Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 09.12.2020 – W 2 K 20.1439
Titel:

kein Rederecht für Nichtmitglieder eines Ausschusses der Gemeindevertretung

Normenketten:
VwGO § 43 Abs. 1, § 78 Abs. 1 Nr. 1
BayGO Art. 33 Abs. 1 S. 1, S. 4, Art. 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Vertretungsfall in einem beschließenden Ausschluss nach Art. 32 Abs. 2 Satz 1 GO liegt nur vor, wenn das ordentlich bestellte Mitglied nach objektiven Kriterien aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen verhindert ist. (Rn. 34)
2. Nichtmitglieder haben im Ausschuss grundsätzlich kein Rede- oder Antragsbegründungsrecht; etwas Anderes gilt nur, wenn ein Fall ordnungsgemäßer Vertretung gegeben ist. (Rn. 38)
3. Die/Der Vorsitzende im Ausschuss hat insoweit ein materielles Prüfungsrecht. (Rn. 43)
Schlagworte:
Ausschuss, beschließender, Stellvertretung im Ausschuss, Verhinderung, tatsächliche oder rechtliche, Kriterien, objektive, Teilnahmepflicht an Ausschusssitzung, Rederecht für Nichtmitglieder, verneint, Antragsbegründungsrecht für Nichtmitglieder, Prüfungsrecht des Oberbürgermeisters, materielles, Feststellungsklage, kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit, Vertretung, Rederecht
Fundstelle:
BeckRS 2020, 39879

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagten vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

I.
1
Die Beteiligten streiten um das Rederecht des Klägers als Stadtratsmitglied in der Sitzung des Umwelt- und Verwaltungssenates vom 16. September 2020. Der Kläger ist im vorgenannten beschließenden Ausschuss - unstreitig - der 1. Vertreter des von seiner Gruppierung vorgeschlagenen ordentlichen Ausschussmitgliedes Herr Z.
II.
2
Mit Schriftsatz vom 29. September 2020, eingegangen am 30. September 2020, erhob der Kläger Klage und ließ zur Klagebegründung im Wesentlichen vortragen:
3
Passivlegitimiert sei nicht die Stadt Aschaffenburg, sondern der Oberbürgermeister als Vorsitzender des Ausschusses.
4
Die Klage werde zwar auf die Stadt Aschaffenburg (Beklagte zu 2) erweitert, aber der Beklagte zu 1) beibehalten (Schriftsatz 9.11.2020, Bl. 127 GA).
5
Zur Sitzung des Umwelt- und Verwaltungssenates vom 16. September 2020 habe der Kläger zum TOP 5 „Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses“ einen Redebeitrag und einen Abänderungs-Antrag vorbereitet und das am Tage der Sitzung per Mail an die Adresse „Poststelle_Buero_OB“ (Bl. 42, 104 GA) geschickt (Überschrift: „Antrag“ und darunter „Änderung des Stellplatzsatzung in Bezug auf Abriss und Neubau von Gebäuden in der Kernstadt/Innenstadt“). Ihm stünden ein Antragsrecht und ein Antragsbegründungsrecht zu. Es sei um einen Kompromissvorschlag für den Fall einer Mehrheit für einen Neubau gegangen. Die ersten vier Tagesordnungspunkte habe sein Kollege Herr Z. wahrgenommen. Zum TOP 5 habe sein Kollege Herr Z. seinen Platz verlassen und sei zur Toilette gegangen und habe anschließend während der Beratung auf einem Besucherplatz in der letzten Reihe Platz genommen. Der Kläger habe sich zum TOP 5 vorab besonders eingearbeitet und habe sich deshalb nach Aufruf des TOP 5 vom Platz neben Herrn Z. als Erster zu Wort gemeldet. Der Oberbürgermeister habe das Wort aber entgegen der Geschäftsordnung nicht ihm, sondern nach der Größe der Fraktionen erteilt. Als er dann an der Reihe gewesen sei, habe ihm der Oberbürgermeister das Wort mit der Begründung nicht erteilt, er gehöre nicht dem Senat an und sein Kollege Herr Z. sei anwesend und könne sich äußern. Als der Kollege Herr Z. aufgestanden sei, um den Saal zu verlassen, habe das der Oberbürgermeister als „Trick“ bezeichnet, denn solange Herr Z. als ordentliches Mitglied im Hause sei, gelte er als anwesend. Daraufhin habe der Kläger lautstark protestiert und seinen Platz verlassen, um seinen Kollegen Z. zurückkehren zu lassen, der danach erklärt habe, zu diesem TOP 5 nicht eingearbeitet zu sein und nichts erklären zu können. Anschließend habe dieser gegen das Vorhaben gestimmt (vgl. Bericht im Main-Echo vom 18.9.2020, Bl. 47).
6
Für die Nichterteilung des Wortes als „Verwaltungsakt“ sei die „kommunalverfassungsrechtliche Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO“ richtige Klageart, weil in die Mandatsausübung hoheitlich eingegriffen werde und sich die Maßnahme erledigt habe. Die Klagebefugnis ergebe sich aus den geschäftsordnungsmäßigen Antrags- und Rederechten als Stadtratsmitglied. Es bestehe das besondere Feststellungsinteresse, weil eine Wiederholungsgefahr gegeben sei. Der Fall der Verhinderung eines Ausschussmitgliedes sei in der Geschäftsordnung (GeschO) nicht näher definiert, es werde in § 6 Abs. 4 GeschO nur die namentliche Bestellung von zwei Vertretern/innen geregelt. Ob ein Verhinderungsfall vorliege, bestimme sich aufgrund der Teilnahmepflicht aus Art. 48 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung - GO) i.d.F.d. Bek. vom 22. August 1998 (GVBl S. 796), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juli 2020 (GVBl S. 350), nach objektiven Kriterien. Sei ein Ausschussmitglied - aus welchen Gründen auch immer - in der Sitzung nicht anwesend, liege ein Verhinderungsfall vor. Der Begriff „Verhinderung“ sei funktional bezogen auf die Funktionsfähigkeit des Ausschusses zu sehen und weit auszulegen. Es genüge, wenn das ordentliche Ausschussmitglied nicht mehr an seinem Platz sei und nicht mehr durch Wortmeldungen an der Sitzung teilnehme. Der Grund dafür sei unerheblich, auch ob es einen wichtigen Grund oder eine Entschuldigung gebe. Das ordentliche Mitglied genüge seiner Teilnahmepflicht, wenn es für eine geschäftsordnungsmäßige Vertretung sorge. Eine „tatsächliche Verhinderung“ - unbesetzter Platz - sei ausreichend, dann könne der Vertreter „eingewechselt“ („aufgefüllt“) werden und das auch während der Sitzung zu einem einzelnen Tagesordnungspunkt. Die Auffassung des Beklagten zu 1), solange ein Ausschussmitglied „im Haus“ sei, liege kein Vertretungsfall vor, sei unzutreffend. Er greife damit in das Vorschlags- und Organisationsrecht der Gruppierungen ein (Art. 33 Abs. 1 Satz 4 GO). Es dürfe sich auch ein Vertreter in eine bestimmte Angelegenheit einarbeiten und dann auch im Ausschuss vortragen. Der Vorsitzende habe insoweit kein materielles Prüfungsrecht. Es sei „gewachsene“ Sitzungspraxis, dass im Ausschuss auch von Nichtausschussmitgliedern Anträge gestellt werden könnten. Der Ältestenrat habe diese Praxis 2008 bestätigt. Insoweit sei der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Der Vorsitzende habe nur das ihm „missliebige Wort“ nicht zulassen wollen. Es gebe auch Beispiele aus der aktuellen Amtsperiode, dass Wortbeiträge von Nichtausschussmitgliedern zugelassen worden seien.
7
Die Erweiterung auf die Beklagte zu 2) habe das Ziel, dass sich künftig der jeweilige Oberbürgermeister als Vorsitzender des Stadtrates an die Feststellungswirkung nach dem (zurückgenommenen) zweiten Klageantrag über die Amtszeit des Beklagten zu 1) hinaushalte.
8
Der Kläger lässt zuletzt noch beantragen,
festzustellen, dass die Weigerung des Beklagten zu 1), dem Kläger in der Sitzung des Umwelt- und Verwaltungssenates des Stadtrates Aschaffenburg vom 16. September 2020 das Wort zu erteilen, rechtswidrig war.
9
Die Beklagten beantragen jeweils,
die Klagen abzuweisen.
10
Zur Klagerwiderung wird im Wesentlichen vorgetragen:
11
Richtige Beklagte sei die Stadt; die Klage gegen den Oberbürgermeister selbst sei „unzulässig“.
12
Der „vorbereitete“ und der Verwaltung am Tag der Sitzung gemailte Antrag des Klägers habe schon vom Wortlaut her nichts mit dem TOP 5 der Ausschusssitzung zu tun gehabt. Das zeige auch die Anmerkung am Ende „… unabhängig von meinem Ansinnen, den Abriss Roßmarkt … zu verhindern und lediglich einen Umbau zu genehmigen“. Soweit der Kläger ausführe, es sei ein „Änderungsantrag“ zu TOP 5, widerspreche das dem Wortlaut und auch dem Inhalt seines Schreibens vom 16. September 2020. Die Änderung der Stellplatzsatzung falle zudem nicht in die Zuständigkeit des Ausschusses. Der Zusammenhang sei für die Verwaltung nicht erkennbar gewesen. Der Kläger habe sich in der Sitzung auch nicht auf seinen Antrag bezogen, sondern nur auf sein Rederecht als Vertreter. Ein allgemeines Rederecht als Nichtmitglied im Ausschuss bestehe nicht.
13
§ 6 Abs. 4 GeschO regele die namentliche Bestellung von zwei Stellvertretern/innen. Auf den Geschäftsgang beschließender Ausschüsse - wie hier (§ 6 Abs. 1 Satz 1a Nr. 3 GeschO) - fänden die Art. 46 bis 54 GO entsprechende Anwendung (Art. 45 Abs. 2 Satz 2 GO). Damit bestehe für Ausschussmitglieder eine Teilnahmepflicht an der Ausschusssitzung (Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO). Ein Fall der Stellvertretung könne deshalb nur vorliegen, wenn für den Vertretenen die Teilnahmepflicht entfalle, was nach Art. 48 Abs. 2 GO nur bei einer „genügenden Entschuldigung“ der Fall sei. Ob es verhindert sei, stehe nicht im „Belieben“ des Ausschussmitgliedes. Das gelte auch, wenn die Umstände für die Verhinderung erst während der Sitzung aufträten. Ein grundloser Wechsel sei nicht zulässig. Die Vertretung setze eine tatsächliche (z. Bsp. Krankheit) oder rechtliche (z. Bsp. persönliche Beteiligung) Verhinderung des Vertretenen voraus, sei nach objektiven Kriterien zu bestimmen und nicht Teil des Vorschlags- und Organisationsrechts der Gruppierung, der der Kläger angehöre. Eine solche Verhinderung könne auch nur für Teile einer Sitzung gegeben sein.
14
Vorliegend sei kein objektiver Grund für die Verhinderung ersichtlich, sondern nur das Interesse des Klägers teilzunehmen, weil er sich „eingearbeitet“ habe. Eine solche „willkürliche“ Vertretung sei unzulässig, zumal der Vertretene zumindest teilweise bei TOP 5 anwesend gewesen sei.
15
Der Oberbürgermeister als Leiter der Sitzung des Ausschusses dürfe prüfen, ob ein Vertretungsfall gegeben sei (Art. 53 Abs. 1, Art. 36 Satz 1 GO; § 26 Abs. 3, § 6 Abs. 5 GeschO).
16
Auf den Schriftsatz vom 18. November 2020 wird verwiesen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte mit dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2020 sowie den Inhalt der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1.
18
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.1
19
Die Klage ist zulässig.
1.1.1
20
Der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO ist eröffnet.
21
Der Beklagte zu 1) hat in Ausübung seines Amtes gehandelt und von der Möglichkeit, die ihm seine Stellung als Vorsitzender im Ausschuss (Art. 33 Abs. 2 Satz 1 GO) gibt, Gebrauch gemacht, als er dem Kläger das Rederecht verweigert hat. Daher liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2009 - 4 C 09.2144 - juris).
1.1.2
22
Richtige Klageart ist die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO.
23
Bei einer kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeit - wie hier - ist grundsätzlich die allgemeine Leistungsklage richtige Klageart. Die Nichterteilung des Rederechts ist nicht, wie der Kläger meint, ein Verwaltungsakt i.S.v. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG. Es fehlt an der erforderlichen Außenwirkung, weil es um die einzelne Berechtigung (Rederecht) eines Organteils (einzelner Stadtrat) gegenüber dem Organ Oberbürgermeister (vgl. Art. 29 GO) geht (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.1986 - 4 B 85 A.916 - BayVBl 1987, 239/240). Soweit sich der Kläger auf einen Kommentar zur Gemeindeordnung beruft, wird dort nicht ausgeführt, dass die Verweigerung des Rederechtes ein Verwaltungsakt sei, vielmehr wird auf die kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit verwiesen (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayer. Gemeindeordnung, Stand: 1.2.2020, Art. 47 Rn. 6).
24
Erledigt sich - wie hier - mit Ablauf der streitgegenständlichen Sitzung des Ausschusses die Hauptsache, ist die Feststellungsklage die richtige Klageart; eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht zulässig (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.1986 - 4 B 85 A.916 - BayVBl 1987, 239/240; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 40 Rn. 16; Happ in Eyermann, a.a.O., § 42 Rn. 172; Schübel-Pfister in Eyermann, a.a.O., § 113 Rn. 90).
25
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung seinen ursprünglichen Klageantrag zu 2), festzustellen, dass ein Fall der tatsächlichen Verhinderung eines ordentlichen Ausschussmitgliedes auch dann gegeben sei, wenn das ordentliche Ausschussmitglied seinen Platz verlassen habe, um seinem geschäftsordnungsmäßig bestellten Vertreter „einzuwechseln“, und dass dem Vorsitzenden in diesem Fall für die Frage der Stellvertretung kein materielles Prüfungsrecht zustehe, zurückgenommen hat, ist er damit einer Klageabweisung als unzulässig zuvorgekommen. Vorbeugender Rechtsschutz ist nur zulässig, wenn ein Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre; das ist vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich.
1.1.3
26
Für den allein noch zu entscheidenden Klageantrag ist das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. Abs. 1 VwGO) gegeben, weil der Kläger die Verletzung eines eigenen Rechtes als Teil eines Organs aus seinem Mandat geltend macht.
1.2
27
Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Oberbürgermeister dem Kläger zu Recht das Wort in der Sitzung des Ausschusses vom 16. September 2020 nicht erteilt hat.
1.2.1
28
Die Klage gegen den Beklagten zu 1) persönlich ist bereits deshalb unbegründet, weil dieser in seiner Funktion als Oberbürgermeister oder gar als Privatperson nicht passivlegitimiert ist. Der Oberbürgermeister hat in Ausübung seines Amtes gehandelt und von der Möglichkeit, die ihm seine Stellung als Vorsitzender im Ausschuss (Art. 33 Abs. 2 Satz 1 GO) gibt, Gebrauch gemacht, als er dem Kläger das Rederecht verweigert hat.
29
Er hat sich in amtlicher Eigenschaft an den Kläger gewandt, weshalb nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO allein die Beklagte zu 2) (Stadt) richtige Beklagte sein kann (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 24.5.2006 - 4 CE 06.1217 - BeckRS 2009, 37019). Die Zuordnung einer Äußerung als amtsbezogen oder privat, steuert dabei nicht nur die Zurechnung im Rahmen der Passivlegitimation, sondern löst zugleich unterschiedliche inhaltliche Beurteilungsmaßstäbe aus, etwa wenn es um die Beurteilung von Äußerungen durch das Organ geht, wie das beispielweise im Parallelverfahren der Fall ist. Die Beklagte zu 2) muss sich als Trägerin ihrer gemeindlichen Organe das Handeln des Oberbürgermeisters in amtlicher Funktion zurechnen lassen (vgl. auch bereits BayVGH, U.v. 22.3.1989 - 4 B 86.03127 - BayVBl 1990, 111/112). Sie hat auch der sachdienlichen Klageänderung (weiterer Beklagter) zugestimmt.
1.2.2
30
Das materielle Recht gibt dem Kläger das von ihm begehrte Rederecht nicht.
1.2.2.1
31
Für Herrn Z. bestand eine Teilnahmepflicht an der Sitzung des Umwelt- und Verwaltungssenates vom 16. September 2020.
32
Die Gemeindeordnung enthält für die Vertretung in den Ausschüssen keine spezielle gesetzliche Regelung (vgl. etwa Widtmann/Grasser/Glaser, Bayer. Gemeindeordnung, Stand: 1.2.2020, Art. 33 Rn. 16; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Gemeindeordnung, Stand: 15.7.2020, Art. 33 Ziff. 1.4). Vielmehr ist das in der Geschäftsordnung des Stadtrates zu regeln (M. Wolff in Dietlein/Suerbaum, Kommunalrecht in Bayern, 1. Auflage 2020, Art. 33 Rn 3). Im Bereich der Beklagten zu 2) regelt § 6 Abs. 4 GeschO die Bestellung von jeweils zwei Vertretern/innen. Wann ein Vertretungsfall vorliegt, ist nicht geregelt. Der Umwelt- und Verwaltungssenat ist jedoch nach § 6 Abs. 1 Satz 1a Nr. 3 GeschO ein beschließender Ausschuss, weshalb nach Art. 45 Abs. 2 Satz 2 GO die Art. 46 bis 54 GO anzuwenden sind. Aus Art. 48 Abs. 1 Satz 1 GO ergibt sich daher für die Mitglieder von beschließenden Ausschüssen - wie hier - eine Teilnahmepflicht auch für die Ausschusssitzungen, was grundsätzlich die körperliche Anwesenheit erfordert (vgl. Jung in Dietlein/Suerbaum, Kommunalrecht in Bayern, 1. Auflage 2020, Art. 48 Rn 2). Eine Nichtteilnahme ist nur bei „genügender Entschuldigung“ zulässig, was auch für das Verlassen während der Sitzung gilt (Art. 48 Abs. 2 GO). Abwegig ist die Auffassung der Klägerseite, das ordentliche Mitglied genüge seiner Teilnahmepflicht, wenn es für eine geschäftsordnungsmäßige Vertretung sorge. Das widerspricht ersichtlich Art. 48 Abs. 2 GO.
1.2.2.2
33
Herr Z. hat die Sitzung am 16. September 2020 zunächst ohne „genügende Entschuldigung“ verlassen, war dann wieder als „Besucher“ anwesend und hat später auch an der Sitzung teilgenommen, nachdem dem Kläger das Rederecht verweigert wurde.
34
Die maßgebliche Frage der „Verhinderung“, d.h. Fehlen mit „genügender Entschuldigung“ für eine Sitzung bzw. Teile davon, bestimmt sich nach objektiven Kriterien (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayer. Gemeindeordnung, Stand: 1.2.2020, Art. 33 Rn 17). Das setzt eine tatsächliche (z.B. Krankheit oder Urlaub) oder rechtliche (z.B. persönliche Beteiligung) Verhinderung voraus, die sich auf einzelne Tagesordnungspunkte (etwa bei persönlicher Beteiligung) beschränken kann (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayer. Gemeindeordnung, Stand: 1.2.2020, Art. 33 Rn 17 und Art. 48 Rn. 16; Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Gemeindeordnung, Stand: 15.7.2020, Art. 33 Ziff. 1.4; Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung, Stand: 9/2020, Art. 48 Ziff. 3.1, 3.2).
35
Eine solche tatsächliche und rechtliche Verhinderung wird vorliegend nicht einmal behauptet. Einziger Grund für die Nichtteilnahme des Herrn Z. beim TOP 5 der Sitzung vom 16. September 2020 war der Wunsch des Klägers speziell zu diesem Tagesordnungspunkt für seine Gruppierung an der Sitzung teilnehmen und reden zu können. Das reicht ersichtlich nicht aus, um eine Vertretungsfall anzunehmen. Herr Z. wollte nur dem Wunsch des Klägers nachkommen. Zudem war Herr Z. auch fast durchgehend anwesend im Sitzungssaal, die Anwesenheit hat er nur für einen Gang zur Toilette unterbrochen und danach wieder im Sitzungssaal auf einem Besucherplatz Platz genommen. Erst als der Oberbürgermeister dem Kläger das Wort nicht erteilte, wollte Herr Z. den Sitzungssaal erneut verlassen. Nach „lautstarkem Protest“ des Klägers - so der Kläger selbst - habe sein Kollege dann wieder seinen ursprünglichen Platz eingenommen. All das zeigt mehr als deutlich, dass ein Vertretungsfall ersichtlich nicht vorlag. Ob sich der Kläger zum TOP 5 „besonders eingearbeitet“ hatte, ist rechtlich völlig irrelevant. Auch der kurzzeitige Gang zur Toilette ist kein Verhinderungsfall, zumal bei einer anstehenden wichtigen Abstimmung eine Unterbrechung beantragt werden kann. Herr Z. hat mit dem Verlassen der Sitzung gegen seine Teilnahmepflicht verstoßen, was vom Ausschuss (vgl. Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung, Stand: 9/2020, Art. 45 Ziff. 2.2.2) mit einem Ordnungsgeld hätte belegt werden können, nachdem Art. 45 Abs. 2 Satz 2 GO auch auf die Sanktionsmöglichkeit des Art. 48 Abs. 2 GO verweist.
36
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Organisationsrecht der im Stadtrat vertretenen Gruppierungen, wie der Kläger meint. Art. 33 Abs. 1 Satz 4 GO betrifft die Bestellung der Ausschussmitglieder, bei der der Stadtrat an die Vorschläge der Parteien und Wählergruppen gebunden ist (vgl. vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayer. Gemeindeordnung, Stand: 1.2.2020, Art. 33 Rn. 14). Dieses Vorschlags- und Besetzungsrecht betrifft aber allein die Besetzung des Ausschusses, nicht jedoch die Frage der Verhinderung von Ausschussmitgliedern, die für beschließende Ausschüsse speziell in Art. 45 Abs. 2 Satz 2, Art. 48 Abs. 2 GO geregelt ist. Soweit in der Literatur vertreten wird (vgl. Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung, Stand: 9/2020, Art. 33 Ziff. 4 m.w.N.), es könne jederzeit ein Vertreter - auch zu einzelnen Tagesordnungspunkten - „eingewechselt“ werden, ist damit im Hinblick auf die damit verbundene Umgehung der Teilnahmepflicht jedenfalls bei beschließenden Ausschüssen nicht gemeint, dass die Partei/Gruppierung die Besetzung für jede Sitzung bzw. sogar jeden einzelnen Tagesordnungspunkt frei wählen darf. Gemeint ist vielmehr, dass als Voraussetzung jedenfalls bei beschließenden Ausschüssen eine Verhinderung i.S.v. Art. 48 Abs. 2 GO vorliegen muss (so auch Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung, Stand: 9/2020, Art. 33 Ziff. 4; vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayer. Gemeindeordnung, Stand: 1.2.2020, Art. 33 Rn. 17). Eine - auch in Teilen - regellose Stellvertretung ist unzulässig.
1.2.2.3
37
Auch soweit sich der Kläger auf den von ihm am Sitzungstag gestellten Antrag beruft, folgt hieraus für ihn keine Rederecht.
38
Nichtmitglieder haben im Ausschuss kein Rederecht, das ist in Literatur und Rechtsprechung nicht strittig (vgl. BayVGH, U.v. 3.4.1990 - 4 B 90.182 - NVwZ 1990, 1197; Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung, Stand: 9/2020, Art. 45 Ziff. 2.2.2) Sie haben auch kein Antragsbegründungsrecht (so Prandl/Zimmermann/Büchner/Pahlke, Gemeindeordnung, Stand: 1.2.2019, Art.33 Ziff. 1.2). Mit anderen Worten bestehen Mitgliedschaftsrechte nur, wenn der kommunale Mandatsträger dem Gremium angehört. Dem entspricht die Geschäftsordnung des Stadtrates der Beklagten zu 2). Nach § 6 Abs. 2 der GeschO sind nur die ins Gremium entsandten Mitglieder stimmberechtigt. Ansonsten können Stadträte nach § 5 GeschO nur als Zuhörer an den Ausschusssitzungen teilnehmen. Selbst wenn man aber dementgegen Mitgliedschaftsrechte annehmen wollte, gingen sie jedenfalls nicht so weit, dem Nichtmitglied ein mündliches Antragsrecht zuzugestehen (BayVGH, U.v. 3.4.1990 - 4 B 90.182 - NVwZ 1990, 1197). Zweck der Bildung von beschließenden Ausschüssen nach der Gemeindeordnung ist es, ein effektiveres Handeln zu ermöglichen, weil das kleinere, spiegelbildlich zusammengesetzte Gremium weniger Mitglieder hat, was weniger Wortbeiträge zur Folge hat. Das dient der Entlastung und Unterstützung des Hauptorgans Gemeinde- bzw. Stadtrat (so M. Wolff in Dietlein/Suerbaum, Kommunalrecht in Bayern, 1. Auflage 2020, Art. 32 Rn 1).
39
Eine Ausnahme gilt nur für den Fall einer ordnungsgemäßen Vertretung im Falle einer objektiv vorliegenden, nicht künstlich herbeigeführten Verhinderung.
40
Abgesehen davon hat der Kläger den von ihm zur Sitzung vom 16. September 2020 gestellten Antrag selbst nicht als Abänderungsantrag bezeichnet; dagegen spricht auch schon der Wortlaut. Es handelt sich dabei vielmehr um einen eigenständigen Antrag zur Änderung der Stellplatzsatzung, für die der Stadtrat zuständig wäre.
41
Soweit der Kläger eine gegenteilige Handhabung aus der Zeit des früher tätigen Stadtrates bzw. auch aus jüngster Zeit behauptet, muss dem schon deshalb nicht nachgegangen werden, weil es keine Gleichheit im Unrecht gibt.
1.2.2.4
42
Der Kläger bestreitet auch zu Unrecht ein Prüfungsrecht hinsichtlich des Vorliegens eines Vertretungsfalles im Ausschuss.
43
Zu den Aufgaben des Oberbürgermeisters nach der Gemeindeordnung gehören u.a. der Vorsitz im Stadtrat (Art. 36 Abs. 1 GO) sowie grundsätzlich der Vorsitz im Ausschuss (Art. 33 Abs. 2 Satz 1 GO). Er hat die jeweilige Tagesordnung für die Sitzungen von Stadtrat und Ausschuss zu erstellen (Art. 46 Abs. 2 GO) und die Beschlussfähigkeit des jeweiligen Gremiums in Sitzungen festzustellen (Art. 47 Abs. 2 GO). Zur Prüfung der Beschlussfähigkeit als Teil der Sitzungsleitung gehört denknotwendig auch die Prüfung, ob das zuständige Mitglied an der Sitzung eines Ausschusses teilnimmt. Denn (siehe oben) nur diesem steht das Recht zur Rede zu und nur diesem ist auch das Wort zu erteilen.
44
Der Oberbürgermeister hat deshalb nach der Gemeindeordnung das Recht, zu prüfen, ob das zuständige Ausschussmitglied teilnimmt.
1.2.3
45
Nach alldem ist die Klage abzuweisen.
2.
46
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat auch die Kosten zu tragen, soweit er seinen Klageantrag zu 2) nicht aufrechterhalten hat.
3.
47
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.