Inhalt

VG München, Urteil v. 13.08.2020 – M 27 K 17.49104
Titel:

Staatliche Verfolgung Homosexueller in Nigeria

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 Nr. 2, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 77 Abs. 1 S. 1, § 83b
Anerkennungs-RL Art. 10 Abs. 1 lit. d
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, S. 7, § 102 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 154 Abs. 1
Qualifikations-RL 2004 Art. 10 Abs. 1 lit. d
Leitsatz:
Die in Nigeria spezifisch Homosexuelle betreffenden strafrechtlichen Bestimmungen stellen von staatlicher Seite eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung dar. (Rn. 14 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Heterosexuelle Ehe mit gemeinsamen Kindern, Glaubhaftes Vorliegen von Homosexualität, Strafbarkeit nach nigerianischem Recht, Abschiebungsverbote, Zuerkennung, Flüchtlingseigenschaft, nigerianisches Recht, Strafbarkeit, Fluchtalternative, Verfolgung, Heterosexuelle, Nigeria, gemeinsame Kinder, Herkunftsland, RL 2011/95/EU, RL 2004/83/EG
Fundstelle:
BeckRS 2020, 33777

Tenor

I.    Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19. Oktober 2017 wird in den Ziffern 1 und 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. 
II.    Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der 1982 geborene Kläger ist eigenen Angaben zufolge nigerianischer Staatsangehöriger, traditionell verheiratet und dem Volk der Bini zugehörig. Er reiste am 4. Juni 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte dort am 14. August 2015 einen Asylantrag.
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Bei einer persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 24. Juli 2017 legte der Kläger dem Bundesamt unter anderem eine Heiratsurkunde vor und führte im Wesentlichen unter anderem aus, er sei in Nigeria 12 Jahre zur Schule gegangen und habe danach als Fahrer und in einer … Firma gearbeitet. Vor seiner Ausreise aus Nigeria im Februar 2015 habe er sich zwei bis drei Monate lang in Benin City bei einem Freund aufgehalten, zuvor bei seinen Eltern, zusammen mit seiner Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern. In seinen Ausführungen zu den Gründen, warum er Nigeria verlassen habe, erwähnte er eine bei ihm bestehende Homosexualität nicht. Die Frage, ob er in Nigeria konkret selbst bedroht worden sei, verneinte er. Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr nach Nigeria fürchte, antwortete er seine Tochter sei dort. Er wisse nicht genau, was dort geschehe. Vielleicht werde er umgebracht, wie das bei seinem Vater der Fall gewesen sei.
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Mit Bescheid vom 19. Oktober 2017, dem Kläger am 23. Oktober 2017 per Postzustellungsurkunde zugestellt, lehnte das Bundesamt dessen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, dessen Asylantrag sowie dessen Antrag auf subsidiären Schutz ab (Nr. 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung nach Nigeria aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe eine begründete Furcht vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden nicht glaubhaft gemacht. Er habe sich bei seiner Anhörung auf Sachverhalte berufen, die seinen Vater, jedoch nicht ihn persönlich beträfen. Im Übrigen bestehe für den Kläger eine inländische Fluchtalternative, etwa in nigerianischen Großstädten wie Lagos, Ibadan oder Port Harcourt. Auch konkrete individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien in Bezug auf das Heimatland nicht vorgetragen oder ersichtlich. Auf die Begründung des Bescheids im Übrigen wird Bezug genommen.
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Der Kläger erhob am ... November 2017 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragt hauptsächlich,
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die Beklagte unter Aufhebung von Ziff. 1 und 3 bis 6 des Bescheids vom 19. Oktober 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatuszuzuerkennen und ihn betreffend Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Zur Begründung lässt er zunächst vortragen, die politische Verfolgung seines Vaters in Nigeria richtet sich auch gegen ihn selbst. Gegenüber seiner Ehefrau und seinen zwei minderjährigen Kindern sei er unterhaltsverpflichtet. Später lässt der Kläger vortragen, seine Frau habe am … … 2018 Zwillinge zur Welt gebracht. Am 27. März 2020 lässt er von seinem im November 2019 Bevollmächtigten eine Bescheinigung eines „… … … … … e.V.“ vom … März 2020 vorlegen, worin ausgeführt wird, dass der Kläger Klient einer Beratungsstelle dieses Zentrums sei und sich im Februar 2020 als homosexueller Mann vorgestellt und um Orientierung und Unterstützung im Asylverfahren gebeten habe, ferner die Teilhabe an der „LGBTIQ*-Community“ … ausbauen und neue Kontakte knüpfen wolle. Am *. August 2020 legte sein Bevollmächtigter eine Stellungnahme dieses Zentrums vom *. Juli 2020 vor. Darin ist ausgeführt, der Kläger lerne in diesem Zentrum nach und nach, dass man in Deutschland seine Homosexualität nicht verstecken müsse. Zwar habe dieser eine Ehefrau und Kinder, jedoch heißt das nicht, dass er nicht schwul sei. Bereits in der Jugend habe er zu einem Mann eine langjährige Beziehung gehabt und sei von diesem auch finanziell unterstützt worden. Seine Ehefrau habe auf Wunsch des Vaters geheiratet unter Berücksichtigung von dessen politische Karriere. Es sei eine Zwangsehe gewesen. Dem Kläger sei immer klar gewesen, dass er schwul sei. Das wisse auch seine Ehefrau; die mit ihr eingegangene Ehe sei ein Kompromiss gewesen. Man verstehe sich, liebe sich aber nicht. In Nigeria habe man eine gemeinsame Wohnung, aber getrennte Zimmer gehabt, man habe gemeinsam Kinder bekommen, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Während seiner Ehe habe er sein homosexuelles Leben weitergeführt. Sein ehemaliger Partner sei jetzt in Schweden. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt habe der Kläger Angst gehabt, sich zu outen, da er noch nicht gewusst habe, wie man hier in Deutschland mit Homosexuellen umgehe. Die „Unterbringung mit Familie“ schützte ihn vor homosexuell bedingten Übergriffen. Jetzt habe er eine Facebookseite und viele Kontakte mit Homosexuellen.
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Die Beklagte hat am 13. November 2017 die Behördenakten vorgelegt, jedoch keinen Antrag gestellt.
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Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 28. Oktober 2019 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 13. August 2020 schilderte der Kläger auf Nachfrage des Gerichts eingehend eine homosexuelle Beziehung zu einem Mann während seiner Zeit in Nigeria, ferner eigene homosexuelle Beziehungen seit seiner Einreise in das Bundesgebiet. Er führt weiter aus, er sei gegenüber dem Bundesamt ängstlich gewesen und habe Sorge gehabt, man würde ihm dann seine Kinder wegnehmen. Von seinem Vater sei er in Nigeria gedrängt worden, eine Ehe einzugehen, nachdem sein Vater seine Homosexualität bemerkt habe. Er selbst habe sich in Nigeria verhalten wie eine Frau und sei in seiner Jugend etwa auf seinen besonderen Gang angesprochen worden. Daraufhin habe sein Vater ihn gedrängt zu heiraten, was er im Jahr 2010 dann auch getan habe. 2011 sei dann ein gemeinsamer Sohn zur Welt gekommen. Bereits in Nigeria habe er und seine Frau jeweils ein eigenes Zimmer gehabt. Er habe dort mit ihrem Wissen auch homosexuelle Bekanntschaften gehabt. Derzeit lebe er zwar im gleichen Haus wie sie, jedoch in einer anderen Wohnung.
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Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten und insbesondere auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 13. August 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 13. März 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dieser hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
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1. Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine Verfolgung i. S. v. § 3 Abs. 1 AsylG liegt nach § 3a AsylG bei Handlungen vor, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1959 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Als Verfolgung im Sinne des Abs. 1 können unter anderem gemäß § 3a Abs. 2 AsylG die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden oder auch unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Dabei muss zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
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2. Das Gericht ist unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist und deshalb zu einer sozialen Gruppe gehört, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung seine homosexuelle Orientierung auf Nachfrage des Gerichts hinreichend deutlich machen können. Er hat deshalb eine flüchtlingsrechtlich relevante staatliche Verfolgung in der Form der Gruppenverfolgung zu befürchten.
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Homosexuelle bilden in Nigeria eine soziale Gruppe i.S. des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Nach dieser Vorschrift gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemeinsam haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird; als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter. Diese gesetzlichen Vorgaben entsprechen auch dem europäischen Recht, wie es Niederschlag in Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der RL 2011/95/EU (im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie) gefunden hat.
16
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, U.v. 7.11.2013 - Rs C-199/12) ist Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie a.F.) dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Zwar stelle allein der Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher noch keine Verfolgungshandlung i.S. d. Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie a.F. (vgl. auch § 3a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 AsylG) dar. Werden hingegen homosexuelle Handlungen mit Freiheitsstrafen bedroht und werden sie im Herkunftsland, das eine entsprechende strafrechtliche Regelung erlassen hat, auch tatsächlich verhängt, so ist dies als unverhältnismäßige diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar (EuGH, U.v. 7.11.2013 a.a.O. Rn. 61). Auf die Frage, ob der Betroffene selbst in seinem Heimatland vor dessen Verlassen in Konflikt mit Sicherheitsbehörden und Polizei aufgrund seiner Homosexualität geraten ist bzw. ob eine zielgerichtete Verfolgung gerade seiner Person durch Polizeibehörden stattgefunden habe, kommt es demgegenüber nicht an.
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Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden ferner nicht erwarten, dass der Schutzsuchende seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (EuGH, U.v. 7.11.2013 a.a.O. Rn. 71). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW, U.v. 7.3.2013 - A 9 S 1873/12 - juris Rn. 120) bedarf es unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EuGH hierbei keiner Gesamtwürdigung der verfolgten Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose. Diese Rechtsprechung des EuGH ist auch bei Auslegung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) anzuwenden.
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Ausgehend davon, dass die Homosexualität als eine für die Identität einer Person so bedeutsames Merkmal darstellt, dass sie nicht zu einem Verzicht darauf gezwungen werden sollte, erlaubt ferner das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen in Nigeria, die spezifisch Homosexuelle betreffen (§§ 214 und 217 des nigerianischen Strafgesetzbuchs [Criminal Code], vgl. VGH BW, U.v. 7.3.2013 - A 9 S 1873/12 - juris Rn. 62), die Feststellung, dass diese Personen eine deutlich abgegrenzte Gruppe bilden, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Hinzu kommt, dass im Januar 2014 der damalige Präsident Nigerias ein weiteres Gesetz mit dem Namen „Same Sex Marriage (Prohibition) Bill“ unterzeichnet hat. Danach droht Homosexuellen eine Freiheitsstrafe von bis zu vierzehn Jahren, wenn sie einen (verbotenen) Ehevertrag oder eine (verbotene) zivilrechtlich eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingehen. Personen, die an einer solchen Zeremonie teilnehmen oder sie unterstützen, droht zehn Jahre Haft. Wer öffentlich die Liebesbeziehung zu einem Menschen gleichen Geschlechts „direkt oder indirekt zeigt“, muss mit einer ähnlich hohen Haftstrafe rechnen (vgl. zum Ganzen VG Aachen, U.v. 20.2.2019 - 2 K 1522/17.A - juris Rn. 38 ff. m.w.N).
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Hiervon ausgehend droht dem Kläger in Nigeria von staatlicher Seite eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG wegen einer unverhältnismäßigen und diskriminierenden Strafverfolgung durch staatliche Akteure im Sinne der § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3, § 3c Nr. 1 AsylG. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Januar 2020 (S. 5, 13) sind homosexuelle Handlungen jeglicher Art unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Person nach säkularen Recht strafbar. Strafrechtliche Verfolgungen einvernehmliche homosexuelle Handlungen sind, wenn auch selten, bekannt. Im Januar 2014 habe der frühere Präsident die sogenannte „Same Sex Marriage Bill“ unterzeichnet, wonach um sexuelle Handlungen mit Haftstrafen von bis zu 14 Jahren geahndet werden können. Diese sei bisher von rund 10 Bundesstaaten in ihr landesrechtliches Strafgesetzbuch übernommen worden. Die bloße Mitwisserschaft von Homosexualität sei strafbar, im Ausland eingegangene gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder Ehen würden in Nigeria nicht anerkannt. Unterstützer von LGBTI-Organisationen könnten nunmehr mit bis zu 10 Jahren Haft bestraft werden. Im Juli 2017 und im Juli 2018 sei es im Bundesstaat Lagos zu Massenverhaftungen von homosexuellen Männern gekommen. Die Rechtsänderung habe jedoch bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärfenden Strafverfolgung geführt. Bisher sei es nach Kenntnis der Botschaft noch nicht zu Verurteilungen nach dem neuen Gesetz gekommen.
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Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Rahmens und der gerichtlichen Praxis handelt es sich bei der Ahndung homosexueller Handlungen um eine unverhältnismäßige, diskriminierende Strafverfolgung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG. Darüber hinaus besteht aufgrund der Gesetzeslage und unter Berücksichtigung des Verfolgungsschicksals des Klägers auch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria gesetzlichen, administrativen und justiziellen Maßnahmen ausgesetzt sein wird, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewendet werden im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG. Der Kläger wäre bei einer Rückkehr nach Nigeria gezwungen, seine sexuelle Orientierung zu verheimlichen. Vor diesem Hintergrund ist nicht auszuschließen, dass er seine Homosexualität mehr oder weniger offen lebt und sich zu dieser bekennt und daher der konkreten Gefahr von Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 und 3 AsylG ausgesetzt wäre.
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Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass derzeit für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit i.S. von § 3e Abs. 1 AsylG besteht. Nach der derzeitigen Erkenntnislage ist nicht ersichtlich, dass in größeren Städten oder urbanen Zentren in Nigeria Homosexualität toleriert wird. Dem steht zum einen die bereits oben ausgeführte Rechtslage auch im Hinblick auf Personen, die von homosexuellen Beziehungen Kenntnisse haben, entgegen. Zum anderen lässt sich den Erkenntnisquellen entnehmen, dass hinsichtlich der Verfolgungsgefahr kein signifikanter Unterschied mehr zwischen größeren Städten und dem übrigen Land besteht, wenn eine Homosexualität bekannt wird (VG Aachen, U.v. 20.2.2019 - 2 K 1522/17.A - juris Rn. 65 m.w.N).
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3. Aus diesen Gründen war die Beklagte im genannten Umfang zu verpflichten. Über die hilfsweise gestellten Anträge des Klägers auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und Feststellung von Abschiebungsverboten brauchte in Hinblick auf diesen weitergehenden internationalen Schutzstatus nicht gesondert entschieden werden (vgl. § 2 Abs. 2 AsylG).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylG nicht erhoben.