Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.12.2020 – 5 S 20.2456
Titel:

Entbindung vom Amt der ehrenamtlichen Richterin wegen des Tragens vom Kopftuch aus religiösen Gründen in der mündlichen Verhandlung

Normenketten:
VwGO § 24 Abs. 1 Nr. 2
BayRiStAG Art. 11 Abs. 2 S. 1, Art. 15 S. 3 Hs. 2
Leitsatz:
Das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen in der mündlichen Verhandlung eines Gerichts verstößt gegen die Neutralitätspflicht für ehrenamtliche Richter gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 15 Satz 3 Halbs. 2 BayRiStAG. Dieser Gesetzesverstoß stellt eine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 2 VwGO dar, die zwingend zur Entbindung vom Amt des ehrenamtlichen Richters führt. (Rn. 3 – 4)
Schlagworte:
Entbindung vom Amt der ehrenamtlichen Richterin, Tragen eines islamischen Kopftuchs in der mündlichen Verhandlung, ehrenamtliche Richterin, Entbindung, Kopftuch, Neutralität
Fundstellen:
BayVBl 2021, 202
BeckRS 2020, 36170
LSK 2020, 36170

Tenor

Frau … S., W. …Str. …, … München, wird von ihrem Amt der ehrenamtlichen Richterin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München entbunden.

Gründe

I.
1
Frau S. wurde für die gegenwärtige Wahlperiode zur ehrenamtlichen Richterin am Bayerischen Verwaltungsgericht München bestellt. Bereits vor Beginn der Wahlperiode erkundigte sich Frau S., ob sie bei Teilnahme an mündlichen Verhandlungen als gläubige Muslimin ein Kopftuch tragen dürfe. Mit Schreiben vom 11. Februar 2020 und 1. April 2020 sowie in einem persönlichen Gespräch am 20. Februar 2020 wies sie der Kammervorsitzende darauf hin, dass das Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke durch ehrenamtliche Richter und Richterinnen gesetzlich verboten sei. Frau S** bestand in der Sitzung der Kammer am 24. September 2020 auf dem Tragen des Kopftuchs und beharrt auch im Weiteren, auch in der Anhörung durch den Senat, darauf.
II.
2
Frau S. ist von ihrem Amt der ehrenamtlichen Richterin beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zu entbinden, weil sie durch das Tragen eines Kopftuchs als religiös fundiertes Kleidungsstück in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts ihre Amtspflicht gröblich im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 2 VwGO verletzt hat und durch ihre Ankündigung, dieses auch künftig zu tun, weiterhin zu verletzen droht.
3
Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes (BayRiStAG) dürfen Richter und Richterinnen in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können. Diese Vorschrift ist verfassungsgemäß (vgl. BayVerfGH, E.v. 14.3.2019 - Vf. 3-VII-18 - BayVBl 2019, 442). Sie gilt nach Art. 15 Satz 3 Halbs. 2 BayRiStAG für ehrenamtliche Richter und Richterinnen an Verwaltungsgerichten entsprechend.
4
Das Tragen eines Kopftuchs als Bekenntnis der religiösen Überzeugung in der mündlichen Verhandlung eines Gerichts verstößt gegen diese Pflicht, da es geeignet ist, Zweifel an der Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz einer ehrenamtlichen Richterin hervorzurufen. Das islamische Kopftuch ist ein religiös geprägtes Kleidungsstück. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Richteramt in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, ist verfassungsrechtlich zu respektieren (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 Rn. 90, 99, 102).
5
Eine solche Pflicht hat der bayerische Landesgesetzgeber statuiert. Der Verstoß gegen diese gesetzliche Vorschrift und die Absicht, gegen die Vorschrift weiterhin zu verstoßen, stellt eine gröbliche Amtspflichtverletzung im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 2 VwGO dar, die zwingend zur Entbindung führt.