10. August 2017 widerrief das Landratsamt die Waffenbesitzkarte Nr. ... (Nr. I.1) und verpflichtete den Kläger die in seinem Besitz befindliche Waffe und Munition innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar machen zu lassen und dem Landratsamt hierüber einen Nachweis zu erbringen. Für den Fall, dass der Kläger dieser Verpflichtung nicht fristgerecht nachkomme, wurde die Sicherstellung der Waffe und Munition angeordnet (Nr. I.2). Der Kläger wurde verpflichtet die Waffenbesitzkarte innerhalb einer Frist von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids beim Landratsamt abzugeben (Nr. I.3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 2 und 3 wurde angeordnet (Nr. I.4). Für den Fall, dass der Verpflichtung in Nr. 3 nicht innerhalb der genannten Frist nachgekommen werde, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR angedroht (Nr. I.5). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt. Zudem wurden Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 69,11 EUR festgesetzt (Nr. 6).
8
Als Begründung wurde angeführt, dass eine Überprüfung des Klägers durch Verwaltungs- und Polizeibehörden erfolgt sei. Das Landratsamt sei aufgrund des geschilderten Sachverhalts zu der Überzeugung gelangt, dass beim Kläger eine Zugehörigkeit zur Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ bzw. Staatsleugnung oder Selbstverwaltung gegeben sei. Die Waffenbesitzkarte sei daher nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zu widerrufen, da der Kläger nicht mehr die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b und c WaffG besitze. Die Verpflichtung zu Überlassung bzw. dauerhaften Unbrauchbarmachung der Waffe und Munition werde auf § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG, die Verpflichtung zur Rückgabe der Waffenbesitzkarte auf § 46 Abs. 1 WaffG gestützt. Die Androhung des Zwangsgeldes basiere auf Art. 29, 30, 31 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG. Die Kostenentscheidung ergebe sich aus den einschlägigen Kostenvorschriften.
9
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am ... August 2017 Klage erhoben und beantragt,
1. Mit Bescheid vom 10. August 2017 hat mir das Landratsamt ... (LRA- ...) unter dem Geschäftszeichen ... die Waffenbesitzkarte Nr. ... widerrufen. Ich stelle den Antrag, dass dieser Bescheid aufgehoben wird und ich meine Waffenbesitzkarte wieder erhalte.
2. Zu diesem Bescheid erging eine Kostenrechnung in Höhe von 69,11 EUR. Da der Bescheid nach meiner Auffassung widerrechtlich ist und auch von mir nicht veranlasst wurde, stelle ich den Antrag auf Rückerstattung dieser Summe. Der Gebührenbescheid wurde zwischenzeitlich vorläufig ausgesetzt.
3. Durch diesen Bescheid müsste ich meine Signalpistole in Verwahrung geben. Ich habe sie bei meinem Waffenhändler in ... abgegeben, was mich 50,00 EUR p.a. kostet. Ich beantrage diesbezüglich Kostenersatz.
4. Diese Gesamt-Summe von 119,11 EUR ist in meinen Augen auch der Streitwert.
5. Weiter stelle ich den Antrag, dass die vermutlich vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd beantragte Eintragung als sog. „Reichsbürger“ aus den Akten der Behörden, insbesondere beim Bayerischen Verfassungsschutz getilgt wird.
10
Der Kläger trägt vor, er habe sich mit der Geschichte seiner Familie beschäftigt und sei hierbei auf das Thema „Staatsangehörigkeit“ gestoßen. Mit größtem Erstaunen habe er feststellen müssen, dass man bis 2016 allenfalls habe vermuten können, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Zum Nachweis müsse er laut Information durch offizielle Internetseiten verschiedenster Behörden einen sog. Staatsangehörigkeitsausweis besitzen, der unter aufgeklärten Mitbürgern als „gelber Schein“ bezeichnet werde. Da laut Wahlgesetz nur deutsche Staatsangehörige wählen dürften, habe er sich in Internet und Literatur schlau gemacht und die Urkunde zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit („gelber Schein nach Abstammung“) beantragt, um rechtmäßig an Wahlen teilnehmen zu können. Hierzu habe er den Antrag von der Webseite des Bundesverwaltungsamtes heruntergeladen, ausgedruckt und ausgefüllt. Der zuständige Sachbearbeiter habe ihm keine Hinweise gegeben, dass er etwas falsch ausgefüllt hätte. Da er nicht staatenlos habe sein wollen, habe er den gelben Schein nach RuStAG beantragt und bekommen. Er sei somit nicht mehr staatenlos und jetzt endlich de jure wahlberechtigt. Zur Beantragung der deutschen Staatsangehörigkeit nach RuStAG von 1913 (nach Abstammung) müsse man die Staatsbezeichnung des Deutschen Reichs von vor 1918 einsetzen. Aus dem „Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954“ der UN habe er entnommen, dass Personalausweise und Reisepässe auch Staatenlosen, die in der BRD lebten, ausgestellt werden müssten. Als indigener Deutscher habe er nicht staatenlos sein wollen, weshalb er den gelben Schein beantragt habe. Der gelbe Schein sei ganz klar geltendes Recht und dürfe seiner Ansicht nach keinesfalls dazu benutzt werden, um ihn der zweifelhaften Gruppierung der sog. „Reichsbürger“ zuzuordnen. Nach seinem Kenntnisstand sehe das „Ausländergesetz (AuslG-VwV)“ zweifelsfrei vor, dass jeder Bewohner der BRD, der seine Staatsangehörigkeit nicht mit einer Staatsangehörigkeitsurkunde nachweisen könne, wie ein Ausländer zu behandeln sei. Der Bescheid vom 10. August 2018 sei rechtswidrig und verletzte ihn in seinen Rechten. Auf ihn treffe keiner der Fälle des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG zu. Die Benennung der Geburtsund Wohnorte im Antrag zur Staatsbürgerurkunde, Rechtsstreitigkeiten mit dem Bayerischen Rundfunk und dem Amtsgericht ... würden wohl kaum die Vermutung zulassen, dass er sich waffenrechtlich fehlverhalte. Das Landratsamt habe keine kritischen Persönlichkeitsmerkmale festgestellt, die einen Entzug der Waffenbesitzkarte rechtfertigen würden. Die unbewiesene Vermutung, dass er angeblich der „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei, reiche nicht aus. Als eingeborener Deutscher könne man gleichzeitig Bundesbürger als auch Reichsbürger eben nach RuStAG von 1913 sein. Ergänzend hierzu trug der damalige Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom ... April 2018 vor, dass die angegriffene Verfügung wiederholt Bezug auf bestehende Ministerialerlasse nehme, die der Verwaltung ihre Entscheidung vorschreiben würden. Von der Verwaltung sei keine eigene Entscheidung getroffen, sondern lediglich dem einschlägigen Erlass Folge geleistet worden. Es werde in dem Bescheid nicht von greifbaren Tatsachen ausgegangen, sondern abgestellt auf Meinungen und Mutmaßungen anderer Stellen. Es dürfe nicht übersehen werden, dass das gesamte „Reichsbürger-Unwesen“ ein Werkzeug der Verwaltung oder von Verfassungsschutzbehörden darstelle, die sich wiederum auf Publikationen linker Gruppen stützten, die sich die Definitionshoheit ohne rechtfertigenden oder fachlichen Grund anmaßen würden. Es sei in der Rechtsprechung wiederholt entschieden worden, dass derartige „Erkenntnisse vom Hörensagen“ anderer Stellen nicht geeignet seien, geeignete Tatsachen zu liefern, auf deren Grundlage eine tragfähige Prognose zum künftigen Verhalten erstellt werden könne. Es sei immer wieder das Verhalten der Verwaltungen anzutreffen, eine einzelne Verhaltensweise wie z.B. der vollkommen legale Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises und ein entsprechender EStA-Eintrag als Indiz für die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit heranzuziehen, um als „pars pro toto“ dem Betroffenen die gesamte diffuse Verhaltensskala der „Reichsbürger“ anzudichten, ohne jeden Beweis hierfür zu liefern, wobei nicht einmal ein Anscheinsbeweis für diese Ansichten streite. Dieses Vorgehen sei daher willkürlich und einzig und allein gewissen Ministerialerlassen geschuldet, die diese rechtswidrigen Verhaltensweisen anordnen würden. Solange der Gesetzgeber nicht in aller Deutlichkeit eine Legaldefinition für den Begriff der „Reichsbürger“ gebracht habe, sei dieser Begriff, von dessen beleidigendem Inhalt einmal abgesehen, eine reine Mutmaßung, die nicht die Qualität von „Tatsachen“ habe, die das Waffengesetz ausdrücklich fordere.
11
Der ehemalige Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom ... November 2017 zu den Anträgen aus der Klageschrift vom ... August 2017 Stellung genommen. Der neue Klägerbevollmächtigte hat die Klage mit Schriftsatz vom ... Februar 2020 teilweise zurückgenommen. Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Mit Bescheid vom 10. August 2017 hat mir das Landratsamt ... (LRA- ...) unter dem Geschäftszeichen ... die Waffenbesitzkarte Nr. ... widerrufen. Ich stelle den Antrag, dass dieser Bescheid aufgehoben wird und ich meine Waffenbesitzkarte wieder erhalte.
2. Weiter stelle ich den Antrag, dass die vermutlich vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd beantragte Eintragung als sog. „Reichsbürger“ aus den Akten der Behörden, insbesondere beim Bayerischen Verfassungsschutz getilgt wird.
12
Der Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
13
Der Beklagte nimmt Bezug auf die Begründung des Bescheids vom 10. August 2017. Ergänzend hierzu trägt der Beklagte vor, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides klar als waffenrechtlich unzuverlässig einzustufen gewesen sei. Aus dem im Bescheid zusammengefassten und aus der Behördenakte ersichtlichen Tatsachen ergebe sich - in Würdigung aller Umstände insbesondere des konkreten Verhaltens des Klägers - eindeutig eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für seine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Der Kläger habe mit seinem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit mit einer Vielzahl an für „Reichsbürger“ typischen Maßgaben und der sich anschließenden nachdrücklichen Korrespondenz mit dem Landratsamt mehr als deutlich zu erkennen gegeben, dass er die Ideologie der „Reichsbürgerszene“ umfänglich verinnerlicht habe und diese auch Behörden gegenüber vehement vertrete.
14
Mit Schriftsatz vom ... Februar 2018 hatte der damalige Klägerbevollmächtige zudem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt (M 7 S 18.878). Mit Beschluss vom 22. Mai 2018 (M 7 S 18.878) hat die Kammer den Antrag im einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 13. November 2019 (21 CS 18.1290) zurückgewiesen.
15
Mit Fax vom ... Juni 2020, überschrieben mit „Mensch ... aus der Familie ...“, hat der Kläger mitgeteilt, dass er zu der Verhandlung am 1. Juli 2020 „als Mensch ... aus der Familie ...“ komme, um seine Klage zu vertreten. Die Tatsache, dass er als Mensch mit der deutschen Staatsangehörigkeit komme, sei nicht verhandelbar.
16
Ergänzend wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in dem Verfahren M 7 S 18.878 sowie auf die beigezogene Behördenakte. Zudem wird Bezug genommen auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2020.

Entscheidungsgründe

17
Das Verfahren war gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
18
Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, bleibt diese ohne Erfolg.
19
Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger beantragt, die vermutlich vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd beantragte Eintragung als sog. „Reichsbürger“ aus den Akten der Behörden, insbesondere beim Bayerischen Verfassungsschutz zu tilgen.
20
Die diesbezüglich erhobene Verpflichtungsklage ist unzulässig, da dem Kläger das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist ungeschriebene Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts. Dieses ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommt (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, vor § 40 Rn. 11). Für die Verpflichtungsklage ist dabei anerkannt, dass ihre Zulässigkeit grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts abhängt (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2007 - 6 C 42/06 - juris Rn. 23). Vorliegend ist jedoch weder aus den Akten ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger vor Klageerhebung einen dem Klageantrag entsprechenden Antrag beim Landratsamt bzw. bei der entsprechenden Behörde gestellt und dadurch versucht hätte, sein Klageziel schneller und einfacher zu erreichen.
21
Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 10. August 2017 begehrt, ist die diesbezüglich erhobene Anfechtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zwar zulässig, jedoch unbegründet.
22
Der Bescheid vom 10. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, vorliegend des Bescheidserlasses (vgl. zum Fall des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis BVerwG, U.v. 16.5.2007 - 6 C 24.06 - juris Rn. 35) bzw. bzgl. Nr. 1.2 der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.
24
Der Widerruf der Waffenbesitzkarte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (Nr. I.1 des Bescheids) ist rechtmäßig.
25
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis - vorliegend die Waffenbesitzkarte nach § 10 Abs. 1 WaffG - zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt.
26
Der Kläger verfügt nicht über die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
27
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden (Buchst. a) oder mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlasen werden die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c).
28
Maßgeblich für die Beurteilung, ob die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht gegeben ist, ist eine auf Tatsachen gestützte Prognose eines spezifisch waffenrechtlich bedenklichen Verhaltens, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiert (vgl. BT-Drs 14/7758, S. 54). Diese Prognose ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellen. Dabei ist der allgemeine Zweck des Gesetzes nach § 1 Abs. 1 WaffG, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren, zu berücksichtigen. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdienen, mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umzugehen. In Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, ist für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Vielmehr genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 - 21 ZB 14.1512 - juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 - 21 CS 13.1969 - juris Rn. 14). Unter Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes ist die Prognose der Unzuverlässigkeit nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen werde (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 - 6 C 1.14 - juris Rn. 17).
29
Der Kläger ist unzuverlässig im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Denn Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2017 - 21 CS 17.1300; B.v. 12.12.2017 - 21 CS 17.1332; B.v. 10.1.2018 - 21 CS 17.1339; B.v. 15.1.2018 - 21 CS 17.1519; B.v. 12.3.2018 - 21 CS 17.1678; B.v. 16.1.2019 - 21 C 18.578 - alle juris).
30
Der Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundes (S. 94) beschreibt die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als personell, organisatorisch und ideologisch heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne Organisationsanbindung, Kleinstund Kleingruppierungen, länderübergreifend aktiven Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen. Verbindendes Element der Szeneangehörigen ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (S. 175) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei werden z.B. der Rechtsstand von 1937, 1914 zwei Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder auch 1871 genannt. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. In ihrer Gesamtheit ist die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als staatsfeindlich einzustufen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundes (S. 95). Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 176).
31
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird, muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 - 21 CS 17.1964 - juris Rn. 15 m.w.N.). Keine andere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn sich jemand (glaubhaft) selbst nicht als diesem Spektrum zugehörig betrachtet oder in einzelnen - auch wesentlichen - Bereichen von dort anzutreffenden Thesen nachvollziehbar und glaubhaft distanziert. Auch jenseits der Nähe zum eigentlichen „Reichsbürger“-Spektrum rechtfertigt eine Einstellung, die die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet, die Annahme der waffenrechtlichen absoluten Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. OVG RhPf, B.v. 3.12.2018 - 7 B 11152/18 - juris Rn. 23).
32
Die Tatsachen, die dem Gericht vorliegen, rechtfertigen im Fall des Klägers die Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
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Das Verwaltungsgericht entscheidet gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung und ist hierbei insbesondere nicht an die Einschätzung der Behörden gebunden (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2020 - 24 ZB 18.2349 - juris Rn. 9). Das Gericht ist dabei vorliegend nach einer eigenständigen Würdigung des Verhaltens des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass die ermittelten Verhaltensweisen und Einlassungen des Klägers in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme begründen, dass dieser der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat. Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die nach außen getätigten Äußerungen und Verhaltensweisen auch seine innere Einstellung widerspiegeln.
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So spricht im konkreten Fall insbesondere die Stellung eines Antrags auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Hinweis auf das „RuStAG von 1913“ dafür, dass der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat. Insoweit kommt es auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich der Kläger über die Richtigkeit seiner Angaben in dem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit informiert hat und ihm dies von Seite der Behörde bestätigt wurde. Denn maßgebend ist vielmehr, ob der Kläger durch sein Verhalten Tatsachen geschaffen hat, die die Annahme rechtfertigen, dass er der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig ist bzw. sich deren Ideologie für sich binden zu eigen gemacht hat, wovon vorliegend auszugehen ist. Denn Reichsbürger und Selbstverwalter bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und bezeichnen diese z.T. als „Firma BRD“. Sie sind der Auffassung, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland besitzen bzw. aus dieser „austreten“ können. Ausgehend von der falschen Annahme, ohne Staatsangehörigkeitsausweis staatenlos zu sein, beantragen sie häufig einen Staatsangehörigkeitsausweis (sog. „gelber Schein“) zur Bestätigung ihrer Reichs- und Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 179 ff.). Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhofft sich dieser Personenkreis - rechtlich völlig unzutreffend - unter anderem den „Ausstieg aus der Firma BRD“ oder die Sicherung vermeintlicher Rechte beim „Untergang des Systems“ (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2017 - 21 CS 17.2029 - juris Rn. 16). Der „gelbe Schein“ wird zudem als Nachweis der Rechtsstellung als Staatsangehöriger des vorgeblich fortbestehenden „Deutschen Reichs“ angesehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 180). Dieses reichsbürgertypische Argumentationsmuster kommt insbesondere in der Angabe des Klägers unter dem Punkt Nr. 4.3 des Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit zum Ausdruck, dass dieser neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch die Staatsangehörigkeit „Kgr. Bayern, RuStAG 1913 4.1 seit Geburt erworben durch Abstammung“ besitze. Dies legt grundsätzlich „reichsbürgertypisch“ nahe, dass sich der Kläger nicht als zur Bundesrepublik Deutschland zugehörig ansieht (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2018 - 21 CS 17.2310 - juris Rn. 19). Weiterhin hat der Kläger in dem Antrag als Geburts- und Wohnsitzstaat jeweils „Kgr. Bayern“ angegeben. Der Kläger hat hierdurch eine weitere für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Argumentationslinie zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Angabe „Königreich Bayern“ BayVGH, B.v. 12.12.2017 - 21 CS 17.1332 - juris Rn. 15). Denn aus Sicht der „Reichsbürger“ bestimmt sich ihre Staatsangehörigkeit nach dem Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Jahr 1913 geltenden Fassung, wonach die Reichsangehörigkeit zum Deutschen Reich gegeben war, wenn eine Staatsangehörigkeit eines Landes des Deutschen Reichs bestand (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 180).
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In diesem Kontext sind auch die Einlassungen in den Schreiben vom ... Mai und
... August 2017 zu sehen, in denen der Kläger erklärt, dass er den Staatsangehörigkeitsnachweis unter Berufung auf das RuStAG von 1913 deswegen beantragt habe, da er 19** geboren worden sei und es zu diesem Zeitpunkt die „BRD“ noch nicht gegeben habe, so dass er bis zur Aushändigung des „gelben Scheins“ überhaupt keine Staatsangehörigkeit gehabt habe und de jure staatenlos gewesen sei. Begründet hat der Kläger dies damit, dass das Deutsche Reich bis heute nicht untergegangen sei, sondern das Deutsche Reich vor dem 1. Weltkrieg fortbestehe. Das Deutsche Reich von 1871 sei ein Staatenbund gewesen, dem auch das Königreich Bayern beigetreten sei. In Übereinstimmung mit geltendem Völkerrecht sei daher das Königreich Bayern als Geburts- und Wohnsitzstaat anzugeben gewesen. Deshalb habe er als Geburtsund Wohnsitzstaat jeweils Königreich Bayern angegeben, sowie Königreich Bayern und Königreich Preußen in weiteren Punkten vermerkt. Dies belegt ebenfalls, dass der Kläger reichsbürgertypische Argumentationsmuster verinnerlicht hat und die Gültigkeit der Rechtsordnung der Bundesrepublik aus grundsätzlichen Erwägungen in Frage stellt (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 - 21 CS 18.1290 - juris Rn. 16)
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Des Weiteren hat der Kläger - in reichsbürgertypischer Weise - zu erkennen gegeben, dass er das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und Vertretern des Staates die Legitimation abspricht, indem in seiner Einlassung vom ... Mai 2017 angibt, dass sowohl der Gerichtsvollzieher als auch das Amtsgericht ... gegen das Grundgesetz und das Gerichtsverfassungsgesetz verstoßen hätten, da das Rahmengesetz zur Gerichtsvollzieherordnung noch nicht verabschiedet worden sei und den Gerichtsvollziehern im Jahr 2012 der Beamtenstatus entzogen worden sei. Denn Reichsbürger überziehen regelmäßig Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Zum Teil verfolgen sie damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z.B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeld-, oder Verwaltungsverfahren zu entziehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 181). Auch hierin kommt zum Ausdruck, dass der Kläger reichsbürgertypische Argumentationsmuster verinnerlicht hat und die Gültigkeit der Rechtsordnung der Bundesrepublik aus grundsätzlichen Erwägungen in Frage stellt (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 - 21 CS 18.1290 - juris Rn. 16).
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Auch zuletzt hat der Kläger mit Fax vom ... Juni 2020 unter Verwendung reichsbürgertypischer Formulierungen („Mensch aus der Familie“) eindeutig zu erkennen gegeben, dass er der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig ist bzw. sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht hat.
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Die Einlassungen des Klägers sowohl im Anhörungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren vermögen demgegenüber - angesichts der eindeutigen, schriftlich getätigten vorhergehenden Äußerungen - an der Einschätzung des Gerichts nichts zu ändern.
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Soweit der Kläger geltend macht, ein rechtstreuer Staatsbürger zu sein und sich an geltende Gesetze zu halten, steht auch dies dieser Einschätzung nicht entgegen. Der Umstand allein, dass sich eine Person in bestimmten, ihr opportun erscheinenden Situationen in Übereinstimmung mit gesetzlichen Vorgaben verhält, begründet keine waffenrechtliche Zuverlässigkeit, wenn sie ihre Bindung an die Rechtsordnung, wie hier, durch Wort und Tat unter Vorbehalt stellt und auf diese Weise Zweifel weckt, ob sie waffenrechtliche Vorschriften auch dann noch einhält, wenn sie ihr nicht (mehr) opportun erscheinen (vgl. VGH BW, B.v. 10.10.2017 - 1 S 1470/17).
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Zudem vermochte der Kläger den durch reichsbürgertypische Beantragung entstandenen Eindruck bzw. Anschein nicht - auch nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung - zu entkräften. Vielmehr hat der Kläger versucht, sein Verhalten zu relativieren bzw. zu rechtfertigen.
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Schließlich lässt sich den Einlassungen des Klägers auch keine glaubhafte Distanzierung von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ entnehmen. Hinsichtlich der Anforderungen an eine glaubhafte Distanzierung kann aufgrund der identischen sicherheitsrechtlichen Schutzrichtung - Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - die ausländerrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - entsprechend herangezogen werden (vgl. VG München, Gerichtsbescheid v. 17.10.2018 - M 7 K 17.750 - juris Rn. 39). Dementsprechend ist für eine glaubhafte Distanzierung zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat (vgl. BVerwG, B.v. 25.4.2018 - 1 B 11/18 - juris Rn. 12). Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Betroffene in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit den einschlägigen sicherheitsrechtlichen Tatbestand erfüllt zu haben. Ohne Einsicht des Betroffenen in die Unrichtigkeit des ihm vorgeworfenen Handelns hat die Ankündigung einer Verhaltensänderung keine glaubwürdige Grundlage (vgl. BayVGH, U.v. 27.10.2017 - 10 B 16.1252 - juris Rn. 53).
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Eine diesen Anforderungen genügende, glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ lässt sich nicht feststellen. Hinreichende äußerlich feststellbare Umstände, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Kläger seine innere Einstellung verändert hat, sind nicht erkennbar. Ein Fehlverhalten hat der Kläger nicht eingeräumt. Vielmehr hat er dieses gerechtfertigt und relativiert. Allein ein Zeitablauf, während dessen der Betroffene nicht mehr „reichsbürgertypisch“ in Erscheinung getreten sein mag, vermag keine glaubhafte Distanzierung darzustellen.
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Die Maßnahmen greifen auch nicht in nicht gerechtfertigter Weise in das Grundrecht der freien Meinungsäußerung des Klägers ein (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 - 21 CS 18.1290 - juris Rn. 19). Ebenso wenig ist das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 - 21 CS 18.1290 - juris Rn. 20).
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Des Weiteren bestehen auch gegen die mit dem Widerruf der Waffenbesitzkarte verbundenen notwendigen Anordnungen keine rechtlichen Bedenken. Die Verpflichtung zur Überlassung bzw. dauerhaften Unbrauchbarmachung der im Besitz des Klägers befindlichen Waffe und Munition (Nr. I.2 des Bescheides) ist ebenso rechtmäßig wie die Verpflichtung zur Rückgabe der Waffenbesitzkarte (Nr. I.3 des Bescheides). Diese wurde rechtlich zutreffend auf § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG bzw. § 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG gestützt. Da entsprechend den obigen Ausführungen die Waffenbesitzkarte rechtmäßig widerrufen wurde, bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit. Ebenso wenig bestehen rechtliche Bedenken gegen die Angemessenheit der hierfür gesetzten Fristen. Die Anordnung der Sicherstellung wurde zutreffend auf § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG gestützt.
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Schließlich sind auch die Zwangsgeldandrohung (Nr. I.5 des Bescheides) und die Kostenentscheidung (Nr. I.6 des Bescheides) rechtmäßig, da rechtliche Bedenken hiergegen weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind.
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Da der Widerruf der Waffenbesitzkarte in Nr. 1.1 des Bescheids vom 10. August 2017 - entsprechend den obigen Ausführungen - rechtmäßig ist, ist dem Kläger diese nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO zurückzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht, soweit die Klage zurückgenommen wurde, auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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...
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.