Titel:
Kein Verstoß gegen Gebietsbewahrungsanspruch oder Gebietsprägungsanspruch durch Wohngebäude im faktischen allgemeinen Wohngebiet
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 1, S. 2
BayBO Art. 71
Leitsätze:
1. Umfasst das geplante Vorhaben ausschließlich Wohnnutzung, ist es nach § 34 Abs. 2 BauGB, § 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO im faktischen allgemeinen Wohngebiet generell zulässig. Ein Abwehrrecht des Nachbarn gegen das geplante Vorhaben besteht demgemäß hinsichtlich der Art der Nutzung nicht. Dementsprechend kommt durch ein geplantes Wohngebäude unabhängig von der Zahl der Wohnungen weder eine Störung des nachbarlichen Austauschverhältnisses noch eine Verfremdung des Wohngebiets in Betracht, so dass der Gebietsbewahrungsanspruch des Nachbarn durch das Vorhaben nicht verletzt wird. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gebietstypische Prägung Wohnen wird durch ein geplantes Wohngebäude nicht verletzt. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass in dem geplanten Bauvorhaben mehrere Wohnungen entstehen, denn die Zahl der Wohnungen ist - jedenfalls im Anwendungsbereich des § 34 BauGB - kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung prägt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorbescheid, Wohnbauvorhaben mit 55 Mietwohnungen, kein Verstoß gegen Gebietsbewahrungsanspruch oder Gebietsprägungsanspruch, Nachbarklage, faktisches allgemeines Wohngebiet
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.06.2021 – 9 ZB 21.466
Fundstelle:
BeckRS 2020, 38188
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist in Ziffer 2 vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der vollstreckbaren Kosten.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen einen der Beigeladenen erteilten Vorbescheid hinsichtlich der Errichtung von 55 Mietwohnungen.
2
Der Kläger zu 1) ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, (alle Gemarkung … in …*), … Str. * in … Das Grundstück ist mit dem östlichen Reiheneckhaus einer aus drei Wohngebäuden bestehenden Reihenhauszeile bebaut. Die Kläger zu 2) und 3) sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, … Str., das mit dem sich westlich an das Gebäude des Klägers zu 1) anschließenden Reihenmittelhaus bebaut ist. Die Reihenhauszeile einschließlich des sich weiter westlich anschließenden Anwesens FlNr. …, … Str. … weist insgesamt eine Länge von ca. 30 m auf, die Gebäude bestehen aus Erdgeschoss und ausgebautem Satteldach. Der Abstand des nördlichsten Gebäudeteils zur nördlichen Grundstücksgrenze beträgt beim Anwesen des Klägers zu 1) ca. 13 m, beim Anwesen der Kläger zu 2) und 3) ca. 15 m. Entlang der nördlichen Grundstücksgrenze sind auf beiden Grundstücken Nebengebäude mit einer Höhe von ca. 2,5 m bis maximal 4 m an der Grenze vorhanden.
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Nördlich des Anwesens des Klägers zu 1), liegt das Grundstück FlNr. …, das derzeit unbebaut ist und im Norden an die …Straße angrenzt. Westlich angrenzend und nördlich des Anwesens der Kläger zu 2) und 3) befindet sich das Grundstück FlNr. …, welches bisher mit einem eingeschossigen Gebäude bebaut ist, westlich an dieses angrenzend folgt das Grundstück FlNr. …, das im Norden an die …Straße und im Westen an die … Straße angrenzt und im Süden bis zur von der … Straße abzweigenden Erschließungsstraße reicht, die auch südlich der Grundstücke der Kläger verläuft. Dieses Grundstück ist mit mehreren ein- und zweigeschossigen Gebäuden bzw. Nebengebäuden mit Satteldach bebaut, diese wurden ebenso wie das Gebäude auf dem östlich angrenzenden Grundstück FlNr. … als Dienstgebäude der Polizeiinspektion … genutzt, das Grundstück FlNr. … als Parkplatz dafür.
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Die Grundstücke liegen in einem Bereich, für den kein Bebauungsplan besteht, der Geltungsbereich des westlich angrenzenden Bebauungsplangebietes Nr. … endet nach Osten mit dem Straßengrundstück der … Straße auf Höhe des Baugrundstücks.
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Mit am 26. Juni 2019 bei der Beklagten eingegangenem Bauantrag beantragte die Beigeladene den Erlass eines Vorbescheides zum Neubau von 55 Mietwohnungen mit Tiefgarage und Freianlagen auf dem Baugrundstück bestehend aus den Grundstücken FlNrn. …, … und … Das Bauvorhaben soll aus drei Blöcken mit Flachdach an der …Straße bestehen, von denen das westlich gelegene Gebäude Nr. 1 fünf, das östlich angrenzende Gebäude Nr. 2 vier und das weiter östlich anschließende Gebäude Nr. 3 drei Vollgeschosse aufweisen sollen. Weiter sind zwei aneinandergebaute Wohngebäude südlich davon entlang der … Straße geplant, wobei das nördliche Gebäude Nr. 4 drei Vollgeschosse und ein Satteldach und das südlich angrenzende, in West-Ost-Richtung sich erstreckende Gebäude Nr. 5 zwei Geschosse und ein Satteldach erhalten sollen. Dabei weist das Gebäude Nr. 3, das nördlich des Anwesens des Klägers zu 1) gelegen ist, bei einer Wandhöhe von 8,87 m einen Abstand zur Grenze des Grundstücks des Klägers zu 1) von ca. 8 m, hinsichtlich der nach Süden vorspringenden Balkone von ca. 6 m auf, während das 11,68 m hohe Gebäude Nr. 2 einen Abstand von ca. 12 m, mit den Balkonen von ca. 10 m zum südlich angrenzenden Anwesen der Kläger zu 2) und 3) aufweisen soll. Das Gebäude Nr. 5 mit einer Höhe von 14,49 m beginnt ca. 10 m westlich der westlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks der Kläger zu 2) und 3) und liegt 6 m nach Norden versetzt zum Gebäude Nr. 4. Das Haus Nr. 5 weist nach den Eintragungen im Plandeckblatt „Regelgeschoss - Vorabzug“ eine Wandhöhe von 6,22 m und eine Firsthöhe von ca. 12 m auf, der Abstand zur Grenze des östlich angrenzenden Anwesens … Straße … beträgt ca. 5 m, zum östlich davon gelegenen Anwesen der Kläger zu 2) und 3) mehr als 15 m. Das Bauvorhaben soll eine Tiefgarage erhalten, deren Ausfahrt unter dem Haus Nr. 4 zur … Straße hin erfolgen soll.
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Die mit dem Vorbescheidsantrag zur Entscheidung gestellten Fragen lauten:
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1. Zulässigkeit der Art und das Maß der baulichen Nutzung?
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2. Zulässigkeit der inneren und äußeren Abstandsflächen? (Regelgeschoss „blau“ dargestellt)
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3. Zulässigkeit der Zu- und Ausfahrt zur Tiefgarage an der … Straße und welche verkehrsplanerische Maßnahmen sind damit verbunden?
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4. Besteht die Genehmigungsfähigkeit nach § 34 BauGB?
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5. Zulässigkeit der städtebaulichen Struktur? (Flachdach im Norden und Satteldächer im Süden)
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Am 1. Juli 2019 reichte die Beigeladene einen formlosen Antrag auf Befreiung von Art. 6 BayBO wegen der Überschneidung der inneren Abstandsflächen bei der Beklagten ein.
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Am 10. Juli 2019 erteilte die Beklagte das gemeindliche Einvernehmen zum Vorhaben im Rahmen der planungsrechtlichen Stellungnahme mit Auflagen, zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, das Anwesen füge sich im hier vorliegenden allgemeinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB ein.
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Nachdem die Beklagte der Beigeladenen mitgeteilt hatte, dass eine Abweichung von den inneren Abstandsflächen bezüglich der Häuser 1 und 5 nicht erteilt werde, reichte diese am 27. September 2019 abgeänderte Pläne ein.
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Mit Schreiben vom 19. August 2019 zeigten die Klägervertreter die Vertretung der Kläger zu 1) bis 3) an und erhoben Einwände gegen das Vorhaben.
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Mit Bescheid vom 5. November 2019 wurde der Vorbescheid positiv verbeschieden und in Nr. 1 festgestellt, das Vorhaben sei zulässig, wenn die im Vorbescheid genannten Punkte erledigt würden, in Nr. 2 wurde Abweichung erteilt von den nach Art. 6 Abs. 1, 3 BayBO einzuhaltenden seitlichen Abstandsflächen der Balkone sowie den Abstandsflächen zwischen Teilen der Häuser 5 und 4.
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Zu den von der Beigeladenen gestellten fünf Fragen wurde ausgeführt, das Vorhaben sei von der Art der Nutzung im hier vorliegenden faktischen allgemeinen Wohngebiet zulässig, auch vom Maß der baulichen Nutzung füge es sich ein, da die Geschosszahlen und die Höhe der Gebäude gestaffelt sein und die größeren Flachdachgebäude entlang der …Straße, ebenso wie die zwei- und dreigeschossigen Gebäude mit Satteldach an der … Straße dem Umfeld entsprächen. Zur Frage 2 wurde ausgeführt, die erforderlichen Abweichungen wegen Überdeckung der Abstandsflächen im Bereich der Balkone sowie im Bereich von Haus 4 zwischen dem Wohnriegel und dem Treppenhaus im Grundstücksinneren hätten erteilt werden können, es bestünden keine Bedenken hinsichtlich Belichtung, Belüftung und des Wohnfriedens. Zur Frage 3 wurde festgestellt, die Zu- und Abfahrt zur Tiefgarage in der … Straße sei grundsätzlich zulässig, zur Frage 4 wurde festgestellt, das Vorhaben füge sich nach § 34 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein nach allen relevanten Merkmalen, die geplante Bebauung entlang der …Straße mit einer Gebäudelänge von ca. 68 m entspreche Gebäuden mit vergleichbarer Länge und Bauweise im westlich angrenzenden Gebiet, die Bebauung entlang der … Straße in offener Bauweise halte die jeweiligen Abstandsflächen ein, deshalb werde planungsrechtlich davon ausgegangen, dass gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf Belichtung und Belüftung gegeben seien. Im Übrigen folge die Planung der vorhandenen Gebäudesituierung entlang der …Straße/ … Straße und nehme auch im rückwärtigen südlichen Bereich zur Siedlungsbebauung hin vorhandene Strukturen auf und entspreche damit der Umgebung. Zur Frage 5 wurde ausgeführt, die planungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Struktur mit höhengestaffelten Flachdach-Baukörpern straßenseitig und Wohngebäuden mit Satteldächern im rückwärtigen Grundstücksbereich lasse sich aus der Umgebungsbebauung ableiten und sei planungsrechtlich zulässig.
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Mit Änderungsbescheid vom 14. November 2019 wurden einige im Vorbescheid genannte Flurnummern berichtigt.
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Mit am 4. Dezember 2019 beim Gericht eingegangenen Schriftsätzen ließen die Kläger zu 1) sowie zu 2) und 3) jeweils Klage gegen den Vorbescheid vom 5. November 2019 erheben. Zur Begründung wurde mit Schriftsätzen vom 10. Februar 2020 und 1. Dezember 2020 im Wesentlichen ausgeführt, der Vorbescheid sei rechtswidrig und verletze nachbarschützende Rechte der Kläger. Das Vorhaben füge sich nicht ein, weil in der näheren Umgebung kein Gebäude mit vergleichbarer Geschossflächenzahl, überbauter Grundfläche, Größe der Grundfläche der baulichen Anlagen, Zahl der Vollgeschosse und Höhe vorhanden sei. Das Vorhaben sei rücksichtslos gegenüber den Klägern, weil es zu einer Einkesselung und zu einem unzumutbaren Einblick in ihre Grundstücke durch Balkone und Loggien führe. Die Frage 2 sei ebenso wie die Antwort der Beklagten unbestimmt, es sei kein Antrag auf Abweichung ersichtlich, auch die inneren Abstandsflächen seien wegen Art. 3 Abs. 1 BayBO nachbarschützend. Die Tiefgaragenausfahrt sei unzulässig, weil die Verkehrslage eine solche Verkehrsführung nicht zulasse, sie liege zu nah an der Kreuzung, dies sei gegenüber den Klägern rücksichtslos, deshalb hätte Frage 3 verneint werden müssen. Auch Frage 4 hätte verneint werden müssen, da die Erschließung nicht gesichert sei, dies liege einmal an der fehlenden Verkehrserschließung, aber auch die Entwässerung sei nicht gesichert, es sei kein Versickerungskonzept vorhanden. Auch die Frage 5 sei zu Unrecht bejaht worden, weil die Umgebung hier falsch gewählt und deshalb das Vorhaben planungsrechtlich nicht zulässig sei. Das Vorhaben habe ersichtlich ohne Rücksicht auf die Nachbarn durchgedrückt werden sollen, deshalb seien auch Bedenken der Verwaltung hinsichtlich des übergroßen Maßes der Nutzung und des Fehlens der Erschließung nicht berücksichtigt worden. Das Gebiet des Bebauungsplans Nr. … gehöre nicht zur näheren Umgebung. Hier sei auch der Gebietsprägungserhaltungsanspruch verletzt, insofern werde auf das Wannsee-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, damit sei hier auch das Maß der Nutzung nachbarschützend. Das geplante Vorhaben führe durch die hohe Zahl der Mietwohnungen und die übermäßige Verdichtung zu einer Beeinträchtigung der Nachbarn, ohnehin fehlten schon Parkplätze, Kindergartenplätze, Schulplätze sowie Entfaltungsmöglichkeiten eines gesunden Lebensraumes im Baugebiet. Bei Verwirklichung des Vorhabens würden gesunde Wohnverhältnisse nicht gewährleistet.
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Die Kläger beantragen jeweils,
den Vorbescheid der Beklagten vom 5. November 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt mit Schreiben vom 12. Mai 2020,
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Zur Begründung wird ausgeführt, der Vorbescheid sei rechtmäßig, insbesondere verletze er die Kläger nicht in ihren Rechten. Das Vorhaben füge sich auch nach dem Maß der baulichen Nutzung ein, zudem sei das Maß der baulichen Nutzung nicht nachbarschützend. Es liege kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor, insbesondere auch nicht, weil die Gebäude des Vorhabens etwa zu eng zueinander stünden. Die Abstandsflächen des Vorhabens lägen jeweils auf dem Baugrundstück, sie würden insbesondere zu den Grundstücken der Kläger hin bei weitem eingehalten, so dass von einer Einmauerung oder Abriegelung der Kläger nicht die Rede sein könne. Die Kläger hätten auch keinen Anspruch auf Schutz vor Einblicken. Die Beklagte habe in der Antwort auf Frage 2 Abweichung von den inneren Abstandsflächen erteilt auf Antrag der Beigeladenen, dies sei eindeutig erkennbar, zudem würden davon die Grundstücke der Kläger nicht betroffen. Die Tiefgaragenausfahrt berühre die Grundstücke der Kläger ebenfalls nicht, auch sei hier die Ausfahrt angesichts der vorhandenen Verkehrslage möglich und zulässig, die Verkehrsbelastung sei nicht übermäßig, die Ausfahrt befinde sich nicht direkt an der Kreuzung, im Übrigen würden Rechte der Kläger auch nicht dadurch verletzt, dass die Entwässerung noch nicht endgültig geregelt sei, da auch insofern eine eventuell fehlende Erschließung nicht nachbarschützend wäre. Im Hinblick auf die Antwort zur Frage 4 sei das Einfügen auch im Hinblick auf die Bauweise und die Dachform gegeben, beide seien ebenfalls nicht nachbarschützend.
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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 25. März 2020 gab die Beigeladene eine Stellungnahme zur Klage ab. Dort wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unbegründet, das Vorhaben füge sich hier im Gebiet nach § 34 BauGB ein, die Art der Nutzung sei ohnehin zulässig, das Maß der baulichen Nutzung nicht nachbarschützend, das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt, insbesondere liege weder eine erdrückende Wirkung noch eine Einkesselung der Kläger vor, im Übrigen hätten diese auch keinen Anspruch auf Abwehr möglicher Einblicke in ihre Gärten.
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In der mündlichen Verhandlung am 9. Dezember 2020 waren die Kläger zu 2) und 3) erschienen, der Klägervertreter und der Beklagtenvertreter stellten jeweils die schriftsätzlich angekündigten Anträge, der Beigeladenenvertreter beantragte jeweils Klageabweisung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten, hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung auf die Niederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
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Der Vorbescheid der Beklagten vom 5. November 2019 i.d.F. des Änderungsbescheids vom 14. November 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Nach Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Einreichung des Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erteilt werden. Ein Vorbescheid beinhaltet die verbindliche Feststellung der Bauaufsichtsbehörde, dass dem Bauvorhaben hinsichtlich der zur Entscheidung gestellten Fragen öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Die vorweg entschiedenen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsfragen sind im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Der Umfang der Bindungswirkung eines bestandskräftigen Bauvorbescheids richtet sich nach den gestellten Fragen und den zugrundeliegenden Plänen (BayVGH, B.v. 29.04.2019 - ZB 15.2606 - juris). Nach ständiger Rechtsprechung können sich Dritte gegen einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg wehren, wenn der angefochtene Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris; VG Ansbach, U.v. 17.4.2013 - 9 K 12.01176 - BeckRS 2013, 50835).
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Die mit dem Vorbescheid, insbesondere den Fragen 1, 2 und 5 abgefragte planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich hier nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO, da sowohl das Baugrundstück wie die nähere Umgebung in einem Gebiet liegen, für das kein Bebauungsplan existiert, das aber nach der übereinstimmenden Auffassung der Parteien, der die Kammer folgt, innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegt und aufgrund der Bebauung und Nutzungsstruktur einem allgemeinen Wohngebiet entspricht. Nachdem das gegenständliche Vorhaben ausschließlich Wohnnutzung umfasst, ist das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB, § 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO im vorliegenden faktischen allgemeinen Wohngebiet generell zulässig. Ein Abwehrrecht der Kläger gegen das geplante Vorhaben besteht demgemäß hinsichtlich der Art der Nutzung nicht, zumal die Kläger selbst auf ihren Grundstücken wohnen. Dementsprechend kommt durch die geplanten Wohngebäude unabhängig von der Zahl der Wohnungen weder eine Störung des nachbarlichen Austauschverhältnisses noch eine Verfremdung des Wohngebiets in Betracht, so dass der Gebietsbewahrungsanspruch der Kläger durch das Vorhaben nicht verletzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019, 9 CS 17.2482).
30
Soweit sich die Kläger auf einen aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO abgeleiteten Anspruch auf Wahrung der typischen Prägung des Gebiets (Gebietsprägungsanspruch) berufen, kann dies den Klagen nicht zum Erfolg verhelfen. Unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht, wird die gebietstypische Prägung Wohnen durch die geplanten Wohngebäude nicht verletzt. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass in dem geplanten Bauvorhaben mehrere Wohnungen entstehen, denn die Zahl der Wohnungen ist - jedenfalls im hier vorliegenden Anwendungsbereich des § 34 BauGB - kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung prägt (BayVGH, a.a.O., BVerwG U.v. 13.6.1980 - IV C 98.77). Selbst wenn man davon ausgeht, dass ausnahmsweise Quantität in Qualität umschlagen könnte, kann hier von einer den angenommenen Gebietscharakter verletzenden Wirkung des geplanten Wohnbauvorhabens nicht ausgegangen werden. So fehlt es hier ersichtlich schon an einer homogenen Bebauungs- und Nutzungsstruktur allein im Hinblick auf die Vornutzung des Baugrundstücks und die umfangreiche Bebauung der darauf vorhandenen Polizeiinspektion, aber auch in der näheren Umgebung, wie die ins Verfahren eingeführten Luft- und Lichtbilder zeigen.
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Das Vorhaben ist gegenüber den Klägern auch nicht rücksichtslos. Das hier aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO herzuleitende Gebot der gegenseitigen nachbarschaftlichen Rücksichtnahme wäre dann verletzt, wenn das Vorhaben den Klägern unzumutbare Belastungen auferlegen würde, was jeweils im Einzelfall zu prüfen ist. Gegeneinander abzuwägen sind dabei die Schutzwürdigkeit der Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, wobei eine Gesamtschau der vom Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen vorzunehmen ist (BVerwG, B.v. 10.1.2013 - 4 B 48.12 - juris).
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Gemessen an diesen Vorgaben stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben entgegen den Ausführungen der Kläger weder im Hinblick auf die gerügte einmauernde oder einkesselnde Wirkung noch hinsichtlich anderer Gesichtspunkte als rücksichtslos dar. Was die Beeinträchtigung der Grundstücke der Kläger durch die geplanten Gebäude angeht, so ist hinsichtlich der Besonnung und Belichtung zunächst festzustellen, dass die drei Wohngebäude mit Flachdach entlang der …Straße genau im Norden der klägerischen Anwesen liegen und somit ein Verlust an Besonnung oder Belichtung praktisch ausgeschlossen erscheint, wohingegen die Wohngebäude auf den Grundstücken der Kläger, insbesondere aber die entlang der nördlichen Grundstücksgrenze vorhandenen und zwischen 2,50 m und ca. 4 m hohen Nebengebäude den unmittelbar nördlichen davon gelegenen Teil des Baugrundstücks durchaus verschatten. Was die entlang der … Straße gelegenen Häuser 4 und 5 des Bauvorhabens angeht, so liegen diese westlich bzw. nordwestlich der klägerischen Gebäude, werden von diesen aber durch das auf dem Grundstück FlNr. … befindliche westliche Reiheneckhaus abgeschirmt. Zudem halte alle fünf Gebäude die Abstandsflächen zu den Anwesen der Kläger ein, wobei vom Haus 1 Abstandsflächen wegen dessen Situierung ohnehin nicht auf die Grundstücke der Kläger fallen könnten, das Haus 2 aufgrund seiner Höhe und der Entfernung zum Anwesen der Kläger zu 2) und 3) sogar H einhält, während das Haus 3 bei einer Wandhöhe von 8,87 m einen Abstand zu den südlich gelegenen Grundstücken der Kläger von ca. 8 m aufweist. Die nach der Abstandsflächensatzung der Beklagten erforderlichen 0,4 H werden deshalb nicht nur eingehalten, sondern die Abstände der Gebäude von den betreffenden Grundstücksgrenzen gehen deutlich darüber hinaus. Eine unzumutbare Einschränkung der Belüftung der klägerischen Grundstücke ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, aber auch eine unzumutbare Beeinträchtigung des Wohnfriedens ist nicht ersichtlich. Soweit die Kläger insoweit auf die nach Süden ausgerichteten geplanten Balkone an den Häusern Nr. 2 und 3 verweisen, so haben auch diese Balkone einen Mindestabstand von 6 m bzw. 10 m zur Grundstücksgrenze, so dass für eine unzumutbare Beeinträchtigung kein Anzeichen ersichtlich ist, zumal der Einblick vom Nachbargrundstück aus auf das eigene Grundstück, der hier gerade auch infolge der umfangreichen nördlichen Grenzbebauung auf den Grundstücken der Kläger ohnehin nur eingeschränkt möglich sein wird, weder generell noch hier im Einzelfall abgewehrt werden kann.
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Sonstige im Rahmen des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme heranziehbare Beeinträchtigungen der klägerischen Grundstücke durch das Bauvorhaben sind nicht ersichtlich, insbesondere der vom Vorhaben ausgelöste Verkehr auf dem Baugrundstück bewegt sich nach den Planungen in der Tiefgarage, deren Ausfahrt unterhalb des Hauses 4 und von diesem abgeschirmt zur … Straße hin erfolgt. Soweit sich die Kläger darüber hinaus auf den von ihnen befürchteten übermäßigen Verkehr auf der … Straße berufen, so kann zwar ein Verstoß gegen das Gebot zur Rücksichtnahme ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabensbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert (vgl. BayVGH B.v. 8.1.2019, 9 CS 17.2482). Für eine solche übermäßige und unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger in ihrem Eigentum bestehen hier aber keine Anhaltspunkte, da die Grundstücke der Kläger nicht direkt durch die im Westen verlaufende … Straße erschlossen werden, sondern durch die von dieser ausgehende südlich ihrer Grundstücke verlaufenden Erschließungsstraße. Im Übrigen enthält der Vorbescheid keine weiteren Regelungen etwa zur Anzahl der notwendigen Stellplätze, so dass die Frage, ob sich die Stellplatzsituation in der unmittelbaren Nähe der klägerischen Grundstücke unzumutbar verschlechtern könnte, jedenfalls im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen ist.
34
Soweit sich die Kläger darüber hinaus gegen eine von ihnen befürchtete generelle Überlastung der Infrastruktur oder der Einrichtungen in ihrer Umgebung wenden, so bestehen weder substantiierte nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine solche Überlastung noch wäre diese Prüfungsgegenstand im vorliegenden Verfahren.
35
Soweit im Vorbescheid Abweichung zugelassen wird wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen zwischen den erforderlichen seitlichen Abstandsflächen der Balkone auf dem Baugrundstück untereinander bzw. der seitlichen Abstandsflächen der Balkone und der Gebäudeaußenwand sowie zwischen gegenüberliegenden Gebäudeteilen im Bereich der Vor- und Rücksprünge in der Fassade Haus 5 sowie zwischen Gebäudeteilen und Treppenhaus Haus 4, so ist eine Beeinträchtigung der Kläger insofern nicht ersichtlich, da es sich jeweils um auf dem Baugrundstück selbst liegende Abstandsflächen zwischen dort geplanten Gebäuden handelt und die Grundstücke der Kläger hierdurch nicht betroffen werden. Auch für eine Gefährdung der gesunden Wohnverhältnisse, sei es auf dem Baugrundstück, erst recht aber auf den Grundstücken der Kläger, bestehen insoweit keine Anhaltspunkte.
36
Soweit sich die Kläger auf die ihrer Meinung nach fehlende Erschließung des Baugrundstücks im Hinblick auf die Entwässerung berufen, so ist die konkrete Gestaltung der Entwässerung nicht Gegenstand des Vorbescheids, sondern dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten. Im Hinblick darauf, dass das Baugrundstück in weiten Teilen bereits zuvor bebaut und genutzt worden war, bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die geplante Bebauung zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der klägerischen Grundstücke im Hinblick auf Vernässung oder Überschwemmungen führen könnte, nicht.
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Im Übrigen erscheinen der Kammer die Regelungen im Vorbescheid ebenso wie die durch diesen beantworteten Fragen im Rahmen des Vorbescheidsverfahrens als hinreichend bestimmt und klar genug, so dass die Klagen auch insofern ohne Erfolg bleiben müssen.
38
Nach alledem sind die Klagen als unbegründet abzuweisen.
39
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
40
Da sich die Beigeladene durch die Stellung von Anträgen dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, den Klägern auch ihre notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen aufzuerlegen.
41
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.