Inhalt

AG Nürnberg, Endurteil v. 11.05.2020 – 20 C 5587/19
Titel:

Fluggastrechte bei Durchführung eines Teilfluges

Normenketten:
ZPO § 29 Abs. 1
Brüssel Ia-VO Art. 7 Nr. 1 lit b Spiegelstrich 2
Fluggastrechte-VO Art. 2b, Art. 3 Abs. 1b, Abs. 5, Art. 5 Abs. 1 lit. c, Art. 7 Abs. 1
Leitsätze:
1. Art. 5 Abs. 1 lit. c Fluggastrechte-VO ist auf den Fall einer Endzielverpätung von mehr als 3 Stunden analog anzuwenden (BGH BeckRS 2010, 6211). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Einstufung als ausführendes Luftfahrtunternehmen sind die Durchführung des betreffenden (Teil-)Fluges und das Bestehen eines mit einem Fluggast abgeschlossenen Vertrages erforderlich. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem Vertragsschluss mit einem Flugunternehmen steht nicht entgegen, dass vertragliche Pflichten von Subunternehmer erfüllt werden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fluggastrechteverordnung, Beförderungsvertrag, Code-Sharing Vertrag, Verspätung, Tour Operator, Subunternehmer, Teilflug, Gesamtflug, Code Sharing
Fundstelle:
BeckRS 2020, 40200

Tenor

1.  Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.200,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.02.2019 zu zahlen.  
2.  Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3.  Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 1.200,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ausgleichsansprüche aus eigenem und aus abgetretenem Recht nach den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden Fluggastrechteverordnung) geltend.
2
Die Klägerin buchte für sich und ihren Sohn einen Hin- und Rückflug von Nürnberg über Amsterdam nach Palm Beach/USA. Der Hinflug sollte am 21.04.2018 erfolgen, der Rückflug am 01. .2018 von Palm Beach nach JFK New York, von JFK New York nach Amsterdam Schiphol und von dort nach Nürnberg.
3
Die Ticketnummern lauteten xxxxxx62 und xxxxxx68.
4
Im Einzelnen handelte es sich beim Rückflug um folgende Flüge:
West Palm Beach New York, Flug Nummer operated by D
New York - Amsterdam Flugnummer operated by D
Amsterdam-Nürnberg Flugnummer operated by K .
5
Die Ankunft in Nürnberg sollte planmäßig am 02. .2018 um 9.25 Uhr sein, tatsächlich kam die Klägerin und ihr Sohn erst um ca. 14 Uhr in Nürnberg. Ursache für die Verspätung war eine Verspätung des Fluges von New York nach Amsterdam, weshalb der ursprünglich vorgesehene Anschlussflug von Amsterdam nach Nürnberg nicht erreicht werden konnte. Die Entfernung zwischen Palm Beach und Nürnberg beträgt mehr als 3.500 Kilometer.
6
Der Passagier hat seine Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Flug an die Klägerin abgetreten.
7
Die Klägerin macht geltend, den Beförderungsvertrag mit der Beklagten geschlossen zu haben. Mit Schreiben vom 13.02.2019 habe die Beklagte die geforderten Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung abgelehnt.
8
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.200,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.02.2019 zu zahlen
9
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
10
Die Beklagte begründet ihre Ausführungen damit, dass der verspätete Flug nicht von der Beklagten, sondern der D im Rahmen eines Code-Sharing Vertrages durchgeführt wurde. Ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne der Fluggastrechteverordnung sei damit nicht die Beklagte, sondern die Fluggesellschaft D . Die EuGH Entscheidung vom 11.07.2019 C-502/18, auf die sich die Klägerin beruft, sei nicht so zu verstehen dass ein Flug mit Umsteigen eine Gesamtheit darstelle, wenn ein Teilflug von einem Drittstaat-Flugunternehmen durchgeführt werde. Allein maßgeblich sei, welches Luftfahrtunternehmen den verspäteten Flug tatsächlich ausführe.
11
Dass die D Vertragspartner bei der Buchung geworden sei, ergebe sich auch aus der sogenannten ticket prefix, so auch bei der streitgegenständlichen Buchung. Aus den Ziffern 006, den ersten drei Ziffern der Buchung, ergebe sich die Fluggesellschaft D, während die Beklagte den Code habe.
12
Folglich sei nicht die Beklagte Vertragspartnerin der Klägerin, sondern die Fluggesellschaft D .
13
Die Klägerin repliziert darauf, dass ausweislich der Buchungsbestätigung die Beklagte als „Tour Operator“ in der Überschrift ausgewiesen worden sei. Auch die „booking details“ seien der Klägerin unter der Überschrift „K “ mitgeteilt worden.
14
Die Beklagte dupliziert wiederum, dass die Bezeichnung der Beklagten als „Tour Operator“ nicht auf einer Buchungsbestätigung aufgeführt war, sondern nur einer Auflistung mehrere Flugmöglichkeiten. Aus der Buchungsbestätigung ergebe sich, dass sämtliche Flüge mit einer Flugnummer von D deklariert worden seien. Hinzu käme, dass D bei 2 von 3 gebuchten Flügen als ausführendes Luftfahrtunternehmen angegeben sei. Folglich sei aus Sicht des objektiven Empfängers nur der Rückschluss möglich, dass D das vertragliche Luftfahrtunternehmen sei. Es ließe sich der Buchungsbestätigung nicht entnehmen, dass die Beklagte die Flüge als eigene Leistung gesprochen hätten.
15
Die Fluggastrechteverordnung sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
16
Die Parteien schlossen in der Hauptverhandlung vom 11.05.2020 einen widerruflichen Vergleich darüber, dass die Beklagte an die Klägerin einen Betrag von 600 Euro bezahlt. Mit Schriftsatz vom 13.05.2020 widerrief die Beklagte den Vergleich.
17
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
18
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Entscheidungsgründe

I.
19
Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht Nürnberg ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 1 lit b Spiegelstrich 2 Brüssel-Ia-Verordnung örtlich zuständig, da bei Luftbeförderungsverträgen der Abflug- und der (End-)Zielflughafen als Erfüllungsorte anzusehen sind (zuletzt EuGH, Urteil vom 07.03.2018, Az. C-274/16, C-447/16 und C-448/16, zitiert nach Juris). Sachlich ist das Amtsgericht gemäß §§ 23, 71 GVG zuständig.
II.
20
Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht aus eigenem und abgetretenen Recht ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 1200,00 € analog Artikel 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Artikel 7 Abs. 1 Fluggastrechteverordnung zu.
II.
21
Der Sohn der Klägerin hat seine Ansprüche an die Klägerin gemäß § 398 BGB abgetreten.
II.
22
Gemäß Artikel 5 Abs. 1 lit. c Fluggastverordnung steht einem Passagier bei Annullierung ein Anspruch auf eine Ausgleichsleistung zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH und des EuGH wird diese Vorschrift analog auf den Fall angewendet, wenn die Endzielverpätung mehr als 3 Stunden beträgt (EuGH, 19.11.2009, C-402/07; BGH, Urteil vom 18.02.2010, Az.: Xa ZR 95/06, zitiert nach Juris).
23
II) So liegt der Fall auch hier. Vorliegend betrug die Ankunftsverspätung unstreitig mindestens 4 Stunden.
24
II) Aufgrund der Entfernung von mehr als 3500 Kilometern beträgt die Ausgleichszahlung nach Artikel 7 Abs. 1 lit. c Fluggastverordnung je 600 €. Die Beklagte ist passiv legitimiert, da sie ausführendes Luftfahrtunternehmen des streitgegenständlichen Fluges war.
25
aa) Die Beklagte ist Vertragspartnerin der Klägerin und ihres Sohnes geworden. Nach dem objektiven Empfängerhorizont musste die Klägerin aufgrund der Vertragsunterlagen davon ausgehen, dass die Beklagte die Beförderung von Nürnberg nach Palm Beach und zurück als eigene Leistung verkaufen wollte. So bezeichnete die Beklagte sich in der zur Verfügung gestellten Auskunft über mögliche Flüge als „Tour Operator“ und auch in der tatsächlichen Buchungsbestätigung ist die Beklagte in der Überschrift hervorgehoben aufgeführt. Keineswegs kann ein Vertragspartner, der kein Spezialist im Reiserecht ist, aus Zahlenkombinationen erkennen, welches Luftfahrtunternehmen beteiligt ist oder nicht. Aber auch die Tatsache, dass Teilflüge der Reise mit dem Zusatz „operated by D “ gekennzeichnet waren, lässt die Eigenschaft der Beklagten als Vertragspartnerin nicht entfallen. So ist es auch in anderen Branchen üblich, sich zur Erfüllung von vertraglichen Pflichten Subunternehmern zu bedienen und dies auch gegenüber dem Vertragspartner offenzulegen. Hierfür streitet auch Art. 3 Abs. 5 der Fluggastrechteverordnung. Ein Vertragsschluss mit der Fluggesellschaft D kann nach dem Vorbringen der Parteien nicht zustande gekommen sein, da diese gegenüber der Klägerin und ihrem Sohn zu keinem Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Erscheinung getreten ist.
26
bb) Die Reise von den USA in die Bundesrepublik ist trotz mehrfachem Umsteigen als Einheit zu betrachten. In der von den Parteien mehrfach zitierten Entscheidung des EuGH vom 11.7.2019, C- 502/18 wurde der spiegelbildliche Fall entschieden, nämlich dass eine Beförderung aus der europäischen Union in einen Drittstaat mit Umsteigen in einem Drittstaat, die Gegenstand einer einzigen Buchung war, als Einheit anzusehen ist. Nicht anders kann es hier beurteilt werden. Unstreitig liegt eine Buchung für alle Teilstrecken vor. Es kann denknotwendig für die Beurteilung, ob die Reise als eine „Einheit“ anzusehen ist, keinen Unterschied machen, wo die Reise startet.
27
cc) Die Fluggastrechteverordnung ist gemäß Art. 3 Absatz 1b auf den vorliegenden Fall anwendbar, da die Beklagte ausführendes Luftfahrtunternehmen ist. Ausführendes Luftfahrtunternehmen ist gemäß Artikel 2b der Fluggastrechteverordnung das Luftfahrtunternehmen, dass im Rahmen eines Vertrages mit einem Fluggast (…) einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Der EuGH führt in der angegebenen Entscheidung aus, dass danach zwei kumulative Voraussetzungen für die Einstufung als ausführendes Luftfahrtunternehmen erforderlich sind: zum einen die Durchführung des betreffenden Fluges und zum anderen das Bestehen eines mit einem Fluggast abgeschlossenen Vertrages. Wie oben ausgeführt wurde der Vertrag mit der Beklagten geschlossen. Unstreitig hat die Beklagte einen Flug im Rahmen des geschlossenen Beförderungsvertrages durchgeführt, nämlich den letzten Teilflug. Der EuGH verweist auch auf das im 1. Erwägungsgrund der Fluggastrechteverordnung genannte Ziel eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste und schlussfolgert daraus, „dass im Fall eines im Rahmen eines Code Sharing-Vereinbarung durchgeführten Fluges mit Umsteigen, der Gegenstand einer einzigen Buchung war, das Luftfahrtunternehmen, das den ersten Flug ausgeführt hat, auch dann für den Ausgleich haftet, wenn es auf dem zweiten, von einem anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführten Flug zu einer Verspätung kommt. Eine solche Lösung ermöglicht es nämlich, zu gewährleisten, dass die beförderten Fluggäste von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen, das den Beförderungsvertrag mit Ihnen geschlossen hat, einen Ausgleich erhalten, ohne dass auf die Vereinbarungen Rücksicht genommen werden müsste, die dieses Unternehmen hinsichtlich der Durchführung des 2. Teilflugs des Fluges mit Umsteigen getroffen hat“. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass dies nicht auf den vorliegenden Fall zu übertragen sei, weil der Sachverhalt genau spiegelbildlich sei, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Argumentation des EuGH auch für eben diesen Fall gelten muss. Es kann keinen Unterschied für den Fluggast bei der Durchsetzung seiner Rechte machen, ob er mit einem Luftfahrtunternehmen eines Mitgliedsstaates aus der EU hinaus oder in die EU hinein fliegt.
28
Maßgeblich ist ob das vertragliche Luftfahrtunternehmen - hier die Beklagte - einen der Flüge durchgeführt hat. Dies ist hier der Fall.
29
Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 1200 € gemäß Art. 6 Abs. 1 Art. 7 Abs. 1c Fluggastrechteverordnung.
III.
30
Kostenentscheidung: § 91 ZPO
IV.
31
Vollstreckbarkeit: §§ 708, 711 ZPO