Titel:
Kein Schadensersatz wegen des Erwerbs eines angeblich vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Porsche Cayenne mit Erstzulassung im April 2012
Normenketten:
UWG § 16
BGB § 826
Leitsätze:
1. Trägt der Käufer eines gebrauchten Porsche Cayenne vor, der von Audi bezogene, angeblich manipulierte Motor habe ab dem Modelljahr 2013 in Fahrzeugen Cayenne-Diesel-SUV eingebaut werden sollen, während die Erstzulassung seines Fahrzeugs bereits im April 2012 erfolgte, ist der Einbau eines manipulierten, von Audi bezogenen Motors bereits nach dem eigenen Vortrag des Käufers ausgeschlossen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Thermofenster sind bei der Regelung der Abgasrückführung in Dieselmotoren weit verbreitet und von den Zulassungsbehörden anerkannt, so dass deren Verwendung nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prospekthaftung, substantiierter Sachvortrag, Porsche Cayenne, Audi-Motor, 3,0-Liter-V6-Dieselmotor, Erstzulassung, Manipulation, Thermofenster, Abgasrückführung, Zulassungsbehörde
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 09.09.2020 – 8 U 1724/20
OLG München, Beschluss vom 07.10.2020 – 8 U 1724/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 10.06.2021 – III ZR 297/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 31830
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation seines Fahrzeugs Porsche Cayenne Diesel infolge des Abgasskandals resultieren würden.
2
Im Jahr 2010 übernahm die V. AG Porsche und die Gründungsfamilie von Porsche wurden führende Aktionäre von ... Im darauf folgenden Jahr beschloss Porsche, mit seinem neuen Cayenne SUV den US-Dieselmarkt zu erschließen. Porsche trat an sein Schwesterunternehmen Audi heran, um den 3,0-Liter-V6-Dieselmotor von Audi für den Einsatz beim Cayenne zu erwerben. Der Motor wurde etwas kräftiger getunt, um dem Hochleistungsimage von Porsche zu entsprechen. Die Einführung des Cayenne-Diesel-SUV mit dem Motor von Audi sollte im Modelljahr 2013 auf dem US-Dieselmarkt erfolgen.
3
Der Kläger erwarb den Porsche Cayenne Diesel V6 EU5 (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...) als Gebrauchtwagen zum Preis von 49.500 € von einer privaten Verkäuferin am 03.05.2016.
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Die Erstzulassung des Fahrzeuges erfolgte am 12.04.2012.
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Bei dem Fahrzeug kommt die „AdBlue Technologie“ nicht zum Einsatz. In das Fahrzeug der Klagepartei ist bereits kein AdBlue Tank eingebaut.
6
Porsche Cayenne Diesel V6 EU6 der Baujahre 2014-2016 wurden vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) zurückgerufen. Auch beim Modell Porsche Macan wurde ein Rückruf angeordnet.
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Ein Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte nicht, vielmehr hat das KBA unter dem 20.02.2019 ausdrücklich mitgeteilt, dass ein Porsche Cayenne V6-TDI EU5 nach derzeitigem Stand nicht von einem angeordneten Rückruf betroffen ist.
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Der Kläger behauptet, er sei auf der Suche nach einem umweltfreundlichen und wertstabilen Fahrzeug gewesen. Für ihn habe der Umweltaspekt ebenso wie der Treibstoffverbrauch ein wichtiges Kaufargument dargestellt.
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Der Kläger behauptete zunächst, dass das Fahrzeug vom sogenannten Abgasskandal betroffen ist. Es seien mindestens 3 Manipulationsarten gewählt worden, um die Schadstoffwerte zu verbessern, nämlich eine Aufwärmstrategie, die eine Prüfstandsituation erkenne und in einen Fahrmodus mit weniger Schadstoffausstoß schalte, ein Thermofenster, dass die Ausnahmeregulierung zum Motorenschutz deutlich überzogen habe und daher als unzulässige Abschalteinrichtung zu werten sei und eine fehlerhafte Dosierung des Harnstoffmittels AdBlue im SCR Katalysator, die dazu führe, dass das Fahrzeug weniger AdBlue verbrauche, als für die Erreichung der Grenzwerte notwendig sei.
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Sodann behauptet der Kläger, dass über die bereits genannten Strategien hinaus eine Manipulation der Getriebesteuerung erfolgt sei, dahingehend, dass 2 Betriebsmodi verbaut seien: auf dem Prüfstand nutze das Fahrzeug einen Warmlaufmodus (WU-Modus), im Realbetrieb sei das dynamische Schaltprogramm (DSP) aktiv, bei dem sich der Stickoxidausstoß gegenüber dem wie WU-Modus verdreifachte.
11
Die Typgenehmigung des Fahrzeugs sei erloschen, darüber hinaus läge auch ein Rechtsmangel vor, da die Stilllegung des Fahrzeugs drohe. Eine Nachbesserung sei im Übrigen unzumutbar. Der Kläger behauptet, Führungsmitglieder der Firmen VW, Audi und Porsche hätte Kenntnis von den Manipulationen gehabt.
12
Der Kläger behauptet, im Bezug auf die 3,0 TDI Motoren des VW-Konzerns befände man sich derzeit noch weitestgehend der Ermittlungsphase. Das KBA scheine Euro 6 Fahrzeuge vor den Euro 5 Fahrzeugen zu prüfen. Es sei kein 3,0 TDI Motor bekannt, der nach Prüfung die Abschalteinrichtung nicht erhalten enthalten hätte. In das Fahrzeug sei ein Motor EA 897 verbaut.
13
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte neben vertraglicher bzw. vorvertraglicher einer deliktischen Haftung unterliege. Soweit es der Klägerin verwehrt sei, konkrete Personen mit konkreten Daten zu nennen, unterliege die Beklagte auch einer sekundären Darlegungslast. Hilfsweise seien auch die Grundsätze der Prospekthaftung anzuwenden. Darüber hinaus hafte die Beklagte wegen irreführender Werbung nach § 16 UWG.
14
Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte in dem Fahrzeug Porsche Cayenne Diesel (Fahrzeugidentifikationsnummer ...) unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut hat, und zwar
a)in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur die Parameter der Abgasbehandlung so verändert, dass die Abgasnachbehandlung außerhalb eines Temperaturfensters von 17 °C bis 33 °C reduziert wird (sogenanntes Thermofenster),
b) in Gestalt einer Schalt-Einstellung des Getriebes, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und daraufhin ein Schaltprogramm aktiviert, welches besonders wenige Schadstoffe produziert (in der Replik als sogenannte „Aufwärmstrategie“ bezeichnet) und
c) in Gestalt einer Getriebesoftware mit zwei Betriebsmodi, dem sogenannten dynamischen Schaltprogramm („DSP“), wodurch sich der Stickoxydausstoß erhöht und dem Warmlaufmodus („WU-Modus“) für die Prüfstandsituation.
Dieser Feststellungsantrag ist dann begründet, wenn eine oder mehrere dieser vorstehend genannten drei Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut sind.
1. a) Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei den Kaufpreis 49.500,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 Prozentpunkten seit dem Tag der Kaufpreiszahlung 03.05.2016, hilfsweise für den Fall, dass dieser Antrag im Hinblick auf die Zinsen keinen Erfolg hat, in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Porsche Cayenne Diesel (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...).
b) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerpartei weiteren Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte in dem Fahrzeug Porsche Cayenne Diesel (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...) unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut hat und zwar
aa) in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur die Parameter der Abgasbehandlung so verändert, dass die Abgasnachbehandlung außerhalb eines Temperaturfensters von 17 °C bis 33 °C reduziert wird (sogenanntes Thermofenster),
bb) in Gestalt einer Schalt-Einstellung des Getriebes, welche erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und daraufhin ein Schaltprogramm aktiviert, welches besonders wenige Schadstoffe produziert (in der Replik als sogenannte „Aufwärmstrategie“ bezeichnet) und
cc) in Gestalt einer Getriebesoftware mit zwei Betriebsmodi, dem sogenannten dynamischen Schaltprogramm („DSP“), wodurch sich der Stickoxydausstoß erhöht und dem Warmlaufmodus („WU-Modus“) für die Prüfstandsituation.
Dieser Feststellungsantrag ist dann begründet, wenn eine oder mehrere dieser vorstehend genannten drei Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut sind.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von E 2.791,74 freizustellen.
15
Die Beklagte beantragt zuletzt,
16
Die Beklagte trägt vor, dass das streitgegenständliche Fahrzeug, ein Porsche Cayenne Diesel V6 CDI EU 5, 3,0 l, bereits 2012 gebaut worden sei und über die Emissionsklasse EU5 verfüge. Das Fahrzeug sei nicht von der durch das Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten Aktualisierung der Software beim Fahrzeugen des Typs Porsche Cayenne Diesel betroffen. Diese betreffe nur Fahrzeuge des Typs Porsche Cayenne Diesel V6 EU 6, nicht jedoch Fahrzeuge des Typs Cayenne Diesel V6 EU 5.
17
Die Beklagte trägt vor, bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei ein Motor EA 896 verbaut.
18
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2019 und die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
19
Die Klage ist zulässig.
20
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem Streitwert. Die örtliche Zuständigkeit beruht auf § 29 bzw. 32 ZPO. Das streitgegenständliche Fahrzeug befindet sich nach wie vor am Wohnsitz des Klägers, der im hiesigen Bezirk wohnt.
21
Die zulässige Klage ist unbegründet.
22
Ansprüche der Klagepartei gegen die Beklagte sind nicht gegeben.
23
1. Das Fahrzeug des Klägers ist nicht vom sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffen.
24
a) Nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei sollte der von Audi bezogene, angeblich manipulierte Motor (erst) in Fahrzeugen Cayenne-Diesel-SUV des Modelljahrs 2013 eingebaut werden. Nachdem die Erstzulassung des Fahrzeugs des Klägers jedoch bereits im April 2012 erfolgte, ist dieses Fahrzeug jedenfalls spätestens im Frühjahr 2012 gebaut worden. Der Einbau eines manipulierten, von Audi bezogenen Motors ist bereits nach dem eigenen Vortrag der Klagepartei damit ausgeschlossen.
25
b) Die Behauptung der Klagepartei, das streitgegenständliche Fahrzeug sei ebenfalls mit einer Manipulationssoftware ausgestattet, ist ein Vortrag ins Blaue hinein.
26
Bereits angesichts der zeitlichen Dimensionen, insbesondere der Übernahme von Porsche durch die V. AG erst im Jahr 2010 und der allgemein bekannten Dauer von Umstellungen bei der Fahrzeugproduktion, erscheint eine Betroffenheit des 2012 erstzugelassenen Fahrzeugs des Klägers als ausgeschlossen. In das streitgegenständliche Fahrzeug ist keiner der Motoren verbaut, die vom Diesel-Abgasskandal betroffen sind, weder ein Motor EA 189 noch ein Motor EA 288.
27
Auch die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 20.02.2019 (Anlage B1) spricht gegen eine Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einem vom Abgasskandal betroffenen Motor. Gleiches gilt für die Mitteilung von Porsche vom 17.09.2018 (Anlage R1), wonach Porsche des Typs Cayenne, allerdings mit einem anderen Motor, bezüglich der Modelljahre 2013-2016 betroffen sind, nicht aber das streitgegenständliche Fahrzeug.
28
Ferner zeigt auch die Behauptung des Klägers, eine fehlerhafte Dosierung des Harnstoffmittels AdBlue im SCR Katalysator führe dazu, dass das Fahrzeug weniger AdBlue verbrauche, als für die Erreichung der Grenzwerte notwendig sei, obgleich die AdBlue-Technologie bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine Anwendung findet, das Fahrzeug auch über keinen AdBlue-Tank verfügt, dass der Sachvortrag des Klägers zur Existenz von Abschalteinrichtungen ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt.
29
Eine Behauptung ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich aufs Geratewohl, gleichsam „ins Blaue hinein“ aufzustellen, ist rechtsmissbräuchlich; die entsprechende Behauptung ist prozessual unbeachtlich.
30
2. Es fehlt ferner an substantiiertem Sachvortrag, wann welche Organe, insbesondere Vorstandsmitglieder der Beklagten wann Kenntnis von der Verwendung bzw. dem Einsatz der Motorsoftware haben sollten und durch wen und in welcher Form eine Täuschung oder Schädigung des Klägers erfolgt sein soll. Es ist nicht im Ansatz erkennbar, wer wen wann worüber in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug informiert haben soll.
31
Die Beklagte trifft in diesem Zusammenhang nach Überzeugung des Gerichts keine sogenannte sekundäre Darlegungslast, wie von der Klagepartei behauptet. Mangels des Vortrags zumindest greifbarer Anhaltspunkte durch die Klagepartei liefe eine sekundäre Darlegungslast auf eine unzulässige Ausforschung der Beklagten hinaus.
32
3. Thermofenster sind bei der Regelung der Abgasrückführung in Dieselmotoren weit verbreitet und von den Zulassungsbehörden anerkannt. Die Verwendung eines Thermofensters verstößt daher nicht in das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.
33
Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster zulässig ist, ist jedenfalls nicht eindeutig unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs kann nicht als besonders verwerfliches Verhalten im Sinne des § 826 BGB angesehen werden. Mangels anderweitiger Anhaltspunkt ist allenfalls von einer fahrlässigen Verkennung der Rechtslage auszugehen. Dann fehlt es aber an einem notwendigen Schädigungsvorsatz, da dieser das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigende Inkaufnahme desselben erfordert.
34
4. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen etwaigen Verstoßes gegen die §§ 6, 27 EG-FGV scheidet bereits deshalb aus, weil es sich nicht um Schutzvorschriften i.S.d. § 823 BGB handelt.
35
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
36
Die Entscheidung über die vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.