Inhalt

VG München, Urteil v. 13.10.2020 – M 10 K 19.153
Titel:

Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer

Normenketten:
BayKAG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 3, Art. 6, Art. 12, Art. 14, Art. 105 Abs. 2a
BayGO Art. 26, Art. 39
Leitsätze:
1. Die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer im Freistaat Bayern ist demgemäß grundsätzlich zulässig. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist auch mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip unbedenklich, dass mit der Rückwirkung eine Erhöhung der Steuer verbunden worden ist, wenn der Mangel der Vorgängersatzung gerade in einem Fehler des Beitragssatzes lag, der rückwirkend beseitigt werden sollte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Innehaben einer Zweitwohnung, das durch die Berufsausübung veranlasst wird, ist besteuerbar. Eine Ausnahme besteht insoweit nur für Erwerbszweitwohnungen von Verheirateten, die nicht dauernd von ihrer Familie getrennt leben. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein auf die Jahresnettokaltmiete abstellender Mietaufwand als Maßstab für die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer ist eine zulässige Bemessungsgrundlage. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Bemessung der Zweitwohnungsteuer anhand einer Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe ist zulässig. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
6. Zweitwohnungsteuersätze in einem Bereich bis zu einschließlich 20% des jährlichen Mietaufwands haben keine erdrosselnde Wirkung und unterliegen damit keinen rechtlichen Bedenken. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweitwohnungsteuer, Echte Rückwirkung, Jahresnettokaltmiete, Steuerhöhe 20%, Erdrosselnde Wirkung (verneint), Berechnung, Gemeinde, Widerspruch, Zweitwohnung, Rückwirkung, Erhebung, Mietaufwand, Vereinbarungen, Zweitwohnungsteuererklärung, Stufenmodell
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30707

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zur Zweitwohnungsteuer durch die Beklagte für das Jahr 2018 sowie die Folgejahre.
2
Die Beklagte erhebt eine Zweitwohnungsteuer nach ihrer Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer (Zweitwohnungsteuersatzung - ZwStS) vom 9. Mai 2018, die mit Wirkung vom 1. Januar 2018 in Kraft getreten ist. Die Vorgängersatzung vom 28. September 2004 in der Fassung vom 6. Juli 2005 wurde gleichzeitig außer Kraft gesetzt, da die Beklagte diese wegen eines unzulässigen Stufentarifs für unwirksam hielt. Denn das Bundesverwaltungsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2017 (Az. 9 C 3.17 - BeckRS 2017, 142398) eine identische Stufentarifsregelung einer anderen Gemeinde für unwirksam erachtet.
3
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ZwStS vom 9. Mai 2018 wird die Steuer nach dem jährlichen Mietaufwand berechnet. Der jährliche Mietaufwand ist die Nettokaltmiete, die der Steuerpflichtige für die Benutzung der Wohnung aufgrund vertraglicher Vereinbarungen nach dem Stand im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht für ein Jahr zu entrichten hätte (Jahresnettokaltmiete), § 4 Abs. 1 Satz 2 ZwStS. Gemäß § 5 Abs. 1 ZwStS beträgt die Steuer jährlich 20% der Bemessungsgrundlage.
4
Der Kläger ist seit 1. April 2010 Mieter einer 40,5 m² großen Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten. Der Kläger ist mit Hauptwohnsitz in … gemeldet. Gemäß der Zweitwohnungsteuererklärung vom 5. März 2010 beträgt die monatliche Nettokaltmiete 360 EUR. Laut Mitteilung des Klägers vom 5. Februar 2018 hat sich die Nettokaltmiete bisher nicht erhöht.
5
Mit Änderungsbescheid über Zweitwohnungsteuer vom 28. Mai 2018 wurde der Kläger für das Jahr 2018 sowie die Folgejahre zu einer jährlichen Zweitwohnungsteuer in Höhe von 864 EUR herangezogen. Der Berechnung wurde ein jährlicher Steuersatz von 20% sowie eine Jahresnettokaltmiete von 4.320 EUR zugrunde gelegt.
6
Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 19. Juni 2018, das am gleichen Tag bei der Beklagten einging, Widerspruch. Durch die neue Zweitwohnungsteuersatzung würden nunmehr weit mehr als die 12% der anderen Gemeinden am See verlangt. Außerdem würden weit mehr Steuern verlangt als nach dem alten Stufenmodell, das als verfassungswidrig verworfen worden sei. Eine Zweitwohnungsteuer dürfe nicht erdrosselnde oder sonst unzumutbar sein. Steuersätze dürften nur eine Belastung darstellen, die typischerweise noch im Bereich der im Halten einer Zweitwohnung zum Ausdruck kommenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liege.
7
Dieser Bereich sei vorliegend überschritten. Das besteuerte Verhalten solle durch seine Belastung mit unbezahlbaren Abgabenpflichten vollständig oder aber im Wesentlichen unterbunden werden. Tatsächlich führe die Erhöhung des Steuersatzes zu einer absoluten Erhöhung um fast 100%, von 450 EUR auf fast 900 EUR. Hinzu komme auch noch der jährliche Kurbeitrag von 60 EUR pro Person. Sinnvoll wäre es, neue Zweitwohnungsinhaber stärker zu besteuern, wenn die Beklagte schon eine Erhöhung für notwendig halte.
8
Mit Schreiben vom 6. November 2018 wurde klargestellt, dass sich der Widerspruch auf einen Differenzbetrag in Höhe von 345,60 EUR beschränke, also soweit die Zweitwohnungsteuer nunmehr mehr als 12% betrage.
9
Das Landratsamt … wies den Widerspruch mit Bescheid vom 13. Dezember 2018, zugestellt am 17. Dezember 2018, zurück. Auf die Gründe des Bescheids wird Bezug genommen.
10
Der Kläger hat mit Schreiben vom 10. Januar 2019, eingegangen am gleichen Tag, beim Verwaltungsgericht München Klage erhoben und beantragt sinngemäß
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den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2018 in Form des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 13. Dezember 2018 aufzuheben, soweit eine Zweitwohnungsteuer von mehr als 12% der Nettokaltmiete erhoben wird.
12
Zur Begründung wird die Widerspruchsbegründung wiederholt und ergänzend vorgetragen, die Höhe des Steuersatzes von 20% habe erdrosselnde Wirkung. Der Bürgermeister der Beklagten habe verschiedentlich ausgeführt, Ziel sei, das Halten einer Zweitwohnung in … mit so hohen Abgabenpflichten zu verbinden, dass es für die meisten der ärmeren Zweitwohnungsinhaber unattraktiv werde. Es sollten wohl die finanziell potenten Zweitwohnungs- und Drittwohnungsinhaber mit große Villen in … verbleiben. Der Kläger halte die Wohnung seit 2010 aus gesundheitlichen Gründen und können nicht nachvollziehen, dass er als langjähriger Gast der Beklagten so behandelt werde.
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Die Beklagte beantragt
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die Klage abzuweisen.
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Insbesondere der jährliche lineare Steuersatz von 20% in § 5 Abs. 1 ZWStS bewege sich im Rahmen des Gestaltungsermessens der Beklagten. Die sich hieraus ergebende Steuerlast sei nicht unverhältnismäßig und habe keine erdrosselnde Wirkung, weil das Halten der Zweitwohnung nicht wirtschaftlich unmöglich gemacht werde. Sie bewege sich überdies noch in dem Bereich bis zu 20% des jährlichen Mietaufwands, der nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keinen rechtlichen Bedenken begegne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Änderungsbescheid über Zweitwohnungsteuer der Beklagten vom 28. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 13. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18
1. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Zweitwohnungsteuer durch die angefochtenen Bescheide ist die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018. Diese Satzung ist wirksam.
19
a) Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass dieser Zweitwohnungsteuersatzung findet sich in Art. 3 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Nach diesen Vorschriften können Gemeinden örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern erheben, solange und soweit diese nicht bundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig sind. Die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer im Freistaat Bayern ist demgemäß grundsätzlich zulässig (vgl. ausführlich hierzu: BayVGH, U.v. 4.4.2006 - 4 N 04.2798 - BayVBl 2006, 500 ff.).
20
b) Die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018 ist formell wirksam. Fehler im Satzungserlassverfahren sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der zweite Bürgermeister fertigte die am 8. Mai 2018 durch den Stadtrat beschlossene Zweitwohnungsteuersatzung in Vertretung für den ersten Bürgermeister (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung - GO) am 9. Mai 2018 gemäß Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO aus. Die amtliche Bekanntmachung im Sinne von Art. 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 GO erfolgte durch Niederlegung in der Kämmerei im Rathaus sowie durch Bekanntgabe dieser Niederlegung durch Anschlag an allen Amtstafeln der Stadt im Zeitraum vom 14. Mai bis 5. Juni 2018.
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c) Die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018 ist auch materiell wirksam. Die inhaltlichen Regelungen verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere ist der Steuersatz in § 5 Abs. 1 ZwStS rechtlich nicht zu beanstanden.
22
aa) Das in § 12 ZwStS angeordnete rückwirkende Inkrafttreten der Satzung zum 1. Januar 2018 begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Im vorliegenden Fall ist eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig, da die Vorgängersatzung der Beklagten vom 28. September 2004 in der Fassung vom 6. Juli 2005 wegen eines unzulässigen Stufentarifs unwirksam war (vgl. die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu einer Satzung einer anderen Gemeinde mit identischer Stufentarifsregelung wie in der Satzung der Beklagten: BVerwG, U.v. 14.12.2017 - 9 C 3.17 - BeckRS 2017, 142398).
23
Der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen steht in diesem Fall der Rückwirkung nicht entgegen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Satzungen neu und rückwirkend in Kraft gesetzt werden dürfen, wenn eine bereits bestehende Zweitwohnungsteuersatzung vom Verwaltungsgericht als nichtig angesehen wird, ohne dass ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes vorliegt. In diesen Fällen müssen die Inhaber von Zweitwohnungen im betreffenden Gemeindegebiet nämlich von Anfang an damit rechnen, zur Zweitwohnungsteuer herangezogen zu werden. Sie dürfen nicht berechtigt darauf vertrauen, wegen der vom Verwaltungsgericht festgestellten Nichtigkeit dieser Satzung künftig von der Zweitwohnungsteuer verschont zu werden (vgl. BayVGH, U.v. 23.2.2010 - 4 N 09.1960 - juris Rn. 20; BayVGH, B.v. 30.4.2009 - 4 ZB 08.2317 - juris Rn. 9 f. m.w.N.).
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Auch im konkreten Fall ist von einem schutzwürdigen Vertrauen der Steuerpflichtigen, das der rückwirkenden Erhebung entgegenstehen könnte, nicht auszugehen. Zwar ist die Vorgängersatzung nicht explizit von einem Verwaltungsgericht für nichtig erachtet worden. Aber das Bundesverwaltungsgericht hat eine identische Regelung des Steuersatzes wie in der Satzung der Beklagten für nichtig erachtet. Daraufhin hat die Beklagte im Januar 2018 gegenüber den Steuerpflichtigen im Stadtgebiet alle Zweitwohnungsteuerveranlagungen für das Jahr 2018 aufgehoben. Gleichzeitig hat sie in einem Informationsschreiben an alle Zweitwohnungsteuerpflichtigen im Stadtgebiet darauf hingewiesen, dass ihre Zweitwohnungsteuersatzung an die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angepasst werde und die Steuerpflichtigen daher im Lauf des Jahres 2018 einen neuen Zweitwohnungsteuerbescheid erhalten würden. Die Steuerpflichtigen mussten aufgrund dessen bereits im Zeitpunkt der Aufhebung ihrer Veranlagungen damit rechnen, erneut zur Zweitwohnungsteuer für das Jahr 2018 herangezogen zu werden.
25
Es ist auch mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip unbedenklich, dass mit der Rückwirkung eine Erhöhung der Steuer verbunden worden ist, weil der Mangel der Vorgängersatzung gerade in einem Fehler des Beitragssatzes lag, der rückwirkend beseitigt werden sollte (BayVGH, B.v. 30.4.2009, a.a.O. Rn. 10).
26
bb) Die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten ist nicht deshalb rechtlich zu beanstanden, weil sie in §§ 2, 3 keine Ausnahme von der Steuerpflicht für bestimmte Personen oder Personengruppen normiert (vgl. zu diesen inhaltsgleichen Regelungen der Vorgängersatzung der Beklagten: BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Insbesondere ist geklärt, dass auch das Innehaben einer Zweitwohnung, das durch die Berufsausübung veranlasst wird, besteuerbar ist. Belastungsgrund für den steuerbaren Aufwand ist allein der im Konsum bestimmter Güter zum Ausdruck kommende äußere Eindruck einer besonderen Leistungsfähigkeit, ohne Rücksicht auf den persönlichen Anlass, den Grund oder das Motiv für den betriebenen Aufwand (grundlegend hierzu: BVerfG, B.v. 6.12.1983 - 2 BvR 1275/79 - juris Rn. 96 f.; vgl. auch: BVerfG, B.v. 11.10.2005 - 1 BvR 1232/00 u.a. - NJW 2005, 3556 (3557); BayVGH, B.v. 21.2.2013 - 4 ZB 12.2053 - BeckRS 2013, 48110 Rn. 11 ff.). Eine Ausnahme besteht insoweit nur für Erwerbszweitwohnungen von Verheirateten, die nicht dauernd von ihrer Familie getrennt leben (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.2005, a.a.O.).
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cc) Der Steuermaßstab des § 4 ZwStS ist wirksam; insbesondere verstößt er nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ZwStS wird die Steuer nach dem jährlichen Mietaufwand berechnet. Der jährliche Mietaufwand ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 ZwStS die Nettokaltmiete, die der Steuerpflichtige für die Benutzung der Wohnung aufgrund vertraglicher Vereinbarungen nach dem Stand im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht für ein Jahr zu entrichten hätte (Jahresnettokaltmiete). Nach § 4 Abs. 3 ZwStS ist die Nettokaltmiete für Wohnungen, die im Eigentum des Steuerpflichtigen stehen oder die dem Steuerpflichtigen unentgeltlich oder zu einem Entgelt unterhalb der ortsüblichen Miete überlassen sind, in der ortsüblichen Höhe anzusetzen. Sie wird von der Beklagten in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird.
29
Der auf die Jahresnettokaltmiete abstellende Mietaufwand als Maßstab für die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in § 4 Abs. 1 ZwStS ist eine von der Rechtsprechung anerkannte Bemessungsgrundlage (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 29.1.2003 - 9 C 3/02 - NVwZ 2003, 753 (754); BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Hierbei besteht ein sachlicher Bezug zum Aufwand des Steuerpflichtigen, den er für seine Zweitwohnung für die persönliche Lebensführung tätigt.
30
Auch die Bemessung der Zweitwohnungsteuer anhand einer Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe gemäß § 4 Abs. 3 ZwStS ist nach der bayerischen Rechtsprechung zulässig (explizit zu dieser Regelung in der Vorgängersatzung der Beklagten: BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Es liegt im Ermessen der rechtsetzenden Gemeinde, auf welche Weise sie bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen den jährlichen Mietaufwand ermittelt. Da für diese Wohnungen tatsächlich keine Mietausgaben anfallen und damit ein konkreter Anhaltspunkt für den jährlichen Mietaufwand nicht besteht, stellt die Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe eine geradezu zwingende Ermittlungsmethode dar (ausführlich hierzu: VG München, U.v. 12.12.2019 - M 10 K 18.5034 - juris Rn. 32 ff.; so im Ergebnis auch: VG München, B.v. 28.5.2019 - M 10 S 19.539 - juris; VG München, B.v. 22.1.2019 - M 10 S 18.1924; VG München, U.v. 26.1.2017 - M 10 K 16.1328 - juris; vgl. auch BayVGH, 7.5.2009 - 4 ZB 08.1342 - BeckRS 2009, 43257; BVerwG, U.v. 14.12.2017, a.a.O.).
31
dd) Die Höhe des Steuersatzes von 20% in § 5 Abs. 1 ZwStS ist, wie auch schon von der Widerspruchsbehörde ausführlich dargestellt, rechtlich nicht zu beanstanden.
32
(1) Gegen die Höhe des Steuersatzes kann nicht eingewandt werden, dass die Beklagte mit der Anhebung des Steuersatzes auf 20% den nicht fiskalischen Zweck verfolgt, Zweitwohnsitze zurückzudrängen.
33
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass mit einer Steuer grundsätzlich Lenkungsziele jenseits des Zwecks der Einnahmeerzielung verfolgt werden dürfen. Nur wenn die steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel nahekommt, die Finanzierungsfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird, bietet die Besteuerungskompetenz keine ausreichende Rechtsgrundlage mehr (grundlegend hierzu: BVerfG, U.v. 7.5.1998 - 2 BvR 1991-95 u. 2004-95 - NJW 1998, 2341 zur kommunalen Verpackungssteuer; s. auch: BVerfG, B.v. 15.1.2014 - 1 BvR 1656/09 - juris Rn. 49, 81 ff.).
34
Die mit einer Zweitwohnungsteuer verfolgten Lenkungszwecke, Wohnungsinhaber zur Ummeldung von Zweitin Hauptwohnsitze zu veranlassen und Wohnraum für Dritte freizumachen, ändern nach der Rechtsprechung nichts an ihrem Charakter als Steuer, weil die beabsichtigte Lenkung jedenfalls nicht die Wirkung einer verbindlichen Verhaltensregel entfaltet. Eine etwaige Ausweichreaktion hängt vielmehr maßgeblich vom Willen der Steuerpflichtigen ab (BVerfG, B.v. 15.1.2014, a.a.O. Rn. 50, 85; vgl. zu diesem zulässigen Lenkungszweck auch: BVerwG, B.v. 27.10.2003 - 9 B 102/03 - BeckRS 2003, 25337; explizit zur Vorgängersatzung der Beklagten: BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.). Auch die Eindämmung von sogenannten Rollladensiedlungen, die zur Verödung des Ortes beitragen können, ist legitimes kommunales Anliegen (BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O.).
35
Der Lenkungszweck muss allerdings nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur: BVerfG, B.v. 15.1.2014, a.a.O. Rn. 83 m.w.N.) von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen sein. Dabei genügt es, wenn diese anhand der üblichen Auslegungsmethoden festgestellt werden kann; Lenkungszwecke können sich etwa aus den Gesetzesmaterialien ergeben.
36
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der im konkreten Fall von der Beklagten verfolgte Zweck, Zweitwohnsitze zurückzudrängen, ein legitimes Ziel einer Zweitwohnungsteuererhebung. Dieser Lenkungszweck ist auch von einer erkennbaren Entscheidung der Satzungsgeberin getragen. Ausweislich der Satzungsunterlagen (Beschlussbuchauszug betreffend die Sitzung des Stadtrates vom 8.5.2018, Tagesordnungspunkt 5 mit Anlage) hat sich die Beklagte ausführlich mit der Notwendigkeit einer derartigen Lenkung auseinandergesetzt. Sie hat insbesondere dargelegt, dass die Anzahl von Zweitwohnsitzen im Stadtgebiet im Zeitraum zwischen 2008 und 2018 kontinuierlich (um 24%) zulasten des lokalen Wohnungsmarkts gestiegen ist. Darüber hinaus habe die Beklagte nur begrenzte Möglichkeiten, neues Bauland auszuweisen sowie städtebaulich nachzuverdichten.
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(2) Die Höhe des Steuersatzes von 20% hat keine erdrosselnde Wirkung.
38
Hinsichtlich der Höhe des Steuersatzes hat der Satzungsgeber einen relativ großen Spielraum. Dieser Spielraum wird allerdings dann überschritten, wenn die Steuer erdrosselnde Wirkung hat. Die „Erdrosselungsgrenze“ stellt die äußerste Schranke der Besteuerung dar. Auch insoweit bietet die Besteuerungskompetenz keine ausreichende Rechtsgrundlage mehr, wenn die - grundsätzlich zulässige - steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel nahekommt, die Finanzierungsfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird. Dies ist der Fall, wenn der steuerpflichtige Vorgang (wirtschaftlich) unmöglich gemacht wird (stRspr, vgl. nur: BVerwG, U.v. 15.10.2014 - 9 C 8.13 - juris Rn. 23 m.w.N.).
39
Wann eine „erdrosselnde“ Wirkung vorliegt, ist anhand der Umstände des Einzelfalles, insbesondere hinsichtlich der Verhältnisse in der konkreten Gemeinde zu beurteilen. Abzustellen ist nicht auf den individuellen, sondern auf den durchschnittlichen Steuerpflichtigen im Gemeindegebiet (BVerwG, U.v. 15.10.2014, a.a.O. Rn. 24). Hierbei kann der Umstand eine Rolle spielen, dass in einer Gemeinde bereits eine beachtliche Zahl von Zweitwohnungsinhabern zur Zweitwohnungsteuer veranlagt wird und sich diese Zahl in den letzten Jahren noch erhöht hat (vgl. BVerwG, U.v. 15.5.2014 - 9 B 57.13 - NVwZ-RR 1014, 657 (658) m.w.N.).
40
Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Zweitwohnungsteuersätze in einem Bereich bis zu einschließlich 20% des jährlichen Mietaufwands keine erdrosselnde Wirkung haben und damit keinen rechtlichen Bedenken unterliegen (BayVGH, U.v. 14.4.2011 - 4 B 10.2557 - BeckRS 2011, 53040 Rn. 22; BayVGH, B.v. 28.10.2009 - 4 ZB 08.1893 - juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 30.4.2009, a.a.O. Rn. 12; VG München, U.v. 14.1.2010 - M 10 K 09.1827 - juris Rn. 28; VG München, U.v. 28.9.2006 - M 10 K 06.2059 - BeckRS 2006, 18758; OVG Lüneburg, U.v. 20.6.2018 - 9 LB 124/17 - BeckRS 2018, 16931 Rn. 90; VGH Baden-Württemberg, B.v. 28.7.2020 - VGH 2 S 1474/20 - BeckRS 2020, 19106 Rn. 25; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 8.3.2018 - 2 LB 97/17 - juris Rn. 75; in diese Richtung auch, aber letztlich offen gelassen: OVG Lüneburg, B.v. 22.11.2010 - 9 ME 76/10 - NordÖR 2011, 80 (81); weiter gehend: VGH Baden-Württemberg, U.v. 24.6.2013 - 2 S 2116/12 - juris Rn. 44 ff. für Steuersätze in Höhe von 20%, 27,5% und 35%, s. Rn. 11-13).
41
Gemessen an diesen Maßstäben ist auch im vorliegenden Fall eine erdrosselnde Wirkung des Steuersatzes von 20% nicht anzunehmen.
42
Ausweislich der Satzungsunterlagen der Beklagten betrug im Stufentarifmodell der Vorgängersatzung der Steuersatz im Eingang der jeweiligen Stufe 9% und an deren Ende 18%, mithin belief sich der durchschnittliche Steuersatz auf 12,85%. Da die Anzahl der Zweitwohnsitze im Stadtgebiet der Beklagten, wie bereits dargestellt, seit 2008 trotz dieses im Durchschnitt nicht unerheblichen Steuersatzes kontinuierlich angestiegen ist, ist nicht erkennbar, dass mit diesen Steuersätzen in der Vergangenheit eine prohibitive Wirkung im Hinblick auf das Halten einer Zweitwohnung verbunden gewesen wäre. Gegen eine erdrosselnde Wirkung spricht auch, dass nach der Einführung des Steuersatzes von 20% die Anzahl der Zweitwohnungen im Stadtgebiet der Beklagten nur leicht zurückgegangen ist (laut Pressemeldung vom 13.10.2020 unter https://www.br.de/nachrichten/meldungen/neu-moe-voraus-fuer-1310-zweitwonungs-steuer- …-100.html: Rückgang im Jahr 2019 von 450 auf 428 Zweitwohnungen, abgerufen im Internet am 16.10.2020; laut Pressemeldung vom 13.10.2020 unter https://www.br.de/nachrichten/bayern/erhoehte-zweitwohnungssteuer-in- …-wohl-zulaessig,SDI94jW/: Rückgang von 2019 auf 2020 von 442 auf 427 Zweitwohnungen, abgerufen im Internet am 16.10.2020; zum Vergleich: am 31.12.2016, also vor Einführung des 20-prozentigen Steuersatzes betrug die Anzahl der Zweitwohnungen im Stadtgebiet ausweislich der Satzungsunterlagen der Beklagten 464). Hinzu kommt, dass der Steuersatz von 20% des jährlichen Mietaufwands nicht unangemessen hoch ist im Hinblick auf die jährlichen Gesamtkosten für das Halten einer Zweitwohnung in …, bei der zumindest auch die (Miet-)Nebenkosten einzubeziehen sind.
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(3) Neben dieser Prüfung der erdrosselnden Wirkung ist eine gesonderte Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Steuersatzes von 20% nicht erforderlich. Da die „Erdrosselungsgrenze“ - wie bereits dargestellt - die äußerste Schranke der Besteuerung darstellt, besteht, wenn diese gewahrt wird, keine Notwendigkeit hierfür.
44
(4) Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die satzungsmäßige Anhebung des Steuersatzes auf 20% in der Anwendung im Einzelfall zu einer Erhöhung der Steuer um bis zu 153,4% führen kann. Entscheidend ist die absolute Höhe der Steuer, insbesondere ob diese - wie hier nicht - erdrosselnd ist. Insoweit ist die aktuell gültige Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten für sich zu betrachten und nicht in Relation zu der Vorgängersatzung zu setzen, die überdies nichtig war.
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(5) Durch die Steuersatzhöhe von 20% werden die Grundrechte aus Art. 14, Art. 12, Art. 2 Abs. 1 GG nicht verletzt.
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Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 GG liegt nicht vor, da die Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten bereits keine objektiv berufsregelnde Tendenz verfolgt. Die Steuererhebung knüpft an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, nicht aber die Einkommenserzielung an.
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Zwar stellt die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer als Auferlegung einer Geldleistungspflicht einen Eingriff in Freiheitsrechte des Steuerpflichtigen und seine persönliche Freiheitsentfaltung im vermögensrechtlichen Bereich dar. Aber es bedarf keiner Entscheidung, ob die Belastung des Klägers dabei an Art. 14 Abs. 1 oder an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist, da sich der Eingriff jedenfalls als verfassungsgemäß erweist. Denn er beruht auf einer gesetzlichen Grundlage, welche die Kompetenzordnung des Grundgesetzes wahrt und die Steuerpflichtigen nicht unverhältnismäßig belastet (vgl. zu diesen Anforderungen: BVerfG, B.v. 15.1.2014, a.a.O. Rn. 43 ff.).
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Die von der Beklagten erhobene Zweitwohnungsteuer ist eine örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 3 Abs. 1 KAG i.V.m. Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Wie bereits dargelegt, bietet diese (grund-)gesetzliche Besteuerungskompetenz im konkreten Fall eine ausreichende Rechtsgrundlage, da die Finanzierungsfunktion der Steuer nicht durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird. Auch eine unverhältnismäßige Belastung liegt hier nicht vor, da die Steuer, wie bereits aufgezeigt, zwar (zulässigerweise) drosselt, aber nicht erdrosselnd ist.
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ee) Im Übrigen werden Bedenken gegen die Wirksamkeit der Zweitwohnungsteuersatzung der Beklagten vom 9. Mai 2018 weder geltend gemacht noch sind Rechtsfehler ersichtlich, vgl. hierzu BayVGH, U.v. 4.4.2006, a.a.O., wonach die - abgesehen von der Stufentarifsregelung in § 5 Abs. 1 - inhaltsgleichen Regelungen der §§ 1-7 der Vorgängersatzung der Beklagten unbeanstandet geblieben sind.
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Insbesondere begegnet die Regelung in § 6 Abs. 1 ZwStS, nach der die Steuer als Jahressteuer erhoben wird und der Besteuerungszeitraum das Kalenderjahr ist, keinen rechtlichen Bedenken, gleichwohl eine explizite Regelung über den nur anteiligen Besteuerungszeitraum fehlt, wenn die Steuerpflicht nicht während des gesamten Kalenderjahres besteht. Allerdings regelt § 6 Abs. 2 Satz 2 ZwStS das unterjährige Entstehen der Steuerpflicht und § 6 Abs. 3 ZwStS das Ende der Steuerpflicht mit Ablauf des Kalendermonats, in dem die Zweitwohnungseigenschaft entfällt. Zudem stellt § 7 Abs. 1 Satz 1 ZwStS klar, dass, wenn die Steuerpflicht erst während des Kalenderjahres entsteht, die Steuer nur für den Rest des Kalenderjahres durch Bescheid festgesetzt werden darf. Schließlich regelt § 7 Abs. 3 ZwStS die anteilige Rückerstattung im Fall der Beendigung der Steuerpflicht. In Auslegung und Gesamtbetrachtung dieser Vorschriften ist klar, dass im Fall einer nicht während des gesamten Kalenderjahres bestehenden Steuerpflicht die Zweitwohnungsteuer auch nur anteilig für die Monate des Bestehens der Steuerpflicht erhoben werden darf, auch wenn in § 7 Abs. 1 Satz 1 ZwStS nur auf das unterjährige Entstehen, nicht aber auf das nur jahresanteilige Bestehen der Steuerpflicht abgestellt wird.
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2. Die Beklagte hat die Zweitwohnungsteuersatzung vom 9. Mai 2018 auf den konkreten Fall auch zutreffend angewandt.
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a) Der Kläger, der in … seinen Hauptwohnsitz hat, hat die Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten zur persönlichen Lebensführung im Sinne des § 2 Satz 1 ZwStS seit 1. April 2010 inne.
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b) Aufgrund dessen ist er auch richtiger Steuerpflichtiger im Sinne des § 3 Abs. 1 ZwStS.
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c) Die Beklagte hat die Steuer gemäß §§ 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 ZwStS richtig berechnet.
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d) Die Steuer ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 ZwStS entstanden. Auch die Festsetzung für die Folgejahre begegnet nach § 7 Abs. 1 Satz 2 ZwStS, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 KAG keinen rechtlichen Bedenken. Die Fälligkeitsregelungen in § 7 Abs. 2 Satz 2 ZwStS und Art. 12 Abs. 1 Satz 2 KAG wurden beachtet.
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e) Der Steuerfestsetzung steht auch nicht ein Anspruch auf Befreiung wegen geringen Einkommens nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 KAG entgegen. Abgesehen davon, dass die Befreiungsvoraussetzungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 ff. KAG im Steuerfestsetzungsverfahren nicht automatisch mit geprüft, sondern auf Antrag in einem eigenständigen Verfahren geprüft werden (s. hierzu ausführlich: VG München, U.v. 11.10.2018 - M 10 K 17.5157 - juris), hat der Kläger nach Aktenlage jedenfalls einen solchen Antrag nicht gestellt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.