Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 30.12.2020 – Vf. 96-VII-20
Titel:

Keine Außervollzugsetzung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung

Normenketten:
11. BayIfSMV
IfSG § 28, § 28a, § 30, § 32
BV Art. 3, Art. 101, Art. 102, Art. 106, Art. 109, Art. 124
Leitsätze:
Keine Außervollzugsetzung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Popularklage keinen über die summarische Prüfung hinausgehenden vertieften Prüfungsmaßstab anzulegen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu einschränkenden Regelungen hinsichtlich einschlägiger Grundrechte ist nicht nur der parlamentarische Gesetzgeber selbst, sondern auch der exekutivische Normgeber, also etwa der auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage tätig werdende Verordnungsgeber, befugt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist weder offensichtlich, dass die vom Verordnungsgeber herangezogenen Rechtsgrundlagen § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1, §§ 28 a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG ihrerseits verfassungswidrig wären, noch dass die jeweilige Ermächtigungsgrundlage im Hinblick auf ihre Reichweite die angegriffenen Bestimmungen nicht trüge. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine - auch bußgeldbewehrte - Pflicht, die Wohnung nicht ohne bestimmte Gründe zu verlassen, fällt nicht in den Schutzbereich des Grundrechtes auf Freiheit der Person. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Infektionsschutz, COVID-19, einstweilige Anordnung, Popularklage, Ausgangsbeschränkung, nächtliche Ausgangssperre, Pandemie, Datengrundlage, Verfassungswidrigkeit, Folgenabwägung
Rechtsmittelinstanz:
VerfGH München, Entscheidung vom 29.01.2021 – Vf. 96-VII-20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 36981

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Antragstellerinnen wenden sich mit ihrer Popularklage u. a. gegen die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 (BayMBl Nr. 737, BayRS 2126-1-15-G). Sie beantragen, diese im Weg einer einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen.
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Gestützt ist die vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassene Rechtsverordnung, die gemäß ihrem § 29 Abs. 1 am 16. Dezember 2020 in Kraft getreten ist und mit Ablauf des 10. Januar 2021 außer Kraft tritt, auf § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1, §§ 28 a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl I S. 1045), das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 18. November 2020 (BGBl I S. 2397) geändert worden ist, sowie in Verbindung mit § 9 Nr. 5 der Delegationsverordnung (DelV) vom 28. Januar 2014 (GVBl S. 22, BayRS 103-2-V), die zuletzt durch Verordnung vom 13. Januar 2020 (GVBl S. 11) geändert worden ist.
II.
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Die Antragstellerinnen sind der Auffassung, dass die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung „sowohl formal als auch materiell verfassungswidrig“ sei und „ihre Anwendung mit schweren Nachteilen aufgrund rechtswidriger Grundrechtseingriffe einhergeh[e]“.
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Insbesondere machen sie geltend, die Ausgangsbeschränkung nach § 2 11. BayIfSMV und die nächtliche Ausgangssperre nach § 3 11. BayIfSMV griffen in ihre Grundrechte auf Freiheit der Person (Art. 102 BV), Freizügigkeit (Art. 109 Abs. 1 BV) und Schutz der Familie (Art. 124 BV) sowie in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) ein. Die Ausgangssperre habe eine Beschränkung der „räumlichen Entfaltung“ für die Antragstellerinnen zur Folge. Ein gemeinsames Treffen der Antragstellerinnen mit ihren jeweiligen Eltern und Geschwistern inklusive Nichten und Neffen werde dadurch unmöglich gemacht. Außerdem sei das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 106 Abs. 3 BV) tangiert, weil ein Treffen auch in privat genutzten Räumen verboten sei. § 10 11. BayIfSMV beeinträchtige die allgemeine Handlungsfreiheit der Antragstellerinnen, weil sie nicht gemeinsam Sport treiben dürften. §§ 13 und 14 11. BayIfSMV verletzten die Grundrechte auf Eigentum (Art. 103 BV) und Berufsfreiheit (Art. 101 BV), weil den Betroffenen die Ausübung ihres Gewerbes vollständig bzw. bis auf kleine Teilbereiche untersagt werde. Eine wirtschaftliche Betätigung werde damit unmöglich gemacht. Dies gelte in gleicher Weise für die Schließung von Kulturstätten (§ 23 11. BayIfSMV), soweit diese in privater Trägerschaft betrieben würden. Ebenfalls betroffen sei Art. 109 Abs. 1 Satz 2 BV, der das Recht umfasse, an jedem beliebigen Ort in Bayern jeden Erwerbszweig zu betreiben.
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Die Verordnung verstoße schon deshalb gegen die Verfassung, weil wegen des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes und wegen des Wesentlichkeitsgrundsatzes in dem hier berührten grundrechtsrelevanten Bereich alle wesentlichen Entscheidungen durch den Gesetzgeber selbst mittels parlamentarischen Gesetzes zu treffen seien. Davon unabhängig stelle § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1, §§ 28 a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die angegriffene Verordnung dar. Die genannten Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes genügten ihrerseits nicht den Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 GG und verstießen gegen die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Außerdem seien die Voraussetzungen für den Erlass einer Rechtsverordnung auf der Grundlage des § 28 a IfSG nicht erfüllt. Weder sei eine epidemische Lage von nationaler Tragweite im Sinn des § 5 Abs. 1 IfSG gegeben, noch lägen belastbare Erkenntnisse über die tatsächliche Zahl der Erkrankungen an COVID-19 („Infektionszahlen“) vor.
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Die angegriffenen Vorschriften verstießen gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die nächtliche Ausgangssperre habe keine Auswirkung auf das Infektionsgeschehen und sei deshalb ungeeignet. Die Ausgangsbeschränkung und die nächtliche Ausgangssperre seien nicht erforderlich, da mildere Mittel, etwa Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebot und Maskenpflicht, zur Verfügung stünden. Auch die Einschränkungen für Gastgewerbe und Kulturbetriebe verstießen gegen das Erforderlichkeitsgebot, weil insoweit auf mildere Mittel, etwa betriebliche Hygienekonzepte, Kapazitätsbeschränkungen und Belüftungssysteme, zurückgegriffen werden könne. Außerdem lieferten Gastgewerbe und Kulturbetriebe nachweislich keinen wesentlichen Beitrag zum Infektionsgeschehen. Insgesamt sei vorrangig für einen gezielten Schutz der Risikogruppen zu sorgen. Die beanstandeten Grundrechtseingriffe könnten nicht unter Hinweis auf die gestiegenen Inzidenzzahlen und das Ziel, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, gerechtfertigt werden. Ein positiver PCR-Test könne nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mit einer Corona-Infektion gleichgesetzt werden. Zudem seien PCR-Tests äußerst fehleranfällig. Die erhobenen Zahlen rechtfertigten nicht das Bild einer „nationalen Katastrophe“. Die Infektionstodesrate von COVID- 19 liege nicht über 0,23%. Deutschlandweit habe es 2020 lediglich 23.427 „Corona-Todesfälle“ gegeben, das entspreche 0,00028% der Bevölkerung. Statistisch gesehen würden in Deutschland jedes Jahr mehr Menschen an Grippe und Lungenerkrankungen sterben als an Corona. Eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe nicht. Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) habe die durchschnittliche Auslastung der Intensivstationen in Deutschland vor Corona bei ca. 80% gelegen. Am 16. Dezember 2020 habe eine Auslastung von 82,3% bestanden. Eine durch Corona bedingte Überlastung zeichne sich somit nicht ab.
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Die Antragstellerinnen sind der Auffassung, wegen der besonderen Krisensituation im Zusammenhang mit Corona dürfe sich der Verfassungsgerichtshof im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht mit der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache begnügen, sondern müsse eine darüber hinausgehende inhaltliche Überprüfung vornehmen. Dies sei geboten, weil die angegriffene Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in einem „Fortsetzungszusammenhang“ mit den vorangegangenen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen stehe und in der Zusammenschau nunmehr über Monate andauernde Grundrechtsbeeinträchtigungen beinhalte. Mit Blick auf das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter sei zu verlangen, dass die inhaltliche Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu einer Prüfung wie im Hauptsacheverfahren verdichtet werde. Dies sei auch deshalb zu fordern, weil zwischenzeitlich neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen und der bayerische Normgeber seine Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen nicht evaluiere, sondern ständig abändere.
III.
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Wegen der besonderen Dringlichkeit wurde davon abgesehen, den im Verfahren zur Hauptsache Beteiligten oder Äußerungsberechtigten vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Art. 26 Abs. 2 Satz 2 VfGHG).
IV.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
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1. a) Der Verfassungsgerichtshof kann auch im Popularklageverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (Art. 26 Abs. 1 VfGHG). Wegen der weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung im Popularklageverfahren in der Regel auslöst, ist an die Voraussetzungen, unter denen sie erlassen werden kann, ein strenger Maßstab anzulegen. Aufgrund des Wesens der Popularklage dürfen konkrete Maßnahmen zugunsten einzelner von einem Rechtssatz betroffener Personen nicht erlassen werden; vielmehr kommt auch im Rahmen einer einstweiligen Anordnung nur eine Regelung infrage, die generell den Vollzug vorläufig aussetzt. Die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift vorgetragen werden, haben im Regelfall außer Betracht zu bleiben. Nur wenn bereits offensichtlich ist, dass die Popularklage aus prozessualen oder sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, kommt eine einstweilige Anordnung von vornherein nicht in Betracht. Umgekehrt kann der Erlass einer einstweiligen Anordnung dann geboten sein, wenn die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschrift offensichtlich ist. Ist der Ausgang des Popularklageverfahrens dagegen als offen anzusehen, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Popularklage aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Popularklage aber der Erfolg zu versagen wäre. Bei dieser Abwägung müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe so gewichtig sein, dass sie im Interesse der Allgemeinheit eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile unabweisbar machen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 8.6.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 11 m. w. N.).
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b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerinnen hat der Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Popularklage keinen über die summarische Prüfung hinausgehenden vertieften Prüfungsmaßstab anzulegen. Zu den Wesensmerkmalen des einstweiligen Rechtsschutzes gehört es gerade, dass dieser in eilbedürftigen Fällen eingreifen kann, in denen - etwa wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit der rechtlichen Fragestellung - eine abschließende Entscheidung in der Hauptsache nicht kurzfristig möglich ist. Wollte man den Erlass oder die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung in derartigen Fällen von einer vollständigen Sach- und Rechtsprüfung abhängig machen, hätte dies lediglich zur Folge, dass einstweiliger Rechtsschutz nicht zeitnah gewährt werden könnte.
12
Ein Anspruch auf eine dem gegenüber vertiefte Prüfung kann aus Normen der Bayerischen Verfassung nicht hergeleitet werden. Er ergibt sich insbesondere nicht aus dem Grundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV), das in erster Linie eine Gewähr dafür schafft, dass die Zuständigkeit des Gerichts rechtssatzmäßig festgelegt ist. Auch aus der vom Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) umfassten Justizgewährungspflicht ist ein derartiger Anspruch nicht abzuleiten. Aufgrund des Justizgewährungsanspruchs ist der Staat verpflichtet, eine funktionsfähige Rechtspflege vorzuhalten. Er muss dafür sorgen, dass Gerichte zur Verfügung stehen, die in richterlicher Unabhängigkeit alle auf sie zukommenden Aufgaben in der richtigen Besetzung und mit der gebotenen Sorgfalt bewältigen können (VerfGH vom 29.9.2005 - Vf. 3-VII-05, Vf. 7-VIII-05 - juris Rn. 146). Vorgaben für den Prüfungsmaßstab in verfassungsgerichtlichen Verfahren ergeben sich daraus für den vorliegenden Fall nicht. Derartige Vorgaben könne auch nicht der von den Antragstellerinnen zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. September 2016 (1 BvR 1335/13 - NVwZ 2017, 149) entnommen werden, die die Überprüfung einer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen fachgerichtlichen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht betrifft. Die Prüfung bleibt vorliegend daher insoweit auf eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage beschränkt, als dies durch die besonderen Gründe auch angesichts der infrage stehenden Nachteile gerechtfertigt ist (vgl. dazu z. B. BVerfG vom 8.11.2012 - 1 BvR 22/12 - juris Rn. 21).
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2. Nach den oben dargestellten Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Außervollzugsetzung liegen hinsichtlich der angegriffenen Vorschriften der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung nicht vor.
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a) Bei überschlägiger Prüfung kann weder von offensichtlichen Erfolgsaussichten noch von einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Popularklage ausgegangen werden.
15
aa) Soweit die Antragstellerinnen die Auffassung vertreten, die mit der Popularklage als verletzt gerügten Grundrechte der Bayerischen Verfassung könnten nur durch förmliches Gesetz eingeschränkt werden, ist dem nicht zu folgen. Zu einschränkenden Regelungen hinsichtlich einschlägiger Grundrechte ist nicht nur der parlamentarische Gesetzgeber selbst, sondern auch der exekutivische Normgeber, also etwa der auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage tätig werdende Verordnungsgeber, befugt.
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bb) Soweit die Antragstellerinnen geltend machen, die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung beruhe nicht auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, ist zu berücksichtigen, dass der Normgeber die beanstandeten Regelungen auf eine bundesrechtliche Ermächtigung, nämlich § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1, §§ 28 a, 29, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG, stützt. Der Verfassungsgerichtshof prüft im Verfahren der Popularklage zwar, ob die angegriffenen Bestimmungen einer Rechtsverordnung auf einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung beruhen und deren Vorgaben einhalten. Prüfungsmaßstab sind dabei jedoch allein die Vorschriften der Bayerischen Verfassung, nicht Normen des Bundesrechts. Ein behaupteter Verstoß gegen Bundesrecht - hier etwa die Rüge, die beanstandete Regelung sei durch die bundesrechtliche Ermächtigungsnorm nicht gedeckt gewesen - kann nur mittelbar als mögliche Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verankerten Rechtsstaatsprinzips geprüft werden. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV erstreckt seine Schutzwirkung jedoch nicht in den Bereich des Bundesrechts mit der Folge, dass jeder formelle oder inhaltliche Verstoß einer landesrechtlichen Vorschrift gegen Bundesrecht zugleich als Verletzung der Bayerischen Verfassung anzusehen wäre. Der Verfassungsgerichtshof hat eine auf einer bundesrechtlichen Ermächtigung beruhende Vorschrift des Landesrechts deshalb nicht umfassend daraufhin zu überprüfen, ob der Normgeber die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm zutreffend beurteilt und ob er andere bundesrechtliche Vorschriften in ihrer Bedeutung für den Inhalt seiner Regelung richtig eingeschätzt hat (VerfGH vom 13.7.1988 VerfGHE 41, 69/73). Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ist vielmehr erst dann verletzt, wenn der Widerspruch zum Bundesrecht offen zutage tritt und darüber hinaus auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 4.4.2017 BayVBl 2017, 553 Rn. 26 m. w. N.; vom 16.11.2020 - Vf. 90-VII-20 - juris Rn. 10; vom 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris Rn. 30; vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 22). Hiervon ausgehend lässt sich bei der gebotenen überschlägigen Prüfung nicht feststellen, dass die angegriffenen Vorschriften wegen Fehlens einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage oder wegen einer Abweichung von den Vorgaben der bundesrechtlichen Ermächtigung offensichtlich und gravierend gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung verstoßen.
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Es ist weder offensichtlich, dass die vom Verordnungsgeber herangezogenen Rechtsgrundlagen ihrerseits verfassungswidrig wären (vgl. VerfGH vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 23; vgl. zu §§ 28, 28 a, 32 IfSG BayVGH vom 8.12.2020 - 20 NE 20.2461 - juris Rn. 22 ff. und vom 14.12.2020 - 20 NE 20.2907 - BeckRS 2020, 34966 Rn. 24; vgl. zur Rechtslage vor Einführung des § 28 a IfSG auch VerfGH vom 16.11.2020 - Vf. 90-VII-20 - juris Rn. 12 f.), noch dass die jeweilige Ermächtigungsgrundlage im Hinblick auf ihre Reichweite die angegriffenen Bestimmungen nicht trüge. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Maßnahme in § 3 11. BayIfSMV („Nächtliche Ausgangssperre“) eine „Ausgangsbeschränkung“ im öffentlichen Raum im Sinn des § 28 a Abs. 1 Nr. 3 IfSG darstellt (vgl. dazu VerfGH vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 23; BayVGH vom 14.12.2020 - 20 NE 20.2907 - BeckRS 2020, 34966 Rn. 26 ff. sowie S. 3 der Begründung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020, BayMBl Nr. 738). Die von den Antragstellerinnen darüber hinaus insbesondere beanstandeten Maßnahmen (Ausgangsbeschränkung, Beschränkung der Sportausübung, Untersagung des Betriebs gastronomischer Einrichtungen, Untersagung von Übernachtungsangeboten, Untersagung des Betriebs von Kultureinrichtungen) sind in § 28 a Abs. 1 Nrn. 3, 7, 8, 12 und 13 IfSG ausdrücklich als mögliche Schutzmaßnahmen im Sinn des § 28 Abs. 1 IfSG aufgeführt. Entsprechendes gilt im Hinblick auf weitere Regelungen der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, wie beispielsweise Beschränkungen von öffentlich zugänglichen Gottesdiensten in Kirchen, Synagogen und Moscheen sowie von Zusammenkünften anderer Glaubensgemeinschaften (§ 6 11. BayIfSMV), Beschränkungen bzw. die Untersagung von Versammlungen (§ 7 11. BayIfSMV), die Schließung von Ladengeschäften (§ 12 11. BayIfSMV) oder die Schließung von Schulen und Kindertageseinrichtungen (§§ 18, 19 11. BayIfSMV) (vgl. § 28 a Abs. 1 Nrn. 10, 14 und 16 in Verbindung mit § 33 IfSG).
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Der Einwand der Antragstellerinnen, die Voraussetzungen für den Erlass von Schutzmaßnahmen im Sinn des § 28 Abs. 1 IfSG seien schon deshalb nicht erfüllt, weil weder eine epidemische Lage von nationaler Tragweite noch belastbare Erkenntnisse über die tatsächliche Zahl der Erkrankungen an COVID-19 vorlägen, erscheint fernliegend. Angesichts der bei Erlass der angegriffenen Regelungen vorhandenen gesicherten Erkenntnisse über durch SARS-CoV-2 verursachte Erkrankungen und Todesfälle war es jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft, dass der Normgeber ein Infektionsgeschehen als gegeben erachtete, das Schutzmaßnahmen nach §§ 28, 28 a IfSG erforderlich macht.
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cc) Ebenso wenig ist festzustellen, dass die angegriffenen Regelungen offensichtlich ein Freiheitsgrundrecht der Bayerischen Verfassung verletzen.
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Es steht außer Frage, dass die Vorschriften der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - zum Teil ganz erheblich - in den Schutzbereich von Freiheitsgrundrechten der Bayerischen Verfassung eingreifen. Das macht die Maßnahmen aber nicht von vornherein verfassungswidrig. Die Grundrechte der Bayerischen Verfassung sind entweder ausdrücklich einschränkbar oder unterliegen, soweit die Rechte vorbehaltlos gewährleistet werden, verfassungsimmanenten Schranken (VerfGH vom 3.12.2019 NVwZ-RR 2020, 273 Rn. 175; vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 25; Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, vor Art. 98 Rn. 61 ff.; Krausnick in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 98 Satz 1 bis 3 Rn. 36 ff.).
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Bei Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verhinderung der Verbreitung der Krankheit COVID-19 ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Staat wegen seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit zum Handeln grundsätzlich nicht nur berechtigt, sondern auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist (vgl. VerfGH vom 8.5.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 121; vom 16.11.2020 - Vf. 90-VII-20 - juris Rn. 23; vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 25; BVerfG vom 13.5.2020 - 1 BvR 1021/20 - juris Rn. 8). Zwar lässt sich nicht jegliche Freiheitsbeschränkung damit rechtfertigen, dass sie dem Schutz der Grundrechte Dritter diene. Vielmehr hat der Staat stets einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der Freiheit der einen und dem Schutzbedarf der anderen zu schaffen (vgl. BVerfG vom 13.5.2020 - 1 BvR 1021/20 - juris Rn. 8). Für eine Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen sprechen angesichts der Gefahren, die ein ungehindertes Infektionsgeschehen für Leib und Leben der Menschen und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems mit sich bringen kann, aber gute Gründe (vgl. z. B. VerfGH vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 26; BVerfG vom 11.11.2020 - 1 BvR 2530/20 - juris Rn. 11).
22
(1) Soweit sich die Antragstellerinnen auf das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 102 Abs. 1 BV) berufen, ist dieses nicht einschlägig. Eine - auch bußgeldbewehrte - Pflicht, die Wohnung nicht ohne bestimmte Gründe zu verlassen, fällt nicht in den Schutzbereich dieses Rechts (vgl. VerfGH vom 23.11.2020 - Vf. 59- VII-20 - juris Rn. 42 ff.). Erforderlich wäre hierfür vielmehr, dass für den Betroffenen eine Zwangswirkung begründet wird, die über die bloße Rechtspflicht zur Anwesenheit an einem bestimmten Ort hinausgeht, wofür die Androhung eines Bußgelds nicht genügt (VerfGH vom 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris Rn. 43 f.; vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 27; vgl. zur Frage einer Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 1 GG auch BayVGH vom 14.12.2020 - 20 NE 20.2907 - BeckRS 2020, 34966 Rn. 44).
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(2) Ebenfalls nicht einschlägig ist das von den Antragstellerinnen zur Begründung der Popularklage herangezogene Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 106 Abs. 3 BV). Art. 106 Abs. 3 BV schützt gegen ein Eindringen in die als Wohnung geschützte Privatsphäre, gewährt aber kein Grundrecht darauf, eine Wohnung in einer bestimmten Art und Weise nutzen zu dürfen.
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(3) In Betracht kommen demgegenüber insbesondere Eingriffe in das Grundrecht auf Freizügigkeit (insbesondere durch die Ausgangsbeschränkung nach § 2 11. BayIfSMV und die nächtliche Ausgangssperre nach § 3 11. BayIfSMV), in das Grundrecht auf Schutz der Familie (insbesondere durch die Beschränkung des gleichzeitigen Zusammentreffens mit Eltern und Geschwistern), in das Grundrecht auf Berufsfreiheit (insbesondere durch die Untersagung von Gastronomiebetrieben nach § 13 11. BayIfSMV, von Übernachtungsangeboten nach § 14 11. BayIfSMV und die Schließung von Kulturstätten nach § 23 11. BayIfSMV) und in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (insbesondere durch die Einschränkungen bei der Ausübung von Sportarten nach § 10 11. BayIfSMV).
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Die Grundrechte auf Freizügigkeit (Art. 109 Abs. 1 BV), Berufsfreiheit (Art. 101 BV) und allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) sind allerdings nicht vorbehaltlos, sondern nur innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze gewährleistet. Das Grundrecht auf Schutz der Familie (Art. 124 Abs. 1 BV) unterliegt als vorbehaltlos gewährleistetes Recht verfassungsimmanenten Schranken aufgrund kollidierender Grundrechte Dritter und anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswerte. Im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung kann nicht festgestellt werden, dass der Normgeber mit den angegriffenen Regelungen in offensichtlich unverhältnismäßiger Weise in die genannten Grundrechte eingegriffen bzw. einen offensichtlich unangemessenen Ausgleich zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern des Schutzes der Familie und der staatlichen Schutzpflicht für Leben und Gesundheit vorgenommen hat.
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Hintergrund der mit der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung teilweise erheblich verschärften Bestimmungen ist eine besorgniserregende Entwicklung des Infektionsgeschehens. Das Robert-Koch-Institut, dessen Einschätzungen nach dem Willen des Gesetzgebers im Bereich des Infektionsschutzes besonderes Gewicht zukommt (vgl. VerfGH vom 26.3.2020 NVwZ 2020, 624 Rn. 16; vom 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris Rn. 68; vom 17.12.2020 - Vf. 110- VII-20 - juris Rn. 29), weist im Lagebericht vom 14. Dezember 2020 (also am Tag vor Verordnungserlass) darauf hin, dass es nach einer vorübergehenden Stabilisierung auf einem erhöhten Niveau Ende August und Anfang September im Oktober in allen Bundesländern zu einem steilen Anstieg der Fallzahlen gekommen sei. Durch die Maßnahmen seit Anfang November habe der Anstieg zwar gestoppt, aber kein nennenswerter Rückgang der Zahlen erreicht werden können. Seit dem 4. Dezember 2020 sei ein erneuter starker Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen. Für Bayern ist die Zahl der bestätigten Infektionen am 14. Dezember 2020 mit 259.793 angegeben, die kumulierten Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 mit 4.895. Bayern gehört demnach weiterhin zu den von der Pandemie am stärksten betroffenen Flächenländern. Bezogen auf 100.000 Einwohner beträgt die Zahl der Infektionen dem genannten Lagebericht zufolge 1.979 (Bundesdurchschnitt 1.608) und die Zahl der Todesfälle 37,3 (Bundesdurchschnitt 26,4). Bundesweit befanden sich nach dem Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) am 27. Dezember 2020 5.562 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, was einen Anstieg gegenüber dem Vortag von 27 bedeutet. Das Robert-Koch-Institut hat aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen seine Risikobewertung angepasst und schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Dabei verweist es auf ein zunehmend diffuses Infektionsgeschehen. Gegenüber der Lage am 14. Dezember 2020 hat sich bis zum 29. Dezember 2020 allein in Bayern die Zahl der gemeldeten Infektionen um 55.141 und die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 um 1.503 erhöht.
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Vor diesem Hintergrund ist nicht festzustellen, dass der Normgeber, dem bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit grundrechtseinschränkender Maßnahmen eine Einschätzungsprärogative zukommt (VerfGH vom 21.10.2020 - Vf. 26-VII-20 - juris Rn. 21; vom 16.11.2020 - Vf. 90-VII-20 - juris Rn. 23), mit den von den Antragstellerinnen beanstandeten Schutzmaßnahmen offensichtlich gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen hat.
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(a) Die von den Antragstellerinnen gegen die Bewertung der Gefahrenlage erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Es ist zwar zutreffend und wird - soweit ersichtlich - auch von niemandem in Abrede gestellt, dass ein positiver PCR-Test nicht bedeutet, dass bei der betroffenen Person Symptome einer Erkrankung an COVID-19 auftreten müssen. Dies ändert aber nichts daran, dass der PCR-Test Rückschlüsse darauf zulässt, wie weit sich das Virus SARS-CoV-2 ausgebreitet hat und in welchem Umfang Neuinfektionen drohen. Dementsprechend liefern die Zahlen zur sogenannten 7-Tage-Inzidenz eine geeignete Grundlage zur Einschätzung der Risikolage. Die Argumentation der Antragstellerinnen, der PCR-Test sei wegen seiner Fehleranfälligkeit und Unzuverlässigkeit als Grundlage für infektionsschutzrechtliche Maßnahmen nicht geeignet, wird vom Robert-Koch-Institut nicht geteilt. Vielmehr weist dieses darauf hin, dass für eine labordiagnostische Untersuchung zur Klärung des Verdachts auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 „PCR-Nachweissysteme entwickelt und validiert“ worden seien, die „als ‚Goldstandard‘ für die Diagnostik“ gelten (www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html; Stand 23.12.2020). Der Normgeber hat sich bei seiner Beurteilung somit nicht auf eine offensichtlich ungeeignete Datengrundlage gestützt (vgl. dazu z. B. auch BayVGH vom 8.9.2020 - 20 NE 20.2001 - juris Rn. 28; vom 8.12.2020 - 20 CE 20.2875 - juris Rn. 9; SächsOVG vom 7.12.2020 - 3 B 396/20 - juris Rn. 29; NdsOVG vom 23.12.2020 - 13 MN 506/20 - juris Rn. 45). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die von § 28 a Abs. 1 Satz 1 IfSG vorausgesetzte Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag selbst getroffen worden ist (vgl. BT-Drs. 19/24387 und das Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages zur Sitzung vom 18. November 2020 S. 24109 sowie NdsOVG vom 23.12.2020 - 13 MN 506/20 - juris Rn. 45).
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Der Einwand der Antragstellerinnen, die Tagesberichte der DIVI belegten keine Überlastung des Gesundheitssystems, lässt unberücksichtigt, dass die Berichte neben den aktuellen Belegungszahlen der Intensivbehandlungsplätze auch eine Übersicht über die Entwicklung der Zahl der COVID-19 Patienten enthalten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen. Danach ist die Zahl der COVID-19 Patienten in Intensivbehandlung von 362 Fällen am 1. Oktober 2020 kontinuierlich auf 5.649 Fälle am 29. Dezember 2020 angestiegen. Dass der Normgeber angesichts dieser Entwicklung eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems angenommen hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
30
Die Einschätzung der Antragstellerinnen, bei „bisher 23.427 Corona-Todesfällen“ (Stand 29. Dezember 2020: 30.978 Fälle) könne nicht von einer „nationalen Katastrophe“ gesprochen werden, ist für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der beanstandeten Maßnahmen nicht maßgeblich. Der Normgeber ist - wie bereits ausgeführt wurde - verfassungsrechtlich verpflichtet, Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen. Ihn trifft zudem die Pflicht, die personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems vor Überlastung zu bewahren (VerfGH vom 8.5.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 121; vom 16.11.2020 - Vf. 90- VII-20 - juris Rn. 23). Er würde seinen staatlichen Schutzpflichten nicht gerecht, wenn er auf ein weltweites Infektionsgeschehen erst reagieren würde, nachdem sich dieses zu einer - im Sprachgebrauch der Antragstellerinnen - „nationalen Katastrophe“ entwickelt hat (vgl. VerfGH vom 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris Rn. 50).
31
(b) Wie die Erfahrungen aus der ersten Welle der Pandemie gezeigt haben, ist eine strikte und systematische Reduzierung von Kontakten geeignet, das Infektionsgeschehen wirksam einzudämmen (vgl. auch VerfGH vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 30; BayVGH vom 14.12.2020 - 20 NE 20.2907 - BeckRS 2020, 34966 Rn. 31). Daher ist gerade nicht auszuschließen, dass im Fall der Fortführung der durch die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung untersagten Tätigkeiten wegen des derzeitigen diffusen Infektionsgeschehens ein ausreichender Schutz vor unkontrollierter Ausbreitung von Infektionen verfehlt würde. Den angegriffenen Maßnahmen fehlt - bei der gebotenen summarischen Prüfung - weder die Geeignetheit noch die Erforderlichkeit oder Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn), um Eingriffe in Freiheitsrechte zu rechtfertigen (so hinsichtlich der nächtlichen Ausgangssperre bereits VerfGH vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 30). Es ist jedenfalls nicht offensichtlich, dass die dadurch beabsichtigte Unterbindung von Kontakten von vornherein ungeeignet wäre, die weitere Ausbreitung von Infektionen abzuschwächen und hierfür - angesichts der zuletzt hohen Zahl an Neuinfektionen - ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel zur Verfügung stünde. Der Einwand der Antragstellerinnen die von ihnen genannten alternativen Schutzmaßnahmen (Hygienekonzepte, Kapazitätsbeschränkungen etc.) seien in gleicher Weise geeignet, den gewünschten Rückgang der Infektionszahlen herbeizuführen, könnte nur durchgreifen, wenn die Gleichwertigkeit dieses alternativen Vorgehens in jeder Hinsicht eindeutig feststünde (vgl. BVerfG vom 6.10.1987 - 1 BvR 1086/82 - juris Rn. 84; vom 14.11.1989 - 1 BvL 14/85 - juris Rn. 65). Dies ist nicht der Fall. Es ist schließlich auch nicht festzustellen, dass die durchaus erheblichen Beeinträchtigungen, die durch die beanstandeten Maßnahmen bewirkt werden, in der Abwägung offensichtlich außer Verhältnis zu dem hohen Schutzgut von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen bei einer weiteren Verbreitung des Coronavirus stünden (vgl. dazu auch BayVGH vom 14.12.2020 - 20 NE 20.2907 - BeckRS 2020, 34966 Rn. 38 ff.).
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Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Bayerische Staatsregierung ihrer Pflicht, die getroffenen Maßnahmen fortlaufend auf ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit hin zu überprüfen (VerfGH vom 24.4.2020 NVwZ 2020, 785 Rn. 31; vom 8.5.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 103), nicht nachkäme. Der Einwand der Antragstellerinnen, der Normgeber evaluiere die erlassenen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen nicht, sondern ändere diese ständig, geht fehl. Die häufigen Änderungen der Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen belegen gerade, dass der Normgeber die Wirksamkeit und Angemessenheit der Maßnahmen fortwährend überwacht und die erlassenen Rechtsvorschriften an neue Erkenntnisse und die aktuelle Entwicklung des Infektionsgeschehens anpasst.
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(c) Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise im Hinblick auf die sonstigen Regelungen der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, wie beispielsweise Beschränkungen von öffentlich zugänglichen Gottesdiensten in Kirchen, Synagogen und Moscheen sowie von Zusammenkünften anderer Glaubensgemeinschaften (§ 6 11. BayIfSMV), Beschränkungen bzw. die Untersagung von Versammlungen (§ 7 11. BayIfSMV), die Schließung von Ladengeschäften (§ 12 11. BayIfSMV), die Schließung von Schulen und Kindertageseinrichtungen (§§ 18, 19 11. BayIfSMV) oder das Verbot des Konsums von Alkohol im öffentlichen Raum (§ 24 Abs. 2 11. BayIfSMV).
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(d) Auch ein Verstoß der Bestimmungen der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gegen sonstiges Verfassungsrecht ist jedenfalls nicht offensichtlich.
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b) Bei der demnach gebotenen Folgenabwägung überwiegen die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe. Auch wenn die Elfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung gegenüber früheren Verordnungen teilweise erhebliche Verschärfungen enthält, müssen die Belange der von der Vorschrift Betroffenen gegenüber der fortbestehenden und, wie oben ausgeführt, in jüngerer Zeit wieder erheblich gestiegenen Gefahr für Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen bei gleichzeitig drohender Überforderung der personellen und sachlichen Kapazitäten des Gesundheitssystems zurücktreten. Eine vorläufige Außerkraftsetzung einzelner Verordnungsbestimmungen würde zudem die praktische Wirksamkeit des vom Verordnungsgeber verfolgten Gesamtkonzepts in einem Ausmaß beeinträchtigen, das dem Gebot zuwiderliefe, von der Befugnis, den Vollzug einer in Kraft getretenen Norm auszusetzen, wegen des erheblichen Eingriffs in die Gestaltungsfreiheit des Normgebers nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch zu machen (vgl. zu Folgenabwägungen im Zusammenhang mit „Coronamaßnahmen“ bereits VerfGH vom 26.3.2020 NVwZ 2020, 624 Rn. 13; vom 24.4.2020 NVwZ 2020, 785 Rn. 23; vom 8.5.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 26; vom 15.5.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 14; vom 8.6.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 22; vom 3.7.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 21; vom 12.8.2020 - Vf. 34-VII-20 - juris Rn. 23; vom 21.10.2020 - Vf. 26-VII-20 - juris Rn. 25; vom 29.10.2020 - Vf. 81-VII-20 - juris Rn. 19; vom 16.11.2020 - Vf. 90-VII-20 - juris Rn. 41; vom 17.12.2020 - Vf. 110-VII-20 - juris Rn. 37; vgl. auch BVerfG vom 11.11.2020 - 1 BvR 2530/20 - juris Rn. 16).
V.
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).