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LG München II, Urteil v. 24.07.2020 – 1 KLs 46 Js 2300/19
Titel:

Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus und Gefahrprognose bei paranoider Schizophrenie und geringer Vorbelastung - Vorsatz bei fehlender Unrechtseinsicht - Beuteerhaltungsabsicht beim räuberischen Diebstahl - Keine Einziehung im Sicherungsverfahren (Teilaufhebung durch BGH BeckRS 2020, 39746 !)

Normenketten:
StGB § 20, § 63, § 223, § 244 Abs. 1 Nr. 1a, § 252
StPO § 413, § 435 Abs. 1, § 473 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die paranoide Schizophrenie ist eine krankhafte seelische Störung iSv § 20 StGB, die die Einsichtsfähigkeit aufhebt.  (Rn. 103 und 138) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da natürlicher Vorsatz ausreicht, steht wahnbedingt fehlende Unrechtseinsicht der Verwirklichung des subjektiven Tatbestands nicht entgegen.  (Rn. 131 und 136) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erhebliche Taten iSv § 63 S. 2 StGB drohen trotz bisheriger Bagatelltaten des Beschuldigten, wenn dieser Gewaltfantasien hat, Messer und Werkzeuge mitführt, ihm die Hemmschwelle wegen fehlender Unrechtseinsicht fehlt, Medikamente ablehnt, er alkohol- und betäubungsmittelabhängig ist und die Reaktionen ahnungsloser Opfer nicht vorhersehbar sind.  (Rn. 142 – 144 und 179 – 193) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein bei Diebstahlsbegehung in der Hosentasche befindliches Küchenmesser mit 7 cm langer Klinge ist geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen und damit gefährliches Werkzeug iSv § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. Offen bleibt, ob dies auch für ein mitgeführtes Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 4 cm gilt. (Rn. 131) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Feststellung, dass der im Besitz der Beute befindliche Täter sich der Festnahme durch Gewaltanwendung zu entziehen versucht, rechtfertigt noch nicht den Schluss auf Beuteerhaltungsabsicht iSv § 252 StGB, wenn sich die Beute in der Hosentasche befand, was die Möglichkeit nahe legt, dass es dem Täter während der Auseinandersetzung gar nicht möglich gewesen wäre, sich der Beute zu entledigen (ebenso OLG Köln, BeckRS 9998, 25831 = NStZ-RR 2004, 299). (Rn. 133) (redaktioneller Leitsatz)
6. Wird Beuteerhaltungsabsicht iSv § 252 StGB nach dem Zweifelsgrundsatz verneint, ist bei Beurteilung der Konkurrenzen in erneuter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von einer solchen Absicht auszugehen und Tateinheit zwischen allen bis zur Beendigung des Diebstahls verletzten Strafgesetzen anzunehmen (ebenso BGH BeckRS 2005, 10258). (Rn. 134) (redaktioneller Leitsatz)
7. Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen als sonstige Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) kommen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 435 StPO), wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 S. 1, 2 StGB vorliegen. Hierzu ist gemäß § 435 Abs. 1 S. 1 StPO ein gesonderter Antrag der StA erforderlich, ohne den es für die Einziehung an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt (stRspr, zB BGH BeckRS 2020, 6140 mwN). (Rn. 211) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
paranoide Schizophrenie, Einsichtsfähigkeit, natürlicher Vorsatz, Unterbringung, Gefährlichkeitsprognose, Bagatelltaten, Beuteerhaltungsabsicht, Räuberischer Diebstahl, Zweifelssatz, Konkurrenzen, Einziehung, Sicherungsverfahren
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 25.11.2020 – 1 StR 420/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 39747

Tenor

I. Die Unterbringung des Beschuldigten S1., R., übrige Personalien wie erhoben, in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet.
II. Der Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens.

Entscheidungsgründe

A. Verfahrensgeschichte
1
I. Vorangehend hat die 3. Strafkammer des Landgerichts München II am 01.08.2019 im Sicherungsverfahren unter dem damaligen Aktenzeichen 3 KLs 46 Js 2300/19 folgendes Urteil erlassen:
2
I. Die Unterbringung des Beschuldigten R1. S1. in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet.
3
II. Der Beschuldigte trägt Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen.
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III. Die Einziehung der sichergestellten Messer (Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 4 cm und Küchenmesser mit feststehender Klinge, Klingenlänge 7cm wird angeordnet.
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II. Auf die Revision des Beschuldigten vom 02.08.2019 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 12.02.2020 (Az. 1 StR 25/20) beschlossen:
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1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 1. August 2019 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
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2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof ausgeführt:
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Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zwei Tatmesser eingezogen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte unter paranoider Schizophrenie. Infolge seiner Verfolgungswahnvorstellungen wollte er die ihm nur vom Sehen her bekannte Mitarbeiterin eines Supermarktes, die Zeugin P., aus Wut zur Rede stellen, weil sie „in seinem früheren Leben … ´gewisse Dinge getan´“ habe. Um die Auseinandersetzung zu suchen, begab sich der Beschuldigte, ein Taschen- und ein Küchenmesser griffbereit in einer Seitentasche seiner Hose mit sich führend, am 26. Juli 2018 in die Supermarktfiliale, entnahm einem Schrank zwei Zigarettenpackungen und steckte diese in seine Hosentasche (Fall I.1 der Urteilsgründe). Die Kassiererin M. bemerkte dies und hielt den Beschuldigten am Rucksack fest; in P. Gegenwart ergriff der stellvertretende Marktleiter Mi. den Beschuldigten und führte diesen in sein Büro. Dort angekommen, schlug der Beschuldigte mit seinen Armen um sich, um sich aus der Umklammerung durch Mi. zu lösen, trat diesem gegen das Schienbein und stieß mit seinem Kopf gegen dessen Brustkorb. Der Beschuldigte wollte fliehen und die Zigaretten behalten. Zugleich suchte er nach wie vor die Konfrontation mit P., welcher er Angst machen wollte. Der Beschuldigte war bei dieser wie auch den beiden nachfolgenden Taten (Diebstahl mit Waffen; Besitz eines Schlagrings) infolge der paranoiden Schizophrenie „nicht in der Lage, das Unrecht der Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“ (UA S. 13).
II.
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1. Die Unterbringungsanordnung (§ 63 StGB) weist durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten auf.
13
a) Die Feststellung, der Beschuldigte habe sich im Besitz der gestohlenen Zigaretten erhalten wollen (§ 252 StGB), ist nicht tragfähig belegt. Diese Absicht, den Gewahrsam an den entwendeten Gegenständen zu sichern, um sich diese zuzueignen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1986 - 2 StR 414/86 Rn. 18, BGHR StGB § 252 Besitzerhaltungsabsicht 1), lässt sich nicht mit dem für die Verhängung der Maßregel erforderlichen symptomatischen Zusammenhang vereinbaren: Wenn der Beschuldigte die Tat beging, um infolge seines wahnhaften Verfolgungserlebens die Auseinandersetzung mit der Zeugin P. zu suchen, widerspricht dies dem Ziel, unter Mitnahme der Beute zu fliehen. Diesen Widerspruch hat das Landgericht nicht aufgelöst (vgl. insbesondere UA S. 33); er lässt sich insbesondere nicht damit erklären, dass die Besitzerhaltungsabsicht nicht alleiniger Beweggrund der Tat sein muss. Vor diesem Hintergrund trägt allein das Geständnis des Beschuldigten nicht die Annahme der Besitzerhaltungsabsicht, zumal ein „Geständnis“, das ersichtlich in einem wahnbedingten Zusammenhang steht, besonders kritischer Überprüfung bedarf.
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b) Zudem bleibt unklar, ob das Landgericht seiner Unterbringungsanordnung eine fehlende Unrechtseinsicht oder eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit zugrunde gelegt hat: Während sich der festgestellte Sachverhalt auf eine mangelnde Einsichtsfähigkeit stützt (UA S. 13), geht das Landgericht in der Beweiswürdigung von einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit aus (insbesondere UA S. 21, 24). Die Frage, welche der beiden Alternativen (§ 20 StGB) das Landgericht annehmen wollte, darf indes nicht offenbleiben. Denn die Einschränkung oder gar Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ist grundsätzlich erst dann zu prüfen, wenn der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war. Mangels eindeutiger Feststellungen ist dem Revisionsgericht in solchen Fällen die Überprüfung verwehrt, ob die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtsfehlerfrei ist (BGH, Beschlüsse vom 7. November 2018 - 5 StR 449/18 Rn. 7; vom 11. Juli 2017 - 3 StR 90/17 Rn. 12; vom 7. März 2017 - 3 StR 521/16 Rn. 6; vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 Rn. 18; vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13 Rn. 5; vom 8. April 2003 - 3 StR 79/03 Rn. 9 und vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86 Rn. 3, BGHR StGB § 63 Schuldfähigkeit 1).
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2. Die Einziehung der beiden Tatmesser hat ebenfalls keinen Bestand. Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen als sonstige Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) kommen dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 435 StPO), wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 Satz 1, 2 StGB vorliegen. Der insoweit gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche gesonderte Antrag ist nicht gestellt worden, sodass es für die Einziehung an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2018 - 3 StR 549/17 Rn. 13, vom 20. Juni 2018 - 2 StR 127/18 Rn. 3; vom 12. Dezember 2017 - 3 StR 558/17 Rn. 3 und vom 6. August 2019 - 3 StR 46/19 Rn. 13zu § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB]).
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3. Die Feststellungen zu den äußeren Geschehensabläufen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
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4. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird - sollte es wiederum zu Beutesicherungsabsicht mit Gewalt gelangen - im Fall I.1 der Urteilsgründe zu beachten haben, dass das Mitsichführen der beiden Messer ohne deren Verwendung dem Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB unterfällt, nicht dem des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.
B. Persönliche Verhältnisse
I. Äußerer Lebenslauf
18
Der Beschuldigte ist am ... 1984 in P. geboren.
19
Die Mutter des Beschuldigten, M. Sch., ist Einzelhandelskauffrau und arbeitet in der Gastronomie. Die Mutter trennte sich noch vor der Geburt des Beschuldigten von dessen leiblichem Vater, der manisch-depressiv war. Seit dem 3. Lebensjahr des Beschuldigten war ein Stiefvater vorhanden, zu dem er ein gutes Verhältnis hatte.
20
Bis zu seinem 15. Lebensjahr wuchs der Beschuldigte bei seiner Familie auf. Aufgrund zunehmender Probleme wegen Drogen, Abgängigkeit und Schuleschwänzens lebte der Beschuldigte sodann für einige Zeit in einem Heim für Jugendliche.
21
Der Beschuldigte hat seit dem Jahr 2012 bis auf wenige Ausnahmen keinen Kontakt zur Mutter mehr.
22
Der Beschuldigte hat eine sechseinhalb Jahre jüngere Halbschwester D., zu der er ebenfalls keinen Kontakt mehr hat.
23
Der Beschuldigte ist ledig und hat keine Kinder.
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Als Erwachsener lebte der Beschuldigte insgesamt fünf Jahre in einer sozialen Einrichtung der Barmherzigen Brüder in S./Rheinland-Pfalz. Seit dem Jahr 2011 bzw. 2012 ist der Beschuldigte obdachlos und übernachtete, wenn er sich nicht in psychiatrisch-stationärer Behandlung oder entsprechenden sozialen Einrichtungen befand, entweder im Freien, in der Bahnhofsmission oder in Obdachlosenunterkünften. Vor seiner Inhaftierung im September 2018 hielt sich der Beschuldigte insbesondere in der Obdachlosenunterkunft L. in G.-P. auf.
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Der Beschuldigte lebte zuletzt von einer Erwerbsminderungsrente und Grundsicherung.
II. Schulischer und beruflicher Werdegang
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Der Beschuldigte besuchte nach dem Kindergarten die Grundschule und im Anschluss hieran die Gesamtschule. Diese verließ er, ohne den Hauptschulabschluss zu erreichen. Im Jahr 1999/2000 absolvierte er im Rahmen einer Maßnahme nach § 35 BtMG ein Jahr auf einer Sonderschule.
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In der beschützenden Einrichtung der Barmherzigen Brüder in S. absolvierte der Beschuldigte in den Jahren 2008 bis 2011 eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Nachdem er zunächst die Abschlussprüfung nicht geschafft hatte, schloss er diese Ausbildung im Jahr 2015 extern erfolgreich ab.
III. Suchtmittelgebrauch
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Der Beschuldigte konsumierte ab dem zwölften Lebensjahr zunächst Marihuana und Haschisch. In der Folgezeit begann der Beschuldigte zusätzlich Amphetamine bzw. LSD sowie weitere Halluzinogene (insbesondere Pilze) zu konsumieren, wenig darauf auch Kokain und Heroin, auch intravenös.
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Vielfache Entwöhnungstherapien blieben ohne bzw. ohne dauerhaften Erfolg.
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Ab dem Jahr 2011 steigerte der Beschuldigte zunehmend auch seinen Alkoholkonsum auf bis zu etwa zehn Flaschen Bier pro Tag. Im Entzugsfall kam es mehrfach zu Delirien.
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Der Beschuldigte ist Raucher. Derzeit raucht er ca. 20 Zigaretten am Tag.
IV. Gesundheitliche Umstände
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Der Beschuldigte litt bereits seit seiner Einschulung unter ADS und erhielt im Zuge der Behandlung dieser Erkrankung auch Ritalin (Medikinet).
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Seit dem Jahr 2002, in der Folge öfters, litt der Beschuldigte unter Verfolgungserleben.
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Jedenfalls ab dem Jahr 2012 befand sich der Beschuldigte aufgrund der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie sowie eines polyvalenten Abhängigkeitssyndroms in unregelmäßigen Abständen in Behandlung in diversen psychiatrischen Kliniken. Bei fehlender bzw. geringer Medikamentencompliance des Beschuldigten während bzw. nach jeweiligem Abschluss der stationären Aufenthalte und Drogen- bzw. Alkoholrückfällen wurde wiederholt, jedoch nicht durchgehend, zivilrechtlich wegen Fremd- oder Selbstgefährdung die geschlossene Unterbringung angeordnet.
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Der Beschuldigte hat insgesamt drei Suizidversuche unternommen.
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Seit dem Jahr 2015 leidet der Beschuldigte zunehmend an Aggressionsgefühlen und Gewaltfantasien. Dies trat erstmals im Herbst 2015 nach Absetzen der psychiatrisch verordneten Medikation, begleitet von paranoiden Wahnvorstellungen, auf.
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Zuletzt befand sich der Beschuldigte vom 03.04.2018 bis 04.05.2018 und vom 30.05.2018 bis 18.06.2018 in der L1. M1. Klinik G.-P. in stationär-psychiatrischer Behandlung. Die Aufnahme im April 2018 erfolgte bei vermehrten Gewaltfantasien („Verkauf“ einer Mitarbeiterin des Ludwigsbades, einer Suchthilfeeinrichtung, an einen Mitbewohner mittels „psychischer Gewalt“; Erschießen der für die politische Unsicherheit Verantwortlichen oder von Menschen in einem Gefängnis). Die fremdaggressiven Impulse waren während des Aufenthaltes deutlich reduziert und es war, wenn sie sich zeigten, eine Deeskalation stets möglich. Die Aufnahme Ende Mai 2018 erfolgte, nachdem der Beschuldigte nach einem Alkoholrückfall nicht mehr in die Suchteinrichtung Ludwigsbad zurückkehren wollte. Auf Wunsch des Beschuldigten wurde bei seinerzeit fehlender produktiver Symptomatik begonnen, die antipsychotische Medikation schrittweise zu reduzieren. Am 18.06.2018 wurde der Beschuldigte - nach einem Suchtmittelrückfall bei einem Ausgang am Vortag - aus disziplinarischen Gründen aus der psychiatrischen Klinik entlassen.
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In der einstweiligen Unterbringung erhält der Beschuldigte insbesondere zweimal täglich 300 mg Gabapentin zur Stimmungsstabilisierung und Suchtdruckminderung sowie das Neuroleptikum Seroquel prolong in einer Dosis von 300 mg/Tag und das atypische Neuroleptikum Olanzapin in einer Dosis von 10 mg/Tag. Eine höhere Gabe insbesondere von Seroquel, wie ärztlich angeraten, sowie die Einnahme von Neuroleptika in Depotform lehnt der Beschuldigte ab. Der Beschuldigte nimmt an der Beschäftigungstherapie teil, zieht sich ansonsten aber meist in sein Zimmer zurück und betätigt sich dort kreativ (Malen, Bastelarbeiten, Sammeln von Gegenständen). Es kam mehrmals zu Suchtmittelrückfällen (Methadon, Subutex). Therapeutische Angebote im Übrigen, insbesondere die Teilnahme an therapeutischen Einzelgesprächen, nimmt der Beschuldigte nicht wahr. Er leidet weiter an Gewaltfantasien.
V. Vorstrafen
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Der Beschuldigte ist bislang wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. 15.11.2011 durch das AG Neuwied, rechtskräftig seit 05.03.2013, wegen Diebstahls geringwertiger Sachen: 15 Tagessätze zu je 10,00 EUR Geldstrafe
2. 11.02.2013 durch das AG Stuttgart, rechtskräftig seit 28.02.2013, wegen Diebstahls: 10 Tagessätze zu je 10,00 EUR Geldstrafe
3. 23.04.2013 durch das AG München, rechtskräftig seit 22.05.2013, wegen Erschleichens von Leistungen: 20 Tagessätze zu je 15,00 EUR Geldstrafe
4. 29.05.2013 durch das AG Tirschenreuth, rechtskräftig seit 18.06.2013, wegen Erschleichens von Leistungen: 40 Tagessätze zu je 10,00 EUR Geldstrafe
5. 24.07.2013 durch das AG Tirschenreuth, rechtskräftig seit 08.08.2013; nachträglich durch Beschluss gebildete Gesamtstrafe; einbezogen wurden die Entscheidungen vom 29.05.2013 des AG Tirschenreuth sowie vom 24.07.2013 des AG München: 50 Tagessätze zu je 10,00 EUR Geldstrafe
6. 13.10.2016 durch das AG Rosenheim, rechtskräftig seit 26.10.2016, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln: 10 Tagessätze zu je 3,00 EUR Geldstrafe, Verbot der Beschäftigung, Beaufsichtigung, Anweisung und Ausbildung Jugendlicher (gesetzlich eingetretene Nebenfolge nach § 25 JArbSchG).
VI. Einstweilige Unterbringung/Haftdaten
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Der Beschuldigte wurde am 27.09.2018 in dieser Sache vorläufig festgenommen. Vom 28.09.2018 bis zum 29.01.2019 befand sich der Beschuldigte in dieser Sache in Untersuchungshaft in der JVA M.-St. aufgrund Untersuchungshaftbefehls des Amtsgerichts München vom 26.09.2018, Gz.: ER III Gs 7951/18. Seit 29.01.2019 ist der Beschuldigte einstweilig untergebracht aufgrund Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts München vom 22.01.2019 (Gz.: ER VI Gs 235/19), wobei sich der Beschuldigte bis 26.02.2019 im I.-A.-Klinikum M.-O. befand und seither im Bezirkskrankenhaus St..
C. Festgestellter Sachverhalt
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I. Am 26.07.2018 gegen 14:10 Uhr begab sich der Beschuldigte in den EDEKA-Markt in der V. Straße 7 in G.-P.. Der Beschuldigte wollte dabei bewusst die Konfrontation mit einer Verkäuferin des EDEKA-Marktes, die er nur vom Sehen und nicht namentlich kannte, suchen, da er auf diese wütend war und dieser zumindest Angst machen wollte.
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Auch um diese Konfrontation herbei zu führen, entwendete der Beschuldigte zwei Packungen Zigaretten, davon eine Packung der Marke Marlboro und eine Packung der Marke JPS, im Wert von 12,40 EUR, um diese ohne Berechtigung zu behalten. Dabei begab sich der Beschuldigte zu der Kasse, an der die Kassiererin V. Mau. zu diesem Zeitpunkt einen Kunden abrechnete und aus diesem Grund der Rolladen des Zigarettenschranks geöffnet war, griff, für die Kassiererin nur zufällig erkennbar, seitlich hinter der Kassenauslage stehend in das Zigarettenfach und nahm die beiden Zigarettenpackungen. Anschließend steckte er diese in seine Hosentasche und begab sich in Richtung Ausgang.
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Bei dem Versuch, den EDEKA-Markt zu verlassen, wurde der Beschuldigte von der Kassiererin Mau. angesprochen und am mitgeführten Rucksack festgehalten. Unmittelbar im Anschluss kamen zunächst auch die herbeigerufene Mitarbeiterin des Marktes A. P. und kurz darauf der stellvertretende Marktleiter Al. Mi. hinzu. Dieser legte seine Arme um den Beschuldigten, um diesen zu fixieren und in sein Büro zu bringen. Daraufhin ließ sich der Beschuldigte zunächst ohne Gegenwehr zu dem Büro des stellvertretenden Marktleiters Al. Mi. führen. Im Büro des stellvertretenden Marktleiters schlug der Beschuldigte dann mit seinen Armen wild um sich, um sich aus der Umklammerung des Zeugen A. M2. zu befreien, was ihm jedoch nicht gelang. Sodann trat er diesem heftig mit seinem Fuß gegen das Schienbein und stieß mit seinem Kopf wie ein Stier gegen dessen Brustkorb, um ihn zu verletzen. Al. Mi. verspürte zwar zunächst keine Schmerzen, am Abend aber ein vorübergehendes Pochen am Schienbein.
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Während der gesamten Zeit trug der Beschuldigte, wie er wusste, griffbereit in der rechten Seitentasche seiner Hose ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von etwa 4 cm sowie ein Küchenmesser mit einer feststehenden Klinge mit einer Klingenlänge von 7 cm bei sich.
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Strafantrag wurde vom Geschädigten M2. form- und fristgerecht gestellt.
46
II. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt am 25.09.2018 zwischen 21:00 Uhr und 22:30 Uhr drang der Beschuldigte nicht ausschließbar durch ein unverschlossenes Tor in die KFZ-Werkstatt des Autohauses St. in der H1. straße 16 in G.-P. ein.
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Er durchsuchte die dortigen Geschäftsräume und entwendete ein Paar Arbeitsschuhe in der Größe 42 im Wert von etwa 30 EUR, einen schwarzen Schlagring, bei dem es sich, wie er wusste, um eine verbotene Waffe handelt, ein Einmachglas mit Kleingeld in nicht bekannter Höhe sowie einen Verkleidungsabheber des Mitarbeiters der Firma St., T. G., um diese Gegenstände ohne Berechtigung für sich zu behalten. Der Beschuldigte verblieb einige Zeit in der Werkstatt. Er handelte auch, um hierdurch eine Konfrontation mit dem Geschädigten, den er nicht näher kannte, von dem er sich aber provoziert fühlte, auszulösen.
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III. Bis zum 26.09.2018 gegen 21:45 Uhr übte der Beschuldigte in G.-P., wie er wusste, weiterhin die tatsächliche Gewalt über den zuvor in der KFZ-Werkstatt des Autohauses St. entwendeten Schlagring aus. Diesen trug er bei sich, um sich in etwaigen künftigen Auseinandersetzungen jedenfalls schützen zu können. Hierbei handelte es sich, wie der Beschuldigte wusste, um eine verbotene Waffe.
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Der Beschuldigte leidet an einer paranoiden Schizophrenie sowie unter einem polyvalenten Abhängigkeitssyndrom. Er war infolge wahnhaften Erlebens aufgrund der paranoiden Schizophrenie bereits nicht in der Lage, das Unrecht der jeweiligen Tat einzusehen.
D. Beweiswürdigung
I. Zu den persönlichen Verhältnissen
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Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen, soweit der Beschuldigte sich einließ, auf dessen glaubhaften Angaben in der Hauptverhandlung.
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Diese wurden bestätigt und ergänzt durch die Angaben des psychiatrischen Sachverständigen Dr. L2., der nachvollziehbar und widerspruchsfrei von den Angaben des Beschuldigten ihm gegenüber im Rahmen der Exploration berichtete und die biographischen Daten des Beschuldigten bzgl. der von ihm beigezogenen Krankenunterlagen/Arztbriefe wiedergab. Ergänzend beruhen die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen auch auf den Angaben der Zeugin D., Oberärztin im Bezirkskrankenhaus St., die nachvollziehbar, widerspruchsfrei und erkennbar ohne jeden Belastungseifer Ausführungen zur gegenwärtigen Behandlungssituation des Beschuldigten machte.
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Die Feststellungen zu den Vorstrafen beruhen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 22.06.2020, dessen Inhalt der Beschuldigte als richtig anerkannte.
II. Zum Sachverhalt
53
Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen im Hinblick auf das jeweilige objektive Tatgeschehen auf den bestandskräftigen und damit bindenden Feststellungen des Urteils des Landgerichts München II vom 01. August 2019.
54
Die Kammer hat hierzu ergänzende, nicht widersprechende Feststellungen (vgl. BGHSt 30, 340 = NJW 1982, 1295) im Hinblick auf das objektiven Tatgeschehen insbesondere durch Verlesung des Strafantrags des Geschädigten M2. getroffen. Weiterhin hat die Kammer ergänzende Feststellungen bzgl. der jeweiligen subjektiven Tatseite und die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zum Zeitpunkt der jeweiligen Tatgeschehen getroffen.
1. Tat vom 26.07.2018 a) Einlassung des Beschuldigten
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Der Beschuldigte ließ sich zu seiner Motivation bzgl. der Tat vom 26.07.2018 insbesondere dahingehend ein, dass er nicht zulasse, dass „die“ (= Mitarbeiterin im EDEKA-Markt) sein Leben betrübe. Er habe, wie schon in der letzten Hauptverhandlung ausgeführt, eine Konfrontation auslösen wollen. Die Konfrontation habe dann ja auch stattgefunden, „auch“ mit Herrn M2. und der Polizei. Auch die Gerichtsverhandlung sei eine Konfrontation. Wie sich eine derartige Konfrontation entwickele, hänge von der jeweiligen Situation und Reaktion der anderen ab. Die Konfrontation mit der Mitarbeiterin habe er gesucht, da diese ja „Leute hindere“. Er habe ihr Angst machen und zu verstehen geben wollen, dass er sich nicht betrügen lasse. Er habe beschlossen, er gehe jetzt rein und „mache ein bisschen Ärger“. Der „Ärger“ bestehe darin, dass sich welche bedroht fühlen und sagen, der müsse weggesperrt werden. Er sehe es als Betrug an, wenn man ihm alles wegnehmen wolle und man ihm vorgebe, alles einzuteilen. Das habe schon auch was mit der Mitarbeiterin im Supermarkt zu tun. Diese habe ihn an sein Leben und an Ärger mit anderen Leuten erinnert. Er werde nicht klein beigeben.
56
Auf Frage, ob der Beschuldigte bei dem wenige Tage zuvor erfolgten Diebstahl von Getränken im gleichen EDEKA-Markt (nicht Gegenstand der Antragsschrift) Kontakt zu der vermeintlichen „Ir. van der H.“ gehabt habe, gab der Beschuldigte an, diese habe die Polizei gerufen. Kontakt habe er zu „der“ zum Glück nicht gehabt. Er habe ihr nur zugehört und ihrer Geldzählerei zugeschaut. Es stimme, dass er der Mitarbeiterin, mit der er bei dem Diebstahl am 26.07. die Konfrontation gesucht habe, einmal etwas nachgerufen habe. Diese habe ihn beleidigend angeschaut. Er habe dann gesagt: „Ich weiß schon, wo ich dich finde.“ Er habe ja schon zu den Namen ein bisschen was gesagt, das könne man ja auch recherchieren, z.B. in anderen Akten. „Ir. van der H.“, die jetzt nun mal „P.h“ heiße, habe Kontakt zu einigen Leuten gehabt, den er auch gesucht habe und auch wieder suchen werde. Die hätten sich da auch unterdrückt gefühlt.
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Die Messer habe er dabei gehabt, weil er damals oft draußen übernachtet habe und diese dafür gebraucht habe. Auf Frage, ob er überlegt habe, diese gegenüber dem Zeugen M2. zum Einsatz zu bringen, gab der Beschuldigte an, das brauche er bei dem nicht. Wenn man etwas getrunken habe, sei es auch nicht gut, wenn der andere einem das Messer abnehmen und gegen einen einsetzen könne. Herrn M2. habe er nur kurz bedroht, indem er ihn am Brustkorb gegen den Türrahmen gedrückt und gesagt habe, dass er sich nicht „verarschen“ lasse.
58
Auf Frage, was der Beschuldigte gewollt habe, als er in den EDEKA gegangen sei, gab dieser an, er habe „Zoff machen“ wollen, es sei ihm um die Konfrontation gegangen. Die Zigaretten hätte er schon gerne gehabt zum Rauchen, „am Schluss“.
b) Aussage des Zeugen POK H.
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Der sachbearbeitende Polizeibeamte gab als Zeuge insbesondere an, es seien durch die Erstzugriffsbeamten ein kleines Schweizer Taschenmesser und eine Art Obstmesser mit feststehender Klinge in einer Beintasche sowie ein Schraubenzieher im Rucksack des Beschuldigten festgestellt worden.
60
Zur Tatmotivation schilderte der Zeuge, er habe den Beschuldigten am Folgetag (27.07.2018) als Beschuldigten vernommen. Dieser habe die Tat, wie er ihm sie vorgehalten habe, zugegeben. Der Beschuldigte habe sich demnach auch gewehrt, um die Zigaretten behalten zu können.
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Es sei aber schwierig gewesen, das Tatmotiv heraus zu bringen. Der Beschuldigte habe angegeben, mit Absicht den Diebstahl im EDEKA begangen zu haben, um erwischt zu werden und eine Konfrontation zu erzwingen. Er habe die Konfrontation mit der Mitarbeiterin gesucht, um diese schlagen zu können, da diese sehr böse zu Freunden von ihm gewesen sei. Genauer habe er das nicht ausführen wollen. Er habe die Frau aus dem EDEKA einige Tage zuvor immer mal wieder provoziert, weil er sie nicht leiden könne. Er habe mit purer Absicht zwei Schachteln Zigaretten geklaut, da ihm bewusst gewesen sei, dass die Angestellte ihm dann wieder hinterher renne und sich an ihn dran hänge.
62
Nicht nachvollziehbar sei für den Zeugen H2. gewesen, dass der Beschuldigte behauptet hatte, die Mitarbeiterin (wohl Frau P.) mit einem Faustschlag am Mund getroffen zu haben, sonst aber niemand geschlagen zu haben, während umgekehrt die Zeuginnen M3. und P. übereinstimmend angaben, vom Beschuldigten nicht geschlagen worden zu sein, und Herr M2. ausgesagt hatte, dass er mit Füßen getreten worden sei und Kopfstöße erhalten habe. Die Aussagen der Zeugen seien für ihn allerdings stimmig gewesen.
63
Frau P. habe in ihrer Zeugenvernehmung auch ausgesagt, dass sie nur einmal zuvor mit dem Rad um die Leute, die vor dem EDEKA trinken (u.a. den Beschuldigten) herum gefahren sei, mehr nicht. Eine andere Mitarbeiterin des EDEKA-Marktes, auf die die Beschreibung des Beschuldigten gepasst habe, sei am Tattag 26.07.2018 im Urlaub gewesen, so dass der Zeuge H2. davon ausgegangen sei, dass es sich nicht um diese gehandelt habe, mit der der Beschuldigte die Konfrontation habe suchen wollen.
c) Aussage der Zeugin M3.
64
Die Zeugin M3. sagte aus, sie erinnere sich an die Hand des Beschuldigten mit den Zigaretten. Es sei alles ganz schnell damals gegangen.
65
Sie habe den Beschuldigten am Rucksack oder Arm festgehalten. Bei ihr sei das ganz ruhig gewesen, bis der Kollege oder die Kollegin gekommen seien. Sie wisse nicht mehr, ob zuerst Frau P. oder Herr M2. dazu gekommen seien. Sie sei dann zurück zur Kasse, um weiter zu kassieren und habe nicht mehr viel mitbekommen.
66
Sie habe verstanden, dass der Beschuldigte auf dem Weg Richtung Büro etwas in der Art wie „in die Zähne“ gesagt habe. Es sei dann auf dem Weg zum Büro auch lauter gewesen, der Beschuldigte habe sich dann gewehrt. Was im Büro gewesen sei, habe sie nicht mitbekommen.
67
Sie könne nichts dazu sagen, ob der Beschuldigte alkoholisiert gewirkt habe.
d) Aussage des Zeugen M2.
68
Al. M., damals stellvertretender Marktleiter des EDEKA-Marktes, gab insbesondere an, es sei am 21.07.2018 eine Anzeige gegen den Beschuldigten bzgl. des Diebstahls von drei Flaschen Bier durch die Mitarbeiterin Frau W. erstellt worden; er selbst wisse nicht mehr, ob ihm der Beschuldigte vor dem 26.07.2018 bereits persönlich aufgefallen war.
69
Der Beschuldigte habe schon, als er ihn vom Kassenbereich zum Büro gebracht habe, ein bisschen Widerstand geleistet; im Büro sei es dann eskaliert. Schon auf dem Weg zum Büro oder im Büro habe er verschiedene wirre Sachen geäußert, etwa in der Art wie „schlag die Zähne raus“ und „Hol doch die Polizei; du hast M. getötet“ bzw. „M. ist tot“. Er habe auch komisch mit den Zähnen geknirscht und die Augen weit aufgerissen, „Zombiegrimassen“ gemacht, was sehr beängstigend ausgesehen habe. Im Büro habe der Beschuldigte auch gesagt, dass er ein Messer dabei habe, er habe dann Angst bekommen und den Beschuldigten auf den Boden gezerrt, um ihn dort festzuhalten.
70
Der Beschuldigte habe einen auffälligen Eindruck gemacht, aber nicht aufgrund Alkohols. Entweder seien es Drogen gewesen, oder er sei psychisch nicht ganz „bei sich“ gewesen.
e) Aussage der Zeugin P.
71
Die Zeugin P. führte aus, sie könne sich nach zwei Jahren kaum mehr erinnern, auch wenn der Vorfall nicht alltäglich gewesen sei.
72
Der Beschuldigte sei ihr vorher nicht aufgefallen gewesen.
73
Sie glaube, sie habe zum Zeitpunkt des Diebstahls um die Ecke etwas bei den Spirituosen eingeräumt. Frau M3. habe sie dann irgendwie gerufen. Sie wisse heute nicht mehr, ob sie oder jemand anders Herrn M2. herbeigerufen habe.
74
Es sei wohl so gewesen, dass der Beschuldigte erst friedlich gewesen sei, sich dann aber kurz vor dem Büro und im Büro heftigst gewehrt habe. Der Beschuldigte habe die ganze Zeit „schlag mich“ gerufen. Herr M2. habe den Beschuldigten auf den Boden gedrückt und festgehalten, wogegen sich der Beschuldigte weiter gewehrt habe. Er habe auch fortwährend laut geschrien. Sie habe dann auf Anweisung von Herrn M2. die Polizei gerufen.
75
Es könne schon sein, dass der Beschuldigte sie mal komisch angesprochen habe, das wisse sie heute nicht mehr. Sie habe vom Beschuldigten sicher keinen Schlag bekommen, sonst wäre sie ins Krankenhaus gegangen. Er habe dies auch nicht versucht. Es könne sein, dass sie am 26.07.2018 mittags auf dem Weg zur Arbeit um den Beschuldigten und zwei weitere Personen, die sich Bier trinkend bei der Liefereinfahrt des EDEKA befanden, mit dem Fahrrad vorbei gefahren sei und der Beschuldigte ihr hinterher gerufen habe, er wisse, wo er sie finden kann.
76
Der Beschuldigte sei bei dem Vorfall im EDEKA „halt ein bisschen durch den Wind“ gewesen. Er habe auf alle Fälle unter Alkohol gestanden, so verhalte sich kein normaler Mensch im Laden. Konkrete alkoholtypische Ausfallerscheinungen konnte die Zeugin allerdings nicht benennen.
77
Außer auf sie selbst passe die vom Beschuldigten genannte Beschreibung einer Angestellten im EDEKA-Markt, mit der er Probleme habe, auch auf ihre Kollegin Wiedenhofer. Sie beide sähen sich mit Brille und blonden Locken, auch vom Alter her, ähnlich.
f) Zusammenfassende Würdigung
78
Die Zeugen sagten ersichtlich ohne jeden Belastungseifer aus und räumten von sich aus Erinnerungslücken ein. Die Angaben waren in sich und im Verhältnis zueinander nachvollziehbar und widerspruchsfrei, weswegen das Gericht diese für glaubhaft hält.
79
Nach zusammenfassender Würdigung der Einlassung des Beschuldigten und der in der Beweisaufnahme vernommenen Zeugen ist das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass der Beschuldigte die zwei Schachteln Zigaretten einsteckte, um diese für sich zu behalten und um hierdurch eine Konfrontation mit einer Mitarbeiterin des EDEKA-Marktes herbei zu führen. Dabei führte er wissentlich die beiden bei ihm festgestellten Messer bei sich.
80
Der Beschuldigte selbst äußerte sich dahin, dass er sich nicht habe betrügen lassen wollen. Er sehe es als Betrug an, wenn man ihm alles wegnehmen wolle und man ihm vorgebe, alles einzuteilen. Er hätte die Zigaretten schon gerne gehabt am Schluss, zum Rauchen. Unter Berücksichtigung der objektiven Umstände (Einstecken der Zigarettenschachteln in die Hosentasche, Passieren des Kassenbereichs, ohne zu zahlen) ist daher davon auszugehen, dass der Beschuldigte die Zigarettenschachteln einsteckte, um diese - zumindest für den Fall, dass sie ihm nicht abgenommen werden sollten, etwa weil die Angestellten des Supermarktes Angst bekämen oder es ihnen nicht gelänge ihn festzuhalten bzw. zu durchsuchen - für sich zu behalten. Zur Überzeugung der Kammer war ihm daher mit natürlichem Vorsatz bewusst, dass die Möglichkeit ernsthaft bestand, dass der EDEKA-Markt als Eigentümer der Zigaretten auf Dauer aus dieser Stellung verdrängt wird.
81
Der Beschuldigte hat sich weiterhin dahingehend eingelassen, den Diebstahl begangen zu haben, um eine Konfrontation mit der Mitarbeiterin des EDEKA-Marktes herbei zu führen. Die Angaben des Beschuldigten sind insoweit konsistent: schon in der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gab er diese Tatmotivation an, wiederholte sie in der Hauptverhandlung vor der 3. Strafkammer etwa ein Jahr nach dem Tatgeschehen und nunmehr erneut in der Hauptverhandlung knapp zwei Jahre nach dem Tatgeschehen, auch in Kenntnis des erstinstanzlichen Urteils der 3. Strafkammer und der diesbezüglichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Auch gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen in der Exploration (vgl. unten) hatte der Beschuldigte geäußert, er habe die Auseinandersetzung mit „Irene van der Hövel“ gesucht.
82
Hiergegen spricht aus Sicht der Kammer nicht, dass das Entwenden der Zigaretten für die Kassiererin Maurer nur zufällig erkennbar war. Wie die Erfahrung des Beschuldigten beim Diebstahl vom 21.07.2018 zeigte, war eine Entdeckung eines Diebstahls durch die Mitarbeiter des EDEKA-Marktes möglich. Wie sich eine von ihm gesuchte Konfrontation entwickeln würde, war zudem, wie dem Beschuldigten ausweislich seiner Einlassung bewusst war, situationsabhängig. Die von ihm als „Irene van der Hövel“ wahrgenommene Mitarbeiterin Pötzsch befand sich zur Tatzeit auch im Laden, so dass der Diebstahl grundsätzlich geeignet war, eine Konfrontation mit dieser auszulösen.
83
Die Kammer hält es insoweit für naheliegend, dass der Beschuldigte die Mitarbeiterin P. mit der vom Aussehen her ähnlichen Mitarbeiterin W., die ihn wenige Tage zuvor bei einem Diebstahl beobachtet und eine entsprechende Strafanzeige verfasst hatte, verwechselt hat. Dies würde für Außenstehende nachvollziehbar erklären, dass der Beschuldigte mit dieser Mitarbeiterin Konfliktpotential sah (wenn auch nicht als „Ir. van der H.“). Dazu passt die Aussage, der Beschuldigte habe den Diebstahl begangen, damit sich die Mitarbeiterin „wieder“ an ihn dran hänge. Ebenso passt dazu die Aussage, der Beschuldigte habe mit „Ir. van der H.“ am 21.07.2018 gar keinen Kontakt gehabt, diese habe nur die Polizei gerufen und er habe der nur bei der Geldzählerei zugesehen. Der Beschuldigte selbst bezeichnete auf entsprechenden Vorhalt eine derartige Verwechslung als „möglich“.
84
Die Kammer ist überzeugt, dass der Beschuldigte subjektiv die Konfrontation mit der von ihm als „Ir. van der H.“ wahrgenommenen Mitarbeiterin suchte, als er die Zigaretten einsteckte und die Kasse passierte. Dafür spricht, dass der Beschuldigte, wie er selbst einräumte und wie auch die Zeugin P. bestätigte, dieser Mitarbeiterin am Tattag kurz zuvor hinterher rief, er wisse, wo er sie finde. Dies, weil ihn aus seiner Sicht die Zeugin P. „beleidigend“ angesehen hatte, während die Zeugin P. sich eines entsprechenden Blickes nicht bewusst war. Dass die körperliche Auseinandersetzung in der Folge allein mit dem Zeugen M2. erfolgte, steht dem nicht entgegen. Denn als „Konfrontation“ sah der Beschuldigte bereits das Anhalten nach dem Diebstahl an und konnte sich eine derartige Konfrontation aus seiner Sicht dann auch situationsabhängig weiter entwickeln.
85
Der Beschuldigte befand sich zur Tatzeit in einem (psychischen, s. dazu unten) Ausnahmezustand. Dies folgt aus den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen M3., Mi. und P., die verschiedene für Außenstehende nicht nachvollziehbare und zusammenhangslose Äußerungen des Beschuldigten beim Verbringen des Beschuldigten in das Marktleiterbüro bzw. im Büro erinnerten. Insbesondere der Zeuge M2. schilderte auch die auffällige Mimik und die völlig außer Verhältnis stehenden körperlichen Attacken des Beschuldigten. Dies lässt die Aussage des Beschuldigten, mittels des Diebstahls der Zigaretten die Konfrontation mit „Irene van der Hövel“ gesucht zu haben, in der Gedankenwelt des krankheitsbedingt in seinen kognitiven Funktionen beeinträchtigten Beschuldigten plausibel, also in sich schlüssig, erscheinen.
86
Nicht ausreichend überzeugen konnte sich die Kammer indes davon, dass der Beschuldigte, als er sich im Marktleiterbüro gegen den Zeugen M2. zur Wehr setzte, auch handelte, um sich im Besitz der entwendeten Zigaretten zu halten.
87
Das Aussageverhalten des Beschuldigten war hierzu ambivalent. Zwar gab der Beschuldigte in seiner polizeilichen Vernehmung auf entsprechenden Vorhalt des Sachbearbeiters an, Grund für das zur-Wehrsetzen sei „auch“ gewesen, dass er die Zigaretten habe behalten wollen. In der nunmehrigen Hauptverhandlung ließ er sich hingegen auf die Frage, ob er die Zigaretten durch das zur-Wehrsetzen habe behalten wollen, dahin ein, es sei ja nicht so schlimm gewesen. Er habe die Konfrontation gesucht.
88
Während der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Marktleiter M2. war die Zeugin P. jedenfalls anfangs im Büro mit anwesend. Zudem schilderte der Beschuldigte mehrfach, dass es hinsichtlich des Verlaufs einer von ihm ausgelösten Konfrontation darauf ankomme, wie das Gegenüber reagiere und die Situation sich entwickle. Es lässt sich daher nicht ausschließen, dass es dem Beschuldigten während der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Zeugen M2. allein um eine weitere Konfrontation mit der Mitarbeiterin Pötzsch ging. Umgekehrt ist es denkbar, dass eine Motivation, sich im Besitz des Diebesguts zu halten, im Verlauf der (zunächst gewaltlosen) Auseinandersetzung vollständig in den Hintergrund getreten bzw. nicht gegeben war. Weiter erscheint möglich, dass der Beschuldigte lediglich auf entsprechende Befragung durch Polizei und Gericht im Nachhinein seine Meinung, die Zigaretten letztendlich gerne zum Rauchen gehabt zu haben, die sein Verhalten ja auch ursprünglich (beim Einstecken der Zigarettenschachteln) motiviert hatte, wiedergegeben hat.
89
Dass dem Beschuldigten bewusst war, beide festgestellten Messer beim Diebstahl bei sich zu tragen, hat er glaubhaft eingeräumt. Er habe diese zum Übernachten draußen gebraucht. Einen tatsächlichen Einsatz gegen den Zeugen M2. habe er demgegenüber nicht überlegt, das brauche er bei dem nicht. Dass der Beschuldigte sich dessen bewusst war, ein Messer bei sich zu führen, wird durch die Angaben des Zeugen M2. bestätigt. Dieser gab an, der Beschuldigte habe im Büro geäußert, er habe ein Messer dabei. Diese Äußerung belegt, dass der Beschuldigte sich der Tatsache bewusst war, dass er die Messer bei sich trug, da er das Mitsichführen eines Messers zeitnah im Anschluss an das Einstecken der Zigaretten zur Drohung gegen den Zeugen M2. einsetzte.
90
Weiterhin ist das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass dem Beschuldigten, als er den Zeugen M2. körperlich anging, bewusst war, dass dieser durch sein Handeln Schmerzen erleiden könnte, was ihm jedoch gleichgültig war. Der Beschuldigte selbst hat sich dahingehend eingelassen, dass er „niemanden schwer verletzt“ habe. Dass heftige Fußtritte gegen das Schienbein und Kopfstöße gegen den Brustkorb mit einer gewissen Intensität beim Gegenüber zumindest Schmerzen und Hämatome auslösen können, ist für jedermann offensichtlich, etwaige krankheitsbedingte Fehlvorstellungen berühren den erforderlichen natürlichen Vorsatz, den die Kammer angenommen hat, nicht. Auch hat der Beschuldigte in seiner Einlassung mehrfach betont, wie eine derartige Konfrontation ablaufe, hänge von der Situation ab. Er müsse nicht zuschlagen, könne dies aber, dies beeinträchtige seine Gefühlswelt nicht. Wenn er merke, dass der Andere Lust auf Gewalt habe, dann könne er das auch ganz gut. Daraus schließt das Gericht, dass dem Beschuldigten die Möglichkeit der Zufügung von Schmerzen nicht nur bewusst, sondern ihm dies auch gleichgültig war.
2. Tat vom 25./26.09.2018
a) Einlassung des Beschuldigten
91
Zum Tatgeschehen vom 25./26.09.2018 gab der Beschuldigte an, er sei über das Fenster herein gekommen, das Tor habe er dann von innen aufgedrückt.
92
Insbesondere zu seiner Tatmotivation führte der Beschuldigte aus, er habe damals in der Werkstatt alles durchsucht, er habe Dinge gesucht, mit denen er habe über die Runden kommen wollen. Bzgl. des Schlagrings äußerte er, warum solle „der“ (sprich T. G.) den haben und er nicht. Er sage nicht, warum er den mitgenommen habe, das würde sonst nochmal Ärger geben. Er habe ihn aber eher dazu benutzt, sich zu schützen, nicht, um ihn auf das Gesicht einzuschlagen. Er wisse schon gewissermaßen, was oder wer der Mensch von der Werkstatt ist. Der Kramer auch, das seien Bedrohungen in seinen Augen, mit dem Leben, das sie führen und dass sie einen „verarschen“. Der stehe dafür, für Sicherheit zu sorgen und habe die Leute beleidigt und „verarscht“. Er wisse nicht, ob er den kenne, das interessiere ihn nicht, er möge ihn nicht „und fertig“. Er habe nicht gedacht, dass der komme oder da sei, er sei ziemlich früh raus. Wenn der andere gekommen wäre und ihn bedroht oder beleidigt hätte, dann hätte er sich mit dem schon geschlagen. Er habe somit schon die Konfrontation mit dem anderen gesucht. Das seien aber nur Gedankengänge, eine Lust, die man hat, er werde sich nicht dazu äußern, was er mit dem Schlagring dann gemacht hätte.
93
Er sei am nächsten Abend wieder zu der Werkstatt gegangen, weil er beim Durchsuchen ein „Interesse entwickelt“ habe. Es sei auch kalt gewesen und man hätte sich dort aufwärmen können. Er rede nicht darüber, was es für ihn für eine Bedeutung habe, dass T. G. beim Militär gewesen sei, weil er nicht als glaubwürdig angesehen werde.
b) Aussage des Zeugen PHK Krammer
94
Der Sachbearbeiter bei der Polizei, PHK Kr., gab im Rahmen seiner Einvernahme insbesondere an, auffälliger Weise sei trotz offenbaren Durchwühlens in der Werkstatt fast alles an seinem Platz geblieben. Vom Täter sei eine leer getrunkene Speziflasche und eine Mc-Donalds-Rechnung in einem Aschenbecher zurück gelassen worden. Auf einem Regalboden unterhalb eines Dachfensters seien Schuhabdruckspuren offenbar des Täters aufgefunden worden. Seines Erachtens sei aber das Tor zum Eindringen in die Werkstatt genutzt worden, da sich dort Spuren gefunden hätten, als ob der Täter durch eine verzogene Gummilippe von außen durch die Tür durchgefasst und die Falttür aufgedrückt habe.
95
Am 26.09.2018 abends habe der Hausmeister der Werkstatt angerufen, dass wieder jemand im Innenhof herum schleiche. Gegen 21:45 Uhr hätten die Streifenbeamten den Beschuldigten dort angetroffen, kontrolliert und ihn, nachdem das Diebesgut wie auch Beutegut aus einem Einbruch in die Gaststätte Olympiahaus bei ihm aufgefunden worden war, vorläufig festgenommen.
96
Er selbst habe den Beschuldigten erst später auf der Dienststelle angetroffen, dieser sei nicht begeistert gewesen, dass er eingesperrt wird, habe aber nicht psychisch auffällig gewirkt. Er sei aber sehr unzugänglich gewesen. Die Polizei habe ihm sein Leben versaut, er nehme ihnen nicht die Arbeit ab, indem er eine Aussage tätige.
c) Zusammenfassende Würdigung
97
Die Einlassung des Beschuldigten steht in weiten Teilen mit den nachvollziehbar, widerspruchsfrei und ohne Belastungseifer getätigten, somit glaubhaften Angaben des Zeugen PHK Kr. in Einklang. Die Angaben des Zeugen zur in der Kfz-Werkstatt vorgefundenen Spurenlage wurden durch Inaugenscheinnahme der vom Tatort gefertigten Lichtbilder bestätigt.
98
Nicht abschließend geklärt werden konnte, auf welchem Weg der Beschuldigte letztlich in die Werkstatt gelangte, wobei zugunsten des Beschuldigten davon auszugehen ist, dass dieser durch ein unversperrtes Falttor in das Innere gelangte.
99
Der Beschuldigte gab zu seiner Motivation glaubhaft an, er habe die Werkstatt durchsucht, um Gegenstände mitzunehmen, die er für ein Leben als Obdachloser gebrauchen konnte. Dies passt auch grundsätzlich zu dem beim Beschuldigten bei der Festnahme festgestellten bzw. abhanden gekommenen Beutegut (Werkzeug, Geldmünzen, Schuhe).
100
Die vorgefundenen Spuren am Tatort weisen indes darauf hin, dass es dem Beschuldigten dabei nicht in den Sinn gekommen war, wie ein „klassischer“ (geistig gesunder) Dieb ein Entdeckungsrisiko zu vermeiden oder zu vermindern (u.a. Zurücklassen einer ausgetrunkenen Getränkeflasche und einer Mc-Donalds-Rechnung mit möglichen DNA-Anhaftungen und Fingerspuren).
101
Die vom Beschuldigten weiterhin angegebene Tatmotivation, er habe durch das Eindringen in die Werkstatt, deren Durchsuchung und das Entwenden verschiedener Gegenstände auch eine Konfrontation mit dem Geschädigten gesucht, findet ihre Bestätigung daneben auch darin, dass der Beschuldigte am Folgeabend zum Tatort zurückkehrte. Dies unterscheidet sich deutlich vom „Normalfall“ des Diebstahls, da weiteres für den Beschuldigten stehlenswertes Gut nach der Durchsuchung vom Vortag nicht zu erwarten, sondern vielmehr umgekehrt mit Sicherungsmaßnahmen bzgl. des angegangenen Tors sowie erhöhter Aufmerksamkeit der Mitarbeiter/Polizei nach erfolgtem Diebstahl zu rechnen war.
102
Die im Hinblick auf das Entwenden und das Beisichführen des Schlagrings geäußerte Motivation, warum solle „der“ den haben und er nicht, lässt erkennen, dass dem Beschuldigten bewusst war, dass es sich um einen unter das Waffengesetz fallenden Gegenstand handelte. Dies zeigt auch die Angabe, er habe diesen eher benutzt, um sich zu schützen, als ihn auf das Gesicht einzuschlagen, es seien nur Gedankengänge gewesen, eine Lust, die man hat, zu denen er sich nicht äußern werde.
3. Zur Schuldfähigkeit des Beschuldigten
103
Die Kammer ist, sachverständig beraten durch den psychiatrischen Sachverständigen Dr. L2., Arzt für Psychiatrie, Medizinaldirektor a.D., zu der Überzeugung gelangt, dass der Beschuldigte an einer krankhaften seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB in Gestalt einer paranoiden Schizophrenie leidet, die sich zu den o. g. Tatzeitpunkten in der jeweiligen Tatsituation auswirkte, wodurch jeweils bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben war.
a) keine akute Intoxikationspsychose
104
Eine krankhafte seelische Störung i.S. einer sog. akuten Intoxikationspsychose war allerdings nicht anzunehmen.
105
Zwar war der Beschuldigte bei Begehung der Tat am 26.07.2018 nicht unerheblich alkoholisiert (während bzgl. relevanten Drogenkonsums an diesem Tag sowie bzgl. relevanten Alkohol-/Drogenkonsums vor/bei dem Tatgeschehen am 25./26.09.2018 keinerlei Anhaltspunkte bestehen).
106
Der Beschuldigte gab insoweit an, er habe „nichts eingeschmissen gehabt“ und zuvor „ein bisschen Alkohol“, vielleicht acht bis neun Halbe Bier, langsam, getrunken. Es sei nicht zu viel gewesen. Der Beschuldigte wies, wie sich aus dem ärztlichen Untersuchungsbericht und dem rechtsmedizinischen Gutachten zur Blutalkoholbestimmung ergab, bei der Blutentnahme rund 3 Stunden nach der Tat (Zeitpunkt der Blutentnahme: 17:37 Uhr) eine Blutalkoholkonzentration von 1,08 Promille auf. Bei einer Rückrechnung, ausgehend von einem maximalen Abbauwert (stündlicher Abbauwert 0,2 Promille zzgl. einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille), ist daher von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von rund 1,9 Promille auszugehen.
107
Allerdings ergaben sich aufgrund der eigenen Angaben des Beschuldigten sowie der Zeugenaussagen im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkte, dass der erheblich Alkohol gewohnte Beschuldigte alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gezeigt hätte. Der Beschuldigte konnte sich koordiniert bewegen und vorgehen, er konnte den Vorfall in der Beschuldigtenvernehmung am Folgetag wie in der Folgezeit auch weitgehend erinnern. Die von den Zeugen beschriebenen Auffälligkeiten sind bei kritischer Würdigung daher vielmehr allein, wie auch der Sachverständige Dr. L2. überzeugend darlegte, Folge des psychotischen Zustands des Beschuldigten (dazu sogleich) gewesen.
108
b) akut psychotisches Erleben aufgrund einer paranoiden Schizophrenie zu den Tatzeitpunkten Der psychiatrische Sachverständige Dr. L2. führte aus, er stütze sein Gutachten neben den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung auf die beigezogenen Krankenunterlagen der JVA St., Gutachten in diversen vormundschaftsgerichtlichen Verfahren (nervenärztliches Gutachten Dr. R2. vom 20.04.2016, psychiatrisches Gutachten Dr. L3. vom 12.01.2017, psychiatrisches Gutachten H. vom 18.03.2017) und Arztbriefe (Epikrise des I.-A.-Klinikums M.-O. vom 14.06.2013, ärztliche Stellungnahme des I.-S.-Klinikums G. vom 27.02.2017, Arztbrief der L1. M1. Klinik G.-P. vom 04.05.2018 und vom 18.06.2018), sowie auf die Beobachtungen und Angaben des Beschuldigten in der Exploration am 21.11.2018 und 22.12.2018 in der JVA St..
109
Aus den Krankenunterlagen der JVA St. ergebe sich insbesondere, dass der Beschuldigte am 12.11.2018 mit dem rechten Fuß während des Hofgangs gegen einen Gegenstand getreten und später mit der linken Faust gegen eine Tür geschlagen habe; er sei als latent aggressiv, unruhig und unzugänglich beschrieben worden. Am 17.11.2018 habe der Beschuldigte psychisch auffällig, psychotisch gewirkt. Er habe viel wirres Zeug geredet, „Verfolgungswahn“. Am 19.11.2018 Vorstellung beim Psychiater, bei dem psychotische Phänomene und Aggressivität geschildert werden. Die Einnahme von Neuroleptika sei verweigert worden.
110
In sämtlichen Vorgutachten und Arztbriefen sei letztlich als Diagnose die paranoide Schizophrenie und darüber hinaus ein Abhängigkeitssyndrom von Alkohol und multiplen psychotropen Substanzen festgehalten.
111
Während des ersten Untersuchungsgesprächs habe er nach etwa einer halben Stunde die Mitteilung über die Vorführbeamten der JVA St. erhalten, dass um 07:30 Uhr bei der Kontrolle zur Überstellung ins Gericht beim Beschuldigten unter dem Parka am Oberarm versteckt ein abgebrochener Besenstiel aufgefunden und sichergestellt worden sei. Auf Frage, wofür der Beschuldigte das Schlagwerkzeug benötigte, habe dieser geantwortet: „Für Notfälle“.
112
Zum 26.07.2018 ließ sich der Beschuldigte in der Exploration demnach dahin ein, er lasse sich nicht alles gefallen. In Anstand ja, aber nicht so, das werde er auch in Zukunft nicht tolerieren. Ir. van der H., so habe die mal geheißen. Die glaube, sie könne ihn anfassen, die stinke für ihn. Die gehöre unter Wasser erdrosselt oder verbrannt. Die provoziere ihn immer. Er werde nicht beantworten, wie sie das mache. Das müsse der Sachverständige selbst ermitteln. Es seien noch viele Fragen offen, aber die werde er nicht beantworten. Die Frau van der H. habe Leute unter Druck gesetzt, die würden ihn jetzt um Hilfe anflehen. Er habe keine Lust mehr, die seien total nervig. Er sei in den Laden, weil er das habe klären wollen.
113
Auf Frage (bezogen auf die Aussage des Zeugen M2.), wer „M.“ sei, gab der Beschuldigte insbesondere an, das könne er nicht allein beantworten. Wenn der Sachverständige der Sache auf den Grund gehen wolle, müsse er zur Skisprungschanze gehen. In der Bar da, da könne er der Frage auf den Grund gehen. Er werde auf alle Fälle nicht mehr alles finden, was er dafür brauche. Zu M. werde er sich nicht äußern.
114
Der Beschuldigte habe das provoziert, ihn anzufassen; das solle sie ihm auf der Straße sagen, was sie ihm so nachsage. Die Familie K. habe mit dem Psychoterror zu tun. Das sei der Grund, warum er das provoziert habe. Er habe denen geben wollen, was die brauchen, und sich nehmen, was er brauche.
115
Er habe das Recht dazu, Leute einfach zu erdrosseln. Er habe schon das Recht zu töten. Die Polizei und die Milizen sollten streiken. Man müsse denen einflößen, dass es nicht gehe, aus Gewalt Vergnügen zu machen.
116
Zum 25./26.09.2018 äußerte der Beschuldigte insbesondere, er nehme sich nur, was ihm zustehe, und das sei sein Recht. Das sorge für Ordnung.
117
Zum Untersuchungsbefund führte der Sachverständige nachvollziehbar aus, eine geordnete Anamnese und Exploration seien kaum möglich gewesen, weil der Beschuldigte nur kurz beim Thema habe bleiben können und sich dann in Ausführungen verloren habe, denen man allenfalls ansatzweise habe folgen können.
118
Zu Ort, Zeit und Situation sei er orientiert gewesen. Die gestellten Fragen schien er zu verstehen, bei der Beantwortung schweifte er aber bald ab. Das formale Denken erschien aufgelockert bis inkohärent.
119
Sprachlich hätten sich einige eigenartige Formulierungen gefunden (etwa „Sie können das in ‚abgesperrte Gebiete‘ übergeben“, „Ich brauche meine ‚Grundstoffe meines eigenen Lebens‘“, „Ich brauch ‚gut behandelte Sachen‘“, „man wird ‚chemie-fanatisch‘“, „Die Besitzhabende in den Loisachauen“).
120
Inhaltlich hätten sich Beeinträchtigungs- und Verfolgungsgedanken gefunden („Die provoziert mich immer“, „man muss die Überwachung abschalten“, „das lässt einen nicht los, wenn man den ganzen Tag provoziert wird“, „Die soll mir auf der Straße sagen, was sie mir so nachsagt“, „Kamphausen hat mit dem Psychoterror zu tun“, „Wenn man beherrscht werden soll von anderen, dann wird man chemiefanatisch“, „dann wird die Heilung abgestellt“).
121
Weiterhin hätten sich Gewalt- und Aggressionsfantasien bzgl. der vermuteten Belästiger, zu denen wohl auch die Verkäuferin im EDEKA gehöre, gezeigt („Die gehört unter Wasser erdrosselt und verbrannt“, „Was ich nicht empfehlen würde, ist, mich auf die sog. Hoffnungsträger loszulassen“, „Da lohnt es sich nicht, mit dem Finger anzufassen. Da braucht man einen spitzen Gegenstand zum Reinstoßen“, „Dem klatsch ich den Kopf runter“, „Ich geh dann rein und sag, ich komme in Sachen Mord“). Diesbezüglich habe er sich völlig kritiklos präsentiert; so habe er das Recht, zu töten und andere zu erdrosseln.
122
Es wäre wohl auch von akustischen Halluzinationen auszugehen (Frau van der H. habe Leute unter Druck gesetzt, die „flehen mich jetzt an“; M. L. sei ein alter Bekannter, den kenne er manchmal nicht wieder, „der befiehlt mir das“).
123
Was die affektive Seite angehe, sei Herr S2. wenig schwingungsfähig gewesen, eher affektarm. Eine gewisse Gereiztheit tauchte im Zusammenhang mit seinen Verfolgungsideen auf.
124
Die Krankheitseinsicht wäre fraglich, Behandlungsbereitschaft wäre nicht gegeben („Die Medikamente habe ich damals abgesetzt“, „Die suchen mich auf Medikamente einzustellen. Ich würde so eine Therapie nicht mit meinem Willen und Zustimmung machen“).
125
In der damaligen Untersuchungssituation habe sich ein akut psychotisches Bild mit formalen und inhaltlichen Denkstörungen, höchstwahrscheinlich auch mit Halluzinationen und Ich-Störungen geboten, das in ein paranoides Wahnsystem eingebettet gewesen sei.
126
Die diagnostischen Kriterien für die Diagnosestellung einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0), auch bereits zu den Tatzeitpunkten, seien gegeben, weiterhin für ein polyvalentes Abhängigkeitssyndrom bei derzeitiger Abstinenz in beschützender Umgebung (ICD-10: F.19.21). Als Differenzdiagnose könne an eine drogeninduzierte Psychose gedacht werden, wobei die Symptomatik der Psychose deutlich im Vordergrund stehe.
127
Die Tatgeschehen vom 26.07.2018 und vom 25./26.09.2018 seien, wie referiert und auch in der Hauptverhandlung vom Beschuldigten wiederholt, in das psychotische Erleben des Beschuldigten eingebettet gewesen. Der Beschuldigte habe sich insoweit auch im Recht gesehen, derartige Handlungen und Aggressionshandlungen auszuführen. Es habe sich um einen gravierenden Fall psychotischen Erlebens derart gehandelt, dass der Beschuldigte nicht nur nicht in der Lage gewesen sei, sein Handeln zu steuern, sondern bereits nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Taten einzusehen. Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten sei somit bereits aufgehoben gewesen.
128
Die Kammer folgt der Beurteilung des forensisch äußerst erfahrenen Sachverständigen Dr. L2., der sein Gutachten auf zutreffende Anknüpfungstatsachen stützte und dessen Würdigung auch keine wesentlichen Aspekte fehlten. Die Kammer ist dem nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten, welches hinsichtlich der Diagnose mit zahlreichen früheren ärztlichen Befunden und den Angaben der sachverständigen Zeugin D. (Oberärztin) übereinstimmt, nach kritischer Prüfung aufgrund eigener Überzeugung gefolgt.
E: Rechtliche Würdigung
129
Der Beschuldigte hat objektiv die rechtswidrigen Taten des Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in Tatmehrheit mit Diebstahl mit Waffen in Tateinheit mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe gemäß §§ 223 Abs. 1, Abs. 2, 230 Abs. 1, 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1a, 22, 23 Abs. 1, 52, 53 StGB, § 52 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.2 WaffG erfüllt.
130
Der Beschuldigte handelte dabei jeweils mit natürlichem Vorsatz zur Wegnahme der fremden Sachen und in Zueignungsabsicht. Diese wird durch sein jeweiliges weiteres Vorhaben, ggf. Konfrontationssituationen mit den Geschädigten bzw. Mitarbeitern der Geschädigten auszulösen, nicht infrage gestellt, da der Beschuldigte je nachdem, ob es überhaupt zu einer solchen Konfrontation kommen und wie diese verlaufen würde, davon ausging, dass es zumindest möglich wäre, dass die weggenommenen Gegenstände in seinem Vermögen verbleiben und er die Eigentümer auf Dauer aus Ihrer Stellung verdrängen würde (vgl. BGH NStZ 1981, 63).
131
Die bei Begehung des Diebstahls am 26.07.2018 in der Hosentasche des Beschuldigten befindlichen Messer sind geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen und damit als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB anzusehen. Dies gilt jedenfalls für das vom Beschuldigten mitgeführte Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 7 cm, ob dies auch für das vom Beschuldigten mitgeführte Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 4 cm gilt, kann daher letztlich offen bleiben (vgl. zum Streitstand Fischer, 67. Auflage 2020, § 244 StGB Rdnr. 15, 17a). Der Beschuldigte wusste bei der Begehung des Diebstahls auch, dass er diese Messer bei sich führt, so dass auch der subjektive Tatbestand i.S.d. erforderlichen „natürlichen Vorsatzes“ (vgl. Fischer, 67. Auflage 2020, § 63 StGB Rdnr. 7 m.w.N.) erfüllt ist.
132
Indem der Beschuldigte dem Geschädigten einen Fußtritt gegen das Schienbein versetzte und ihm mit dem Kopf fest gegen den Brustkorb stieß, beging er Handlungen, die geeignet waren, den Geschädigten körperlich zu misshandeln, dessen körperliches Wohlbefinden bzw. seine körperliche Unversehrtheit also nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen (vgl. Fischer, 67. Auflage 2010, § 223 StGB Rdnr. 4, 6), wie ihm auch bewusst war. Nachdem der Geschädigte allerdings keine Schmerzen erlitt, sondern lediglich abends ein „Pochen“ im Schienbein verspürte, wie im Urteil der 3. Strafkammer vom 01.08.2019 bindend festgestellt, ist lediglich von einer unerheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens als Folge der Handlungen des Beschuldigten auszugehen, so dass der Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB nicht vollendet ist. Vielmehr ist lediglich ein nach §§ 23 Abs. 1, 223 Abs. 2 StGB strafbarer Versuch der Körperverletzung anzunehmen.
133
Der Beschuldigte hat demgegenüber nicht den Tatbestand des schweren räuberischen Diebstahls gemäß §§ 252, 250 Abs. 1 Nr. 1a) StGB verwirklicht. Zugunsten des Beschuldigten war davon auszugehen, dass dieser nicht mit der dafür erforderlichen Beuteerhaltungsabsicht handelte. Insbesondere rechtfertigt die Feststellung, der im Besitz der Beute befindliche Beschuldigte habe sich der Festnahme durch Gewaltanwendung zu entziehen versucht, noch nicht den Schluss, dies sei auch in Beuteerhaltungsabsicht geschehen, wenn sich die Beute wie hier in der Hosentasche befand, was die Möglichkeit nahe legt, dass es dem Beschuldigten während der Auseinandersetzung gar nicht möglich gewesen wäre, sich der Beute zu entledigen (vgl. Fischer, 67. Auflage 2020, § 252 StGB Rdnr. 9, OLG Köln, NStZ-RR 2004, 299). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte vorliegend, wie oben ausgeführt, primär die Auseinandersetzung mit der Mitarbeiterin des EDEKA-Marktes gesucht hatte.
134
Der Tatbestand des Diebstahls mit Waffen steht zu der Verwirklichung des Tatbestands der versuchten Körperverletzung in Tateinheit. Wird die Beuteerhaltungsabsicht i.S.d. § 252 StGB nach dem Zweifelsgrundsatz verneint, ist bei der Beurteilung der Konkurrenzen in erneuter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von einer solchen Absicht auszugehen und Tateinheit zwischen allen bis zur Beendigung des Diebstahls verletzten Strafgesetzen anzunehmen (vgl. BGH, NStZ-RR 2005, 340 sowie BGH, NStZ 1983, 364).
135
Der Beschuldigte hat weiterhin bei der Tat am 25./26.09.2018 in der KFZ-Werkstatt Stangsmair den Tatbestand des Diebstahls mit Waffen gemäß §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB erfüllt, da er bei der Begehung der Tat den Schlagring, und damit eine Waffe, bei sich führte. Dabei genügt irgendein Zeitpunkt vom Ansetzen zur Tat bis zur Beendigung der Wegnahme (BGHSt 13, 260), so dass es ausreicht, dass der Beschuldigte den Schlagring spätestens beim Verlassen der Räumlichkeiten der Werkstatt bei sich führte. Ebenso steht der Verwirklichung des Tatbestands nicht entgegen, dass sich der Beschuldigte des Schlagrings aus der Beute bediente (Fischer, 67. Aufl. 2020, § 244 StGB Rdnr. 29.).
136
Der vorsätzliche Besitz des Schlagrings (verbotene Waffe gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.2) stellt ein Dauerdelikt dar und begann bereits vor Vollendung bzw. Beendigung des Diebstahls, so dass der Tatbestand nur tateinheitlich verwirklicht ist. Eine wahnbedingt fehlende Unrechtseinsicht steht der Verwirklichung des subjektiven Tatbestands wiederum nicht entgegen (sog. natürlicher Vorsatz ausreichend, vgl. Lackner/Kühl, 29. Auflage 2018, § 63 StGB Rdnr. 2).
F: Rechtsfolgen
137
Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus war anzuordnen, da die Voraussetzungen des § 63 StGB vorliegen.
I. Rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit
138
Wie oben festgestellt, leidet der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie, die dem Eingangsmerkmal der „krankhaften seelischen Störung“ i.S.d. § 20 StGB zuzuordnen ist, diese war zu den jeweiligen Tatzeitpunkten nicht remittiert, der Beschuldigte war vielmehr jeweils akut psychotisch.
139
Die Anlasstaten standen jeweils in symptomatischem Zusammenhang mit der Erkrankung des Beschuldigten. Auch insoweit schließt sich das Gericht den überzeugenden und fundierten Darlegungen des Sachverständigen Dr. L2. an, der ausführte, dass beide Taten Ausfluss der bei dem Beschuldigten diagnostizierten überdauernden paranoiden Schizophrenie und des zu den Tatzeitpunkten akut psychotischen Erlebens des Beschuldigten waren. Hierfür spricht zur Überzeugung der Kammer insbesondere die bizarre Vorstellung des Beschuldigten, dass er durch derartige Taten zu verstehen gebe, dass er sich (von der Gesellschaft/Allgemeinheit) nicht betrügen bzw. „verarschen“ lasse (vgl. oben D.II.1 a und f, D.II.2 a und c).
140
Er beging die Taten mithin im Zustand der Schuldunfähigkeit aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit.
II. Zukünftige Taten
141
Die Gesamtwürdigung der Person des Beschuldigten und seiner Taten ergibt zur Überzeugung der Kammer, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
142
Dabei ist die Gefährlichkeitsprognose anhand einer umfassenden Gesamtwürdigung des Täters, seiner Persönlichkeit sowie seiner Tat vorzunehmen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 26.07.2018, 3 StR 174/18). Hinsichtlich der zu erwartenden Taten ist die Erheblichkeitsschwelle als überschritten anzusehen, wenn es sich bei den zu erwartenden Taten um solche handelt, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben und mindestens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 63 StGB Rdnr. 26, 27 m.w.N.).
143
Es kann letztlich dahinstehen, ob es sich bei den festgestellten Anlasstaten in beiden Fällen trotz des erhöhten Strafrahmens des § 244 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 10 Jahren) und der abstrakten Gefährlichkeit der Taten (insbesondere des Waffendelikts) angesichts der fehlenden Verletzungsfolgen beim Zeugen M2. und der Tatsache, dass schwer wiegende Verletzungen angesichts der Tathandlungen auch nicht intendiert waren, sowie des geringen wirtschaftlichen Schadens um lediglich geringfügige Anlasstaten i.S.d. § 63 Satz 1, 2 StGB handelte.
144
Jedenfalls rechtfertigen hier besondere Umstände die Erwartung, dass der Beschuldigte künftig infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten i.S.d. § 63 Satz 2 StGB begehen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 21.02.2017, Az.: 3 StR 535/16).
145
1. Einlassung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung Auf Frage, ob der Sachverhalt bzgl. des EDEKA-Marktes im Urteil der 3. Strafkammer richtig wiedergegeben sei, äußerte der Beschuldigte, wenn man ihm alles wegnehmen wolle, werde das auch passieren, wenn er Rentner sei. Das werde immer wieder passieren, wenn man ihm vorgebe, alles einzuteilen, weil die Grenze erreicht sei.
146
Weiterhin gab der Beschuldigte in der Hauptverhandlung insbesondere auf die Frage, ob er sich (weiterhin) bedroht oder verfolgt fühle, an, er könne das nicht alles als sein Problem sehen und darstellen. Er werde es auch weiter zu Ärger kommen lassen und fertig. Bzgl. einer etwaigen Bedrohung durch „Ir. van der H.“ ließ er sich ein, es sei kein Geheimnis, dass es weiter zu Ärger kommen werde, wenn man alles in seine Schuhe schiebe.
147
Auf Nachfrage und Vorhalt des Sachverständigen, dass es nicht geklappt habe mit der Konfrontation mit der EDEKA-Verkäuferin bzw. „Ir. van der H.“, erwiderte der Beschuldigte: „noch nicht“.
148
Er wolle einfach nur weg von hier, sich in den Niederlanden ein neues Leben aufbauen. Er sei bereit zu sterben. Er habe versucht, hier mitzumachen, aber er wolle sich hier nichts mehr aufbauen, das interessiere ihn alles nicht mehr. Wenn er sich in den Niederlanden etwas aufbaue, gehöre die Einnahme von Medikamenten (auch in den Niederlanden) „wohl schon“ dazu, bei einer psychiatrischen Behandlung würde er aber nicht so mitmachen, wie „die“ sich das vorstellen. Es sei ihm egal, in welcher Psychiatrie er dann feststecke.
149
In den Niederlanden werde er sich schon „ein bisschen Frieden anrauchen“, von Drogen abhängig sei er aber nicht. Wenn man keine Drogen nehme, werde man sicher krank, die „Vergiftung“ hier in der Gesellschaft halte man nicht aus. Hier in der Gesellschaft gehe es nur um Haben und Besitz.
150
Seine Vorstellung sei, in den Niederlanden zunächst in einer Jugendherberge oder Ferienwohnung zu wohnen und dann ein Blockhaus oder eine Hütte zu errichten. Er habe schon ein paar Bekannte, mit denen er auskommen könne, wenn er Hilfe brauche. In das Blockhaus könne er sich dann Leute, mit denen er auskomme, zum Grillen einladen.
151
Hier in Deutschland habe er das erreicht, was er aushalten könne. Hier sterbe immer wieder jemand. Wenn man sich gegenseitig betrügt oder bestiehlt, komme es immer wieder zu Gewalt.
152
Wenn er in den Niederlanden etwa nach einem Diebstahl festgehalten würde, dann „passe er sich etwas an“. Die Justiz sei selbst nicht anständig genug. Auf weitere Frage, was passiere, wenn sich ihm jemand (wie eine Kassiererin oder der Marktleiter) entgegen stelle, äußerte der Beschuldigte, er müsse nicht zuschlagen, er könne dies aber, das beeinträchtige seine Gefühlswelt nicht. Es hänge letztlich vom anderen ab.
153
Auf Frage, ob er ein besonderes Problem mit Frauen habe, gab der Beschuldigte an, man könne hier auf der Welt nicht lieben. Denen (den Frauen) könne man nicht mal eine Erdbeere oder einen Apfel hinhalten, weil die dann damit immer noch provozieren würden. Es gebe hier keine Gesellschaft, nur Verräter.
154
Er sei nicht einverstanden, dass man ihm ständig seine Messer wegnehme. Er brauche diese, um draußen zu übernachten. Es seien ihm schon ziemlich viele Messer abgenommen worden. Es seien aber nie Vorfälle, bei denen er jemand verletzt hätte, dokumentiert worden. Er mache manchmal Kampftraining, bei dem er zwei Messer in der Hand halte, so dass man mit der Faust noch zuschlagen könne, oder um Feuermelder oder so etwas abzuschlagen.
155
Im Hinblick auf das Tatgeschehen in der Werkstatt am 25./26.09.2018 äußerte der Beschuldigte, er habe nicht gedacht, dass der Geschädigte kommt oder da ist. Er tue sich schwer, mit dem umzugehen, darum meide er das. Wenn dieser zufällig gekommen wäre und ihn bedroht oder beleidigt hätte, hätte er sich schon mit dem geschlagen. Er habe damit ja die Konfrontation gesucht. Es seien nur Gedankengänge gewesen, was er dann mit dem Schlagring gemacht hätte, eine Lust, die man habe.
156
Er rede nicht darüber, was es für ihn für eine Bedeutung habe, dass T. G. beim Militär war, da er nicht als glaubwürdig angesehen werde. Auf Nachfrage des Sachverständigen, welche Bedeutung Frau von der L. insoweit habe, äußerte der Beschuldigte, dass die Kontakte hätten zu Leuten. Wenn er frei komme, suche er den Kontakt zu den Leuten, z.B. zu S. (K.), den er genannt habe.
157
Auf Frage des Verteidigers, wie eine Konfrontation ablaufen sollte, ließ sich der Beschuldigte ein, dies solle situationsgerecht und ein bisschen humaner ablaufen. Das könne auch beim Kaffeetrinken sein. Wenn man merke, dass der andere „Lust auf Gewalt“ habe, dann könne er das aber auch ganz gut. Er müsse nicht immer jemanden zusammen schlagen. Wenn er höre, dass er eine Gefahr für die Allgemeinheit sei, dann kriege er nur Lust, das kontrolliert zu üben mit der Gewalt. Er habe daher für sich entschlossen, dass er diese Gesellschaft verlasse und in die Niederlande gehe. Wenn er in den Niederlanden in eine Situation der Konfrontation komme, werde er situationsgerecht handeln. Dies sei z.B. auch, die Gewalt des anderen zu provozieren, das aus dem „heraus zu kitzeln“, um dann selbst Notwehr zu üben.
2. Angaben des Beschuldigten in der Exploration
158
In der Exploration durch den Sachverständigen Dr. L2. äußerte der Beschuldigte, wie der Sachverständige nachvollziehbar, widerspruchsfrei und daher glaubhaft wiedergab, was er nicht empfehlen würde, sei, ihn auf die sog. „Hoffnungsträger“ los zu lassen. Damit meine er „die Weiber“. Er sei kein Liebhaber mehr, er wolle der Frau nicht helfen. Die Weiber sollten mehr Wasser trinken.
159
Die Weiber seien alle Huren, denen dürfte man nicht mal einen Apfel geben, da würden sie auch dran rum lecken. Die Erdbeeren seien dann zu viel für das Blut. Da könne man alles reintun, aber da komme nichts oben an.
160
Er brauche seine Grundstoffe, sein eigenes Leben. Mineralien, Gifte, Pflanzen. Damit könne man auch heilen.
161
Auf Frage nach der Ursache für seinen Aufenthalt in der Psychiatrie äußerte der Beschuldigte, das komme durch die Familie K.. Er wolle mit dem Mädchen nichts zu tun haben. Er würde am liebsten hingehen und der das Genick brechen. Fr. und S. K. würden andere, die ihre Ruhe haben, mit ihrer „Lebensart“ erlösen. Die sollten keinen Spaß machen. K. habe mit dem Psychoterror zu tun. Das sei der Grund, dass er das provoziert habe. Er wollte denen geben, was die brauchen, und sich nehmen, was er brauche.
162
Die Gewaltfantasien habe das in L. ausgelöst. Er hätte sich am liebsten den ganzen Tag mit Polamidon beschäftigt, damit er etwas innere Wärme bekomme.
163
Auf die Frage, wie er sich die Zukunft vorstelle, gab der Beschuldigte dem Sachverständigen gegenüber an, er sei am Überlegen, wofür er sich entscheiden solle, für ein ruhiges mörderisches Leben oder nach Ch. oder S. fahren und dort das auslösen. Nach Ch. oder S. fahren würde er, um seine Rechte durchzusetzen. Das Leben, das er gelebt habe und mit dem er sich beschäftigt habe, könne er nicht weiterleben. Und wenn er ein Haus habe, dann könne keine Frau glauben, sie könne das stürmen. Weil, wenn sie gut ist, laufe sie wirklich ins offene Messer. Er möge solche Provokationen nicht. Die sollten sich „Schorre“ ins Maul stecken, dass sie nicht schlucken können. Dann schütte er noch Schnaps nach, dann habe er, was er wolle. Aufrechterhaltung der Sucht nenne man das, und Co-Abhängigkeit, die werde dann neu geschrieben.
164
Auf Frage zu schlechten Erfahrungen mit Frauen äußerte der Beschuldigte, die könnten mit Angst nicht umgehen. Sie könnten die zu Rechtsradikalen schicken. Dann komme was, dann wüssten die nicht mehr, ob sie auf dem Planeten leben. Er gehe mal zu der van der Leyen, zu ihrem Schützer. Den habe er schon längst gefunden, weil er das dürfe. Dem klatsche er dann den Kopf runter. Da gebe es viele. Wenn man glaube, dass man alles besser weiß, dann müsse man sich eingestehen, dass man blöd ist.
165
Die Besitzhabende in den L., die komme rein und spiele den Boss und dann verliere sie ihre Zähne. Die reiße ihr Maul auf und verliere die Zähne, dieses Schandmaul. Die solle auch betteln den ganzen Tag.
166
Eine Therapie mit Medikamenten würde er nicht mit seinem Willen und Zustimmung machen.
3. Verhalten in der einstweiligen Unterbringung
167
Die sachverständige Zeugin D., derzeit behandelnde Ärztin im BKH St., gab zum Verlauf der einstweiligen Unterbringung an, dieser gestalte sich insbesondere angesichts mehrerer Suchtmittelrückfälle nicht leicht. Der Beschuldigte habe Methadon und Subutex wohl von anderen Substitutionspatienten erhalten. Letztmals sei im Mai 2020 ein derartiger Rückfall festgestellt worden. Die entsprechende Einsicht und der Wunsch zur Abstinenz des Beschuldigten fehle. Dies sei problematisch, weil im Falle eines Drogenrückfalls eine Exazerbation der bestehenden Psychose zu erwarten sei.
168
Der Beschuldigte sei ein ruhiger Patient, der sich bemühe, höflich zu sein. Er nehme regelmäßig an der Arbeitstherapie teil und betätige sich im Übrigen kreativ mit dem Malen von Bildern und Basteleien in seinem Zimmer. Er sammle hier auch immer wieder Sachen, die nicht ins Zimmer gehörten, wie Metallstücke oder Pilze aus dem Garten.
169
Die Medikamentencompliance sei nicht optimal. Mit der angeratenen Umstellung von Medikamenten oder Erhöhungen der Dosis (insbesondere des Neuroleptikums Seroquel) sei er nicht immer einverstanden. Es habe auch zwischendurch festgestellt werden können, dass er Medikamente im Zimmer gesammelt habe. Eine Depotmedikation werde vom Beschuldigten abgelehnt.
170
Zu Gewalttätigkeiten sei es in St. nicht gekommen. Der Beschuldigte sei bis dato nicht in Konfliktsituationen geraten; er ziehe sich meistens in sein Einzelzimmer zurück. Auch massive psychotische Exazerbationen hätten sie nicht erlebt. Der Beschuldigte zeige allerdings bis zuletzt manchmal paranoides Erleben und äußere bizarre Ideen. In den von ihm gestalteten Bildern sei zu erkennen, dass Gewaltfantasien weiter vorhanden seien. Er habe auch zugegeben, dass er weiter Gewaltfantasien habe und dass er mit Gewalt auf Gewalt reagieren würde. Therapeutische Einzelgespräche dazu seien vom Beschuldigten bis dato aber abgelehnt worden.
171
G. D. sagte ersichtlich ohne jeden Belastungseifer, widerspruchsfrei und nachvollziehbar aus. Soweit sie ihre Einschätzung als Sachverständige wiedergab, geschah dies ebenfalls nachvollziehbar und widerspruchsfrei; ihre Bewertung stützte sich auf zutreffende und vollständige Anknüpfungstatsachen. Die Kammer ist ihren Angaben und Einschätzungen nach kritischer Prüfung aufgrund eigener Überzeugungsbildung gefolgt.
4. Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen
172
Der S3. Dr. L2. erläuterte der Kammer, dass sich gegenüber der Hauptverhandlung vor einem Jahr wenig verändert habe.
173
Dass der Beschuldigte sich in der einstweiligen Unterbringung im Hinblick auf Konfliktsituationen unauffällig gezeigt habe, sei auf den dortigen geordneten Rahmen und die - wenn auch geringe - Dosis Neuroleptika zurückzuführen, die der Beschuldigte einnehme. Der Beschuldigte ziehe sich derzeit zurück und meide den Kontakt zu den Mitpatienten. Dies ermögliche das Wohlverhalten des Beschuldigten insoweit und erkläre, dass keinerlei aggressive Ausfälle des Beschuldigten zu verzeichnen gewesen seien.
174
Der Beschuldigte habe aus der vorangegangenen Hauptverhandlung und dem dortigen Urteil offenbar die Lehre gezogen, dass er sich nicht mehr ganz so offen äußere. Über psychotische Inhalte habe er sich wenig geäußert mit dem Hinweis, dass man ihm doch nicht glaube. Aus den Andeutungen insoweit sei aber zu erkennen, dass einige chronische Wahnvorstellungen weiter vorhanden seien. Insbesondere sei der Beschuldigte offenbar der Auffassung, dass die Gesellschaft und Frau van der Hövel im Besonderen ihn betrogen hätten. Er sehe auch weiterhin einen Zusammenhang mit der Bundeswehr bei dem Diebstahl aus der Werkstätte, da „solche Leute“ eine Bedrohung seien; er hätte sich mit dem Geschädigten schon geschlagen.
175
Es sei beim Beschuldigten unbehandelt mit weiteren Taten entsprechend den Anlasstaten zu rechnen, wobei insbesondere damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte Gegenstände wie Messer, Schlagring oder ähnliches bei sich trage. Wie bei dem abgebrochenen Besenstiel bei der Vorführung zur Exploration sehe der Beschuldigte dies unter dem Aspekt „für alle Fälle“. Sollte es tatsächlich zu der vom Beschuldigten intendierten Konfrontation mit dem eigentlich vorgestellten Gegner und nicht vorhersehbaren, vom Beschuldigten als provokativ empfundenen Opferreaktionen kommen, müsse auch mit dem Einsatz solcher Gegenstände gerechnet werden. Was dann tatsächlich passiere, hänge von vielen Umständen ab, insbesondere dem Behandlungsstand des Beschuldigten, ob er Alkohol/Drogen konsumiert habe und der Entwicklung der Auseinandersetzung als solcher. Es könne hier auch zu erheblicheren Gewalt- und Aggressionsdelikten kommen, müsse dies aber nicht.
176
Die Vorberichte diverser psychiatrischer Kliniken zeigten, dass der Beschuldigte relativ stabil sei, wenn er Medikamente nehme. Sein Zustand verschlechtere sich demgegenüber regelmäßig, wenn er die Medikamente absetze und stattdessen/zusätzlich Drogen nehme. Der Beschuldigte sehe die Einnahme von Drogen letztlich als Behandlung eigener Sorgen an. Tatsächlich führe diese zu weiterer Instabilität, zumal Probleme der Besorgungskriminalität hinzu träten.
177
Die Mitnahme entsprechender Gegenstände zeige eine gewisse Vorbereitung des Beschuldigten auch für körperlich aggressives Verhalten, wenn im Hinblick auf das bisherige Verhalten auch die verbale Aggression im Vordergrund gestanden habe. Es sei ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr vorherzusagen, wie sich ein Geschehen entwickeln werde.
178
Der Sachverständige Dr. L2. stützte sein widerspruchsfreies Gutachten auf zutreffende Anknüpfungstatsachen, seinen Ausführungen fehlten keine wesentlichen Aspekte. Die Kammer ist dem in allen Punkten nachvollziehbaren Gutachten nach kritischer Prüfung aufgrund eigener Überzeugung gefolgt.
5. Gesamtwürdigung der Kammer
179
Die Kammer ist, nach sachverständiger Beratung, aufgrund umfassender Würdigung zu der Überzeugung gelangt, dass eine höhergradige Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte infolge seines Zustandes weitere erhebliche Taten begehen, die geeignet sind, den Rechtsfrieden schwer zu stören, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
180
Konkret sieht die Kammer dabei nach Abwägung aller Umstände eine höhergradige Wahrscheinlichkeit für Taten vergleichbar den Anlasstaten und darüber hinaus, weil auch eine höhergradige Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, dass es im Rahmen von Konfrontationen, die der Beschuldigte immer wieder riskiert, zu erheblicheren Verletzungshandlungen insbesondere unter Einsatz von Messern oder Schlagwerkzeugen, wie z.B. dem in Fall C.II entwendeten Schlagring, kommt. Insoweit ist aufgrund der erheblichen Gewaltfantasien des Beschuldigten bis hin zu Tötungen bzw. „Mord“ (vgl. oben D.II.3b) der Einsatz lebensbedrohlicher Gewalt gegen etwa hinzukommende bzw. auf frischer Tat eingreifende Personen konkret zu besorgen. Der Beschuldigte hat hierzu selbst sinngemäß angegeben, dass die Entwicklung einer solchen Konfrontation dann von der Situation und der Reaktion des anderen abhängt (vgl. oben D.II.1a).
181
Zwar ist der Beschuldigte bislang trotz seiner Erkrankung nur, wenn auch mehrfach, mit Bagatellstraftaten im untersten Bereich auffällig geworden ist. Gleichwohl sieht die Kammer in diesem Zusammenhang, dass der Beschuldigte nunmehr in relativ kurzem Zeitraum zweimal auffällig geworden ist, wobei beide Taten deutlich über die Intensität der aus dem Bundeszentralregister ersichtlichen Taten hinausgehen. Weiterhin ist zu beachten, dass die Aggressionsgefühle und Gewaltfantasien des Beschuldigten erst im Jahr 2015 begannen und in der Folgezeit, in der sich der Beschuldigte wiederholt über längere Zeit auch in stationär-psychiatrischer Behandlung befand, zunächst lediglich zunahmen. Es stellt daher kein ausschlaggebendes Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten dar, dass der Beschuldigte in den Jahren 2011 bis 2016 nur mit Bagatellstraftaten und dann bis zum Sommer 2018 nicht straffällig geworden ist.
182
Die Kammer berücksichtigt auch, dass der Beschuldigte im Rahmen der knapp viermonatigen Untersuchungshaft nicht in Gewalttätigkeiten gegenüber Mithäftlingen oder Beamten der JVA verwickelt war und sich im Rahmen der bereits knapp 17 Monate dauernden einstweiligen Unterbringung im Hinblick auf (gewaltsame) Auseinandersetzungen mit Mitpatienten oder Personal völlig unauffällig gezeigt hat, was grundsätzlich gegen ein erhöhtes Aggressionspotential spricht und ein Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Gewalt- und Aggressionsdelikte darstellt. Dabei ist aber für den Zeitraum des Aufenthalts in der JVA St. zu berücksichtigen, dass die dortigen Krankenunterlagen im November 2018 aggressives Verhalten gegenüber Gegenständen und Eigenangaben des Beschuldigten zu gefühlten Aggressionen aufführen und der Beschuldigte insbesondere dadurch auffiel, dass er zur Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen einen abgebrochenen Besenstiel „für Notfälle“ verborgen mitführen wollte. Das Wohlverhalten des Beschuldigten in der einstweiligen Unterbringung gegenüber Mitpatienten und Personal ist zur Überzeugung der Kammer darauf zurückzuführen, dass sich im straffen Setting der psychiatrischen Anstalt kein dem Alltag (insbesondere bzgl. finanziellen Zwängen) geschuldetes Konfliktpotential aufbauen konnte, der Beschuldigte von seiner Rückzugsmöglichkeit in ein Einzelzimmer regen Gebrauch macht und vor allem regelmäßig seine Medikamente (insbesondere das Neuroleptikum Seroquel, wenn auch nicht in höchstmöglicher Dosis, Olanzapin sowie Gabapentin als Stimmungsstabilisator und suchtdruckhemmendes Medikament) einnimmt.
183
Demgegenüber entnimmt die Kammer den Äußerungen des Beschuldigten gegenüber dem Sachverständigen in der Exploration wie auch in der Hauptverhandlung, dass er die aufgrund wahnhaften Erlebens wahrgenommenen Konflikte als fortbestehend ansieht.
184
Die Kammer sieht dabei auch eine höhergradige Wahrscheinlichkeit dafür, dass es ohne Anordnung einer Unterbringung zu Vorfällen kommen wird, die in ihrer Intensität über die Anlasstaten hinausgehen. Aufgrund der nicht vorhersagbaren Reaktionen potentieller, vom Beschuldigten als Gegner wahrgenommener, umgekehrt ahnungsloser Opfer ist eine Eskalation der vom Beschuldigten gesuchten Konfrontation jederzeit möglich. Es besteht dann insbesondere eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die möglichen Opfer erheblicher, insbesondere auch unter Einsatz von Messern, Schlagwerkzeugen (wie dem Schlagring oder abgebrochenen Besenstiel) oder anderen Werkzeugen (wie dem im Rucksack am 26.07.2018 mitgeführten Schraubendreher), verletzt werden. Dafür spricht bereits, dass es im konkreten Fall vom 26.07.2018 als Zufall anzusehen ist, dass der Geschädigte M2. durch den Tritt nur unerheblich beeinträchtigt wurde und durch das weitere Umherschlagen des Beschuldigten, aber auch durch den vorgenommenen Kopfstoß, niemand verletzt wurde. Dass es gegenüber dem Geschädigten M2. nur zum Drohen, er habe ein Messer, nicht aber zu einem Einsatz eines der Messer gekommen ist, ist zur Überzeugung der Kammer im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass es sich beim Geschädigten M2. nicht um den eigentlich intendierten Gegner der Konfrontation handelte. Für den drohenden Einsatz von Gegenständen bei künftig gesuchten Auseinandersetzungen spricht, dass der Beschuldigte selbst ausführte, regelmäßig Messer bei sich zu führen und nicht einzusehen, warum ihm diese immer wieder weggenommen würden, sowie, Kampftraining auch mit Messern zu betreiben. Weiterhin spricht hierfür das versteckte Mitführen des abgebrochenen Besenstiels bei der Vorführung zur Exploration „für Notfälle“. Auch hinsichtlich des entwendeten Schlagrings gab der Beschuldigte in der Hauptverhandlung kryptisch an, er werde nicht sagen, warum er den mitgenommen habe, weil das nochmal Ärger geben würde. Das seien nur Gedankengänge gewesen, eine Lust, die man hat, zu der er sich nicht weiter äußern werde.
185
In diesem Zusammenhang sind auch die weiter bestehenden Gewaltfantasien des Beschuldigten zu sehen. So ist zu erwarten, dass der Beschuldigte mit höhergradiger Wahrscheinlichkeit wiederum die Konfrontation mit konkreten Personen suchen wird, wie dies hinsichtlich der Zeugin P. der Fall war, von der der Beschuldigte sich als vermeintliche „Ir. van der H.“ unter Druck gesetzt und betrogen fühlte und weiterhin fühlt, und hinsichtlich derer er gegenüber dem Sachverständigen massive Gewaltfantasien äußerte und sich vorstellte, diese zu erdrosseln oder „reinzustechen“.
186
Diese Umstände, die die zu erwartenden Vorfälle von anderen Diebstählen mit Waffen und (versuchten) Körperverletzungen erheblich unterscheiden, lassen eine Gewaltanwendung und erhebliche Körperverletzungen erwarten, die über das bisherige Maß erheblich hinausgehen.
187
Zu berücksichtigen ist auch, dass der Beschuldigte im Rahmen eines paranoiden Wahnsystems und aufgrund dessen fehlender Unrechtseinsicht handelte, so dass eine Hemmschwelle bzgl. künftiger Aggressionsdelikte nicht anzunehmen ist, wenn sich der Beschuldigte bei einer erneuten Exazerbation seiner Psychose gegenüber vermeintlichen Verfolgern bzw. Gegnern im Recht wähnt.
188
Weitere belastende Faktoren ergeben sich daraus, dass der Beschuldigte über keine stabilen familiären oder freundschaftlichen Kontakte verfügt, sondern sich, wenn nicht stationär-psychiatrisch oder in einer beschützenden Einrichtung untergebracht, zuletzt allein im Obdachlosenmilieu bewegte. Auch in Zukunft wäre mit einem Leben in Obdachlosigkeit zu rechnen, zumal der Beschuldigte nur grobe Vorstellungen von einem künftigen Leben in den Niederlanden ohne realistische Planung hat (etwa Finanzierung des nicht nur ganz kurzfristigen Unterkommens in einer Ferienwohnung, Erwerb eines Platzes, auf dem ein Blockhaus zulässig errichtet werden könnte, sowie Finanzierung dessen).
189
Der Beschuldigte verfügt über keine belastbare Krankheitseinsicht. So äußerte der Beschuldigte in der Hauptverhandlung, er könne den Leuten hier nicht mehr zuhören, er wolle hier nur noch weg, dann werde er gesund. Angesprochen darauf, ob er sich weiter bedroht oder verfolgt fühle, gab er an, er könne dies hier nicht alles als sein Problem ansehen und darstellen. Wenn man das alles in seine Schuhe schieben wolle, werde es weiter zu Ärger kommen, das sei kein Geheimnis. Das Nehmen von Medikamenten gehöre, wenn er sich in den Niederlanden was aufbauen wolle, „wohl schon“ dazu. Bei einer psychiatrischen Behandlung würde er aber nicht so mitmachen, wie „die“ sich das vorstellen. Es sei ihm egal, in welcher Psychiatrie er dann feststecke.
190
Der Beschuldigte nimmt in der einstweiligen Unterbringung die Möglichkeiten einer ausreichenden medikamentösen Behandlung durch höhere Neuroleptika-Dosierung bis dato nicht wahr. Eine verlässliche Depotmedikation wird von ihm abgelehnt. In den Jahren vor der aktuellen Inhaftierung/einstweiligen Unterbringung kam es außerhalb des geschlossenen Settings einer stationär-psychiatrischen Behandlung wiederholt zur eigenmächtigen Verringerung bzw. einem Absetzen der neuroleptischen Medikation mit der Folge jeweils einer erneuten stationär-psychiatrischen Behandlung bzw. zivilrechtlichen Unterbringung.
191
Ferner besteht bei dem Beschuldigten eine Alkohol- und schwere Betäubungsmittelabhängigkeit. Insbesondere letztere wirkt sich im Hinblick auf die bestehende psychiatrische Erkrankung deutlich negativ aus, und begünstigt ein Betäubungsmittelkonsum die Entstehung von (akutem) Verfolgungswahn. Insoweit ist auch festzuhalten, dass eine Stabilisierung des Beschuldigten bislang stets nur im Rahmen eines geschlossenen Settings gelang und es bei Lockerung des Settings zu (Suchtmittel-)Rückfällen und einem Absetzen der Medikation kam. Auch im Rahmen der einstweiligen Unterbringung kam es bereits zu Suchtmittelrückfällen, ein Wille zur Abstinenz ist, wie den Äußerungen des Beschuldigten auch in der Hauptverhandlung zu entnehmen ist, nicht gegeben.
192
Bei der Entlassung des Beschuldigten aus der einstweiligen Unterbringung wäre deshalb mit einem Betäubungsmittelrückfall, ggf. auch einem Alkoholrückfall, wie auch einem Absetzen der Medikation zu rechnen, was das Risiko für künftige Delinquenz weiter erhöhen würde.
193
Zusammenfassend ist die Kammer daher von einer höhergradigen Wahrscheinlichkeit einerseits für künftige weitere Tatbestandsverwirklichungen hinsichtlich des Diebstahls mit Waffen, andererseits aber auch für die zukünftige Begehung erheblicher vorsätzlicher Körperverletzungen, gefährlicher Körperverletzungen bis hin zu Tötungsdelikten, überzeugt.
III. Verhältnismäßigkeit
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Die Anordnung ist auch verhältnismäßig gemäß § 62 StGB.
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Bei der gebotenen Würdigung der Bedeutung der begangenen Taten, bei denen zufallsbedingt keine erheblichen Schädigungen bzw. Gefährdungen der körperlichen Unversehrtheit Dritter eingetreten sind, der zu erwartenden Taten und deren Wahrscheinlichkeit einerseits und der Bedeutung der Freiheitsrechte des Beschuldigten andererseits ergibt sich, dass die Freiheitsrechte des Beschuldigten zurücktreten müssen.
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Die vom Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit ist so groß, dass der in der Unterbringung liegende erhebliche Grundrechtseingriff dem Beschuldigten aufgrund des überwiegenden Interesses der Allgemeinheit zuzumuten ist. Die vom Beschuldigten ausgehenden Gefahren sind für die Allgemeinheit keine bloßen Lästigkeiten, die eine Gesellschaft hinzunehmen hat, sondern es handelt sich um die Gefahr massiver körperlicher Angriffe auf wahnbedingte Zufallsopfer. Ein milderes Mittel, auf den Beschuldigten einzuwirken, ist nicht ersichtlich.
IV. Keine Aussetzung der Unterbringungsanordnung zur Bewährung
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Die Unterbringungsanordnung kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, da die hierfür erforderlichen besonderen Umstände im Sinne des § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB nicht vorliegen. Besondere Umstände in der Tat, in der Person des Täters, seiner gegenwärtigen oder künftigen Lage, die erwarten lassen, dass die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Taten abgewendet oder so abgeschwächt wird, dass zunächst ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann (BGHSt 34, 313, 316), sind nicht gegeben.
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Zwar bewegten sich die Taten des Beschuldigten, was die objektive Verletzung bzw. Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit Dritter angeht, in einem äußerst geringfügigen Rahmen. Es ist aber auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass künftig durchaus deutlich erheblichere rechtswidrige Taten drohen, wenn vom Beschuldigten krankheitsbedingt gesuchte „Konfrontationen“ situationsabhängig eskalieren.
199
Auch besondere Umstände in der Person des Täters sind nicht gegeben, insbesondere fehlt es sowohl an einer belastbaren Krankheitseinsicht des Beschuldigten als auch an der Therapiewilligkeit und der nachhaltigen Bereitschaft, eine ärztlich verordnete Medikation zuverlässig einzunehmen.
200
Die derzeit behandelnde Ärztin D. führte insoweit aus, der Beschuldigte sei derzeit nicht lockerungsfähig. Der Beschuldigte habe mehrmals geäußert, dass er nicht in einer geschlossenen sozialen Einrichtung (zivilrechtlich) untergebracht werden wolle. Eine geschlossene Unterbringung sei aber erforderlich, da angesichts der fehlenden Abstinenzeinsicht andernfalls Drogenrückfälle und eine Exazerbation der bestehenden Psychose zu erwarten seien.
201
Der Sachverständige Dr. L2. erläuterte, erst wenn für den Beschuldigten Klarheit bestehe (Rechtskraft eines Unterbringungsurteils), bestehe wohl die Chance, einen Gedankenwechsel beim Beschuldigten herbei zu führen. Dies sei möglicherweise für den Beschuldigten die Voraussetzung, um sich auf eine medikamentöse Behandlung richtig einzulassen. Eine optimale medikamentöse Behandlung dürfte wiederum der Schlüssel sein, um in den psychotherapeutischen Bereich zu kommen und mit dem Beschuldigten insoweit zu arbeiten. Dann könnte beim Beschuldigten auch eine Einsicht hinsichtlich seiner Drogenabhängigkeit geweckt werden, unter Umständen der Beschuldigte auch mittels einer Substitution stabilisiert werden. Erst dann seien stufenweise Lockerungen möglich.
202
Die Kammer schließt sich auch insoweit den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen nach kritischer Prüfung aufgrund eigener Überzeugung an.
203
Eine belastbare Krankheitseinsicht mit der Bereitschaft, eine adäquate Medikation dauerhaft einzunehmen, wäre Mindestvoraussetzung für eine Erwartung seitens des Gerichts, auch mit der Anordnung von Auflagen und Weisungen die vom Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit abwenden oder abschwächen zu können.
204
Denn es fehlt auch an einem geeigneten sozialen Empfangsraum, in den der Beschuldigte entlassen werden könnte. Der Beschuldigte hat keinen regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie und auch sonst keine engeren sozialen Bindungen. Er strebt auch keinen Aufenthalt etwa in einer beschützenden Einrichtung oder therapeutischen Wohngemeinschaft an, sondern stellt sich ein Auswandern in die Niederlande, wo er auch keine nahen Bezugspersonen hat, und ein Leben in der Natur oder einem selbst errichteten Blockhaus mit dem gelegentlichen Empfang von Bekannten als Gästen vor. Es fehlt somit an jeglichem stabilisierenden Umfeld, in das der Beschuldigte im Falle einer Aussetzung der Maßregel zur Bewährung entlassen werden könnte.
205
Darüber hinaus ist der erforderliche Wille zur Drogenabstinenz beim Beschuldigten nicht erkennbar.
V. Keine Maßregel nach § 64 StGB
206
Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB sind nicht gegeben.
207
Zwar lag beim Beschuldigten ein langjähriger und jedenfalls am 26.07.2018 bzgl. Alkohols auch aktueller Substanzmissbrauch vor. Dieser Substanzmissbrauch wirkte sich auf den Verlauf der psychischen Erkrankung auch grundsätzlich erheblich negativ aus in dem Sinne, dass jeder Drogen- bzw. Alkoholrückfall eine Exazerbation der bestehenden Schizophrenie auszulösen bzw. zu beschleunigen vermochte. Jedoch standen vorliegend weder das Tatverhalten noch die Tatmotivation in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hang, Drogen bzw. Alkohol im Übermaß zu konsumieren. Ursächlich für die Tatbegehung waren vielmehr, wie auch der psychiatrische Sachverständige Dr. L2. widerspruchsfrei und nachvollziehbar ausführte, allein die psychiatrische Erkrankung der paranoiden Schizophrenie und die damit in Zusammenhang stehenden Denkstörungen sowie das Verfolgungserleben des Beschuldigten.
208
Darüber hinaus bestünde für eine Therapie nach § 64 StGB keinerlei Aussicht auf Erfolg, solange der Beschuldigte keine adäquate Behandlung seiner paranoiden Schizophrenie erhält und annimmt, wie der Sachverständige Dr. L2. überzeugend dargelegt hat. Denn ohne Behandlung der Psychose als Grundsymptom sei eine Behandlung der Drogenproblematik aussichtslos. Dieser Auffassung schließt sich die Kammer nach kritischer Würdigung aufgrund eigener Überzeugungsbildung an. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte selbst keinerlei Abstinenzwillen und Einsicht in die Erforderlichkeit einer Therapie zeigte, weshalb insgesamt keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht i.S.d. § 64 Satz 2 StGB anzunehmen ist.
209
Im Übrigen ist gem. § 72 Abs. 1 Satz 1 StGB ohnehin nur die Maßregel nach § 63 StGB auszusprechen, weil zu erwarten ist, dass der Zweck der Maßregel durch die Behandlung der paranoiden Schizophrenie erreicht wird (s. o.).
G. Einziehung
210
Eine Einziehung der beiden vom Beschuldigten bei der Tat vom 26.07.2018 mitgeführten Messer gemäß § 74 Abs. 1 StGB kam nicht in Betracht.
211
Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen als sonstige Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) kommen dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 435 StPO), wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 Satz 1, 2 StGB vorliegen. Der insoweit gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche gesonderte Antrag ist seitens der Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden, so dass es für die Einziehung weiterhin an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. auch Beschluss vom 12.02.2020, 1 StR 25/20 Ziff. II.2).
H. Kosten
212
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 414 Abs. 1, 464 Abs. 1, 465 Abs. 1, 473 Abs. 1, 4 StPO.
213
Der Beschuldigte erzielte in der Revisionsinstanz einen nur unwesentlichen Teilerfolg, der eine Gebührenermäßigung und ein (teilweises) Auferlegen der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse nicht rechtfertigte.
214
Die Annahme einer geringfügigeren Anlasstat bzgl. des Sachverhalts vom 26.07.2018 als Grundlage der Maßregel stellt keinen Teilerfolg dar, nachdem bereits die bloße Schuldspruchänderung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht als Teilerfolg anzusehen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Auflage 2020, § 473 StPO Rdnr. 25a unter Hinweis auf BGH JR 56, 69). Nur geringfügige Änderungen des Rechtsfolgenausspruchs wie die Aufhebung einer Einziehungsentscheidung stellen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur einen geringfügigen Teilerfolg der Revision dar, der es nicht rechtfertigt, den Beschuldigten teilweise von den durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (Münchner Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2019, § 473 StPO Rdnr. 77; BGH, Beschluss vom 05.07.2016, 4 StR 202/16; BGH, Beschluss vom 16.08.2016, 5 StR 309/16).