Titel:
zur Ungültigerklärung einer Gemeindesratswahl
Normenketten:
BayGLKrWG Art. 5 Abs. 1 S. 4, Art. 25 Abs. 1 S. 1, Art. 50 Abs. 3, Abs. 5, Art. 51 Nr. 1
BayGLKrWO § 47 Abs. 1 Nr. 9
Leitsätze:
1. Zum Wahlleiter für die Gemeindewahlen darf nicht bestellt werden, wer zum (stellvertretenden) Beauftragten eines Wahlvorschlags gewählt wurde. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Stehen die fehlerhafte Bestellung des Wahlleiters und die von ihm begangenen Verstöße gegen geltendes Wahlrecht, die eindeutig den Schluss auf eine daraus folgende Verdunkelung des Wahlergebnisses im Hinblick auf die Sitzverteilung zulassen, fest, gibt es keinen hinreichenden Grund für weitere Sachverhaltsermittlungen. In diesem Fall hat, ggf. mit kurzer Anhörungsfrist der Betroffenen, die Ungültigkeitserklärung der Wahl binnen der gesetzlichen Vier-Monats-Frist zu erfolgen. (Rn. 41 – 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gemeinderatswahl, Verstöße gegen Wahlvorschriften, Unterschriften der Unterzeichnenden des Wahlvorschlags, fehlende, Wahlleiter fehlerhaft bestellt, Fehler im Wahlverfahren, Verdunkelungsgefahr, Fristverlängerung wegen Sachverhaltsaufklärung, Gemeinderatswahl 2020, Wahlleiter, fehlerhafte Bestellung, Verdunkelung des Wahlergebnisses, Fristverlängerung, Ungültigerklärung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 39878
Tenor
I. Der Bescheid des Landratsamtes Würzburg vom 25. September 2020 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wurde bei der Kommunalwahl am 15. März 2020 als Gemeinderat für den Markt … und anschließend zum 2. Bürgermeister gewählt. Das Ergebnis der Gemeinderatswahl 2020 im Markt … wurde am 26. oder 27. März 2020 verkündet.
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Mit Schreiben vom 17. Juli 2020, bei der Verwaltungsgemeinschaft E … - die für den Markt … die Kommunalwahl 2020 durchgeführt hat - per Mail am 20. Juli 2020 eingegangen, teilte das Landratsamt W. das Ergebnis der Überprüfung der Vorbereitung und Durchführung der Wahl mit. Unter anderem wurde darauf hingewiesen, dass der zum 1. Bürgermeister gewählte Herr H. (Beigeladener zu 5) vom Wahlausschuss als zum Gemeinderatsmitglied gewählt angesehen worden sei, was zu berichtigen gewesen sei (Nachrücker Beigeladener zu 6). Weiter seien die zur Wahlprüfung vorgelegten Unterlagen nicht vollständig gewesen (zurückgewiesene Wahlbriefe und beschlussmäßig behandelte Stimmzettel bestimmter Wahlbezirke) sowie fehlende Unterschriften auf einem Wahlvorschlag (Widerspruch zwischen Checkliste und dem beim Landratsamt vorliegenden Wahlvorschlag einer Gruppierung) entdeckt worden. Gleichzeitig sei Frist bis zum 31. Juli 2020 gesetzt worden, die fehlenden Unterlagen nachzureichen und den vorgenannten Widerspruch aufzuklären. Die Frist zur Berichtigung bzw. Ungültigkeitserklärung werde bis 30. September 2020 verlängert. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens vom 17. Juli 2020 wird verwiesen.
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Diese Frist zur Stellungnahme wurde anschließend zunächst bis 10. August 2020 und später bis 28. August 2020 verlängert.
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Mit Bescheid vom 25. September 2020, zugestellt an den Kläger mit PZU am 26. September 2020 (Bl. 176 LRA), erklärte das Landratsamt W. die Wahl des Gemeinderates im Markt … vom 15. März 2020 für ungültig.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:
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Es sei festgestellt worden, dass der Wahlausschuss den aufgrund fehlender Unterschriften von zehn Wahlberechtigten ungültigen Wahlvorschlag der „FWG“ zur Gemeinderatswahl zugelassen habe. Dadurch sei es möglich, dass es zu einer unrichtigen Sitzverteilung gekommen sei, die nicht berichtigt werden könne. Die fehlenden Unterschriften hätten nur bis zur abschließenden Entscheidung des Wahlausschusses am 11. Februar 2020, spätestens bis zur Entscheidung des Beschwerdeausschusses bei der Regierung von Unterfranken am 17. Februar 2020 (14.00 Uhr) nachgereicht werden können. Das sei nicht erfolgt. Durch die nicht zulässige Teilnahme des Wahlvorschlages der „FWG“ an der Wahl sei die Sitzverteilung unrichtig und könne nicht berichtigt werden, da unklar sei, wer diese Sitze ansonsten erhalten hätte.
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Ob für den Wahlvorschlag der „FWG“ auch eine fehlerhafte Ordnungszahl vergeben worden sei, sei zweifelhaft, könne aber dahinstehen.
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Herr E. hätte auch nicht als Wahlleiter bestellt werden dürfen, weil er die Aufstellungsversammlung der „FWG“ am 30. November 2020 geleitet habe und zum stellvertretenden Beauftragten des Wahlvorschlages der „FWG“ bestellt worden sei. Ob dies zu einer Verdunkelung des Wahlergebnisses geführt habe, könne aber wegen der Ungültigkeitserklärung aus anderem Grund offenbleiben.
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Es habe wegen des Widerspruchs zwischen dem beim Landratsamt eingegangenen Wahlvorschlag der „FWG“ und der Checkliste des Wahlleiters noch Aufklärungsbedarf bestanden, weshalb die Vier-Monats-Frist verlängert worden sei.
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Auf den weiteren Inhalt dieses Bescheides und die ihm beigefügte Rechtsmittelbelehrungwird verwiesen.
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Gegen den vorgenannten Bescheid richtet sich die mit Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 19. Oktober 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erhobene Klage, zu deren Begründung im Wesentlichen vorgetragen wird:
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Die Ungültigkeitserklärung der Gemeinderatswahl im Markt … sei rechtswidrig, weil sie nicht innerhalb der Vier-Monats-Frist erfolgt sei. Die Voraussetzungen für die erfolgte Fristverlängerung hätten nicht vorgelegen. Die eingereichten Unterlagen seien nicht mit der „größtmöglichen Beschleunigung“ geprüft worden. Erst eine Woche vor Fristablauf sei am 17. Juli 2020 seitens des Landratsamtes auf die Ungereimtheiten hingewiesen worden, obwohl die gesamten Wahlunterlagen schon am 2. April 2020 dem Landratsamt vorgelegt worden seien. Dazwischen sei nicht geprüft worden. Bei einem Besprechungstermin im Landratsamt sei mitgeteilt worden, dass erst einmal alle Unterlagen ungeprüft an die Regierung von Unterfranken weitergeleitet worden seien. Erst auf Hinweis der Regierung seien die weiteren Unterlagen angefordert worden. Schon am 17. Juli 2020 habe aber festgestanden, dass auf einem Wahlvorschlag die erforderlichen Unterschriften gefehlt hätten und das die Ungültigkeit der Wahl zur Folge habe. Die Vier-Monats-Frist sei eine Ausschlussfrist und ihre Verlängerung erfordere eine Ermessensentscheidung, die mangels Abwägung der widerstreitenden Interessen fehle, weil die Verlängerung ohne nähere Darlegung erfolgt sei. Auch eine etwaige durch die Corona-Pandemie bedingte Arbeitsüberlastung könne die Fristverlängerung nicht rechtfertigen.
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Der Kläger lässt beantragen,
den Bescheid des Landratsamtes vom 25. September 2020 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Erwiderung wird im Wesentlichen unter Wiederholung der Ausführungen aus dem Schreiben vom 17. Juli 2020 ergänzend ausgeführt.
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Der Kläger sei als gewähltes Mitglied des Marktgemeinderates klagebefugt.
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Die Klage sei aber unbegründet, weil die Ungültigkeitserklärung rechtmäßig sei. Insbesondere sei die Verlängerung der Vier-Monats-Frist rechtmäßig, weil die Unterlagen nicht vollständig gewesen seien und ein Widerspruch zwischen der Checkliste des Wahlleiters und den vorliegenden Wahlunterlagen vorhanden gewesen sei. Deshalb habe am 17. Juli 2020 weiterer Aufklärungsbedarf bestanden. Dabei sei von der Einschätzung ausgegangen worden, dass von der Verwaltungsgemeinschaft E … während der Ferienzeit eine gegebenenfalls aufwändige Nachsuche in ihren Unterlagen erforderlich sei und anschließend eine Anhörung der Betroffenen (Gewählte und Listennachfolger) erforderlich wäre (vgl. Schreiben Bl. 43 Akte LRA). Die Fristverlängerung sei eine nicht selbständig angreifbare Verfahrensentscheidung. Hinsichtlich der Ungültigkeitserklärung bestehe kein Ermessen. Es seien alle Gemeinden zu überprüfen und das Ergebnis für den Markt … habe am 17. Juli 2020 vorgelegen. Die Frist sei nicht coronabedingt verlängert worden. Es hätten vielmehr Anhaltspunkte für eine Ungültigkeitserklärung und insoweit Aufklärungsbedarf bestanden.
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Die materiell-rechtlichen Verstöße gegen Wahlvorschriften würden nicht bestritten. Bereits die Ungültigkeit des Wahlvorschlages rechtfertige die Ungültigkeitserklärung. In der Wahlprüfungsakte des Landratsamtes gebe es keine Lücke zwischen den Blättern 4 und 5 f.. Die Blätter 1 bis 4 seien noch vor der Wahl angefallen. Die Wahlunterlagen seien von der Verwaltungsgemeinschaft E … am 2. April 2020 (Bl. 133 GA) vorgelegt worden. Die Blätter 5 f. seien im Zusammenhang mit der Wahlprüfung vom 13. bis 17. Juli 2020 angefallen. Die Wahlunterlagen seien entgegen dem Vortrag des Klägers nicht zuerst der Regierung von Unterfranken zugeleitet worden, sondern nur die Wahlunterlagen der Landkreiswahl.
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Die am 15. März 2020 gewählten Gemeinderäte und Listennachfolger wurden zum Verfahren beigeladen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte mit dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2020 sowie den Inhalt der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Die zulässige Klage ist begründet.
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1.1 Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ist der Kläger klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
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Der Kläger wurde bei der streitgegenständlichen Wahl am 15. März 2020 zum Mitglied des Marktgemeinderates und anschließend vom Marktgemeinderat zum 2. Bürgermeister gewählt. Es ist denkbar und möglich, dass der Kläger durch die streitgegenständliche Ungültigkeitserklärung in einer ihm als Mandatsträger zustehenden Rechtsposition verletzt wird. Nach Art. 51 Nr. 1 Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz (GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. März 2020 (GVBl S. 174), können diejenigen Personen gegen die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde klagen, die geltend machen, durch die Entscheidung in eigenen Rechten verletzt zu sein.
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1.2 Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Landratsamtes vom 25. September 2020 ist im Ergebnis rechtswidrig und verletzt den Kläger auch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1VwGO).
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1.2.1 Passivlegitimiert (richtiger Beklagter) ist der Freistaat Bayern (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), weil das Landratsamt W. als Rechtsaufsichtsbehörde die Wahl prüft (Art. 51 Abs. 1 GLKrWG).
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1.2.2 Das Landratsamt W. hat in seinem Schreiben vom 17. Juli 2020 und im angefochtenen Bescheid die zahlreichen Verstöße gegen wahlrechtliche Vorschriften bei der Kommunalwahl 2020 im Markt … akribisch aufgelistet. Diese sind zwischen den Beteiligten im Wesentlichen nicht strittig, weshalb insoweit auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen wird (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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Zwei dieser Verstöße sind jeweils für sich geeignet, die Wahl zum Marktgemeinderat nach Art. 50 Abs. 3 GLKrWG für ungültig zu erklären, wobei der Rechtsaufsichtsbehörde hinsichtlich der Ungültigkeitserklärung kein Ermessen zusteht. Werden Wahlvorschriften verletzt und ist es möglich, dass es dadurch zu einer unrichtigen Sitzverteilung oder Ämterverteilung gekommen ist, die nicht berichtigt werden kann, hat die Rechtsaufsichtsbehörde die Wahl (zwingend) für ungültig zu erklären.
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1.2.2.1 Bei der Gruppierung „FWG“ fehlten offensichtlich entgegen Art. 25 Abs. 1 Satz 1 GLKrWG die erforderlichen zehn Unterschriften der Unterzeichnenden des Wahlvorschlages; insoweit bestand zudem - was das Landratsamt zutreffend darlegt - ein Widerspruch zwischen der Checkliste des Wahlleiters und den vorgelegten Unterlagen.
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Im angefochtenen Bescheid wird dazu ausgeführt, dass diese fehlenden Unterschriften nur bis zur abschließenden Entscheidung des Wahlausschusses am 11. Februar 2020, spätestens jedoch bis zur Entscheidung des Beschwerdeausschusses bei der Regierung von Unterfranken am 17. Februar 2020 (14.00 Uhr) hätten nachgereicht werden können (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 9 Gemeinde- und Landkreiswahlordnung - GLKrWO - i.d.F.d. Bek. V. 7.11.2006 - GVBl S. 852, zuletzt geändert durch VO vom 18.11. 2019 - GVBl S. 695). Das sei nicht erfolgt. Durch die nicht zulässige Teilnahme des Wahlvorschlages der Gruppierung „FWG“ an der Wahl sei die Sitzverteilung unrichtig und das könne nicht berichtigt werden, weil unklar sei, wer diese Sitze ansonsten erhalten hätte. Das sieht das Gericht ebenso. Es kommt hinzu, dass der Wahlleiter diese Checkliste sowohl bei dieser Gruppierung als auch bei allen anderen Parteien bzw. Gruppierungen nicht unterschrieben hat. Der Wahlleiter hat auch nicht beanstandet, dass die Vertretungsberechtigten die Seite im Vordruck, auf der die zehn Unterzeichner des Wahlvorschlages hätten unterschreiben sollen, nicht unterzeichnet haben. Zuzustimmen ist dem Landratsamt, dass dieser Fehler die Ungültigkeit zur Folge hat, weil er zu einer unrichtigen Sitzverteilung führt.
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1.2.2.2 Die aufgrund der fehlerhaften Bestellung des Wahlleiters bestehende Verdunkelungsgefahr führt ebenfalls unabhängig von allen anderen Verstößen zur Ungültigkeit der Wahl.
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Bereits am 17. Juli 2020 stand bereits ein weiterer gravierender Verstoß gegen Wahlvorschriften fest. So wies das Landratsamt die örtliche Wahlbehörde (Verwaltungsgemeinschaft E …) darauf hin, dass der Wahlleiter am 18. Dezember 2019 nicht hätte bestellt werden dürfen, weil er bereits am 30. November 2019 zum stellvertretenden Beauftragten es Wahlvorschlages „FWG“ gewählt worden sei. Auch das sieht das Gericht ebenso. Damit wurde gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 4 GLKrWG verstoßen. Auch das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Hinzu kommt, dass die Niederschrift über die Aufstellungsversammlung der „FWG“ widersprüchlich ist. Während auf Seite 1 dieses Vordruckes (Bl. 214 d.A. Wahlvorschläge) der Kläger als Leiter der Aufstellungsversammlung genannt wird, wird auf S. 11 (Bl. 219 d.A. Wahlvorschläge) der später zum Wahlleiter bestimmte Herr E. als Versammlungsleiter benannt.
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Diese gravierenden Verstöße haben jedenfalls dann die Ungültigkeit der Wahl zur Folge, wenn der Wahlleiter die Wahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat (vgl. Büchner, Kommunalwahlrecht in Bayern, Stand: 2/2020, 11.05, Anm. 1 a.E.; 11.50, Anm. 9). Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 1 Satz 4 GLKrWG ist die Vermeidung von Interessenkollisionen, wie sich aus Ziff. 6.1.1 Satz 3 Gemeinde- und Landkreiswahlbekanntmachung (GLKrWBek) eindeutig entnehmen lässt. Insoweit gilt nichts anderes als bei der fehlerhaften Besetzung des Wahlausschusses, wenn bei einer anderen Zusammensetzung auch eine andere materielle Entscheidung des Wahlausschusses konkret möglich gewesen wäre. In diesen Fällen besteht Verdunkelungsgefahr (vgl. BayVGH, U.v. 11.7.1991 - 4 B 91.18 - BayVBl 1992, 309). Vorliegend ist besonders bedeutsam, dass der Wahlleiter die Fehler bei der Gruppierung nicht beanstandet hat, der er selbst angehört. Zwar rechtfertigen die Verstöße des Wahlleiters bei der Prüfung der Wahlvorschläge für sich allein nicht die Ungültigkeitserklärung, wie sich aus Art. 50 Abs. 4 Satz 2 GLKrWG ergibt. Um einen solchen Verstoß geht es vorliegend aber nicht. Vielmehr ist entscheidend, ob ausgeschlossen werden kann, ob ein anderer, ordnungsgemäß bestellter Wahlleiter bei sorgfältiger Prüfung der von der Gruppierung „FWG“ eingereichten Unterlagen, zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, nämlich den Wahlvorschlag der „FWG“ entsprechend Art. 32 Abs. 1 GLKrWG zu behandeln, indem er die Beauftragten des Wahlvorschlages zur Berichtigung der Fehler bzw. Einreichung eines neuen Wahlvorschlages auffordert. Weist der Wahlleiter - wie hier - weder die Beauftragten des Wahlvorschlages noch die Mitglieder des Wahlausschusses auf die offensichtlich vorliegenden Fehler hin, hat das zur Folge, dass der Wahlausschuss aufgrund dieser fehlerhaften Prüfung des Wahlleiters eine materiell unrichtige Entscheidung trifft. Im Übrigen wird damit auch eine Heilung der Fehler aus der Aufstellungsversammlung (vgl. Ziff. 50.2.5 GLKrWBek) unmöglich gemacht.
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Die Vielzahl gravierender Fehler durch den Wahlleiter zeigen jedenfalls, dass er sein Amt nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. In diesem Fall kann die Ungültigkeitserklärung nicht nur auf die materiellen Fehler, sondern bereits auf den formellen Fehler (Bestellung Wahlleiter) gestützt werden (vgl. BayVGH, U.v. 11.7.1991 - 4 B 91.18 - BayVBl 1992, 309).
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1.2.2.3 Das Landratsamt hat (jedenfalls) bezogen auf die fehlerhafte Bestellung des Wahlleiters die Frist zur Ungültigkeitserklärung nicht eingehalten.
36
Nach Art. 50 Abs. 5 Satz 1 GLKrWG ist u.a. die Ungültigkeitserklärung sowie deren Änderung oder Aufhebung nur innerhalb einer Frist von vier Monaten nach Verkündung des abschließenden Wahlergebnisses zulässig.
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Es ist zwischen den Beteiligten nicht strittig, dass diese Frist nicht eingehalten wurde. Die Frist beginnt mit der Verkündung des Wahlergebnisses durch den Wahlleiter (Art. 19 Abs. 3 Satz 5 GLKrWG) zu laufen (Art. 30 Abs. 5 Satz 1 GLKrWG; § 92 Abs. 3 Satz 1 GLKrWO). Den Akten kann nicht entnommen werden, wann diese Verkündung (siehe dazu unten) tatsächlich erfolgt ist, sondern nur, dass das Wahlergebnisses durch den Wahlausschuss am 26. März 2020 (vgl. Art. 19 Abs. 3 Satz 2 GLKrWG; § 92 Abs. 2 GLKrWO) festgestellt wurde. Der Bekanntmachungsvermerk (§ 92 Abs. 3 Satz 2; § 98 Nr. 1 GLKrWO) trägt das Datum „27. MRZ. 2020“. Die Vier-Monats-Frist hat deshalb spätestens am 27. März 2020 begonnen und spätestens mit Ablauf des 27. Juli 2020 geendet.
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Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob die Fristverlängerung mit Schreiben vom 17. Juli 2020 zu Recht erfolgt ist. Nach Art. 50 Abs. 5 Satz 2 GLKrWG kann (Ermessen) die Rechtsaufsichtsbehörde die Frist für die Ungültigkeitserklärung dann verlängern, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass die Wahl für ungültig zu erklären ist, es aber noch einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes bedarf. Die Wahlprüfung ist grundsätzlich mit größtmöglicher Beschleunigung durchzuführen (Ziff. 87 Satz 1 GLKrWBek). Für eine Fristverlängerung müssen hinreichend konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass es zu einer Ungültigkeitserklärung kommen wird (Ziff. 87 Satz 4 GLKrWBek). Dabei ist Arbeitsüberlastung kein Grund für eine Fristverlängerung (Ziff. 87 Satz 6 GLKrWBek). Die Entscheidung und die Gründe hierfür sind aktenkundig zu machen (Ziff. 87 Satz 7 GLKrWBek). Es handelt sich bei der Fristverlängerung um eine nicht selbständige angreifbare Verfahrenshandlung (Büchner, Kommunalwahlrecht in Bayern, Stand: 2/2020, 11.50, Anm. 16).
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Begründet hat das Landratsamt die Fristverlängerung am 17. Juli 2020 damit, es sei nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der noch nachzureichenden Unterlagen bzw. des noch aufzuklärenden Widerspruchs das abschließende Ergebnis der Gemeinderatswahl zumindest zu berichtigen sei. Angefordert hat das Landratsamt mit dem vorgenannten Schreiben „sämtliche zurückgewiesenen Wahlbriefe“, die „beschlussmäßig behandelten Stimmzettel des Urnenwahlbezirks 2 und des Briefwahlbezirks“, die „Bekanntmachung der Sitzung des Wahlausschusses zur Feststellung des abschließenden Wahlergebnisses“ und die „Bekanntmachung der Form der Verkündung des vorläufigen Wahlergebnisses“. Außerdem wurde gebeten, den Widerspruch zwischen der Checkliste des Wahlleiters und dem vorgelegten Wahlvorschlag „FWG“, bei dem die zehn Unterschriften von Wahlberechtigten fehlen, aufzuklären, nachdem in einem Telefonat mit dem Wahlleiter zuvor nicht geklärt werden konnte, ob diese Unterschriften existieren.
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Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese fehlenden Unterschriften zu diesem Zeitpunkt noch nachgereicht werden konnten. Sie fehlen ersichtlich auf dem entsprechenden Vordruck. Das Landratsamt geht im angefochtenen Bescheid selbst zutreffend davon aus, dass diese Unterschriften spätestens bis zur Entscheidung des Beschwerdeausschusses bei der Regierung von Unterfranken am 17. Februar 2020 hätten vorliegen müssen (Art. 32 Abs. 5 GLKrWG; § 47 Abs. 1 Nr. 9 GLKrWO). Ob sich aus Art. 50 Abs. 4 Satz 1 GLKrWG etwas anderes ergibt, ist fraglich. Der Wortlaut dieser Vorschrift ist nicht besonders gut geglückt, weil er nicht eindeutig regelt, ob nur fehlende Unterschriften der die Aufstellungsversammlung leitenden Person oder des Wahlleiters gemeint sind oder auch fehlende Unterschriften von Wahlberechtigten zur Unterstützung des Wahlvorschlages (materielles Wahlrecht), die etwa auf einem gesonderten Blatt und nicht auf dem amtlichen Vordruck erfolgt sind, als „auf andere Weise erbracht“ anzusehen sind und noch bei der Wahlprüfung entgegen Art. 32 Abs. 5 GLKrWG und § 47 Abs. 1 Nr. 9 GLKrWO zu berücksichtigen sind. Diese unklare Regelung hat vorliegend das Landratsamt ersichtlich zu seiner Nachfrage veranlasst.
41
Diese Frage muss aber vorliegend nicht weiter geklärt werden, weil in Bezug auf die fehlerhafte Bestellung des Wahlleiters und seine Fehler im Wahlverfahren keine Unklarheiten bestanden, die noch einer Aufklärung bedurft hätten. Für die Entscheidung über die Ungültigkeitserklärung waren die im Schreiben vom 17. Juli 2020 gestellten Fragen allesamt nicht relevant. Es stand zu diesem Zeitpunkt die fehlerhafte Bestellung des Wahlleiters und die von ihm begangenen Verstöße gegen geltendes Wahlrecht bereits fest, die eindeutig den Schluss auf eine daraus folgende Verdunkelung des Wahlergebnisses im Hinblick auf die Sitzverteilung zulassen (siehe oben). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass das Landratsamt eine Vielzahl von Gemeinden zu überprüfen hat und diese Prüfung - wie der vorliegende Fall verdeutlicht - sehr aufwändig sein kann, wenn eine Vielzahl von Fehlern vorliegen und diese jeweils gesondert anhand der wahlrechtlichen Vorschriften zu bewerten sind. Dem Gericht ist auch die angespannte Personalsituation am Landratsamt im Hinblick auf das Pandemiegeschehen bekannt. Insoweit hätte aber allenfalls der Gesetzgeber durch eine maßvolle Verlängerung der Prüffrist ändernd eingreifen können. Nach der geltenden Wahlbekanntmachung (Ziff. 87 Satz 6 GLKrWBek) ist jedenfalls Arbeitsüberlastung kein zulässiger Grund für eine Fristverlängerung. Auch das nachvollziehbare Argument des Landratsamtes, dass die Einhaltung der Frist bei der Vielzahl der zu prüfenden Gemeinden dann problematisch ist, wenn bei einer der zuletzt geprüften Gemeinden größere Fehler passiert sind, kann vor diesem Hintergrund nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Allerdings ist es positiv zu werten, wenn das Landratsamt dem sich aus Art. 50 Abs. 4 GLKrWG und Ziff. 87.1 und 87.2.3 GLKrWBek zu entnehmenden Willen des Gesetzgebers entsprechend darum bemüht, eine Ungültigkeitserklärung möglichst zu vermeiden.
42
Klarzustellen ist aber auch: Aus den vorgelegten Akten ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerseite und einer veröffentlichten Meinung eindeutig, dass die Wahlprüfung der Gemeinden im Landkreis Würzburg nicht zunächst zurückgestellt und erst auf Veranlassung der Regierung von Unterfranken durchgeführt worden ist.
43
Nach all dem gab es keinen hinreichenden Grund für weitere Sachverhaltsermittlungen. Weil die fehlerhafte Bestellung des Wahlleiters und dessen Fehler im Verfahren feststanden, hätte am 17. Juli 2020 eine Anhörung der Betroffenen (Gewählte und Listennachfolger) mit kurzer Anhörungsfrist erfolgen können und noch innerhalb der Vier-Monats-Frist bis 27. Juli 2020 der Bescheid mit der Ungültigkeitserklärung zumindest die Einflusssphäre des Landratsamtes durch Aufgabe zur Post verlassen können (vgl. BayVGH, U.v. 20.3.1985 - 4 B 85. A. 62 - BeckRS 1985, 108835 = BayVBl 1985, 530).
44
Der nach Ablauf des 27. Juli 2020 ergangene Bescheid vom 25. September 2020 ist deshalb rechtswidrig, weil er nicht innerhalb der Vier-Monats-Frist ergangen ist. Wahlrechtliche Fristen sind nach der Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U.v. 20.3.1985 - 4 B 85. A. 62 - BeckRS 1985, 108835 = BayVBl 1985, 530) streng zu handhaben, was sich auch an dem Umstand zeigt, dass entgegen Art. 32 BayVwVfG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Art. 55 Abs. 2 Satz 2 GLKrWG ausgeschlossen wird. Die vom Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eingeführte Frist führt dazu, dass es bei dem am 26. März 2020 vom Wahlausschuss festgestellten Ergebnis sein Bewenden hat, auch wenn materiell-rechtliche Fehler im Wahlverfahren vorliegen, die eine Ungültigkeitserklärung grundsätzlich rechtfertigen würden.
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1.2.3 Der Kläger wird durch diesen Bescheid auch in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
46
Durch die streitgegenständliche Ungültigkeitserklärung wird er in einer ihm als Mandatsträger zustehenden Rechtsposition verletzt, denn er verliert durch die Ungültigkeitserklärung sein Mandat (und auch sein Amt als 2. Bürgermeister).
47
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Mangels Beteiligung am Kostenrisiko durch eigene Antragstellung ist es angemessen, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.