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LG Kempten, Endurteil v. 08.12.2020 – 31 O 714/20 Ver
Titel:

Namentliche Aufzählung abgesicherter Infektionsverursacher in der Betriebsschließungsversicherung

Normenketten:
IfSG § 2 Nr. 1, § 6, § 7
ZB-BSV § 1 Nr. 2
BGB § 305c
Leitsätze:
1. Zählen Versicherungsbedingungen Krankheiten oder Krankheitserreger, die eine infektionsschutzrechtliche Schließungsanordnung auslösen, namentlich auf, besteht bei einer auf Sars-Cov-2 beruhenden kein Versicherungsschutz.  (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die namentliche Aufzählung meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger in Versicherungsbedingungen stellt weder eine Ausschluss- noch eine überraschende Klausel dar. (Rn. 52 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Erstreckung des Versicherungsschutzes im Wege der Analogie auf neuartige Risiken ist unzulässig. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona, Betriebsschließungsversicherung, Sars-Cov-2, Restaurant, Versicherungsbedingungen, Analogie, Überraschende Klausel
Fundstellen:
BeckRS 2020, 34906
COVuR 2021, 669
LSK 2020, 34906

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung in Höhe von 119.260,18 € geltend.
2
Zwischen der Klägerin, die in Lindau ein Restaurant mit dem Namen ... sowie eine Grillschule und eine Strandbar betreibt, und der Beklagten besteht Gewerbeversicherung „Genuss-Police“ mit der Versicherungsschein-Nr. FKA 11-0552188-**, die neben einer Betriebs-Haftpflichtversicherung, einer Gebäudeversicherung und einer Ertragsausfallversicherung auch eine Betriebsschließungsversicherung beinhaltet. Die vereinbarte Jahresversicherungssumme für die Betriebsschließung (Betriebsgewinn und Kosten) beträgt nach dem von der Klagepartei vorgelegten Versicherungsschein 863.819 €. Nach dem Versicherungsschein vom 06.02.2020 lautet die Betriebsbeschreibung: Restaurant, ... (Durchführung von Grill- und Gourmetkursen), Cateringservice sowie Nahrungs- und Genussmittelhandel mit Teilselbstbedienung.
3
Der Betriebsschließungsversicherung lagen, wie sich aus Seite 9 des Versicherungsscheins ergibt, die Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden durch Betriebsschließung infolge Infektionskrankheiten aufgrund behördlicher Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) zu Grunde. Insoweit hat die Klagepartei „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden durch Betriebsschließung infolge Infektionskrankheiten aufgrund behördlicher Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - Genuss-Police Formular 1227, Stand 06/2015“ und die Beklagtenpartei als Anlage B 1 „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden durch Betriebsschließung infolge Infektionskrankheiten aufgrund behördlicher Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - Fassung 2016 Formular 1200, Stand 06/2016“ vorgelegt, wobei die beiden Fassungen (zumindest) in den nachfolgend aufgeführten Bedingungen § 1 Nr. 1 a), § 1 Nr. 2 a) und b) sowie § 2 Nr. 3 textidentisch sind.
4
§ 1 dieser Zusatzversicherungen regelt gemäß der Überschrift den „Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren“.
5
Nach § 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen besteht folgender Versicherungsumfang:
„Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG in der Fassung vom 20.07.2000) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt; (…)“
6
§ 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen enthält nach der Überschrift „Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger“ folgenden Text:
„Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:
a) Krankheiten“
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Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 19 Krankheiten, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Botulismus“ und endend mit „verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers“.
„b) Krankheitserreger“
8
Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 49 Krankheitserregern, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Adenovieren“ (sic!) und endend mit „Toxoplasma gondii (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)“.
9
Weder unter § 1 Nr. 2 a) noch unter § 1 Nr. 2 b) der Zusatzbedingungen ist das Virus COVID-19 sowie das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 aufgeführt.
10
Nach § 2 Nr. 3 der Zusatzbedingungen „Entschädigungsberechnung“ ersetzt der Versicherer im Falle a) einer Schließung nach § 1 Nr. 1 a den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer von 30 Schließungstagen; Tage an denen der Betrieb auch ohne die behördliche Schließung geschlossen wäre, zählen nicht als Schließungstage.
11
Die Tagesentschädigung ist der Betrag, der an Betriebsgewinn und fortlaufenden Kosten (Rohertrag) infolge einer bedingungsgemäßen (behördlich angeordneten) Betriebsschließung auf einen Tag entfällt (Tagesversicherungssumme). (…)
12
Tagesversicherungssumme ist Wochenversicherungssumme geteilt durch die Zahl der möglichen Arbeitstage des versicherten Betriebes, Wochenversicherungssumme ist 1/52 der Jahresversicherungssumme.
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Bezüglich des weiteren Inhalts der Zusatzbedingungen im Einzelnen wird auf die Anlagen Bezug genommen.
14
Mit Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020, die am 18.03.2020 zunächst bis zum 30.03.2020 für Gastronomiebetriebe in Kraft trat und die im Folgenden bis 10.05.2020 verlängert wurde, wurden unter Ziffer 3. Gastronomiebetriebe jeder Art untersagt. Ausgenommen hiervon wurden in der Zeit von 6:00 Uhr bis 15:00 Uhr Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen war zudem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. die Auslieferung. Diese ist jederzeit zulässig.
15
Die Maßnahmen nach dieser Allgemeinverfügung wurden mit der weltweiten Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, sodass die WHO am 11.03.2020 das Ausbruchsgeschehen als Pandemie bewertet hat, begründet. Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um einen Krankheitserreger im Sinne des § 2 Nr. 1 IfSG, der sich in Bayern derzeit stark und immer schneller verbreitet. Die Schließung von Gastronomiebetrieben nach Nr. 3 der Allgemeinverfügung diente insbesondere dem Zweck, eine Ausbreitung sowie Weiterverbreitung von COVID-19 zu verlangsamen.
16
Mit E-Mail vom 16.03.2020 zeigte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Eintritt des Versicherungsfalls zum 18.03.2020 an.
17
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 02.04.2020 eine Eintrittspflicht ab und bot im Rahmen einer Vergleichs- und Abfindungserklärung einen Betrag von 15.000,00 € an. Dieses Vergleichsangebot nahm die Klägerin nicht an.
18
Die Klägerin trägt vor, dass ihr Betrieb aufgrund dieser Allgemeinverfügung geschlossen worden war und dass ihr deshalb Ansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung für 30 Schließungstage in Höhe von insgesamt 119.260,18 € zustehen würden. Es sei, anders als im Versicherungsschein ausgewiesen, eine Jahresversicherungssumme von 1.033.588,19 € vereinbart worden, sodass der Betrag pro Schließungstag 3.975,30 € betrage.
19
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Versicherungsbedingungen sowohl, wie es die Beklagte meine, so verstanden werden können, dass meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger nur diejenigen sind, die in den nachfolgenden Zeilen der Versicherungsbedingungen aufgeführt sind, als auch so, dass alle meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach den §§ 6, 7 IfSG erfasst sein sollen. Die Aufzählung wäre dann nur deklaratorischer Art. Eine Klausel müsse nicht nur in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Vertragspartner verständlich sein, sondern darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Bei einer den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel müssten dem Versicherungsnehmer die damit verbundenen Nachteile und Belastungen, soweit nach den Umständen möglich, so verdeutlicht werden, dass er den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen kann. Die vorliegenden Versicherungsbedingungen würden diesen Erfordernissen gerade nicht entsprechen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne diesen nicht hinreichend klar entnehmen, dass andere als die genannten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Einzelnen ausgeschlossen sein sollten. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne davon ausgehen, dass, wenn er eine Betriebsschließungsversicherung für Infektionen abschließe, dabei jegliche Infektionen nach dem IfSG erfasst seien.
20
Auch führe die Nennung der einzelnen meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger und der gleichzeitige Verweis auf §§ 6, 7 IfSG zu Unklarheiten beim Versicherungsnehmer. Zweifel gehen aber bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders.
21
Im Übrigen lasse sich das Virus Covid-19 unter den Oberbegriff der meldepflichtigen Krankheiten „virusbedingtes hämorrhagisches Fieber“ bzw. unter den Oberbegriff der meldepflichtigen Krankheitserreger „andere Erreger hämorrhagischer Fieber“, die jeweils in den Zusatzbedingungen aufgeführt sind, subsumieren. Es seien auch in den Zusatzbedingungen weitere meldepflichtige Erreger genannt, wie das Marburgvirus, das Ebolavirus oder Norwalkähnliche Viren, die eine Ähnlichkeit in ihrer Symptomatik zum Corona-Virus aufweisen. Die Klägerin durfte auch unter dem Begriff Influenzaviren das Virus Covid-19 verstehen, da dieses in den Medien immer noch mit der Grippe/Influenza verglichen werde.
22
Leistungen Dritter habe die Klägerin nicht erhalten.
23
Die Klage wurde am 10.06.2020 zugestellt.
24
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger (sic!) 119.260,18 € nebst Zinsen i. H. v. 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
25
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
26
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die zuständigen Behörden, hier das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege nicht zielgerichtet und einzelfallbezogen den Betrieb der Klägerin geschlossen, sondern unterschiedslos allen in Bayern befindlichen Gaststätten die Bewirtung von Gästen auf eigenen Flächen untersagt hätten, wobei Speiselokale in der Zeit von 6:00 Uhr bis 15:00 Uhr von diesem Verbot ausgenommen worden seien, weshalb die Begründung einer behaupteten vollständigen Betriebsschließung anhand der Allgemeinverfügung bereits ausscheide. Nach den Zusatzbedingungen sei jedoch eine totale Schließung des Betriebs erforderlich.
27
Anlass der behördlichen Regelungen sei zudem keine vom Deckungsschutz erfasste Krankheit bzw. kein hiervon erfasster Krankheitserreger gewesen. Der Wortlaut der vertraglichen Zusatzbedingungen sei eindeutig. Soweit die Klägerin die Versicherungsbedingungen dahingehend auslegen möchte, dass eine Nennung im Katalog der Zusatzbedingungen nicht erforderlich sei, solange nur eine meldepflichtige Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes der Anlass der behördlichen Maßnahmen war, bilde weder der Wortlaut der Zusatzbedingungen dafür eine Stütze noch würden die gängigen Auslegungsgrundsätze bei Versicherungsbedingungen hierfür eine Grundlage begründen. § 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen (ZB-BSV) verweise bezüglich der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ausdrücklich auf § 1 Nr. 2 ZB-BSV („siehe Nr. 2“). Es trete deutlich hervor, dass der Katalog nach § 1 Nr. 2 ZB-BSV die Krankheiten oder Krankheitserreger abschließend benenne, bei deren Auftreten die Beklagte bereit sei, Versicherungsschutz zu gewähren, und bei keinen anderen. Den Wortlaut „die folgenden (…) Krankheiten und Krankheitserreger“ könne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nur so verstehen, dass lediglich die sodann im Einzelnen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger erfasst sein sollen, denn nur deren Aufzählung folge tatsächlich. Die Bedingungen lassen es dem Wortlaut nach nicht genügen, dass die Betriebsschließung beim Auftreten irgendwelcher nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtiger Krankheiten angeordnet wird. Es finde sich auch kein Anhaltspunkt dafür, dass außer den folgenden aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern auch künftig in das Infektionsschutzgesetz aufgenommene Krankheiten oder Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollten. Einem solchen Verständnis stehe insbesondere entgegen, dass dann die ZB-BSV auch deutlich einfacher hätten abgefasst werden können, nämlich dahingehend, die Aufzählung entfallen zu lassen. Auch bei Zugrundelegung von Zweck und Sinnzusammenhang der AVB scheide ein bedingungsgemäßer Versicherungsschutz aus.
28
Ein Anspruch lasse sich auch nicht dadurch begründen, dass eine Ähnlichkeit von SARS-CoV-2/Covid-19 zu vertraglich geschützten Krankheitserregern/Krankheit behauptet wird. Maßgeblich seien die verwendeten medizinischen/biologischen Fachbegriffe.
29
Zudem sei die Entschädigungsrechnung fehlerhaft.

Entscheidungsgründe

30
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Kempten (Allgäu) sowohl sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG als auch örtlich nach § 215 Abs. 1 VVG zuständig.
31
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
32
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche aus der in der zwischen den Parteien bestehenden Gewerbeversicherung „Genuss-Police“ enthaltenen Betriebsschließungsversicherung zu.
33
Nach dem in § 1 Nr. 1 der zugrundeliegenden Zusatzbedingungen geregelten Versicherungsumfang leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG in der Fassung vom 20.07.2000) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt.
34
Vorliegend wurde zwar aufgrund der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020, die am 18.03.2020 zunächst bis zum 30.03.2020 für Gastronomiebetriebe in Kraft trat und die im Folgenden bis 10.05.2020 verlängert wurde, durch die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) der versicherte Betrieb der Klägerin zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen in dem in der Allgemeinverfügung angeführten Umfang geschlossen.
35
Allerdings ist eine Betriebsschließung wegen des Auftretens des in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (bzw. COVID-19) nicht von der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung umfasst.
36
§ 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen verweist hinsichtlich des Auftretens meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger mit dem dortigen Klammerzusatz „siehe Nr. 2“ ausdrücklich auf § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen mit der Überschrift „Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger“.
37
Diese Nr. 2 lautet wie folgt:
„Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:
a) Krankheiten“
38
Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 19 Krankheiten, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Botulismus“ und endend mit „verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers“.
„b) Krankheitserreger“
39
Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 49 Krankheitserregern, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Adenovieren“ (sic!) und endend mit „Toxoplasma gondii (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)“.
40
Weder unter § 1 Nr. 2 a) noch unter § 1 Nr. 2 b) der Zusatzbedingungen ist das in der Begründung der Allgemeinverfügung enthaltene neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. das Virus COVID-19 aufgeführt.
41
Die Auslegung von § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen ergibt, dass allein die dort namentlich angeführten „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind.
42
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt BGH, Urteil vom 08.01.2020 - IV ZR 240/18, Rz. 9, m.w.N.) sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.
43
Ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer kann bereits nach dem Wortlaut von § 1 Nr. 2 der dem Vertrag zugrunde liegenden Zusatzbedingungen erkennen, dass ausschließlich die in dieser Nr. 2 folgenden, im Einzelnen unter a) namentlich aufgeführten Krankheiten und unter b) namentlich aufgeführten Krankheitserreger versichert sind.
44
So steht zwischen dem Wort „folgenden“ und dem weiteren Text in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“ ausdrücklich ein Komma. Das Wort „folgenden“ bezieht sich damit nicht auf die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger, sondern betrifft nur die anschließend unter a) aufzählend aufgeführten Krankheiten sowie die unter b) aufzählend aufgeführten Krankheitserreger. Hierdurch ist für den die Versicherungsbedingungen aufmerksam lesenden Versicherungsnehmer klargestellt, dass nur diese jeweils aufzählend aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger von der Versicherung umfasst sind. Der Versicherungsnehmer kann auch ohne weiteres und eindeutig den Zusatzbedingungen entnehmen, welche Krankheiten und Krankheitserreger im Falle einer Betriebsschließung tatsächlich versichert sind.
45
Die Aufzählung ist auch aus der Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers abschließend. Ein solcher Versicherungsnehmer kann aus dem Wortlaut der vorliegenden Zusatzbedingungen nicht entnehmen, dass weitere in §§ 6 und 7 sowohl zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags als auch zukünftig namentlich genannte Krankheiten oder Krankheitserreger, jedoch in der Aufzählung der Zusatzbedingungen nicht enthaltene Krankheiten oder Krankheitserreger versichert sein sollen.
46
§ 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen enthält auch keine Einschränkung dahingehend, dass insbesondere oder beispielsweise die folgenden Krankheiten oder Krankheitserreger meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne der Bedingungen sind und damit im Falle einer Betriebsschließung versichert sind.
47
Soweit der Begriff „namentlich“ in einem bestimmten Kontext auch die Bedeutung „insbesondere“ haben kann, kommt eine solche Bedeutung des Begriffs „namentlich“ im vorliegenden Kontext und bei der Stellung des Wortes „namentlich“ in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen keinesfalls in Betracht.
48
Auch der Sinn und Zweck der Zusatzbedingungen lässt aus der Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers keine andere Auslegung zu.
49
Einem solchen Versicherungsnehmer, der, wie hier, zudem Kaufmann ist, ist auch bewusst, dass ein Versicherungsunternehmen seinen Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legt und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämien setzt (ebenso LG Bayreuth, Endurteil vom 08.09.2020, Az. 22 O 207/20). Ebenso ist es einem solchen Versicherungsnehmer bewusst, dass ein Versicherer nur für die von ihm angeführten Krankheiten und Krankheitserreger und von ihm deshalb einschätzbaren Risiken einstehen will.
50
Einem Versicherer steht es auch, was einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ebenfalls bekannt ist, frei, nur bestimmte Risiken, vorliegend nur die Betriebsschließung aufgrund bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger, die er in seinen Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Einzelnen aufgezählt hat, zu versichern.
51
So hat die beklagte Versicherung, die in § 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen auf das Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000 verweist, schon nicht alle in dieser Fassung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen mit aufgeführt. So fehlt bei den Krankheiten die in § 6 Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000 aufgeführte Krankheit „humane spongiforme Enzephalopathie, außer familiärhereditärer Formen“. Auch in spätere Fassungen von § 6 Infektionsschutzgesetz aufgenommene Krankheiten wie z. B. Keuchhusten, Mumps oder Röteln sind in § 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen nicht enthalten.
52
§ 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen definiert auch im Einzelnen die versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger und ist nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen. Es handelt sich um keine den Versicherungsschutz einschränkende Ausschlussklausel.
53
Der Versicherungsnehmer kann, wie bereits ausgeführt, anhand § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen ohne weiteres und eindeutig erkennen, welche Krankheiten und Krankheitserreger im Falle einer Betriebsschließung versichert sind. Eine nach § 305 c Abs. 1 BGB überraschende Klausel liegt ebenso wenig vor wie eine den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligende Klausel.
54
Entgegen der Ansicht der Klagepartei kann das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. das Virus COVID-19 auch nicht unter eine der in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen unter a) aufgeführten Krankheiten oder unter b) aufgeführten Krankheitserreger subsumiert werden. Ließe man eine solche Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs für diesen im Ergebnis unkalkulierbar sein (ebenso LG Bayreuth, Urteil vom 08.09.2020).
55
Der Klägerin als Versicherungsnehmerin wäre es unbenommen gewesen, das neuartige Coronavirus, das spätestens im Februar 2020 durch entsprechende Medienberichte bekannt war, vor Erlass der Allgemeinverfügung in den Versicherungsschutz ausdrücklich aufnehmen zu lassen, soweit die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt einverstanden gewesen wäre.
56
Da kein versicherter Fall einer Betriebsschließung vorliegt, kann dahinstehen, ob der Betrieb der Klägerin vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob vorliegend die Entschädigungsrechnung der Klägerin richtig ist.
57
Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.
58
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
59
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Verkündet am 08.12.2020