Inhalt

VG München, Urteil v. 07.09.2020 – M 30 K 17.47275
Titel:

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen inländischer Fluchtalternativen in den Großstädten von Sierra Leone

Normenketten:
Art. 3 EMRK
AsylG § 3, § 3a, § 4a
AufenthG § 11, § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Auch in Bezug auf eine Bedrohung durch Jugendliche und rivalisierende Gruppen ist es auch aufgrund einer dem Kläger von jenen zugeschriebenen homosexuellen Orientierung zumindest außerhalb Bo´s in allen Städten von Sierra Leone möglich, unbehelligt zu leben (stRspr des VG München BeckRS 2018, 30601; BeckRS 2018, 20432; VG Augsburg BeckRS 2017, 106195). (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zentraler Bezugspunkt der Zumutbarkeitsprüfung im Rahmen der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative ist der Begriff der „Niederlassung“ in der beabsichtigten Zielregion, womit – jedenfalls mittelfristig – eine dauerhafte Wohnsitznahme in der jeweiligen Zielregion gemeint ist, welche dem Kläger objektiv möglich sein muss und nicht an rechtlichen Zuwanderungsbeschränkungen scheitern darf. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ergibt sich nicht aufgrund der Covid-19-Pandemie.      (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland: Sierra, Leone, Inländische Fluchtalternative, Existenzminimumsicherung (bejaht), Abschiebungsverbote (verneint), KKK, homosexuelle Orientierung, Zumutbarkeit der Niederlassung, dauerhafte Wohnsitznahme, Covid-19-Pandemie
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 18.11.2020 – 9 ZB 20.32200
Fundstelle:
BeckRS 2020, 36202

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger, nach eigenen Angaben ein am ...1998 geborener sierraleonischer Staatsangehöriger vom Volke der Mandingo, stellte am 19. August 2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt).
2
Bei seiner Befragung durch die Regierung von Oberbayern am 10. August 2016 gab der Kläger an, dass er 12 Jahre lang in der K* … Street Nr. 4 in der Stadt Bo (Stadtteil Samamie) zusammen mit seinen Eltern und drei Schwestern gewohnt habe. Seine Mutter sei jedoch verstorben. Zu seinen Schwestern habe er zuletzt Kontakt gehabt, bevor er geflohen sei. Seine Verwandtschaft in Sierra Leone kenne er nicht. In Deutschland habe er einen Cousin namens … … Er sei neun Jahre lang zur Schule gegangen. Sein Vater habe im Bergbau gearbeitet und Gold geschürt.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 2. August 2017 erklärte der Kläger, dass er manchmal an Rückenschmerzen leide. Er sei deshalb in Deutschland im Krankenhaus untersucht worden, jedoch sei auf den Bildern nichts zu sehen gewesen. Nach dem Tod seiner Mutter, die bei einem Unfall verstorben sei, habe er die Schule nicht mehr abschließen können und habe fortan auf einem Motorrad als Taxifahrer gearbeitet. Befragt zu seinem Verfolgungsschicksal erklärte der Kläger, dass er in Sierra Leone in einer Gruppe namens KKK Mitglied gewesen sei. Am 8. November 2015, einem Sonntag, sei er in einen Club gegangen. Dieser sei von Mitgliedern anderer Gruppen angegriffen worden. Dies sei nachts geschehen. Sie hätten versucht zu fliehen, doch dies habe sich schwierig gestaltet. Er und die anderen Mitglieder seien mit Messern und Stöcken mit Nägeln an den Enden geschlagen worden, insbesondere auf den Kopf. Man habe ihnen vorgeworfen, schwule Mitglieder zu haben und ein schlechtes Leben zu führen. In dieser Nacht habe ein Kampf begonnen. In den Häusern sei nach den Mitgliedern der Gruppe KKK gesucht worden. Die Angreifer seien sogar zu seinem Haus gekommen, jedoch habe er sich auf dem Dach verstecken können. KKK bedeute Killa Kill Killa. Killa sei der Name des zweiten Anführers. Der erste Anführer heiße Toridino. Die Gruppe habe 40 Mitglieder gehabt. Die meisten seien Schüler gewesen. Man habe sich nach der Schule getroffen, um Sport zu machen, zum Beispiel Fußball zu spielen. Zwischen den Gruppen bestünden immer wieder Rivalitäten. Man habe seiner Gruppe vorgeworfen, dass ihre Mitglieder schwul seien. Er selber sei nicht schwul. Nach Sierra Leone könne er nicht zurück, da man von Haus zu Haus nach ihm suchen würde. Man habe sogar die Okada geschickt. Diese seien Motorradfahrer, ähnlich wie Taxifahrer und würden sich in der Stadt gut auskennen. Bei einer Rückkehr nach Sierra Leone befürchte er, sterben zu müssen.
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Das Bundesamt lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 23. August 2017 Gesch.-Z.: … ab. Eine Flüchtlingseigenschaft wurde nicht zuerkannt (Nr. 1), der Antrag auf Asylanerkennung wurde abgelehnt (Nr. 2), der subsidiäre Schutzstatus wurde ebenfalls nicht zuerkannt (Nr. 3). Des Weiteren wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Nr. 4). Im Übrigen wurde die Abschiebung angedroht (Nr. 5), und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung führt das Bundesamt aus, dass der Kläger gemäß § 3e Asylgesetzes auf eine zumutbare inländische Fluchtalternative zu verweisen wäre. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Der Kläger sei eine junge, gesunde und arbeitsfähige Person. Zwar habe dieser keinen Beruf erlernt, jedoch unternehmerisches Handeln durch die selbstständigen Taxifahrten mit einem Motorrad gezeigt. Ihm drohe auch keine individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung Bezug genommen.
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Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid am 25. August 2017 Klage zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München. Der Prozessbevollmächtigter begründete die Klage im Wesentlichen damit, dass der Kläger glaubhaft gemacht habe, dass seine Gruppe wegen der tatsächlichen Sexualität einiger Mitglieder verfolgt worden sei. Bei den Angreifern handele es sich um nichtstaatliche Akteure. Sofern der Angriff vom Chief unterstützt worden sei, wäre die Verfolgung zum Teil sogar von staatlichen Akteuren begangen oder zumindest unterstützt. Der Verfolgungsgrund ergebe sich daraus, dass dem Kläger die Homosexualität von der Öffentlichkeit zumindest zugeschrieben werde. Somit habe der Kläger sein Land wegen einer tatsächlich stattgefunden Verfolgung bzw. wegen einer unmittelbar drohenden und erheblichen Gefahr verlassen. Der Kläger werde weiterhin von der Öffentlichkeit gesucht. Von der Ernsthaftigkeit der beschriebenen Vorfälle vom 8. November 2015 zeuge auch der als Anlage beigelegte, in der Awoko erschienene Zeitungsartikel. Die Menschenrechtslage in Sierra Leone sei für Homosexuelle weiterhin katastrophal. Die Regierung lehne es ab, diesen ihre Menschenrechte zu garantieren. Die Polizei und Sicherheitskräfte des Landes seien nicht willens, den Kläger zu schützen. Eine inländische Fluchtalternative bestünde nicht. Die Ereignisse am 8. November 2015 seien in den Medien berichtet worden, weshalb die Betroffenen eine gewisse Bekanntheit erlangt hätten. Es sei daher mehr als unwahrscheinlich, dass sich der Kläger an einem Ort außerhalb seines Heimatortes völlig anonym ein neues Leben aufbauen könne.
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Der Kläger beantragt,
1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. August 2017, Az.: …, wird in Ziffer 1) und in Ziffer 3) bis 6) aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
3. Die Beklagte wird verpflichtet den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
4. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bestehen.
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Die Beklagte äußerte sich zum Gerichtsverfahren nicht.
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In der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2020 erklärte der Kläger im Wesentlichen zu seinem bisherigen Vorbringen, dass er am Abend des 8. November 2015 in einem Club gewesen sei und Mitglieder seiner Gruppe sich im Club gestritten hätten. Am nächsten Tage habe die Polizei Jugendliche losgeschickt, um Mitglieder der Gruppe zu suchen. Sofern diese jemanden gefunden hätten, hätten sie die betreffende Person angegriffen und zusammengeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt sei er nicht zuhause gewesen, weshalb er auch nicht von den Jugendlichen gefunden worden sei. Sein Vater habe draußen gesessen und begonnen zu schreien. Daher habe er sich auf das Dachgeschoss des Hauses begeben und dort gewartet, bis die Jugendlichen fortgegangen seien. Die Gruppe KKK könne er nicht verlassen, da er einen Eid geschworen habe. Der Zeitungsartikel in der Zeitschrift „Awoko“ vom 21. August 2017 beschreibe den Vorfall vom 8. November 2015. Er wolle nochmals richtigstellen, dass die Gruppe KKK lediglich behauptet habe, dass die Mitglieder gemeinsam Sport machen würden, etwa gemeinsames Tanzen oder Fußballspielen. Seine Freunde hätten ihn angelogen, sie würden an anderen Orten leben. Er habe noch Kontakt zu seinem Vater. Dieser lebe - ebenso wie seine Schwestern - nicht mehr in der Stadt Bo. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass die rivalisierenden Gruppen ihn finden würden. Daher sei sein Leben in Gefahr.
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Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegten Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Die Anträge des anwaltlich vertretenen Klägers waren nach §§ 88, 86 Abs. 3 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Anträge zu 3. und 4. jeweils in der genannten Reihenfolge hilfsweise für den Fall gestellt werden, dass der jeweils vorangegangene Antrag ohne Erfolg bleibt.
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II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die ablehnende Entscheidung des Bundesamts vom 23. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG hat. Ebenso wenig liegen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich einer Abschiebung des Klägers nach Sierra Leone vor. Die auf der Ablehnung des Asylantrags als unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung mit 30tägiger Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG und dessen Befristung sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
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1. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG Münster, U.v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris Rn. 21 f. m.w.N.). Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen (§ 3e AsylG), deren Inanspruchnahme zumutbar ist. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
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Subsidiärer Schutz ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Die §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
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Die Furcht vor Verfolgung sowie die Gefahr eines ernsthaften Schadens ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32). Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
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Hinsichtlich einer individuellen Verfolgung oder Bedrohung muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich ein Ausländer insbesondere hinsichtlich individueller Gründe für einen asylrechtlichen Schutzstatus befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung. Dabei sind die Herkunft, der Bildungsstand und das Alter des Asylsuchenden sowie sprachliche Schwierigkeiten zu berücksichtigen. Dem Ausländer obliegt es aber dennoch, gegenüber dem Tatsachengericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Daher ist Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ein geeigneter Vortrag, welcher den Asylanspruch hinsichtlich der in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallenden Ereignissen - insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen - lückenlos trägt (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 - 9 C 141/83 - juris Rn. 11). Der Ausländer muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen; er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171; BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - NVwZ 1985, 658; BVerwG, U.v. 8.5.1984 - 9 C 141/83 - juris Rn. 11). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag sowie in Fällen, in welchen der Vortrag nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, kann dem Asylsuchenden in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. VGH Kassel, U.v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris Rn. 15; VGH Mannheim, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35; BVerwG, B.v. 23.5.1996 - 9 B 273/96 - juris Rn. 2; B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - NVwZ 1990, 171; U.v. 8.2.1989 - 9 C 29/87 - juris Rn. 8; U.v. 23.2.1988 - 9 C 273/86 - juris Rn. 11; B.v. 12.9.1986 - 9 B 180/86 - juris Rn. 5; U.v. 16.4.1985 - 9 C 109/84 - NVwZ 1985, 658).
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2. In Anwendung dieser Maßstäbe liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff AsylG oder des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG beim Kläger nicht vor.
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2.1 Ob der klägerische Vortrag, er werde wegen seiner Mitgliedschaft in der KKK sowie seiner zwar tatsächlich nicht vorhandenen, ihm jedoch zugeschriebenen Homosexualität verfolgt, glaubhaft ist, kann offenbleiben, da selbst bei Wahrunterstellung der klägerischen Angaben in Bezug auf sein Verfolgungsschicksal sein Begehren ohne Erfolg bleibt. Daher kommt es insbesondere nicht darauf an, dass der vom Kläger selbst vorgelegte Zeitungsartikel mit keinem Wort erwähnt, dass ein Angriff auf Homosexuelle stattfand. Vielmehr berichtet der Artikel darüber, dass Jugendliche Menschengruppen in Bars, Restaurants und Nachtclubs terrorisiert hätten und den betroffenen Opfern Mobiltelefone, (Hand-)Taschen, Geld und andere Wertgegenstände entwendet hätten. Zwar erwähnt der Artikel „Okadas“, doch schreibt der Artikel, dass diese die vermeintlichen Diebe und Täter gesucht und zur Polizei gebracht hätten.
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2.2 Dem Kläger steht eine zumutbare inländische Fluchtalternative i.S.d. §§ 3e, 4 Abs. 3 AsylG zur Verfügung.
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2.2.1 Es wäre dem Kläger in Bezug auf eine Bedrohung durch die angreifenden Jugendlichen und rivalisierenden Gruppen - auch aufgrund einer dem Kläger von jenen zugeschriebenen homosexuellen Orientierung - zumindest in allen größeren Städten von Sierra Leone mit Ausnahme der Stadt BO möglich, unbehelligt zu leben.
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2.2.1.1 Es wäre dem Kläger in Bezug auf eine Bedrohung durch die Jugendlichen und rivalisierenden Gruppen zumindest außerhalb Bo´s in allen Städten von Sierra Leone möglich, unbehelligt zu leben (std. Rspr. des VG München U.v. 5.4.2018 - M 30 K 17.39165 - juris; U.v. 14.5.2018 - M 30 K 17.40892 - beckonline; VG Augsburg, U.v. 22.03.2017 - Au 4 K 16.32061 - juris Rn 38 ff.). Es erscheint bereits fraglich, wie es den Jugendlichen und rivalisierenden Gruppen grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihnen gesuchte Personen zu finden. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17.10.2017). Wie das Auffinden von Personen gelingen soll, vermag das Gericht trotz der verhältnismäßig geringen Landesgröße Sierra Leones nicht nachzuvollziehen. Vielmehr ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Jugendlichen und rivalisierenden Gruppen den Kläger nicht noch einige Jahre später in ganz Sierra Leone und allen größeren Städten suchen werden. Der Aufwand für diese in Sierra Leone, alle Personen, die in der Nacht vom 8. November 2015 involviert waren, in ganz Sierra Leone zu suchen - ohne zentrales Melderegister - wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Zudem ist jenen Personen bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt in Sierra Leone aufhält. Soweit der Kläger vorträgt die Ereignisse vom 11. November 2015 seien in den Medien berichtet worden, weshalb er eine gewisse Bekanntheit erlangt hätte, legt dieser hierzu keinerlei Beweise vor. Die Behauptung bleibt unsubstantiiert und pauschal. Auch der vorgelegte Artikel der Zeitschrift Awoko nennt den Kläger nicht namentlich.
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2.2.1.2 Dem - nach eigenen Angaben nicht homosexuellen - Kläger droht auch für den Fall, dass ihm eine homosexuelle Orientierung von seinen Verfolgern zugeschrieben wird (vgl. § 3b Abs. 2 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG) innerhalb Sierra Leones keine anderweitige Verfolgung i.S.v. § 3a AsylG oder ein ernsthafter Schaden i.S.v. § 4 AsylG (vgl. VG München, U.v. 28.10.2018 - M 30 K 17.40322 - juris; U.v. 9.11.2018 - M 30 K 17.43175 - juris; VG Regensburg, U.v. 15.5.2019 - RO 14 K 19.30269 - juris).
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Es ist schon bereits fraglich, weshalb dem Kläger bei einer Rückkehr an einem anderen, neuen Ort eine homosexuelle Orientierung zugesprochen werden sollte. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger landesweit wegen seiner - tatsächlich nicht vorhandenen - homosexuellen Orientierung bekannt ist.
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Selbst wenn diesem eine solche von seinen Verfolgern zugesprochen würde, ändere dies nichts an der Möglichkeit der inländischen Fluchtalternative. Zwar weisen die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel darauf hin, dass es ein formal nicht außer Kraft gesetztes Gesetz aus der britischen Kolonialzeit aus dem Jahr 1861 gibt, nach welchem Homosexualität zwischen Männern in Sierra Leone untersagt und mit Freiheitsstrafe bedroht ist (vgl. u.a. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu Sierra Leone v. 11.05.2020; USDOS - U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices 2016 v. 3.3.2017, 2017 v. 20.4.2018, 2018 v. 13.03.2019 sowie 2019 v. 11.03.2020; BFA Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, 3.5.2017). Diese Quellen gehen jedoch davon aus, dass dieses Gesetz in der Praxis gerade nicht angewendet wird. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, allein nicht als Verfolgungsmaßnahme qualifiziert werden (vgl. EuGH, U.v. 7.11.2013 - C-199/12, C-200/12, C-201/12 - NVwZ 2014, 312). Aus dem bloßen Bestehen eines entsprechenden Gesetzes in Sierra Leone, welches aber in der Praxis nicht angewandt wird, kann sich demnach noch keine relevante Bedrohung für den Kläger ergeben.
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Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ist ferner zu entnehmen, dass Homosexualität von vielen Teilen der Bevölkerung abgelehnt und als Verstoß gegen traditionelle Normen und Werte betrachtet wird (vgl. Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu Sierra Leone vom v. 11.05.2020; USDOS - U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices 2016 v. 3.3.2017, 2017 v. 20.4.2018, 2018 v. 13.03.2019 sowie 2019 v. 11.03.2020; BFA Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, 3.5.2017). Es liegen jedoch keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass staatliche Stellen in Sierra Leone Personen mit homosexueller Orientierung grundsätzlich keinen Schutz gewähren würden (so auch BayVGH, B.v. 23.11.2017 - 9 ZB 17.30302 - juris Rn 4; B.v. 27.3.2018 - 9 ZB 18.30439 - juris Rn 6). Zwar weisen die Erkenntnismittel darauf hin, dass es vereinzelt zu Übergriffen gekommen sein soll und staatliche Behörden nicht streng genug hiergegen vorgingen (vgl. USDOS - U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices 3.3.2017, 2017 v. 20.4.2018, 2018 v. 13.03.2019 sowie 2019 v. 11.03.2020; Amnesty International, Länderreport 2014/15 zu Sierra Leone v. 25.2.2015; Länderreport 2019 zu Sierra Leone v. 8.4.2020). Vereinzelt geschilderte Übergriffe belegen jedoch nicht die grundsätzliche Schutzunwilligkeit oder Schutzunfähigkeit des Staates (vgl. BayVGH, a.a.O.). Erkenntnisse, dass eine etwaige Ausgrenzung homosexueller Männer durch Teile der Gesellschaft im Allgemeinen die Intensität einer schutzrelevanten Bedrohung i.S.d. § 3a AsylG oder § 4 AsylG erreichen würden, liegen zudem ebenfalls nicht vor (so auch VG Augsburg, U.v. 10.1.2018 - Au 4 K 17.32392 - beckonline Rn 17). Aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt sich nichts Gegenteiliges. Der Kläger hat hierzu auch nichts Substantiiertes vorgetragen.
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2.2.2 Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich am Ort der inländischen Fluchtalternative den Lebensunterhalt zu verdienen.
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Zentraler Bezugspunkt der Zumutbarkeitsprüfung ist der Begriff der „Niederlassung“ in der beabsichtigten Zielregion, womit - jedenfalls mittelfristig - eine dauerhafte Wohnsitznahme in der jeweiligen Zielregion gemeint ist, welche dem Kläger objektiv möglich sein muss und nicht an rechtlichen Zuwanderungsbeschränkungen scheitern darf (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Edition Stand: 1.7.2020, § 3e AsylG Rn. 36 f., 50). Unzumutbar ist eine Niederlassung jedenfalls dann, wenn dem Betroffenen in dem verfolgungssicheren Landesteil Gefahren i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG oder § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG drohen (Wittmann a.a.O Rn. 40; VGH BW, U.v. 16.10.2017 - A 11 S 512/17 - BeckRS 2017, 135067 Rn. 63 f.).
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2.2.2.1 Dem Kläger ist es rechtlich möglich, sich an jedem Ort in Sierra Leone niederzulassen und diesen Ort auch tatsächlich zu erreichen. In der Verfassung Sierra Leones sind die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und die Rückkehr verankert. Die Regierung respektiert diese Rechte üblicherweise, wenngleich es Berichte gibt, dass die Polizei Straßensperren nutzt um Geld von Reisenden für die Weiterfahrt zu erpressen (USDOS - U.S. Department of State - Sierra Leone 2019 Human Rights Report vom 11.3.2020 und Sierra Leone 2018 Human Rights Report vom 13.3.2019). Zwar erschweren solche Formen staatlicher Korruption ein Fortkommen innerhalb des Landes. Erkenntnismittel dafür, dass es den Menschen in Sierra Leone gänzlich unmöglich wäre innerhalb des Landes zu reisen oder die „Straßensperren“ ein Ausmaß an Korruption erreichen würden, welches die üblicherweise im Land vorhandene Korruption übersteigen würde, liegen nicht vor. Klägerseits wurde hierzu ebenfalls nichts vorgetragen.
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2.2.2.2 Dem Kläger ist auch eine - jedenfalls mittelfristig - dauerhafte Niederlassung an einem anderen Ort als seinem Heimatort objektiv möglich.
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2.2.2.2.1 Eine Unzumutbarkeit der Niederlassung ergibt sich vorliegend nicht aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr nach Sierra Leone unmenschlichen Verhältnissen i.S.v. Art. 3 EMRK ausgesetzt würde. Es wird dem Kläger trotz der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Sierra Leone möglich sein, sein Existenzminimum zu sichern. Ein außergewöhnlicher Fall, wonach unter dem allgemeinen Gesichtspunkt schwieriger humanitärer Bedingungen im Herkunftsland von einer Abschiebung entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK „zwingend“ abzusehen wäre, liegt nicht vor. Dabei ist § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG auch im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzuwenden, wenn sich der Ausländer auf eine Erkrankung beruft, aufgrund derer er im Zielstaat seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sicher könne (OVG Lüneburg, B.v. 13.3.2020 - 9 LA 46/20 BeckRS 2020, 4520 Rn. 13 ff; Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 5. Edition Stand: 1.7.2020, § 60 AufenthG Rn. 23; vgl. ferner BVerwG, B.v. 22.1.2020 - 1 B 3.20 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf OVG SH, B.v. 1.11.2019 - 4 LB 18/17 - n.v. wohl zu § 60 Abs. 5 AufenthG).
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Sierra Leone gehört trotz seines Rohstoffreichtums zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach den Jahren des Bürgerkriegs erholt sich das Land wirtschaftlich nur langsam. Sierra Leone ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,1 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 539,2 US-Dollar (Stand Oktober 2019) eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2019 Rang 181 der 189 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Arbeitslosenrate im Land ist sehr hoch. Die Jungendarbeitslosigkeit ist ein besonderes Problem (Bertelsmann Stiftung, Bertelsmann Stiftung’s Transformation Index (BTI) 2016 - Sierra Leone Country Report, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung, 2016). Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Wirtschaft wird mit etwa 60,3% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 32,4% und der Industriesektor mit 5,2% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018). Ungelernten Arbeitslosen gelingt es nur durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Transportwesen), Kleinhandel (z.B. Verkauf von Obst, Süßigkeiten, Zigaretten) und ähnlichen Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicher zu stellen (vgl. zu damals noch prekäreren Verhältnissen: OVG NRW, B.v. 6.9.2007 - 11 A 633/05.A - juris Rn 28). Die Lebensumstände in Sierra Leone sind also als äußerst schwierig zu bezeichnen. Man geht aber davon aus, dass sich ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann in Sierra Leone ein Existenzminimum - wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs - erwirtschaften kann. (vgl. VG Regensburg, U.v. 11.02.2019 - RN 14 K 17.3514 - juris).
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Die medizinische Versorgung ist in Sierra Leone nach wie vor schwierig und es herrscht ein ausgeprägter Mangel an Fachärzten (vgl. BFA Republik Österreich a.a.O.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Informationszentrum Asyl und Migration, Glossar Islamische Länder - Band 17 Sierra Leone, Mai 2010).
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Auch angesichts der aktuellen Covid-19-Pandemie liegen keine Erkenntnisse vor, dass sich die Verhältnisse in Sierra Leone derart verschlechtert haben, dass es dem Kläger unzumutbar wäre, sich am Ort der inländischen Fluchtalternative den Lebensunterhalt zu verdienen.
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Die tatsächlichen individuellen Umstände des Klägers werden es ihm daher ermöglichen, trotz dieser humanitären Verhältnisse in Sierra Leone seinen Lebensunterhalt zu sichern. Der Kläger ist gesund, jung und ohne Unterhaltsverpflichtungen. Die vorgetragenen Rückenprobleme sind weder durch ein Attest nachgewiesen, noch wurde klägerseits vorgetragen, dass hierdurch dessen Erwerbsfähigkeit eingeschränkt wird. Er hat neun Jahre lang die Schule besucht und Arbeitserfahrung als Motorrad-Taxifahrer und Ladenverkäufer gesammelt. Er spricht eine der Landessprachen und ist mit den Gepflogenheiten des Herkunftslands vertraut. Der Kläger hat noch Kontakt zu seinem Vater. Sowohl dieser als auch die Schwestern des Klägers leben außerhalb der Stadt Bo. Der Kläger kann somit auf vorhandene Familienstrukturen - auch im Rahmen der inländischen Fluchtalternative - zurückgreifen. Dass er derzeit nur Kontakt zu seinem Vater hat, ändert hieran nichts, da davon auszugehen ist, dass dieser einen Kontakt zu den Schwestern des Klägers herstellen kann. Es kann vom Kläger daher erwartet werden, nach seiner Rückkehr durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit - wenn auch nur durch Gelegenheitsarbeiten - und die Unterstützung seiner Familie sich ein Existenzminimum zu sichern und zu erhalten.
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2.2.2.2.2 Eine Unzumutbarkeit der Niederlassung ergibt sich vorliegend nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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2.2.2.2.2.1 Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erfasst sind davon nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich auch aus der Krankheit eines Ausländers ergeben‚ wenn diese sich im Heimatstaat wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert. Es ist aber nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Es kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben‚ die dazu führen‚ dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung miteinzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände‚ die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können. Von einer konkreten Gefahr ist in Krankheitsfällen dann auszugehen, wenn die erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 17.3.2016 - 13a B 16.30007 - juris; BVerwG‚ U.v. 17.10.2006 - 1 C 18.05 - NVwZ 2007, 712).
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Allerdings hat der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG glaubhaft zu machen. Diese soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlichmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Diese Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG an ein ärztliches Attest sind dabei auf die Substantiierung der Voraussetzungen an ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu übertragen (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - juris Rn 7 m.w.N.; B.v. 4.10.2018 - 15 ZB 18.32354 - beckonline; B.v. 26.4.2018 - 9 ZB 18.30178 - juris). Dies ergibt sich seit der Gesetzesänderung mit Wirkung vom 21. August 2019 auch ausdrücklich aus § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.
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Die Überprüfung, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen diesen Anforderungen entsprechen, ist dabei Aufgabe des erkennenden Gerichts. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 24.1.2018 - 10 ZB 18.30105 - beckonline).
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Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichende Versorgungslage, sind hingegen bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324/328; U.v. 19.11.1996 - 1 C 6/95 - BVerwGE 102, 249/258 f.; U.v. 8.12.1998 - 9 C 4/98 - BVerwGE 108, 77/80 f.; U.v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379/382; U.v. 29.6.2010 - 10 C 10/09 - BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2006 - 1 B 60/06 (1 C 21/06) - juris).
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2.2.2.2.2.2 Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe droht dem Kläger keine erheblich konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit. Der Kläger ist gesund. Die vorgebrachten Rückenprobleme sind weder durch ein qualifiziertes Attest i.S.d § 60a Abs. 2c AufenthG nachgewiesen noch hinreichend substantiiert vorgetragen. Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage für den Kläger sind nach den obigen Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor.
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Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich ebenfalls nicht aufgrund der Covid-19-Pandemie. Unabhängig von der Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wonach es bei allgemeinen Gefahren einer - vorliegend nicht bestehenden - Anordnung nach § 60a Abs. 1 AufenthG bedürfte, wäre der Kläger nicht über das allgemeine Risiko hinaus in besonderer Weise gefährdet, insbesondere nicht derart, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 - 9 ZB 14.30457 - juris Rn. 11; OVG NRW, B.v. 17.12.2014 - 11 A 2468/14.A - juris Rn. 14). Bei dem Großteil der Bevölkerung verläuft eine vom Coronavirus verursachte Erkrankung in der Regel eher mild. Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben ältere Personen und Personen mit Vorerkrankungen, auch wenn schwere Verläufe auch bei Personen ohne bekannte Vorerkrankung auftreten können und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden (vgl. Steckbrief des RKI, Stand 4.9.2020, https://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html). Der Kläger gehört - trotz möglicher Rückenprobleme - zu keiner Risikogruppe.
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Darüber hinaus wird die Ausländerbehörde etwaige Veränderungen in den humanitären Verhältnissen Sierra Leones vor einer Abschiebung prüfen und ggf. berücksichtigen müssen
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2.2.2.2.3 Eine dauerhafte Niederlassung ist auch aus sonstigen Umständen nicht unzumutbar. Zwar könnte es für den Kläger schwieriger als für andere Rückkehrer sein, sich ein neues Leben in Sierra Leone mit dessen schlechten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen aufzubauen, wenn ihm einer Rückkehr eine homosexuelle Orientierung zugeschrieben würde. Nach den zitierten Erkenntnismitteln mag es in Sierra Leone zu Diskriminierungen bei Jobsuche, Wohnungssuche etc. gegenüber homosexuellen Männern kommen (vgl. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices 2016 v. 3.3.2017 und 2017 v. 20.4.2018).
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Für das Gericht ist vorliegend aber schon nicht erkennbar, weshalb dem Kläger am Ort seiner Niederlassung eine homosexuelle Orientierung, die tatsächlich bei diesem nicht besteht, zugeschrieben werden sollte. Insoweit bleibt eine solche Annahme reine Spekulation. Der Kläger ist nicht landesweit für seine angeblich bestehende homosexuelle Orientierung bekannt. Das Gericht sieht den Kläger bei einer Rückkehr nach Sierra Leone und Inanspruchnahme einer inländischen Fluchtalternative daher nicht in seiner Existenz gefährdet.
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3. Insofern besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK; auf obige Ausführungen wird verwiesen.
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4. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor; auf obige Ausführungen wird verwiesen.
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5. Im Übrigen wird auf die Bescheidsbegründung nach § 77 Abs. 2 AsylG, insbesondere hinsichtlich der Ausreisefrist von 30 Tagen und der Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie dem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG, Bezug genommen.
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III. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 i.V.m. § 155 Abs. 2 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung und die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.