Inhalt

LG München II, Beschluss v. 23.06.2020 – 6 T 2206/20
Titel:

Keine Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen im Betreuungsverfahren

Normenkette:
FamFG § 68 Abs. 3 S. 1, S. 2, § 276 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 278 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ist im erstinstanzlichen Verfahren eine persönliche Anhörung des Betroffenen vollständig unterblieben, ist das Beschwerdegericht gemäß §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 278 Abs. 1 grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Verfahrenshandlung selbst vorzunehmen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Möglichkeit des Betreuungsgerichts, nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen abzusehen, wenn dieser offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun, entbindet das Gericht grundsätzlich von der in § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG enthaltenen Verpflichtung, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FamFG erforderliche Bestellung eines Verfahrenspflegers dient der Sicherstellung des rechtlichen Gehörs für den Betroffenen. Die Verpflichtung des Gerichts nach § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen, kann durch die Verfahrenspflegerbestellung grundsätzlich ersetzt werden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betreuungsverfahren, persönliche Anhörung, Pflicht, Verfahrenspfleger
Vorinstanz:
AG Starnberg, Beschluss vom 25.05.2020 – XVII 474/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 04.11.2020 – XII ZB 344/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 33565

Tenor

Die Beschwerde vom 29.05.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts-Betreuungsgericht Starnberg vom 25.05.2020 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die 1936 geborene Betroffene ist an einer Enzephalitis mit Koma erkrankt. Ihr Zustand verbesserte sich 2019 zusehends, machte aber weiterhin eine Betreuung erforderlich.
2
Ende 2019 verschlechterte sich der Zustand von Frau R. dann wieder. Sie befindet sich seitdem in einem Zustand der reaktionslosen Wachheit (Wachkoma) Eine Verständigung mit ihr ist aktuell nicht möglich. Mit Beschluss vom 20.05.2020 war durch einstweilige Anordnung, befristet bis 26.05.2020 nochmals umfassende Betreuung angeordnet worden. Zu Betreuern blieben bestellt der Sohn der Betroffenen und ihr Ehemann.
3
Die Verfahrenspflegerin wies unter den 20.05.2020 darauf hin, dass sich der Sohn weiterhin im außereuropäischen Ausland aufhält und deshalb als Betreuer nicht in Betracht kommt. Der Ehemann der Betroffenen sei 83 Jahre alt und kümmere sich zwar offenbar liebevoll um seine Ehefrau, sei aber mit dem „Verwaltungskram“ überfordert. Das Vermögensverzeichnis wurde noch nicht eingereicht und die Pflegeeinrichtungen wurde bisher nicht bezahlt.
4
Mit Beschluss vom 25.05.2020 ordnete das Betreuungsgericht längerfristige umfassende Betreuung an und bestellte für die Aufgabenkreise Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten - und Sozialleistungsträgern, Vermögenssorge, Abschluss, Änderung und Kontrolle der Einhaltung eines Heim - Pflegevertrages, Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungsangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Aufgabenkreise Frau N. zur Berufsbetreuerin. Herr E. R… wurde als weitere Betreuer für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge bestellt. Herr Sc… wurde zum Betreuer in den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung bestellt.
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Als Überprüfungstermin wurde der 25.05.2022 bestimmt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.
6
Mit Anwaltsschriftsatz vom 29.05.2020 legte die Betroffene Beschwerde gegen diesen Beschluss ein. Diese wurde mit Schriftsatz vom 22.06.2020 näher begründet. Der Beschwerdebegründung war eine auf 20.5.2020 datierte anwaltliche Vollmacht des Sohnes und des Ehemannes der Betroffenen beigefügt. Die Beschwerde verfolgt das Ziel, insbesondere den Sohn der Betroffenen zur „Gesamtvertretung“ zu bestellen. Seit den Klinikaufenthalten der Betroffenen im Mai 2019 habe er sich in Deutschland befunden und sie mindestens 6 mal pro Woche besucht. Er sei auch in die Erledigung der finanziellen Angelegenheiten seit Jahren eingebunden und habe sich intensiv um die Betroffene gekümmert. Derzeit könne er lediglich wegen der Corona - Pandemie aus den Emiraten nicht nach Deutschland einreisen und und sich besser um seine Mutter kümmern. Darüber hinaus wird die fehlende persönliche Anhörung der Betroffenen gerügt.
7
Ergänzend wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
8
Das Rechtsmittel ist in der Sache erfolglos.
9
1. Insbesondere ist es jedenfalls derzeit nicht sachgerecht, dem Sohn der Betroffenen die gesamte Betreuung zu übertragen. Er ist aktuell unstreitig weiterhin nicht in der Lage, die Aufgaben der Betroffenen vollumfänglich und in deren Interesse zu erledigen, da er sich weiterhin wegen der Corona - Pandemie in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhält und von dort aus keinen Zugriff auf die notwendigen Unterlagen hat und außerdem keinen persönlichen Kontakt mit der Betroffenen herstellen kann. Eine sachgerechte Betreuung ist derzeit ganz offensichtlich nicht möglich.
10
2. Eine vollumfängliche Einsetzung des Ehemannes der Betroffenen als Betreuer wird mit der Beschwerde nicht verfolgt; es wäre dies auch nicht sinnvoll, da Herr Sc. sich zwar sehr liebevoll um seine Frau kümmert, mit der Erfüllung der über die Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge hinausgehenden Angelegenheiten aber überfordert wäre. Dies ergibt sich insbesondere aus der Stellungnahme der Betreuungsstelle vom 08.05.2020. Desweiteren ergibt sich aus einem Vermerk der Rechtspflegerin vom 06.02.2020, dass der Ehemann angegeben hatte, im Innenverhältnis solle sein Sohn die Vermögensverwaltung für die Betreute führen. Bereits bei seiner Verpflichtung am 13.12.2019 wies der Ehemann darauf hin, dass die Vermögensverwaltung durch seinen Sohn erledigt werde.
11
In der Beschwerde findet sich kein dem widersprechender Vortrag.
12
Abschließend ist anzumerken, dass es dem Sohn der Betroffenen unbenommen bleibt, nach seiner Rückkehr nach Deutschland seine Eignung zur Führung der Betreuung unter Beweis zu stellen und gegebenenfalls vor Ablauf der Überprüfungsfrist eine Übertragung der Betreuung erneut zu beantragen.
13
3. Der Einwand der Beschwerde, das Verfahren sei rechtsfehlerhaft, weil die Betroffene nicht persönlich angehört wurde, geht fehlen. Frau R… ist weiterhin aufgrund eines Wachtraumas nicht ansprechbar, was sich unzweifelhaft aus dem neurologischen Fachgutachten vom 03.04.2020 ergibt. Das Amtsgericht hat diesen Umstand durch Bestellung einer Verfahrenspflegerin Rechnung getragen, sodass ein Verfahrensfehler nicht vorliegt.
III.
14
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.