Titel:
Abgasskandal: Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verwendung eines Thermofensters
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
VO (EG) EG 715/2007
EG-FGV § 6, § 27, § 37
Leitsätze:
1. Ist der Hersteller eines Kraftfahrzeugs nicht der Motorhersteller, sondern wird der Motor von einem anderen Unternehmen desselben Automobilkonzerns entwickelt und produziert, kann nicht von einer etwaigen manipulativen Programmierung der Motorsteuerungssoftware auf ein vorsätzliches Verhalten des Kraftfahrzeugherstellers geschlossen werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Vorhandensein eines Thermofensters lässt nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Täuschungsvorsatz schließen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Weder die Vorschriften der Verordnung EG 715/2007 noch die EG-FGV und die zugrundeliegende Richtlinie 2007/46/EG stellen Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Diesel-Abgasskandal, Gebrauchtwagen, EG-Übereinstimmungserklärung, Motorsteuerungssoftware, Thermofenster, Täuschungsvorsatz, Motorhersteller, Schutzgesetz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 02.02.2021 – 6 U 46/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 216/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 34639
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. des 1,1-fachen des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal in Anspruch:
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Die Klägerin kaufte im Jahr 2015 von einem Dritten privat gebraucht den von der Beklagten im Jahr 2013 hergestellten Pkw Porsche Cayenne für … € mit einem von der … AG hergestellten Dieselmotor 3,0 l Euro 5. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf Anlagen K33, 34 Bezug genommen. …. Der Klägervertreter hat die Beklagte aufgefordert, das Fahrzeug gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzunehmen, was die Beklagte abgelehnt hat (Anlagen K32, 33).
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Die Klägerin behauptet, das Fahrzeug verfüge über eine Motorsteuerungssoftware, die den Ausstoß von NOx und CO2 im Prüfstandbetrieb optimiere. …. Die Beklagte habe sich nicht nur auf den Einbau des Motors beschränkt, sondern ihn umfassend modifiziert, wie sich aus der Eintragung als Hersteller der Antriebsmaschine in der EG-Übereinstimmungserklärung ergebe. Das Fahrzeug sei deshalb mangelhaft. Die Beklagte habe die Klägerin vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, wobei die Beklagte insoweit die sekundäre Darlegungslast treffe.
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Die Klägerin beantragt:
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte stelle nur Benzinmotoren her. Die Beklagte sei Hersteller nur im formellen Homologationssinne. Der Vortrag erfolge ins Blaue hinein und sei unsubstantiiert. Die Beklagte habe die Klägerin nicht getäuscht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschrift vom 27.02.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder vertragliche noch deliktische Schadensersatzansprüche. Vertragliche Ansprüche scheiden angesichts des Kaufs als Gebrauchtwagen von einem Dritten von vornherein aus. Auch deliktische Ansprüche bestehen nicht:
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1. Eine Haftung wegen Betrugs (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB) bzw. wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) durch die Beklagte scheitert schon deshalb, weil die Beklagte den Motor des streitgegenständlichen Pkw nicht hergestellt hat und deshalb eine etwaige manipulative Programmierung der Motorsteuerungssoftware nicht auf ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten schließen lässt, sondern des Motorherstellers. Wie der Einzelrichter in der Erörterung der Güteverhandlung näher ausgeführt hat, ist offenkundig (§ 291 ZPO), dass in dem Porsche Cayenne ein von … entwickelter Dieselmotor des Typs EA897 verbaut ist, wie er auch in den Fahrzeugen des … Konzerns … und … zum Einsatz kommt. Dass die Beklagte in der EG-Übereinstimmungserklärung (Anlage K 34) als Hersteller des Antriebs eingetragen ist, steht der Richtigkeit dieser durch allgemein zugängliche Quellen (www.wikipedia.de) allgemein bekannten Tatsachen nicht entgegen. Die Angabe in der EG-Übereinstimmungserklärung bezeichnet gemäß Art. 3 Nr. 27 der Richtlinie 2007/46/EG vom 05.09.2007 die Beklagte als „die Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typgenehmigungs- oder Autorisierungsverfahrens sowie für die Sicherstellung der Übereinstimmung der Produktion verantwortlich ist. Die Person oder Stelle muss nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw. die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein“. Soweit die Klägerin vor dem Hintergrund der Benennung der Beklagten in der EG-Übereinstimmungserklärung als Hersteller der Antriebsmaschine ausgeführt hat, dass die von … hergestellten Motoren von der Beklagten modifiziert worden seien und hierfür den Zeugen … benannt hat, handelt es sich erkennbar um einen Vortrag ins Blaue hinein. Konkrete Anhaltspunkte hierfür fehlen. Eine Vernehmung des Zeugen … würde daher zu einer unzulässigen Ausforschung führen. Dagegen spricht auch nicht die Verhängung eines Bußgelds gegen die Beklagte und gegen die … AG, da es sich um eine Sanktion im Ordnungswidrigkeitenrecht handelt, die nicht notwendig vorsätzlich sittenwidriges oder betrügerisches Verhalten voraussetzt.
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2. Ein Anlass zur Begutachtung der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motorsteuerungssoftware durch Sachverständige bestand nicht. Das Fahrzeug ist als Typ Euro 5 unstreitig bislang nicht von Rückrufen betroffen gewesen. Die Klägerin hat auf Nachfrage angegeben, keine Post insoweit erhalten zu haben.
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Es kann insbesondere dahingestellt bleiben, ob die Motorsteuerung mit einem sog. Thermofenster ausgestattet ist. Das Vorhandensein eines Thermofensters lässt nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf einen Täuschungsvorsatz schließen. Anders als bei einem nur im Prüfstandsbetrieb aktiven Modus zur optimierten Abgasreinigung, der den Anschein einer Verwendung zu Täuschungszwecken zur Erlangung der Typgenehmigung begründet weil eine andere plausible technische Erklärung fehlt, kommt bei einem Thermofenster das technische Argument des Motorschutzes in Betracht, um das Fahrzeug dauerhaft zuverlässig funktionsfähig zu halten (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 17.05.2019, 329 O 272/18; Juris, zum Motor OM 651 der … AG und OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17, Juris, Leitsatz 2. zu einem …-Fall).
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3. Die Beklagte haftet auch nicht wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB). Weder die Vorschriften der Verordnung EG 715/2007 noch die EG-FGV und die zugrundeliegende Richtlinie 2007/46/EG stellen Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar (LG Hamburg, a.a.O., Rd-Nr. 34). Diese Vorschriften bezwecken nicht den Schutz des Vermögens des einzelnen Verbrauchers (Werterhalt des Diesel-Pkw), sondern die Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung der Emissionen von Kraftfahrzeugen (LG Hamburg, ebenda).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, 2 ZPO.
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Der Streitwert folgt aus der geltend gemachten Hauptforderung des hilfsweise gestellten Zahlungsantrags, nachdem mangels Schadensersatzanspruch dem Grunde nach sowohl die Haupt- als auch die Hilfsanträge abzuweisen waren (Art. 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).