Titel:
Normenkontrolle zur Gliederung eines Baugebiets
Normenketten:
VwGO § 47, § 132 Abs. 2
BauNVO § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 6, § 9
BauGB § 1 Abs. 7, § 214 Abs. 4
ZPO § 708
RDGEG § 3, § 5
Leitsätze:
1. Der Plangeber hat sicherzustellen, dass die Planbetroffenen sich auch vom Inhalt der in Bezug genommenen DIN-Vorschriften verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen können. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO ermöglicht zwar eine räumliche Zuteilung von Emissionsrechten, nicht aber deren das gesamte Baugebiet erfassende Beschränkung. Dem Tatbestandsmerkmal des "Gliederns" wird nur dann Rechnung getragen, wenn das Baugebiet in einzelne Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionskontingenten zerlegt wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrollverfahren, Bebauungsplan, Verkündungsmangel, Emissionskontingent, Gliederung des Baugebiets, Industriegebiet, Mischgebiet, Plangebiet, Planungsalternative, schalltechnische Untersuchung, Lärmkonflikt, Wohnnutzung, Eigentumsrecht, Abwägungsfehler, DIN-Vorschrift
Fundstelle:
BeckRS 2020, 32713
Tenor
I. Der am 28. Februar 2019 öffentlich bekannt gemachte Bebauungsplan Nr. 3 "Östlich der H.- Straße, zwischen Z.- und A.-straße" der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Antragsteller wenden sich als Betreiberin eines Kunststoffgroßhandels (Antragstellerin zu 1) sowie als Miteigentümer des Betriebsgrundstücks (Antragsteller zu 2 und 3) gegen den am 28. Februar 2019 öffentlich bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 3 „Östlich der H* … Straße, zwischen Z* …- und A* …straße“ der Antragsgegnerin. Der streitgegenständliche Bebauungsplan setzt für das - nach Maßgabe des vorherigen Bebauungsplans in einem Industriegebiet (§ 9 BauNVO) liegende - Grundstück nunmehr ein Mischgebiet (§ 6 BauNVO) fest.
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Die Antragsteller begründen ihre am 30. Januar 2020 bei Gericht eingegangene Normenkontrollklage dahin, der Bebauungsplan greife in ihr Eigentumsrecht (Art. 14 GG) ein und leide an Abwägungsfehlern (§ 1 Abs. 7 BauGB), die fristgerecht gegenüber der Antragsgegnerin gerügt worden seien. Die bisher zulässige und auch tatsächlich ausgeübte industrielle Nutzung auf dem Grundstück, auf deren Bestandsschutz und weitere Ausübung die Antragsteller hätten vertrauen dürfen, werde durch den streitgegenständlichen Bebauungsplan zu Unrecht gänzlich aufgehoben. Die Antragsgegnerin habe etwaige Planungsalternativen, die zu einer geringeren Beeinträchtigung der privaten Belange der Antragsteller hätten führen können, weder geprüft noch abgewogen. Es sei schon nicht erforderlich gewesen, das Grundstück der Antragsteller überhaupt in den Bebauungsplan einzubeziehen. Es sei auch nicht erforderlich gewesen, das bisherige Industriegebiet im Hinblick auf hinzugekommene Wohnbebauung in der „Nachbarschaft“ zum Mischgebiet herabzustufen. Denkbar sei auch eine Festsetzung als „eingeschränktes Industriegebiet“ oder möglicherweise als Gewerbegebiet gewesen. Die Annahme der Antragsgegnerin im Planverfahren, es sei möglich, durch Festsetzung von passiven Schutzmaßnahmen und durch Lärmkontingentierung immissionsschutzrechtliche Konflikte zu lösen und eine Existenzgefährdung für bestehende Betriebe zu vermeiden, sei fehlerhaft. Die dieser Annahme zugrundeliegenden schalltechnischen Untersuchungen hätten den tatsächlichen Betriebsablauf auf dem Grundstück der Antragsteller außer Betracht gelassen. Im Übrigen sei - weil das Plangebiet in der weiteren Schutzzone „W III b“ des Trinkwasserschutzgebiets für die öffentliche Wasserversorgung u.a. der Antragsgegnerin liege - der für die Straßen- und Hofflächenentwässerung notwendige Einbau von Rigolen technisch nicht möglich, so dass der Bebauungsplan wegen fehlender Umsetzbarkeit nicht erforderlich sei.
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Die Antragsteller beantragen,
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den Bebauungsplan Nr. 3 „Östlich der H* … Straße, zwischen Z* …- und A* …straße“ für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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Der ursprüngliche Bebauungsplan Nr. 3 sei aufgrund der Genehmigung der Regierung von Schwaben mit Bescheid vom 31. Mai 1963 seit dem 15. Juni 1963 rechtsverbindlich. Er setze nur für einen Teil des Betriebsgrundstücks der Antragsteller ein Industriegebiet fest (FlNr. … der Gemarkung K.). Der westliche Teil des Betriebsgrundstücks liege im unbeplanten Innenbereich. In der näheren Umgebung des Betriebsgrundstücks habe sich in den vergangenen Jahrzehnten bestandskräftig genehmigte Wohnnutzung entwickelt, die nur vereinzelt in einem betrieblichen Zusammenhang mit dem Betriebsgrundstück stehe. Die schutzwürdige Wohnnutzung sei somit bereits in der Vergangenheit an die betriebliche Nutzung herangerückt. Dementsprechend stelle der Flächennutzungsplan die streitgegenständlichen Flächen auch als „gemischte Bauflächen“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BauNVO) dar. Die schalltechnische Untersuchung des Plangebiets vom 16. August 2011 habe ergeben, dass die möglichen Überschreitungen der Immissionsrichtwerte der TA Lärm für ein Mischgebiet (60 dB (A) tags und 45 dB (A) nachts) im Hinblick auf die im Umfeld der Betriebsflächen bereits vorhandenen schutzbedürftigen Wohnnutzungen und unter Berücksichtigung des tatsächlich ausgeübten Betriebs der betroffenen Gewerbeunternehmen (u.a. des Betriebs der Antragsteller) eingehalten werden könnten. Die Einwände der Antragsteller seien im Übrigen nicht stichhaltig. Dem Bebauungsplan fehle nicht die Erforderlichkeit. Abwägungsfehler bestünden nicht. Die bisherige Festsetzung des Plangebiets als Industriegebiet sei angesichts der tatsächlichen baulichen Entwicklung funktionslos geworden und das Plangebiet sei in ein „faktisches Mischgebiet“, jedenfalls aber in eine Gemengelage aus Wohnen und nicht wesentlich störendem Gewerbe „gekippt“. Eine industrielle Nutzung finde auf dem Betriebsgrundstück der Antragsteller nicht statt. Erheblich störende Emissionen gebe es nicht. Entwicklungsmöglichkeiten würden auch nicht abgeschnitten. Konkrete Erweiterungsabsichten seien zudem nicht erkennbar. Die Antragsteller müssten auch nicht mehr Rücksicht auf ihre Umgebung nehmen, als sie es vor Erlass des Bebauungsplans ohnehin schon hätten tun müssen. Schließlich sei auch der Einwand nicht nachvollziehbar, der Einbau von Rigolen für die Straßen- und Hofflächenentwässerung sei technisch nicht möglich.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Normaufstellungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg.
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1. Der streitgegenständliche Bebauungsplan ist bereits deshalb unwirksam, weil er an - von Amts wegen geprüften - Mängeln leidet.
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a) Der Bebauungsplan nimmt in seinen textlichen Festsetzungen (insbesondere Nr. 17.3) Bezug auf nicht öffentlich zugängliche DIN-Vorschriften, aus denen sich erst ergibt, unter welchen Voraussetzungen ein Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist. Die Antragsgegnerin hat jedoch weder in der Planurkunde noch in der Bekanntmachung der Satzung auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in die DIN-Vorschriften bei der Verwaltungsstelle hingewiesen, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann. Damit liegt nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 18.8.2016 - 4 BN 24.16 - juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 25.10.2016 - 9 N 13.558 - juris Rn. 27 ff. m.w.N.) ein Mangel im Hinblick auf die an die Verkündung von Rechtsnormen zu stellenden rechtsstaatlichen Anforderungen vor, weil der Plangeber sicherzustellen hat, dass die Planbetroffenen sich auch vom Inhalt der in Bezug genommenen DIN-Vorschriften verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis verschaffen können. Dieser Verkündungsmangel führt zur (dauerhaft beachtlichen) Unwirksamkeit des Bebauungsplans, solange der Mangel nicht - etwa im ergänzenden Verfahren nach Maßgabe des § 214 Abs. 4 BauGB - geheilt wird (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 4.8.2015 - 15 N 12.2124 - juris Rn. 20 ff. m.w.N.). Eine Heilung des Verkündungsmangels, auf den das Gericht die Beteiligten im Vorfeld der mündlichen Verhandlung hingewiesen hatte, ist bis zur gerichtlichen Entscheidung nicht erfolgt.
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b) Der Bebauungsplan sieht zudem in Nr. 17.3 der textlichen Festsetzungen ein einheitliches Emissionskontingent für die „gewerblichen Bauflächen im Plangebiet“ vor und wird damit - worauf das Gericht die Beteiligten im Vorfeld der mündlichen Verhandlung ebenfalls hingewiesen hatte - nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Anforderungen der für eine solche Festsetzung maßgeblichen Rechtsgrundlage (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO) nicht gerecht. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO ermöglicht zwar eine räumliche Zuteilung von Emissionsrechten, nicht aber deren das gesamte Baugebiet erfassende Beschränkung. Denn dem in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO genannten Tatbestandsmerkmal des „Gliederns“ wird nur dann Rechnung getragen, wenn das Baugebiet in einzelne Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionskontingenten zerlegt wird (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 9.3.2015 - 4 BN 26.14 - BauR 2015, 943 f.). Die Festsetzung eines einheitlichen Emissionskontingents für das gesamte Baugebiet ist somit von der Ermächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO nicht gedeckt (vgl. ferner z.B. BVerwG, U.v. 7.12.2017 - 4 CN 7/16 - juris Rn. 14 f. m.w.N.).
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Die Unwirksamkeit der Nr. 17.3 der textlichen Festsetzungen führt zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans, weil die mit dieser Festsetzung beabsichtigte Lösung des Lärmkonflikts zwischen dem neu festgesetzten Gewerbegebiet (mit dem dort bereits bestehenden Gewerbebetrieb des Antragstellers im Parallelverfahren 15 N 20.346) und der geplanten neuen Wohnnutzung ein wesentliches Anliegen des Bebauungsplans ist. Es kann deshalb unter Berücksichtigung des im Planverfahren zum Ausdruck gekommenen Willens der Antragsgegnerin nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan auch ohne die unwirksame Festsetzung beschlossen hätte (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 4.8.2017 - 15 N 15.1713 - NVwZ-RR 2017, 953 = juris Rn. 40 m.w.N.).
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2. Nach alledem kommt es für die gerichtliche Entscheidung nicht mehr darauf an, ob - wie in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten erörtert wurde - noch weitere (einzelne) Festsetzungen des Bebauungsplans unwirksam sind oder der Bebauungsplan an Abwägungsmängeln leidet.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
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4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
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5. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.