Titel:
Zur ZWeckentfremdung von Wohnraum durch sog. "Medizintourismus"
Normenketten:
ZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 3, Art. 4 S. 1
LStVG Art. 9
Leitsätze:
1. Wer seine Wohnung wiederholt an wechselnde Personen, die sich dort nur vorübergehend zum Zwecke einer medizinischen Behandlung aufhalten, überlässt, verfolgt das Nutzungskonzept einer Fremdenbeherbergung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Nutzung durch Medizintouristen zeichnet sich durch übergangsweises vorübergehendes Wohnen aus mit der Folge, dass die Wohnung nicht mehr die Funktion einer "Heimstadt im Alltag" hat. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungskonzept Medizintourismus, Verwandtschaft und treuwidriges Verhalten der Vermieterin als Schutzbehauptung, Störerauswahl, gewerbliche Nutzung, Behandlung, Anfechtungsklage, Klagefrist, Ordnungswidrigkeit, Wohnraum, Verwandtschaft, Schutzbehauptung, treuwidriges Verhalten, zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsuntersagung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 336
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kostengläubigerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsuntersagung und Verpflichtung, die verfahrensgegenständliche Wohnung 1.0.1, .str. 97, Erdgeschoss links, wieder Wohnzwecken zuzuführen.
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Der Kläger ist Miteigentümer einer 2012 gebauten 3-Zimmer-Wohnung, die er nicht selbst bewohnt, sondern vermietet.
3
Ortseinsichten durch Mitarbeiter der Beklagten wurden am 5. Juli 2018, 23. August 2018, 3. September 2018, 25. September 2018, 5. November 2018, 6. November 2018, 7. November 2018 und 8. November 2018 durchgeführt. Ausweislich der Akten hielten sich am 5. Juli 2018 4 Personen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit Kurzzeitvisa zur medizinischen Behandlung in der Wohnung auf, ausweislich der Kopien der Reisepässe eine Familie "A." (Bl. 9 ff. d. Behördenakte - BA).
4
Am 23. August 2018 wurde ein Herr aus Kuwait angetroffen, der mitteilte, dass die Wohnung von insgesamt 4 Personen bewohnt werde und es die Wohnung der Familie seines Neffen sei. Er zahle keine Miete. Aufenthaltsgrund seien geschäftliche Zwecke und medizinische Behandlung. Ausweislich der Kopie des Reisepasses handelte es sich um einen Herrn "N. M." aus Kuwait, Journalist (Bl. 16 - 16 b BA). Am 25. September 2018 wurden zwei Staatsangehörige des Oman in der Wohnung angetroffen, die ausweislich der Fotos der Visa zur medizinischen Behandlung in München waren. Es handelte sich um das Ehepaar "Al H." (andere Schreibweise "Al H." - i. Visum der Ehefrau) aus dem Oman; die Miete betrage 7.000,-- EUR/Monat und werde in bar an eine Frau namens "D." bezahlt, von der sie auch die Wohnung bekommen hätten (Bl. 21 ff. BA).
5
Am 8. November 2018 befanden sich nach Angaben der angetroffenen Frau A. 4 Personen in der Wohnung, die zur medizinischen Behandlung in München waren und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stammten. Die Wohnung sei von einem Herrn O. A. zur Verfügung gestellt worden (Bl. 31 ff. BA).
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Nach Anhörung des Klägers untersagte die Beklagte diesem mit Bescheid vom 19. November 2018 die Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung (Nr. 1) und gab dem Kläger auf, den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der Nutzung für Zwecke der Fremdenbeherbergung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Nr. 2). Sofern der Kläger der Anordnung in Nr. 1 des Bescheides nicht innerhalb von 6 Wochen und der Anordnung in Nr. 2 des Bescheides nicht innerhalb von 3 Monaten ab Zustellung Folge leiste, werde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 7.500,-- EUR angedroht (Nrn. 3 und 4).
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Die Wohnung werde nach dem Nutzungskonzept des Klägers seit mindestens Juli 2018 vorübergehend an Medizintouristen und damit für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt. Dies erfülle den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit (Art. 4 ZwEWG i.V.m. § 14 ZeS) und werde nach Art. 3 Abs. 2 ZwEWG hiermit unterbunden. Der Kläger und gegebenenfalls sein Miteigentümer vermieteten direkt an die Kurzzeitnutzer und seien damit Handlungsstörer im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG. Die von den Bewohnern angegebenen Namen "D." oder "O. A." seien vermutlich Vermittler bzw. Erfüllungsgehilfen. Die Zweckentfremdung sei nicht genehmigt und nicht genehmigungsfähig, da kein überwiegendes schutzwürdiges privates Interesse vorläge.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheides Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2018 erhob der Bevollmächtigte Klage und beantragte,
Der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2018 wird aufgehoben.
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Die Anfechtungsklage sei statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Der Kläger sei klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Die Klagefrist sei gewahrt (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Klage sei außerdem begründet, da der Kläger den Wohnraum nicht zur Fremdenbeherbergung genutzt habe. Es fehle an einer Gewinnerzielungsabsicht als Voraussetzung für eine genehmigungsbedürftige Zweckentfremdung als gewerbliche Nutzung. Der Kläger habe den Wohnraum unentgeltlich Verwandten überlassen. Bei der Ortsermittlung am 5. Juli 2018 sei eine weitläufige Verwandte des Klägers angetroffen worden, deren Bruder mit einer Cousine des Klägers verheiratet sei. Am 23. August 2018 habe sich in der Wohnung bei der Ortseinsicht ein Onkel des Klägers befunden. Bei der Ortsermittlung am 25. September 2018 seien Verwandte des Klägers mütterlicherseits in der Wohnung gewesen. Eine Frau mit dem Vornamen "D." sei Verwalterin der Wohnung. Diese habe offenbar, ohne dass der Kläger dies wusste, von den Verwandten des Klägers Geld verlangt. Nicht der Kläger, sondern alleine Frau "D." sei Störerin. Der Kläger halte sich nicht in Deutschland auf. Eine Liste der Verwandten aus dem Oman, aus Kuwait und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit Name und Anschrift wurde als E-Mail des Klägers, datiert vom 9. Dezember 2019, an die Beklagte und das Gericht weitergeleitet.
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Die Beklagte beantragte,
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Die Angaben des Klägers, dass es sich bei den angetroffenen Personen jeweils um Verwandte gehandelt habe und er diesen die Wohnung unentgeltlich überlassen habe, seien als bloße Schutzbehauptungen zurückzuweisen und widersprächen den Angaben der angetroffenen Personen. Lediglich am 23. August 2018 habe der Angetroffene mitgeteilt, dass er ein Neffe des Klägers sei und deshalb keine Miete bezahlen müsse. Soweit von den übrigen angetroffenen Personen, die sich alle nur kurzfristig aufgrund medizinischer Behandlung in der Wohnung aufgehalten haben, die Namen "D." oder "O. A." genannt worden seien, handele es sich um Vermittler bzw. Erfüllungsgehilfen und damit nicht um geeignete Adressaten für eine wirksame und effektive Beseitigung der Störung. Die Behauptung des Klägers, dass angeblich immer eine Frau "D." die Mietzahlungen erhalten und einbehalten habe, sei als bloße unsubstantiierte Schutzbehauptung zurückzuweisen. Die von dem Kläger vorgelegte Liste über die bei den Ortsermittlungen angetroffenen angeblichen Verwandten (Bl. 72 u. 85 BA) sei unvollständig, da der am 21. August 2019 bei der Ortsermittlung angetroffene angebliche Bruder des Klägers nicht auf der Liste stand. Es sei erneut die Vorlage einer vollständigen Liste erbeten worden. Der Kläger habe am 10. Dezember 2019 eine solche aktualisierte Liste vorgelegt. Keiner der bei den Ortsermittlungen angetroffenen Personen habe mit Ausnahme des Neffen von einem Verwandtschaftsverhältnis zum Kläger berichtet und alle hätten zweckgebundene Visa zur medizinischen Behandlung gehabt.
13
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
16
Der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 3 Abs. 2 ZwEWG, § 13 Abs. 1 ZES). Eine Zweckentfremdung von Wohnraum liegt vor, die nicht genehmigungsfähig ist. Sowohl die Ermessensausübung als auch die Störerauswahl sind ordnungsgemäß. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Bescheides Bezug genommen.
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Ergänzend gilt Folgendes:
18
Eine Zweckentfremdung von Wohnraum im Sinne des Gesetzes und der hier einschlägigen Zweckentfremdungssatzung ist gegeben (Art. 1 Satz 2 Nr. 3 Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum - Zweckentfremdungsgesetz - ZwEWG v. 10.12.2007 i.d.F. v. 19.6.2017). Der Kläger hat als gemeinsam mit seinem Bruder Verfügungsberechtigten die verfahrensgegenständlichen Wohnung anderen zu Wohnzwecken zugeführt, indem er sie wiederholt an wechselnde Personen, die sich vorübergehend zum Zwecke einer medizinischen Behandlung in München aufhielten, überlassen hat. Damit verfolgt er das Nutzungskonzept einer Fremdenbeherbergung. Die Wohnung wird damit nicht zum Wohnen genutzt, da darunter nur eine Nutzung zu verstehen ist, die sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises und darüber hinaus die Freiwilligkeit des Aufenthalts auszeichnet (z.B. BayVGH, B.v. 16.11.2015 - 12 CS 15.2269). Die Nutzung durch Medizintouristen zeichnet sich durch übergangsweises vorübergehendes Wohnen aus mit der Folge, dass die Wohnung nicht die Funktion einer so genannten "Heimstadt im Alltag" hat.
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Der Vortrag des Bevollmächtigten - belegt durch eine E-Mail, deren Absenderfeld geschwärzt ist -, dass die Wohnung jeweils unentgeltlich an Verwandte überlassen wurde, ist nicht glaubhaft und als bloße Schutzbehauptung zu werten. In der mündlichen Verhandlung hat der Bevollmächtigten zwar seinen schriftsätzlichen Vortrag vertieft, er habe selber mit einer Frau "D." gesprochen, deren Nachname unbekannt sei und die kaum Deutsch könne. Vor dem Hintergrund, dass diese Frau "D." angeblich die Verwalterin der Wohnung ist, kann von dem Kläger und seinem Bevollmächtigten erwartet werden, dass der Nachname ebenfalls bekannt ist. Die darüber hinausgehende Behauptung, diese Frau "D." hätte ohne Kenntnis des Klägers von dessen Verwandten erhebliche Beträge als Miete verlangt und erhalten, stellt danach vielmehr einen ungeeigneten Versuch dar, die Verantwortung einem Dritten zuzuschieben. Es ist nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass die angebliche Verwandtschaft des Klägers klaglos erhebliche Beträge an Frau "D." gezahlt haben will, ohne den Kläger darüber zu informieren oder zumindest nachzufragen, warum sie Miete zahlen mussten. Es ist weiter unglaubwürdig, dass dies wiederholt längere Zeit hinweg geschah. Es ist außerdem unglaubwürdig, dass der angeblich im Ausland lebende Kläger, der eine Adresse in der .straße in München hat, die Verwaltung der Wohnung jemandem überlässt, dessen Nachname unbekannt ist und der nach Angaben des Bevollmächtigten kaum Deutsch spricht. Der Vortrag des Bevollmächtigten und des Klägers ist darüber hinaus auch deshalb unglaubwürdig, weil ausweislich der Angaben bei den Ortseinsichten auch ein Herr "O. A." die Wohnung zur Verfügung gestellt habe.
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Ungeachtet dessen, dass der Vortrag, die Verwalterin habe Geld verlangt und behalten, hier als Schutzbehauptung gewertet wird, kommt es rechtlich für die Frage der Störereigenschaft darauf nicht an. Die Verwalterin ist Erfüllungsgehilfin des Klägers und ihr Handeln ist deshalb dem Kläger zuzurechnen.
21
Die Auswahl des Klägers als unmittelbarem Handlungsstörer im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.
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Bedenken dagegen, dass die unter den Nrn. 3 und 4 des angefochtenen Bescheides verfügten Zwangsgeldandrohungen nach Grund und Höhe unangemessen wären, bestehen nicht. Unter Berücksichtigung der kurzzeitigen Aufenthalte der jeweiligen Touristen sind die Fristen angemessen.
23
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.