Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 14.07.2020 – B 5 K 19.600
Titel:

Unterschiedliche Verfallfristen für Abwicklung und Abgeltung von Urlaubsansprüchen

Normenketten:
RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 2
UrlMV § 8 S. 4, § 9 Abs. 1 S. 1, S. 4
BayBG Art. 66
BeamtStG § 21 Nr. 4
Leitsatz:
Die unterschiedlichen Verfallfristen für die Abwicklung angesparten Urlaubs und für dessen Abgeltung bei Beendigung des Beamtenverhältnisses sind sind durch die unterschiedliche Zweckbestimmmung der Ansprüche auf Urlaub einerseits, Urlaubsabgeltung andererseits, sachlich gerechtfertigt. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV, Kein Widerspruch zu europarechtlichen Vorgaben, Urlaubsabgeltung, Dienstunfähigkeit, Beendigung, Ruhestand, Urlaubsanspruch, Erholungsurlaub, Mindesturlaub, Ansparen von Urlaub, Verfall, Verjährung, Europarecht, Zweckbestimmung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 33048

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die am … geborene Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen einen Bescheid des Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheids, in dem der Beklagte festgestellt hatte, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin für das Jahr 2016 verfallen sei.
2
1. Die Klägerin befindet sich seit … dienstunfähigkeitsbedingt im vorzeitigen Ruhestand. Sie war zuletzt seit 2018 auf dem Dienstposten einer Steueramtsrätin (Besoldungsgruppe A12) in Teilzeit im Umfang von 60% als Sachbearbeiterin in der Rechtsbehelfsstelle beim Finanzamt … tätig.
3
Ausweislich eines internen Schreibens des Finanzamts … an das Bayerische Landesamt für Steuern vom 14.11.2016 war die Klägerin seit dem 30.08.2016 aufgrund einer Erkrankung dienstunfähig. Nach einer Phase der Wiedereingliederung hatte die Klägerin ab dem 20.02.2017 den Dienst in vollem Umfang wieder aufgenommen.
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Ab dem 12.03.2018 war die Klägerin erneut durchgehend dienstunfähig erkrankt.
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Mit Urkunde vom 26.02.2019 wurde die Klägerin gem. Art. 66 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) mit Ablauf des Monats März 2019 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.
6
Mit Bescheid vom 28.03.2019 setzte der Beklagte einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für die Klägerin im Umfang von insgesamt 17 Tagen für die Jahre 2018 und 2019 fest.
7
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über Urlaub, Mutterschutz und Elternzeit der Bayerischen Beamten (UrlMV) sei Erholungsurlaub, dessen Einbringung vor Beendigung des Beamtenverhältnisses aufgrund einer Dienstunfähigkeit nicht möglich gewesen sei, in dem Umfang abzugelten, in dem der Urlaub der einzelnen Urlaubsjahre hinter einem Mindesturlaub von 20 Tagen zurückgeblieben sei. Kalenderjahre, die bei der Beendigung des Beamtenverhältnisses seit mehr als 24 Monaten abgelaufen seien, würden gem. § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV unberücksichtigt bleiben. Der Übertragungszeitraum für den Urlaubsanspruch des Jahres 2016 sei Ende Dezember 2018 abgelaufen, so dass dieser Anspruch verfallen sei. Damit scheide auch ein Anspruch für frühere Jahre aus.
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Der Bescheid wurde der Klägerin am 08.04.2019 auf dem Postweg zugesandt.
9
Mit Schreiben vom 07.05.2019 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten. Der Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 2016 sei nicht verfallen. Der Urlaubsanspruch für 2016 sei in Höhe von neun Tagen angespart gewesen, die Ansparfrist würde erst mit Ablauf des Jahres 2019 enden. Der Verweis der Beklagtenseite auf § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV würde bewirken, dass die gleichen Urlaubsansprüche ohne sachlich erkennbaren Grund für die Ansparung, die sich offensichtlich an der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren orientiere, einerseits und für die Abgeltung andererseits unterschiedlich behandelt würden. Damit seien für 2016 neun Urlaubstage abzugelten.
10
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2019, der Klägerin zugestellt am 31.05.2019, wies die Beklagtenseite den Widerspruch der Klägerin zurück. § 8 UrlMV sehe die Möglichkeit vor, dass nicht eingebrachter Erholungsurlaub mit Ausnahme des Zusatzurlaubs auf Antrag angespart werden könne. Der angesparte Erholungsurlaub sei nach § 8 Satz 4 UrlMV spätestens bis zum Ablauf des dritten Jahres anzutreten, das auf das Kalenderjahr folge, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Anders verhalte es sich bei der in § 9 UrlMV geregelten Urlaubsabgeltung aufgrund einer Dienstunfähigkeit, derentwegen die Einbringung des Urlaubs vor Beendigung des Beamtenverhältnisses unmöglich war. Der EuGH habe in seinem Urteil vom 20.01.2009 (Az. C-350/06) entschieden, dass ein Verfall des Urlaubsanspruchs dann eintrete, wenn nationalstaatlich ein hinreichend langer Übertragungszeitraum geregelt und dieser abgelaufen sei. Die sei nach dem EuGH der Fall, wenn der Übertragungszeitraum deutlich länger als das Urlaubsjahr, also deutlich länger als ein Jahr, sei. Einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten habe der EuGH gebilligt.
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Mit der am 01.01.2018 in Kraft getretenen UrlMV sei der Zeitraum für die im Rahmen der Abgeltung zu berücksichtigenden zurückliegenden Kalenderjahre von 15 auf 24 Monate erhöht worden. Die Verfallsregelung des § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV entspreche damit den europarechtlichen Vorgaben. Das Urlaubsjahr 2016 sei zu Beginn des Ruhestands mit Wirkung vom 01.04.2019 seit mehr als 24 Monaten abgelaufen, so dass der Urlaubsanspruch verfallen sei und die Klägerin keinen Anspruch auf Geld für nicht genommenen Urlaub mehr habe.
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2. Mit Schreiben vom 27.06.2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 28.06.2019, erhob die Klägerin Klage und beantragte,
den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung des Bescheids vom 28.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.05.2019 zusätzlich neun Urlaubstage für das Kalenderjahr 2016 (= 2.112,74 EUR) abzugelten.
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Analog der Berechnung des Beklagten im Bescheid vom 28.03.2019 für die Folgejahre 2017 bis 2019 würde der Mindesturlaub für 2016 zwölf Tage (wegen Teilzeit) und der Zusatzurlaub (wegen Schwerbehinderung) drei Tage betragen. Davon abzuziehen wären vier Urlaubstage, die in 2016 genommen worden seien, sodass elf Urlaubstage verbleiben würden. Davon seien neun Urlaubstage angespart worden. Der Beklagte behandele den gleichen Urlaubsanspruch hinsichtlich der Verjährung ohne sachlich erkennbaren Grund für die Ansparung einerseits und für die Abgeltung andererseits unterschiedlich, wenn er eine Abgeltung ihres Urlaubsanspruchs unter Hinweis auf § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV ablehne. Auch wenn der EuGH einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten gebilligt habe, habe die Rechtsprechung damit aber gerade keine absolute Obergrenze gezogen. Der Sachverhalt in dem zitierten Urteil (Az. C-214/10) sei mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. Der Kläger in dem zitierten Fall sei während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig gewesen und habe deshalb die Urlaubsansprüche angehäuft. Dies treffe auf die Klägerin jedoch nicht zu. Sie sei im Jahr 2016 vom 23.02. bis 09.03., vom 27.07. bis 03.08. und vom 30.08. bis Mitte November erkrankt gewesen. Davor, dazwischen und danach habe sie aber gearbeitet, sodass gerade keine Arbeitsunfähigkeit während mehrerer Bezugszeiträume in Folge vorliege. Wegen dadurch enorm angehäufter Arbeiten habe sie im Jahr 2017 daher nur eingeschränkt Urlaub genommen, um mit der Arbeit auf dem Laufenden zu sein. Dadurch, dass der Dienstherr die Ansparung von Urlaub für drei Jahre nach Ablauf des Urlaubsjahres zugelassen habe, bringe er zum Ausdruck, dass in diesem Übertragungszeitraum der angesparte Urlaub seinen Zweck als Erholungsurlaub typischerweise noch erreiche. Analog müsse dies auch für die finanzielle Abgeltung gelten.
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Mit Schriftsatz vom 30.07.2019 beantragte der Beklagte:
Die Klage wird abgewiesen.
15
Zur Klagebegründung wiederholte der Beklagte die Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.
16
Die Klägerin erklärte mit Schreiben vom 17.05.2020, die Beklagtenseite mit Schreiben vom 26.05.2020 jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
17
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18
Aufgrund der mit Schriftsätzen vom 17.05.2020 bzw. 26.05.2020 erklärten Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
19
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 28.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.05.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2016.
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1. Ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung der nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage ergibt sich vorliegend weder aus § 9 UrlMV noch aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG.
21
Nach früherer Rechtsprechung (vgl. u.a. BVerwG, B.v. 31.7.1997 - 2 B 138/96 - juris) wurde ein Urlaubsabgeltungsanspruch eines Beamten mangels nationaler Regelung abgelehnt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist aber mittlerweile geklärt, dass auch Beamte Arbeitnehmer im Sinne der RL 2003/88/EG sind und damit einen Urlaubsabgeltungsanspruch haben (EuGH, B.v. 14.7.2005 - Rs. C-52/04 - Slg. 2005, I-7111, Rn. 57ff.; U.v. 3.5.2012 - Rs. C-337/10, Neidel - Abl. EU 2012, Nr. C 174 S. 4 = NVwZ 2012, 688, Rn. 22).
22
Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG hat zwar unmittelbar nur den Inhalt, dass der in Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG geregelte bezahlte Mindesturlaub von vier Wochen (bei einer Fünf-Tage-Woche somit 20 Tage) „außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden“ darf. Durch die Regelung wird aber ein Urlaubsabgeltungsanspruch für diesen Mindesturlaub begründet, da die Beendigung des Beamtenverhältnisses durch Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand nach § 21 Nr. 4 BeamtStG eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne des Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG ist (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 2 C 10/12 - NVwZ 2013, 1295).
23
Nach der Rechtsprechung des EuGH (U.v. 1.12.2005 - Rs. C-14/04, Dellas - Slg. 2005, I-10253, Rn. 53) bleibt zwar nach Art. 15 RL 2003/88/EG u.a. das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen. Zu der insoweit wortgleichen Vorgängerrichtlinie RL 93/104/EG hat der EuGH auch entschieden, dass unabhängig von günstigeren nationalstaatlichen Regelungen die praktische Wirksamkeit der durch die Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Rechte in vollem Umfang gewährleistet werden müsse. Dies führe zur Verpflichtung, die Einhaltung jeder der in dieser Richtlinie aufgestellten Mindestvorschriften zu gewährleisten.
24
Aus diesem Grund weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass der Umfang des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG auf die sich aus Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG ergebenden vier Wochen Erholungsurlaub im Jahr beschränkt ist. Der EuGH hat im Urteil vom 03.05.2012 (Rs. C-337/10 - NVwZ 2012, 688 Rn. 35ff.) hervorgehoben, dass die Arbeitszeitrichtlinie sich auf die Aufstellung von Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz beschränkt; es sei Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie den Beamten weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren, sowie ob und unter welchen Voraussetzungen sie eine finanzielle Vergütung für den Fall vorsehen, dass einem in den Ruhestand tretenden Beamten diese zusätzlichen Ansprüche krankheitsbedingt nicht haben zugute kommen können. Deshalb sind Urlaubstage, die über den nach Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaub hinausgehen, nicht vom Urlaubsabgeltungsanspruch nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG erfasst (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 2 C 10/12 - NVwZ 2013, 1295 Rn. 12).
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Entsprechendes sieht nunmehr auch § 9 Abs. 1 Satz 1 UrlMV vor. Demnach ist, soweit bei der Beendigung des Beamtenverhältnisses die vorherige Einbringung von Erholungsurlaub auf Grund einer Dienstunfähigkeit nicht möglich war, der Urlaub der einzelnen Kalenderjahre in dem Umfang abzugelten, in dem der eingebrachte Erholungsurlaub jeweils hinter einem Mindesturlaub von 20 Tagen zurückbleibt. Mithin beschränkt sich auch die nunmehr geschaffene nationale Abgeltungsregelung auf den Mindesturlaub.
26
Bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 und 2 RL 2003/88/EG kommt es nach dem Zweck dieser Norm nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 2 C 10/12 - NVwZ 2013, 1295 Rn. 24). Von der Regel, dass es nicht auf den Rechtsgrund für die genommenen Urlaubstage ankommt, gibt es nur insoweit eine Ausnahme, als Mindesturlaub des laufenden Jahres nicht die Urlaubstage sein können, die Mindesturlaub des vorangegangenen Jahres sind. Ohne dass es einer genauen Zuordnung zum laufenden oder vorangegangenen Urlaubsjahr bedarf, können Urlaubstage noch dem Vorjahr zugeordnet werden, wenn der Mindesturlaub des Vorjahres noch nicht eingebracht wurde (vgl. VG Regensburg, U.v. 10.10.2014 - RN 1 K 13.1973 - juris Rn. 52).
27
Gemessen an diesen Maßstäben steht der Klägerin eine finanzielle Abgeltung der nicht eingebrachten Urlaubstage nicht zu.
28
a) Zwar ist es zutreffend, wie die Klägerin geltend macht, dass sie in der Vergangenheit zulässigerweise von der Möglichkeit des § 8 Satz 1 und 2 UrlMV Gebrauch gemacht und eine Ansparung von Urlaubstagen aus vorangegangenen Jahren vorgenommen hat. Damit waren abgeltungsfähige Urlaubstage grundsätzlich vorhanden.
29
Unschädlich ist dabei auch, dass die Klägerin zwar in dem streitgegenständlichen Zeitraum teilweise Dienst getan und somit auch die Möglichkeit gehabt hätte, weitere Tage in Form von Erholungsurlaub einzubringen. Dem Entstehen des Abgeltungsanspruchs steht grundsätzlich ihre subjektive Einschätzung nicht entgegen, dass sie während dieser Fehlzeit einen derart hohen Arbeitsrückstand angehäuft habe, dass sie nicht guten Gewissens habe Urlaub in Anspruch nehmen können, weil sie ihr Referat wieder in Ordnung zu bringen hatte. Nach der Rechtsprechung besteht der Urlaubsabgeltungsanspruch grundsätzlich auch dann, wenn der Beschäftigte im Urlaubsjahr teilweise arbeits- bzw. dienstfähig war, in dieser Zeit den Urlaub aber nicht oder nicht vollständig genommen hat. Das gilt sowohl für das Jahr, in dem die längerfristige Dienstunfähigkeit beginnt, als auch für das Jahr oder für die Jahre, in dem oder in denen der Betreffende vorübergehend wieder dienstfähig war. In beiden Fällen kann der Beschäftigte krankheitsbedingt und damit unabhängig von seinem Willensentschluss den ihm zustehenden (Mindest-)Urlaub nach Eintritt in den Ruhestand nicht mehr nehmen. Aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG gibt es keine Anhaltspunkte für eine andere Auslegung dieser Bestimmung (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, Az.: 2 C 10/12 Rn. 17, NVwZ 2013, 1295, beck-online).
30
b) Der von der Klägerin begehrte Abgeltungsanspruch scheitert jedoch an der Verjährungsregelung des § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV.
31
Nach dieser Regelung bleiben Kalenderjahre, die bei der Beendigung des Beamtenverhältnisses seit mehr als 24 Monaten abgelaufen sind, unberücksichtigt.
32
Die Klägerin ist mit Wirkung vom … dienstunfähigkeitsbedingt in den vorzeitigen Ruhestand getreten und hat mit entsprechendem Antrag im Widerspruchsschreiben vom 07.05.2019 Urlaubstage aus dem Jahr 2016 zur Abgeltung beantragt. Im Zeitpunkt der Geltendmachung des begehrten Anspruchs war somit ein Zeitraum von mehr als 24 Monaten bereits abgelaufen und der Abgeltungsanspruch verjährt.
33
Dem stehen auch die von der Klägerin zitierten europarechtlichen Regelungen und Entscheidungen nicht entgegen. Wie bereits ausgeführt werden hier lediglich Mindeststandards festgelegt, von denen die Mitgliedstaaten mit weiterreichenden Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers bzw. Beamten abweichen dürfen, nicht aber zu dessen Lasten.
34
Hierzu hat der EuGH im Urteil vom 22.11.2011 (Az.: C-214/10) ausgeführt:
„Gleichwohl ist festzustellen, dass der Anspruch eines während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub beiden in Rdnr. 31 des vorliegenden Urteils genannten Zweckbestimmungen nur insoweit entsprechen kann, als der Übertrag eine gewisse zeitliche Grenze nicht überschreitet. Über eine solche Grenze hinaus fehlt dem Jahresurlaub nämlich seine positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit; erhalten bleibt ihm lediglich seine Eigenschaft als Zeitraum für Entspannung und Freizeit.
In Anbetracht des Zwecks des jedem Arbeitnehmer unmittelbar durch das Unionsrecht gewährten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub kann in Folge dessen ein während mehrerer Jahre in Folge arbeitsunfähiger Arbeitnehmer, der seinen bezahlten Jahresurlaub nach dem nationalen Recht nicht während dieses Zeitraums nehmen kann, nicht berechtigt sein, in diesem Zeitraum erworbene Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub unbegrenzt anzusammeln.
… Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass ein Zeitraum von 15 Monaten wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, dem Zweck dieses Anspruchs nicht zuwiderläuft, da er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet.“
(NZA 2011, 1333 Rn. 33, 34, 43, beck-online)
35
Im vorliegenden Fall stellt § 9 UrlMV, wie bereits ausgeführt, die nationalstaatliche Umsetzung dieser europarechtlichen Vorgaben dar und geht mit einer Verjährungsfrist von 24 Monaten deutlich über die europarechtlich festgelegten Mindeststandards hinaus, sodass ein Verstoß gegen höherrangiges Recht nicht erkennbar ist.
36
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch war im Zeitpunkt der Beantragung somit bereits verjährt.
37
c) Diese Folge steht auch nicht, wie von der Klägerin vorgetragen, im Widerspruch zu den Vorgaben des § 8 UrlMV, nach dessen Regelungsgehalt die Ansparmöglichkeit zeitlich über die Frist des § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV hinausgeht. Nach § 8 Satz 1 UrlMV ist zwar angesparter Erholungsurlaub spätestens bis zum Ablauf des dritten Jahres anzutreten, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Damit reicht die Frist der Ansparmöglichkeit um ein Jahr über die Frist der Abgeltungsmöglichkeit hinaus.
38
Ein Widerspruch liegt hierin jedoch nicht. Sinn und Zweck beider Vorschriften unterscheiden sich nicht unerheblich. Während die Vorgaben des § 8 UrlMV die Möglichkeit implizieren, dass der Betroffene noch von der Erholungs- und Rehabilitationsfunktion der noch nicht in Anspruch genommenen Urlaubstage profitieren kann, setzt § 9 UrlMV die Unmöglichkeit dieser Zweckerreichung voraus. Aufgrund dieser unterschiedlichen Zwecksetzungen und der Tatsache, dass auch Art. 7 RL 2003/88/EG die Abgeltungsmöglichkeit nur als Ausnahmefall ansieht, führt die Festsetzung unterschiedlicher Verjährungs- bzw. Verfallsvorschriften auch nicht zu einer in der Sache widersprüchlichen Differenzierung. Zudem hat auch das Bundesverwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass es bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 RL 2003/88/EG nach dem Zweck dieser Norm nur darauf ankommt, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, Az.: 2 C 10/12, NVwZ 2013, 1295 Rn. 23, beck-online). Somit sieht im Fall des Abgeltungsanspruchs auch das Bundesverwaltungsgericht keinen Anlass, von der absoluten Fristenregelung in diesem Bereich Abweichungen zuzulassen.
39
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
40
2. Die Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterlegene Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
41
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
42
4. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.