Titel:
Von Amts wegen vorzunehmende Überprüfung einer Widerrufsbelehrung
Normenkette:
BGB § 495
Leitsatz:
Die Übereinstimmung von vorformulierten Widerrufsbelehrungen mit den gesetzlichen Vorschriften ist eine Rechtsfrage und ohne Bindung an das Parteivorbringen zu untersuchen (Rn. 26). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerrufsbelehrung, Rechtsfrage
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 29.06.2020 – 19 U 1559/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZR 354/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 39922
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 22.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit einem Widerruf eines von der Beklagten finanzierten Fahrzeugs.
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Der Kläger schloss am 8.03.2016 mit der … in … einen Kaufvertrag über ein gebrauchtes Kraftfahrzeug der Marke … zu einem Kaufpreis i.H.v. € 22.000,01. Ferner schlossen die Parteien parallel einen später abgeänderten Darlehensvertrag zur Finanzierung des Fahrzeugs (K 1). Der Nettodarlehensbetrag betrug € 22.000,00. Der Kläger verpflichtete sich zu 59 gleichbleibenden monatlichen Raten i.H.v. € 366,42, beginnend ab 30.3.2016 sowie einer Schlussrate i.H.v. € 2.200,00. Der Darlehensvertrag besteht aus insgesamt 11 Seiten. Auf Seite 1 bis 3 befinden sich die Europäischen Standardinformationen für Verbraucherkredite. Auf Seite 4. befinden sich „Informationen zu ihrem Darlehensvertrag“. Auf Seite 5 bis 7 ist der Darlehensvertrag enthalten. Auf Seite 5 oben befindet sich folgender Hinweis:
„Zur Finanzierung des Kaufes des nachstehend näher bezeichneten Fahrzeuges bzw. zur Bezahlung anliegender Reparaturrechnungen beantragt der/beantragen die Unterzeichner als Darlehensnehmer/Mitdarlehensnehmer bei der … die Gewährung eines Darlehens in der unten genannten Höhe unter Anerkennung der nachstehenden Bedingungen und beigefügten Allgemeinen Darlehensbedingungen.“
3
Auf Seite 8 war eine die gesamte Seite einnehmend grau unterlegte Widerrufsinformation abgedruckt. Auf Seite 9 befindet sich eine Selbstauskunft des Darlehensnehmers. Die allgemeinen Darlehensbedingungen (im Folgenden: ADB) sind auf Seite 10 und 11 abgedruckt.
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Wie Widerrufsinformation auf Seite 8 lautet auszugsweise:
Soweit das Darlehen bereits ausbezahlt wurde, haben Sie es spätestens innerhalb von 30 Tagen zurückzuzahlen und für den Zeitraum zwischen der Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu entrichten. Die Frist beginnt mit der Absendung der Widerrufserklärung. Für den Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von 0,00 Euro zu zahlen. Dieser Betrag verringert sich entsprechend, wenn das Darlehen nur teilweise in Anspruch genommen wurde …“
5
Mit Email vom 3.10.2018 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung (K 2). Die Beklagte wies den Widerruf mit Schreiben vom 5.10.2018 zurück (K 3).
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Am 10.4.2019 löste der Kläger durch eine Überweisung von 9.869,14 € das Darlehen vorzeitig ab.
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Die Klagepartei trägt vor, dass sie den streitgegenständlichen Darlehensvertrag widerrufen könne, da die Frist für den Widerruf mangels Erteilung ordnungsgemäßer Informationen zu den Pflichtangaben bis heute nicht zu laufen begonnen habe. Zuletzt mobniert in Neufassung der Klagebegründung nur noch, die Widerrufsfolgen seien im Hinblick auf den pro Tag zu zahlenden Zinsbetrag von „0,00 Euro“ falsch angegeben worden. Tatsächlich hätte angegeben werden müssen, dass kein Sollzins zu entrichten sei. Dies führe dazu, dass sich die Beklagte nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne. Dies ergebe sich daraus, das der Darlehensbetrag direkt an das Autohaus ausbezahlt wurde, diesen Fall habe der BGH nicht entschieden.
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Verwirkung oder Rechtsmissbrauch liege nicht vor. Für eine Wertersatzpflicht existiere keine Rechtsgrundlage.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 22.193,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, nach Rückgabe und Rückübereignung des Kraftfahrzeugs der Marke … mit der Fahrgestellnummer …,
- 2.
-
die Beklagte wird ferner dazu verurteilt, an die … (zur Schaden-Nr.: …) weitere 1.556,94 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 3.
-
die Beklagte wird ferner dazu verurteilt, an den Kläger weitere 150,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
- 4.
-
festzustellen, dass die Klagepartei ab und infolge ihrer Widerrufserklärung vom 03.10.2018 keine weiteren Zins- und Tilgungsleistungen gem. § 488 BGB aus dem Darlehensvertrag zwischen den Parteien vom 08.03.2016 mit der Finanzierungsnummer: …, in der Fassung der Vertragsänderung vom 15.12.2016 mit der Finanzierungsnummer … schuldet;
- 5.
-
festzustellen, dass sich die Beklagte spätestens seit dem Tage der letzten mündlichen Verhandlung mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. näher bezeichneten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte macht hilfsweise, für den Fall der Wirksamkeit des Widerrufs und der Klagestattgabe, widerklagend geltend:
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Es wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten Wertersatz für den Wertverlust des …, Fahrgestellnummer: … zu leisten, der auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise nicht notwendig war und der über die anhand der gefahrenen Kilometer zu ermittelnden Wertersatz nach der Wertverzehrtheorie hinausgeht.
Abweisung der Hilfswiderklage.
14
Die Klage sei unbegründet, weil die verwendete Widerrufsinformation dem in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB vorgesehenem Muster entspräche. Die Angabe des Tageszinssatzes mit 0,00 € sei eine zulässige Ausübung des Gestaltungshinweises. Der Verzugszinssatz und die Art und Weise seiner etwaigen Anpassung sowie ggf. anfallende Verzugskosten seien entsprechend dem Muster Anlage 4 zu Art. 247 § 2 EGBGB angegeben worden.
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Die Beklagte erhebt den Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauches. Im Falle eines Widerrufs müsste die Klägerin Wertersatz für die gezogene Nutzung des Fahrzeugs sowie eine Entschädigung für den über den üblichen Gebrauch hinausgehenden Gebrauch leisten.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 13.11.2019 (Bl. 196 d.A.) an das Landgericht München I verwiesen.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 13.12.2019 (Bl. 270 d.A.) auf den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.1.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klagepartei stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche aus der Rückabwicklung des Darlehensvertrags zu, weil der von der Klagepartei erklärte Widerruf verfristet und damit unwirksam war.
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Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag um ein Verbraucherdarlehen im Sinne des § 491 Abs. 1 BGB (in der bei Vertragsschluss maßgeblichen Fassung) vom 20.9.2013 handelt, so dass der Klagepartei ein Widerrufsrecht nach §§ 495 Abs. 1, 355 BGB (in der entsprechenden Fassung) zustand.
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Die Widerrufsfrist war jedoch bei Erklärung des Widerrufs längst abgelaufen. Insbesondere sind die Voraussetzungen des Beginns der Widerrufsfrist gemäß § 356b Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB (in der maßgeblichen Fassung) eingehalten.
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Die Klagepartei hat auch sämtliche erforderlichen Pflichtangaben gemäß § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6-13 EGBGB a.F. ordnungsgemäß erhalten. Der von der Klagepartei zuletzt noch gerügte Fehler liegt nicht vor. Die Widerrufsinformation der Beklagten ist nicht zu beanstanden.
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Die Beklagte kann sich hier jedenfalls auf die Schutzwirkung des Musters nach Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB berufen, da sie gegenüber der Klagepartei in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form ein Formular verwendet hat, das dem Muster sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht.
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Entgegen der Ansicht der Klagepartei wurde mit der Angabe des Zinsbetrags mit „0,00 Euro“ im Rahmen der Widerrufsfolgen auch der Gestaltungshinweis des Musters korrekt umgesetzt, denn dort heißt es nur, dass der genaue Zinsbetrag in Euro pro Tag einzufügen ist und Centbeträge als Dezimalstellen anzugeben sind. Diese Voraussetzungen sind aber auch bei der Angabe von „0,00 Euro“ erfüllt.
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Der Widerspruch zu dem vorangehenden bzw. nachfolgenden Satz war für die Beklagte unvermeidbar, ohne den Text des Musters einer inhaltlichen Bearbeitung zu unterziehen und sich so der Schutzwirkung des Musters zu begeben. Die Einfügung der Angabe „0,00 Euro“ macht die Widerrufsinformation im Übrigen aber auch nicht irreführend, da für den durchschnittlich verständigen Verbraucher offensichtlich ist, dass es sich um einen Formulardarlehensvertrag handelt, der für verschiedene Vertragsgestaltungen offen sein muss. Die Angabe von „0,00 Euro“ ist auch nicht geeignet, den Verbraucher von der Ausübung des Widerrufsrechts abzuhalten. Es handelt sich um eine Regelung zugunsten des Darlehensnehmers, durch die dieser sogar besser gestellt wird, als dies gesetzlich möglich wäre. Der Verbraucher kann aber aus einer solchen für ihn günstigen Regelung keinen Belehrungsfehler herleiten. Was sich in vorliegendem Fall von dem vom BGH entschiedenen Fall (Urteil v. 5.11.19, XI ZR 650/18) unterscheiden soll, konnte die Klageseite dem Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 21.1.20 trotz Nachfrage nicht nachvollziehbar darlegen. Insbesondere ist gerichtsbekannt, dass bislang fast ausschließlich die Darlehen direkt an die Jeweils vermittelnde Auteverkäuferin ausbezahlt wurde. TZ 20 des zitierten BGH-Urteils spricht i.Ü. von einem „ausbezahlten“ Darlehen. Es ist dem Gericht nicht ersichtlich warum es auf die Person des Auszahlungsempfängers hinsichtlich der Angabe des Tageszinses in der Widerrufsinformation ankommen sollte.
26
Das Gericht hat i.Ü. entsprechend der Vorgaben des BGH, wonach die Übereinstimmung von vorformulierten Widerrufsbelehrungen mit den gesetzlichen Vorschriften eine Rechtsfrage ist und ohne Bindung an das Parteivorbringen zu untersuchen ist (BGH, Urteil vom 20.6.2017 - XI ZR 72/16) die streitgegenständlichen Widerrufsinformationen auch über die von der Klagepartei beanstandeten Passagen hinaus überprüft, indes keinen, den Lauf der Widerrufsfrist hindernden Fehler feststellen können. Nach alledem sind die streitgegenständlichen Widerrufsinformationen nicht zu beanstanden.
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Zur Begründung wird ergänzend auf die Gründe der Urteile BGH XI ZR 650/18 sowie XI ZR 11/19 v. 5.11.19 Bezug genommen.
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Die 14-tägige Widerrufsfrist wurde damit ordnungsgemäß in Gang gesetzt, sodass sie bei Erklärung des Widerrufs durch die Klagepartei mehr als 2 Jahre nach Vertragsschluss längst abgelaufen war.
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Auf die Fragen des Rechtsmissbrauchs und der Verwirkung sowie einer etwaigen Wertersatzpflicht der Klagepartei kommt es daher schon nicht mehr an.
30
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen. Der Antrag auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bzw. Erstattung der Selbstbeteiligung ist aufgrund der obigen Ausführungen ebenfalls unbegründet. Ein Verzug der Beklagten scheidet schon mangels wirksamen Widerrufs der Klagepartei aus.
31
Über die Hilfswiderklage war mangels Bedingungseintritt nicht zu entscheiden.
32
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
33
Der Streitwert wurde gemäß §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO in Höhe des Nettodarlehensbetrages festgesetzt. Die Klagepartei begehrt, so gestellt zu werden, als hätte sie den finanzierten Autokaufvertrag niemals geschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 07.04.2015, XI ZR 121/14). Über die Hilfswiderklage wurde nicht entschieden, § 45 Abs. 1 S. 2 GKG.