Inhalt

VG München, Urteil v. 24.09.2020 – M 10 K 20.222
Titel:

Unzulässigkeit der Veröffentlichung einer Pressemitteilung durch die Staatsanwaltschaft

Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
EGGVG § 23 Abs. 1 S. 1
VwGO § 42 Abs. 2, § 43 Abs. 1, § 88, § 101 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 4, § 155 Abs. 1 S. 1
BayPrG Art. 4 Abs. 1
RiStBV Nr. 23 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 11, § 709 S. 2, § 711
GKG § 52 Abs. 2
Leitsätze:
1. § 23 EGGVG begründet keine abdrängende Sonderzuweisung, da Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft alleine das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigen und deshalb keine Maßnahmen der Strafrechtspflege darstellen (vgl. BGH BeckRS 2017, 120643; BVerwG BeckRS 1988, 2137). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Staatsanwaltschaft muss den Beschuldigten in einem Strafverfahren vor Veröffentlichung einer Pressemitteilung grundsätzlich zuvor unterrichten, damit dieser wirksam auf das behördliche Informationshandeln reagieren kann (vgl. VG Regensburg BeckRS 2019, 20868 Rn. 46). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Unterrichtungspflicht folgt aus dem Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten, der sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergibt und auch außerhalb des Strafprozesses im Rahmen der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen ist (vgl. VGH München BeckRS 2020, 20693 Rn. 13, Rn. 25; BVerfG BeckRS 1981, 1895). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die dem Beschuldigten für eine eigene Reaktion gegenüber der Presse einzuräumende Frist hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Art und Schwere der Tat, der Komplexität des Verfahrens, den Vorkenntnissen der Verteidiger über das Ermittlungsergebnis und das mediale Interesse am Ermittlungsverfahren, ab (vgl. vgl. VGH München BeckRS 2020, 20693 Rn. 35; VG Saarlouis BeckRS 2003, 22651). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
5. Dem Rechtsanwalt ist die Erarbeitung einer „fundierten“ und „substantiierten“ Antwort auf Presseanfragen bzw. der Vorbereitung eigener Medienerklärungen zu ermöglichen (vgl. VGH Kassel BeckRS 2005, 23013 Rn. 3). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Presserecht, Pressearbeit der Staatsanwaltschaft, Pflicht zur vorherigen Unterrichtung, Wiederholungsgefahr, Recht auf ein faires Verfahren, Grundsatz der Waffengleichheit, Pressearbeit, Staatsanwaltschaft, Pressemitteilung, faires Verfahren, abdrängende Sonderzuweisung, allgemeine Leistungsklage, Fortsetzungsfeststellungsklage
Fundstelle:
BeckRS 2020, 31768

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft …  zur Veröffentlichung ihrer den Kläger betreffenden Pressemitteilung … vom … Dezember 2019 nicht berechtigt war.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beteiligten haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beteiligten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweils andere Beteiligte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft …  im Zusammenhang mit einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren.
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Der Kläger ist ein bekannter deutscher Sportmediziner aus Er.. Der Beklagte ist Rechtsträger der Staatsanwaltschaft ....
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Am … Januar 2019 leitete die Staatsanwaltschaft ... als bayerische Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Dopingdelikte (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) ein Ermittlungsverfahren wegen gewerbsmäßigen Anwendens nach der WADA-Verbotsliste verbotener Methoden gegen Unbekannt ein, nachdem kurz zuvor am selben Tag in der ARD-Sportschau ein 45-minütiger TV-Beitrag mit dem Titel „Die Gier nach Gold - Der Weg in die Dopingfalle“ ausgestrahlt wurde. Inhalt des Beitrags war im Wesentlichen ein Interview mit einem österreichischen Skilangläufer, in dem dieser ausführlich über seine (Eigenblut-)Dopingpraktiken berichtete. Dabei gab er unter anderem zu, dass er sich auch auf deutschem Staatsgebiet und mithilfe von deutschen Staatsangehörigen gedopt habe. Konkrete Namen wurden in dem Beitrag jedoch nicht genannt.
4
Am 23. Januar 2019 wurde der Skilangläufer als Zeuge vernommen und gab dabei an, dass die Blutentnahmen und -rückführungen vom Kläger vorgenommen und organisiert worden seien. Das Ermittlungsverfahren wurde daraufhin am 24. Januar 2019 auf den Kläger umgetragen. Nachdem im Ermittlungsverfahren bekannt geworden ist, dass der Kläger im österreichischen S., dem damaligen Austragungsort der nordischen Skiweltmeisterschaften, ein Hotelzimmer und ein Apartment angemietet hatte, fanden am 27. Februar 2019 umfangreiche Razzien sowohl in Seefeld als auch in Erfurt statt. Im Rahmen der sogenannten „Operation Aderlass“ wurden der Kläger und vier weitere Personen verhaftet. Der Kläger befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
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Die Operation Aderlass zog ein, auch international, herausragendes Medieninteresse nach sich. Insgesamt sollen nach Auskunft der Staatsanwaltschaft 23 Sportler aus acht europäischen Ländern Blutdoping an sich durchgeführt haben lassen. Die Ermittlungen hätten sich insgesamt gegen 50 Personen, darunter Sportler und Ärzte, gerichtet. Die gedopten Sportler hätten unter anderem an Ereignissen wie den olympischen Winterspielen, der Tour de France oder an Weltmeisterschaften teilgenommen.
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Am 13. Dezember 2019 erhob die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger wegen unerlaubtem gewerbsmäßigen Inverkehrbringen, Verschreiben oder Anwenden bei anderen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in fünf Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubtem gewerbsmäßigem Anwenden von Dopingmethoden bei anderen Personen zum Zwecke des Dopings im Sport in 115 Fällen, in 15 dieser Fälle zugleich als Mitglied einer Bande in Tatmehrheit mit versuchtem unerlaubtem gewerbsmäßigem Anwenden von Dopingmethoden bei anderen Personen zum Zwecke des Dopings im Sport in 25 Fällen, in einem dieser Fälle zugleich als Mitglied einer Bande, in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung Anklage beim Landgericht München II. Daneben wurden vier weitere Personen angeklagt, denen überwiegend Beihilfe zu den oben genannten Delikten vorgeworfen wird. In der Anklageschrift werden unter anderem die Einlassungen der fünf Angeklagten, über 30 Zeugen, vier Sachverständige und mehrere Gutachten als Beweismittel benannt. Die Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft umfasst insgesamt 54 Bände.
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Am 19. Dezember 2019 teilte die Staatsanwaltschaft dem Strafverteidiger des Klägers mit, dass ihm die Anklage vorab per Email zugestellt werden soll. Um 12:09 Uhr desselben Tages wurde die 145-seitige Anklageschrift sodann an den Verteidiger des Klägers übersandt.
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Um 14:04 Uhr desselben Tages versandte die Staatsanwaltschaft eine dreiseitige Pressemitteilung, in der sie ohne Nennung des vollständigen Namens des Klägers mittelte, dass sie gegen einen Erfurter Sportarzt („Dr. S.“) und vier seiner Helfer Anklage erhoben habe. Dabei benannte sie die wesentlichen Anklagevorwürfe und gab einen groben Überblick über das Verfahren. Bereits um 15:49 Uhr berichtete die ARD Sportschau daraufhin unter Nennung seines vollständigen Namens auf ihrem Internetauftritt über die Vorwürfe gegen den Kläger.
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Persönlich erhielt der Kläger die Anklageschrift erst am 23. Dezember 2019 in der Untersuchungshaft.
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Der Kläger hat mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 19. Januar 2020, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht München am selben Tag, Klage erhoben und beantragt,
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den Beklagten zu verpflichten, den Kläger über ihn betreffende Pressemitteilungen zukünftig mindestens 24 Stunden vor deren Veröffentlichung über deren Inhalt zu unterrichten,
hilfsweise
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festzustellen, dass die Staatsanwaltschaft ... zur Veröffentlichung ihrer den Kläger betreffenden Pressemitteilung … vom … Dezember 2019 nicht berechtigt war.
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Eine Klage sei zulässig und begründet. Der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handele und die Streitigkeit nicht aufgrund von Sonderzuweisungen einem anderen Gericht zugewiesen sei. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG sei nicht einschlägig, da es sich bei der staatsanwaltschaftlichen Pressearbeit um eine dem öffentlichen Zweck dienende Tätigkeit und folglich um keine justiztypische Maßnahme handele. Die Klage sei als Verpflichtungsklage zulässig, da gemessen an der zu erwartenden Dauer des gegen den Kläger gerichteten Strafverfahrens, seines Umfangs sowie des besonderen nationalen und auch internationalen Medieninteresses mit identischen oder zumindest vergleichbaren Verletzungshandlungen gerechnet werden könne. Die hilfsweise gestellte Feststellungsklage sei ebenfalls statthaft. Darüber hinaus verfüge der Kläger über das notwendige Feststellungsinteresse, da Wiederholungsgefahr bestehe. Ebenso bestehe unter Rehabilitationsgesichtspunkten ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers. Der Kläger sei in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Ebenso stelle die Bekanntgabe der Tatvorwürfe eine Diskriminierung des Klägers dar. Durch die Pressemitteilung des Beklagten habe diese gegen den Grundsatz auf ein faires Verfahren, insbesondere gegen die Waffengleichheit, verstoßen. Weil der Beklagte die Pressemitteilung maximal drei Stunden nach Zustellung der Anklage an den Verteidiger des Klägers veröffentlicht habe, sei es dem Kläger nicht möglich gewesen, sich auf eine mögliche Reaktion vorzubereiten. Der Kläger habe sich in Untersuchungshaft befunden, sodass lediglich sein Verteidiger Kenntnis von der Existenz der Anklageschrift gehabt habe. Grundsätzlich gestatte § 4 Bayerisches Pressegesetz (BayPrG) i.V.m. Nr. 23 der Richtlinie für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) der Staatsanwaltschaft zwar, die Presse von einer Anklage zu unterrichten. Dennoch sei sie bei der Veröffentlichung an die Grundsätze des fairen Verfahrens gebunden, welche sie durch die zeitnahe Bekanntgabe gegenüber der Presse verletzt habe. Das Recht auf ein faires Verfahren ergebe sich für den Kläger aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Ein bedeutender Bestandteil eines fairen Verfahrens sei die Waffengleichheit in Form der Gleichstellung und Gleichbehandlung von Anklagebehörde und Beschuldigten im eigentlichen Straf- und Ermittlungsverfahren sowie auch darüber hinaus im Verhältnis zur Öffentlichkeit. Eine Waffengleichheit könne nicht bestehen, wenn der Beschuldigte noch keine Kenntnis von den ihm gegenüber erhobenen Tatvorwürfen habe. Auch einem Verteidiger könne nicht zugemutet werden, eine derart lange Anklage binnen drei Stunden zu lesen, sich mit dem zweiten Verteidiger zu besprechen sowie gegebenenfalls eine substantiierte und fundierte Stellungnahme zu den Vorwürfen anzufertigen. Auch nach ständiger Rechtsprechung müsse der Kläger von der Anklageerhebung so rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden, dass er theoretisch selbst gegenüber der Presse in vergleichbarer Weise wie die Staatsanwaltschaft reagieren könne. Es werde diesbezüglich nochmals darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Strafverfahren um ein besonders öffentlichkeitswirksames Verfahren handele. Die Tatvorwürfe beträfen sowohl den nationalen als auch den internationalen Spitzensport. Bereits aufgrund dieser Umstände sei das Interesse von Presse- und Medienvertretern sehr hoch. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Pressemitteilung seitens der Staatsanwaltschaft habe der Verteidiger des Klägers zahlreiche Anrufe von diversen Pressesowie TV-Agenturen erhalten. Auch anhand der Akten, die dem Verteidiger erst seit kurzem vorgelegen hätten, habe keine Stellungnahme vorab erarbeitet werden können. Der Umstand, dass sich der Kläger in Untersuchungshaft befinde, habe zudem eine kurzfristige Absprache erschwert. Welcher Zeitraum für eine Vorbereitung der Stellungnahme ausreichend sei, sei abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls. Grundsätzlich gelte, je umfassender die Anklage, desto mehr Zeit müsse dem Beschuldigten eingeräumt werden. In Anbetracht der umfangreichen Anklageschrift, des sich über 34 Seiten erstreckenden Anklagesatzes sowie der schwerwiegenden Tatvorwürfe, sei im vorliegenden Fall ein Zuwarten von maximal 3 Stunden nicht ausreichend gewesen. Vielmehr erscheine ein Zeitraum von mindestens 24 Stunden angemessen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Dies begründet der Beklagte damit, dass weder eine Verpflichtungsklage noch eine allgemeine Leistungsklage statthaft sei. Zwar sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, aber das Klageziel sei weder der Erlass eines Verwaltungsakts noch die Vornahme, Duldung oder das Unterlassen einer hoheitlichen Handlung, da die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft keine hoheitliche Handlung einer Behörde darstelle. Die hilfsweise erhobene Feststellungsklage sei zwar statthaft, der Kläger habe aber kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Eine Wiederholungsgefahr liege nicht vor, da kein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Kläger bei der Staatsanwaltschaft ... anhängig sei. Es läge zudem weder ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vor, noch sei ein berechtigtes Feststellungsinteresse unter Rehabilitationsgesichtspunkten gegeben. Der Kläger sei darüber hinaus nicht in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden. Das Recht auf ein faires Verfahren erfordere zwar, dass die Öffentlichkeit über die Tatsache einer Anklageerhebung erst informiert werde, wenn die Anklageerhebung dem Betroffenen bekannt gemacht worden sei, da einem Beschuldigten nicht zugemutet werden könne, die Tatsache der Anklageerhebung und deren Inhalt durch die Presse zu erfahren. Dies sehe so auch Nr. 23 Abs. 2 RiStBV vor. Im vorliegenden Fall sei der Kläger jedoch rechtzeitig von der Anklageerhebung informiert worden. Bei Verfahren mit großem Öffentlichkeitsinteresse reiche die einfache Mitteilung an den Angeklagten über die Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft aus. Da die Presse nach Art. 4 BayPrG gegenüber Behörden ein zeitnahes Recht auf Auskunft habe, müsse der Angeklagte über den Umstand der Anklageerhebung nicht zwingend durch die Zustellung der Anklageschrift unterrichtet werden. Ein fester Zeitraum für eine Wartefrist zwischen Zustellung und Information der Öffentlichkeit ergebe sich weder aus dem Gesetz noch könne eine solche aus der bisherigen Rechtsprechung hergeleitet werden. Ob und wie lange die Staatsanwaltschaft nach Information des Beschuldigten über die Anklageerhebung bis zur Abgabe einer Presseerklärung abzuwarten habe, hänge vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sei neben dem Umfang der Anklageschrift auch das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Die der Presseerklärung zugrunde liegenden Umstände seien dem Kläger bereits aus dem Haftbefehl und den Ermittlungsakten bekannt gewesen. Dem Verteidiger des Klägers sei mit Verfügung vom 15. November 2019 Akteneinsicht in die vollständige Ermittlungsakte gewährt worden. Insofern seien dem Verteidiger mitnichten erst Mitte Dezember sämtliche 15.000 Seiten Ermittlungsakten bekannt gewesen, zumal diese den Kläger nur zum Teil beträfen. Es habe dem Kläger daher offen gestanden, sich zu der Frage der Untersuchungshaft oder zu den Tatvorwürfen von sich aus bereits früher an die Öffentlichkeit zu wenden. Der Umstand, dass zeitnah Anklage erhoben werden sollte, sei dem Kläger und seinem Verteidiger bereits bekannt gewesen und sei keinesfalls überraschend gekommen. Mit Verfügung vom 6. November 2019 sei dem Verteidiger mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, die Anklage noch bis Ende des Jahres fertig zu stellen. Ein weiteres Zuwarten bezüglich der Information der Presse sei im vorliegenden Fall nicht denkbar gewesen. Seit Kenntnis der Öffentlichkeit vom Ermittlungsverfahren aufgrund des öffentlich wahrnehmbaren Zugriffs der Operation Aderlass in Seefeld, hätten zahlreiche Presseanfragen nationaler und internationaler Medien vorgelegen. Seit September 2019 hätten sich die konkreten Fragen der Pressevertreter nach einem baldigen Abschluss der Ermittlungen gehäuft. Die Verteidigung müsse die Anklage und die Medieninformation zwar lesen können, es sei aber nicht erforderlich, ihr Zeit für die eigene Medienarbeit zu geben. Es sei nicht zutreffend, dass es dem Kläger nicht möglich gewesen sei, eine Reaktion auf die Anklageerhebung vorzubereiten. Mit Versendung der Pressemitteilung seien die Journalisten zu einem erläuternden Pressegespräch in den Räumen der Staatsanwaltschaft am 20. Dezember 2019 um 10:00 Uhr eingeladen worden. Diese Veranstaltung habe also mindestens ein Zeitfenster von 22 Stunden seit Kenntnisnahme von der Anklageerhebung offengehalten, in dem ganz offensichtlich eine Stellungnahme der Verteidigung möglich gewesen wäre. Das vom Kläger herangezogene Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg verkenne den Unterschied an die Anforderungen hinsichtlich der Waffengleichheit vor Gericht und gegenüber der Presse, wenn es daraus eine Verpflichtung ableite, zwischen Kenntnisnahme der Anklageerhebung durch den Betroffenen und Verlautbarung der Anklageerhebung an die Öffentlichkeit eine bestimmte zeitliche Frist abzuwarten. Der Kläger habe in allen Stadien des Verfahrens die Möglichkeit, sich zu dem festgestellten Sachverhalt und den daraus geschlossenen Bewertungen zu äußern. Diese Möglichkeit werde dem Kläger durch die Pressearbeit der Staatsanwaltschaft nicht beschränkt. Die Information in der Pressemitteilung sei wahrheitsgemäß, sachgerecht und verständlich gewesen und habe im öffentlichen Informationsinteresse gelegen. Die Auskünfte seien unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte und der Unschuldsvermutung erteilt worden. Der Name des Klägers sei nicht genannt worden.
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Der Kläger erwiderte mit Schriftsatz vom 15. Juli 2020, dass sich eine Wiederholungsgefahr aus weiterhin anstehenden Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft in dem Verfahren ergebe. Das besondere nationale und internationale mediale Interesse an dem Verfahren habe der Beklagte selbst anschaulich dargestellt. Soweit sich die Staatsanwaltschaft zu Fragen der Waffengleichheit und dem Gebot eines fairen Verfahrens einlasse, offenbare dies ein eklatantes Fehlverständnis der eigenen Funktion im Rahmen eines Strafverfahrens. Während die Staatsanwaltschaft zu Objektivität und Neutralität gesetzlich verpflichtet sei, gelte dies umgekehrt weder für den Beschuldigten noch für seine Bevollmächtigten. Dementsprechend gelte der Grundsatz der Waffengleichheit auch nicht für die Staatsanwaltschaft.
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Die Beteiligten verzichteten mit Schreiben vom 15. Juli 2020 bzw. 23. Juli 2020 auf mündliche Verhandlung.
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Das Landgericht München II ließ die Anklage in dem Strafverfahren gegen den Kläger zu und bestimmte zunächst 26 Hauptverhandlungstage, beginnend im September 2020. Gegenüber dem Magazin „Tour“ teilte der zuständige Oberstaatsanwalt G. am 18. August 2020 mit, dass zu den noch nicht (öffentlich) enttarnten Sportlern auch ein noch aktiver Radprofi aus Deutschland gehöre. Er glaube daher, dass noch „das ein oder andere auf den Tisch kommen werde“.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Unterlagen der Staatsanwaltschaft ... (Anklageschrift und Pressemitteilung vom 19.12.2019) verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
22
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, zukünftig von dem Beklagten mindestens 24 Stunden vor der Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung über deren Inhalt unterrichtet zu werden (A.). Allerdings war die Staatsanwaltschaft ... zur Veröffentlichung ihrer den Kläger betreffenden Pressemitteilung 08 vom 19. Dezember 2018 nicht berechtigt (B.).
23
Der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht … ist eröffnet. Es handelt sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, deren streitentscheidende Normen (hier insbesondere Art. 4 BayPrG und Art. 6 EMRK) ausschließlich öffentlich-rechtliche Hoheitsträger berechtigen oder verpflichten. Eine abdrängende Sonderzuweisung begründet sich insbesondere nicht aus § 23 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, da Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft alleine das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit befriedigen und deshalb keine Maßnahmen der Strafrechtspflege darstellen (BGH, B.v. 27.7.2017 - 2 ARs 188/15 - juris; BVerwG, 14. 4.1988 - 3 C 65/85 - NJW 1989, 412).
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A. In ihrem Hauptantrag ist die Klage schon unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
25
I. Die Klage ist zwar als allgemeine Leistungsklage statthaft, da sie auf ein Tun des Beklagten gerichtet ist (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 62). Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten dahingehend, dass er ihn in Zukunft mindestens 24 Stunden vor Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung unterrichten muss. Eine solche Unterrichtung stellt auch nicht etwa den Erlass eines Verwaltungsakts, sondern einen Realakt dar.
26
1. Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob der Kläger klagebefugt ist (zum Erfordernis dieser Voraussetzung bei der allgemeinen Leistungsklage: Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 42 Rn. 68). Eine Klagebefugnis läge nur dann vor, wenn es wenigstens möglich erschiene, dass dem Kläger der begehrte Anspruch zustünde. Es dürfte also nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass der Kläger von dem Beklagten verlangen kann, dass diese ihn in Zukunft stets mindestens 24 Stunden vor Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung informieren muss.
27
Die Beteiligten sind sich zwar einig darin, dass die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten in einem Strafverfahren vor Veröffentlichung einer solchen Pressemitteilung grundsätzlich zuvor unterrichten muss, damit dieser wirksam auf das behördliche Informationshandeln reagieren kann (vgl. dazu VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 45). Eine solche Unterrichtungspflicht kann aus dem Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten in einem Strafverfahren abgeleitet werden, der sich aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergibt und auch außerhalb des Strafprozesses im Rahmen der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.8.2020 - 7 ZB 19.1999 - juris Rn. 13, 25; BVerfG, B.v. 26.5.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250). Auch das erkennende Gericht ist der Ansicht, dass die Staatsanwaltschaft, will sie die Presse kurz nach Zuleitung der Anklageschrift an das Gericht über die Anklageerhebung unterrichten, dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger zuvor die vollständige Anklageschrift übermitteln und ihm zeitlich die Möglichkeit einräumen muss, angemessen auf das behördliche Informationshandeln reagieren zu können (BayVGH, B.v. 20.8.2020 - 7 ZB 19.1999 - juris Rn. 15, 35; Verwaltungsgericht des Saarlandes, U.v. 23.6.2003 - 1 K 129/02 - NJW 2003, 3431). Wieviel Zeit dem Beschuldigten für eine eigene Reaktion gegenüber der Presse einzuräumen ist, hängt - auch darin sind sich die Beteiligten grundsätzlich einig - jedoch von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Art und Schwere der Tat, der Komplexität des Verfahrens, den Vorkenntnissen der Verteidiger über das Ermittlungsergebnis und des medialen Interesses am Ermittlungsverfahren, ab (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 20.8.2020 - 7 ZB 19.1999 - juris Rn. 35).
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Gemessen daran scheint es dem Gericht von vornherein ausgeschlossen zu sein, dass im Falle des Klägers eine konkrete Zeitspanne bestimmt werden kann, die stets und unabhängig von den Einzelfallumständen abgewartet werden muss, bevor die Veröffentlichung einer Pressemitteilung durch den Beklagten erfolgen darf. Erst recht ist für das Gericht nicht ersichtlich, wieso eine solche Zeitspanne, wie vom Kläger begehrt, immer mindestens 24 Stunden betragen müsste. Das Gericht kann sich durchaus Fälle vorstellen, in denen einerseits auch eine deutlich geringe, aber andererseits auch eine längere Wartefrist angemessen wäre. Aufgrund dieser Einzelfallabhängigkeit vermag es das Gericht auch nicht, einen vom Klageantrag abweichenden Zeitraum als „stets angemessen“ zu bestimmen. Ohnehin könnte das Gericht aufgrund der Bindung an das Klagebegehren gemäß § 88 VwGO nicht mehr zusprechen, als beantragt wurde. Aber auch die Festlegung auf eine geringere Zeitspanne erscheint dem Gericht aufgrund der Einzelfallabhängigkeit nicht möglich. So sind durchaus Fälle denkbar, bei denen die abzuwartende Zeitspanne aufgrund besonderer Eilbedürftigkeit, einem herausragenden Medieninteresse oder einer nur sehr geringen Beeinträchtigung der Rechte des Betroffenen sehr gering sein dürfte. Ebenfalls nicht zulässig wäre es, selbst wenn dies so beantragt worden wäre, den Beklagten dazu zu verurteilen, stets einen angemessenen Zeitraum abzuwarten. Zum einen handelt es sich dabei um die geltende Rechtslage, die vom Beklagten ohnehin zu beachten ist. Eine Verbesserung seiner Rechtslage ginge damit folglich nicht einher. Zum anderen würde die Verpflichtung des Beklagten stets einen „angemessen“ Zeitraum abzuwarten, die Zuerkennung eines „Aliuds“ darstellen, die jedoch nicht zulässig ist (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 88 Rn. 6).
29
Jedenfalls fehlt dem Kläger das Rechtschutzbedürfnis für seine Klage, da er bei dem Beklagten vor Klageerhebung keinen Antrag im Sinne seines Begehrens gestellt hat. Ein solcher Antrag kann dabei auch nicht als „bloße Förmelei“ angesehen werden, sondern soll zum einen dem Beklagten ermöglichen, sich mit dem konkreten Begehren (außergerichtlich) auseinandersetzen zu können und gegebenenfalls eine entsprechende Selbstverpflichtung abzugeben. Zum anderen dient ein solches Antragserfordernis auch der Entlastung der Gerichte, da durchaus die nicht ganz fernliegende Möglichkeit besteht, dass sich die Beteiligten in der Sache, gegebenenfalls nach vorherigen Verhandlungen, einig werden und so von einem Rechtsstreit absehen.
30
II. Selbst wenn man die Klage als zulässig ansehen würde, wäre sie jedenfalls unbegründet.
31
Wie bereits dargestellt, besteht zwar grundsätzlich der Anspruch des Klägers darauf, vor Veröffentlichung einer ihn betreffenden Pressemitteilung rechtzeitig informiert zu werden, um sich angemessen auf das Verfahren vorbereiten zu können. Um allerdings einen Anspruch auf die Einhaltung einer ganz bestimmten Wartefrist zwischen Unterrichtung des Klägers bzw. seines Verteidigers und der Pressearbeit geltend machen zu können, bedürfte es insofern einer Ermessensreduzierung auf null dergestalt, dass einzig und allein die beanspruchte Wartefrist zulässig wäre. Das heißt umgekehrt, dass alle anderen denkbaren Wartefristen unzulässig sein müssten, weil sie entweder zu kurz oder zu lang wären. Da die abzuwartende Wartefrist, wie dargestellt, allerdings stets von den Umständen des Einzelfalles abhängig ist, dürfte eine derartige Reduzierung auf eine ganz bestimmte Zeitspanne regelmäßig ausscheiden. Es scheint kaum denkbar, dass die Umstände in einem Strafverfahren einmal so gelagert sind, dass unabhängig von den situationsabhängigen Umständen nur eine ganz bestimmte Wartefrist angemessen ist. Jedenfalls im konkreten Fall spricht nichts dafür, dass eine solche „Reduzierung auf null“ hinsichtlich einer bestimmten Zeitspanne eingetreten wäre. Es ist eine Vielzahl an Szenarien denkbar, die je nach ihrer konkreten Ausgestaltung verschiedene Wartefristen zur Folge haben können. Der Kläger kann daher nicht mit Erfolg beanspruchen, dass ihn der Beklagte stets in einer vom Gericht bestimmten Zeitspanne vor der Veröffentlichung einer Pressemitteilung unterrichten muss.
32
B. Die hilfsweise erhobene Feststellungklage ist zulässig (I.) und begründet (II.).
33
I. Der Kläger hat insbesondere ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, § 43 Abs. 1 VwGO.
34
Dabei genügt jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Für Rechtsverhältnisse, die sich - wie das vorliegend zu prüfende - auf einen vergangenen Zeitpunkt beziehen, kann an die zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entwickelten Fallgruppen angeknüpft werden. Danach kommen insbesondere ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, eine Wiederholungsgefahr und eine zu bewirkende Rehabilitierung als Träger des Feststellungsinteresses in Betracht (Möstl in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.7.2020, § 43 Rn. 24). Zwar kann der Kläger ein Rehabilitierungsinteresse wohl nicht mit Erfolg geltend machen, da ein solches eine vorherige Diskriminierung des Klägers voraussetzt. Die Information über die Anklageerhebung war jedoch wahrheitsgemäß und sachgerecht und erfolgte ohne ausdrückliche Nennung des Namens des Klägers. Auch kann deshalb wohl nicht von einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff ausgegangen werden. Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen.
35
Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger jedenfalls dargelegt, dass er aufgrund bestehender Wiederholungsgefahr ein Interesse an der begehrten Feststellung hat. Die angenommene Wiederholungsgefahr setzt voraus, dass die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind und die konkrete Gefahr besteht, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt bzw. ein gleichartiges behördliches Vorgehen zu erwarten ist (BayVGH, B.v. 20.8.2020 - 7 ZB 19.1999 - juris Rn. 9; vgl. auch Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 112 m.w.N.). Es bedarf dafür einer konkreten Gefahr dergestalt, dass sich die Verwaltungsbehörde aus gleichartigen Erwägungen in naher Zukunft erneut so verhalten wird, wie sie das zuvor bereits getan hat, weil sie eine entsprechende Absicht zu erkennen gegeben hat (vgl. BVerwG, U. v. 25.8.1993 - 6 C 7/93 - NVwZ-RR 1994, 234).
36
Aufgrund der Umstände des Strafverfahrens gegen den Kläger sowie des bisherigen (Prozess-)Verhaltens des Beklagten geht das erkennende Gericht davon aus, dass eine konkrete Gefahr dafür besteht, dass der Beklagte in Zukunft erneut eine den Kläger betreffende Pressemitteilung herausgeben oder in vergleichbarer Art und Weise Medienarbeit betreiben könnte, ohne ihm zeitlich die Möglichkeit einzuräumen, angemessen auf das behördliche Informationshandeln reagieren zu können.
37
Vorliegend gibt es zwar - jedenfalls soweit öffentlich bekannt - kein weiteres (vergleichbares) Ermittlungsverfahren gegen den Kläger, in dem ebenso mit einer Pressemitteilung betreffend eine erstmalige Anklageerhebung gerechnet werden müsste. Allerdings sei nach eigener Aussage des zuständigen Staatsanwalts, soweit es den Fall des Klägers betrifft, „noch nicht alles auf den Tisch gekommen“. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, dass es im Laufe des Strafverfahrens noch zu weiteren Ermittlungserfolgen der Staatsanwaltschaft und somit zu den Kläger betreffenden Nachtragsanklagen kommen könnte. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Anklagen inhaltlich gerechtfertigt wären und eine (weitere) Verurteilung tragen könnten, da der so Angeklagte alleine durch die Veröffentlichung einer (weiteren) Anklage bereits belastet wäre. Dass die nicht nur theoretische Möglichkeit der Aufdeckung weiterer Fälle durchaus naheliegt, zeigt sich schon an der Vielzahl der dem Kläger vorgeworfenen Taten, die größtenteils in Tatmehrheit zueinanderstehen und eine Vielzahl unterschiedlicher Personen und Vorfälle betreffen. Es könnte durchaus sein, dass der Kläger selbst oder einer der Mitangeklagten im Strafprozess weitere, von der Staatsanwaltschaft bisher noch unentdeckte Taten eingesteht, sodass diese Gegenstand einer Nachtragsanklage werden könnten. Selbst wenn es in dem Strafverfahren nicht mehr zu weiteren (Nachtrags-)Anklagen kommen sollte, besteht die konkrete Gefahr, dass der Beklagte zu weiteren entscheidenden Ereignissen im Strafverfahren, z.B. des Plädoyers oder der Urteilsverkündung, Stellung in der Öffentlichkeit beziehen wird. Dafür spricht zum einen, dass der Beklagte in der Vergangenheit bereits Pressemitteilungen zu eigenen Plädoyers oder Urteilsverkündungen herausgegeben hat, zum anderen, dass sich der für das Strafverfahren des Klägers zuständige Oberstaatsanwalt bereits wiederholt öffentlichkeitswirksam an Vertreter der Presse gewandt hat und dabei teilweise auch neue Informationen über das Ermittlungs- bzw. Strafverfahren des Klägers preisgab.
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Zudem gibt das Prozessverhalten des Beklagten keinerlei Anlass dafür, dass das geltende Recht bei der Veröffentlichung einer den Kläger betreffenden Pressemitteilung in Zukunft beachtet wird. Insbesondere weist der Beklagte selbst darauf hin, dass die gerichtliche Entscheidung für ihn notwendig ist, um in Zukunft entsprechend rechtmäßig handeln zu können. Auch das nach insofern übereinstimmender Ansicht der Beteiligten überragend hohe Medieninteresse, inklusive der internationalen Berichterstattung, an dem Strafverfahren zeigt deutlich, dass weiterhin mit - inhaltlich zulässiger - Pressearbeit des Beklagten, die das mindestens bis Dezember andauernde Strafverfahren betreffen, zu rechnen ist. Die begehrte Feststellung ist aufgrund der Wiederholungsgefahr daher geeignet, die Rechtsstellung des Klägers sowohl im Hinblick auf das laufende Strafverfahren als auch im Hinblick auf etwaige zukünftige Verfahren zu verbessern.
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II. Die Feststellungsklage ist begründet, da die konkrete Veröffentlichung in ihrer zeitlichen Ausgestaltung rechtswidrig gewesen ist.
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Indem der Beklagte die Pressemitteilung nicht einmal zwei Stunden nach Übermittelung der Anklageschrift an die Verteidiger des Klägers herausgab, hat sie das Recht des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt, auch wenn die Pressearbeit inhaltlich nicht zu beanstanden war. Der Beklagte hat dem Strafverteidiger mithin nicht die Möglichkeit gewährt, eine angemessene Reaktion auf das behördliche Informationshandeln zu erarbeiten.
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Nach Art. 4 Abs. 1 BayPrG ist die Staatsanwaltschaft als Behörde nicht nur dazu verpflichtet, der Presse Auskünfte zu erteilen, wenn diese angefordert werden, sondern grundsätzlich auch dazu berechtigt, in eigener Initiative an die Öffentlichkeit zu treten, um Informationen, die für die Allgemeinheit von erheblichem Interesse sind, mitzuteilen. Dies gilt jedenfalls, sofern über einen längeren Zeitraum kontinuierlich Anfragen eingegangen sind, die ein allgemeines Presseinteresse an dem zu berichtenden Sachverhalt zum Ausdruck gebracht haben (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 37). Das Gericht geht prinzipiell von der Zulässigkeit der Veröffentlichung der Anklageerhebung aus, da diese weitreichende Dopingpraktiken im internationalen Spitzensport offenbarte, an denen ein herausragendes Öffentlichkeitsinteresse besteht. Demgegenüber tritt das Persönlichkeitsrecht des Klägers zurück. Dabei ist jedoch gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayPrG der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, um das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Allgemeinheit einerseits und dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG andererseits gerecht aufzulösen (BayVGH, B.v. 20.8.2020 - 7 ZB 19.1999 - juris Rn. 13).
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Aus dem materiellen Gehalt der Gewährleistung des Gebots der Waffengleichheit müssen sich gleichrangige Einflussmöglichkeiten der Beteiligten auch auf die Pressearbeit ergeben, die von den jeweiligen Umständen des konkreten Einzelfalls abhängen (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 45, 48; BayVGH, B.v. 20.8.2020 - 7 ZB 19.1999 - juris Rn. 15). Die Behörde wäre daher dazu verpflichtet gewesen, dem Kläger eine sinnvolle Vorbereitung auf zu erwartende Presseanfragen zu ermöglichen, da es andernfalls aufgrund des wichtigen „ersten Eindrucks“ in der Öffentlichkeit zu einer Vorverurteilung des Beschuldigten kommen könnte, die mit der rechtsstaatlich garantierten Unschuldsvermutung unvereinbare Beeinträchtigungen des Beschuldigten, insbesondere im sozialen Bereich, mit sich bringt (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 44). Eine spätere Kommentierung des Geschehens kann aufgrund der kurzen Wahrnehmungsspanne der Öffentlichkeit oftmals nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit erlangen und die Meinung der Öffentlichkeit nicht mehr im gleichen Maße wie die erste Publikation beeinflussen (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 49). Aus diesem Grund spielt es für die Frage der Angemessenheit des zuzuwartenden Zeitraums auch keine gewichtige Rolle, dass die Staatsanwaltschaft für den Folgetag zu einem erläuternden Pressegespräch in ihren Räumen eingeladen hat.
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Wie lange nach Unterrichtung des Beschuldigten abgewartet werden muss, hängt regelmäßig von der Komplexität des Verfahrens und dem Inhalt und Umfang der Anklageschrift vor dem Hintergrund des bisherigen Kenntnisstands des Beschuldigten und seiner Verteidiger ab (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 20.8.2020 - 7 ZB 19.1999 - juris Rn. 35).
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Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Strafverfahren gegen den Kläger um ein sehr komplexes Verfahren handelt, das zudem durch seine lange Dauer heraussticht. Alleine die Anklageschrift, die dem Verteidiger des Klägers - richtigerweise - vollständig übermittelt wurde, besteht aus über 154 Seiten. Da der Kläger Hauptangeklagter in dem Verfahren ist und die meisten Tatvorwürfe (auch) ihn betreffen, trägt auch der Einwand der Beklagten nicht, dass die Anklageschrift den Kläger nicht alleine beträfe. Es ist nicht ausreichend, dass dem Kläger bzw. dessen Verteidiger alleine die Möglichkeit eingeräumt wird, in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit, von der Anklageschrift Kenntnis zu nehmen. Vielmehr muss auch Zeit für die Erarbeitung einer sinnvollen Reaktion gewährt werden. Dem Rechtsanwalt ist die Erarbeitung einer „fundierten“ und „substantiierten“ Antwort auf Presseanfragen bzw. der Vorbereitung eigener Medienerklärungen zu ermöglichen (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 45; HessVGH, B.v. 15.10.2001 - 10 TZ 1734/01 - NJW 2001, 3802 Rn. 3). Angesichts der Länge und Komplexität der Anklageschrift geht das Gericht davon aus, dass alleine die bloße Durchsicht der Anklageschrift mindestens zwei Stunden veranschlagen dürfte. Die Vorbereitung einer eigenen Medienarbeit erscheint schon deshalb innerhalb von nur zwei Stunden nicht möglich zu sein.
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Darüber hinaus ist fraglich, ob von einem Strafverteidiger erwartet werden muss, seine Kanzleiabläufe so zu organisieren, dass er ohne jede zeitliche Verzögerung umgehend von sämtlichen Posteingängen Kenntnis nehmen kann, zumal wenn diese in der Mittagszeit einlaufen. Jedenfalls kann von ihm aber nicht erwartet werden, dass er, sobald er von einer geplanten Veröffentlichung einer Pressemitteilung erfährt, gewissermaßen alles andere stehen und liegen lässt. So ist es ja durchaus nicht ganz fernliegend, dass der Strafverteidiger gerade in einer anderen Sache ein Mandatengespräch führt oder einen Gerichtstermin wahrnimmt. Es kann beispielsweise nicht verlangt werden, dass er einen Gerichtstermin unterbricht oder ein Mandantengespräch beendet, um sich umgehend mit der Pressemitteilung zu beschäftigen. Allein für diese Eventualitäten ist daher eine angemessen Vorlaufzeit einzuberechnen.
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Hinzu kommt, dass seitens des Beklagten keine überzeugenden Gründe dafür vorgelegt wurden, warum mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung nicht noch etwas länger hätte zugewartet werden können. Nach Ansicht des Beklagten sei das unverzügliche Informieren der Öffentlichkeit deshalb erforderlich gewesen, weil sich das Ermittlungsverfahren bereits seit einem Jahr hingezogen hatte und der Mediendruck seit September 2019 außerordentlich hoch gewesen sei. Gerade in Anbetracht der langen Dauer des Ermittlungsverfahrens kann das Gericht jedoch nicht nachvollziehen, warum dann nicht noch ein Tag länger zugewartet werden konnte. Auch der Einwand des Beklagten, dass der Name des Klägers nicht (vollständig) genannt worden sei, greift nicht durch. Durch die vorherige Berichterstattung rund um die Operation Aderlass war der Name des Klägers jedenfalls in Fachkreisen bereits bekannt bzw. konnte von diesen zumindest ohne größeren Aufwand zutreffend und schnell recherchiert werden, wie die Berichterstattung der Sportschau eindrücklich unter Beweis stellte. Der Beklagte muss es sich jedenfalls mittelbar zurechnen lassen, dass eine Identifizierung des Klägers ohne Probleme möglich war.
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Ebenfalls nicht durchgreifend ist das Argument des Beklagten, dass die anstehende Anklageerhebung dem Kläger und seinem Verteidiger bereits bekannt gewesen sei und insbesondere dem Verteidiger des Klägers während des Ermittlungsverfahrens bereits Akteneinsicht gewährt worden war. Dem Verteidiger muss auch genügend Zeit dafür eingeräumt werden, jedenfalls flüchtig zu prüfen, auf welche Tatsachen und Beweismittel die Staatsanwaltschaft ihre Anklage letztlich gestützt hat (VG Regensburg, U.v. 23.7.2019 - RO 4 K 17.1570 - juris Rn. 54; Verwaltungsgericht des Saarlandes, U.v. 23.6.2003 - 1 K 129/02 - NJW 2003, 3431). In Anbetracht des enormen Umfangs der Ermittlungsakten, insgesamt 54 Bände, die größtenteils auch den Kläger als Hauptbeschuldigten betreffen dürften, konnte vom Verteidiger auch nicht verlangt werden, die konkrete Anklage zuverlässig zu antizipieren. Soweit der Beklagte geltend macht, dass die Berichterstattung wahrheitsgemäß und sachgerecht erfolgt sei, mag dies zwar sein, kann aber nicht als Argument dafür herhalten, dem Verteidiger eine kürzere Zeitspanne für die Vorbereitung einzuräumen. Denn dass die Berichterstattung wahrheitsgemäß und sachgerecht erfolgen muss, setzt bereits das Gesetz voraus und sollte in einem funktionierenden Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit sein, die nicht eigens betont werden muss.
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Soweit der Beklagte geltend macht, dass der Kläger jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, an die Öffentlichkeit zu treten, schlägt dieses Argument ebenfalls nicht durch, da das besondere Informationsinteresse erst durch die Anklageerhebung entsteht. Zudem kann von einem Beschuldigten nicht erwartet werden, dass er sich selbst an die Öffentlichkeit wendet und damit womöglich erst die Aufmerksamkeit auf sich und die ihm vorgeworfenen Taten lenkt.
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Ebenfalls nicht unberücksichtigt werden darf, dass der Kläger im Zeitpunkt der Mitteilung in Untersuchungshaft war, sodass eine Kommunikation zwischen ihm und seinem Verteidiger zusätzlich erschwert war.
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Die Erarbeitung einer fundierten und substantiierten Reaktion wurde dem Verteidiger des Klägers in Anbetracht der geschilderten Umstände und der Kürze der zugewarteten Zeit daher nicht ermöglicht. In Anbetracht der Einzelfallumstände war die zugewartete Zeitspanne von etwa zwei Stunden zu kurz und die Veröffentlichung der Pressemitteilung in ihrer konkreten zeitlichen Ausgestaltung rechtswidrig.
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C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.