Titel:
Drittstaatenverfahren (internationaler Schutz in Griechenland gewährt): keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verelendung des jungen und arbeitsfähigen Klägers in Griechenland
Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 lit. a
Leitsätze:
1. Die Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung und die Folgeentscheidungen. Die erfolgreiche Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsfeststellung führt in der Folge zur inhaltlichen Prüfung der Asylanträge durch die Beklagte, so dass es eines auf die Durchführung eines Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsantrags nicht zusätzlich bedarf. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts über das Asylbegehren im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung ist nicht möglich; eine hierauf gerichtete Verpflichtungsklage wäre unstatthaft. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zur Lage für in Griechenland anerkannte international Schutzbedürftige im Falle der Rückkehr nach Griechenland. (Rn. 30 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung eines in Griechenland anerkannt schutzberechtigten, alleinstehenden, jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mannes im Sinne des Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK bei Rückkehr nach Griechenland., Anfechtungsklage allein statthafte Klageart gegen Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, Implizite Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG durch behördliche Befristungsentscheidung, Abschiebungsandrohung, Asyl, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsverbot, erniedrigende Behandlung, Abschiebungsverbot, internationaler Schutz
Fundstelle:
BeckRS 2020, 33442
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 27. April 2018, mit dem sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, keine Abschiebungsverbote festgestellt wurden und die Abschiebung nach Griechenland angedroht wurde.
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Der Kläger ist eigener Angabe nach … 1998 in Syrien geboren und der Volksgruppe der Kurden zugehörig. Er floh am 15. Februar 2016 aus Syrien und reiste über die Türkei am 19. März 2016 nach Griechenland ein, wo er sich vor seiner Weiterreise insgesamt ein Jahr und elf Monate aufhielt. Es liegt ein EURODAC-Treffer vor, nach dem er am 26. April 2016 einen Asylantrag in Moria (Griechenland) gestellt hat, auf den hin ihm am 21. November 2016 durch Griechenland internationaler Schutz gewährt wurde. Am 13. März 2018 reiste der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. April 2018 einen Asylantrag. Laut eigener Aussage besuchte der Kläger sieben Jahre die Schule in Syrien, übte aber bislang keine Erwerbstätigkeit aus. In Deutschland leben ein Onkel und zwei Tanten des Klägers, die zum Teil als international Schutzberechtigte anerkannt sind.
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Das Bundesamt hörte den Kläger am 17. April 2018 und am 26. April 2018 an. Dort gab der Kläger an, dass sein Ziel von Anfang an Deutschland gewesen sei. In Griechenland gebe es weder Arbeit noch Schule. Erkrankungen habe er keine.
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Mit Bescheid vom 27. April 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens, und drohte andernfalls die Abschiebung nach Griechenland an, wobei gleichzeitig die Unzulässigkeit einer Abschiebung nach Syrien festgestellt wurde (Ziffer 3), und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
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Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig sei, da dem Kläger bereits durch Griechenland am 21. November 2016 internationaler Schutz gewährt worden sei. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liege nicht vor, insbesondere drohe dem Kläger bei Abschiebung nach Griechenland wegen der dort herrschenden humanitären Bedingungen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK. Nach der Rechtsprechung könne dies nur in außergewöhnlichen Einzelfällen bejaht werden, die hier nicht vorlägen. Griechenland gewähre schutzberechtigten Migranten prinzipiell Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitsmarkt und Sozialversicherung und stelle sie damit der einheimischen Bevölkerung gleich. Zuzugeben sei nur, dass die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Rechte in der Praxis, auch für die Einheimischen, wegen der defizitären ökonomischen und staatlich-administrativen Situation stark eingeschränkt sei.
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Hinsichtlich der Unterkunftssituation hätten anerkannte Schutzberechtigte Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten unter den gleichen Voraussetzungen wie legal aufhältige Drittstaatsangehörige. Wohnungsbezogene Sozialleistungen gebe es nicht. Eine private Anmietung von Wohnraum durch Flüchtlinge gestalte sich schwierig, da in Griechenland traditionell vorzugsweise innerhalb des Familien- und Bekanntenkreises vermietet werde. Schrittweise stelle der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) angemietete kleinere Wohneinheiten zur Verfügung. Auch die Europäische Union finanziere Unterkünfte, die anerkannte Flüchtlinge allerdings circa sechs Monate nach Anerkennung verlassen müssten. Ebenso böten einige Nichtregierungsorganisationen Unterstützung bei einer temporären Unterbringung an. Allgemeine Sozialleistungen stünden den anerkannt Schutzberechtigten seit 2017 unter denselben Voraussetzungen wie für griechische Staatsbürger zu. Die Aufnahme in das Sozialhilfeprogramm setze wie bei griechischen Staatsbürgern einen mindestens einjährigen Aufenthalt im Inland voraus. Dessen erste Säule bestehe aus einem Sozialgeld von 200 EUR pro Person, das sich um 100 EUR je weitere erwachsene Person und um 50 EUR je minderjähriges Kind im Haushalt erhöhe. Dazu komme kostenlose medizinische Fürsorge für Personen ohne Krankenversicherung, kostenlose Schulmahlzeiten und die Aufnahme in soziale Unterstützungsprogramme. De facto seien aber viele Krankenhäuser überlastet und durch Budgetierungen beschränkt. Insbesondere der Zugang zu teuren lebenswichtigen Medikamenten stoße auf Engpässe. Die zweite Säule bestehe aus sozialen Hilfsprogrammen durch Kommunen und Zentralstaat. Die dritte Säule solle die Vermittlung in Arbeit sein. Was Integrationsmaßnahmen anbelange, gebe es keine speziell für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland. Es würden aber in Kooperation von UNHCR und griechischen Universitäten Sprachkurse angeboten. Darüber hinaus bestünden landesweit Integrationsräte, die Probleme identifizieren und dem Gemeinderat Lösungsvorschläge unterbreiten sollen, sowie bei der Integration unterstützende Nichtregierungsorganisationen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt sei grundsätzlich gegeben, tatsächlich aber aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit schwierig.
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Da die anerkannten Schutzberechtigten entsprechend dem europäischen Recht den griechischen Staatsangehörigen formal gleichgestellt seien und keine Verpflichtung zur Gewährung eines Mindestversorgungsstandards bestehe, sei Art. 3 EMRK nicht verletzt. Die Lebensbedingungen für nach Griechenland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte mögen zwar sehr schwierig sein, es herrschten allerdings nicht derart handgreifliche Missstände, die den Schluss zuließen, dass sie einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt würden oder gar Lebensgefahr drohe. Überdies habe Griechenland mit Schreiben vom 8. Januar 2018 eine Zusicherung abgegeben, den Schutzberechtigten alle Rechte gemäß der Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) zu gewähren.
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Damit sei die Abschiebungsandrohung nach §§ 35, 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu erlassen gewesen, die Ausreisefrist werde nach § 38 Abs. 1 AsylG auf 30 Tage festgelegt. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot werde nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet, was angemessen sei, da keine Anhaltspunkte für eine kürzere Fristsetzung ersichtlich seien. Der ebenfalls in Deutschland lebende Onkel und die beiden Tanten zählten nicht zur berücksichtigungsfähigen Kernfamilie.
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Gegen diesen Bescheid, dem Kläger zugegangen am 2. Mai 2018, erhob der Kläger durch am 15. Mai 2018 beim Verwaltungsgericht Ansbach per Fax eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten Klage. Zur Begründung führt er aus, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliege. In Griechenland drohe ihm eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Im Übrigen sei die Situation anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland von schlechter sozialer Unterstützung, mangelnden Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Obdachlosigkeit, mangelhafter Verpflegung und fehlenden Integrationsmöglichkeiten geprägt. Soziale Rechte wie die Sozialhilfe seien nur auf dem Papier existent, aber praktisch auch wegen der vielen formellen Voraussetzungen kaum zu erreichen. Viele anerkannte Flüchtlinge lebten in verlassenen Häusern oder unter der Hand vermieteten und überfüllten Wohnungen in schlechtem Zustand, in verlassenen Gebäuderuinen, auf Baustellen oder in leeren Fabrikhallen, manche gar auf der Straße. Der Zugang zu Essen, Wasser, Strom und sanitären Einrichtungen sei nicht immer gesichert.
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2018 aufzuheben, hilfsweise unter Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des Bescheides das Bundesamt zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG vorliegt.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der in elektronischer Form beigezogenen Bundesamtsakte des Klägers und der Gerichtsakte Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2020 wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klagen sind im Haupt- und Hilfsantrag zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2018 ist im Wesentlichen rechtmäßig. Er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten und ist deshalb nicht zu beanstanden, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO.
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1. a) Die Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids) und die Folgeentscheidungen. Die erfolgreiche Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsfeststellung führt in der Folge zur inhaltlichen Prüfung der Asylanträge durch die Beklagte, so dass es eines auf die Durchführung eines Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsantrags nicht zusätzlich bedurfte (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 34/19 - juris Ls. 1, Rn. 10; BVerwG, U.v. 1.6.2017 - 1 C 9.17 - NVwZ 2017, 1625 Ls.1, Rn. 15; BayVGH, U.v. 13.10.2016 - 20 B 14.30212 - juris Rn. 20 ff.).
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Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts über das Asylbegehren im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung ist nicht möglich; eine hierauf gerichtete Verpflichtungsklage wäre unstatthaft. Das Asylverfahren gliedert sich in zwei Prüfungsabschnitte, nämlich das Zuständig- bzw. Zulässigkeitsverfahren und gegebenenfalls in das eigentliche Asylverfahren. Diese Gliederung ist auch prozessual insoweit fortzuführen, als zunächst stets das Bundesamt eine Entscheidung über den entsprechenden Prüfungsabschnitt zu treffen hat und diese Entscheidung erst danach vom Verwaltungsgericht überprüft werden kann. Hebt das Verwaltungsgericht die Unzulässigkeitsentscheidung mit den hieraus folgenden Nebenentscheidungen auf, hat zunächst wieder das Bundesamt über den nächsten Prüfungsabschnitt, d.h. über das Asylbegehren (Asyl, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz) inhaltlich zu befinden und darf nicht übergangen werden. Dies dient gerade auch dem Schutz des Asylantragstellers, für den dieses Vorgehen eine „zweite Instanz“ gewährleistet. Dieses Vorgehen ist auch im Falle von Asylfolge- und Zweitantragsverfahren und Klageverfahren gegen Einstellungen durch das Bundesamt und im Falle von Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG anerkannt und folgt für die Drittstaaten-Fälle auch aus dem Rechtsgedanken des § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 34/19 - juris Rn. 10 ff, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris Rn.19, OVG Saarlouis, U.v. 25.10.2016 - 2 A 95/16 - juris Rn.23).
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Bei dieser prozessualen Trennung bleibt es auch nach der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137; zuvor schon angelegt in EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris), nach der es den Mitgliedsstaaten verwehrt ist, von der Möglichkeit des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrens-RL) Gebrauch zu machen, den Antrag auf internationalen Schutz also als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannten Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigten erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 3 EMRK (s. Art. 52 Abs. 3 GRCh) zu erfahren.
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Zwar verpflichtet der Europäische Gerichtshof das nationale Gericht dazu, „auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen [im Drittstaat] vorliegen“ (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, - 541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 38; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 88), eine prozessuale oder verfahrensrechtliche Vorgabe hat der Europäische Gerichtshof damit aber nicht gemacht. Es ist vielmehr dem nationalen Rechtssystem überlassen, auf welchem prozessualen Weg bzw. auf welchem Verfahrensweg es zur Rechtsdurchsetzung für den Antragsteller kommt. Effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 47 GRCh und Art. 46 Verfahrens-RL ist für die Asylantragsteller auch gewährleistet im Falle einer reinen Anfechtung und wenn in einem ersten Schritt nur die Zuständigkeitsfrage gerichtlich überprüft wird.
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b) Die zulässige Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung und die Folgeentscheidungen ist jedoch unbegründet.
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Die Kammer geht unter Zugrundelegung aktueller, in die mündliche Verhandlung eingeführter Erkenntnismittel zur Situation anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland von folgender Sach- und Rechtslage aus:
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aa) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
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Die Norm setzt Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU (Verfahrens-RL) in nationales Recht um und ist daher richtlinien- und europarechtskonform auszulegen. Nach Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL dürfen die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof der Vorschrift im Wege der Auslegung noch ein weiteres, negatives Tatbestandsmerkmal entnommen. Nach der Entscheidung vom 13. November 2019 ist es den Mitgliedsstaaten nämlich nicht möglich von der Befugnis des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedsstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris). Nach Art. 52 Abs. 3 GRCh ist dabei auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen.
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Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat also in richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen, ob dem im anderen Mitgliedsstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
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Dem steht auch nicht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht entgegen, welcher besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union, wie sie etwa in Art. 4 GRCh zum Ausdruck kommen, anerkennen, dass sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GRCh anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL, in dem er zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3).
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Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat grundrechtswidrig behandelt werden. Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 86 ff.).
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Derartige Funktionsstörungen müssen eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C -297/17 u.a. - juris Rn. 89). Nicht ausreichend für das Erreichen dieser Schwelle ist der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der RL 2011/95/EU (Qualifi-kations-RL) entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 36). Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 - A 4 S 1329/19 - juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund derer sich die betreffende Person in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 - Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 - NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 91).
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Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedsstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn die Schutzberechtigten sich aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not im oben genannten Sinne befänden. Dafür genügt nicht, dass in dem Mitgliedsstaat, in dem einer neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 97). Ebenso wenig ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat in Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 94, 96).
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Bei dem so definierten Maßstab ist also weiter zu berücksichtigen, ob es sich bei der betreffenden Person um eine gesunde und arbeitsfähige handelt oder eine Person mit besonderer Verletzbarkeit (sog. Vulnerabilität), die leichter unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 u.a. - juris Rn. 93; EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 95; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 26). Damit schließt sich der Europäische Gerichtshof der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (EGMR, U.v. 4.11.2014 - Tarakhel, 29217/12 - NVwZ 2015, 127), die wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh auch im Rahmen des Art. 4 GRCh zu berücksichtigen ist.
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Für die demnach zu treffende Prognoseentscheidung, ob dem Schutzberechtigten eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss insoweit aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 - 7 A 10903/18.OVG - BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 - A 11 S 1704/17 - juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (OVG RhPf, a.a.O.; vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 187).
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bb) Nach den der Kammer zur Verfügung stehenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ist von folgender Lage für in Griechenland anerkannte international Schutzberechtigte, die nach ihrer Anerkennung Griechenland verlassen haben und nun wieder zurückgeführt werden sollen, auszugehen:
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Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Anerkannt Schutzberechtigte haben sich sodann beim zuständigen Bürgerservice-Center zu melden. Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
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Die staatlichen Integrationsmaßnahmen im Allgemeinen erscheinen defizitär. Es existiert kein funktionierendes Konzept für die Integration von Flüchtlingen bzw. fehlt es an nennenswerten staatlichen Ressourcen zu einer Implementierung (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierte Gesamtausgabe vom 4.10.2019 mit Informationsstand vom 19.3.2020, Ziffer 6. Schutzberechtigte, S. 27 f.). Diesbezügliche Ansätze der Regierung wie die „Nationale Strategie zur Integration von Drittstaatsangehörigen“ sind nur teilweise umgesetzt (Pro Asyl, a.a.O.; BFA a.a.O.) oder haben wie im Falle der nationalen Integrationsstrategie aus Juli 2018 keine rechtlich bindende Wirkung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7). Zwar berichten einige Erkenntnismittel etwa von 53 Integrationsräten auf lokaler Ebene, welche das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu identifizieren und dem jeweiligen Gemeinderat Vorschläge für eine möglichst reibungsfreie Integration von Einwanderern zu unterbreiten (BAMF, Länderinformation: Griechenland, Stand Mai 2017, S. 5). Diese Beschreibung deutet jedoch auf ein eher politisches Gremium hin, welches sich um Änderungen bemüht, selbst aber keine Integrationsleistungen anbietet. Hinsichtlich staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild uneinheitlich (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Zudem wird die hohe Abhängigkeit etwaiger Integrationsprogramme von einer Finanzierung durch die EU betont, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7; BFA a.a.O.).
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In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (OVG SH, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; UNHCR, Fact Sheet Greece, Februar 2020; BFA a.a.O. S. 32). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
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Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt, entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; BFA a.a.O., S. 30; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2019, Flüchtlinge und Asylsuchende, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Wohnraum, Stand: 16.4.2020). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (BFA a.a.O., S. 30).
35
Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigten werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren und über die Anerkennung hinaus dort verblieben sind und zudem nur für einen mehrmonatige Übergangszeitraum (BFA a.a.O., S. 26; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.). Von einer Unterbringung kann nur ausgegangen werden, soweit eine explizite Zusage im Einzelfall zur Betreuung des Rückkehrers seitens der griechischen Behörden vorliegt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, a.a.O.).
36
Auch haben die zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Über das ESTIA-Programm stehen derzeit ca. 4.600 Appartements und insgesamt ca. 25.500 Unterbringungsplätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Mai 2020). Dieses steht jedoch nur Asylsuchenden und begrenzt zwischenzeitlich auch für international Anerkannte zur Verfügung, die bereits dort gelebt haben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2). Durch das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. November 2019 in Kraft trat, wurden die Bedingungen für die anerkannt Schutzberechtigten überdies verschärft; sie sollen nunmehr unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Anerkennung die ESTIA-Unterkünfte verlassen, wobei es eine einmalige Übergangsfrist von zwei Monaten Anfang 2020 geben soll (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
37
Das Helios-2-Programm, ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Das Programm kommt nach derzeitigem Erkenntnisstand aber nicht den anerkannten Flüchtlingen zugute, die nach Griechenland zurückkehren, sondern gilt für ab dem 1. Januar 2018, vorzugsweise ab dem 1. Januar 2019 Anerkannte nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten im ESTIA-Programm (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 3: derzeit keine Kenntnisse des AA hierüber).
38
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten in den kommunalen und durch NGOs betriebenen Unterkünften, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überfüllt (BFA a.a.O., S. 30; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit. Im Ergebnis bleiben viele anerkannte Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das Anmieten privaten Wohnraums verfügen, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (für alles Vorstehende: Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 6 ff.). Obdachlosigkeit war unter Flüchtlingen in Athen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3).
39
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt. Das soziale Wohngeld setzt allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 1 f.).
40
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen - unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr - wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt. (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; BFA a.a.O., S. 28: Mindestaufenthalt ein Jahr).
41
Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; BFA a.a.O., S. 29).
42
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA a.a.O., S. 31). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder gleich in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Dazu tritt regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannt Schutzberechtigter findet derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), vereinzelt haben NGOs bzw. kirchliche Institutionen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet, etwa der Arbeiter-Samariter-Bund und die Diakonie. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7; BFA a.a.O., S. 31).
43
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und dem Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich einschränkungslos gegeben, unterliegt allerdings im Übrigen denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 - 4 LB 17/18 - BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.).
44
cc) Unter Beachtung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes und der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte ergibt sich unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags im hier zu betrachtenden Einzelfall eine Klageabweisung. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt, denn dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr nach Griechenland keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung.
45
Die Kammer geht zunächst davon aus, dass der Kläger als alleinstehender, 22-jähriger, gesunder und arbeitsfähiger Mann keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe zuzuordnen ist. Er hat weder in seinen Anhörungen vor dem Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren konkrete und valide Anhaltspunkte für das Bestehen eines Vulnerabilitätsmerkmals (z. B. besondere medizinische Bedürfnisse, Opferstellung aufgrund erlittener Folter und Gewalt im Herkunftsland o.ä.) in seiner Person vorgetragen bzw. belegt.
46
Unter weiterer Zugrundelegung eines strengen Maßstabes im Sinne der „Jawo“- und „Ibrahim“-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (s.o.) bei der Beurteilung, ob einem anerkannt Schutzberechtigten trotz zumutbarer, weitgehender Eigenbemühungen aufgrund seiner Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse und der übrigen Rahmenbedingungen (z.B. landsmännisches Netzwerk) die reale Gefahr einer Verelendung droht, kommt das Gericht im Fall des Klägers zu der Überzeugung, dass eine solche Gefahr nicht besteht.
47
Die Lebensverhältnisse von Schutzberechtigten in Griechenland stellen sich nach Auffassung der Kammer nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh dar. Zwar haben international oder subsidiär Schutzberechtigte nach der Ankunft in Griechenland möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen effektiv gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des sozialen Solidaritätseinkommens zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist der Zugang zu Sozialleistungen, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt und zu Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs für eine Übergangszeit nach Rückkehr nach Griechenland allerdings durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen und die Hilfestellung von NGOs geprägt.
48
Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte nach Überzeugung des Gerichts grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland (so auch: VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 - 5 L 581/18.A - juris Rn. 40; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 - 12 L 1326/19.A - juris Rn. 43; VG Leipzig B.v. 17.2.2020 - 6 L 50/19 - BeckRS 2020, 2228 Rn. 15). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. Art. 3 EMRK gewährt grundsätzlich keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 - 12 L 1326/19.A - juris Rn. 39). Soweit es die spezifischen Bedürfnisse Schutzberechtigter verlangen, dass ihnen zumindest in einer ersten Übergangsphase ein Mindestmaß an Fürsorge und Unterstützung bei der Integration zukommt, ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich NGOs bei der Integration anerkannter Schutzberechtigter eine wichtige Rolle spielen und diese als Umsetzungspartner der internationalen, von der Europäischen Union finanzierten und vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen koordinierten Hilfsprojekte fungieren (VG Cottbus, B.v. 10.2.2020 - 5 L 581/18.A - juris Rn. 23, 25, 36; VG Düsseldorf, B.v. 23.9.2019 - 12 L 1326/19.A - juris Rn. 48 bis 54). Die Projekte der NGOs können in ihrer Gesamtheit das Fehlen eines staatlichen Integrationsplans nach Auffassung des Gerichts zumindest in einer Übergangsphase nach Rücküberstellung des anerkannten Flüchtlings, der keine Merkmale besonderer Schutzwürdigkeit aufweist, kompensieren und sicherstellen, dass die elementaren Bedürfnisse von anerkannten Schutzberechtigten für die erste Zeit befriedigt werden können. Sie unterstützen auch bei der Erlangung der sozialen Leistungen des griechischen Staates.
49
Der Kläger ist mit 22 Jahren jung, arbeitswillig und -fähig, wenn er auch eigenen Angaben nach in Syrien lediglich sieben Jahre die Schule besucht, aber keinen Beruf erlernt hat. Gleichwohl kommen jedenfalls Aushilfstätigkeiten etwa in der Bau- oder Landwirtschaft in Frage. Angesichts seines Voraufenthalts in Griechenland von beinahe zwei Jahren dürften dem Kläger die grundlegenden Hilfestrukturen insbesondere durch die NGOs und die Anlaufstellen des griechischen Staates geläufig sein. Die Tatsache, dass der Kläger nach seiner Einreise nach Deutschland im März 2018 innerhalb von etwa zweieinhalb Jahren die deutsche Sprache auf einem guten Niveau erlernt hat, zeigt zudem, dass er in der Lage ist, auch Fremdsprachen in einem adäquaten Zeitraum so zu erlernen, dass ihm eine Verständigung im Zielland möglich ist. Für eine gewisse finanzielle Leistungsfähigkeit spricht außerdem, dass der Kläger nach Deutschland per Flugzeug über die Niederlande eingereist ist. Es liegt insofern nahe, dass eine Unterstützung durch Dritte erfolgt (ist), etwa über den in Deutschland lebenden Onkel und die beiden Tanten des Klägers. Er ist nach Überzeugung der Kammer damit grundsätzlich befähigt, eigenverantwortlich Sorge für seine Person auch in einer Übergangsphase zu tragen und sich zunächst an die im Raum Athen vorhandenen NGOs für eine erste Hilfe vor Ort zu wenden. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Bedarfsfall eine Bleibe in einer Obdachlosenunterkunft findet, ist gegenüber einer Personenmehrheit an Schutzberechtigten (Familien) zudem deutlich höher.
50
dd) Schließlich kann auch der bereits am 21. November 2016 durch Griechenland gewährte internationale Schutzstatus dem Kläger nicht aus Gründen eines etwaigen Zeitablaufs zum Klageerfolg verhelfen, weil § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht mehr einschlägig wäre. Zwar wurde anerkannten Schutzberechtigten, sowohl Flüchtlingen als auch subsidiär Schutzberechtigten, zum Zeitpunkt der Anerkennung des Klägers eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre ausgestellt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierte Gesamtausgabe letzter Stand 19.3.2020, S. 27), die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am 10. Juli 2020 abgelaufen waren. Der Ablauf der Aufenthaltserlaubnis bedeutet jedoch nach den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht automatisch den Wegfall der Statusentscheidung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter in Griechenland. Für einen derartigen Wegfall sind keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen. Zudem ergibt die Auskunftslage, dass ein zurückkehrender Schutzberechtigter am Flughafen von den griechischen Behörden empfangen und über die weiteren notwendigen behördlichen Schritte informiert wird und eine abgelaufene Aufenthaltserlaubnis verlängern kann (s.o.).
51
Im Ergebnis stellt sich somit die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts vom 27. April 2018 als rechtlich zutreffend dar und hat die Anfechtungsklage diesbezüglich keinen Erfolg.
52
2. Auch der als Hilfsantrag für den Fall der Abweisung des Hauptantrages gestellte Antrag auf Aufhebung der Ziffern 2 bis 4 des angefochtenen Bescheides und Zuerkennung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG ist zulässig, jedoch unbegründet.
53
a) Es stellen sich bezüglich eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK dieselben rechtlichen Fragen, die die Kammer bereits unter 1. b) zum Hauptantrag erörtert hat. Es wird deshalb auf die obigen Ausführungen verwiesen. Ein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht im Hinblick auf die Situation anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland für den Kläger daher nicht.
54
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG scheidet ebenfalls aus.
55
Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten - insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage - kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn nämlich der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Rückführungsstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris Rn. 60 ff.; BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 21 ff.).
56
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel sind die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht gegeben. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Punkt 1. b) der Entscheidungsgründe verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris).
57
Eine etwaige gesundheitliche Beeinträchtigung hat der Kläger schon nicht vorgetragen.
58
c) Auch das Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 rechtfertigt keine andere Beurteilung mit Blick auf § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. Eine die Rückkehr unzumutbar machende Situation hat der Kläger weder vorgetragen noch hat sich diese zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG, im erforderlichen Maß verdichtet, wie die Zahlen der Johns Hopkins Universität belegen (3.672 registrierte Infektionen, 193 registrierte Verstorbene im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion bei einer Gesamtbevölkerung Griechenlands von ca. 10,7 Mio. Einwohnern).
59
3. Auch die Abschiebungsandrohung begegnet - im Ergebnis - keinen Bedenken.
60
Zwar erweist sich die getroffene Tenorierung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids mit einer Ausreisefrist von 30 Tagen ab Bekanntgabe bzw. Rechtskraft der Entscheidung anstatt - wie von § 36 Abs. 1 AsylG vorgesehen - einer Woche als objektiv rechtswidrig (BVerwG, U.v. 15.1.2019 - 1 C 15/18 - juris). Dies verletzt den Kläger aber im Ergebnis nicht in seinen Rechten (BVerwG, U.v. 25.4.2019 - 1 C 51/18 - juris, s. zur Begründung auch VG Ansbach, U.v. 5.3.2020 - AN 17 K 18.50059 u.a. - juris Rn. 71 ff.).
61
Rechtmäßig ist auch die implizite Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbote gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Ziffer 4 des Bescheids vom 27. April 2018. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung, spätestens mit der Abschiebung erlassen werden.
62
Die nicht dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der einen behördlichen Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots fordert, entsprechende Formulierung der Ziffer 4, dass „das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (…) auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet [wird]“ sowie die entsprechende Annahme in der Begründung des Bescheides unter 4., dass es sich um ein qua Gesetz eintretendes Einreise- und Aufenthaltsverbot handele, ist insoweit unschädlich.
63
Die nunmehr durch § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer ist in unionsrechtskonformer Auslegung anhand des Art. 11 Abs. 1 der RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL) regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu sehen (BVerwG, B.v. 13.7.2017 - 1 VR 3.17 - juris Rn. 72; s.a. BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21/17 - NVwZ 2019, 483 Rn. 25).
64
Hinsichtlich der festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von 30 Monaten gemäß § 11 Abs. 1 und 2 Satz 3, Abs. 3 AufenthG sind Ermessensfehler der Beklagten (§ 114 VwGO) nicht ersichtlich oder vorgetragen.
65
4. Da die Klage vollumfänglich abzuweisen war, folgt die Kostenentscheidung aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.