Inhalt

VG München, Urteil v. 28.10.2020 – M 23 K 20.3732
Titel:

Dauerhafte Fortnahme von Tieren

Normenketten:
TierSchG § 2, § 15 Abs. 2, § 16, § 16a Abs. 1
BArtSchV § 7 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Fristsetzung ist dann entbehrlich, wenn es unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ausgeschlossen erscheint, dass ein zeitnahes ordnungsgemäßes Verhalten des Tierhalters zu erwarten ist, er also die nötigen Haltungsbedingungen zeitnah wird sicherstellen können. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Festgestellte massive Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorschriften und gegen behördliche Anordnungen erlauben grundsätzlich die Untersagung der Haltung und Betreuung von Tieren. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Tierhaltungs- und Betreuungsverbot setzt nicht voraus, dass Zuwiderhandlungen bezüglich aller gehaltenen oder betreuten Tiere begangen worden sind. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dauerhafte Fortnahme von Tieren (34 Wirbeltiere und 28 Fische), Veräußerung ohne vorherige Fristsetzung, Tierschutzrechtliche Kontrollbefugnis, Duldung zum Betreten und zur Besichtigung, Gutachten, Gesundheitszustand, Ermessensfehler, Bescheid, Anfechtungsklage, Hinterlegung, Hundehaltung, Schmerzen, Untersagung, Tierhaltung, Tiere, Versorgung, Kontrollbefugnis, Besichtigung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 31862

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.     
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Fortnahme von 34 Wirbeltieren und 28 Fischen und begehrt gleichzeitig die Rückgabe eines Großteils dieser Tiere.
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Die Klägerin ist Tierärztin. Sie hielt auf ihrem Wohnanwesen zum 16. Juli 2020 die in ihrem Eigentum stehenden folgenden Tiere: 7 Jack Russel, 6 Katzen, 7 Vögel (3 Wellensittiche, 2 Zebrafinken, 2 Kanarienvögel), 6 Schildkröten (1 Moschusschildkröte, 1 Dreikielschildkröte, 4 männliche Griechische Landschildkröten), 10 Schlangen (9 Kornnattern, 1 Königspython) sowie in drei Aquarien Fische (in zwei Aquarien 24 Ancistros und 4 Platys). Zwei weitere im Eigentum der Klägerin stehende Hunde (2 Cattle Dogs) hatte bereits zuvor ihr Vater in Obhut genommen.
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Am 16. Juli 2020 erfolgte eine mittels Duldungsanordnung durchgesetzte Kontrolle der tierärztlichen Hausapotheke durch zwei Veterinäre des Landratsamts M. (im Folgenden: Landratsamt). Die Kontrolle wurde mit Unterstützung der Polizei und schlussendlich nach polizeilichem Abführen der Klägerin durchgeführt. Den Vertreterinnen des Landratsamts boten sich nach ihren Feststellungen hierbei sofort erkennbare hygienische Mängel in der Tierhaltung, in dessen Folge der Klägerin die von ihr in ihrem Wohnanwesen gehaltenen Tiere fortgenommen wurden. Lediglich eine Katze und ein Aquarium wurden belassen. Die vom Vater bereits zuvor in Obhut genommenen Cattle Dogs wurden dem Lebensgefährten der Klägerin in Obhut übergeben. Wegen der Einzelheiten der von den Veterinären vor Ort getroffenen tierschutzrechtlichen Feststellungen und dem Ablauf der Kontrolle wird auf die Behördenakte (insb. Bl. 2 bis 4, 67 bis 79) und auf den Polizeieinsatzbericht (Bl. 54 ff.) Bezug genommen.
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Die fortgenommenen Hunde, Katzen und Vögel wurden in der Folge tiermedizinisch untersucht. Bei mehreren Hunden wurden im Wesentlichen äußerliche Verletzungen festgestellt (Befundbericht v. 28. Juli 2020, Bl. 24). Allen Katzen mussten infolge einer durch hochgradige Entzündungen bedingte Zahnsanierung Zähne entfernt werden. Dabei wurden einer Katze sämtliche, einer weiteren 14, zwei Katzen 12 Zähne und einer Katze 6 Zähne entfernt (Befundbericht v. 29. Juli Bl. 25 ff, 148). Im Übrigen wird auf die Befundberichte Bezug genommen (bzgl. der Vögel vgl. Bericht v. 31. Juli 2020, Bl. 145).
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Die von einem - bei der Kontrolle am 16. Juli 2020 anwesenden - Fachtierarzt für Reptilien vorgenommene Untersuchung der Schildkröten und Schlangen ergab bei einer Griechischen Landschildkröte und der Dreikielschildkröte den Befund einer mutmaßlich auf Hundebisse zurückzuführenden Panzer- bzw. Halsverletzung. Dies sei bei der Wasserschildkröte auf eine ungeeignete Abgrenzung zur Hundehaltung zurückzuführen. Das den Griechischen Landschildkröten zur Verfügung stehende Terrarium sei zu klein und die darin erfolgte Vergesellschaftung der ausschließlich männlichen Landschildkröten habe zu einem länger vorhandenen Distress sowie länger anhaltenden Schmerzen und Leiden geführt, da sich männliche Schildkröten in einem nicht gut strukturierten Terrarium nicht tolerieren würden. Bei den Fischen wurden lebensgefährliche Nitrat- und pH-Werte festgestellt, wodurch den Fischen langanhaltende Leiden zugefügt worden seien. Insgesamt habe die Tierhaltung einen verwahrlosten Eindruck erweckt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 3. August 2020 Bezug genommen (Bl. 29 ff.).
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In der veterinärfachlichen Stellungnahme vom 4. August 2020 sind für die Schildkröten und Schlangen anhaltende erhebliche Leiden und Schmerzen festgestellt. Auch bei den Katzen sei unnötiges Leid entstanden, das der Klägerin bei regelmäßiger tierärztlicher Untersuchung hätte auffallen müssen. Ebenso hätten die Vögel langanhaltend gelitten, da sie sich in dem viel zu kleinen Käfig nicht hätten genügend bewegen können. Insgesamt sei die Versorgung und Pflege der Reptilien, Katzen, Vögel und Fische seit mindestens mehreren Monaten erheblich vernachlässigt worden, wodurch den Tieren ohne vernünftigen Grund langanhaltende erhebliche Leiden und Schmerzen zugefügt worden seien. Bei den Hunden bestehe starker Inzuchtverdacht. Die bei den Hunden festgestellten äußerlichen Verletzungen ließen auf länger anhaltende erhebliche Leiden und Schmerzen schließen. Auch sei den Hunden nicht genügend Auslauf gewährt und diese seien in einer reizarmen Umgebung gehalten worden. Die Klägerin sei überlastet. Abgesehen von drei Kornnattern und der Königspython, den in der Obhut des Lebensgefährten bzw. Vaters belassenen Tiere, der mit einem Aquarium belassenen Fische und der einen Katze sei eine Rückgabe ausgeschlossen. Die Rückgabe der drei Kornnattern und der Königspython komme unter Erfüllung bestimmter Tierhaltungsbedingungen in Betracht. Im Übrigen wird auf die veterinärfachliche Stellungnahme Bezug genommen (Bl. 57 ff.)
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10. August 2020 bestätigte das Landratsamt die dauerhafte Fortnahme der Tiere vom 16. Juli 2020 (Ziff. 1) mit Ausnahme der Königspython und dreier Kornnattern, für die das Landratsamt die vorübergehende Fortnahme bestätigte und die Rückgabe bei Schaffung bestimmter tierschutzrechtlicher Voraussetzungen in Aussicht stellte (Ziff. 2). Weiter ordnete das Landratsamt für die dauerhaft fortgenommenen Tiere den Eigentumsübergang an und verpflichtete die Klägerin zur Duldung der Veräußerung (Ziff. 3). Im Hinblick auf die vorübergehend fortgenommenen Tiere ordnete das Landratsamt ebenso den Eigentumsübergang und die Veräußerungsduldung an, sollte die Klägerin nicht bis zum 17. August 2020 die in Ziffer 2 benannten tierschutzrechtlichen Voraussetzungen geschaffen haben (Ziff. 4). Weiter verpflichtete das Landratsamt die Klägerin zur Duldung des Betretens und der Besichtigung aller Räumlichkeiten, in denen Tiere gehalten und betreut werden (Ziff. 5). Für den Fall von Zuwiderhandlungen gegen Ziffer 5 drohte das Landratsamt unmittelbaren Zwang an (Ziff. 7). Der Klägerin wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt, darunter Gebühren in Höhe von 749,65 Euro sowie Auslagen in Höhe von 15,68 Euro (Ziff. 8). Zur Begründung stützte sich das Landratsamt im Wesentlichen auf die Ausführungen in der veterinärfachlichen Stellungnahme.
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Gegen diesen - der Klägerin am 12. August 2020 zugestellten - Bescheid erhob die Klägerin am 14. August 2020 Klage mit den zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2020 aufrechterhaltenen Anträgen,
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1. den Bescheid aufzuheben und
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2. die fortgenommenen Tiere herauszugeben.
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Zur Begründung ließ die Klägerin im Wesentlichen über ihren Bevollmächtigten ausführen, abgesehen von den Katzen hätten sich alle Tiere in einem guten Gesundheitszustand befunden. Die Tiere seien stets angemessen untergebracht worden und nicht vernachlässigt gewesen. Insbesondere bei den Hunden habe eine gute und hygienische Versorgung bestanden. Insgesamt erweise sich die Fortnahme als unverhältnismäßig, da das Landratsamt als milderes Mittel zunächst erforderliche Mahnahmen hätte anordnen müssen. Die Klägerin reichte schriftsätzlich am 12. Oktober 2020 Nachweise zu ihren Haltungsbedingungen ein, auf die Bezug genommen wird.
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Der Beklagte trat der Klage schriftsätzlich am 3. September 2020 entgegen und beantragte
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Klageabweisung.
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Ergänzend führte das Landratsamt mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2020 aus, einer Rückgabe der Königspython und der Griechischen Landschildkröten stünden unabhängig von tierschutzrechtlichen Anforderungen Bedenken gegen die artenschutzrechtliche Zuverlässigkeit der Klägerin entgegen.
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Das Landratsamt gab der Klägerin am 8. September 2020 die unter Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids benannten drei Kornnattern zurück.
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Am 28. Oktober 2020 fand die mündliche Verhandlung statt. Die Veterinäre des Landratsamts gaben ihre veterinärfachliche Beurteilung ab. Weiter erklärte die Vertreterin des Landratsamts, die in Ziffer 2 des Bescheids geforderten Tierhaltungsbedingungen seien erfüllt worden, sodass Ziffer 2 einer Rückgabe der Tiere nicht entgegenstünde. Im Übrigen wird auf die zur Niederschrift gegebenen Ausführungen Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg. Die mit dem Klageantrag zu 1 erhobene Anfechtungsklage (hierzu I) ist bereits teilweise unzulässig (hierzu I.1) und im Übrigen unbegründet (hierzu I.2). Auch der auf Rückgabe der fortgenommenen Tiere gerichtete zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg (hierzu II.)
I.
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Die gegen den streitgegenständlichen Bescheid gerichtete Anfechtungsklage hat keinen Erfolg.
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1. Sie ist bereits unzulässig, soweit sie gegen Ziffer 2 und Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids gerichtet ist. Insoweit fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, nachdem sich Ziffer 2 und in der Folge auch Ziffer 4 erledigt haben, Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG.
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Wie die Vertreter des Landratsamts in der mündlichen Verhandlung sowie vorab schriftsätzlich und auch der Klägerbevollmächtigte sinngemäß mit Schriftsatz vom 28. August 2020 ausgeführt haben, sind die in Ziffer 2 des Bescheids geforderten tierschutzrechtlichen Haltungsanforderungen erfüllt worden und stehen - für sich - einer Rückgabe der Tiere nicht entgegen. Die einzig auf tierschutzrechtlichen Auflagen beruhende Ziffer 2 hat sich damit erledigt. Nachdem somit die geforderten tierschutzrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auch die in Ziffer 4 angeordnete Veräußerung gegenstandslos geworden. So ist eine Veräußerung in Ziffer 4 nur angeordnet, sollte die Klägerin nicht den in Ziffer 2 auferlegten tierschutzrechtlichen Haltungsanforderungen nachkommen. Der Umstand dafür, dass das Landratsamt die Königspython derzeit weiterhin nicht herausgibt, ist außerhalb des Bescheids begründet, nämlich in artenschutzrechtlichen Belangen (hierzu II.b). Solche sind in Ziffer 2 des Bescheids aber gerade nicht angelegt oder gar verauflagt.
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2. Die im Übrigen zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.
23
Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a. Der Bescheid erweist sich im insofern maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch ohne erfolgte Anhörung als formell rechtmäßig. Auch wenn der Behördenakte die gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG obligatorische Anhörung nicht zu entnehmen ist, ist jedenfalls im gerichtlichen Verfahren gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG Heilung eingetreten, indem sich der Beklagte mit den Argumenten der Klägerin schriftsätzlich befasst hat.
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b. Auch hat das Landratsamt die in Ziffer 1 verfügte dauerhafte Fortnahme und die in Ziffer 3 angeordnete Veräußerung und Eigentumsübertragung jeweils auf Grundlage des § 16a Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 TierSchG materiell rechtmäßig angeordnet. Danach kann die zuständige Behörde insbesondere ein Tier, das nach dem Gutachten eines beamteten Tierarztes mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich unterbringen, bis eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Haltung des Tieres durch den Halter sichergestellt ist. Dabei ist zur Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit der nach § 16a Abs. 1 TierSchG getroffenen tierschutzrechtlichen Anordnungen auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen (OVG Lüneburg, U.v. 20.4.2016 - 11 LB 29/15 -, juris Rn. 35 m.w.N.; VG München, U.v. 6.7.2016 - M 23 K 16.315 - S. 12). Nachträgliche Änderungen der Sachlage und Verbesserungen der Haltung bleiben somit unberücksichtigt.
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Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Fortnahme der Tiere sind auf der Basis der amtstierärztlichen Feststellungen erfüllt. Denn die tierschutzrechtlichen Anforderungen des § 2 Nr. 1 bis 3 TierSchG (betreffend tierärztlicher Versorgung, Ernährung, Pflege und verhaltensgerechter Unterbringung usw.) wurden nachhaltig nicht eingehalten. Insoweit nimmt das Gericht auf die in der veterinärfachlichen Stellungnahme getroffenen und dem streitigen Bescheid zugrunde gelegten Feststellungen und Ausführungen, anderen Richtigkeit und Nachvollziehbarkeit zu Zweifel das Gericht keinen Anlass hat, Bezug und sieht von einer über die nachfolgenden Äußerungen hinausgehenden weiteren eigenständigen Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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Den im veterinärfachlichen Gutachten vom 4. August 2020 getroffenen Feststellungen zu den erheblichen tierschutzrechtlichen Verstößen ist die Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten. Die aus veterinärfachlicher Sicht zweifelsfrei belegten Verstöße gegen § 2 TierSchG wären - der vorrangigen Beurteilungskompetenz der beamteten Tierärzte entsprechend (§ 15 Abs. 2 TierSchG) - nämlich allenfalls ausnahmsweise durch fundierte veterinärfachliche Auseinandersetzung entkräftbar (vgl. etwa BayVGH, B.v. 13.5.2014 - 9 CS 14.1207 - juris; BayVGH, B.v. 31.1.2017 - 9 C 16.2023 - juris Rn. 12; Hirt/Maisack/Moritz, 3. Aufl. 2016, TierSchG § 16a Rn. 46). Die fachliche Bewertung einer erheblichen Vernachlässigung der fortgenommenen Tiere vermochte die Klägerin jedoch nicht durchgreifend anzuzweifeln oder zu widerlegen. Die von der Klägerin persönlich im gerichtlichen Verfahren schriftsätzlich am 12. Oktober 2020 vorgebrachten Stellungnahmen zu den Haltungsbedingungen sind hierzu nicht geeignet, zumal sie sich einerseits nicht mit den zuvor und konkret am 16. Juli 2020 festgestellten Haltungsbedingungen auseinandersetzen und andererseits gerade im Hinblick auf die Einhaltung der Pflege und Hygiene überaus pauschal gehalten sind. Die anwaltlich vertretene Klägerin lässt sogar eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem veterinärfachlichen Gutachten in Gänze vermissen, nachdem sie hiervon nach eigenen Angaben noch nicht einmal Kenntnis genommen hat, weswegen sie - obgleich selbst Tierärztin - den Angaben des Landratsamts nicht substantiiert entgegenzutreten vermochte.
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Im vorliegend zu beurteilenden Einzelfall bedurfte es vor Erlass der in Ziffer 3 angeordneten Veräußerung und der damit einhergehenden in Ziffer 1 klargestellten Dauerhaftigkeit der Fortnahme keiner Fristsetzung zur Sicherstellung tierschutzgemäßer Zustände, wie dies § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Hs. 2 TierSchG grundsätzlich verlangt. Danach kann die Behörde ein Tier veräußern, wenn eine anderweitige Unterbringung des Tieres nicht möglich ist oder nach Fristsetzung durch die zuständige Behörde eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Haltung durch den Halter nicht sicherzustellen ist. Eine Fristsetzung ist aber insbesondere dann entbehrlich, wenn es unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (insbesondere der Fehlverhaltensweisen des Halters oder seiner mangelnden Sachkunde oder Zuverlässigkeit) ausgeschlossen erscheint, dass ein zeitnahes ordnungsgemäßes Verhalten des Tierhalters zu erwarten ist, er also die nötigen Haltungsbedingungen zeitnah wird sicherstellen können (vgl. BayVGH, B.v. 31.1.2017 - 9 C 16.2023 - juris Rn. 17; VG Bremen, B.v. 12.5.2009, 5 K 3308/08, juris-Rn. 19; Metzger in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand Sept. 2016, § 16a TierSchG Rn. 12; Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 33).
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So verhält es sich vorliegend. Die aus veterinärfachlicher Sicht zweifelsfrei belegten und klägerseits nicht erschütterten Verstöße belegen einerseits eine hohe Überforderung der Klägerin mit der Zahl der von ihr gehaltenen Tiere. Bei den belegten Verstößen handelt es sich um solche, die einem sachkundigen Tierhalter und gerade der Klägerin als Tierärztin ohne weiteres hätten auffallen müssen. Die in der veterinärfachlichen Stellungnahme festgestellten Verstöße und Bewertungen dürften andererseits tatbestandlich grundsätzlich sogar geeignet sein, ein Tierhaltungsverbot gem. § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG auszusprechen, was in der veterinärfachlichen Stellungnahme im Übrigen bereits angelegt ist. Denn festgestellte massive Verstöße gegen tierschutzrechtliche Vorschriften und gegen behördliche Anordnungen erlauben grundsätzlich die Untersagung der Haltung und Betreuung von Tieren (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2019 - 23 ZB 18.756 - juris Rn. 8). Vorliegend sind im veterinärfachlichen und auch in dem Reptiliengutachten mehrfach betreffend verschiedener Tierarten die von § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG tatbestandlich vorausgesetzten erheblichen oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden dokumentiert. Insoweit sei angemerkt, dass ein Tierhaltungs- und Betreuungsverbot nicht voraussetzt, dass die Zuwiderhandlungen bezüglich aller gehaltenen oder betreuten Tiere begangen worden sind (vgl. VG Regensburg, B.v. 20.8.2010, RN 4 S 10.970, juris-Rn. 54; Hirt/Maisack/Moritz/Hirt/Maisack/Moritz TierSchG § 16a Rn. 45). Abgesehen von den nachhaltigen Verstößen gegen § 2 TierSchG ist auch dem Verhalten der Klägerin zu entnehmen, dass selbst Einzelanordnungen zur Herstellung tierschutzgemäßer Zustände nicht den gewünschten und gesetzlich geforderten Tierhaltungsstandard nach sich ziehen werden. So hat sich die Klägerin etwa bei der Kontrolle am 16. Juli 2020 vehement der tierschutzrechtlichen Kontrolle widersetzt (vgl. Polizeibericht v. 7.7.2020, BA Bl. 54 ff.) und hat im Übrigen bis zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheids zu erkennen gegeben, ihre tierschutzwidrige Haltung nicht einzusehen. Vielmehr hat sie ausweislich Bl. 83 der Behördenakte darauf verwiesen, dass die Haltungsbedingungen anderswo genauso seien. Dieses Verhalten sowie mangelnde Einsicht mit Reflexion lassen im maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung die Prognose zu, dass die Klägerin für die Zukunft gerade nicht die nötige Gewähr für eine tierschutzgemäße Haltung bietet.
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Die Entbehrlichkeit der Fristsetzung für die unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids benannten Tiere wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass gerade im Hinblick auf die in Ziffer 2 nur vorübergehend fortgenommenen Tiere eine Frist zur Herstellung tierschutzgerechter Zustände gesetzt wurde. Damit hat das Landratsamt zwar zu erkennen gegeben, dass insoweit eine Herstellung tierschutzgerechter Zustände grundsätzlich teilweise möglich ist. Allerdings haben die Veterinäre in der mündlichen Verhandlung - ohne dass dies von der Klägerin in Zweifel gezogen wurde - nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei den Kornnattern und der Königspython um - so die Worte des Veterinärs - „Anfängertiere“ handle, bei denen die Anforderungen an die Haltung geringer seien, sodass die Rückgabe der drei Kornnattern und der Königspython bei reduziertem Tierbestand tierschutzrechtlich verantwortbar sei.
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Auch sind im Rahmen der gerichtlich überprüfbaren behördlichen Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO, Art. 40 BayVwVfG) keine relevanten Ermessensfehler erkennbar. Indem das Landratsamt zwischen einer dauerhaften und einer vorübergehenden Fortnahme differenziert hat, hat das Landratsamt zu erkennen gegeben, dass es von seinem Auswahlermessen Gebrauch gemacht hat. Angesichts der Vielzahl der tierschutzrechtlichen Verstöße und der erkennbaren Uneinsichtigkeit der Klägerin ist auch nicht ersichtlich, welche anderen milderen Maßnahmen ernstlich in Betracht kommen könnten, um weitere tierschutzrechtliche Verstöße in Zukunft sicher ausschließen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2018 - 9 ZB 16.2467 - juris Rn. 16). Bei der Vielzahl an gravierenden Verstößen, der fehlenden Einsicht der Klägerin als Tierhalterin und ihrer Überforderung, die weitere Verstöße bei bestehen belassenem Tierbestand als wahrscheinlich erscheinen lassen, hat das Landratsamt das grundsätzlich bestehende Auswahlermessen rechtsfehlerfrei dahingehend ausgeübt, eine überschaubare Zahl an Tieren dem Lebensgefährten der Klägerin zu dessen verantwortlichen Obhut zu überlassen den aktuellen Tierbestand auf einfach zu haltende Tiere zu reduzieren, um der Überlastungssituation der Klägerin zum Wohle der Tiere entgegenzuwirken und auch um ihr die Möglichkeit zu geben, unter dem reduzierten Tierbestand eine ordnungsgemäße Tierhaltung vorzuweisen und so einem - durch das veterinärfachliche Gutachten bereits ins Feld geführten - Tierhaltungs- und Betreuungsverbot vorzubeugen.
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c. Als ebenso rechtmäßig erweisen sich Ziffern 5 und 7 des streitgegenständlichen Bescheids. Zu Recht hat das Landratsamt die angeordnete Duldung des Betretens und Besichtigen aller Räumlichkeiten, in denen Tiere gehalten werden, auf § 16a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 16 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 lit. b TierSchG gestützt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Landratsamtes im angegriffenen Bescheid, denen es vollumfänglich folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO). Lediglich ergänzend ist Folgendes auszuführen: Der tierschutzrechtliche Überwachungsauftrag der zuständigen Behörde beschränkt sich nicht nur auf die Kontrolle gewerblicher Tierhaltungen, vielmehr treffen die Pflichten des § 16 Abs. 2 und 3 TierSchG jeden potentiellen Adressaten einer tierschutzrechtlichen Anordnung und damit auch die Klägerin als private Tierhalterin (BayVGH, B.v. 25.6.2007 - 25 CS 07.1409 - juris; SH OLG, B.v. 12.4.2007 - 2 Ss Owi 44/07 (36/07) - juris). Im Gegensatz zu Einrichtungen nach § 16 Abs. 1 TierSchG, die einer routinemäßigen Kontrolle unterliegen, erfolgt die Überprüfung privater Tierhaltungen aber in der Regel nur dann, wenn konkrete Verdachtsmomente vorliegen (BayVGH, B.v. 25.6.2007 - 25 CS 07.1409 - juris).
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Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Angesichts den erheblichen tierschutzrechtlichen Verstößen und der über den streitgegenständlichen Bescheid hinausgehend verfügten tierschutzrechtlichen Anordnungen vom 31. Juli 2020 (Bl. 27) und 1. Oktober 2020 (Bl. 142) sind vorliegend wiederholende Kontrollen zum Schutz der verbliebenen Tiere erforderlich, die angesichts der am 16. Juli 2020 an den Tag gelegten Weigerung der Klägerin die Durchsetzung einer Duldungsanordnung mittels Verwaltungszwang hinreichend wahrscheinlich machen und die Androhung unmittelbaren Zwangs rechtfertigt. Da die Haltung der Klägerin offenbar nicht geschäftlich, sondern als Hobby betrieben wird, kann nicht auf Geschäfts- bzw. Betriebszeiten im Sinne des § 16 Abs. 3 Nr. 1 TierSchG abgestellt werden, sodass sich das Betretungsrecht auf übliche Geschäfts- oder Betriebszeiten erstreckt (Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl., § 16 TierSchG Rn 8 m.w.Nachw.). Dies zugrunde gelegt dürfte zwar grundsätzlich eine tatsächliche Durchführung einer Kontrolle regelmäßig nur in den Zeiten von Montag bis Freitag von 8.00 Uhr bis 18:00 Uhr erfolgen (vgl VG München, U.v. 11.6.2019 - M 23 K 18.6079 - unveröffentlicht). Im Hinblick auf zahlreiche und erhebliche Verstöße der Klägerin gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen in der Vergangenheit, die in der -rechtmäßigen (s.o.) - dauerhaften Fortnahme von 30 Wirbeltieren und 28 Fischen mündeten, hat das Landratsamt zu Recht auf eine dringende Gefahr im Sinne von § 16 Abs. 3 Nr. 2 TierSchG für die verbliebenen Tiere abgestellt, sodass eine Kontrolle auch außerhalb der benannten Zeiten anlassbezogen zulässig und von der Klägerin unter Hinnahme einer Einschränkung von Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz zu dulden ist. Dabei muss eine konkrete Gefahr noch nicht eingetreten sein, wenn die Duldungsanordnung dem Zweck dient, einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der seinerseits eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde (Hirt/Maisack/Moritz/Hirt/Maisack/Moritz, 3. Aufl. 2016, TierSchG § 16 Rn. 9). Diese Kontrollbefugnis ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz. Eine entsprechende Anordnung der Duldung der Kontrollen durch den streitgegenständlichen Bescheid war hier angesichts der am 16. Juli 2020 erfolgten Weigerung und der erneuten tierschutzrechtlichen Anordnungen vom 31. Juli 2020 (Bl. 27) und 1. Oktober 2020 (Bl. 142) angemessen und auch verhältnismäßig.
II.
34
Auch der auf Rückgabe der fortgenommenen Tiere gerichtete zulässige Antrag, sei es als Folgenbeseitigungsanspruch als Annex der Anfechtungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO) oder als eigener Leistungsanspruch im Wege einer allgemeinen Leistungsklage, hat in der Sache keinen Erfolg, weder im Hinblick auf die dauerhaft fortgenommenen Tiere (hierzu a.) noch im Hinblick auf die Königspython (hierzu b.).
35
a. Für die unter Ziffer 1 benannten Tiere folgt dies bereits aus den unter I.2 ausgeführten Gesichtspunkten zur rechtmäßigen dauerhaften Fortnahme. Die Klägerin hat im Übrigen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 VwGO) darzulegen vermocht, dass sie nunmehr imstande wäre, die zahlreichen Tiere gleichzeitig unter tierschutzgerechten Bedingungen zu halten. Wie bereits ausgeführt sind die von der Klägerin vorgelegten Dokumente vom 12. Oktober 2020 nicht geeignet, die veterinärfachliche Stellungnahme, geschweige denn die berechtigte Annahme einer offenkundig bestehenden Überforderung mit den zahlreichen Tieren, für die Zukunft zu widerlegen. Dem Gericht ist hierbei exemplarisch die in der mündlichen Verhandlung verlautbarte Ansicht der Klägerin in Erinnerung, wonach sie die auf die Plastikwanne gelegten Wäscheständer (Bl. 70) als ausreichenden Schutz der darin gehaltenen Schildkröten vor ihren Hunden erachtet. Selbst wenn es - was aber nicht belegt ist - in der Zwischenzeit einzelne kurzfristige Verbesserungen in der Tierhaltung gegeben haben sollte, rechtfertigt die Kette von Verfehlungen gegen § 2 TierSchG die Prognose weiterer Verstöße. Denn ein Wohlverhalten unter dem Druck eines laufenden behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahrens ist grundsätzlich nicht geeignet, die Gefahrenprognose zu erschüttern (VGH BW, B.v. 17.3.2005 - 1 S 381/05 - juris Rn. 4; VG Würzburg, B.v. 19.4.2011 - W 5 S 11.242 - juris Rn. 49; Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 48).
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b. Die Klägerin hat derzeit auch keinen Anspruch auf Herausgabe der Königspython. Zwar steht Ziffer 2 des Bescheids einer Rückgabe nicht (mehr) entgegen, da sie die hierin geforderten Haltungsauflagen erfüllt hat. Allerdings ist eine Rückgabe aus artenschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht möglich.
37
Die Klägerin weist nicht die artenschutzrechtliche Zuverlässigkeit zum Halten der besonders geschützten Königspython auf. Wirbeltiere besonders geschützter Arten dürfen nämlich nur gehalten werden, wenn sie keinem Besitzverbot unterliegen und der Halter die erforderliche Zuverlässigkeit und ausreichende Kenntnisse über die Haltung und Pflege der Tiere hat, § 7 Abs. 1 BArtSchV. Die Königspython gilt als besonders geschützte Tierart i.S.d § 44 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 13a BNatSchG, (EG) Nr. 338/97 in der Fassung durch Verordnung (EU) Nr. 1320/2014, wonach die Überfamilie der Pythonoidea in Anlage B ausgeführt ist.
38
Die damit artenschutzrechtlich erforderliche Zuverlässigkeit fehlt der Klägerin, nachdem sie nicht allzu weit zurückliegende erhebliche Verstöße gegen das Tierschutzrecht begangen hat (vgl. Lorz/Konrad/Müller-Walter, Kommentar zum Naturschutzrecht mit Artenschutz und Europarecht/Internationales Recht, 3. Aufl. 2013, BArtSchV § 7 Rn. 5). Insoweit wird auf die Ausführungen unter I.2 Bezug genommen.
III.
39
Nach alledem waren die Klagen mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung resultiert aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.