Titel:
Kürzung landwirtschaftlicher Subventionen wegen Cross-Compliance-Verstoß
Normenketten:
RL 2008/71/EG Art. 4 Abs. 1, Abs. 2
Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 Art. 38 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, Art. 39 Abs. 4 Unterabs. 1
VO (EU) Nr. 1306/2013 Art. 39
VO (EU) Nr. 1307/2013 Art. 26
ViehVerkV § 25 Abs. 3, § 42
ZPO § 708, § 711
Leitsätze:
1. Es ist nicht zu beanstanden, wenn sich die Behörde hinsichtlich der Höhe des Kürzungsprozentsatzes auf die in einer Bund-Länder-Abstimmung beschlossenen Bewertungsmatrix „Arbeitsanweisung „Prüferhinweise CC im Bereich Schweinekennzeichnung“ für das jeweilige Kontrolljahr (hier 2019) bedient hat. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung in vergleichbaren Fällen betrifft die konkret handelnde Behörde, sodass es grundsätzlich zulässig ist, dass unterschiedliche Behörden hinsichtlich derselben Rechtsnorm eine unterschiedliche Ermessenspraxis haben. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. „Wiederholtes Auftreten“ eines Verstoßes iSd Art. 38 Abs. 1 S. 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014, bei dem der angewandte Kürzungssatz nach Art. 39 Abs. 4 Unterabs. 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 zu verdreifachen ist, liegt vor, wenn dieselbe Anforderung oder derselbe Standard mehr als einmal innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von drei Kalenderjahren nicht eingehalten wurde, sofern der Begünstigte auf den vorangegangenen Verstoß hingewiesen wurde und er je nach Fall die Möglichkeit hatte, die erforderlichen Maßnahmen zur Abstellung des vorangegangenen Verstoßes zu ergreifen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Beurteilung eines Verstoßes als marginaler Fehler wird dieser weder sanktioniert noch im Rahmen des Frühwarnsystems behandelt. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Teilverpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage, Kürzung landwirtschaftlicher Subventionen (Direktzahlungen), Cross-Compliance-Verstoß, ordnungsgemäßes Führen eines Bestandsregisters, zwischenzeitige Aufgabe des Schweinebestandes, Wiederholungsverstoß, bundeseinheitliche Bewertungsmatrix, Bestandsregister, Kürzung, landwirtschaftliche Subventionen, Direktzahlungen, Bewertungsmatrix, Ermessen, Selbstbindung, Frühwarnsystem
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 09.03.2021 – 6 ZB 21.113
VGH München, Beschluss vom 19.04.2021 – 6 ZB 21.975
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30664
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung von Zuwendungen (Direktzahlungen) für das Jahr 2019 wegen „Cross-Compliance“-Verstoßes.
2
1. Der Kläger beantragte am 8. Mai 2019 mittels Mehrfachantrag die Basisprämie durch Aktivierung der Zahlungsansprüche und Zahlung für dem Klima- und Umweltschutz förderliche Landbewirtschaftungsmethoden (Greeningprämie), die Umverteilungsprämie für aktivierte Zahlungsansprüche, die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten und die Auszahlung für das Kulturlandschaftspflegeprogramm (KULAP) und das Vertragsnaturschutzprogramm (VNP/EA) jeweils für das Jahr 2019.
3
Im Rahmen einer Vor-Ort-Kontrolle des klägerischen Betriebs am 18. Juli 2019 durch das Veterinäramt des Landratsamts M.-Sp. wurde ein Verstoß gegen die Anforderungen im Rahmen von Cross Compliance (CC) festgestellt, welcher zu einer Kürzung aller CCrelevanten Zahlungen für dieses Kontroll- und Prämienjahr führte.
4
Mit Bescheid des AELF Ka. vom 10. Dezember 2019 wurden dem Kläger Direktzahlungen in Höhe von 50.000,39 EUR gewährt. Bei der Gewährung wurde eine Kürzung in Höhe von 9% vorgenommen. Zur Begründung für die angewandten Kürzungen, Sanktionen und Ablehnungen wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei ein Verstoß oder mehrere Verstöße gegen die CC-Vorschriften festgestellt worden. Auf den entsprechenden Prüfbericht werde verwiesen. Im Falle eines CC-Verstoßes obliege es dem AELF, die förderrechtlichen Konsequenzen gemäß Art. 99 VO (EU) Nr. 1306/2013 zu bestimmen. Bei derartigen Fällen entspreche es der ständigen Verwaltungspraxis, die Beihilfezahlungen um 9,00% zu kürzen. Besondere Umstände, die ein Abweichen von dieser Regeleinstufung rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich.
5
2. Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2020, eingegangen bei Gericht am selben Tag, ließ der Kläger Klage erheben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Bescheid leide schon an erheblichen formellen Mängeln. Ein Verwaltungsakt sei bereits dann formell rechtswidrig, wenn der Adressat entgegen Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG vor Erlass des Bescheides nicht angehört worden sei. So liege der Fall hier. Zwar nehme der Bescheid auf einen angeblichen Prüfbericht Bezug. Ein solcher Prüfbericht sei nicht bekannt. Es handle sich bei den Ausführungen auch um einen Textblock, bei dem die Auswahl „ein Verstoß“ oder „mehrere“ nicht erfolgt sei. Ob ein oder mehrere Verstöße vorliegen, könne denknotwendig nicht offenbleiben. Der Bescheid sei nicht mit der nötigen Sorgfalt erstellt worden. Die Klage sei auch begründet, weil keinerlei Tatbestände die angegriffene Kürzung rechtfertigen würden.
6
Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 12. März 2020 wird ausgeführt, der Prüfbericht sei dem Kläger auch nach Zusendung des gekürzten Förderbescheids vom 10. Dezember 2019 nicht bekannt gegeben worden. Dies habe auch nicht geschehen können, weil er ausweislich der Akte erst am 24. Februar 2020 datiere. Die in dem fraglichen Prüfbericht festgestellten Tatsachen seien zu beanstanden. Unstreitig werde zwischen den Parteien bleiben, dass der Kläger im Jahr 2019 keine Schweine gehalten habe. Ein aktuelles Bestandsregister 2019 sei demnach nicht zu führen gewesen. Es sei davon auszugehen, dass die Behörde die Tatsache, welche Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens W 8 K 19.1540 sei, als Verstoß i.S.d. Art. 93 Abs. 1 i.V.m. GAB 6 des Anhangs II der VO (EU) Nr. 1306/2013 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2008/71/EG i.V.m. § 42 Abs. 1 ViehVerkV bewerte. Tatsächlich sei in diesem Verfahren W 8 K 19.1540 ein Bestandsverzeichnis aktenkundig, das vollständig den Förderbestimmungen entspreche. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, so könne der Verstoß aus dem Jahre 2017 nicht erneut als Verstoß im Jahre 2019 gewertet werden. Entsprechend Art. 97 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 sei nämlich auch hier wieder auf ein Kalenderjahr abzustellen, welches wohl das Kalenderjahr 2019 betreffe. Unterstellt, das Bestandsverzeichnis 2017 sei untergegangen durch ein Naturereignis und wäre durch andere Unterlagen nicht mehr reproduzierbar, dann könne die bloße Aufbewahrungspflicht denknotwendig nicht erfüllt werden. Demgemäß würde die Verwaltungssanktion einen Sachverhalt im Jahre 2019 sanktionieren, der dem Förderempfänger jedenfalls im Jahre 2019 nicht i.S.d. Art. 91 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1306/2013 anzulasten sei.
7
Mit weiterem Schriftsatz vom 13. Juli 2020 ließ der Kläger vorbringen, dass ohne aktive Mithilfe der Zahlstelle nahezu kein Antragsteller den Antrag korrekt ausfüllen könne. Der Hinweis, der Kläger habe bei der Antragstellung versichert, er habe alle Fördervoraussetzungen erfüllt, sei deshalb unzulässig. Einem Antragsteller werde mit dem Häkchen eine pauschale Erklärung abverlangt, die er - im Wissen der Zählstelle - gar nicht selbständig erfüllen könne. Der Bundesgerichtshof habe die im Internethandel weit verbreiteten „Checkboxen“, mit den bestätigt werde, dass der Kunde beispielhaft die Widerrufsbelehrung erhalten und/oder zur Kenntnis genommen habe, explizit für AGBrechtswidrig erklärt (Az. III ZR 368/13) und ihnen jede Beweiswirkung abgesprochen. Warum sollte es hier anders sein. Der Prüfbericht solle per mail am 6. August 2019 an den Kläger versandt worden sein. Indes würden die Förderbedingungen verlangen, dass der festgestellte Verstoß und die Verpflichtung zur Einleitung von Abhilfemaßnahmen dem Begünstigten mitgeteilt werden. Soweit eine Feststellung einer Kürzung einer Direktzahlung ein anderes Jahr der Kürzung betreffe, liege ein Vorabentscheidungsverfahren dem EuGH vor in der Rechtssache C-361/19, über die noch nicht entschieden sei. Im Jahr 2019 habe keine Verpflichtung, ein Bestandsbuch zu führen, bestanden. Ohne Bestand gebe es keine Bestandsführungspflicht. Aus dem deutschen Verordnungstext gehe deutlich hervor, dass die Begriffe „Zugang und Abgang“ immer nur in Verbindung mit der Außenwelt zu sehen seien (Seuchenschutz). Die deutsche Forderung in der ViehVerkV, auch die geborenen Ferkel als Zugang zu vermerken, stehe allenfalls in Zusammenhang mit der Feststellung der Tierzahl. Über dies Daten verfüge die Beklagte jedoch bereits durch die HI-Tierdatenbank. Die von den Muttertieren gesäugten Ferkel in ein Bestandsverzeichnis aufzunehmen, mache keinen Sinn, weil sie ohne Ohrmarken überhaupt nicht individualisierbar seien. Unterstellt, die Ausführungen des Beklagten, dem Kläger sei es aufgrund von Zeitablauf und mangelnder Dokumentation augenscheinlich nicht möglich, den Verstoß und dessen Auswirkungen abzustellen, seien richtig, dann gehe es allenfalls um eine mitbestrafte Nachtat. Die vom Beklagten vorgenommene Bewertung, die angeblich der Bewertungsmatrix entsprechen solle, dürfte jedenfalls der Bewertung von Verstößen in den Niederlanden nicht entsprechen (vgl. Rechtssache C-361/19). Eine von beiden Bewertungen müsse denknotwendig nicht europarechtskonform sein. Hierüber könne ausschließlich der EuGH entscheiden.
8
Auf die weiteren Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 2., 6. und 8. Oktober 2020 wird Bezug genommen.
9
3. Die FüAk führte zur Klageerwiderung für den Beklagten im Wesentlichen aus: Im Rahmen der Vor-Ort-Kontrolle am 18. Juli 2019 sei festgestellt worden, dass auf dem Betrieb des Klägers zum Kontrollzeitpunkt keine Schweine gehalten worden seien. Im vorgelegten Bestandsregister sei der letzte Abgang auf den 08.12.2017 datiert gewesen. Zugänge seien keine erfasst gewesen. Die Gesamttierzahl nach dem letzten Eintrag sei auf 20 Schweine beziffert worden. Laut der Stichtagsmeldung hätten zum 1. Januar 2018 noch 4 Zuchtsauen und 16 Ferkel auf dem Betrieb gestanden. Das Bestandsregister sei somit nicht vollständig gewesen, aktuell und chronologisch geführt gewesen (GAB 6 PK 02). Dieser Verstoß gegen Art. 93 Abs. 1 i.V.m. GAB 6 des Anhangs II der Verordnung (VO) (EU) Nr. 1306/2013 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Unterabsatz 2 und Abs. 2 Buchstabe c) RL 2008/71/EG i.V.m. § 42 i.V.m. § 25 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Viehverkehrsverordnung (ViehVerkV) sei von den Kontrolleuren als mittlerer, fahrlässiger Verstoß mit einem Kürzungssatz von 3% bewertet worden. Der Prüfbericht zur Kontrolle sei am 6. August 2019 fertiggestellt und eine Kopie durch das Veterinäramt am 14. Oktober 2019 per E-Mail an den Kläger versendet worden. Die Kombination des Verstoßes sowie einem vorangegangenen Verstoß aus dem Jahr 2017 habe für das Kontroll- und Prämienjahr 2019 einen Gesamtkürzungssatz von 9% ergeben. Die Gewährung von Direktzahlungen sei gemäß Art. 91 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 an die Einhaltung von Vorschriften in den Bereichen Umweltschutz, Klimawandel, guter landwirtschaftlicher Zustand der Flächen, Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze, sowie Tierschutz geknüpft. Diese Verknüpfung werde als „Cross Compliance“ (CC) bezeichnet. Die CC-Regelungen würden sieben Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand (GLÖZ) und 13 Regelungen zu den Grundanforderungen an die Betriebsführungen (GAB) umfassen. Diese Fachrechtsregelungen würden auch unabhängig von CC bestehen. Wenn die GLÖZ oder die GAB in einem bestimmten Kalenderjahr zu irgendeinem Zeitpunkt nicht erfüllt würden und dieser Verstoß das Ergebnis einer Handlung oder Unterlassung sei, die unmittelbar dem Betriebsinhaber anzulasten sei, der den Beihilfeantrag in dem betreffenden Kalenderjahr gestellt habe, werde der Gesamtbetrag der Direktzahlungen, der diesem Betriebsinhaber gewährt worden oder zu gewähren sei, gekürzt oder gestrichen (vgl. Art. 99 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1306/2013). Schweinehalter hätten nach § 42 Abs. 1 ViehVerkV ein Bestandsregister für Schweine gemäß Anlage 12 ViehVerkV zu führen. Dieses Bestandsregister sei für die Zeit seiner Verwendung und im Anschluss daran drei Jahre lang aufzubewahren. Diese Aufbewahrungsfrist gelte auch dann, wenn die Schweinehaltung aufgegeben worden sei (vgl. Punkt 6.2.2.2 ab Seite 49 der Anlage: Broschüre „Cross Compliance 2019“). Der Kläger habe seine Schweinehaltung zum 31. Januar 2018 aufgegeben. Das bei der Kontrolle vorgelegte Bestandsregister habe jedoch noch eine Gesamttierzahl von 20 aufgewiesen. Der letzte Eintrag sei ein Abgang in Form eines Verkaufs gewesen, welcher auf den 8. Dezember 2017 datiert gewesen sei. Für den Verbleib von vier Tieren habe eine Rechnung über vier Muttersauen vom 15. Januar 2018 vorgelegt werden können. Nachweise über den Verbleib der übrigen 16 Ferkel, die laut Stichtagsmeldung vom 1. Januar 2018 (vgl. Anlage: Auszug HIT) noch auf dem Betrieb gehalten worden seien, hätten während der Kontrolle nicht beigebracht werden können. Nachträglich habe in HIT der Verkauf von sieben Ferkeln nachvollzogen werden. Über die noch neun verbleibenden Schweine liege bis heute kein Nachweis vor, weder in der HIT durch Eintragungen eines Übernehmers, noch durch Belege oder durch Vorlage eines vollständig, aktuell und chronologisch geführten Bestandsregisters. Die Schweinehaltung sei zum 31. Januar 2018 aufgegeben worden. Die dreijährige Aufbewahrungsfrist habe demnach gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 ViehVerkV am 1. Januar 2019 zu laufen begonnen und mit Ablauf des 31. Dezember 2021 geendet. Eine zwischenzeitliche Aufgabe der Schweinehaltung ändere an dieser Pflicht zur Aufbewahrung nichts. Durch Vorlage dieses Bestandsregisters bei der Kontrolle am 18. Juli 2019 sei der Kläger der dreijährigen Aufbewahrungspflicht grundsätzlich nachgekommen. Jedoch impliziere diese Pflicht zur Aufbewahrung auch, dass das aufbewahrte Bestandsregister den Anforderungen des § 42 ViehVerkV zu entsprechen habe. Durch Aufbewahrung des Bestandsregisters für einen Zeitraum von drei Jahren werde die Rückverfolgbarkeit der Schweine sichergestellt und somit könne nachvollzogen werden, welches Schwein sich zu welchem Zeitpunkt auf welchem Betrieb befunden habe. Denn nicht jede Art von Bestandsveränderung sei in der HIT zu melden. Die vorgenommene Bewertung des Verstoßes sei hinsichtlich der Kriterien „Ausmaß“, „Schwere“, „Dauer“ und „Häufigkeit“ nicht zu beanstanden. Gegen dieselbe Anforderung (GAB 6 PK 02) sei bereits bei der Kontrolle am 29. November 2017 ein Verstoß festgestellt worden. Zum damaligen Zeitpunkt habe das vorgelegte Bestandsregister keinerlei Zu- oder Abgänge enthalten und somit nicht den Vorgaben des § 42 Abs. 1 ViehVerkV entsprochen. Der Kläger sei wiederholt zur Vervollständigung und Aktualisierung des Bestandsregisters aufgefordert worden. Somit sei ihm die Möglichkeit zur Abstellung des vorangegangenen Verstoßes gegeben worden. Aufgrund dessen liege ein Wiederholungsverstoß zur Kontrolle am 29. November 2017 vor. Da das vorgelegte Bestandsregister nicht vollständig, aktuell und chronologisch geführt gewesen sei, sei veterinärrechtlich die notwendige eindeutige Zuordnung von Tieren an einem Standort zu einem für die Tierhaltung verantwortlichen Tierhalter nicht sichergestellt. Dies könne vor allem im Tierseuchenfall weitreichende Auswirkungen haben, welche nicht auf den Betrieb selbst begrenzt seien. Die Auswirkungen des Verstoßes würden so lange andauern, bis das Bestandsregister aktualisiert sei. Dass auch nach eingehender Recherche bis zum heutigen Zeitpunkt keine Nachweise über den Verbleib von neun Tiere hätten vorgelegt werden können, zeige, dass es dem Kläger aufgrund von Zeitablauf und mangelnder Dokumentation augenscheinlich nicht möglich sei, den Verstoß und dessen Auswirkungen abzustellen. Zur europarechtskonformen Anwendung dieser Vorgaben würden im Wege einer Bund-Länder-Abstimmung für jedes Kontrolljahr für die einzelnen Rechtsakte und Standards Bewertungsmatrizen beschlossen. In diesen Bewertungsmatrizen sei jeweils definiert, unter welchen Voraussetzungen die dazu bestimme Regelbewertung Anwendung finden solle. Die dort beschriebenen Fallkonstellationen würden also antizipiert diejenigen darstellen, die nach Schwere, Ausmaß, Dauer und Häufigkeit zur Regelbewertung führen sollen. Damit seien diese Kriterien bereits durch die Definition des Regelfalles berücksichtigt. So auch für das Kontrolljahr 2019. Der festgestellte und oben näher beschriebene Verstoß sei seitens des Klägers fahrlässig begangen worden, da er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen habe. Auf die Grundanforderungen sei er in der CC-Broschüre hingewiesen worden. Bei dem Verstoß gegen GAB 6 PK 02 habe es sich um einen Wiederholungsverstoß gehandelt, da dieselbe Anforderung mehr als einmal innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von drei Kalenderjahren nicht eingehalten worden sei. Im Wiederholungsfall sei der anzuwendende Kürzungssatz gemäß Art. 39 Abs. 4 Unterabsatz 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 mit dem Faktor drei zu multiplizieren. Da der Verstoß im Jahr 2019 ursprünglich als mittlerer, fahrlässiger Verstoß mit einem Kürzungssatz von 3% bewertet worden sei, habe sich für das Kontroll- und Prämienjahr 2019 ein Gesamtkürzungssatz von 9% (3% x 3 = 9%) ergeben. Eine Bewertung des Verstoßes im Rahmen des Frühwarnsystems sei aufgrund der Wiederholung nicht möglich gewesen. Da im vorgelegten Bestandsregister noch 20 Tiere, welche sich vermutlich bereits mehr als 17 Monate nicht mehr auf dem Betrieb befunden hätten, aufgelistet gewesen seien, könne auch von keinem Fehler aus Versehen ausgegangen werden.
10
Auf den weiteren Schriftsatz der FüAk vom 2. Juli 2020 wird Bezug genommen. In diesem wird hinsichtlich der Ablehnung des im Verfahren W 8 K 19.1540 gemachten Vergleichsvorschlags im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Abgeltung der Kürzungen in den auf die erste Kontrolle im Jahr 2017 folgenden Jahren nicht möglich sei. Eine Bewertung des Verstoßes im Rahmen des Frühwarnsystems sei aufgrund der Wiederholung nicht möglich gewesen.
11
Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2020 legte die FüAk dar, dass jeder Landwirt vor Antragsbeginn einen Termin zu einem Beratungsgespräch in seinem AELF erhalte, um die Besonderheiten eines jeden Betriebs zu besprechen und Fehler bei der Antragstellung zu vermeiden. Dass aufgrund der Pandemiesituation zur Antragstellung 2020 die persönlichen Beratungstermine vor Ort durch telefonische Gespräche ersetzt worden seien, sei für den vorliegenden Fall irrelevant. Unabhängig von der Mithilfe im Antragsverfahren liege das Erfüllen der Fördervoraussetzungen jedoch in der Eigenverantwortung des Antragstellers. Einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gebe es im landwirtschaftlichen Subventionsrecht nicht. Bei der Fertigstellung des Kontrollberichts handle es sich um einen internen Verfahrensschritt bei der Kontrollbehörde. Dieses Datum sei auf dem Kontrollbericht vermerkt. Die Verwendung des Begriffs „Betriebsinhaber“ diene lediglich der Vereinfachung und besseren Verständlichkeit. Den Antrag auf Direktzahlungen könne nur der Inhaber eines Betriebs stellen und nur er könne somit Zahlungen erhalten. Im Gegenzug könne lediglich gegen einen Zahlungsempfänger eine Verwaltungssanktion im Rahmen von Cross-Compliance verhängt werden. Dies sei daher immer der Betriebsinhaber. Bei dem im Jahr 2019 festgestellten Verstoß handle es sich nicht um den gleichen Verstoß aus dem Jahr 2017, der zwei Mal sanktioniert werde, sondern um einen Verstoß gegen dasselbe Prüfkriterium, dieselbe Anforderung, und daher um einen Wiederholungsverstoß. Für den Kläger habe im Jahr 2019 keine Pflicht zum Führen eines Bestandsregisters für Schweine bestanden. Lediglich die dreijährige Aufbewahrungsfrist nach Aufgabe der Schweinehaltung im Jahr 2018 sei noch nicht abgelaufen gewesen. Würde das Aufbewahren eines fehlerhaften Bestandsregisters genügen, um die Anforderung nach § 25 Abs. 3 Satz 1 ViehVerkV zu erfüllen, stünde dies im Widerspruch zu den Zielen der RL 2008/71/EG. Trotz der Bewertungsmatrizen liege es immer noch im Ermessen der Kontrollbehörde, aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls von dieser Bewertung abzuweichen. Da der Verstoß im vorliegenden Fall als mittlerer Verstoß gewertet worden sei, scheide schon allein deshalb die Behandlung des Verstoßes im Rahmen des Frühwarnsystems oder als Fehler aus Versehen aus. Zudem könne ein Wiederholungsverstoß nicht als Verwarnverstoß gewertet werden. Die Berücksichtigung eines geringfügigen Verstoßes aus Versehen komme nur in begründeten Einzelfällen, d.h. auf keinen Fall als generell geduldete Toleranzschwelle in Betracht. Hierbei sei immer eine Begründung des Kontrolleurs erforderlich, insbesondere dahingehend, dass der Verstoß aus Versehen passiert sei. Zum Kontrollzeitpunkt seien bereits mehr als 17 Monate seit Aufgabe der Schweinehaltung vergangen. Dass die fehlende Aktualisierung aus Versehen passiert sei, sei nicht plausibel.
12
Auf den weiteren Schriftsatz der FüAk vom 9. Oktober 2020 wird Bezug genommen.
13
4. In der mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 2020 ließ der Kläger beantragen,
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ka. vom 10. Dezember 2019 verpflichtet, dem Kläger für das Jahr 2019 Direktzahlungen aus Mitteln der EU ohne Kürzung in voller Höhe, d.h. weitere 4.877,86 EUR, zu gewähren.
14
Die Beklagtenvertreterin beantragte,
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akten der Verfahren W 8 K 19.1540, W 8 K 20.563 und W 8 K 20.564), die beigezogenen Behördenakten sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) vom 10. Dezember 2019 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen über die gekürzten Direktzahlungen hinaus bestehenden Anspruch auf weitere Zahlungen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 5 Satz 1 VwGO). Die streitgegenständliche Kürzung ist dem Grunde und der Höhe nach gerichtlich nicht zu beanstanden.
17
Soweit der Kläger einen Anhörungsmangel geltend macht, kann offenbleiben, ob dem Kläger der Prüfbericht wie vom Veterinäramt M.-Sp. gegenüber dem AELF Ka. angegeben (vgl. Stellungnahme des AELF Ka. vom 24.2.2020) tatsächlich im Oktober 2019 per E-Mail zugeleitet worden ist. Denn jedenfalls ist eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Art. 45 BayVwVfG durch Nachholung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingetreten (vgl. BVerwG, U.v. 12.4.2005 - 1 C 9/04 - BVerwGE 123, 90 - juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 6.7.2020 - 23 S 20.383 - juris). Art. 45 BayVwVfG setzt insoweit vornehmlich einen zeitlichen Rahmen, verhält sich aber nicht zu der Art und Weise, wie die unterbliebene Verfahrenshandlung vorzunehmen ist. Dass eine unterlassene Anhörung allein im Rahmen eines behördlichen Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden kann, ist dieser Regelung nicht zu entnehmen. Der Mangel kann daher auch durch verwaltungsprozessualen Schriftwechsel der Beteiligten geheilt werden, da nicht die formelle Zugehörigkeit zu einem Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern die materielle Gleichwertigkeit der Anhörung entscheidend ist, zumal für die Anhörung in Art. 28 BayVwVfG keine bestimmte Form vorgeschrieben ist. Von der Behörde zu verlangen, dem Betroffenen parallel zum Gerichtsverfahren zusätzlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wäre reiner Formalismus und leere Förmelei. Der Sinn und Zweck der Anhörung muss aber gewahrt sein, so dass erforderlich ist, dass die Behörde das bislang noch nicht Vorgetragene zur Kenntnis nimmt, würdigt und erneut prüft, ob sie unter Berücksichtigung des Vorbringens an ihrer Verfügung festhält oder nicht, und schließlich dem Betroffenen das Ergebnis dieser Prüfung (ausdrücklich oder sinngemäß) mitteilt (BVerwG, U.v. 12.4.2005 - 1 C 9/04 - juris Rn. 39; BayVGH, B.v. 7.10.2014 - 22 ZB 14.1062 - juris Rn. 9 f.). Der Beklagte, vertreten durch die FüAk, hat sich in der Klageerwiderung mit der vom Kläger vorgebrachten Begründung auseinandergesetzt und zum Ausdruck gebracht, dass er an der getroffenen Entscheidung weiter festhält. Dies genügt den vorstehend genannten Anforderungen an eine Heilung von Anhörungsmängeln. Soweit der Kläger vorbringt, der Prüfbericht, auf den im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen wird, liege ihm nicht vor, ist darauf hinzuweisen, dass die Akteneinsicht zur Erfüllung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausreichend ist, wenn die Tatsachen, auf die sich das rechtliche Gehör bezieht, in den Verfahrensakten enthalten sind (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 28 Rn. 16). Dem Kläger wurde vorliegend über das Gericht Akteneinsicht in die Behördenakte gewährt, in der der Prüfbericht enthalten ist (Bl. 82 der Behördenakte). Ein Anhörungsmangel liegt folglich nicht vor.
18
Daneben kann dahinstehen, ob der streitgegenständliche Bescheid formell rechtswidrig ist, weil es sich wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen bei den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid um einen Textblock handelt, bei dem die Auswahl „ein Verstoß“ oder „Mehrere“ nicht erfolgt sei. Denn der Beklagte hat dies jedenfalls durch sein Vorbringen im Klageverfahren nach Art. 45 Absatz 1 Nr. 2 BayVwVfG geheilt, in dem ausführlich vorgetragen wird, worauf die Entscheidung gestützt wird.
19
Der Beklagte hat vorliegend infolge des Fehlens eines korrekt geführten Bestandsregisters zutreffend einen Verstoß gegen die „Cross-Compliance“ Vorschriften angenommen und diesen ermessensfehlerfrei als mittleren Verstoß und in Kombination mit einem vorangegangenen Verstoß aus dem Jahr 2017 mit der Folge einer Kürzung der streitgegenständlichen Förderung um neun Prozent bewertet. Ein atypischer Fall, der eine Abweichung von dieser Regelbewertung rechtfertigen würde, liegt nicht vor.
20
Die Gewährung von Direktzahlungen gemäß Titel III der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 vom 17. Dezember 2013 Haushaltsdisziplin des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft gemäß Art. 26 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 i.V.m. Art. 169 der Verordnung (EU, EURATOM) Nr. 966/2012 ist an die Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen (sog. „Cross-Compliance“) geknüpft.
21
Dies ergibt sich aus Art. 91 und 92 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013, wonach bei Direktzahlungen gemäß der Verordnung Nr. 1307/2013 die Cross-Compliance Vorschriften gemäß Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 zu beachten sind, welche im Einzelnen in Anhang II der Verordnung aufgeführt sind und die Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) und die auf nationaler Ebene aufgestellten Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischem Zustand (GLÖZ) umfassen. Nach Art. 91 Abs. 2 Halbsatz 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 findet die Verwaltungssanktion gemäß Absatz 1 nur dann Anwendung, wenn der Verstoß das Ergebnis einer Handlung oder Unterlassung ist, die unmittelbar dem betreffenden Begünstigten anzulasten ist.
22
Das vom Kläger bei der Vorortkontrolle am 18. Juli 2019 vorgelegte Bestandsregister war nicht ordnungsgemäß geführt i.S.v. § 42 Abs. 2 ViehVerkV (Verordnung zum Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen), Art. 4 der RL 2008/71/EG und gegen die GAB 6 (Kennzeichnung und Registrierung von Tieren). Der Kläger hat seine Schweinehaltung zum 31. Januar 2018 aufgegeben. Nach dem bei der Vorortkontrolle vorgelegten Bestandsregister (Bl. 8 der im Verfahren W 8 K 19.1540 vorgelegten Behördenakte) beträgt die Gesamttierzahl jedoch 20. Dies zeigt, dass das Bestandsregister offensichtlich nicht aktuell geführt wurde. Dieser Verstoß war deshalb gemäß Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 mit einer Verwaltungssanktion zu sanktionieren.
23
Gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 ViehVerkV hat der Tierhalter über seinen Schweinebestand ein Register nach dem Muster der Anlage 12 zu führen. Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 ViehVerkV sind die Kontrollbücher und das Deckregister von denjenigen Personen, die das jeweilige Kontrollbuch oder das Deckregister zu führen haben, für die Zeit ihrer Verwendung und im Anschluss daran drei Jahre lang aufzubewahren. Dieser Aufbewahrungspflicht ist der Kläger zwar grundsätzlich nachgekommen. Das aufbewahrte Bestandsregister entspricht jedoch nicht den Anforderungen von Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG i.V.m. § 42 Abs. 2 ViehVerkV. Zu deren Einhaltung war der Kläger jedoch trotz Aufgabe seines Schweinbestands im Jahr 2018 verpflichtet. Denn aus Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 der RL 2008/71/EG ergibt sich, dass das Register stets auf dem neuesten Stand zu halten ist, und aus Art. 4 Abs. 2 Buchst. c) der RL 2008/71/EG, dass die Register und Informationen im Betrieb verfügbar sind und der zuständigen Behörde während eines von ihr festzulegenden Mindestzeitraums, der mindestens drei Jahre betragen muss, auf Verlangen jederzeit zur Verfügung gestellt werden. Dies zeigt, dass Sinn und Zweck der Pflicht zur Führung eines Bestandsregisters bei der Schweinehaltung auch ist, dass die im Register aufzunehmenden Informationen immer aktuell und (mindestens) drei Jahre im Betrieb verfügbar sein müssen.
24
Auch wenn das vom Kläger entsprechend seiner oben genannten Verpflichtung aufbewahrte und bei der Vorortkontrolle vorgelegte Bestandsregister auf das Jahr 2018 datiert, ist nach den obigen Ausführungen dennoch letztlich ein (auch) im Jahr 2019 andauernder Verstoß des Klägers zu bejahen, der hier erstmalig im Jahr 2019 sanktioniert wurde. Art. 97 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 steht damit vorliegend der Verhängung der Verwaltungssanktion nicht entgegen. Die dem EuGH im Vorabentscheidungsverfahren „College von Beroep voor het Bedrijfsleven (Niederlande)“ - C-361/19 vorliegende Frage hinsichtlich der Kürzung einer Direktzahlung, soweit deren Feststellung ein anderes Jahr betrifft, ist hier folglich nicht entscheidungserheblich.
25
Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten werden die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 der RL 2008/71/EG, wonach jeder Halter, der in das in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a genannte Verzeichnis aufgenommen ist, ein Register führen muss mit Angaben über die Anzahl der in seinem Betrieb vorhandenen Tiere, nicht schon durch die HI-Tier Datenbank erfüllt. Eine dem Art. 7 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1760/2000 (Kennzeichnung und Registrierung von Rindern) entsprechende Regelung, wonach die Führung eines Registers fakultativ für die Tierhalter ist, die Zugang zu der elektronischen Datenbank (HIT) haben, fehlt in der RL 2008/71/EG. Nach § 42 Abs. 2, § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ViehVerkV kann das Bestandsregister zwar auch in elektronischer Form geführt werden. Aus § 42 Abs. 1, § 25 Abs. 1 ViehVerkV ergibt sich aber, dass das Bestandsregister nach dem Muster der Anlage 12 zur ViehVerkV zu führen ist. Die HI-Tier entspricht inhaltlich schon nicht diesem Muster (vgl. Anlage zur Klageerwiderung der FüAK vom 27.5.2020). Die erforderlichen Angaben können bei einem Abgang auch aus anderen Unterlagen hervorgehen, § 42 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 ViehVerkV, und damit wohl auch aus der HI-Tier, wobei dann in Spalte 7 auf diese Unterlagen verwiesen werden muss. Dies ist hier nicht erfolgt.
26
Zudem wäre bei einer elektronischen Form des Bestandsregisters bei einer Überprüfung ein aktueller Ausdruck auf Kosten des Tierhalters vorzulegen, vgl. Art. 4 Abs. 2 Buchst. c der RL 2008/71/EG. Dies ist hier - unabhängig davon, dass die HI-Tier Datenbank das Bestandregister nicht ersetzen kann - nicht erfolgt.
27
In dem Bestandsregister sind auch Geburten und Todesfälle zu verzeichnen. Nach Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG umfasst das Register eine stets auf dem neuesten Stand zu haltende Übersicht über die bei diesen Tieren zu verzeichnenden Bewegungen (Anzahl der Tiere bei jedem Zu- und Abgang) auf der Mindestgrundlage der Gesamtveränderungen des Bestands und unter Angabe des Ursprungs bzw. der Bestimmung der Tiere und des Zeitpunkts dieser Bestandsveränderungen. „Bewegungen“ sind damit allgemein als Zu- und Abgänge, und damit auch Geburt und Tod umfassend, definiert und nicht nur als An- und Verkäufe. Dies ergibt sich denknotwendig auch aus der Formulierung in Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG „Gesamtveränderungen des Bestands“. Ferner ist das Bestandsregister gem. § 42 Abs. 1 ViehVerkV nach dem Muster der Anlage 12 zu führen, aus der sich eindeutig ergibt, dass auch Geburt und Tod von Schweinen im eigenen Betrieb im Bestandsregister aufzunehmen sind. Die RL 2008/71/EG legt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Halbsatz 1 nur Mindestanforderungen für die Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen fest. Dies hat zur Folge, dass die einzelnen Mitgliedstaaten auch weitere Anforderungen hinsichtlich der Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen festsetzen dürfen. Es ist damit aus europarechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn in der ViehVerkV über die RL 2008/71/EG hinaus weitere Vorgaben hinsichtlich des Bestandsregisters gemacht würden.
28
Bei dem der streitgegenständlichen Kürzung zugrundeliegenden Verstoß handelt es sich ferner um einen anderen Verstoß als derjenige, der Gegenstand des Klageverfahrens W 8 K 19.1540 ist, über welches ebenfalls mit Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. Oktober 2020 entschieden worden ist. Gegenstand dieses Verfahrens war das Bestandsregister, welches bei der Kontrolle am 29. Dezember 2017 vorgelegt wurde.
29
Folglich ist die angegriffene Sanktion dem Grunde nach zu Recht erfolgt. Des Weiteren ist die Einstufung des Verstoßes als ursprünglich „mittel“ und die Anwendung eines Kürzungssatzes von 9% infolge Wiederholungsverstoßes nicht zu beanstanden.
30
Aus Art. 91 Abs. 1, Art. 97 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr.1306/2013 sowie § 10 Abs. 2 MOG ergibt sich, dass festgestellte Verstöße zu sanktionieren sind und die Kürzung an sich eine gebundene behördliche Entscheidung darstellt (so auch Booth in Dombert/Witt, Münchener Anwaltshandbuch Agrarrecht, 2. Auflage 2016, § 27 Europäisches Marktordnungs- und Beihilfenrecht, Rn. 22). Nach Art. 99 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 wird zur Anwendung der Verwaltungssanktion gemäß Artikel 91 der Gesamtbetrag der in Artikel 92 genannten Zahlungen, der dem betroffenen Begünstigten gewährt wurde bzw. zu gewähren ist, für die Beihilfeanträge, die er in dem Kalenderjahr, in dem der Verstoß festgestellt wurde, eingereicht hat oder einreichen wird, gekürzt oder gestrichen. Bei der Berechnung dieser Kürzungen und Ausschlüsse werden Schwere, Ausmaß, Dauer und wiederholtes Auftreten der Verstöße sowie die Kriterien nach den Absätzen 2, 3 und 4 berücksichtigt. Nach Abs. 2 der Vorschrift beträgt bei einem Verstoß - wie hier - aufgrund von Fahrlässigkeit die Kürzung höchstens 5%, im Wiederholungsfall höchstens 15%.
31
Hinsichtlich der Beurteilung des Verstoßes als „schwer“, „mittel“ oder „leicht“ und der damit verbundenen Höhe des Kürzungssatzes kommt der Behörde ein Ermessensspielraum zu (VG Augsburg, U.v. 3.6.2020 - Au 8 K 19.1968 - juris Rn. 38; VG Würzburg, U.v. 5.2.2018 - W 8 K 16.1197 - juris). Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte sich hinsichtlich der Höhe des Kürzungsprozentsatzes auf die in einer Bund-Länder-Abstimmung beschlossenen Bewertungsmatrix „Arbeitsanweisung „Prüferhinweise CC im Bereich Schweinekennzeichnung“ für das jeweilige Kontrolljahr (hier 2019) bedient hat (vgl. auch VG Regensburg, U.v. 21.3.2019 - RN 5 K 17.1365 - juris Rn. 35). Eine gleichförmige Ermessensausübung in vergleichbaren Fällen ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Im streitgegenständlichen Bescheid wird zwar knapp, aber dennoch hinreichend deutlich, dass es sich hinsichtlich der Höhe der jeweiligen Verwaltungssanktion um eine Ermessensentscheidung handelt und dass hier gerade kein Fall vorliegt, der eine Abweichung der Regelbewertung rechtfertigen würde. Zudem hat der Beklagte seine Ermessenserwägungen insbesondere im Schriftsatz vom 25. Mai 2020 und in der mündlichen Verhandlung nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigerweise noch ergänzt, soweit diese unvollständig gewesen sein könnten. Ein Ermessensausfall liegt nicht vor, sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
32
Gemäß der einschlägigen Bewertungsmatrix für das Kontrolljahr 2019 Nr. 2.2 Bestandsregister (GAB 6 PK 02) stellen das nicht vollständige Führen des Registers und das nicht chronologische Führen des Registers jeweils einen leichten Verstoß und das nicht aktuelle Führen des Registers einen mittleren Verstoß dar.
33
Im Ergebnis der Bewertung jeden Teils des Prüfkriteriums „Bestandsregister“ gilt nach der Bewertungsmatrix der als höchst bewertete Verstoß eines Teils als die ermittelte Bewertung für das Kriterium insgesamt, d.h. es erfolgt weder eine Addition aller Werte noch wird ein Mittelwert aller Werte gebildet.
34
Die Einordnung als zunächst mittlerer Verstoß unter Berücksichtigung der vorgelegten Bewertungsmatrix anhand von Nr. 2.2 der vorgelegten Bewertungsmatrix im Bereich Schweinekennzeichnung ist rechtmäßig und insbesondere ermessensfehlerfrei erfolgt. Gründe für die Abweichung von der Regelbewertung als mittlerer Verstoß liegen im konkreten Einzelfall nicht vor.
35
Die vom Klägerbevollmächtigten angeführte durch eine niederländische Behörde vorgenommene anderslautende Bewertung eines Verstoßes (vgl. EuGH, Rechtssache C 361/19 College van Berope voor het Bedrijfsleven) steht der Bewertung des streitgegenständlichen Verstoßes mit zunächst 3% nicht entgegen. Denn der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung in vergleichbaren Fällen betrifft die konkret handelnde Behörde. Es ist grundsätzlich zulässig, dass unterschiedliche Behörden hinsichtlich derselben Rechtsnorm eine unterschiedliche Ermessenspraxis haben (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 40 Rn. 43).
36
Nach Art. 38 Abs. 3 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 hängt die „Schwere“ eines Verstoßes insbesondere davon ab, welche Bedeutung den Auswirkungen des Verstoßes unter Berücksichtigung der Ziele der betreffenden Anforderung oder des betreffenden Standards beizumessen ist. Aus den Erwägungsgründen der RL 2008/71/EG ergibt sich als Zweck der Richtlinie über die Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen u.a. die schnelle und zuverlässige Ermittlung von Tierverbringungen. Diese auch tierseuchenrechtliche Rückverfolgbarkeit ist aber nicht gewährleistet, wenn im Bestandsregister trotz Aufgabe der Tierhaltung im Jahr 2018 als Bestand noch 20 Schweine angegeben sind. Zur Nachverfolgung genügt insoweit die HI-Tier Datenbank nicht, da in dieser keine Geburten, Schlachtungen oder Verendungen einzutragen sind.
37
Auch hinsichtlich des „Ausmaßes“ des Verstoßes, welches nach Art. 38 Abs. 2 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache bestimmt wird, ob der Verstoß weitreichende Auswirkungen hat oder auf den Betrieb selbst begrenzt ist, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Wirkungen des Verstoßes sind insbesondere in tierseuchenrechtlicher Hinsicht nicht auf den klägerischen Betrieb beschränkt, wenn einzelne Tierbewegungen bzw. deren Ursache nicht nachvollziehbar sind. Das Bestandsregister wurde vorliegend an sich nicht ordnungsgemäß geführt.
38
Ob ein Verstoß von „Dauer“ ist, richtet sich nach Art. 38 Abs. 4 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 insbesondere danach, wie lange die Auswirkungen des Verstoßes andauern oder welche Möglichkeiten bestehen, diese Auswirkungen mit angemessenen Mitteln abzustellen. Das bei der Vorortkontrolle im Juli 2019 vorgelegte Bestandsregister war nicht ordnungsgemäß geführt. Daran ändert, wie oben aufgezeigt, auch der Umstand nichts, dass der Kläger inzwischen seine Schweinehaltung aufgegeben hat.
39
Bei der Bewertung ist auch das Kriterium der „Häufigkeit“ zu berücksichtigen. „Wiederholtes Auftreten“ eines Verstoßes i.S.d. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014, bei dem der angewandte Kürzungssatz nach Art. 39 Abs. 4 Unterabs. 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 zu verdreifachen ist, liegt vor, wenn dieselbe Anforderung oder derselbe Standard mehr als einmal innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von drei Kalenderjahren nicht eingehalten wurde, sofern der Begünstigte auf den vorangegangenen Verstoß hingewiesen wurde und er je nach Fall die Möglichkeit hatte, die erforderlichen Maßnahmen zur Abstellung des vorangegangenen Verstoßes zu ergreifen.
40
Wie bereits ausgeführt hat der Kläger bereits im Jahr 2017 gegen die Anforderung, ein ordnungsgemäßes Bestandsregister zu führen, verstoßen. Auf die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 12. Oktober 2020 - W 8 K 19.1540 wird insofern Bezug genommen. Der Kläger wurde auch auf den Verstoß hingewiesen und hatte die Möglichkeit, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Verstoß abzustellen. Wie sich aus dem Kontrollbericht zu der am 29. November 2017 durchgeführten Kontrolle ergibt, wurde dieser Bericht am 28. Dezember 2017 an den Kläger versendet/übergeben (Bl. 7 der im Verfahren W 8 K 19.1540 vorgelegten Behördenakte). Zudem wurde der Kläger auch durch die Bescheide des AELF Ka. vom 23. Juli 2018, die Gegenstand des Verfahrens W 8 K 19.1540 sind, auf den Verstoß hingewiesen.
41
Die Anwendung eines Gesamtkürzungssatzes von 9% ist damit nicht zu beanstanden.
42
Einer Aussetzung des Verfahrens und Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere der Art. 39 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014 i.v.m. Art. 38 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014 dahin auszulegen ist, dass das Führen eines Bestandsverzeichnisses nach Art. 4 Abs. 1 der RL 2008/71/EG und nach Aufgabe des Bestandes der gehaltenen Tier, die Nichtaufbewahrung eines solchen Bestandsverzeichnisses als „wiederholtes Auftreten“ eines Verstoßes gegen dieselbe Anforderung oder denselben Standard im Sinne des Art. 38 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014 anzusehen ist, bedurfte es nicht. Denn ungeachtet dessen, dass für das Verwaltungsgericht in erster Instanz keine Pflicht zur Vorlage zum Europäischen Gerichtshof besteht (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 94 Rn. 21 m.w.N.), ergeben sich nach den obigen Ausführungen für das erkennende Gericht keine entscheidungserheblichen Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Verträge der Europäischen Union oder der Gültigkeit bzw. Auslegung von Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art. 267 AEUV).
43
Eine Bewertung des Verstoßes im Rahmen des „Frühwarnsystems“ oder als „marginaler Verstoß“ wurde vorliegend zu Recht nicht angenommen.
44
Nach Art. 99 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 kann ein „Frühwarnsystem“ eingerichtet werden, das auf Verstöße Anwendung findet, die angesichts ihrer geringen Schwere, ihres begrenzten Ausmaßes und ihrer geringen Dauer in hinreichend begründeten Fällen nicht mit einer Kürzung oder einem Ausschluss geahndet werden. Das „Frühwarnsystem“, das 2015 mit der Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik eingeführt wurde und von dem Deutschland nach § 5 Absatz 3 des Agrarzahlungen-Verpflichtungsgesetzes Gebrauch gemacht hat, ersetzt die bis dahin geltende Bagatellregelung (vgl. VG Stade, U.v. 15.5.2019 - 6 A 356/17 - juris Rn. 41). Nach der einschlägigen Bewertungsmatrix kommt eine Bewertung als geringfügig und damit als Frühwarnverstoß insbesondere in Betracht, wenn die Anzahl der betroffenen Tiere im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tiere sehr klein ist oder wenn bei Verstößen gegen die Aufbewahrungspflicht kein Bestand mehr vorhanden ist und der Bestand der Tiere anderweitig belegt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, da der Verstoß in rechtmäßiger Weise als mittel bewertet wurde und dem Kläger hier kein Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht zur Last gelegt wird.
45
Bei der Beurteilung eines Verstoßes als marginaler Fehler wird dieser weder sanktioniert noch im Rahmen des Frühwarnsystems behandelt (vgl. Nr. 4.2 der Bewertungsmatrix „Arbeitsanweisung „Prüferhinweise CC im Bereich Schweinekennzeichnung“). Hierfür fehlt es vorliegend jedoch schon an dessen Geringfügigkeit.
46
3. Gemäß vorstehender Erwägungen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
47
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.