Titel:
Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung nach Verfahrensabschluss
Normenkette:
StPO § 141 Abs. 1, Abs. 7, § 154 Abs. 1, § 296
Leitsätze:
Die nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist auch nach neuem Recht nicht zulässig. (redaktioneller Leitsatz)
1. Der Beschuldigte ist durch eine Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung nicht beschwert, wenn die Staatsanwaltschaft bereits endgültig beschlossen hat, von der Verfolgung gem. § 154 Abs. 1 StPO abzusehen (ebenso KG BeckRS 2006, 3283). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für abgeschlossene Verfahren ist auch nach neuer Rechtslage unzulässig, und zwar auch dann, wenn der Verteidiger seine Bestellung nach § 141 Abs. 1 StPO vor Abschluss des Verfahrens beantragt hatte. (Rn. 9 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sofortige Beschwerde, Beiordnung eines Pflichtverteidigers, Beschwer, abgeschlossenes Verfahren, Absehen von der Strafverfolgung, rückwirkende Bestellung, neue Rechtslage, Unzulässigkeit, Unmöglichkeit
Vorinstanz:
AG Ansbach, Beschluss vom 20.09.2020 – 5 Gs 955/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 33072
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde vom 24.09.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 20.09.2020 wird als unzulässig verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen.
Gründe
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Gegen den Beschwerdefuhrer wurde mit Ermittlungen der Polizeiinspektion A. am 06.06.2020 wegen eines Hausfriedensbruchs ermittelt. Die Daten des Beschuldigten wurden durch die Polizeiinspektion erhoben.
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Mit Schreiben vom 29.06.2020 zeigte sich die Kanzlei … fur den Beschuldigten an und beantragte Akteneinsicht sowie die Bestellung als Pflichtverteidiger fur den Beschuldigten, da die Sach- und Rechtslage vorliegend schwierig sei.
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Mit Verfügung vom 20.08.2020 hat die Staatsanwaltschaft A. das Verfahren gemaß § 154 StPO behandelt.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 21.09.2020 wurde der Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt.
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Hiergegen nchtet sich die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 24.09.2020, eingegangen am 25.09.2020.
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1. Die Beschwerde ist gem § 304 I StPO statthaft, da die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung gemaß § 142 Abs. 7 StPO mit der (sofortigen) Beschwerde anfechtbar ist.
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Der Verteidiger hat zwar kein eigenes Beschwerderecht Vorliegend ergibt sich jedoch aus der Zusammenschau des Beiordnungsantrages und der Beschwerdeschrift noch hinreichend deutlich, dass die Beschwerde fur den Beschwerdefuhrer eingelegt worden ist.
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2. Die Beschwerde ist aber unzulässig. Voraussetzung fur die Zulassigkeit eines jeden Rechtsmittels ist unter anderem das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers (vgl. BGHSt 28, 327, 330, 16, 374, Meyer-Goßner, vor § 296 StPO Rn 8 m.w.N.). Eine Beschwer liegt nur vor, wenn die ergangene (oder abgelehnte) Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil fur den Betroffenen enthalt, seine Rechte und geschutzten Interessen eine unmittelbare Beeintrachtigung erfahren haben und wenn die Beseitigung einer fehlsamen Erwagung dem Beschwerdefuhrer die Aussicht auf eine andere, ihm gunstigere Entscheidung eroffnet (vgl. BGHSt 27, 290, 293, 7, 153, BGH wistra 1999, 347). Daran fehlt es hier. Denn das Verfahren war mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft A. vom 20.08.2020, von der Verfolgung des Beschwerdefuhrers gem § 154 Abs. 1 StPO abzusehen, endgultig abgeschlossen. Fur die Fuhrung der Verteidigung besteht demnach kein Bedürfnis mehr (vgl. OLG Dusseldorf JZ 1984, 756, KG Beschl. v 9.3.2006 - 5 Ws 563/05, BeckRS 2006, 3283, beck-online) Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten oder seines Verteidigers dient (BGH, NStZ-RR 2009, 348, beck-online), sondern allein den Zweck verfolgt, im offentlichen Interesse dafur zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fallen rechtskundigen Beistand erhalt und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. BVerfGE 39, 238, 242, OLG Dusseldorf StV 1984, 66, wistra 1992, 320, Senat, Beschluss vom 11.2.2005 - 5 Ws 656/04 - in www burhoff de -). Diese Interessenlage ist entfallen.
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3. a) Eine nachträgliche, ruckwirkende Bestellung abgeschlossene Verfahren ist auch nach der aktuellen Rechtslage nach Anderung der §§ 141 ff StPO schlechthin unzulassig und unwirksam und mithin grundsätzlich ausgeschlossen, und zwar auch dann, wenn der Wahlverteidiger oder der Rechtsanwalt, den der Angeklagte als den zu bestellenden Pflichtverteidiger benannt hatte, seine Bestellung nach § 141 Abs. 1 StPO beantragt hatte (vgl. zur bisherigen Rechtslage BGH StV 1997, 238, StV 1989, 378, KG, a.a.O., OLG Köln NJW 2003, 2038, OLG Düsseldorf StraFO 2003, 94, NStZ-RR 1996, 171, StV 1984, 66, JurBuro 1984, 718, OLG Hamm StraFO 2002, 397, OLG Koblenz - 2. Strafsenat - NStZ-RR 1997, 384, OLG Celle NdsRpfl, 19, OLG Karlsruhe RPfl 1986, 149).
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b) Die rückwirkende Bestellung wurde allerdings, unter verbaler Wahrung des Grundsatzes, wonach sie regelmaßig unwirksam ist, in Teilen der landgerichtlichen Rechtsprechung dann fur geboten gehalten, wenn der Antrag auf Beiordnung - wie hier auch - rechtzeitig gestellt und vom Gericht nicht, nicht rechtzeitig, ohne Grunde (vgl. LG Potsdam StraFO 2004, 381 = StV 2005, 83) oder fehlerhaft (vgl. LG Magdeburg StraFO 2003, 420 = StV 2005, 84 Ls) beschieden worden ist und die Voraussetzungen der Beiordnung vorgelegen hatten Begrundet wurde dies - schon nach der alten Rechtslage - damit, dass der Antrag des Verteidigers nicht dem Zweck gedient habe, ihm einen Vergutungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, sondern die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten sicherstellen sollte Verzogerungen oder Fehler von Seiten des Genchts oder der Staatsanwaltschaft durften sich dann nicht zum Nachteil des Beschuldigten (oder damals des Angeklagten) auswirken. Die damalige und auch heutige Argumentation schloss damit, dass wenn man mit der herrschenden obergerichtlichen und höchstrichterlichen Ansicht die ruckwirkende Bestellung nicht zulasse, der Beschuldigte die Sorge haben musse, von einem Rechtsanwalt verteidigt zu werden, der seinerseits befurchtet, keine Vergutung zu erhalten, was sich strukturell und inhaltlich auf den effektiven Rechtsschutz auswirke (vgl. LG Bremen StV 2004, 126, 127).
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4. Die Kammer bleibt bei ihrer Auffassung, dass eine nachtragliche Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht möglich ist Fur ein abgeschlossenes Verfahren darf ein Pflichtverteidiger unter keinen Umstanden ruckwirkend bestellt werden, weil eine solche Bestellung auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist. Der Verteidiger hat seine Leistung bereits als Wahlverteidiger auf Grund eines Mandatsverhaltnisses abschließend erbracht. Die mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger einsetzende offentlich-rechtliche Pflicht zum Tatigwerden kann er nach Abschluss des Verfahrens nicht mehr erfullen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.7.2000 - 1 Ws 206/00 - www.burhoff.de/rspr/texte/q_00022 htm m.w.N.). Die Neufassung der Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO andert daran nichts. Die relevante und referierte obergerichtliche Rechtsprechung schloss eine ruckwirkende Pflichtverteidigerbestellung auch dann aus, wenn die Voraussetzungen fur eine Verpflichtung nach altem Recht vorlagen, der Antrag gestellt war und dann fehlerhaft nicht vor Einstellung oder anderer Erledigung des Verfahrens nicht verbeschieden wurde Dies sind aber die selben Voraussetzungen, nach denen der Beschwerdefuhrer nach neuer Rechtslage eine ruckwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers erreichen will. Das Ansehen ist mit den gleichen Argumenten, die richtigerweise schon nach alter Rechtslage vorgebracht wurden, abzulehnen.
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5. Erganzend ist noch anzumerken, dass hier tatsächlich zum Zeitpunkt der Antragstellung die materiellen Voraussetzungen fur die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht vorgelegen haben. Auf die zutreffenden Ausfuhrungen des Amtsgerichts in dem angegriffenen Beschluss vom 21.09.2020 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.