Titel:
Keine Abgeltung von Resturlaubs über Mindesturlaub hinaus
Normenketten:
RL 2003/88/EG Art. 7
UrlMV § 9 Abs. 1
UrlV § 10
Schlagworte:
Urlaubsabgeltung, Europarechtlicher Mindesturlaub, weiterer Urlaubsanspruch, keine Abgeltung, Erben, Beamter, Besoldungsgruppe, Erholungsurlaub, Resturlaub, Abgeltung, Mindesturlaub
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.02.2021 – 3 ZB 20.2862
Fundstelle:
BeckRS 2020, 31815
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Kläger sind Erben eines Beamten, der bis zum seinem Tod im Jahr 2019 als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11) in Diensten des Beklagten stand.
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Im Jahr 2017 hatte der verstorbene Beamte 40 Tage Erholungsurlaub eingebracht, im Jahr 2018 22 Urlaubstage und im Jahr 2019 16 Urlaubstage. Für das Jahr 2019 erwarb der Beamte einen anteiligen Urlaubsanspruch von sieben Tagen. Bei seinem Tod waren 28 Tage zustehender (z.T. angesparter Rest-) Urlaub nicht eingebracht.
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Mit Schreiben vom … November 2019 teilte das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei der Klagepartei mit, dass eine Abgeltung von nicht eingebrachtem Erholungsurlaub im vorliegenden Fall nicht möglich sei. Denn der verstorbene Beamte habe in den vergangenen Urlaubsjahren den europarechtlich festgelegten Mindesturlaub von 20 Tagen genommen.
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Die Klagepartei unterstrich gegenüber dem Präsidium mit Schreiben vom … Mai 2020, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur der gesetzliche Mindesturlaub, sondern auch sonstiger Mehrurlaub als abzugeltender Anspruch auf die Erben übergehe. Unter Fristsetzung wurde der Beklagte aufgefordert, den gesamten Urlaubsanspruch des Erblassers ordnungsgemäß abzurechnen.
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Das Präsidium fasste dieses Schreiben als Widerspruch auf, der mit Widerspruchsbescheid vom … Juni 2020 zurückgewiesen wurde. Es sei unstrittig, dass Abgeltungsansprüche von nicht eingebrachtem Mindesturlaub eines Beamten auf die Erben übergingen. Ein solcher Anspruch bestehe vorliegend jedoch nicht. Das Bundesverwaltungsgericht habe betont, dass sich der Urlaubsabgeltungsanspruch auf den europarechtlich geregelten Mindesturlaub von vier Wochen (entsprechend 20 Arbeitstagen) beschränke. Das sei für die Beamten und Beamtinnen des Freistaats Bayern mit der entsprechenden Regelung in § 9 der Bayerischen Urlaubs- und Mutterschutzverordnung (UrlMV) erfolgt. Im Zeitpunkt des Todes des Beamten seien entsprechend dieser Regelung nicht die Jahre berücksichtigt worden, die seit mehr als 24 Monaten abgelaufen seien. Es seien daher die Jahre 2017, 2018 und 2019 in den Blick zu nehmen. In den Jahren 2017 und 2018 habe der verstorbene Beamte jeweils mehr als 20 Urlaubstage eingebracht und damit einen Erholungsurlaub in Anspruch genommen, der über dem europarechtlich festgelegten Mindesturlaubsanspruch liege. Im Jahr 2019 hätten dem Beamten anteilig sieben Tage Mindesturlaub (entsprechend anteilig von 20 Tagen berechnet) zugestanden. Er habe aber in diesem Jahr 16 Tage Erholungsurlaub eingebracht. Die von Klägerseite angeführte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die eine Abgeltung auch des über den Mindesturlaub hinausgehenden noch bestehenden Urlaubsanspruchs statuiere, betreffe ausschließlich Arbeitnehmer. Sie gelte jedoch nicht für Beamte.
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Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klagepartei Klage erhoben und beantragt,
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I. Der Bescheid des Beklagten vom … November 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom … Juni 2020 wird aufgehoben.
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II. Der Beklagte wird verpflichtet, den nicht eingebrachten Erholungsurlaub des am … April 2019 verstorbenen Herrn W.K. in Höhe von 28 Arbeitstagen in Geld festzusetzen und den Abgeltungsbetrag an die Kläger auszubezahlen.
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Der Beklagte wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei bei Angestellten im öffentlichen Dienst auch der den Mindesturlaub übersteigende nicht in Anspruch genommene Urlaubsanspruch abzugelten. Es bestehe kein sachlicher Grund, Beamte schlechter zu stellen als Angestellte im öffentlichen Dienst. Das stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.
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Das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei hat für den Beklagten beantragt,
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Die der streitgegenständlichen Entscheidung zugrundeliegende Regelung des § 9 UrlMV sei europarechtskonform und stelle auch keine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 18. September 2020, die Beklagtenpartei mit Schriftsatz vom 29. Juli 2020 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung kann im schriftlichen Verfahren ergehen, da die Beteiligten übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
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1. Die zulässige Verpflichtungsklage (vgl. SächsOVG, U.v. 5.8.2019 - 2 A 260/17 - juris Rn. 10) ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Abgeltung der vom Erblasser vor seinem Tod nicht in Anspruch genommenen 28 Urlaubstage in Geld unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Da § 9 Abs. 1 UrlMV eine gebundene Entscheidung über die Urlaubsabgeltung vorsieht und der Behörde insoweit keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum einräumt, geht der Hilfsantrag, den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO), ins Leere.
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Es besteht im vorliegenden Fall kein abzugeltender Urlaubsanspruch. Der Beamte hat in den Kalenderjahren 2017 bis 2019 in jedem Jahr mehr 20 Tage Urlaub genommen. Für das Jahr 2019, in dem der Beamte verstarb, hat er 16 Tage Erholungsurlaub eingebracht, wobei ihm bezogen auf den europarechtlich gewährleisteten Mindesturlaub von 20 Tagen anteilig nur sieben Tage zustanden. Nach § 9 Abs. 1 UrlMV besteht daher kein abzugeltender Urlaubsanspruch.
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a) In tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht kann auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Widerspruchsbescheids des Präsidiums vom *. Juni 2020 verwiesen werden. Dort ist die Rechtslage zutreffend dargestellt, weshalb das Gericht von einer weiteren Begründung absehen und darauf verweisen kann (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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b) Ergänzend ist zu unterstreichen, dass Art. 7 der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl L 299, S. 9, im Folgenden: RL/2003/88/EG) lediglich den Anspruch auf Urlaubsabgeltung des unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs von vier Wochen Erholungsurlaub (20 Tage) umfasst. Diesen hat der verstorbene Beamte in den Jahren 2017 bis 2019 vollständig in Anspruch genommen. Art. 7 der RL 2003/88/EG umfasst hingegen nicht den darüberhinausgehenden nationalen Urlaubsanspruch (vgl. EUGH, U.v. 3.5.2012 - C-337/10, Neidel - ABl EU 2012, Nr. C 174 S. 4, NVwZ 2012, 688, juris Rn. 36; BVerwG, Urteil vom 31.1.2013 - 2 C 10/12 - NVwZ 2013, 1295, juris Rn. 18), dessen finanzielle Abgeltung die Kläger begehren.
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Soweit die Klagepartei für ihre Rechtsansicht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Januar 2019 (9 AZR 45/16 - BAGE 165, 90 = NZA 2019, 829, juris Rn. 8 ff.) verweist, bedingt das nichts anderes. Denn dort war eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs für Arbeitnehmer Gegenstand, die sich aus dem gesetzlichen Mindesturlaub, dem tariflichen Mehrurlaub und dem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen zusammensetzte (BAG, a.a.O., juris Rn.8).
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Der Urlaubsanspruch eines Beamten ist abweichend geregelt. Er ergibt sich für die Bayerischen Beamtinnen und Beamten durch die Bayerische Urlaubs- und Mutterschutzverordnung vom 28. November 2018 (GVBl S. 543, zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung vom 10.10.2019, GVBl S. 594; bis 31.12.2017: Verordnung über den Urlaub der bayerischen Beamten und Richter (UrlV) vom 24. Juni 1997, GVBl S. 173/486, zuletzt geändert durch Verordnung vom 23.6.2015, GVBl S. 211). Auch die Abgeltung von aus Krankheitsgründen nicht eingebrachtem Erholungsurlaub ist in § 9 UrlMV (bis 31.12.2017: § 10 UrlV) festgelegt.
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Abzugelten ist nur der europarechtlich geregelte Mindesturlaub von vier Wochen (entsprechend 20 Tagen). Zusätzliche Urlaubstage, die über den nach Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG unionsrechtlich gewährleisten Mindesturlaub hinausgehen, sind nicht vom Urlaubsabgeltungsanspruch nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG erfasst (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., Rn. 18). Ein Anspruch aus Unionsrecht auf Abgeltung von sich aus nationalem Recht ergebenden weiteren Erholungsurlaubstagen, auch von sog. Arbeitszeitverkürzungstagen und des Schwerbehindertenzusatzurlaubs besteht daher nicht (BVerwG, U.v. 31.1.2013, a.a.O., Rn. 19). Bei der Berechnung der dem Beamten zustehenden Urlaubstage kommt es nach dem Zweck des Art. 7 RL 2003/88/EG auch nur darauf an, ob und wie viel Urlaub der Beamte im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat (BVerwG, U.v. 31.3.2013, a.a.O., Rn. 23). In dem Jahr, in dem der Beamte in den Ruhestand tritt (hier: verstorben ist), steht ihm der unionsrechtliche Mindesturlaubsanspruch nur anteilig zu (BVerwG, U.v. 31.3.2013, a.a.O., Rn. 35; Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Mai 2020, Art. 73 BayBG Rn. 73 ff.). Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, B.v. 15.5.2014 - 2 BvR 324/14 - NVwZ 2014, 1160 = NZA 2014, 838, juris Rn 15; vgl. zum Ganzen ausdrücklich auch: BayVGH, B.v. 29.7.2016 - 3 ZB 15.1469 - juris Rn. 6).
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Die für Beamte geltende Rechtslage stellt auch keine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Denn der Urlaubsanspruch eines Beamten ist durch Rechtsnormen geregelt, die nicht der Verhandlungsautonomie von Tarifvertragsparteien unterliegen. Das kennzeichnet aber andererseits die Regelung der Ansprüche von Angestellten im öffentlichen Dienst. Da Art. 7 RL 2003/88/EG nur Mindeststandards für die Regelungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union festlegt, steht die Regelung des § 9 UrlMV, der den in dieser Richtlinie statuierten Abgeltungsanspruch umsetzt, mit Europarecht in Einklang. In der Richtlinie ist ausdrücklich nicht festgelegt, dass ein nach nationalen Regelungen gewährter Urlaubsanspruch von Beamten, der über den europarechtlich statuierten Mindesturlaub von vier Wochen hinausgeht, ebenfalls abzugelten ist.
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Auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. November 2018 (C-569/16 und C-570/16, C-569/16, C-570/16, Bauer - ABl EU 2019, Nr C 16, 2-3, NJW 2019, 499, juris) folgt nichts Anderes. Dort ist angegeben, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaub mit dessen Tod nicht gänzlich untergehe. Daher sei dieser Urlaubsanspruch auch finanziell abzugelten (EuGH, a.a.O., Rn. 35 ff.). Dieser Entscheidung ist nicht zu entnehmen, dass ein individueller Urlaubsanspruch, der über den europarechtlich geregelten Mindestanspruch von 20 Tagen hinausgeht, nach europarechtliche Vorgaben abzugelten ist.
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Da der europarechtliche gewährleistete Mindesturlaubsanspruch in den Jahren 2017 bis 2019 jeweils vollständig durch Einbringung von Erholungsurlaub erfüllt wurde, kommt es nicht darauf an, dass nur für die Urlaubsjahre 2018 und 2019 die 24-monatige Verfallsfrist in § 9 Abs. 1 Satz 4 UrlMV zur Anwendung kommt. Denn die Bayerische Urlaubs- und Mutterschutzverordnung trat mit Wirkung zum 1. Januar 2018 in Kraft. Zuvor - für das Urlaubsjahr 2017 - galt eine 15-monatige Verfallsfrist in § 10 Abs. 3 Satz 3 UrlV (vgl. hierzu VG München, U.v. 14.4.2020 - M 5 K 17.6000 - juris Rn. 31 ff.; BayVGH, B.v. 19.2.2019 - 3 BV 16.2630 - juris Rn. 12 ff.).
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2. Die Klagepartei hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).