Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 15.04.2020 – B 9 K 19.33
Titel:

Anspruch auf Einsicht in Entwürfe von Sitzungsniederschriften der Gemeinschaftsversammlung einer Verwaltungsgemeinschaft

Normenketten:
VwGO § 43
BayGO Art. 54 Abs. 3
BayVGemO Art. 10 Abs. 2
BayKommZG Art. 26 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Räumt die Geschäftsordnung der Gemeinschaftsversammlung dem einzelnen Mitglied ein das Recht auf Einsicht in „entscheidungserhebliche Unterlagen“ umfassendes individuelles Akteneinsichtsrecht ein, umfasst dieses Recht auch die Einsicht in Entwürfe von Sitzungsniederschriften, soweit deren Genehmigung in der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung ansteht. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit, Einsicht in Entwürfe von Sitzungsniederschriften vor deren Genehmigung durch Mitglieder, der Gemeinschaftsversammlung einer Verwaltungsgemeinschaft, Akteneinsicht, Gemeinschaftsversammlung, Verwaltungsgemeinschaft, Geschäftsordnung Gemeinschaftsversammlung der Verwaltungsgemeinschaft, Genehmigung, Sitzungsniederschrift
Fundstelle:
BeckRS 2020, 33034

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, ihm, soweit nicht Gründe der Geheimhaltung dem entgegenstehen, nach vorheriger Terminvereinbarung Einsicht in die nach der Tagesordnung zur Beschlussfassung in der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung anstehenden Entwürfe einer Sitzungsniederschrift zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte ihm Einsicht in die zur Beschlussfassung in der Gemeinschaftsversammlung anstehenden Entwürfe einer Sitzungsniederschrift zu gewähren.
2
Der Kläger ist Mitglied der Gemeinschaftsversammlung der Beklagten. Diese hat sich auf Grundlage von Art. 10 Abs. 2 der Verwaltungsgemeinschaftsordnung (VGemO) i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (KommZG) und Art. 45 Abs. 1 der Gemeindeordnung (GO) eine Geschäftsordnung (im Folgenden GeschO) gegeben. § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO lautet:
„Zur Vorbereitung von Tagesordnungspunkten der nächsten Sitzung erhält jedes Mitglied der Gemeinschaftsversammlung nach vorheriger Terminvereinbarung das Recht zur Einsicht in die entscheidungserheblichen Unterlagen, sofern Gründe der Geheimhaltung nicht entgegenstehen.“
§ 26 Abs. 1 und 4 GeschO haben folgenden Inhalt:
„(1) 1Über den Inhalt der Sitzungen der Gemeinschaftsversammlung werden Niederschriften gefertigt, deren Inhalt sich nach Art. 54 Abs. 1 GO richtet. 2Die Niederschriften werden getrennt nach öffentlichen und nichtöffentlichen Tagesordnungspunkten geführt. 3Niederschriften sind jahrgangsweise zu binden.
(4) Die Niederschrift ist vom Vorsitzenden und vom Schriftführer zu unterzeichnen und von der Gemeinschaftsversammlung zu genehmigen.
§ 27 Abs. 2 und 3 GeschO lautet:
„(2) 1Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung können jederzeit die Niederschriften über öffentliche und nichtöffentliche Sitzungen einsehen und sich Abschriften der in öffentlicher Sitzung gefassten Beschlüsse erteilen lassen. 2Abschriften von Beschlüssen, die in nichtöffentlicher Sitzung gefasst wurden, können sie verlangen, wenn die Gründe für die Geheimhaltung weggefallen sind.
(3) 1Niederschriften über öffentliche Sitzungen können den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung im Ratsinformationssystem zur Verfügung gestellt werden. 2Gleiches gilt für Beschlüsse, die in nichtöffentlicher Sitzung gefasst wurden, wenn die Gründe für die Geheimhaltung weggefallen sind.“
3
Mit E-Mail vom 11. November 2018 wandte er sich an die Beklagte und bat darum, die Entwürfe der drei nichtöffentlichen Sitzungsniederschriften, die in der Sitzung der Gemeinschaftsversammlung am 19. November 2018 ausweislich der ihm übersandten Tagesordnung genehmigt werden sollten, am 15. November 2018 bei der Beklagten einsehen zu können.
4
Die Beklagte antwortete ihm mit E-Mail vom 12. November 2018, dass nach Rücksprache mit dem Gemeinschaftsvorsitzenden und der Kommunalaufsicht nicht von der üblichen Verfahrensweise abgewichen werde, sondern der Kläger in der Sitzung am 19. November 2018 die erforderliche Zeit erhalten werde, um die Niederschriften zu lesen.
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Der Kläger wies mit E-Mail an die Beklagte vom 12. November 2018 auf § 27 Abs. 2 Satz 1 GeschO hin, wonach es den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung jederzeit möglich sei, die Niederschriften der nichtöffentlichen Sitzungen einzusehen.
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Die Beklagte antwortete der Kläger hierauf mit E-Mail vom 13. November 2018, dass § 27 GeschO nicht die Entwürfe, sondern nur die von der Gemeinschaftsversammlung genehmigten Niederschriften betreffe.
7
Der Kläger wandte sich mit E-Mail vom 14. November 2018 erneut an die Beklagte und forderte diese auf, ihm die Gründe für die Verweigerung der Einsichtnahme zu benennen. Zudem verwies er auf § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO. Die Regelung in § 3 GeschO gehe über § 27 GeschO hinaus und erfasse alle relevanten Dokumente. Er bat nochmals um die Möglichkeit zur Einsichtnahme am 15. November 2018.
8
Die Beklagte erwiderte hierauf mit E-Mail vom 15. November 2018, dass zwischen der Beschlussfassung in Sachverhalten und der Genehmigung des Protokolls erhebliche qualitative Unterschiede bestünden. Der Entwurf einer Niederschrift sei nicht als entscheidungserhebliche Unterlage zu qualifizieren.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. Januar 2019, eingegangen beim bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tage, ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
festzustellen, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, ihm, soweit nicht Gründe der Geheimhaltung dem entgegenstehen, nach vorheriger Terminvereinbarung Einsicht in den oder die nach der Tagesordnung zur Beschlussfassung in der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung anstehenden Entwürfe einer Sitzungsniederschrift zu gewähren.
10
Dem Kläger sei von der Verwaltung der Beklagten verweigert worden, vorbereitend zu der Gemeinschaftsversammlung am 19. November 2018 Einsicht in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften zu den vorausgegangenen Sitzungen der Gemeinschaftsversammlung vom 30. Januar 2018, 16. Mai 2018 und 19. Juli 2018 zu nehmen, obwohl der Beschluss über diese Sitzungsprotokolle Gegenstand der Tagesordnung der anstehenden Sitzung gewesen sei. Der Klägerbevollmächtigte habe sich mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2018 an die Beklagte gewandt und diese unter Fristsetzung aufgefordert, durch schriftliche Erklärung für zukünftige Fälle anzuerkennen, dass ein Mitglied der Gemeinschaftsversammlung, sofern Gründe der Geheimhaltung nicht entgegenstehen, ein Recht auf Einsicht in den Entwurf der zu Genehmigung anstehenden Sitzungsniederschrift habe. Die eingeforderte Erklärung habe die Beklagte nicht abgegeben.
11
Der Kläger habe ein berechtigtes Feststellungsinteresse, da er Gefahr laufe, dass sich die beanstandete Verweigerung der Einsichtsmöglichkeit in künftig zur Genehmigung stehende Sitzungsniederschriften wiederhole. Die Klage sei begründet, da die Beklagte den in ihrer Geschäftsordnung niedergelegten Anspruch des Klägers als Mitgliedes der Gemeinschaftsversammlung auf sitzungsvorbereitende Informationsbeschaffung verletze. Der Kläger könne dieses Begehren auf § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO stützen. Wenn die Genehmigung einer Sitzungsniederschrift Tagesordnungspunkt sei, dann greife zu diesem Sitzungstermin insoweit der in dieser Vorschrift verankerte Informationsanspruch eines Mitgliedes der Gemeinschaftsversammlung. Der Entwurf der Sitzungsniederschrift sei eine „entscheidungserhebliche Unterlage“ in diesem Sinne, denn es sei die Beschlussfassung über die Genehmigung des Sitzungsprotokolls vorzubereiten, was naturgemäß Kenntnis des Wortlautes voraussetze. Andernfalls sei eine gewissenhafte Vorbereitung nicht möglich. Der Einwand der Beklagten, der Kläger könne im Rahmen der Sitzung so viel Zeit erhalten, wie er brauche, gehe ins Leere. Zum einen sei es dem einzelnen Mitglied zum Zeitpunkt der Versammlung nicht (mehr) möglich, eigenständig zu etwaigen Fragen nachzurecherchieren, denn eine etwaige Vertagung der Beschlussfassung setze eine Mehrheitsentscheidung der Gemeinschaftsversammlung voraus. Zudem sei die Bemessung der „ausreichenden Zeit“ auch davon abhängig, dass die aufgeschobene Beratung und Beschlussfassung von der Versammlungsmehrheit mitgetragen werde. Selbst wenn aber dem einzelnen Mitglied der Gemeinschaftsversammlung während der Sitzung ausreichend Zeit eingeräumt werde, um die Unterlagen entsprechend durchzusehen, wäre er dann auf der anderen Seite daran gehindert, seine Aufmerksamkeit dem sonstigen Beratungsgang zu widmen und sei dadurch in der Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte behindert.
12
Für die Beklagte erwiderte deren Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 12. Februar 2019 und beantragt,
die Klage abzuweisen.
13
Dem Kläger stehe kein subjektiv öffentliches Recht auf Akteneinsicht in die Entwürfe der Niederschriften über Sitzungen der Gemeinschaftsversammlung zu. Ein solches Recht ergebe sich nicht aus Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO; die Vorschrift beziehe sich nach Art. 54 Abs. 2 GO nur auf genehmigten Niederschriften. Auch aus § 3 Abs. 4 GeschO ergebe sich ein solcher Anspruch nicht. Der Entwurf einer Sitzungsniederschrift, der zur Genehmigung vorgelegt werden solle, sei bereits begrifflich keine entscheidungserhebliche Unterlage. Vielmehr sei der Entwurf der Sitzungsniederschrift der Beschlussgegenstand selbst. Mit „entscheidungserheblichen Unterlagen“ seien Unterlagen gemeint, die das Gemeinschaftsversammlungsmitglied benötige, um über eine Sachfrage zu entscheiden, also etwa Gutachten, Pläne und ähnliche Unterlagen, die es dem Gemeinschaftsversammlungsmitglied ermöglichten, den Sachverhalt zu durchdringen. Den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung werde im Rahmen des jeweiligen Tagesordnungspunktes ausreichend Zeit zur Kenntnisnahme des Inhalts des Entwurfs der Niederschrift gegeben. Es sei vollkommen unüblich, dass Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung bzw. Gemeinderatsmitgliedern Einsicht in bloße Entwürfe und somit Verwaltungsinterna gewährt werde. Der Regelung in § 3 Abs. 4 GeschO gehe § 27 GeschO vor. Diese Vorschrift regele das Einsichtsrecht der Gemeinschaftsversammlungsmitglieder in die Niederschriften über öffentliche Sitzungen spezieller und verdränge damit die weiter gefasste Norm des § 3 GeschO im Wege der Spezialität. § 27 Abs. 2 GeschO beziehe sich auf genehmigte Niederschriften und nicht auf bloße Entwürfe, die noch der Genehmigung bedürften. Eine Niederschrift i.S.d. Norm liege erst nach Genehmigung durch die Gemeinschaftsversammlung vor. Dies ergebe sich auch aus der Verwendung des Wortes „Abschriften“; solche könnten nur von genehmigten Niederschriften, also Urkunden, erteilt werden.
14
Mit Schriftsatz vom 20. Februar 2019 erwiderte der Klägerbevollmächtigte hierzu, die Beklagte verkenne, dass der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Einsichtnahme nicht auf Art. 54 Abs. 3 GO i.V.m. Art. 10 Abs. 2 VGemO, Art. 26 KommZG bzw. § 27 Abs. 2 GeschO stütze. Es gehe vielmehr um die Regelung in § 3 Abs. 4 GeschO. Insoweit fehle der Beklagten das Verständnis für Sinn und unterschiedlichen Zweck beider Regelungen. Es löse zudem Argwohn aus, was wohl zu verbergen sei, wenn die Beklagte darauf verweise, dass es vollkommen unüblich sei, Mitgliedern von Gemeinschaftsversammlungen Einsicht in bloße Entwürfe zu gewähren. Auch die Kommentarliteratur empfehle etwa, die zu genehmigende Niederschrift den Gemeinderatsmitgliedern - statt einer regelmäßig zu zeitraubenden Verlesung - durch Maßnahmen wie Umlauf, Auflage zur Einsicht im Rathaus oder bei den Fraktionen vorab zur Kenntnis zu bringen. § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO und § 27 Abs. 2 GeschO stünden sich nicht als generelle und speziellere Vorschrift gegenüber. Vielmehr hätten die Vorschriften unterschiedliche Regelungszwecke. § 3 Abs. 4 GeschO enthalte keine Definition des Begriffs „Unterlage“. In der Zusammenschau mit der Beschreibung als „entscheidungserheblich“ ergebe sich, dass sich das Einsichtsrecht auf alle vorhandenen Vorgänge bzw. Informationsquellen beziehe, die eine denkbare Relevanz für die anstehende Beschlussfassung hätten. Hierunter seien auch die Entwürfe von Sitzungsniederschriften zu fassen, wenn in der kommenden Sitzung darüber Beschluss zu fassen sei, um Einwendungen gegen den Entwurf der Niederschrift erhoben würden.
15
Mit Schriftsätzen vom 7. Februar 2020 bzw. 18. Februar 2020 erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid.
16
Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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1. Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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2. Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
19
a) Die Klage ist in der Form der Feststellungsklage zulässig.
20
aa) Die Feststellungsklage ist statthaft. Der Kläger kann sein Begehren mit der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO verfolgen. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des kommunalverfassungsrechtlichen Organstreits können Streitigkeiten aus dem kommunalen Organisationsrecht Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein. Davon sind auch Streitigkeiten über die Mitwirkungsbefugnisse einzelner Mitglieder an der Beschlussfassung des Gesamtorgans umfasst, dem sie angehören. (vgl. Pietzcker/Marsch in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 37. EL Juli 2019, Vorbem. § 42 Abs. 1, Rn. 17 f. m.w.N.)
21
bb) Auch die Subsidiarität der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO hindert nicht deren Statthaftigkeit im vorliegenden Fall. Anstelle einer Leistungsklage ist in Konstellationen, wie der im vorliegenden Fall gegen eine Verwaltungsgemeinschaft gerichteten Innenrechtsstreitigkeit auch eine Feststellungsklage jedenfalls dann möglich, wenn - wie hier - auch eine Klagebefugnis besteht (siehe unter dd). Da die Zulässigkeitsvoraussetzungen dann nicht hinter denen der allgemeinen Leistungsklage zurückbleiben, ist im Wege der teleologischen Reduktion des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch eine Feststellungsklage statthaft. Denn zum Einen kann damit gerechnet werden, dass sich Behörden rechtstreu verhalten und sich auch ohne vollstreckbaren Leistungstitel an das Feststellungsurteil halten. Zum Anderen besteht auch nicht die Gefahr, dass weitere besondere Sachurteilsvoraussetzungen unterlaufen werden, wenn eine Feststellungsklage an die Stelle einer allgemeinen Leistungsklage tritt, weil bei letzterer - anders als etwa bei der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage - weitere besondere Sachurteilsvoraussetzungen nicht bestehen (vgl. Möstl in: BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.4.2019, § 43 Rn. 15; Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 43; jeweils m.w.N.).
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cc) Der Kläger hat ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO. Ein solches Interesse ist berechtigt, wenn es rechtlicher oder schutzwürdiger tatsächlicher, insbesondere wirtschaftlicher oder ideeller Art ist; ein solches berechtigtes Interesse liegt insbesondere bei einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr vor (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2017 - 6 B 14.17 - juris Rn. 13 m.w.N.). Die Frage des - von Beklagtenseite bestrittenen - Rechts zur Einsichtnahme in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften kann sich im Sinne einer solchen Wiederholungsgefahr immer wieder stellen, wenn eine Niederschrift einer vorausgegangenen Sitzung zur Genehmigung in der Gemeinschaftsversammlung ansteht.
23
dd) Die für eine kommunalverfassungsrechtliche Feststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.1990 - 7 B 71.90 - juris Rn. 4 m.w.N.) liegt vor. Der Kläger kann die Möglichkeit einer Verletzung in seinen mitgliedschaftlichen Rechten als Mitglied der Gemeinschaftsversammlung der Beklagten in Bezug auf das Recht zur Einsichtnahme in Entwürfe von zur Genehmigung anstehenden Sitzungsniederschriften geltend machen.
24
b) Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger, soweit Gründe der Geheimhaltung dem nicht entgegenstehen, Einsicht in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften zu gewähren, die zur Genehmigung in der Sitzung der Gemeinschaftsversammlung anstehen.
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aa) Ein solches Einsichtsrecht folgt allerdings nicht schon aus Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 30 Abs. 3 GO. Zwar ergibt sich aus der Pflicht der Gemeinschaftsversammlung zur Überwachung der Verwaltung der Verwaltungsgemeinschaft auch ein Informationsrecht, dieses steht jedoch der Gemeinschaftsversammlung als Kollektivorgan und nicht dem einzelnen Mitglied zu. Das einzelne Mitglied der Gemeinschaftsversammlung hat grundsätzlich kein - uneingeschränktes - subjektiv-öffentliches Recht auf Erhalt von Informationen (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2000 - 4 ZE 00.3321 - juris).
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bb) Es kann außerdem dahinstehen, ob sich der geltend gemachte Anspruch auf Einsicht in Entwürfe von Niederschriften bereits aus Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO bzw. dem im Wesentlichen gleichlautenden § 27 Abs. 2 Satz 1 GeschO ergibt (so etwa Hölzl/Hien/Huber, Gemeindeordnung mit Landkreisordnung und Bezirksordnung, Stand: September 2019, Art. 54 GO, Erl. 4.1 m.w.N.; a.A. Bauer/Böhle/Ecker, Bayerische Kommunalgesetze, Stand: Juni 2019, Art. 54, Rn. 8 m.w.N.).
27
cc) Denn das grundsätzliche Recht des Klägers, auch die Entwürfe der Sitzungsniederschriften einzusehen, ergibt sich jedenfalls aus § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO.
28
(1) Nach Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 45 Abs. 1 GO gibt sich die Gemeinschaftsversammlung der Verwaltungsgemeinschaft eine Geschäftsordnung. In der Geschäftsordnung kann die Gemeinschaftsversammlung neben dem gesetzlichen Mindestinhalt insbesondere auch über die Art. 46 bis 54 GO, die ebenfalls über Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG Anwendung finden, hinausgehende Regelungen treffen (vgl. M. Wolff in: BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbaum, Stand: 1.3.2020, Art. 45 GO, Rn. 2). Hiervon hat die Beklagte Gebrauch gemacht und neben dem - auch in Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO verankerten - Recht auf Einsicht in Sitzungsniederschriften (vgl. insoweit bereits unter bb) ein Recht auf Einsicht in die „entscheidungserheblichen Unterlagen“ begründet. Demnach räumt die Geschäftsordnung dem einzelnen Mitglied der Gemeinschaftsversammlung ein individuelles Akteneinsichtsrecht in Bezug auf die Vorbereitung zur nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung ein. Dieses geht über die in der Gemeindeordnung gesetzlich geregelten Akteneinsichtsrechte hinaus und verschafft dem Gemeinschaftsversammlungsmitglied einen individuellen, auch gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die entsprechende Akteneinsicht (vgl. VG München, U.v. 12.12.2018 - M 7 K 18.452 - juris Rn. 21).
29
(2) Bei den Entwürfen der Sitzungsniederschriften handelt es sich, soweit in der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung ihre Genehmigung ansteht, auch um „entscheidungserhebliche Unterlagen“ i.S.d. § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO.
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(a) Die Niederschrift über die Sitzungen der Gemeinschaftsversammlung, die nach Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 1 Satz 1 GO zu führen ist, ist nach Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 2 GO von der Gemeinschaftsversammlung zu genehmigen. Das Gesetz schreibt hierzu keinen bestimmten Verfahrensgang vor; es obliegt daher der Gemeinschaftsversammlung, in der Geschäftsordnung für einen solchen Verfahrensgang die notwendigen Regelungen zu treffen (vgl. Wachsmuth in: Praxis des Kommunalrechts Bayern - Gemeindeordnung, Stand: Juli 2019, Art. 54, Erl. 5). Die Geschäftsordnung der Beklagten trifft zwar keine spezifischen Regelungen zum Verfahren der Genehmigung der Sitzungsniederschrift; insbesondere lässt sie offen, ob hierzu ein ausdrücklicher Mehrheitsbeschluss erforderlich ist (vgl. zu den insoweit vertretenen unterschiedlichen Auffassungen Jung in: BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbaum, Stand: 1.3.2020, Art. 54, Rn. 13 m.w.N.). § 26 Abs. 4 GeschO wiederholt lediglich den Wortlaut von Art. 54 Abs. 2 GO. Gleichwohl ist unzweifelhaft eine Entscheidung der Gemeinschaftsversammlung über die Genehmigung der Sitzungsniederschrift erforderlich. Dies setzt aber denknotwendig voraus, dass die Gemeinschaftsversammlungsmitglieder den Inhalt der Niederschrift zur Kenntnis nehmen können (ebenso Jung in: BeckOK Kommunalrecht Bayern, Dietlein/Suerbaum, Stand: 1.3.2020, Art. 54, Rn. 12.1). Hierzu kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht (vgl. etwa Glaser in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, 29. EL Mai 2018, Art. 54 Rn. 11). §§ 26 und 27 GeschO enthalten hierzu jedoch keine ausdrückliche Regelung. Aus den Ausführungen der Beklagtenseite ergibt sich lediglich, dass den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung während der Sitzung Gelegenheit gegeben wird, den Entwurf der Sitzungsniederschrift zur Kenntnis zu nehmen.
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(b) Dennoch ist insoweit auch § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO anwendbar. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Regelungssystematik ergibt sich etwas dafür, dass die Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO durch § 27 Abs. 2 Satz 1 GeschO bzw. Art. 10 Abs. 2 VGemO i.V.m. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 KommZG, Art. 54 Abs. 3 Satz 1 GO verdrängt werden würde. Während § 3 GeschO im Rahmen der Regelungen über die Gemeinschaftsversammlung allgemein die Rechtsstellung ihrer Mitglieder und deren Befugnisse regelt, betrifft § 27 GeschO die Einsichtnahme in Sitzungsniederschriften für Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung und Bürger der Mitgliedsgemeinden sowie die Erteilung von Abschriften von Sitzungsniederschriften. Es ist nicht ersichtlich, dass hierdurch die Befugnisse der Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung, wie sie sich aus § 3 GeschO ergeben, wieder eingeschränkt werden sollten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass beide Regelungen selbständig nebeneinander stehen.
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(c) Dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO nach sollen „entscheidungserhebliche Unterlagen“ erfasst sein, d.h. also Unterlagen, die bei der Verwaltungsgemeinschaft vorhanden sind und deren Inhalt für eine zu einem Tagesordnungspunkt der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung zu treffende Entscheidung von Bedeutung sein kann. Dabei kann es dahinstehen, aus wessen Sicht die Entscheidungserheblichkeit im Einzelfall zu beurteilen ist. Denn hinsichtlich der Genehmigung der Sitzungsniederschrift einer vorangegangenen Sitzung der Gemeinschaftsversammlung kann kein Zweifel daran bestehen, dass der entsprechende Entwurf für die in der Sitzung zu treffende Entscheidung erheblich ist. Dass der Entwurf der Niederschrift gleichzeitig der Beschlussgegenstand ist, ändert daran nichts. Zweck der Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO ist es, es den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung zu ermöglichen, sich umfassend auf die Sitzung vorzubereiten und bereits im Vorfeld Kenntnis von den maßgeblichen Unterlagen zu haben, um auf dieser Grundlage eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Diesem Zweck entspricht es auch, den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung Einsicht in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften zu gewähren, wenn diese zur Genehmigung anstehen. Die Genehmigung der Niederschrift mag zwar im Vergleich zu Sachentscheidungen, die die Gemeinschaftsversammlungen zu treffen hat, als Formalie erscheinen und eine geringe(re) Bedeutung haben. Weder der Wortlaut noch der Zweck der Regelung in § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO lassen aber eine Abstufung des Einsichtsrechts der Gemeinschaftsversammlungsmitglieder nach „wichtigeren“ und „weniger wichtigen“ Beschlussgegenständen zu, die im Übrigen angesichts der zu erwartenden Abgrenzungsschwierigkeiten schon gar nicht praktikabel wäre. Auch wenn es in der bisherigen Praxis der Beklagten, wie von ihrem Bevollmächtigten ausgeführt, bislang nicht „üblich“ war, den Mitgliedern der Gemeinschaftsversammlung Einsicht in die Entwürfe der Sitzungsniederschriften zu gewähren, ändert dies nicht an deren nach § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO bestehenden Anspruch hierauf. Gleiches gilt für den Umstand, dass den Gemeinschaftsversammlungsmitgliedern in der Sitzung die Durchsicht der zu genehmigenden Sitzungsniederschrift ermöglicht wird. Auch wenn offenbar die überwiegende Zahl der Mitglieder der Gemeinschaftsversammlung dieses Procedere als ausreichend ansieht, um auf dieser Grundlage über die Genehmigung der Sitzungsniederschrift zu entscheiden, ändert dies nichts an dem nach der Geschäftsordnung bestehenden Anspruch auf vorherige Einsichtnahme.
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dd) Das Einsichtsrecht nach § 3 Abs. 4 Satz 2 GeschO ist beschränkt auf die Tagesordnungspunkte der nächsten Sitzung der Gemeinschaftsversammlung, setzt eine vorherige Terminvereinbarung voraus und kann im Einzelfall aus Gründen der Geheimhaltung entfallen. Der Antrag des Klägers geht jedoch über diese Einschränkungen nicht hinaus.
34
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung (ZPO).