Titel:
Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldanspruch eines Polizisten
Normenketten:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 2 S. 1, S. 2, Abs. 3 S. 1
BayBeamtVG Art. 52, Art. 62
ZPO § 287, § 331 Abs. 1, § 755
Leitsätze:
1. Ein rechtskräftig festgestellter Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten liegt auch vor, wenn der Anspruch durch ein Versäumnisurteil zugesprochen wurde. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Dienstherr kann die bei einem Versäumnisurteil fehlende inhaltliche Kontrolle durch das Zivilgericht nicht durch eine eigene Angemessenheitsprüfung oder Plausibilitätskontrolle ersetzen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat der Beamte bei unbekanntem Aufenthalt des Schädigers die zumutbaren Eigenbemühungen ausgeschöpft, so ist dies grundsätzlich einem fehlgeschlagenen Vollstreckungsversuch gleichzusetzen. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
4. Übersteigt das zugesprochene Schmerzensgeld die Bagatellgrenze, so ist dem Diensthern die Verneinung einer unbilligen Härte im Wege dee Ermessensausübung verwehrt. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruches, Vorliegen eines Versäumnisurteils, ausreichende Vollstreckungsversuche bei unbekannten Aufenthalts des Schädigers, Schmerzensgeldanspruch, Schmerzensgeld, Erfüllungsübernahme, Ermessensentscheidung, Dienstunfall, Angemessenheit, Plausibilität, unbillige Härte
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 19.04.2021 – 3 BV 20.2837
Fundstelle:
BeckRS 2020, 32215
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes …, Dienststelle …, Bezügestelle Dienstunfall, vom 26. September 2019, Gz. …, verpflichtet, an den Kläger 1.200,00 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 7. November 2019 zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruches.
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Der … 1973 geborene Kläger steht als Polizeioberkommissar der Besoldungsgruppe A 10 im Polizeivollzugsdienst des Beklagten. Er wird in der Polizeiinspektion …-Stadt eingesetzt.
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Im Rahmen des Dienstes übernahm der Kläger mit seinem Kollegen am 4. November 2017 gegen 21:08 Uhr die Sachbehandlung aufgrund einer aggressiven und stark angetrunkenen Person. Nachdem der Person die polizeiliche Ingewahrsamnahme eröffnet worden war, musste der spätere Schädiger mittels unmittelbarem Zwang zu Boden gebracht werden. Bei einem Befreiungsversuch, bei dem der Schädiger ruckartig aufstand und massiv um sich schlug, wurde der rechte Daumen des Klägers stark nach hinten verbogen. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung wurde der Kläger umgestoßen und fiel auf die rechte Hand, als er sich nach hinten abstützen wollte.
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Mit Attest der Unfallchirurgischen Abteilung in der Chirurgischen Klinik … vom 6. November 2017 wurde daraufhin eine Distorsion D1 rechts und eine oberflächliche Weichteilverletzung des linken Kniegelenks attestiert.
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Aufgrund des Antrages auf Anerkennung eines Dienstunfalls mit Formular vom 7. Januar 2018 wurde mit Bescheid des Landesamtes … - Dienststelle … - vom 21. Februar 2018 der Unfall vom 4. November 2017 als Dienstunfall anerkannt und als Dienstunfallfolgen die Distorsion des rechten Daumens und eine Weichteilverletzung des linken Kniegelenks festgestellt.
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Mit Antragsformular vom 12. Dezember 2018 beantragte der Kläger beim Landesamt … - Dienststelle … - die Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen nach Art. 97 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG). Dem Antrag waren beigefügt drei Mitteilungen des Bevollmächtigten des Klägers vom 27. März 2018, 21. Juni 2018 und 6. August 2018, aus denen sich ergibt, dass das Forderungsschreiben dem Schädiger nicht habe zugestellt werden können und dieser sich auch der Strafverfolgungsbehörde entziehe, eine Klage an das Amtsgericht … vom 6. August 2018, mit der ein Schmerzensgeld von mindestens 1.200,00 EUR nebst Zinsen geltend gemacht worden ist, und ein Versäumnisurteil des Amtsgerichts … vom 23. Oktober 2018 - Az. … -, mit dem der Schädiger verurteilt worden war, an den Kläger u.a. 1.200,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Oktober 2018 zu zahlen.
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Mit Bescheid des Landesamtes … - Dienststelle … - vom 26. September 2019, zur Post gegeben am 9. Oktober 2019, lehnte der Beklagte den Antrag auf Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen ab. Zur Begründung wurde festgestellt, dass in der Gesamtschau der geltend gemachte Betrag von 1.200,00 EUR als unangemessen eingestuft werde. Verwiesen wurde insoweit auf folgende Entscheidungen aus der Beck‘schen Schmerzensgeldtabelle:
- 204,52 EUR (preisindexbereinigt: 360,43 EUR) Fingerverletzung (hier: Schmerzhafte Daumendistorsion rechts); Knieprellung - Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus Nr. 106, OLG Hamm, 10.12.1986, Az.: 13 U 39/86
- 500,00 EUR (preisindexbereinigt: 516,42 EUR) Schädelprellung und Fingerstauchung rechts sowie HWS-Syndrom, einfaches - Schmerzgeldtabelle IMMDAT Plus Nr. 5453, AG Landau, 28.06.2016, Az.: 1 S 155/15
- 500,00 EUR (preisindexbereinigt: 628,33 EUR) Knieverletzung/Knieprellung (hier: Abschürfungen und eine Knieprellung) - Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus Nr. 3196, OLG Braunschweig, 20.11.2002, Az.: 3 U 47/02 Beträge in der Größenordnung des geltend gemachten Schmerzensgeldes von 1.200,00 EUR seien bei Hinzutreten erheblicher weiterer Verletzungsfolgen zugesprochen worden, etwa bei:
- 1.000,00 EUR (preisindexbereinigt: 1.125,81 EUR) Kniegelenkprellung (hier: Kniegelenkhämatom/Kniegelenkbluterguss mit lang anhaltender, erheblicher Schmerzhaftigkeit) sowie Unterschenkelverletzung in Form einer Distorsion - Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus Nr. 4161, LG Dresden, 15.05.2009, Az.: 5 O 48/09
- 1.022,58 EUR (preisindexbereinigt: 1.347,00 EUR) Fingerfraktur (hier: Daumenfraktur rechts) - Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus Nr. 283, OLG Brandenburg, 22.06.1999, Az.: 2 U 45/97
- 1.500,00 EUR (preisindexbereinigt: 1.549,25 EUR) Fingerverletzung (hier: knöchernder Fingerstrecksehnenabriss am kleinen Finger [= D5] rechts) sowie Gehirnerschütterung - Schmerzensgeldtabelle IMMDAT Plus Nr. 5237, AG Karlsruhe, 05.12.2016, Az.: 32 C 3057/15.
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Hiergegen ließ der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 6. November 2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach am 7. November 2019, Klage erheben.
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Mit weiterem Schriftsatz vom 28. November 2019 ließ der Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26. September 2019 zur Zahlung einer Erfüllungsübernahme in Höhe von 1.200,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an den Kläger zu verurteilen.
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Zur Begründung trug der Bevollmächtigte des Klägers unter Darstellung des zugrundeliegenden Sachverhaltes vor, dass die Frage, ob und inwieweit der Beklagte bei Anträgen auf Erfüllungsübernahme zu einer Angemessenheitsprüfung berechtigt sei, Gegenstand verschiedener verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen und Verfahren gewesen sei. Neben dem Verweis auf das Urteil der streitentscheidenden Kammer vom 25. Juli 2019 (AN 1 K 18.01545) verwies der Bevollmächtigte des Klägers auch auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 17. September 2019 (W 1 K 18.1441), in dem sogar bei einem Vollstreckungsbescheid angenommen worden sei, dass der Beklagte verpflichtet sei, im Rahmen einer Ermessensentscheidung selbst die konkrete Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes zu bestimmen und in dieser Höhe eine Erfüllungsübernahme vorzunehmen. Dies lasse den „Erst-Recht“-Schluss zu, dass bei einer entsprechenden Prüfung durch das angerufene Zivilgericht - wie hier - der Prüfungsumfang sich darauf beschränke, eine missbräuchliche Beanspruchung des Dienstherrn zu verhindern.
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Auch vorliegend zeige sich eine Systematik des Beklagten, bei der er bei der von ihm durchgeführten Überprüfung der Schmerzensgeldhöhe methodisch falsch vorgehe und hierdurch angebliche Vergleichsfälle ermittle, die in tatsächlicher Hinsicht jedoch nicht vergleichbar seien, womit der Beklagte zu seiner fehlerhaften Rechtsmeinung hinsichtlich der Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes gelange. Dies sei vorliegend anhand der Vorgangsakte des Beklagten sehr gut dokumentiert. In der Vorgangsakte befänden sich Ausdrucke aus einer Online-Schmerzensgeldtabelle zu den insgesamt sechs von ihm angeführten Urteilen. Aus den zu insgesamt fünf Urteilen aufgefundenen Informationen ergebe sich, dass diese Fälle jedoch nicht vergleichbar seien. Bei dem Urteil des AG Landau (Az.: 1 S 155/15) sei dem Beklagten offensichtlich nicht bekannt, dass sich die dort genannte Fingerstauchung auf den kleinen Finger bezogen habe. Der Beklagte möge vortragen, weshalb er davon ausgehe, dass eine Verletzung des kleinen Fingers mit einer Verletzung des Daumens vergleichbar sei. Nach hiesiger Einschätzung unterschieden sich die Beeinträchtigungen der Lebensführung ganz erheblich, da der Daumen bei nahezu jeder Verwendung der rechten Hand benötigt werde, während auf die Verwendung des kleinen Fingers meist ohne große Einschränkung verzichtet werden könne.
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Das Urteil des OLG Braunschweig (3 U 47/02) beziehe sich - ebenso wie das Urteil des OLG Brandenburg (2 U 45/97) und das Urteil des LG Dresden (5 O 48/09) - auf eine Schädigung, die durch eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht erfolgt sei. Aus Sicht der Klägerseite sei jedoch eine Schädigung durch eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht selbst dann nicht mit einem vorsätzlichen Angriff auf einen uniformierten Polizeibeamten vergleichbar, wenn die Verkehrssicherungspflicht vorsätzlich verletzt worden wäre. Der Vorwurf bestehe dann nur in einem Unterlassen und der Geschädigte habe zumindest die theoretische Möglichkeit, den Schadenseintritt durch eine besondere Aufmerksamkeit oder Vorsicht selbst zu verhindern, während bei einem vorsätzlichen Angriff bzw. einem Polizeieinsatz, zu dem der Kläger dienstlich verpflichtet sei, diese Möglichkeit nicht bestehe. Daneben falle aber auch bei einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in der typischen Form einer leichten Fahrlässigkeit bei der Schmerzensgeldbemessung die Genugtuungsfunktion nicht ins Gewicht. Das angeführte Urteil des AG Karlsruhe - gemeint sei wohl das Urteil des AG Frankfurt, Az.32 C 3057/15 - betreffe einen Unfall zwischen einem Radfahrer und einem Inlineskater, bei dem zudem die Unfallentstehung wohl darauf beruhe, dass der Inlineskater von einer Rechts-vor-Links-Verkehrssituation ausgegangen sei, während die Einschätzung der Verkehrslage durch den Radfahrer zutreffend gewesen sei, dass der Inlineskater aus dem Nebenweg auf den Hauptverkehrsweg habe einfahren wollen und deshalb keine Vorfahrt gehabt habe. Hier lasse sich ohne intensive Prüfung feststellen, dass die Fahrlässigkeit des Inlineskaters auf einer vertretbaren Fehleinschätzung der Vorfahrtsregelung beruhe und somit nur leichteste Fahrlässigkeit vorliege.
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Leider halte es der Beklagte nicht für geboten, die von ihm angeführten Urteile auch tatsächlich zu lesen, wie dies dem Klägervertreter problemlos möglich gewesen sei, sondern verlasse sich blind darauf, dass jedes Urteil mit einer ähnlichen Verletzung vergleichbar sei. Auf die Qualität der vom Beklagten verwendete Schmerzensgeldtabelle dürfe auch kritisch hingewiesen werden, da diese offenkundig Urteile den falschen Gerichten zuordne. Der Beklagte halte unbeirrt an dem Standpunkt fest, dass es für eine Bewertung von Schmerzensgeldbeträgen aus seiner Sicht vollkommen ausreichend sei, schematisch den Angaben in Schmerzensgeldsammlungen zu vertrauen und es nicht erforderlich sei, eine konkrete Überprüfung anhand der Urteile vorzunehmen, ob diese mit dem jeweiligen Fall vergleichbar seien. Hierbei handle es sich um eine rechtsirrige Auffassung, bei der bislang noch nicht bekannt sei, ob der Beklagte sich diese irrige Auffassung selbst gebildet habe. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung, die hier wohl maßgeblich sein werde, gehe jedenfalls einhellig davon aus, dass für die Berechnung eines Schmerzensgeldes der jeweilige Einzelfall zu betrachten sei und Urteile anderer Verfahren lediglich als erster Anhaltspunkt herangezogen werden könnten, von dem aus die individuellen Umstände des Einzelfalls zum konkret angemessenen Schmerzensgeld führten. Es sei unbegreiflich, dass der Beklagte trotz des ihm bekannten Umstandes, dass seine Auffassung bislang durch kein Gericht geteilt worden sei, dennoch an seiner Auffassung festhalte anstatt mit einer sinnvollen Prüfung des Schmerzensgeldanspruches anhand hierfür bestehender und bewährter zivilrechtlicher Kriterien unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls die zutreffende Höhe zu ermitteln. Dies führe dazu, dass der Beklagte einen vielfach erhöhten Aufwand an personellen und finanziellen Ressourcen in die Führung von aussichtslosen Verwaltungsprozessen zur Durchsetzung seiner Rechtsauffassung investiere, als anfallen würde, um die von ihm aufgefundenen Urteile danach zu sichten, ob dies auf vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltensweisen beruhe und fahrlässig verursachte Schäden ausschieden.
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Da das vom Beklagten angeführte Urteil des OLG Hamm (13 U 39/86) nicht als veröffentlichungswürdig eingestuft werde, werde an dieser Stelle angeregt, dem Beklagten auch aufzugeben, in der Klageerwiderung konkret vorzutragen, welcher Lebenssachverhalt diesem Urteil zugrunde liege, ob die Verletzung dort vorsätzlich oder fahrlässig verursacht worden sei und in welcher Form - da in der Akte hierzu nichts dokumentiert sei - er den Umstand berücksichtige, dass das Urteil bereits 35 Jahre alt sei und in diesem Zeitraum die üblichen Schmerzensgeldbeträge in der Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland erheblich angestiegen seien. Zur Beschleunigung werde auch angeregt, dem Beklagten aufzugeben, konkret vorzutragen, ob und ggf. welche Tatsachen aus seiner Sicht der Beklagte im Zivilprozess hätte vortragen können, um das Zivilgericht zu einer anderen Bewertung des Sachverhaltes in tatsächlicher Hinsicht zu bringen. Hier stehe allerdings zu erwarten, dass der Beklagte ausschließlich Kritik an der Rechtsanwendung durch das Gericht übe. Es erscheine sinnvoll, den Richter am Amtsgericht …, zu laden über das Amtsgericht …, als Zeugen darüber zu vernehmen, ob und in welcher Form er bei der Bemessung des Schmerzensgeldbetrages vorgegangen sei.
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Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz des Landesamtes … - Dienststelle … - vom 14. Februar 2020,
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Unter Wiederholung des Sachverhaltes wies der Beklagte darauf hin, dass Vollstreckungsversuche nicht unternommen worden seien, da der Schädiger nach Angaben des Klägervertreters unbekannt verzogen sei.
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Zur Begründung des Antrages auf Klageabweisung verwies er auf die Begründung des Bescheides vom 26. September 2019 und führte aus, dass Art. 97 BayBG die allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten ergänze, indem er diesen nach rechtswidrigen Angriffen, die Beamte bei Ausübung des Dienstes erlitten hätten, das Ausfallrisiko für zivilrechtliche Schmerzensgeldansprüche nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen gegen den eigentlichen Schädiger abnehme. Dabei sei zum einen zu berücksichtigen, dass sonstige Unfallfolgen bereits über die gesetzliche Dienstunfallfürsorge gemäß Art. 45 ff. BayBeamtVG abgesichert seien, zum anderen, dass es sich beim Schmerzensgeld um einen höchstpersönlichen Anspruch des Beamten handle. Daher sei die Erfüllungsübernahme als ergänzende Fürsorgeleistung darauf beschränkt, unbillige Härten zu vermeiden, die sich aus dem Ausfall bei vermögenslosen Schädigern ergeben könnten. Vorliegend fehle es schon an einer rechtskräftigen Feststellung des Schmerzensgeldanspruches im Sinne des Art. 97 BayBG. Tatbestandliche Voraussetzung einer Erfüllungsübernahme sei ein rechtskräftig festgestellter Schmerzensgeldanspruch des Beamten gegen einen Dritten. Dabei sei regelmäßig das zivilrechtlich für angemessen anerkannte Schmerzensgeld zu Grunde zu legen. Dies setze voraus, dass eine nachvollziehbare zivilgerichtliche Prüfung des Anspruches nach Grund und Höhe stattgefunden habe. Nur so könnten zivilprozessual zwar zulässige, von der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht aber nicht gedeckte Gestaltungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Denn der Dienstherr könne nur im Rahmen seiner Fürsorgepflicht als Grundlage des Art. 97 BayBG zur Erfüllungsübernahme verpflichtet sein. Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG stelle aus diesem Grund gerichtliche Vergleiche einer rechtskräftigen Feststellung nur dann gleich, wenn das Schmerzensgeld der Höhe nach angemessen sei. Damit sei dem Umstand Rechnung getragen, dass bei einem Vergleich der Parteien im Zivilprozess eine richterliche Kontrolle nicht in dem Maße unterstellt werden könne wie bei streitigen Entscheidungen. Für Versäumnisurteile könne nichts anderes gelten. Das Zivilgericht sei durch die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 ZPO an den Sachvortrag des Klägers gebunden, habe aber gleichwohl unter Zugrundelegung dieses Vortrags auch über die Schlüssigkeit der Klage zu entscheiden. Dies gelte insbesondere bei Schmerzensgeldklagen, bei denen die Festsetzung des angemessenen Betrages in das richterliche Ermessen gestellt werde. Eine umfassende richterliche Prüfung ließen Versäumnisurteile aus sich heraus in der Regel nicht erkennen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe fehlten. Ohne weitere Prüfung könne daher ähnlich wie bei einem Vergleich nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass der geltend gemachte Schmerzensgeldbetrag angemessen sei und eine Feststellung des Anspruchs im Sinne des Art. 97 BayBG stattgefunden habe. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts … vom 23. Oktober 2018 enthalte keine Ausführungen zur Angemessenheit des Schmerzensgeldbetrages. Es sei ersichtlich nur der mit der Klageschrift geltend gemachte Betrag übernommen worden. Ob die Angemessenheit zwischen erlittener Verletzung und dem geltend gemachten Betrag näher geprüft worden sei, lasse sich dem Urteil nicht entnehmen.
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Jedenfalls sei aber der festgesetzte Betrag von 1.200,00 EUR für die erlittene Verletzung nicht angemessen, sondern überhöht. Hierzu werde auf die im Bescheid vom 6. Februar 2019 zitierten vergleichbaren Urteile verwiesen. Richtig sei, dass die zitierten Urteile den aktuellen Schmerzensgeldtabellen entnommen worden seien und dort im Wesentlichen auf die Art der erlittenen Verletzung abgestellt werde. Zum Urteil des OLG Hamm (Az.: 13 U 39/86) liege hier auch nur der Auszug laut Schmerzensgeldtabelle vor. Bei der Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass vergleichbare Verletzungen annähernd gleiche Entschädigungen zur Folge hätten. Als Orientierungsrahmen komme hierfür die auf einer Auswertung zahlreicher Gerichtsentscheidungen beruhenden Schmerzensgeldtabellen in Betracht (vgl. Münchner Kommentar zum BGB § 253 Rn. 37). Weiter sei auch hinsichtlich des zitierten Urteils OLG Hamm darauf hinzuweisen, dass das Alter der Urteile durch die preisindexierte Bereinigung der Schmerzensgeldhöhe berücksichtigt worden sei. Auch unter Berücksichtigung der seither erfolgten Preissteigerungen ergebe sich trotzdem noch ein auffallendes Missverhältnis. Selbst preisindexbereinigt bewegten sich die zugesprochenen Schmerzensgelder in einem Bereich, der nur rund 50% des hier zugesprochenen Schmerzensgeldes betrage.
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Soweit der Kläger darauf hinweise, dass neben den erlittenen Verletzungen auch die Genugtuungsfunktion erhöhend zu berücksichtigen sei, so möge dies zutreffen, die Beachtung dieses Aspekts könne jedoch allenfalls zu einer maßvollen Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages führen. Keinesfalls wäre deswegen eine Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages um 50% angemessen. Was die Kritik der Klagepartei an den vergleichsweise angeführten Fällen angehe, so beträfen diese zwar nicht einen in jeder Hinsicht identischen Sachverhalt, könnten aber zur Prüfung der Angemessenheit dennoch herangezogen werden.
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Selbst bei Abweichung der zitierten Urteile von dem Sachverhalt im Einzelnen ändere dies nichts daran, dass umgekehrt aus den Schmerzensgeldtabellen keine Rechtsprechung ersichtlich sei, nach der für vergleichbar leichte Verletzungen, wie der hier vorliegenden, ein ähnlich hoher Schmerzensgeldbetrag zugebilligt worden sei. Schmerzensgeldbeträge in der verlangten Größenordnung würden regelmäßig nur zugebilligt bei knöchernen oder sonstigen erheblichen strukturellen Verletzungen mit erheblichen, teilweise dauerhaften Verletzungsfolgen.
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Somit fehle es schon an einer rechtskräftigen Feststellung des Schmerzensgeldanspruches im Sinne des Art. 97 BayBG.
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Überdies habe der Kläger bislang keine erfolglosen Vollstreckungsversuche nachgewiesen. Eine unbillige Härte im Sinne des Art. 97 BayBG könne erst dann angenommen werden, wenn die in Art. 97 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 BayBG genannten Voraussetzungen erfolgloser Vollstreckungsversuche erfüllt seien. Zwar könne in Fällen wie hier, in denen der Schädiger unauffindbar untergetaucht sei, nach öffentlicher Zustellung des Vollstreckungstitels auf den Nachweis von weiteren Vollstreckungsversuchen verzichtet werden. Jedoch bedürfe es hierfür zusätzlich des Nachweises, dass der Kläger umfangreiche Eigenbemühungen zur Aufenthaltsermittlung gemäß § 755 ZPO unternommen habe oder weitere Bemühungen angesichts der Tatsache, dass auch die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden erfolglos waren, aussichtslos seien. Ein entsprechender Nachweis sei bislang nicht erbracht worden.
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Der Vertreter des Klägers erwiderte mit Schriftsatz vom 18. März 2020, dass den Ausführungen des Beklagten hinsichtlich der Vollstreckungsversuche entschieden entgegengetreten werde. Bereits in der Klagebegründung zum Amtsgericht … werde ausdrücklich aufgeführt, dass zur Glaubhaftmachung des Umstandes, dass den Strafverfolgungsbehörden der Aufenthaltsort des Schädigers nicht bekannt sei, eine Verfügung der Staatsanwaltschaft … vorgelegt worden sei. Dem Zivilgericht gegenüber sei demnach selbstverständlich der Nachweis erbracht worden, dass auf Grund der Erfolglosigkeit der Aufenthaltsermittlung durch die Strafverfolgungsbehörden eigene Ermittlungen des Klägers aussichtslos seien. Dies ergebe sich zweifelsfrei aus AS 8 der Behördenakte. Insoweit werde auf die Pflicht einer Behörde im Gerichtsverfahren hingewiesen, wahrheitsgemäß und vollständig vorzutragen, wozu es zumindest gehöre, den eigenen Vorgangsakt zutreffend wiederzugeben. Hieran zeige sich die grundsätzliche Sorgfalt, mit der der Beklagte Anträge auf Erfüllungsübernahme bearbeite. Es dürfe auch darauf hingewiesen werden, dass die Rechtsauffassung des Beklagten zur Schmerzensgeldhöhe bislang noch in keiner verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestätig worden sei, sondern nach hiesigem Kenntnisstand ausschließlich von Beschäftigten des Landesamtes … und des Staatsministeriums … vertreten werde. Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der aufgeführten Urteile werde auf die Darstellungen in der Klageschrift verwiesen. Die Behauptung des Beklagten, dass veraltete Schmerzensgeldurteile auf Grund der Preisindexierung vergleichbar seien, sei unzutreffend. In anderen Erfüllungsübernahmeakten des Beklagten werde diese Information unmittelbar bei den jeweiligen Schmerzensgeldurteilen dem Leser der Tabelle unmissverständlich zur Kenntnis gegeben. Allein aus dem Umstand, dass diese Information durch den Beklagten nunmehr nicht mehr zur Akte genommen werde, bedeute allerdings nicht, dass sie unzutreffend sei. Entscheidend für die fehlerhafte Rechtsmeinung des Beklagten sei allerdings weiterhin der Umstand, dass dieser die Urteile in anderen Fällen nicht zum Ausgangspunkt seiner Bewertung mache, sondern diese als den Endpunkt betrachte und die Unterschiede der zugrundeliegenden Sachverhalte bereits nicht zur Kenntnis nehme, da er aktenkundig keine Bemühungen unternehme, die tatsächlichen Urteile zu sichten. Soweit der Beklagte darauf hinweise, dass ihm das Urteil des OLG Hamm nicht bekannt sei, dürfe darauf hingewiesen werden, dass der Beklagte die Möglichkeit habe, ein derartiges Urteil beim jeweiligen Gericht anzufordern. Dies könne auch im Verwaltungsverfahren erfolgen, wenn der Beklagte tatsächlich der Auffassung sei, dass dieses Urteil für die Entscheidung über eine Erfüllungsübernahme antragsrelevant sei. Da der Beklagte aber selbst die unproblematisch verfügbaren Urteile nicht sichte, sondern ausschließlich auf Grundlage der Kurztexte der von ihm verwandten Schmerzensgeldtabelle agiere, werde angeregt, dem Beklagten aufzugeben, gegenüber dem Verwaltungsgericht nachzuweisen, dass der Herausgeber der Schmerzensgeldtabelle tatsächlich eine inhaltliche Verantwortung dahingehend übernehme, dass in seine Schmerzensgeldtabelle lediglich Urteile aufgenommen würden, die zum Zeitpunkt der jeweiligen Neuauflage auch noch repräsentativ seien. Es dürfte jedoch ausgeschlossen sein, dass der Herausgeber einer Schmerzensgeldtabelle eine derartige Verantwortung übernehme. Üblicherweise werde darauf verwiesen, dass der jeweilige Nutzer selbst die rechtliche Bewertung der in der Tabelle enthaltenen Informationen vornehme und sich eigenständig die Auffassung darüber bilde, ob ein bestimmter von ihm zu bewertender Lebenssachverhalt mit den dortigen Fällen vergleichbar sei. Dieser Akt der eigenständigen Rechtsanwendung könne auch nicht unter Verweis auf eine Kommentarstelle ersetzt werden, da es aus hiesiger Sicht selbst ohne Sichtung dieser Kommentarstelle wohl ausgeschlossen sein dürfte, dass der dortige Verfasser die Auffassung vertrete, dass die rein schematische Abarbeitung, die sich aus der Vorgangsakte des Beklagten ergebe, sachgerecht sei und alle Umstände des Einzelfalles berücksichtige.
24
Soweit der Beklagte angebe, dass er noch keinen aus seiner Perspektive ausreichenden Nachweis erhalten habe, dass der ursprüngliche Schädiger des Klägers unauffindbar sei, werde darum gebeten, dem Beklagten aufzugeben, konkret darzulegen, welche weiteren Maßnahmen aus seiner Sicht zielführend sein sollten. Es handle sich dabei nicht um eine Aufforderung an den Beklagten, den Kläger rechtlich zu beraten, sondern ausschließlich um die Aufforderung zu konkretisieren, mit welcher Form von Nachweisen der Beklagte die von ihm geführten Nachweise als erbracht erachte, da letztendlich der Beklagte vom Kläger lediglich tatsächlich mögliche Aktivitäten fordern könne.
25
Der Beklagte möge darstellen, ob und ggf. welche Ermittlungen durch die für den Regress gegen den Schädiger zuständige Stelle des Landesamtes … durchgeführt würden, um dessen Aufenthalt zu ermitteln, da aus hiesiger Sicht keine weitergehenden Anforderungen an die Aufenthaltsermittlung vom einzelnen geschädigten Beamten gefordert werden könnten, als die eigenen Bemühungen des Beklagten, den Schädiger wegen der Behandlungskosten des Klägers in Regress zu nehmen.
26
Mit weiterem Schreiben vom 15. Mai 2020 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, da die wesentlichen rechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Ansbach geklärt seien.
27
Der Beklagte teilte mit Schriftsatz vom 3. Juni 2020 mit, dass ebenfalls Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe.
28
Hinsichtlich der Frage der Erfolglosigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei der Ermittlung des Aufenthalts des Schädigers werde gebeten, die Verfügung der Staatsanwaltschaft … vom 13. Juli 2018, die sich nicht bei den Verwaltungsakten des streitgegenständlichen Vorgangs befänden, vorzulegen.
29
Dem kam der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 22. Juni 2020 nach. Es werde darauf hingewiesen, dass die Zivilgerichte üblicherweise in der Lage seien, zutreffend zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die öffentliche Zustellung einer Klage gegeben seien, weshalb es doch etwas erstaune, dass der Beklagte mehr als 18 Monate nach dem Zivilurteil glaube, die Einhaltung grundsätzlicher Verfahrensvorschriften durch das Amtsgericht … prüfen zu müssen.
30
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Behördenakte sowie der Akte des Amtsgerichts … im Verfahren … Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
31
Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.
32
Der Bescheid des Landesamts … - Dienststelle … - vom 26. September 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat einen Rechtsanspruch auf die im Klageverfahren geltend gemachte Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs durch den Beklagten.
33
Nach Art. 97 Abs. 1 BayBG kann der Dienstherr auf Antrag die Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruches bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrag übernehmen, sofern der Beamte oder die Beamtin wegen eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs, den er oder sie in Ausübung des Dienstes oder außerhalb des Dienstes wegen der Eigenschaft als Beamter oder Beamtin erleidet, einen rechtskräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten hat und die Erfüllungsübernahme zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Der rechtskräftigen Feststellung steht ein Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gleich, sobald er unwiderruflich und der Höhe nach angemessen ist.
34
Eine unbillige Härte liegt insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR erfolglos geblieben ist (Art. 97 Abs. 2 BayBG).
35
Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
36
Die genannten Voraussetzungen einer Erfüllungsübernahme sind vorliegend erfüllt.
37
Der Kläger wurde unstreitig am 4. November 2017 während eines dienstlichen Einsatzes Opfer eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs durch den Schädiger. Dieser sollte aufgrund seines aggressiven Verhaltens und seines stark angetrunkenen Zustands mittels unmittelbaren Zwangs in polizeilichen Gewahrsam genommen werden, versuchte sich zu befreien und schlug massiv um sich. Im Rahmen der weiteren Auseinandersetzung mit dem Schädiger wurde der Kläger umgestoßen und fiel auf die rechte Hand bei dem Versuch, sich nach hinten abzustützen.
38
Der Kläger wurde bei dem Einsatz durch den Schädiger körperlich verletzt. Dieser nahm die Schädigung des Klägers zumindest billigend in Kauf. Rechtsfertigungsgründe lagen nicht vor (vgl. Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, Stand 30.12.2019, Rn. 9 zu Art. 97 BayBG).
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Das Ereignis vom 4. November 2017 wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Landesamtes …, Dienststelle …, Bezügestelle Dienstunfall, vom 21. Februar 2018 als Dienstunfall mit den Dienstunfallfolgen Distorsion des rechten Daumens und eine Weichteilverletzung des linken Kniegelenks anerkannt.
40
Der Kläger erhob mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. August 2018 gegen den Schädiger vor dem Amtsgericht … eine Schadensersatzklage u.a. mit dem Antrag, den Schädiger zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 1.200,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Mit Versäumnisurteil des Amtsgerichts … vom 28. Oktober 2018 wurde der Schädiger verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.200,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 1. Oktober 2018 zu zahlen.
41
Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts … vom 23. Oktober 2018 ( …) begründet einen rechtkräftig festgestellten Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten -und ist damit ein geeigneter Titel im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG.
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Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des Art. 97 BayBG wird lediglich ein rechtskräftig festgestellter Anspruch auf Schmerzensgeld gegen einen Dritten gefordert. Ein solcher kann auch durch ein Versäumnisurteil im Sinne des § 331 ZPO zugesprochen werden. Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG unterscheidet seinem Wortlaut nach nicht, auf welche Weise die rechtskräftige Feststellung des Anspruchs zustande gekommen ist. Ein Versäumnisurteil erwächst ebenso wie ein Endurteil in formelle und materielle Rechtskraft, sodass dieses auch einen rechtskräftig festgestellten Anspruch im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG begründen kann. Im Übrigen hat der Kläger vor dem Zivilgericht keine Einflussmöglichkeiten darauf, ob sich der Schädiger gegen eine Klage verteidigt bzw. vor dem Gericht erscheint, sodass es willkürlich erscheint, die Anwendbarkeit des Art. 97 BayBG vom Prozessverhalten des Schädigers abhängig zu machen (VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 - W 1 K 19.792 - juris Rn. 19; Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, a.a.O., Rn. 21.1 - 21.3 zu Art. 97 BayBG).
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Hinsichtlich des Erfordernisses eines rechtskräftig festgestellten Anspruches auf Schmerzensgeld hat der Gesetzgeber (GVBl. 2014, 521) jedenfalls keine weiteren Einschränkungen gemacht. Weder die Erläuterungen zum Haushaltsgesetz 2015/2016 noch die Durchführungsbestimmungen hierzu enthalten hierfür Anhaltspunkte. Vielmehr wird dort ausgeführt, dass durch die Norm eine Verbesserung der Rechtsstellung des betroffenen Beamten herbeigeführt werden sollte, es sich jedoch um einen Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe handeln sollte. Demnach spricht auch die Intention des Gesetzgebers gegen eine restriktive Auslegung von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG.
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Im Übrigen zeigt auch die Vorschrift des Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG, dass Versäumnisurteile nicht vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen werden sollten. Lediglich für zivilgerichtliche Vergleiche nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wurde eine spezialgesetzliche Vorschrift geschaffen. Demnach war sich der Gesetzgeber bewusst, dass vor den Zivilgerichten geltend gemachte Ansprüche entweder keiner oder lediglich nur einer eingeschränkten richterlichen Kontrolle und Nachprüfung unterworfen sein können. Gleichwohl wurde für Versäumnisurteile, aber auch für Anerkenntnisurteile (vgl. VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 - AN 1 K 18.02510 - juris), keine spezialgesetzliche Regelung erlassen, die den Anwendungsbereich des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG diesbezüglich einschränken würde.
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Im Übrigen ist eine solche Einschränkung für ein Versäumnisurteil nach dem Sinn und Zweck der Norm auch nicht begründet. Bei Vergleichen findet keine richterliche Kontrolle dahingehend statt, ob der festgesetzte Schmerzensgeldanspruch durch die Schädigung gerechtfertigt ist. Insoweit muss es dem Beklagten möglich sein, die Angemessenheit des Schmerzensgeldes, der im Wege eines Vergleiches geregelt wird, zu überprüfen. Ein solcher Zweck ist bei einem Versäumnisurteil hingegen nicht gegeben. Zwar werden bei einem Versäumnisurteil die Tatsachenbehauptungen des Klägers als wahr unterstellt, jedoch hat auf der Rechtsfolgenseite das Gericht eine eigene Prüfung vorzunehmen, welcher Schmerzensgeldbetrag durch die Schädigung angemessen ist. So steht die Bestimmung des Schmerzensgeldes nach § 287 ZPO im Ermessen des Gerichts (VG Würzburg, U.v. 28.1.2020 - W 1 K 19.792 - juris Rn. 19).
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Die erkennende Kammer ist auch nicht der Auffassung, dass eine Angemessenheitsprüfung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal oder auf Rechtsfolgenseite im Rahmen des Ermessens eine Plausibilitätskontrolle durchzuführen ist (so aber Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, a.a.O., Rn. 21.5 zu Art. 97 BayBG). Es ist zutreffend, dass eine inhaltliche Kontrolle durch die Zivilgerichtsbarkeit nur bei streitigen Endurteilen stattfindet. Gleichwohl darf dies nicht zulasten des Klägers gehen, da er letztlich auf den Erlass eines Versäumnisurteiles keinen Einfluss nehmen kann und es somit unbillig wäre, eine Erfüllungsübernahme alleine deshalb abzulehnen, zumal das Gesetz eine derartige Rechtsfolge nicht vorsieht.
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Seitens des Beklagten ist auch keine Kontrolle des zivilgerichtlichen Versäumnisurteils der Höhe nach möglich. Das Gesetz sieht eine solche Möglichkeit lediglich in Art. 97 Abs. 1 Satz 2 BayBG für Vergleiche vor.
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Selbst wenn man dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass wegen der Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 ZPO der Tatsachenvortrag des Geschädigten als wahr unterstellt wird und bei Schmerzensgeldansprüchen auch nur ein Mindestbetrag genannt werden muss, könnte sich eine Plausibilitätskontrolle den Beklagten lediglich darauf beschränken, einen Rechtsmissbrauch auszuschließen.
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Anhaltspunkte hierfür sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Insbesondere hat der Kläger in dem zivilgerichtlichen Verfahren den Sachverhalt im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der Unfallschilderung des Klägers anlässlich dessen Dienstunfalls geschildert.
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Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Schädigung ein vorsätzlicher rechtswidriger Angriff zugrunde lag. Ein offensichtliches, grobes Missverhältnis zwischen den Körperschäden, die der Kläger erlitten hat, und der Höhe des Schmerzensgeldes ist bei der vorliegend gebotenen besonderen Gewichtung der Genugtuungsfunktion des Schmerzengeldes zu Gunsten des Klägers nicht gegeben (VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 - AN 1 K 18.02510 - juris Rn. 81; U.v. 25.7.2019 - AN 1 K 18.01545 - juris Rn. 104).
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Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren auch ausreichende Nachweise über erfolgloses Vollstreckungsbemühungen im Sinne des Art. 97 Abs. 3 Satz 1 BayBG vorgelegt. Der Beamte muss mit dem Antrag ausreichende Nachweise vorlegen, dass die Vollstreckungsbemühungen sachgemäß durchgeführt wurden, aber erfolglos geblieben sind. Die Formulierung im Plural deutet aus formaler Sicht darauf hin, dass mindestens zwei vergebliche Vollstreckungsversuche durchgeführt worden sein müssen (Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, a.a.O., Rn. 40.4 zu Art. 97 BayBG).
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Vorliegend konnte der Kläger Nachweise über fehlgeschlagene Vollstreckungsversuche nicht vorlegen, da ihm der Aufenthaltsort des Schädigers unbekannt war. Insoweit ist der Beamte verpflichtet, alle ihm zumutbaren Eigenbemühungen zur Ermittlung des Schädigers auszuschöpfen. Sind die zumutbaren Eigenbemühungen ausgeschöpft, so ist dies grundsätzlich einem fehlgeschlagenen Vollstreckungsversuch gleichzusetzen (Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, a.a.O., Rn. 40 zu Art. 97 BayBG).
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Vorliegend legte der Bevollmächtigte des Klägers im gerichtlichen Verfahren eine staatsanwaltliche Verfügung vom 13. Juli 2018 vor, wonach das Strafverfahren gegen den Schädiger durch gerichtlichen Beschluss vom 6. Juli 2018 gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt und der Schädiger zur Aufenthaltsermittlung national ausgeschrieben worden ist. Entsprechend bewilligte das Amtsgericht … hinsichtlich der Zustellung der Klage und des Versäumnisurteils eine öffentliche Zustellung gemäß §§ 185 ff. ZPO. Insoweit ist den Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 14. Februar 2020 zuzustimmen, wonach weitere Eigenbemühungen zur Aufenthaltsermittlung aussichtslos sind, wenn auch die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden (Fahndung) erfolglos waren.
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Dem Beklagten verbleibt auch kein Ermessensspielraum zur Ablehnung des Antrages. Das der Behörde grundsätzlich zustehende Ermessen ist im vorliegenden Fall auf Null reduziert.
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Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG räumt dem Dienstherrn nach seinem Wortlaut einen Ermessenspielraum ein, so dass der Dienstherr die Erfüllung übernehmen kann, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte erforderlich ist. Gleichwohl wird die Ermessensausübung durch Art. 97 Abs. 2 Satz 1 BayBG dahingehend vorgegeben, dass eine unbillige Härte insbesondere dann vorliegt, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 EUR erfolglos geblieben ist. Hier fließen Erwägungen hinsichtlich der Gewichtigkeit des Angriffs mit ein, die nicht mit der Frage zu verwechseln sind, ob überhaupt ein rechtswidriger tätlicher Angriff vorliegt. Denn weniger gewichtige Angriffe, die gegebenenfalls nicht wesentlich genug sind, um eine ärztliche Untersuchung zu erfordern, führen in der Regel zu einem niedrigeren Schmerzensgeldanspruch und erreichen in der Folge nicht die Bagatellgrenze von 500,00 EUR. Vor diesem Hintergrund ist auch der im Gesetzgebungsverfahren abgelehnte Änderungsantrag zu verstehen, nach dem die Erfüllungsübernahme auch bei Platzwunden oder einem Spucken ins Gesicht Anwendung finden sollte (Conrad in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Rn. 6 zu Art. 97 BayBG). Die insofern unter Umständen nicht hinreichend gewichtigen Angriffe sind aufgrund einer Ermessensausübung auf Rechtsfolgenseite auszuschließen, nicht jedoch auf Tatbestandsebene unter Auslegung des Begriffs des „tätlichen Angriffs“ (VG Ansbach, U.v. 29.1.2020 - AN 1 K 18.02510 - juris Rn. 100 f).
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Eine unbillige Härte liegt hier zweifellos vor. Für eine Ermessensausübung verbleibt lediglich insoweit Raum, als er Dienstherr die Erfüllungsübernahme verweigern kann, wenn auf Grund desselben Sachverhalts eine einmalige Unfallentschädigung (Art. 62 BayBeamtVG) oder Unfallausgleich (Art. 52 BayBeamtVG) gezahlt wurde (Art. 97 Abs. 2 Satz 2 BayBG; vgl. LT-Drs. 17/2871). Dies ist vorliegend nicht der Fall, so dass das Ermessen auf Null reduziert ist (vgl. VG München, U.v. 5.7.2017 - M 5 K 16.4266 - juris Rn. 26; Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, a.a.O., Rn. 35.3 zu Art. 97 BayBG).
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Auch sonstige Ausschlussgründe wurden weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich. Insbesondere kann dem Kläger kein grob pflichtwidriges Vorverhalten oder gar eine vorangegangene Provokation entgegengehalten werden.
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Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus entsprechender Anwendung der §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 2, 246 BGB. Der Kläger kann gegen den Beklagten grundsätzlich Prozesszinsen von dem auf den Eingang der Klage folgenden Tag beanspruchen (vgl. § 187 Abs. 1 BGB; BVerwG, U.v. 4.12.2001 - 4 C 2/00 - juris Rn. 50).
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Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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Die Berufung war nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Bisher ist obergerichtlich noch nicht entschieden, inwieweit Versäumnisurteil einen rechtskräftigen Anspruch auf Schmerzensgeld im Sinne des Art. 97 BayBG darstellen und ob durch die zuständigen Behörden ein aus deren Sicht zu hohes Schmerzensgeld auf ein aus deren Sicht angemessenes Schmerzensgeld reduziert werden darf oder in derartigen Fällen lediglich eine Ablehnung des gesamten Anspruchs möglich ist.