Titel:
Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Asylklage wegen späterer Antragstellung in einem Drittstaat
Normenketten:
GG Art. 19 Abs. 4
AsylG § 10 Abs. 1
Leitsatz:
Durch das Stellen eines Asylantrags in einem Drittstaat nach der freiwilligen Ausreise, das Untertauchen und das Abbrechen des Kontakts zur Prozessbevollmächtigten entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für eine zuvor erhobene Asylklage in Deutschland. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland Guinea, Unzulässige Klage, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, freiwillige Ausreise, Asylantragstellung in Luxemburg, unbekannter Aufenthalt, kein Kontakt zur Prozessbevollmächtigten, Asyl, Rechtsschutzbedürfnis, Mitwirkungspflicht, Guinea
Fundstelle:
BeckRS 2020, 34828
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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1. Der Kläger ist ein zur Person nicht ausgewiesener guineischer Staatsangehöriger, dem Volk der Fulla angehörig und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste über Spanien und Frankreich erstmalig am 21. Oktober 2018 über den Landweg in das Bundesgebiet ein. Am 27. November 2018 stellte der Vormund des Klägers für diesen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
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Am 28. Februar 2019 wurde der Kläger im Beisein seines Vormunds zu seinen Asylgründen angehört. Auf das dortige Vorbringen wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 19. November 2019, dem Vormund des Klägers in dessen Geschäftsräumen am 22. November 2019 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und Asylanerkennung (Ziffer 2), sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung nach Guinea oder einen anderen aufnahmebereiten oder zur Aufnahme verpflichteten Staat aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung - im Falle der Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens - zu verlassen (Ziffer 5). Weiterhin wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
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2. Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 6. Dezember 2019, am selben Tage per Telefax beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg eingegangen, Klage erheben und beantragen,
- 1.
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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19.11.2019, Geschäftszeichen …, wird aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz zuzuerkennen.
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Guinea vorliegt.
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3. Das Bundesamt beantragte für die Beklagte,
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Zur Begründung bezog sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
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4. Mit Schriftsatz vom 14. September 2020 teilte das Bundesamt mit, dass sich der Kläger ausweislich der Mitteilung der zuständigen Ausländerbehörde mittlerweile in einem Asylverfahren in Luxemburg befinde und dort in der Unterkunft … … … … … … … … … untergebracht sei.
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Mit Schreiben vom 22. September 2020 wurde die Klägerbevollmächtigte aufgefordert, das Verfahren zu betreiben und insbesondere den gegenwärtigen Aufenthaltsort des Klägers mitzuteilen.
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Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 teilte die Klägerbevollmächtigte mit, dass derzeit nicht gesichert festgestellt werden könne, ob und wann der Kläger nach Deutschland zurückgekehrt sei, da der Kläger auf das an die oben genannte Anschrift in Luxemburg adressierte anwaltliche Schreiben vom 23. September 2020 nicht reagiert habe und auch kein telefonischer Kontakt zu diesem bestehe. Die Vormundschaft bestehe fort, ein Aufhebungsbeschluss des für Vormundschaftssachen zuständigen Amtsgerichts Bad Kissingen sei bisher nicht ergangen.
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Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2020 teilte die Klägerbevollmächtigte weiter mit, dass der Kläger ausweislich der Mitteilung des Vormunds auch nicht mehr unter der zuletzt bekannten Adresse in Luxemburg erreichbar sei. Jegliche an diese Adresse gerichtete Schreiben seien mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ zurückerhalten worden. Für sie sei es nicht mehr möglich, Kontakt mit diesem herzustellen.
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5. Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 22. September 2020 zu einer beabsichtigten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bzw. durch Gerichtsbescheid angehört. Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2020 hat die Klägerbevollmächtigte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat bereits vorab durch allgemeine Prozesserklärung des Bundesamts ein gleichlautendes Einverständnis abgegeben.
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Mit Beschluss vom 14. Oktober 2020 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Behördenakten sowie auf die Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, erweist sich im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als unzulässig, da ihr das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
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1. In Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG setzt jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf die gerichtliche Sachentscheidung. Fehlt es daran, so ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (BVerfG, B.v. 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 - juris Rn. 16 m.w.N.).
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Durch das Stellen eines Asylantrags in Luxemburg nach der freiwilligen Ausreise, das Untertauchen und das Abbrechen des Kontakts zur Prozessbevollmächtigten ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen. Der Kläger befindet sich ausweislich des Schreibens des Bundesamts vom 14. September 2020 in einem neuen Asylverfahren in Luxemburg, wozu er die Bundesrepublik freiwillig verlassen hat. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass er sich nur zeitweilig in den Schutzbereich des luxemburgischen Staats begeben hat, um sich vorübergehend zu einem außerhalb seines Asylverfahrens liegenden Zweck im Ausland aufzuhalten. Vielmehr ist von einer Ausreise auszugehen, um in dem anderen Land, in dem er vor der behaupteten Verfolgung sicher ist, einen flüchtlingsrechtlichen Schutz zu erlangen. Darüber hinaus ist der Kläger mittlerweile unbekannten Aufenthalts und es besteht kein unmittelbarer Kontakt mehr zu seiner Prozessbevollmächtigten, wie diese auf die Betreibensaufforderung des Gerichts hin in den Schriftsätzen vom 5. und 23. Oktober 2020 ausdrücklich erklärt hat. Hiermit hat der Kläger eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er an der Fortführung des Klageverfahrens kein Interesse mehr hat (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2011 - 20 ZB 11.30281 - juris Rn. 5 f.; BayVGH, B.v. 29.12.2017 - 11 ZB 17.30852 - juris Rn. 2; NdsOVG, U.v. 29.8.1991 - 12 L 7089/91 - juris Rn. 14; OVG Saarl, B.v. 29.12.1993 - 9 R 11/93 - juris Rn. 8; ThürOVG, B.v. 16.6.2013 - 3 ZKO 449/12 - juris LS, Rn. 3; Neundorf in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2020, § 81 AsylG Rn. 6). Zudem ist er angesichts der Verletzung der sich aus § 10 Abs. 1 AsylG ergebenden prozessualen Pflicht, vorzusorgen, dass das angerufene Gericht ihn stets erreichen kann, nicht schutzwürdig (vgl. VG München, U.v. 28.10.2016 - M 7 K 16.50054 - juris; VG Würzburg, U.v. 24.3.2020 - W 8 K 20.30132; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Vor § 40 Rn. 54).
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2. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.