Titel:
Keine Verfolgungsgefahr im Iran für Kleinstkind nach Taufe
Normenketten:
AsylG § 3, § 28, § 30 Abs. 3 Nr. 7
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Anerkennungs-RL Art. 9, Art. 10 Abs. 1 lit. b
Leitsätze:
1. Der formale Akt der Taufe genügt nicht für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft von iranischen Staatsangehörigen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem ein halbes Jahr altem Kind droht allein wegen seiner Taufe mangels einem eigenen Gewissensschritt und einer bereits erfolgten christliche Prägung sowie der fehlenden öffentlich wirksamen Glaubensbetätigung keine Verfolgung. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es fehlen Anhaltspunkte oder Belege dafür, dass im Iran Sippenhaft oder Druck in der Form auf Konvertiten ausgeübt werden sollte, dass die staatlichen Behörden gegen ihre (Kleinst-)Kinder vorgehen und insbesondere diese ihnen wegnehmen würden. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, in Deutschland geborener gut ein halbes Jahr alter weiblicher Säugling, fingierter Asylantrag, christliche Konfession der Klägerin, Kind von zum Christentum konvertierten ehemaligen Moslems, evangelisch-lutherisches Pfarramt, Gemünden, erfolgte Taufe, formale Taufe für sich nicht verfolgungsbegründend, keine relevanten eigenen Aktivitäten, keine zu erwartenden öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten bei Rückkehr in den Iran, keine beachtlich wahrscheinliche Gefahr der Sippenhaft, keine andere Beurteilung infolge COVID-19-Pandemie, keine Aufhebung des Offensichtlichkeitsausspruchs wegen fehlender subjektiver Rechtsverletzung, Abschiebungsandrohung, aufschiebende Wirkung, Ausreiseaufforderung, Migration, Verfolgungsgefahr, Verfolgungsgrund, Christentum, Taufe, Kleinstkind, Sippenhaft, RL 2011/95/EU
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30667
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Die am ... 2020 in Deutschland geborene Klägerin ist iranische Staatsangehörige. Am 19. Mai 2020 wurde ein Asylantrag mit Eingang des Schreibens der Ausländerbehörde vom 18. Mai 2020 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgrund der Antragfiktion des § 14a Abs. 2 AsylG als gestellt erachtet.
2
Mit Bescheid vom 16. Juni 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde ihr die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat angedroht (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Eine konkret drohende und begründete Furcht vor Verfolgung sei für die Klägerin nicht geltend gemacht worden. Die Asylanträge der Eltern seien mit Bescheiden vom 12. März 2018 bzw. 24. April 2017 abgelehnt worden. Der Asylantrag werde gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
3
Am 25. Juni 2020 ließ die Klägerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben. Zur Begründung ließ die Klägerin im Wesentlichen ausführen: Die Eltern hätten nicht islamisch geheiratet und seien Christen. Die Klägerin werde nunmehr ebenfalls christlich getauft werden. Auch hierwegen drohe ihr bei einer Rückkehr in den Iran Verfolgung, da die gesamte Familie Christen seien.
4
Mit Schriftsatz vom 29. September 2020 ließ die Klägerin ihre Taufurkunde des evangelisch-lutherischen Pfarramtes Ge. a.M. übersenden, wonach sie am 16. August 2020 in der Christuskirche zu Gemünden getauft worden sei.
5
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2020 ließ die Klägerin unter Vorlage weiterer Unterlagen christlicher Gemeinden weiter vorbringen: Ihre Eltern seien beide getauft und im Kirchenleben involviert. Da die christlich getauften Eltern bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben ausleben würden, drohe zwangsläufig auch der selbst getauften Klägerin Verfolgung und menschenrechtswidrige Behandlung.
6
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 26. Juni 2020,
7
Das Gericht übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 25. Juni 2020 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
8
Mit Beschluss vom 6. Juli 2020 ordnete das Gericht im Sofortverfahren W 8 S 20.30742 die aufschiebende Wirkung der Klage der Klägerin gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juni 2020 an.
9
Mit Beschluss vom 29. September 2020 lehnte das Gericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten ab.
10
In der mündlichen Verhandlung am 2. November 2020 beantragte der Klägerbevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung der Nrn. 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juni 2020 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise der Klägerin den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
11
Das Gericht hörte die Eltern der Klägerin informatorisch an.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte der Sofortsache W 8 S 20.30742 sowie W 8 K 20.30711) und die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Akten der Eltern der Klägerin) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
14
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
15
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln.
16
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel - ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid - zu dem Ergebnis, dass der Klägerin keine (politische) Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
17
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 - BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 - 9 C 59/91 - Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
18
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 106.84 - BVerwGE 71, 180).
19
Der Klägerin ist es nicht gelungen, die für ihre Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen.
20
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend darauf hingewiesen, dass allein der formale Akt der Taufe nicht für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft genügt. Diese Auffassung deckt sich mit den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln und der gefestigten Rechtsprechung, insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, zur formalen Konversion.
21
Nach den vorliegenden Erkenntnissen sind für die Annahme einer Verfolgungsgefahr im Iran jedenfalls christliche Aktivitäten nach außen hin relevant, wie z.B. eine Missionierung oder eine Unterrichtung anderer Personen im Glauben. Ohne Außenaktivitäten wissen die Behörden nicht über die Konversion Bescheid und es besteht ihrerseits auch kein Verfolgungsinteresse. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zur Verfolgung (vgl. BFA, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 19.6.2020, S. 44 ff., 48 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran Stand Februar 2020 vom 26.2.2020, S. 13 f.; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Iran, Lage von im Ausland zum Christentum konvertierter Personen bei Rückkehr vom 16.1.2020; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 10 - Iran, Situation von Christen vom 1.4.2020, S. 9 ff.).
22
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass es keine Erkenntnisse dahingehend gibt, dass allein wegen einer bisherigen religiösen Betätigung oder gar schon wegen eines bloßen formalen Glaubenswechsels zum christlichen Glauben mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte. Erforderlich wäre vielmehr, dass eine konvertierte Person im Iran nach außen erkennbar eine missionarische Tätigkeit entfalten, eine herausgehobene Rolle einnehmen, in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten, wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - entsprechend ihrer christlichen Prägung sonst aktiv nach außen zeigen will bzw. nur gezwungenermaßen, unter den Druck drohender Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichten würde. Die iranischen Behörden schätzen die Nachfluchtaktivitäten realistisch ein. Iranische Institutionen unterscheiden bei der Ahndung, ob diesen eine ernsthafte Überzeugung des Nutzers oder andere Motive zugrunde liegen. Den iranischen Behörden ist bekannt, dass iranische Staatsangehörige in Asylverfahren häufig zum christlichen Glauben konvertieren, um so bessere Chancen im Asylverfahren zu erhalten. Der Glaubenswechsel muss weiter auf einer festen Überzeugung und einen ernstgemeinten religiösen Einstellungswandel beruhen und nunmehr die religiöse Identität prägen. Der Betreffende muss eine eigene ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen haben und er muss auf der Basis auch gewillt sein, seine christliche Religion auch in seinem Heimatstaat auszuüben. Das Gericht muss überzeugt sein, dass der Betreffende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet (siehe zuletzt etwa VG Bremen, U.v. 30.9.2020 - 1 K 647/18 - juris; VG Ansbach, U.v. 15.9.2020 - AN 19 K 20.30236 - juris; ThürOVG, U.v. 28.5.2020 - 3 KO 590/13 - juris; OVG SH, U.v. 24.3.2020 - 2 LB 20/19 - juris; OVG NRW, B.v. 19.2.2020 - 6 A 1502/19.A - juris; B.v. 2.1.2020 - 6 A 3975/19.A - juris sowie insbesondere BayVGH, B.v. 26.2.2020 - 14 ZB 19.31771 - juris; B.v. 16.1.2020 - 14 ZB 19.30341 - juris; B.v. 10.1.2020 - 14 ZB 19.30242 - juris; B.v. 9.5.2019 - 14 ZB 18.32707 - juris; B.v. 6.5.2019 - 14 ZB 18.32231 - juris jeweils m.w.N.).
23
Ausgehend davon droht der ca. ein gutes halbes Jahr alten Klägerin keine Verfolgung allein aufgrund ihrer Taufe. Denn zum einen fehlt es schon an einem eigenen Gewissensschritt und einer bereits erfolgte christliche Prägung der Klägerin. Ihre Mutter hat in der mündlichen Verhandlung gerade angeführt, dass die Klägerin erst noch christlich erzogen werden soll und dann eine eigene Gewissensentscheidung bei ihrer Konfirmation mit 14 Jahren treffen soll. Davon ist die Klägerin aber noch weit entfernt. Zum anderen liegt auf der Hand, dass die Klägerin aufgrund ihres Alters für sich nicht in christlicher Weise im Iran bei einer Rückkehr öffentlich wirksam tätig werden kann.
24
Der Klägerin droht nach Überzeugung des Gerichts auch nicht wegen ihrer Eltern eine relevante Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit etwa wegen Sippenhaft infolge entsprechender religiöser Aktivitäten ihrer Eltern. Denn zum einen ist schon festzuhalten, dass die betreffenden Asylanträge der Eltern der Klägerin rechtskräftig abgelehnt wurden, konkret beim Vater der Klägerin mit Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Oktober 2018 (B 2 K 17.31681 und BayVGH, B.v. 18.7.2019 - 14 ZB 18.33180) und bei der Mutter der Klägerin mit Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 10. Dezember 2018 (W 8 K 18.32180 - juris und dazu BayVGH, B.v. 10.1.2020 - 14 ZB 19.30242 - juris). Soweit die Mutter der Klägerin - wie in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt - Ende August 2020 einen Asylfolgeantrag gestellt hat, ist offen, ob dieser überhaupt zulässig und begründet ist.
25
Aber selbst, wenn die Eltern der Klägerin bzw. ihre Mutter glaubhaft konvertiert und in einer Weise christlich geprägt wären, dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran öffentlich tätig werden würden, so dass sie Gefahr liefen, verfolgt zu werden, sieht es das Gericht gleichwohl nicht als beachtlich wahrscheinlich an, dass der Klägerin deshalb eine eigene Verfolgung in Form einer Sippenhaft drohen würde. Während das Auswärtige Amt früher noch mitgeteilt hatte, dass es überhaupt keine Erkenntnisse habe, dass im Iran Sippenhaft praktiziert werde (Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 23.7.2015), gab das Auswärtige Amt später an an, dass ihm hinsichtlich der Ausübung von sogenannter Sippenhaft gegensätzliche Informationen vorlägen; eine belastbare Aussage sei ihm nicht möglich (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 14.5.2017). Demgegenüber ist im aktuellen Lagebericht nun ausgeführt: Fälle von Sippenhaft existierten, meistens in politischen Fällen; üblicher sei jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt würden, im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf den Betreffenden einzuwirken (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Februar 2020 vom 26.2.2020, S. 14). Demnach gibt es grundsätzlich Erkenntnisse, dass Familienangehörige von Oppositionellen häufig Opfer von staatlichen Maßnahmen wie Schikanen, Drohungen und gelegentlichen Festnahmen seien (vgl. OVG SH, U.v. 13.2.2020 - 2 LB 19/19 - juris Rn. 33).
26
Ausgehend davon fehlen dem Gericht aber jegliche Anhaltspunkte oder Belege, dass in der vorliegenden Fallkonstellation Sippenhaft oder Druck in der Form auf Konvertiten ausgeübt werden sollte, dass die staatlichen Behörden gegen ihre (Kleinst-)Kinder vorgehen und insbesondere diese ihnen wegnehmen würden. Soweit die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung von einem angeblichen Fall berichtet hat, bei dem ein Kind den Eltern weggenommen worden sei, hat sie keine näheren Angaben zu den konkreten Umständen gemacht, geschweige denn nachprüfbare Quellen dazu genannt. Mangels greifbarer Anhaltspunkte sah sich das Gericht auch nicht veranlasst, in diese Richtung eine Beweiserhebung ins Blaue hinein durchzuführen.
27
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Im Einzelnen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
28
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich schließlich auch nicht aus der weltweiten COVID-19-Pandemie, weil nach den aktuellen Fallzahlen im Iran - auch im Vergleich zu Deutschland -, wie sie das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat (siehe S. 2 des Sitzungsprotokolls), keine hohe Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Ansteckung oder sogar eines schweren oder lebensbedrohlichen Verlaufs besteht, so dass nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran krankheitsbedingt einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben oder sonst einer extremen materiellen Not mit der Gefahr der Verelendung ausgesetzt wäre. Dies gilt erst recht, wenn die Klägerin (bzw. ihre Eltern für sie) die vom iranischen Staat getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie individuelle Schutzmaßnahmen (Einhaltung von Abstand, Hygieneregeln, Mund-Nasen-Schutz-Masken usw.) beachtet und die bestehenden Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt, zumal der iranische Staat nicht tatenlos geblieben ist und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowie Hilfsmaßnahmen getroffen hat.
29
In dem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass der Iran etwa mit Ausgangssperren, örtlichen Lockdowns, Maskenpflicht, Reiseeinschränkungen, Verbot von Feierlichkeiten und dergleichen reagiert hat. Weiter wurden Schulen und Universitäten geschlossen, Freitagsgebete sowie Kultur- und Sportveranstaltungen wurden abgesagt, Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt. Des Weiteren rufen die Behörden dazu auf, möglichst soziale Kontakte zu meiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden bzw. bei deren Nutzung eine Gesichtsmaske zu tragen (vgl. BAMF, Briefing-Notes vom 28.9.2020, 17.8.2020, 27.7.2020, 20.7.2020, 13.7.2020 sowie BAMF, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand 06/2020, S. 30 ff.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation, Zone Russische Föderation/Kaukasus und Iran, COVID-19-Informationen vom 9.6.2020, S. 2 f).
30
Abgesehen davon hat die Klägerin keinerlei Angaben gemacht, wie sich aktuell die Lage zur Ausbreitung von COVID-19 im Iran - vor allem in der Heimatregion der Eltern der Klägerin - darstellt, insbesondere wieviele Menschen sich dort mit dem zugrundeliegenden Krankheitserreger SARS-CoV-2 infiziert haben, hierdurch schwer erkrankt oder gar verstorben sind, von wievielen Ansteckungsverdächtigen derzeit auszugehen ist, welche Schutzmaßnahmen mit welcher Effektivität der iranische Staat zur Eindämmung der Pandemie ergriffen hat, um beurteilen zu können, ob und welche Wahrscheinlichkeit für eine möglicherweise befürchtete Ansteckung mit COVID-19 im Falle einer Rückkehr besteht. Denn für die Beurteilung ist auf die tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, zu der auch eine eventuelle - bei der Klägerin nicht gegebene - Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe gehört (vgl. OVG NRW, B.v. 23.6.2020 - 6 A 844/20.A - juris konkret zum Iran).
31
Schließlich ist noch anzumerken, dass der Offensichtlichkeitsanspruch im streitgegenständlichen Bescheid zwar rechtswidrig ist. Insofern wird auf den betreffenden Beschluss des Gerichts verwiesen (siehe VG Würzburg B.v. 6.7.2020 - W 8 S 20.30742 - juris). Gleichwohl war der betreffende Offensichtlichkeitsausspruch nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylG nicht aufzuheben, weil die Klägerin durch dieses Offensichtlichkeitsverdikt nicht (mehr) beschwert und in ihrem subjektiven Rechten verletzt ist, da die Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in dieser Fallkonstellation nicht eintritt (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 10 AufenthG Rn. 50 ff., 54). Ergänzend wird auf § 37 Abs. 2 AsylG hingewiesen, wonach die Ausreisefrist nun kraft Gesetzes 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet, nachdem das Gericht im Sofortverfahren W 8 S 20.30742 mit Beschluss vom 6. Juli 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnete hatte.
32
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.