Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 24.11.2020 – Au 9 E 20.2393
Titel:

Befreiung von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände

Normenketten:
VwGO § 123
8. BayIfSMV § 2 Nr. 2, § 18 Abs. 2 S. 3
Leitsatz:
An die Glaubhaftmachung zur Befreiung von der Maskenpflicht in Schulen anhand eines ärztlichen Attests sind strenge Anforderungen zu stellen. Dem genügt ein Attest nicht, das aus sachfremden Gründen ausgestellt wurde und keine hinreichende Diagnose enthält.  (Rn. 26 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweiliger Rechtsschutz, Befreiung von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände, Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch ärztliches Attest, Corona-Pandemie
Fundstelle:
BeckRS 2020, 34898

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Feststellung, dass sie aus gesundheitlichen Gründen von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung auf dem Schulgelände befreit ist.
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Die achtjährige Antragstellerin besucht ebenso wie ihr zehnjähriger Bruder (Antragsteller im Verfahren Au 9 E 20.2391) eine Grundschule in *. Am 7. September 2020 legten die Eltern der Antragstellerin für sie und ihren Bruder bei der Grundschule eine jeweils identische ärztliche Bescheinigung vom 3. September 2020 eines Facharztes für psychotherapeutische Medizin aus * vor. Der Ort ist ca. 45 km vom Wohnort der Antragstellerin und ihrer Familie entfernt. In dem Attest wird ausgeführt, dass das Tragen einer Maske bei der Antragstellerin und ihrem Bruder zum Auftreten pathologischer Symptome führe, längerfristig mit der Gefahr einer dauerhaften Entwicklungsschädigung. Aus medizinischen Gründen könne die Antragstellerin daher keine Maske tragen.
3
Mit E-Mail vom 3. November 2020 teilte der Rektor der von der Antragstellerin besuchten Grundschule den Eltern der Antragstellerin mit, dass nach dem Inkrafttreten der 8. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung zum 2. November 2020 nicht mehr die Schulleitung, sondern die Kreisverwaltungsbehörde über Ausnahmen von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände zu entscheiden habe. In diesem Zusammenhang sei die Schulleitung vom Antragsgegner gebeten worden, sämtliche Vorgänge zu Befreiung von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände unter Vorlage von Attesten mitzuteilen. Da der Schule nicht gestattet worden sei, das vorgelegte Attest zu den Akten zu nehmen, würden die Eltern gebeten, sich in der Angelegenheit mit der Antragsgegnerin in Verbindung zu setzen.
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Mit Schreiben vom 3. November 2020 wurden die Eltern der Antragstellerin von der Antragsgegnerin aufgefordert, bis spätestens 6. November 2020 ein ärztliches Attest vorzulegen, aus welchem die Notwendigkeit der Befreiung von der Maskenpflicht hervorgehe. Das Attest müsse nachvollziehbare Befundtatsachen sowie eine Diagnose enthalten.
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Mit Bescheiden vom 6. November 2020 wurden die Eltern der Antragstellerin unter Zwangsgeldandrohung jeweils verpflichtet sicherzustellen, dass die Antragstellerin das Schulgelände der von ihr besuchten Schule nur mit einer zugelassenen Mund-Nasen-Bedeckung betritt. Die Eltern wurden weiterhin verpflichtet, Maßnahmen des Schulpersonals gegenüber der Antragstellerin zur Durchsetzung der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu dulden. Bezüglich dieser Bescheide erhoben die Eltern der Antragstellerin am 18. November 2020 beim Verwaltungsgericht Augsburg jeweils Klage (Au 9 K 20.2394 und Au 9 K 20.2396) und stellten einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes (Au 9 S 20.2395 und Au 9 S 20.2397).
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Am 6. November 2020 legte der Bevollmächtigte der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin eine weitere ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin aus * vom 5. November 2020 vor und forderte die Antragsgegnerin auf, die Bescheide vom 6. November 2020 gegenüber den Eltern der Antragstellerin aufzuheben.
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In dem Attest vom 5. November 2020 wird ausgeführt, dass auf Bitten der Familie der Antragstellerin wegen der Androhung eines Zwangsgeldes die Bescheinigung ausgestellt werde, welche den Inhalt eines ärztlichen Attestes bei weitem überschreite und den Sinn der ärztlichen Schweigepflicht ad absurdum führe. Ärztliche Atteste seien nach allgemeiner Rechtsauffassung ohne Diagnose auszustellen. Nach Erhebung der Symptomatik, der Umstände des Auftretens der Symptomatik, der Vorgeschichte sowie einer diagnostischen Einordnung selbiger sei aus ärztlich-therapeutischer Sicht der Schluss zu ziehen, dass die Antragstellerin keinen Mund-Nasen-Schutz tragen könne, da dieses zu folgenden Krankheitssymptomen führe: starker sozialer Rückzug, gefühlt eingeengt zu sein, fühlt sich eingeschüchtert, Schweißausbrüche, Konzentrationsstörungen, häufige Müdigkeit, zunehmende Verunsicherung, Kopfschmerzen. Damit seien nach ICD 10 folgende Kriterien für eine depressive Entwicklung erfüllt: depressive Stimmungslage, Verlust von Interesse und Freude, verminderter Antrieb, Verlust von Selbstvertrauen, Anzeichen für vermindertes Denk- oder Konzentrationsvermögen, Hemmung der psychomotorischen Aktivität. Weiterhin müsse ausgelöst durch das Tragen der Maske folgende Diagnose gestellt werden: R06.88V, R51G, R53G. Es müsse insgesamt festgestellt werden, dass das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes bei der Antragstellerin zu einer erheblichen gesundheitlichen Schädigung mit der Gefahr einer dauerhaften Schädigung durch Chronifizierung führe. Differenzialdiagnostisch müsse man in Betracht ziehen, dass ein Teil der Symptome durch eine sogenannte Hyperkapnie ausgelöst werde, welche ebenfalls zu sehr gefährlichen Entwicklungen führen könne. Vorsichtshalber werde darauf hingewiesen, dass ärztliche Atteste Geltung haben. Wenn ein Patient entgegen der ärztlichen Feststellung dazu gezwungen werde, eine Maske zu tragen, so müsse derjenige, welcher dieses veranlasst, die volle Verantwortung für die Folgen tragen.
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Am 18. November 2020 stellte die Antragstellerin über ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und beantragt,
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festzustellen, dass die Antragstellerin vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bzw. einer Maske auf dem Schulgelände befreit ist, hilfsweise, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Antragstellerin vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung bzw. bzw. einer Maske auf dem Schulgelände zu befreien.
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Zur Begründung wird ausgeführt, für die Antragstellerin sei der Schule am 7. September 2020 ein ärztliches Attest eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin vorgelegt worden, wonach das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu pathologischen Symptomen führe und längerfristig die Gefahr einer dauerhaften Entwicklungsschädigung bestünde. In der Folgezeit habe die Antragstellerin ohne Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung am Unterricht teilnehmen können. Am 30. Oktober 2020 habe die Schule der Antragstellerin ein neues Attest unter Ausweisung einer Diagnose angefordert. Den Eltern der Antragstellerin sei mitgeteilt worden, dass ab 2. November 2020 die Kreisverwaltungsbehörde über Ausnahmen von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände zu entscheiden habe. Mit Schreiben vom 10. November 2020 habe der Bevollmächtigte der Antragstellerin ein neues Attest des behandelnden Facharztes nachgereicht und um Bestätigung gebeten, dass die Antragstellerin das Schulgelände ohne Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung betreten dürfe. Eine Rückmeldung sei nicht erfolgt. Mit den vorgelegten Attesten habe die Antragstellerin hinreichend belegt, dass ihr aus gesundheitlichen Gründen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht möglich bzw. unzumutbar sei. Nach § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV bestehe ein Anspruch auf Befreiung vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, soweit glaubhaft gemacht werden könne, dass das Tragen aus behinderungsbedingten oder gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar sei. Der Begriff der Glaubhaftmachung sei grundsätzlich weniger wie ein Vollbeweis. Die Antragstellerin habe sich gegenüber dem Unterzeichner selbst über die Beschwerden beim Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung geäußert, somit liege eine Beteiligtenäußerung im Sinn von Art. 26 BayVwVfG vor, sowie zwei ärztliche Atteste, die die Voraussetzungen für die Befreiung erfüllen würden. Das Attest vom 5. November 2020 entspreche der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Aufgrund einer neuen Misstrauenskultur gegenüber der Ärzteschaft und den Bürgern würden die Anforderungen an eine Glaubhaftmachung gesetzlich, behördlich und gerichtlich auf eine Art und Weise gesteigert, dass legitime Grundrechtspositionen faktisch nicht mehr geltend gemacht werden könnten. Die bei der Antragstellerin aufgezeigten Symptome seien typische Anzeichen einer Kohlendioxidvergiftung, die aus dem Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung folge. In den vergangenen Jahrzehnten sei bereits eine Vielzahl von Gutachten erstellt worden, die die Untauglichkeit und Schädigung bei Tragen von Masken oder Mund-Nasen-Bedeckung belegen würden. Die Wegnahme der normalen Atmung für Millionen von Menschen sei einer der schwersten Grundrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Corona-Krise werde mit politischem Kalkül zur weiteren Spaltung der Bevölkerung genutzt. Die Antragstellerin sei gesund. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung stelle sich als institutionalisierte Körperverletzung dar, welche ein vermeintliches Sicherheitsbedürfnis der die Antragstellerin schulisch umgebenden Personen kompensieren solle. Dies könne im Rahmen einer Güterabwägung nicht gerechtfertigt sein. Auch die Daten des Robert-Koch-Instituts würden das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht rechtfertigen. Es würden für Kinder Folgeschäden entstehen, für welche die Schulträger haftbar gemacht würden. Die sich aus § 18 der 8. BayIfSMV ergebende Verpflichtung zum Tragen einer Maske sei rechtswidrig. Die Verordnung könne sich nicht auf § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG stützen, da die Ermächtigungsnorm nicht dem Parlamentsvorbehalt entspreche. Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot würden den Gesetzgeber verpflichten, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sei weder zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich noch stelle es eine notwendige Schutzmaßnahme dar. Die Verpflichtung sei zudem nicht verhältnismäßig. Die Antragstellerin könne sich auch auf einen Anordnungsgrund berufen, da sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern habe und somit der Schulpflicht unterliege. Dieses sei ihr ohne Befreiung vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht möglich oder zumutbar. Bei Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache drohe das Versäumen wichtiger Lehrinhalte.
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Der Antragsgegnerin wurde der Antrag zur Stellungnahme zugeleitet. Eine Äußerung erfolgte nicht.
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Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenunterlagen verwiesen.
II.
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1. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig. Die Antragstellerin macht in der Antragsbegründung zwar geltend, die sich aus § 18 der 8. BayIfSMV ergebende Verpflichtung zum Tragen einer Maske auf dem Schulgelände sei rechtswidrig, weil sich die Verordnung mit § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen könne, da die Ermächtigungsnorm nicht dem Parlamentsvorbehalt entspreche. Dennoch wendet sich die Antragstellerin nicht gegen die Wirksamkeit der entsprechenden Regelungen zur Maskenpflicht in Schulen, sondern begehrt die Feststellung, dass sie persönlich von der Maskenpflicht befreit ist. Folglich ist ihr Begehren nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu verfolgen. Statthafter Rechtsbehelf ist vielmehr ein Antrag nach § 123 VwGO.
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2. Der Antrag ist aber unbegründet. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf Befreiung von der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen zu besitzen.
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a) Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder eine drohende Gefahr zu verhindern oder wenn dies aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung setzt nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen kann. Eine Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsgrunds und eines Anordnungsanspruchs sich als überwiegend wahrscheinlich darstellt.
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Vorliegend besteht zudem die Besonderheit, dass die Feststellung von der Verpflichtung befreit zu sein, eine Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Schulgelände zu tragen, im Wege der einstweiligen Anordnung jedenfalls zu einer teilweisen Vorwegnahme der Hauptsache führen würde. Denn selbst bei einem Obsiegen in der Hauptsache könnte die Antragstellerin nicht mehr zugesprochen bekommen, als das, was sie im Wege des einseitigen Rechtsschutzes begehrt. Eine Vorwegnahme der Hauptsache widerspricht aber grundsätzlich dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung, denn diese dient der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung die Hauptsache vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und der Antragstellerin durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, B.v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 - juris; vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 - 12 CE 16.66 - juris). Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss demnach offensichtlich erfolgreich erscheinen.
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b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Antrag abzulehnen. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben.
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aa) Zwar wurde ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) glaubhaft gemacht. Dieser folgt vorliegend daraus, dass die Antragstellerin aufgrund der Regelung in § 18 Abs. 2 der 8. BayIfSMV das Schulgelände nur mit einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maske) betreten darf und die Antragsgegnerin durch die an die Eltern der Antragstellerin gerichteten Bescheide zum Ausdruck gebracht hat, an der Maskenpflicht der Antragstellerin festzuhalten.
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bb) Die Antragstellerin konnte jedoch nicht glaubhaft machen, aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände befreit zu sein. Die Voraussetzungen für eine derartige Befreiung gemäß § 2 Nr. 2 i.V.m. § 18 Abs. 2 Satz 2 der 8. BayIfSMV sind bei summarischer Prüfung auch unter Berücksichtigung der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 5. November 2020 nicht gegeben.
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(1) Grundlage für die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht) ist § 18 Abs. 2 Satz 1 der 8. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV), wonach auf dem Schulgelände Maskenpflicht besteht. Unbeschadet der Regelungen in § 2 der 8. BayIfSMV sind von der Pflicht ausgenommen Schülerinnen und Schüler nach Genehmigung des aufsichtsführenden Personals aus zwingenden pädagogisch-didaktischen oder schulorganisatorischen Gründen sowie Schulverwaltungspersonal nach Erreichen des jeweiligen Arbeitsplatzes, sofern nicht weitere Personen anwesend sind. Nach § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV ist von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit, wer glaubhaft machen kann, dass das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufgrund einer Behinderung oder aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist.
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Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Schulgelände (§ 18 Abs. 2 Satz 1 der 8. BayIfSMV) voraussichtlich rechtmäßig (BayVGH, B.v. 10.11.2020 - 20 NE 20.2349; B.v. 26.10.2020 - 20 CE 20.2185 - juris; B.v. 7.9.2020 - 20 NE 20.1981; B.v. 8.9.2020 - 20 NE 20.1999; B.v. 8.9.2020 - 20 NE 20.2001). Auch bestehen insgesamt unter Berücksichtigung der Regelungen in Nr. 6.7 des aktuellen „Rahmenhygieneplans zur Umsetzung des Schutz- und Hygienekonzepts für Schulen nach der jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 6. November 2020 (Rahmenhygieneplan Schulen, derzeit nur abrufbar unter https://www.km.bayern.de/ministerium /meldung/7061/aktualisierter-rahmen-hygieneplan-fuer-schulen-liegt-vor.html) keine Bedenken an der Verhältnismäßigkeit der Regelung. Nach Nr. 6.7 des Rahmenhygieneplans Schulen ist u.a. vorgesehen, dass wegen der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auch während des Unterrichts „für Tragepausen/Erholungsphasen“ gesorgt werden solle und dass Schülern „in Ausnahmefällen“ gestattet werden könne, die Mund-Nasen-Bedeckung bei ausreichendem Mindestabstand auf den Pausenflächen sowie während einer Stoßlüftung im Klassenzimmer abzunehmen.
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Das Gericht hat daher keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der Maskenpflicht in Schulen gem. § 18 Abs. 2 der 8. BayIfSMV. Insbesondere greift das Argument nicht (mehr), die Verordnung beruhe wegen des Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt und das Demokratieprinzip auf keiner ausreichenden Gesetzesgrundlage. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO kommt es maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. So kann sich die Regelung auf die seit dem 20. November 2020 gültige Regelung in § 28a Infektionsschutzgesetz i.V.m. § 32 Satz 1 i.V.m. mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG stützen, deren Tatbestandsvoraussetzungen bei summarischer Prüfung erfüllt sind.
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(2) Die Antragstellerin ist nicht aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände befreit.
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Da die Antragstellerin eine generelle Befreiung von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände geltend macht, sind die Ausnahmeregelungen nach § 18 Abs. 2 Satz 2 der 8. BayIfSMV vorliegend nicht maßgeblich. Die Antragstellerin begehrt vielmehr eine Befreiung von der Pflicht des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen, so dass für den vorliegenden Fall § 2 Nr. 2 der 8. BayIfSMV einschlägig ist. Nach summarischer Prüfung liegen die Voraussetzungen für eine Befreiung gemäß § 2 Nr. 2 i.V.m. § 18 Abs. 2 der 8. BayIfSMV jedoch auch unter Berücksichtigung der ärztlichen Bescheinigung vom 5. November 2020 nicht vor. Die Antragstellerin hat zur Überzeugung des Gerichts keine gesundheitlichen Gründe glaubhaft gemacht, dass ihr das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist.
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Ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen gegeben sind, unterliegt der vollständigen gerichtlichen Kontrolle. Die Behauptung, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sei aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar, ist glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft (Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 294 Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 51). Zur Glaubhaftmachung kann auch eine eidesstaatliche Versicherung ausreichen, wobei aus den vorgelegten Unterlagen auch negative Schlüsse gezogen werden können (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 32). Einem ärztlichen Attest kommt zwar grundsätzlich eine besonders hohe Aussagekraft zu (vgl. Nr. 6.1. c) Rahmenhygieneplan Schulen). Für eine Glaubhaftmachung, dass das Tragen einer Maske aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, bedarf es aber - wie auch in anderen Rechtsgebieten üblich - fachärztlicher Bescheinigungen, die bestimmten Qualitätsstandards entsprechen müssen.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 26. Oktober 2020 (BayVGH, B.v. 26.10.2020 - 20 CE 20.2185 - juris Rn. 19) hinsichtlich der Glaubhaftmachung zur Befreiung der Maskenpflicht anhand eines ärztlichen Attests Folgendes ausgeführt:
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„Hierbei ist die rechtliche Situation nicht vergleichbar mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gegenüber einem Arbeitgeber. Mithilfe der ärztlichen Bescheinigungen soll eine überwiegende Wahrscheinlichkeit belegt werden, dass Personen aus gesundheitlichen Gründen von der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung befreit sind. In derartigen Konstellationen muss die Verwaltung bzw. das Gericht, wie auch in anderen Rechtsgebieten, aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbständig zu prüfen (OVG NRW, B.v. 24.9.2020 - 13 B 1368/20 - juris Rn. 12). Anders als etwa bei einem Attest zur Befreiung vom Schulbesuch wegen Krankheit sind hier auch Grundrechtspositionen insbesondere von anderen Schülerinnen und Schülern sowie des Schulpersonals - das Recht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) - betroffen, für die die Schule eine herausgehobene Verantwortung trägt. Die Maskenpflicht dient dazu, andere vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus zu schützen und die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren“.
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Ein den genannten Anforderungen genügendes Attest ist mit der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin vom 5. November 2020 nicht vorgelegt worden. Aus dem Attest ergibt sich nicht, aus welchem Grund die Antragstellerin keinen Mund-Nasen-Schutz tragen kann und auf welche Art und Weise sich der Gesundheitszustand durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes erheblich verschlechtern könnte.
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In der Bescheinigung wird ausgeführt, nach Erhebung der Symptomatik, der Umstände des Auftretens der Symptomatik, der Vorgeschichte sowie einer diagnostischen Einordnung selbiger sei aus ärztlich-therapeutischer Sicht der Schluss zu ziehen, dass die Antragstellerin keinen Mund-Nasenschutz tragen könne, da dieses zu starkem sozialen Rückzug, Schweißausbrüchen, Konzentrationsstörungen, häufige Müdigkeit, zunehmende Verunsicherung und Kopfschmerzen führe. Es seien die Kriterien für eine depressive Entwicklung erfüllt.
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Auffallend ist zunächst, dass im Parallelverfahren des Bruders der Antragstellerin (Au 9 E 20.2391) eine nahezu wortgleiche ärztliche Bescheinigung vorgelegt wurde. Die mit geringfügigen Ausnahmen identischen Bescheinigungen wecken bereits erhebliche Zweifel daran, dass diese auf einer individualisierten fachärztlichen Untersuchung und Einschätzung beruhen. Auch der Umstand, dass für die 8jährige Antragstellerin und ihren 10jährigen Bruder keine Bescheinigung eines Facharztes für Kinderheilkunde oder für Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgelegt wurde, sondern die eines Facharztes für Psychotherapeutische Medizin, erweckt den Eindruck, dass die Bescheinigung aus sachfremden Erwägungen ausgestellt wurde. Unterstrichen wird diese Annahme durch die Tatsache, dass das Attest durch einen Arzt ausgestellt wurde, dessen Praxis sich 45 km vom Wohnort der Kinder entfernt befindet. Es drängt sich daher die Annahme auf, dass der Arzt nicht wegen konkreter gesundheitlicher Beschwerden der Kinder aufgesucht wurde, sondern deswegen, weil er die gesundheitlichen Bedenken der Eltern im Hinblick auf eine Mund-Nasen-Bedeckung teilt. Diese Annahme wird durch die Inhalte seines allgemein zugänglichen Internetauftritts unterstrichen.
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Die Einschätzung, dass die Bescheinigung aus sachfremden Gründen ausgestellt wurde, wird durch die einleitenden Ausführungen des bescheinigenden Arztes sowie den abschließenden Hinweis in der Bescheinigung erhärtet. So wird ausdrücklich ausgeführt, dass das Attest wegen einer Zwangsgeldandrohung gegen die Eltern ausgestellt werde. Wenn ein Patient entgegen der ärztlichen Feststellung gezwungen werde, eine Maske zu tragen, trage derjenige die volle Verantwortung für die Folgen. Diese Äußerungen sind nach der jahrelangen Erfahrung des Gerichts in Bezug auf ärztliche Bescheinigungen absolut unüblich und medizinisch nicht veranlasst.
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Auch wenn in der vorgelegten Bescheinigung verschiedenste gesundheitliche Befunde aufgeführt werden, werden ausschließlich Symptome beschrieben, bei denen es sich um physische oder psychische Begleiterscheinungen beim Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung handelt. Eine Grunderkrankung, die das Tragen einer Maske ausschließt, wird nicht beschrieben. Weiterhin ist nicht erkennbar, auf welcher Grundlage die Diagnosen beruhen. Die Bescheinigung enthält keine individualisierbaren Angaben, die nachvollziehbar erläutern, wie es zu der gestellten Diagnose kam. Da im wesentlichen psychische Probleme und unspezifische Krankheitsbilder aufgeführt werden, muss sich - wie auch in anderen Rechtsbereichen üblich, in denen es auf die Glaubhaftigkeit gesundheitlicher Angaben ankommt - aus dem Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen (BVerwG, B.v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - juris Rn. 15).
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Auch angesichts der attestierten depressiven Entwicklung mit Qualifizierungstendenzen ist das Attest nicht geeignet, eine Befreiung von der Maskenpflicht zu begründen. Angesichts der Unschärfe des Krankheitsbildes bei psychischen Erkrankungen wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangt, dass die Bescheinigung von einem Facharzt für psychische Erkrankungen ausgestellt wird. Da vorliegend die Befreiung eines zehnjährigen Kindes von der Maskenpflicht begehrt wird, ist hierfür ein Attest eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu fordern. Die Gesamtumstände des Falles belegen zur Überzeugung des Gerichts, dass die Ausstellung des Attests nicht auf einer ärztlich nachvollziehbaren Diagnose beruht. Die medizinischen Ausführungen des Bevollmächtigten im Antragsschriftsatz (insbesondere zu der Gefahr einer Kohlendioxidintoxikation durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung) führen zu keinem anderen Ergebnis, zumal nicht erkennbar ist, dass der Bevollmächtigte die erforderliche medizinische Sachkunde besitzt.
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3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abrufbar auf der Homepage des BVerwG).