Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.11.2020 – 20 CE 20.2735
Titel:

Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht (Oberstufe Gymnasium) zur Bekämpfung der SARS-CoV-2-Pandemie

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 88, § 114 S. 1, § 146
IfSG § 16 Abs. 8, § 28 Abs. 1, Abs. 3, § 28a Abs. 1 Nr. 16, Abs. 3, Abs. 6, § 33 Nr. 3
Leitsätze:
1. Es kann unter Abwägung der widerstreitenden Belange zur möglichst effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens ermessensfehlerfrei sein, ohasenweisem Distanzunterricht den Vorzug vor dauerhaftem Präsenzunterricht zu geben, wenn sich der Wechsel zwischen Distanz- und Präsenzunterricht insbesondere am Schutz von Leben und Gesundheit und an der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems orientiert, wobei die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit berücksichtigt werden, insbesondere die schulischen Belange, dass grds. Distanzunterricht einen großen Qualitätsverlust für die Bildung vieler Kinder darstellt, teilweise technische Voraussetzungen fehlen und Distanzunterricht einen hohen Betreuungsaufwand für viele Eltern erfordert. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anschaffung von Filtergeräten für die Raumluft ist kein milderes gleich geeignetes Mittel, da dies nicht nur mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden wäre, sondern die Einhaltung des Mindestabstands auch nicht ersetzen könnte; diesem wird jedoch ein besonderes Gewicht eingeräumt, da nach Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts selbst eine effiziente Reduzierung von Aerosolen in der Raumluft das Risiko einer Übertragung im Nahfeld (z.B. bei face-to-face Kontakt bei einem Abstand von unter 1,5 m) nicht effektiv verringert. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Verweis auf eine diametrale Vorgehensweise in einem benachbarten Landkreis stellt die Ermessensfehlerfreiheit der Anordnung eines Wechsel zwischen Distanz- und Präsenzunterricht nicht in Frage, da die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme grundsätzlich nicht mit einem Verweis auf mögliche Eingriffe in Rechte anderer Grundrechtsträger oder zu Lasten der Allgemeinheit in Frage gestellt werden kann und bloße Belastungsverlagerungen grundsätzlich außer Betracht zu bleiben haben. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Infektionsschutzrecht, SARS-CoV-2-Pandemie, Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht (Oberstufe Gymnasium), Ermessensausübung, Corona, Präsenzunterricht, Distanzunterricht, Gymnasium, Oberstufe, Filtergeräte, Mindestabstand
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 10.11.2020 – M 26b E 20.5654
Fundstelle:
BeckRS 2020, 32719

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt seine Beschulung in Form des Präsenzunterrichts.
2
Der Antragsteller besucht die Jahrgangsstufe Q12 des Gymnasiums Bad Aibling.
3
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2020 ordnete das Staatliche Gesundheitsamt beim Landratsamt Rosenheim an, dass in den Schulen im Landkreis ab der Jahrgangsstufe 11 in den Unterrichtsräumen ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen allen Schülerinnen und Schülern einzuhalten ist. Sei dies unmöglich, sei im Regelfall eine Teilung der Gruppen und ein Wechsel zwischen Distanz- und Präsenzunterricht geboten.
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Seit dem 9. November 2020 unterrichtet das Gymnasium Bad Aibling die Jahrgangsstufen Q11 und Q12 im Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht.
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Mit Allgemeinverfügung vom 19. November 2020 erneuerte das Landratsamt Rosenheim die Anordnung betreffend Mindestabstand und Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunterricht im Regelfall bis einschließlich 29. November 2020.
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Das Verwaltungsgericht München hat mit Beschluss vom 10. November 2020 den Antrag des Antragstellers abgelehnt, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm bis auf Weiteres den uneingeschränkten Besuch aller für ihn im Rahmen seines Schulbesuchs der Jahrgangsstufe Q12 des Gymnasiums Bad Aibling regulär vorgesehenen Lehrveranstaltungen als Präsenzveranstaltungen zu gestatten. Das Gesundheitsamt habe auf Grundlage des örtlichen Infektionsgeschehens ermessensfehlerfrei die Wiedereinführung des Mindestabstands mit zeitlich befristeter Teilung und einer damit verbundenen Unterrichtung der Gruppen im wöchentlichen oder täglichen Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht angeordnet. Soweit der Antragsteller unter einer Autismus-Spektrumsstörung leide, stelle dies eine besondere Belastung dar, der ggf. durch schulorganisatorische Maßnahmen vor Ort Rechnung zu tragen sei; für die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Wechselunterrichts sei diese aber ohne Belang.
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Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 16. November 2020, beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen am 20. November 2020, Beschwerde erhoben. Die Anordnung des Gesundheitsamts sei ermessensfehlerhaft, weil Unterricht in größeren Räumen oder unter Einsatz von Luftreinigungsgeräten als mildere Mittel zur Verfügung stünden. Die Maßnahme bewirke eine Ungleichbehandlung des Antragstellers. Bei einem Zentralabitur könne eine individuell abweichende Abiturvorbereitung nicht ausgeglichen werden. Bei der Annahme des Erstgerichts, angesichts des Infektionsgeschehens seien früher oder später alle Abschlussklassen von derartigen Maßnahmen betroffen, handle es sich um reine Spekulation, wie schon der Blick auf den Nachbarlandkreis Traunstein belege. Hinsichtlich seiner besonderen Betroffenheit durch seine Behinderung sei verkannt worden, dass auch schulorganisatorische Maßnahmen vor Ort vom Antragsgegner zu verantworten seien. Der Antragsteller habe schon im Juni 2020 erfolglos versucht, eine Ausnahmeregelung zu erreichen.
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Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Seit Inkrafttreten der Allgemeinverfügung vom 19. November 2020 sei das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers mit einer Anfechtungsklage bzw. einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verfolgen, sodass kein Rechtschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 123 VwGO mehr bestehe. Abgesehen davon könne der Antragsteller keinen Unterricht in größeren Räumen oder den Einsatz von Luftreinigungsgeräten beanspruchen; beides betreffe die Schulorganisation. Mobile Luftreinigungsgeräte könnten aktives Lüften nur ergänzen, nicht aber ersetzen. Dass im Landkreis Traunstein Distanzunterricht nur für untere Jahrgänge, nicht aber für die Jahrgangsstufen 11 und 12 angeordnet worden sei, verschaffe dem Antragsteller ebenfalls keinen Anspruch auf Gleichbehandlung bzw. Präsenzunterricht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
10
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
A.
11
Der Antrag ist zulässig. Soweit er nach § 123 VwGO nicht (mehr) statthaft ist, kann er in einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO umgedeutet werden.
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1. Ab Erlass der Allgemeinverfügung vom 19. November 2020 kann der Antragsteller eine Aufhebung des Wechsels zwischen Präsenz- und Distanzunterricht in Gruppen (vgl. Amtsblatt für den Landkreis Rosenheim Nr. 20 vom 19.11.2020, S. 280 unter Nr. 1 Buchst. c) nicht (mehr) mit einem Antrag nach § 123 VwGO, sondern nur nach § 80 Abs. 5 VwGO erreichen, weil die Anfechtungsklage in der Hauptsache die statthafte Klageart ist (vgl. BVerwG, B.v. 1.11.2007 - 4 VR 3000.07 - NVwZ 2008, 217 - juris Rn. 8 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 28 f.). Ausgehend vom Rechtsschutzziel, das vom Gericht nach § 88 VwGO zu ermitteln ist und für das es auf das wirkliche Begehren ankommt, kann der Antrag - jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem eine Allgemeinverfügung eine „formlose“ Anordnung ersetzt - in einen statthaften Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO umgedeutet werden (vgl. auch BVerfG, B.v. 29.10.2015 - 2 BvR 1493/11 - NVwZ 2016, 238 - juris Rn. 37), der bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage gestellt werden kann (§ 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO; vgl. BayVGH, B.v. 27.8.1987 - 25 CE 87.1911 - BayVBl 1988, 17/18; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, § 80 Rn. 129).
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2. Soweit der Antragsteller erreichen will, dass ihm - trotz aufgeteilter Gruppen - die Teilnahme am Präsenzunterricht jeder Gruppe ermöglicht wird, ist der Antrag nach § 123 VwGO statthaft, weil diesbezüglich kein Anfechtungsbegehren zugrunde liegt.
B.
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Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Ablehnung des Eilantrags erweist sich im Ergebnis (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2003 - 1 CS 03.60 - NVwZ 2004, 251 = juris Rn. 16; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 29b) als richtig.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Anordnung in Nr. 1 Buchst. c der Allgemeinverfügung des Landratsamts Rosenheim vom 19. November 2020 bleibt erfolglos.
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a) Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage - wie hier (vgl. § 28 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG) - keine aufschiebende Wirkung hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, ist regelmäßig die aufschiebende Wirkung anzuordnen (BayVGH, B.v. 27.3.2019 - 8 CS 18.2398 - ZfB 2019, 202 = juris Rn. 25 m.w.N.).
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b) Die Allgemeinverfügung vom 19. November 2020 erweist sich in Nr. 1 Buchst. c auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens voraussichtlich als rechtmäßig. Die Anordnung der Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 m zwischen Schülerinnen und Schülern ab der Jahrgangsstufe 11 in den Unterrichtsräumen und die daran in den betroffenen Schulen gegebenenfalls anknüpfende (Regel-)Aufteilung in Gruppen mit Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunterricht (vgl. auch Nr. 3.3 des Rahmenhygieneplans Schulen i.d.F.v. 13.11.2020, BayMBl. 2020 Nr. 640) kann sich auf eine Rechtsgrundlage stützen und erweist sich im Hinblick auf das erhebliche örtliche Infektionsgeschehen im Landkreis Rosenheim wohl als verhältnismäßig.
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aa) § 28a Abs. 1 Nr. 16 IfSG in der seit 19. November 2020 geltenden Fassung (BGBl I S. 2397) sieht die Erteilung von Auflagen für die Fortführung des Betriebs von Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen (vgl. § 33 HS 2 Nr. 3 IfSG) als Regelbeispiel vor. Bei der angegriffenen Maßnahme handelt es sich um eine solche Auflage, die dazu beitragen soll, das Infektionsrisiko erheblich zu reduzieren und die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen (vgl. auch BT-Drs. 19/23944 S. 28). In diesem Sinn hat der Senat bereits zu § 16 6. BayIfSMV erkannt, dass die Anordnung eines Mindestabstands als niederschwellige Minusmaßnahme zur Schulschließung von § 28 Abs. 1 IfSG gedeckt war (BayVGH, B.v. 3.7.2020 - 20 NE 20.1443 - juris Rn. 21; vgl. nachgehend auch BVerfG, B.v. 15.7.2020 - 1 BvR 1630/20 - juris).
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bb) Die Ermessensausübung des Landratsamts begegnet bei summarischer Prüfung auch im Hinblick auf die neu eingeführten Maßstäbe in § 28a Abs. 3 und 6 IfSG keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die angegriffene Maßnahme orientiert sich insbesondere am Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems (vgl. § 28a Abs. 3 Satz 1 IfSG; vgl. dazu auch BT-Drs. 19/24334 S. 81). Sie ist regional bezogen auf den Landkreis und an der dortigen Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen ausgerichtet (§ 28a Abs. 3 Satz 2 und 4 IfSG). Der Schwellenwert von 50 Neuinfektionen ist deutlich überschritten (249,49 im Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung), sodass der Gesetzgeber „umfassende“ Schutzmaßnahmen verlangt, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Abs. 3 Satz 5 IfSG). Dem zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit vorgesehenen gestuften Vorgehen, das sich am tatsächlichen regionalen Infektionsgeschehen orientiert (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 31), wurde somit entsprochen. Das Landratsamt hat auch die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit einbezogen und berücksichtigt, soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 vereinbar ist (§ 28a Abs. 6 Satz 2 IfSG). Es hat gesehen, dass ein Distanzunterricht einen großen Qualitätsverlust für die Bildung vieler Kinder darstellt, oft an den technischen Voraussetzungen scheitert und einen hohen Betreuungsaufwand für viele Eltern erfordert. Damit wurde der Bildungsauftrag der Schulen berücksichtigt (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 28). Dass unter Abwägung der widerstreitenden Belange einer möglichst effektiven Eindämmung des Infektionsgeschehens der Vorzug gegeben wurde, begründet keinen Ermessensfehler (vgl. § 114 Satz 1 VwGO), zumal die Maßnahme gerade auch dem Ziel dient, den Schulbetrieb weiterhin aufrechtzuerhalten und noch schwerwiegendere Maßnahmen wie Schulschließungen zu verhindern.
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cc) Auch das Beschwerdevorbringen lässt keine durchgreifenden Ermessensfehler erkennen. Insbesondere ist die Maßnahme nicht deshalb unverhältnismäßig, weil sie nicht zur Erreichung des angestrebten Zwecks erforderlich wäre. Der Senat vermag kein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Erreichung des Zwecks erkennen (vgl. allgemein BVerfG, B.v. 8.3.2011 - 1 BvR 47/05 - NVwZ 2011, 743 - juris Rn. 21; BayVerfGH, E.v. 29.10.2018 - Vf. 21-VII-17 - BayVBl 2019, 374 - juris Rn. 47).
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(1) Dass die Verlegung des Präsenzunterrichts der Oberstufe in größere Räume am Gymnasium, das der Antragsteller besucht, ohne weiteres schulorganisatorisch umsetzbar wäre, hat der Antragsteller nicht dargelegt und ist auch sonst nicht erkennbar. Bei einer Nutzung der Aula oder der Turnhalle, die der Antragsteller vorschlägt, dürfte deren eigentlicher Hauptzweck für den Schulbetrieb weitgehend entfallen.
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(2) Die Anschaffung von Filtergeräten für die Raumluft wäre nicht nur mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden, sondern könnte die Einhaltung des Mindestabstands auch nicht ersetzen. Nach den Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts, dem der Gesetzgeber im Bereich des Infektionsschutzes mit § 4 IfSG besonderes Gewicht eingeräumt hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.4.2020 - 1 BvQ 28/20 - NJW 2020, 1427 - juris Rn. 13; BayVerfGH, E.v. 26.3.2020 - Vf. 6-VII-20 - juris Rn. 16), kann selbst eine effiziente Abreicherung (Reduzierung) von Aerosolen in der Raumluft das Risiko einer Übertragung im Nahfeld (z.B. bei face-to-face Kontakt bei einem Abstand von unter 1,5 m) nicht effektiv verringern. Darüber hinaus sind einige wichtige Fragen noch ungelöst, wie z.B. die tatsächliche Wirksamkeit bei der praktischen Anwendung, die gesundheitliche Unbedenklichkeit der eingesetzten Substanzen bzw. Verfahren oder die ausreichende Verteilung eines desinfizierenden Agens bzw. der gefilterten bzw. desinfizierten Luft im gesamten Raum (vgl. RKI, FAQ „Können Luftreinigungsgeräte bzw. mobile Luftdesinfektionsgeräte andere Hygienemaßnahmen ersetzen?“, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html).
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(3) Soweit die Beschwerde auf die diametrale Vorgehensweise im Nachbarlandkreis Traunstein verweist, bei der für die meisten unteren Jahrgänge ein Distanzunterricht angeordnet, die Oberstufe dagegen vom Distanzunterricht ausgenommen worden sei, übersieht sie, dass die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme grundsätzlich nicht mit einem Verweis auf mögliche Eingriffe in Rechte anderer Grundrechtsträger oder zu Lasten der Allgemeinheit in Frage gestellt werden kann und bloße Belastungsverlagerungen daher grundsätzlich außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2020 - 20 CS 20.1821 - BayVBl 2020, 707 - juris Rn. 34 m.w.N.).
24
Soweit der Antragsteller insoweit zugleich eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG geltend macht, ist nicht erkennbar, inwieweit ein wesentlich gleicher Sachverhalt ungleich geregelt worden wäre. Die Schutzmaßnahmen sollen nach § 28a Abs. 3 Satz 2 IfSG grundsätzlich unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte ausgerichtet werden (vgl. auch BT-Drs. 19/23944 S. 31). Das Landratsamt Rosenheim hat insoweit - auf Grundlage einer Auswertung des konkreten Infektionsgeschehens im Landkreis - darauf abgestellt, dass ältere Schülerinnen und Schüler für Ansteckungen besonders gefährdet seien und in diesem Zusammenhang auch darauf verwiesen, dass sich dies u.a. bei einem unkontrollierten Ausbruchsgeschehen mit SARS-CoV-2 an einer Berufsschule in Rosenheim gezeigt habe (vgl. Allgemeinverfügung vom 19.11.2020, Amtsblatt Nr. 20 vom 19.11.2020, S. 282).
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dd) Nach alldem bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob und inwieweit vom Wechselunterricht betroffenen Schülerinnen und Schülern überhaupt subjektiv-öffentliche Ansprüche auf unbeschränkten Präsenzunterricht zustehen (vgl. hierzu kritisch BayVGH, B.v. 3.7.2020 - 20 NE 20.1443 - juris Rn. 26 ff. m.w.N.).
26
2. Soweit der Antragsteller eine individuelle Teilnahme am Präsenzunterricht beider Gruppen begehrt, hat er keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 und § 294 ZPO). Insbesondere legt die Beschwerde nicht dar, inwieweit die Behinderung des Antragstellers dies unbedingt erfordern würde. Dies lässt sich auch der E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Antragsteller und der Oberstufenbetreuung des Gymnasiums vom Juni 2020, die dem Verwaltungsgericht vorgelegt wurde (vgl. Schriftsatz vom 9.11.2020, Anlage K 4), nicht entnehmen.
C.
27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG sowie Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog).
28
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).