Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 12.11.2020 – Au 9 S 20.2234
Titel:

Erfolgloser Antrag gegen Distanzunterricht

Normenketten:
IfSG § 28, § 29, § 31
BayVwVfG Art. 35 S. 2
8. BayIfSMV § 18 Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Eine Anordnung von Mindestabständen im Schulbetrieb und die sich hieran anknüpfenden Folgen bei Nichtwahrung von Mindestabständen aufgrund räumlicher Gegebenheiten kann zur weitgehenden Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichtes auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das von § 28 Abs. 1 IfSG eröffnete Entschließungsermessen in Bezug auf eine solche Anordnung ist nicht deshalb eingeschränkt, weil über die Pflicht zur Wahrung von Mindestabständen bereits abschließend durch höherrangiges Recht entschieden worden wäre und dieses dem Erlass einer Allgemeinverfügung für den Schulbetrieb entgegenstünde. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Annahme einer konkreten Regelung, die Voraussetzung einer rechtmäßigen Allgemeinverfügung nach § 28 IfSG ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn sie einen konkreten Fallbezug aufweist, der einen nach konkreten Merkmalen eingrenzbaren Sachverhalt erfasst. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Pandemie, Allgemeinverfügung für den Schulbetrieb im Landkreis ..., Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht, Vorläufiger Rechtsschutz, Bescheid, Auswahlverfahren, Ermessen, Distanz-Unterricht, Anfechtungsklage, Gefahrenlage
Fundstelle:
BeckRS 2020, 32595

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Allgemeinverfügung des Landratsamts ... zum Betrieb von Schulen im Landkreis ....
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Der Antragsteller besucht die achte Klasse eines im Landkreis ... gelegenen Gymnasiums.
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Mit Allgemeinverfügung vom 26. Oktober 2020 - öffentlich bekannt gemacht im Amtsblatt des Landkreises ... Nr. 17/2020 vom 26. Oktober 2020 - wurde in Nr. 2 für alle Schulen im Landkreis ... ab Jahrgangsstufe 5 der Mindestabstand von 1,5 m auch zwischen den Schülerinnen und Schülern in Unterrichtsräumen festgelegt. Soweit aufgrund der baulichen Gegebenheiten der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, bedeute dies eine zeitlich befristete erneute Teilung der Klassen und eine damit verbundene Unterrichtung der Gruppen im wöchentlichen oder täglichen Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht. Eine (etwaige) Notbetreuung ist eingeschränkt zulässig. Nach Nr. 4 der Allgemeinverfügung tritt diese mit Wirkung zum 26. Oktober 2020, 0:00 Uhr in Kraft und gilt bis auf Weiteres.
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Zu Begründung der Allgemeinverfügung wurde ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Anordnungen nach Nr. 1 und 2 der Allgemeinverfügung sei § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Würden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergebe sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider sei, so treffe die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den § 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich sei. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätze in seinen Tagesberichten das Risiko für Deutschland aufgrund der Lungenkrankheit COVID-19 auch gegenwärtig als sehr dynamisch und ernstzunehmend und die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung weiterhin insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein. Aufgrund der stetig steigenden Infektionszahlen im Landkreis, die sich auch nicht einem konkreten einzelnen Vorkommen zuordnen ließen und sich flächig über alle Städte und Gemeinden im Landkreis verteilten, sei derzeit von einem diffusen Verbreitungsgeschehen auszugehen. Die Anordnungen nach Nr. 1 und 2 der Allgemeinverfügung seien in den von der Bayerischen Staatsregierung erarbeiteten Rahmenhygieneplänen für die Kindertagesbetreuung und heilpädagogischen Tagesstätten (Rahmenhygieneplan KiTA) sowie zur Umsetzung des Schutz- und Hygienekonzepts für Schulen nach der jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (Rahmenhygieneplan Schulen) angelegt. Die angeordneten Maßnahmen seien geeignet, erforderlich und angemessen zur Erreichung der Zwecke.
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Auf den weiteren Inhalt der Allgemeinverfügung des Landratsamts ... vom 26. Oktober 2020 wird ergänzend Bezug genommen.
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Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 6. November 2020 im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Nr. 2 der Allgemeinverfügung des Landratsamtes ... vom 26. Oktober 2020 wird angeordnet.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich der Antragsteller mit seinem Antrag gegen Nr. 2 der Allgemeinverfügung vom 26. Oktober 2020 wendet. Bereits am 21. Oktober 2020 habe die Schulleitung des vom Antragsteller besuchten Gymnasiums mitgeteilt, dass aufgrund der verschärften Regelungen die Teilung auch in der Klasse des Antragstellers erfolge und dieser nunmehr im Wechselbetrieb zwischen Präsenz- und Distanzunterricht beschult werde. Der Antragsteller erachte die in Nr. 2 der Allgemeinverfügung getroffene Regelung für rechtswidrig und sehe sich in seinen subjektiven Rechten verletzt. Die Erhebung einer Anfechtungsklage in der Hauptsache bleibe vorbehalten. Die Regelung erweise sich deshalb als rechtswidrig, weil es keine geeignete Rechtsgrundlage für eine derartige Anordnung gebe. Der Verweis auf § 28 Abs. 1 IfSG gehe fehl, da es kein konkretes Infektionsgeschehen an der Schule des Antragstellers gebe. Die angegriffene Regelung sei jedenfalls unverhältnismäßig. Weder das Infektionsschutzgesetz, noch die 7. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, die zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung Gültigkeit gehabt habe, gebe zwingend vor, dass die Maskenpflicht neben der Einhaltung des Mindestabstands kumulativ anzuordnen sei und für den Fall, dass der Mindestabstand nicht eingehalten werden könne, die Klassen zu teilen und in einen Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht überzugehen sei. Der Antragsteller sei in seinen subjektiven Rechten verletzt, weil er auch nach den Herbstferien im Distanzunterricht beschult werden solle, obwohl es hierfür keine geeignete Rechtsgrundlage gebe.
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Auf die weiteren Ausführungen im Antragsschriftsatz vom 6. November 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Das Landratsamt ... ist für den Antragsgegner dem Antrag mit Schriftsatz vom 11. November 2020 entgegengetreten und beantragt,
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den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, im Landkreis ... seien die Infektionszahlen seit etwa zwei Wochen annähernd exponentiell gestiegen. Am 6. November 2020 habe die Inzidenzzahl 243,96 betragen. Dies sei der vierthöchste Inzidenzwert aller bayerischen Städte und Landkreise. Seither würden zwar die Inzidenzen wieder leicht sinken, hätten aber immer noch ein Niveau, das weit davon entfernt sei, das Infektionsgeschehen als eingrenzbar zu bezeichnen. Es sei weiterhin ein extrem diffuses Infektionsgeschehen zu beobachten. Es gebe viele unterschiedliche Infektionsherde im gesamten Landkreis ohne spezifische Clusterung. Die Infektionsherde könnten nur schwer eingegrenzt werden. In vielen Fällen ließe sich die Ansteckungsquelle nicht mehr ermitteln. Das Landratsamt sei daher als örtlich zuständige Gesundheitsbehörde aufgefordert, über sinnvolle Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens auch für die Schulen zu entscheiden. Es sei eine Gesamtbewertung unter Berücksichtigung aller infektionsschutzfachlichen Aspekte vorgenommen worden. Auf dieser Grundlage sei in Abstimmung mit der Schulaufsicht einvernehmlich festgelegt worden, für alle Schulen im Landkreis die im Rahmenhygieneplan festgelegten Maßnahmen der Stufe 3 (rot) auszurufen. Diese Entscheidung sei den Schulen noch am 20. Oktober 2020 übermittelt worden. Auch nach den Empfehlungen des RKI seien Maßnahmen zur Wahrung des Mindestabstands eine sinnvolle und geeignete Maßnahme zu Eindämmung des Infektionsgeschehens.
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Auf den weiteren Inhalt des Antragserwiderungsschriftsatzes vom 11. November 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage - gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann der Antrag auch bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage gestellt werden - ist zulässig, da Anfechtungsklagen gegen Maßnahmen nach dem IfSG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfalten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 28 Abs. 1, Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG), aber in der Sache unbegründet.
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a) Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Dabei trifft das Gericht im Rahmen einer summarischen Prüfung der sich im Zeitpunkt der Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene, originäre Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Wesentliches Element dieser Entscheidung sind die Erfolgsaussichten eines eventuellen Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung von Sach- und Rechtslage, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid als voraussichtlich rechtswidrig, so besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, hat es bei einer allgemeinen Interessenabwägung zu verbleiben.
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Streitgegenstand ist vorliegend die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 26. Oktober 2020. Maßgeblich für die Beurteilung des Rechtsstreits ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Abzustellen ist daher auf die Achte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV) vom 30. Oktober 2020, die am 2. November 2020 in Kraft und mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft tritt (§ 28 der 8. BayIfSMV).
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b) Der Antrag ist zulässig, da er sich gegen einen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) richtet.
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Die mit dem Eilantrag angegriffene Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 26. Oktober 2020 stellt einen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) dar. Es handelt sich um eine Maßnahme mit Regelungs- und Außenwirkung betreffend den Betrieb von Kindertagesstätten und Schulen im Landkreis .... Keinesfalls handelt es sich bei der mit dem Antrag angegriffenen Allgemeinverfügung um eine lediglich intern wirkende Regelung zur Organisation von Schulen bzw. Kindertagesstätten. Unmittelbar als Adressaten von der angegriffenen Regelung betroffen sind sowohl Schülerinnen und Schüler aller Jahrgangsstufen als auch Lehrkräfte und sonstiges unterrichtendes Personal. Vor diesem Hintergrund kann der angegriffenen Maßnahme nicht die für das Vorliegen eines Verwaltungsakts erforderliche Regelungs- bzw. Außenwirkung abgesprochen werden. Auch der Antragsteller, der derzeit die achte Jahrgangsstufe eines im Landkreis ... gelegenen Gymnasiums besucht, ist damit als Adressat der Allgemeinverfügung grundsätzlich antragsbefugt.
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2. Der vorliegende Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen die vom Landratsamt ... erlassene Allgemeinverfügung ist jedoch unbegründet.
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Die seitens des Gerichts vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers als Adressat der Allgemeinverfügung an der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage das öffentliche Interesse an der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung nicht überwiegt. Nach der im Eilverfahren lediglich gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in einer eventuellen Hauptsache stellt sich die hier allein streitgegenständliche Regelung unter Nr. 2 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 26. Oktober 2020 (betreffend die Festlegung von Mindestabständen zwischen Schülerinnen und Schülern in Unterrichtsräumen und ergänzenden Teilung der Klassen sowie Unterrichtung der Gruppen im wöchentlichen oder täglichen Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht bei fehlender Möglichkeit der Einhaltung von Mindestabständen) als voraussichtlich rechtmäßig dar.
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Die angegriffene Allgemeinverfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 IfSG. Diese Norm bestimmt u.a., dass dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen trifft. Die zuständige Behörde kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
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Die vom Antragsteller angegriffene Regelung der Allgemeinverfügung begegnet weder formellen noch materiellen Bedenken. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 IfSG liegen vor und das dem Antragsgegner eingeräumte Ermessen wurde pflichtgemäß ausgeübt.
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a) Zunächst besteht eine Gefahrenlage im Sinn des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Im Gebiet des Antragsgegners sind unstreitig Personen festgestellt worden, die sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert bzw. an der Lungenkrankheit COVID-19 erkrankt sind. Insoweit hat der Antragsgegner zutreffend auf die steigenden Inzidenzzahlen im Landkreis ... verwiesen. Am 11. November 2020 betrug die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner im Landkreis ... immer noch 192,73. Weiter handelt es sich bei der Lungenkrankheit COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinn von § 2 Nr. 3 IfSG. Die Anordnung von Mindestabständen und bei Nichteinhaltung von Mindestabständen die damit verbundene Teilung von Klassenverbänden und deren Unterrichtung im Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht stellt eine Schutzmaßnahme dar, die an dem Ziel ausgerichtet ist, die Verbreitung des Coronavirus und der damit verbundenen Lungenkrankheit COVID-19 zu verhindern.
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b) Die Anordnung von Mindestabständen und die sich hieran anknüpfenden Folgen bei Nichtwahrung von Mindestabständen aufgrund räumlicher Gegebenheiten kann zur weitgehenden Aufrechterhaltung des Präsenzunterrichtes rechtsfehlerfrei auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden. Die gesetzliche Regelung weist insoweit die erforderliche inhaltliche Bestimmtheit auf.
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c) Auch in Bezug auf das vom Antragsgegner ausgeübte Ermessen - Entschließungsermessen und Auswahlermessen - bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
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aa) Das Ermessen des Antragsgegners tätig zu werden (Entschließungsermessen) ist vorliegend nicht etwas deshalb eingeschränkt, weil über die Pflicht zur Wahrung von Mindestabständen bereits abschließend durch höherrangiges Recht entschieden worden wäre und dieses dem Erlass einer Allgemeinverfügung für den Schulbetrieb entgegenstünde. So regelt zwar § 1 Satz 2 der 8. BayIfSMV, dass, wo immer möglich, ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten ist. Zum Betrieb von Schulen ist in § 18 Abs. 1 Satz 1 der 8. BayIfSMV geregelt, dass Unterricht und sonstige Schulveranstaltungen sowie die Mittagsbetreuung an Schulen im Sinne des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) zulässig sind, wenn durch geeignete Maßnahmen sichergestellt ist, dass dem Infektionsschutz Rechnung getragen wird. Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 der 8. BayIfSMV haben die Schulen und die Träger der Mittagsbetreuung zu diesem Zweck ein Schutz- und Hygienekonzept auf der Grundlage eines ihnen von den Staatsministerien für Unterricht und Kultus und für Gesundheit und Pflege zur Verfügung gestellten Hygieneplans (Rahmenhygieneplan) auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. § 25 Satz 1 der 8. BayIfSMV bestimmt jedoch ergänzend, dass weitergehende Anordnung der örtlich für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes zuständigen Behörden unberührt bleiben. So können nach § 25 Satz 2 der 8. BayIfSMV die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden, auch soweit in dieser Verordnung Schutzmaßnahmen oder Schutz- und Hygienekonzepte vorgeschrieben sind, im Einzelfall ergänzende Anordnungen erlassen, soweit dies aus infektionsschutzrechtlicher Sicht erforderlich ist. Die Regelungen der 8. BayIfSMV können daher durch Allgemeinverfügungen unterer Gesundheitsbehörden verschärft bzw. ergänzt werden. Im Einzelfall ist es sogar zulässig, ein vollständiges Abweichen aufgrund einer örtlichen Gefahrenlage vorzunehmen (vgl. Kießling, Infektionsschutzgesetz, 1. Aufl. 2020, § 32 Rn. 27, zitiert nach beck-online).
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bb) Der Antragsgegner hat auch das ihm eingeräumte Handlungsermessen (Auswahlermessen) rechtsfehlerfrei ausgeübt.
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Zunächst hat er in zulässiger Weise in der Form einer Allgemeinverfügung nach § 28 IfSG gehandelt. Diese Handlungsform ist nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG für die konkret-generelle Regelung eines Sachverhalts vorgesehen. Ein solcher liegt hier vor, da die Allgemeinverfügung einen konkreten Einzelfall, nämlich die Wahrung der Abstandsregeln an sämtlichen Schulen im Landkreis ... mit dem Ziel der größtmöglichen Wahrung eines Präsenzunterrichts regelt. Anders als ein Verwaltungsakt im Sinn von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG richtet sich die Allgemeinverfügung jedoch nicht an ein einzelnes Individuum, sondern einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Personenkreis, nämlich an die Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Jahrgangsstufen, deren Lehrkräfte und sonstiges unterrichtendes Personal.
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Der Regelung mittels Allgemeinverfügung steht nicht entgegen, dass es - nach Angaben des Antragstellers bzw. dessen Bevollmächtigten - an dem vom Antragsteller besuchten Gymnasium noch nicht zu einem Ausbruch des Infektionsgeschehens gekommen ist. Für die Annahme einer konkreten Regelung, die Voraussetzung einer rechtmäßigen Allgemeinverfügung nach § 28 IfSG ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn sie einen konkreten Fallbezug aufweist, der einen nach konkreten Merkmalen eingrenzbaren Sachverhalt erfasst (Vgl. Gärditz/Abdulsalam: Rechtsverordnungen als Instrument der Epidemie-Bekämpfung, GSZ 2020, 108, 112 ff., zitiert nach beck-online). Selbst wenn man für den Erlass einer Allgemeinverfügung nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG das Vorliegen einer konkreten Gefahr im Sinn des allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsrechts verlangen wollte (so Kießling, a.a.O., § 32, Rn. 14 f.), so läge eine solche in Bezug auf den Geltungsbereich der angegriffenen Allgemeinverfügung voraussichtlich vor. Im Landkreis ... ist es ausweislich der aktuellen 7-Tage-Inzidenzzahlen zu einem diffusen Ausbruchsgeschehen der Erkrankung COVID-19 und damit der Verbreitung des Coronavirus gekommen. Damit bestand aber für den Antragsgegner die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass in absehbarer Zeit eine infektionsschutzrechtliche Gefahrenlage eintreten wird, die den Antragsgegner zu den von ihm gewählten Handeln berechtigt. In diesem Zusammenhang darf nämlich nicht vernachlässigt werden, dass die Regelungen des IfSG der staatlichen Risikovorsorge als Teilbereich des öffentlichen Gesundheitsrechtes zuzuordnen sind (Gärditz/Abdulsalam, a.a.O., GSZ 2020, 108, 113, zitiert nach beck-online). Dem Antragsgegner ist darin zuzustimmen, dass die Entwicklung der Inzidenzzahlen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der getroffenen Allgemeinverfügung beachtlich ist, denn diese muss als Dauerverwaltungsakt während ihrer gesamten Gültigkeit gerechtfertigt sein.
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d) Die Anordnung von Mindestabständen zur Wahrung des Präsenzunterrichtes mit der Folge der Teilung von Klassen und damit verbundenem Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht ist auch verhältnismäßig.
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Die im Wege der Allgemeinverfügung angeordneten Maßnahmen verfolgen einen legitimen Zweck, nämlich eine weitere Ausbreitung des Coronavirus zu erschweren, um eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems und weitere Erkrankungs- und Todesfälle zu vermeiden. Gleichzeitig soll weiterhin - soweit möglich - ein Präsenzunterricht an Schulen ermöglicht werden.
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Die getroffenen Regelungen sind auch erforderlich, denn es sind keine weniger belastenden Mittel zur Eindämmung schulischer Infektionsgefahren erkennbar. Je größer der Abstand zwischen den einzelnen Schülern ist, umso wirksamer kann die Verbreitung des Virus unterbunden werden. Vor diesem Hintergrund begegnet auch die in der Allgemeinverfügung getroffene Regelung, bei Nichteinhaltung des Mindestabstands, die Klassen zu teilen und in den wöchentlichen bzw. täglichen Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht einzutreten, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bestehen für einzelne von der Allgemeinverfügung betroffene Schulen keine räumlichen Möglichkeiten, den erforderlichen Mindestabstand von 1,5 m zwischen den einzelnen Schülern und Schülerinnen zu wahren, so ist es zur Aufrechterhaltung des staatlichen Unterrichtsauftrags zwingend geboten, Klassen zu teilen und einen Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht einzuführen. Die mit dem Wechsel verbundene Reduzierung der Schülerzahlen begegnet überdies auch Ansteckungsrisiken bei der Schülerbeförderung. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die mit der Allgemeinverfügung getroffenen Maßnahmen ein deutlich milderes Mittel gegenüber einer ebenfalls möglichen lokalen Schulschließung darstellen (so auch HessVGH, B.v. 27.10.2020 - 8 B 2597/20 - juris Rn. 39 zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Unterricht).
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Schließlich sind die angegriffenen Regelungen auch angemessen, d.h. die Nachteile für den Antragsteller als von der Regelung betroffenem Schüler stehen nicht außer Verhältnis zu den bezweckten Vorteilen in Bezug auf den Gesundheitsschutz der Allgemeinheit. Die für den Antragsteller geltend gemachten Beeinträchtigungen durch den Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht treten nach Auffassung der Kammer hinter dem von Antragsgegner verfolgten legitimen Ziel, das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell sehr großen Zahl von Menschen zur schützen und damit den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) ergebenden staatlichen Schutzauftrag zu erfüllen, indem Neuinfektionen mit dem Coronavirus möglichst verhindert bzw. eingedämmt werden sollen, zurück. Der Schulbetrieb kann bei der Betrachtung des Infektionsgeschehens auch nicht vollständig außer Betracht bleiben. Die vorzunehmende Abwägung geht hierbei zu Lasten des Antragstellers. Denn in eine solche Abwägung sind neben den vom Antragsteller geltend gemachten Belangen auch die Belange anderer Schüler und der Allgemeinheit mit einzubeziehen, zu denen in erster Linie eine weitere Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus, der Erhalt der Funktionsfähigkeit der Gesundheitseinrichtungen und auch der staatlichen Einrichtungen, d.h. auch der Schulen, gehören.
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3. Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Der in einer eventuellen Hauptsache festzusetzende Streitwert in Höhe von 5.000,00 EUR (§ 52 Abs. 2 GKG) wurde vorliegend im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Sonderbeilage BayVBl. Januar 2014) halbiert.