Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 09.01.2020 – AN 11 K 18.01420
Titel:

Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen - Begehung von Straftaten

Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 2, Abs. 3, § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 2 Nr. 1, § 55 Abs. 1, Abs. 2
ARB 1/80 Art. 6
StGB § 78 Abs. 3, § 78c Abs. 3 S. 2
BZRG § 46
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Leitsätze:
1. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen des § 46 BZRG eine absolute Obergrenze (Rn. 35). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einer aus generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung bedarf es hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange von dieser Ausweisung eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht (Rn. 40). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung türkischer Staatsangehöriger, unerlaubte Einreise, Urkundenfälschung, Ausweisung, türkischer Staatsangehöriger, Straftaten, Spezialprävention, Generalprävention, generalpräventives Ausweisungsinteresse, zeitliche Begrenzung, Sperrfrist
Fundstelle:
BeckRS 2020, 3270

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
2
Der am … 1968 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 1. August 1992 unter den Aliasnamen … … in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid der Stadt … … … vom 13. Januar 1995 wurde der Kläger erstmals wegen illegaler Einreise, illegalem Aufenthalt und illegaler Erwerbstätigkeit aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Am 1. Februar 1996 erfolgte durch die Ausländerbehörde des Landkreises … die Abschiebung des Klägers in die Türkei.
3
Am 4. April 1998 reiste der Kläger mit einem Visum zu Besuchszwecken unter seinem richtigen Namen … … wieder in das Bundesgebiet ein. Ein gestellter Asylantrag wurde am 16. Juli 1998 vom Bundesamt für ... abgelehnt. Nach der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen am … 1999 wurde dem Kläger am 23. Juni 1999 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (2000) erteilt, die später bis 23. Juni 2002 verlängert wurde. In der Folgezeit stellte der Kläger weitere Anträge auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltstitel. Diese wurden mit Bescheid der Stadt … … … vom 8. Juni 2011 abgelehnt. Gleichzeitig wurde er zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert und die Abschiebung in die Türkei angedroht. Der hiergegen erhobene Eilantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 19. September 2011 (Az.: …) abgelehnt. Die Beschwerde wurde vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Februar 2012 zurückgewiesen (Az.: …). Daraufhin gab der Kläger an, freiwillig auszureisen, tauchte dann jedoch unter. Das Klageverfahren stellte das Verwaltungsgericht Darmstadt mit Beschluss vom 4. Januar 2013 ein.
4
Der Kläger ist verwitwet. Seine deutsche Ehefrau verstarb am … 2008.
5
Der Kläger reiste zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vor dem 21. Februar 2017 mit gefälschten bulgarischen Identitätsdokumenten unter dem Aliasnamen … … erneut in das Bundesgebiet ein. Er besaß weder einen Pass noch ein Visum. Zunächst meldete er sich am 2. März 2017 in … an und zog dann am 1. Juli 2017 nach … zu seiner Freundin. Dabei legte er sowohl bei seiner Anmeldung in … als auch in … einen gefälschten bulgarischen Personalausweis vor.
6
Seit dem 21. Februar 2017 bis zu seiner Festnahme am 16. Januar 2018 arbeitete der Kläger in der Firma … in … Sein erlernter Beruf ist Fahrzeuglackierer. Der Arbeitgeber wusste nicht, dass sich der Kläger unter falschen Personalien im Bundesgebiet aufhielt. Der Kläger legte u.a. für die Zulassung seines Pkws im August 2017, dessen Abmeldung im Dezember 2017, im Rahmen einer Kontoeröffnung bei der …bank sowie zur Anmeldung bei der Krankenversicherung gefälschte Dokumente vor. Im Zusammenhang mit der Eröffnung eines neuen Bankkontos bei der …-Bank am 16. Januar 2018 wurde festgestellt, dass die vom Kläger vorgelegten bulgarischen Dokumente gefälscht waren.
7
Mit Schreiben der Beklagten vom 26. Januar 2018 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört.
8
Der den Kläger im Strafverfahren vertretende Rechtsanwalt trug mit Schreiben vom 1. März 2018 vor, dass der Kläger die Beklagte darum ersuche, von den beabsichtigten aufenthaltsbeenden Maßnahmen Abstand zu nehmen.
9
Strafrechtlich ist der Kläger laut Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 6. Juli 2018 wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Amtsgericht …, 15. Juli 2003
Fahren ohne Fahrerlaubnis
25 Tagessätze zu je 25,00 EUR Geldstrafe
2. Amtsgericht…, 29. Juni 2004
Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs
70 Tagessätze zu je 25,00 EUR Geldstrafe
3. Amtsgericht …, 21. Juni 2005
Fahren ohne Fahrerlaubnis
50 Tagessätze zu je 25,00 EUR Geldstrafe
4. Amtsgericht …, 24. Juli 2008
Fahren ohne Fahrerlaubnis
25 Tagessätze zu je 50,00 EUR Geldstrafe
5. Amtsgericht …, 6. November 2008
Unterschlagung in Tateinheit mit Betrug
120 Tagessätze zu je 30,00 EUR Geldstrafe
6. Amtsgericht …,11. November 2012
Fahrlässiges Fahren ohne Fahrerlaubnis
120 Tagessätze zu je 25,00 EUR Geldstrafe
10
Zuletzt wurde der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts … vom 3. Juli 2018 wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel und ohne Pass/Passersatz in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Strafvollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt.
11
Laut Mitteilung der Justizvollzugsanstalt … vom 3. Juli 2018 wurde der sich in Untersuchungshaft befindliche Kläger am gleichen Tag aus der Haft entlassen.
12
Mit Bescheid vom 3. Juli 2018 wies die Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer I) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von fünf Jahren ab Abschiebung bzw. Ausreise (Ziffer II). In Ziffer III wurde die Abschiebung des Klägers unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei angeordnet. Sollte die Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich sein, wurde der Kläger aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von einer Woche ab Haftentlassung zu verlassen und ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht (Ziffer IV). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger ohne Pass und ohne erforderliches Visum - und damit unerlaubt gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG - in das Bundesgebiet eingereist sei. Durch den Missbrauch und die Verwendung der gefälschten bulgarischen Personaldokumente habe der Kläger in nicht nur geringfügiger oder vereinzelter Art und Weise gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen und verwirkliche deshalb ein schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Auf ein Bleibeinteresse im Sinne des § 55 AufenthG könne sich der Kläger nicht berufen, da er im Bundesgebiet weder über einen Aufenthaltstitel verfüge, noch familiäre oder sonstige Bindungen habe. Die Abwägung des Interesses an der Ausreise des Klägers ergebe aufgrund der von ihm ausgehenden Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit seinem Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet (§ 53 Abs. 1 AufenthG) ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausreise. Zur Abwehr der damit verbundenen Beeinträchtigungen von Belangen der Bundesrepublik Deutschland bestünde ein überragendes öffentliches Interesse. Ausweisungszweck sei die Abschreckung anderer Ausländer vor einem gleichartigen Verhalten (Generalprävention) und die Verhinderung neuer Straftaten durch den Kläger, da im Hinblick auf dessen bisher gezeigtes Verhalten eine konkrete Wiederholungsgefahr bestehe (Spezialprävention). Höherrangige Rechtsnormen oder zwischenstaatliche Vereinbarungen stünden dieser Entscheidung nicht entgegen. Im Übrigen wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids Bezug genommen.
13
Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 19. Juli 2018, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2018, EP/2-2 Rei, AW-Nr. 1997/6224, aufzuheben.
14
Eine Begründung erfolgte nicht.
15
Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 9. August 2018 und beantragte
Klageabweisung.
16
Zur Begründung wurde auf den streitgegenständlichen Bescheid und den Akteninhalt verwiesen.
17
Mit Schreiben vom 2. August 2018 hat sich die Regierung … an dem Verfahren als Vertretung des öffentlichen Interesses beteiligt und den Ausführungen der Beklagten angeschlossen (Schreiben v. 14.8.2018).
18
Mit - zwischenzeitlich rechtskräftigem - Beschluss vom 27. November 2019 (Az.: AN 11 S 18.01419) wurde der ebenfalls gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt.
19
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
21
Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen die in Ziffer III des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebung unmittelbar aus der Haft richtet. Die Klage hat sich dadurch erledigt, dass der Kläger Anfang Juli 2018 aus der Haft entlassen wurde, somit fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis des Klägers.
II.
22
Die Klage istsoweit sie zulässig ist - unbegründet.
23
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
24
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend wird dazu Folgendes ausgeführt:
25
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Ausweisungsverfügung mit Abschiebungsandrohung und Befristungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BayVGH, U.v. 21.5.2019 - 10 B 19.55 - juris Rn. 22).
26
1. Die vom Kläger angefochtene Ausweisung ist rechtmäßig.
27
Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
28
Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine Rechtsposition gemäß dem Beschluss Nr. 1 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) zustünde mit der Folge, dass § 53 Abs. 3 AufenthG zur Anwendung käme, sind weder er-sichtlich noch vorgetragen. Insbesondere ist Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 nicht einschlägig, da die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift eine gesicherte Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraussetzt (vgl. NdsOVG, B.v. 10.12.2019 - 13 ME 344/19 - juris Rn. 4). Der Kläger hat keinen Aufenthaltstitel und einen solchen auch nicht beantragt (vgl. VG Ansbach, B.v. 27.11.2019 - AN 11 S 18.01419), so dass eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausscheidet. Auch fehlt es nach Aktenlage an einer Beschäftigungsdauer von einem Jahr (Arbeitsvertrag vom 21.2.2017, Festnahme des Klägers am 16.1.2018).
29
Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergibt sich sowohl aus dem persönlichen Verhalten des Klägers (Spezialprävention) als auch aus dem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet (Generalprävention).
30
a) Im Fall des Klägers liegt ein schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vor. Danach wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist. Vorliegend wurde der Kläger mit Urteil des Amtsgerichts … vom 3. Juli 2018 wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel und ohne Pass/Passersatz in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Diese Straftaten hat der Kläger vorsätzlich begangen. Mithin sind die Voraussetzungen von § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt.
31
b) Es liegen spezialpräventive Ausweisungsgründe vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen. Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte zur Strafaussetzung sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar. Von ihnen geht aber keine Bindungswirkung aus (vgl. BVerwG, U.v. - 15.1.2013 - C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2018 - 10 ZB 17.2063 - juris Rn. 9).
32
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG ausgeht. Anlass der Ausweisung ist die Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht … vom 3. Juli 2018 wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt ohne Aufenthaltstitel und ohne Pass/ Passersatz in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen. Das Bundeszentralregister weist sechs weitere Eintragungen auf. Dabei ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass sich der Kläger für einen relativ langen Zeitraum von fast einem Jahr unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hat. Zudem setzte er die gefälschten Dokumente nicht nur für eine einmalige Täuschungshandlung ein, sondern verwendete diese in mehreren Einzelakten. Wie die Beklagte zutreffend ausführt, hat der Kläger damit sein komplettes Leben im Bundesgebiet auf gefälschte Personalien gestützt, indem er u.a. eine Wohnung anmietete, Bankkonten eröffnete und einen Arbeitsvertrag abschloss. Aufgrund des Gesamtverhaltens des Klägers, seiner Persönlichkeit und seiner persönlichen Entwicklung ist eine begründete Wiederholungsgefahr gegeben. Alleine die Tatsache, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe im Urteil vom 3. Juli 2018 wegen günstiger Sozialprognose zur Bewährung ausgesetzt wurde, lässt das Vorliegen einer konkreten Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger durch die sechsmonatige Untersuchungshaft bereits einen Großteil der achtmonatigen Freiheitsstrafe verbüßt hatte. Es liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor, die eine positive Prognose, dass dem Kläger zukünftig ein straffreies Leben gelingen wird, rechtfertigen würden. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits im Jahr 1992 mit einer falschen Identität eingereist ist sowie sich im Bundesgebiet aufgehalten hat und 1995 ausgewiesen wurde.
33
c) Auch aus generalspräventiven Gründen gefährdet der weitere Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (vgl. BVerwG, U.v.12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 16). Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass - über eine gegebenenfalls erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus - ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten, im öffentlichen Interesse liegende Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83 - juris Rn. 24).
34
Die Beklagte nimmt zutreffend an, dass die Ausweisung des Klägers geeignet ist, andere Ausländer von der Begehung vergleichbare Straftaten, namentlich insbesondere von Urkundenfälschungen durch Vorlage gefälschter Dokumente, abzuhalten. Die Ausweisung führt zum Verlust etwaiger Aufenthaltstitel (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG), hindert in der Regel die Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), beendet damit den erlaubten Aufenthalt im Bundesgebiet und begründet eine Ausreisepflicht des Ausländers. Hinzu kommt, dass eine bestandskräftige Ausweisung bei etwaigen behördlichen Ermessensentscheidungen, beispiels-weise bei der Frage der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Rahmen einer Duldung, regelmäßig als erheblicher, negativer Gesichtspunkt ins Gewicht fällt. In Anbetracht dieser erheblichen Konsequenzen, die weit über eine strafrechtliche Verurteilung hinausgehen, erscheint eine drohende Ausweisung als geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten (vgl. VG München, U.v. 27.3.2019 - M 25 K 16.3931 - juris Rn. 23; VG Augsburg, U.v. 7.11.2018 - Au 6 K 18.698 - juris Rn. 34 f.).
35
Das generalpräventive Ausweisungsinteresse ist vorliegend auch noch aktuell. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen wer-den kann (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16/17 - FamRZ 2018, 1544, juris Rn. 22 f. zur Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis). Das Aufenthaltsgesetz enthält allerdings keine festen Regeln, wie lange ein bestimmtes Ausweisungsinteresse, wie es etwa in den Tatbeständen des § 54 AufenthG normiert ist, verhaltenslenkende Wirkung entfaltet und einem Ausländer generalpräventiv entgegengehalten werden kann. Eine Heranziehung der in § 11 Abs. 3 AufenthG festgelegten Kriterien für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nicht möglich, da sie an die Ausreise des Ausländers anknüpfen. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an straf-rechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung allerdings eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Diese verfolgen zwar einen anderen Zweck, geben dem mit zunehmen-dem Zeitabstand eintretenden Bedeutungsverlust staatlicher Reaktionen (die an Straftaten an-knüpfen) aber einen zeitlichen Rahmen, der nicht nur bei repressiven Strafverfolgungsmaßnahmen, sondern auch bei der Bewertung des generalpräventiven Ausweisungsinteresses her-angezogen werden kann. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen des § 46 BZRG eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16/17 - FamRZ 2018, 1544).
36
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das generalpräventive Ausweisungsinteresse vor-liegend im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch aktuell. Die begangene Urkundenfälschung - mit dem höchsten Strafmaß der vom Kläger verwirklichten Straftaten - wird gemäß § 267 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft. Die Verjährungsfrist beträgt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB fünf Jahre, wobei die Verjährung am Tag der Tatbeendigung beginnt (§ 78a Satz 1 StGB). Die Verjährungsfrist begann mit Beendigung der Tat durch Offenbarung der wahren Identität des Klägers im Januar 2018. Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt ist jedenfalls noch keine Verjährung eingetreten und damit noch nicht einmal die Untergrenze eines etwaigen Bedeutungsverlustes erreicht. Die Straftat des Klägers ist auch nicht aus dem Bundeszentralregister gemäß § 51 Abs. 1 BZRG getilgt bzw. zu tilgen. Die zehnjährige Tilgungsfrist nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BZRG ist augenscheinlich noch nicht abgelaufen.
37
d) Ein schwerwiegendes oder besonders schwerwiegendes (vertyptes) Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG sind nicht zu erkennen. Insbesondere besitzt der Kläger keinen Aufenthaltstitel, hat keine minderjährigen Kinder im Bundesgebiet und ist nicht verheiratet oder hat sonstige besonders schützenswerte Bindungen.
38
e) Bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung und Verhältnismäßigkeitsprüfung sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und die Tatsache, ob der Ausländer sich rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen, wobei die Umstände weder abschließend zu verstehen sind noch ausschließlich zugunsten des Ausländers sprechenden Umstände in die Abwägung einzustellen sind (vgl. BayVGH, U.v. 21.5.2019 - 10 B 19.55 - juris Rn. 37). Besondere wirtschaftliche, persönliche oder sonstige Bindungen des Klägers im Bundesgebiet sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Soweit der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung erklärte, der Kläger halte sich bei einer Frau K. I. auf, die er auch ehelichen wolle, so begründet dies bereits mangels dargelegter unmittelbar bevorstehender Eheschließung keinen besonderen Schutz gemäß Art. 6 GG (vgl. BayVGH, B. v. 2.11.2010 - 10 ZB 10.1746 - juris Rn. 2) zur sogenannten Vorwirkung. Eine Verwurzelung des Klägers in den hiesigen Lebensverhältnissen (Art. 8 EMRK) ist nicht anzunehmen. Zwar ist der Kläger von Ende Februar 2017 bis Mitte Januar 2018 einer Beschäftigung nachgegangen. Allerdings hat er sich seit Anfang 2012 bis Anfang 2017 laut Aktenlage nicht im Bundesgebiet aufgehalten. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine Reintegration in seinem Heimatland unzumutbar wäre, sind nicht ersichtlich. Insgesamt ist festzustellen, dass das auf spezial- und generalpräventive Gründe beruhende schwerwiegende Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG) aufgrund der nicht gewichtigen Bleibeinteressen des Klägers letztlich überwiegt. Die Ausweisung erweist sich auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK und Art. 6 GG als verhältnismäßig.
39
2. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer II von fünf Jahren ist ebenfalls rechtmäßig.
40
Bei einer aus generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung bedarf es hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange von dieser Ausweisung eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2017 - 10 C 17.260 - juris, Rn. 4). In diesem Rahmen sind sodann auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 EU-Grundrechtscharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 20/11 - juris). Ausgehend von den durch den Kläger begangenen Straftaten, den zugrunde liegenden general- und spezialpräventiven Erwägungen und angesichts der nach Aktenlage nicht bestehenden schützenswerten Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland, lässt die vom Gericht nur beschränkt überprüfbare Ermessenentscheidung (§ 114 Satz 1 VwGO) keine Rechtsfehler erkennen.
41
Die fehlende ausdrückliche Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ist unschädlich. Zwar ist nach der seit dem 21. August 2019 geltenden Fassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, BGBl. 2019 I S. 1294) gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann in einer behördlichen Befristungsentscheidung jedoch regelmäßig der konstitutive Erlass eines befristeten Einreiseverbots gesehen werden (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2017 - 1 C 28.16 - DVBl 2017, 1430 Rn. 42).
42
3. Die unter Ziffer IV des angefochtenen Bescheids verfügten ausländerrechtlichen Annexentscheidungen, die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist, sind nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 58 und 59 AufentG.
43
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
44
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.