Titel:
Betriebsrat, Arbeitnehmer, Sozialplan, Aufhebungsvertrag, Sozialplanabfindung, Berufung, Vorstand, Vertrieb, Quartal, Vermittler, Handelsvertretervertrag, Zeitpunkt, Einstellung, Handelsvertreter
Schlagworte:
Betriebsrat, Arbeitnehmer, Sozialplan, Aufhebungsvertrag, Sozialplanabfindung, Berufung, Vorstand, Vertrieb, Quartal, Vermittler, Handelsvertretervertrag, Zeitpunkt, Einstellung, Handelsvertreter
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 12.11.2020 – 3 Sa 301/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 38397
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf € 149.737,91 festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche auf eine Sozialplanabfindung.
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Der am 1967 geborene Kläger war seit dem 01.01.2004 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Am 13.02.2017/27.03.2017 schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, nach dem das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.04.2017 endete.
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Mit Schreiben vom 28.09.2017 informierte der Betriebsrat die Belegschaft darüber, dass er über eine neue Konzernstrategie informiert worden sei. Die Beklagte teilte der Belegschaft mit Schreiben vom 06.02.2018 den Abschluss eines Sozialplans „SSY to Lead“ mit.
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Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 04.05.2018 die Anfechtung des Aufhebungsvertrages und machte Ansprüche aus diesem Sozialplan geltend.
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Mit Schreiben vom 14.05.2018 erklärte der Kläger eine Eigenkündigung.
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Der Kläger trägt vor, dass der Vorstand der Beklagten im ersten Quartal 2017 beschlossen habe, den Vertrieb der Versicherungsprodukte nicht mehr durch eigene Arbeitnehmer, die mit ihr selbst in einem Vertragsverhältnis standen oder durch einen in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zur E-AG stehenden Handelsvertreter durchführen zu lassen, sondern ab 2018 durch die F-Anlagegesellschaft, einen so genannten Strukturvertrieb.
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Der Vorstand habe im ersten Quartal 2017 beschlossen, den Vertrieb aller Versicherungsprodukte zur Jahresmitte 2018 auf die F-Anlagegesellschaft zu übertragen und sich vom eigenen Außendienst zu trennen. Im Vorfeld sei es zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten mit einigen Vorstandsmitgliedern gekommen. Von sieben Vorstandsmitgliedern seien anschließend vier ausgeschieden, nämlich Herr U., Herr N., Frau S. und Frau An..
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Frau S. sei bereits zum 31.12.2016 ausgeschieden. Grund ihres Ausscheidens seien die Pläne des Vorstandsvorsitzenden über eine Ausgliederung des Vertriebs an die F-Anlagegesellschaft und die Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit den angestellten Vermittlern, zu denen damals auch der Kläger gehörte, gewesen, mit denen sie nicht einverstanden war. Nachdem es zu einer formellen Beschlussfassung im Vorstand gekommen sei, seien Herr U. am 06.03.2017 aus dem Vorstand ausgeschieden, Herr N. zum 31.07.2017 und Frau An. im August 2017. Jeweils seien der Grund für das Ausscheiden gewesen, dass kein Einverständnis mit der Ausgliederung des Vertriebs und der Beendigung der Arbeitsverhältnisse der angestellten Vermittlerbestanden habe.
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Der Vorstand der Beklagten habe im Zusammenhang mit diesen seit längerer Zeit vorbereiteten Beschlüssen entschieden, sich bereits im Vorfeld von möglichst vielen Arbeitnehmern dadurch zu trennen, dass man ihnen Handelsvertreterverträge anbot. Diese Verträge sollten mit einem anderen Konzernunternehmen, der E-AG, abgeschlossen werden. Auf diese Weise habe man gedacht, die bei einem Sozialplan anfallenden hohen Abfindungsbeträge zu sparen. Ausgleichsansprüche nach § 89b HGB würden, so sei die Konzeption der Beklagten gewesen, bei Handelsvertreterverträgen nur mit einer Laufzeit von knapp über einem Jahr, wenn überhaupt, dann nur in geringem Umfang anfallen. Dieses Konzept sei unter den Mitarbeitern unter der Bezeichnung „AdZ“ (Agentur der Zukunft) propagiert worden. Die Mitarbeiter im Außendienst seien davon ausgegangen, dass ihnen „Bestände weggenommen“ würden, falls sie sich nicht mit den Aufhebungsverträgen und den AdZ-Verträgen einverstanden erklärten. Mit „Beständen“ seien die Versicherungsverträge gemeint gewesen, die den jeweiligen Außendienstmitarbeitern zugeordnet gewesen seien und aus denen sie ihre Bestandsprovisionen erhielten.
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Dem Kläger und seinen in ähnlicher Situation befindlichen Kollegen habe die Beklagte verschwiegen, dass die Umstellung von Arbeitsverträgen auf „AdZ“-Verträge Teil der Maßnahme gewesen sei, den gesamten Außendienst durch eigene Arbeitnehmer und Handelsvertreter einzustellen.
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Der Kläger macht geltend, dass er sich rechtlich hätte beraten lassen, wenn er zutreffend informiert worden wäre. Die rechtliche Beratung hätte ergeben, dass ein Aufhebungsvertrag nachteilig gewesen wäre, da ihm hierdurch eine Sozialplanabfindung verloren ginge.
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Aufgrund der wirksamen Anfechtung und seiner Eigenkündigung des Arbeitsvertrages habe er einen Anspruch aus dem Sozialplan. Falls die Anfechtung unwirksam sei, schulde ihm die Beklagte einen Betrag in der Höhe der hypothetischen Sozialplanabfindung aus Schadensersatz.
Die Beklage wird verurteilt, an den Kläger 54.982,88 € nebst 5% Zinsen über dem EZB Basiszinssatz seit 01.04.2018 zu zahlen.
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Sie trägt vor, der Verwaltungsrat des Mutterkonzerns habe erst am 27.09.2017 beschlossen, den Vertrieb der Versicherungsprodukte nicht mehr durch eigene Arbeitnehmer oder durch eigene Handelsvertreter durchführen zu lassen. Mit dem Vertriebsprojekt „Agentur der Zukunft“ seien den seinerzeit angestellten Vermittlern ein freiwilliger Wechsel in einen Handelsvertretervertrag angeboten worden. Die Vermittler hätten selbst entscheiden können, ob sie das Angebot annehmen oder unverändert als angestellte Außendienstmitarbeiter weiterarbeiten wollten. Etwa 550 von 1.380 Partnerverkäufer hätten das Angebot angenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Kammer folgt im Ergebnis und in der Begründung weitgehend dem Urteil der 11. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 13.12.2019 (11 Ca 2392/19, vorgelegt als Anlage B20, Bl. 281 ff. d.A.).
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Dem Kläger steht kein Anspruch aus dem Sozialplan SSY to Lead gegenüber der Beklagten zu. Der Aufhebungsvertrag ist nicht gem. § 142 BGB nichtig. Der Kläger hat den Aufhebungsvertrag nicht wirksam gem. § 123 BGB angefochten.
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Die Beklagte hat den Kläger nicht dadurch getäuscht, dass sie ihm nicht mitgeteilt hätte, dass beabsichtigt wäre, sämtlichen im Außendienst tätigen Mitarbeitern zu kündigen.
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Der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat dies nicht schlüssig dargelegt.
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1. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß § 123 BGB setzt voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst.
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Eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung durch Unterlassung im Sinne des § 123 BGB begeht, wer bei Vertragsverhandlungen einen Umstand verschweigt, hinsichtlich dessen ihm gegenüber seinem Vertragspartner eine Aufklärungspflicht trifft. Eine Aufklärungspflicht besteht insbesondere dann, wenn die Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Billigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass der Arbeitnehmer durch eine sachgerechte und vom Arbeitgeber redlicherweise zu erwartende Aufklärung vor der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses bewahrt werden muss, weil er sich durch sie aus Unkenntnis selbst schädigen würde. Zwar muss sich der Arbeitnehmer vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages regelmäßig selbst über die Folgen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Klarheit verschaffen. Den Arbeitgeber treffen aber jedenfalls dann erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten, wenn er im betrieblichen Interesse den Abschluss eines Aufhebungsvertrags vorschlägt und dabei den Eindruck erweckt, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen Risiken für den Bestand seines Arbeitsverhältnisses aussetzen (BAG, 22.04.2004 - 2 AZR 281/03 -, juris, mwN).
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2. Der Kläger hat die Voraussetzungen für eine arglistige Täuschung nicht schlüssig substantiiert dargelegt. Zunächst einmal ist mit den Verhandlungen zum Abschluss eines Sozialplanes zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages noch nicht einmal begonnen worden (vgl. BAG, 22.04.2004 - 2 AZR 281/03 -, juris). Es gab auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages keine Beschlüsse des Vorstandes zur Einstellung des Außendienstes, jedenfalls hat der Kläger solche Beschlüsse nicht substantiiert vorgetragen. Erst recht gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Vorstand beschlossen hätte sich im Vorfeld von möglichst vielen Arbeitnehmern zu trennen, indem man ihnen Handelsvertreterverträge anbot um bei einem Sozialplan anfallende hohe Abfindungsbeträge zu sparen. Der Kläger hat hierfür keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen und erklärt auch nicht, auf welchen Sachverhalt er diese Behauptungen stützt. So handelt es sich aber erkennbar um eine bloße unsubstantiierte Behauptung in Blaue hinein in der Hoffnung, dass der entsprechende Sachverhalt durch eine Beweisaufnahme erst ausgeforscht wird. Es ist aber nicht Sinn der Beweisaufnahme den Sachverhalt erst zu ermitteln, welchen den Kläger für eine schlüssige Klage bereits hätte vortragen müssen, hier nämlich wer wann was konkret beschlossen hat. Es handelt sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis.
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3. Auch die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch hat der Kläger nicht substantiiert dargetan.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Der Streitwert war gemäß §§ 61 Abs. 1, 3ff. ArbGG festzusetzen.
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Gegen dieses Urteil kann der Kläger Berufung zum Landesarbeitsgericht München einlegen. Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben. Im Einzelnen gilt: