Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 30.06.2020 – B 1 K 18.867
Titel:

Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung

Normenkette:
StPO § 81b Alt. 2
Leitsätze:
1. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Notwendigkeit“ in § 81b Alt. 2 StPO unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Hinsichtlich der von der Behörde getroffenen Prognose ist namentlich darauf abzustellen, ob sie auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht und vertretbar ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Erhebung von erkennungsdienstlichen Daten ist dann nicht mehr notwendig, wenn im strafrechtlichen Verfahren sämtliche Verdachtsmomente gegen den Beschuldigten restlos ausgeräumt worden sind. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer auf § 81b Alt. 2 StPO gestützten erkennungsdienstlichen Behandlung ist das Verwaltungsgericht aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verpflichtet, den Ablauf des strafgerichtlichen Verfahrens in allen Einzelheiten nachzuvollziehen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Frage, wann einem Betroffenen der zur erkennungsdienstlichen Behandlung führende Sachverhalt nicht mehr vorgehalten werden kann, ist als absolute Obergrenze die Tilgungsfrist des BZRG anzunehmen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erkennungsdienstliche Behandlung, Drogendelikt im Rockermilieu, Zeitablauf zwischen Tatbegehung, Bescheidserlass und Durchführung der Maßnahme, Frage der noch bestehenden Notwendigkeit, erkennungsdienstliche Behandlung, Notwendigkeit, Beschuldigteneigenschaft, Betäubungsmitteldelikte, strafgerichtliches Verfahren
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.10.2020 – 10 ZB 20.1974
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30378

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Kriminalpolizeiinspektion (KPI) B. vom 10. Juli 2015, mit dem seine erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet wurde.
2
In der Sachverhaltsschilderung des streitgegenständlichen Bescheids ist ausgeführt, dass die KPI B.  gegen den Kläger wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittle. Der Kläger werde durch die Aussage des anderweitig beschuldigten K. belastet, anlässlich eines Treffens von Mitgliedern verschiedener Chapter des „…“ am 17. Dezember 2010 in B.  Amphetamin für den gemeinsamen Konsum mit Mitgliedern des … zur Verfügung gestellt zu haben. Laut Aussage sei der Kläger im Besitz einer Tüte mit gut 100 g Amphetamin gewesen. Er habe zum Zweck des Konsums die Konsumeinheiten vorbereitet. Ebenso soll er im Frühling/Sommer 2011 Amphetamin zum Kauf angeboten haben, wobei anschließend kein „Geschäft“ zustande gekommen sei. Es bestehe somit der Verdacht eines Verstoßes gem. § 29a BtmG.  Rechtsgrundlage für die erkennungsdienstlichen Maßnahmen sei § 81b 2. Alt. StPO. Die vorliegende Anzeige beziehe sich auf den Besitz und die Abgabe von Amphetamin, wobei allein schon beim Besitz von 100 g Amphetamin von einer nicht mehr geringen Menge ausgegangen werden könne. Die Unterlagen seien für die Aufklärung der durch den Kläger in Zukunft möglicherweise begangenen Straftaten geeignet, weil der Kläger damit durch die Lichtbilder und Personenbeschreibung zukünftig von Zeugen identifiziert werden könne; gegebenenfalls könne auch mit dem Bildmaterial nach ihm gefahndet werden. Die Fingerabdrücke seien notwendig, um einen Tatnachweis führen zu können. Die erkennungsdienstlichen Unterlagen könnten den Kläger somit be- oder entlasten. Für die Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr bei Straftaten mit Betäubungsmitteln spreche, dass aufgrund der damit meist verbundenen Drogenabhängigkeit zukünftig weitere einschlägige Delikte begangen würden. Die dem Kläger zur Last gelegte Straftat sei nicht unbedingt mit einem Suchtverhalten verbunden. Allerdings sei laut der vorliegenden Aussage der Amphetaminkonsum Bestandteil der „Partys“ des „…“. Für eine entsprechende Drogenerfahrung sprächen die zur Verfügung stehende Menge des Rauschgifts sowie die vom Kläger vorgenommene Vorbereitung der „Lines“ zum Konsum. Das in der Aussage geschilderte Verhalten im Rockermilieu werde durch die allgemeinen kriminalistischen Erkenntnisse bestätigt (wird näher ausgeführt).
3
In Anbetracht des geschilderten Verhaltens und der dadurch auch zukünftig bestehenden Gefahr für die Gemeinschaft wiege ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers weit weniger schwer als das Interesse der Allgemeinheit, vor solchen Strafen geschützt zu werden. Mit der Anfertigung der Unterlagen sei lediglich eine kurzfristige Freiheitsbeschränkung verbunden. Die Tatsache, dass die Unterlagen nur bei der Polizei gespeichert und der Öffentlichkeit nicht zugänglich seien, beeinträchtige die Persönlichkeitsrechte nur in geringer Weise, zumal diese Unterlagen nur in dem Fall, dass der Kläger nochmals strafrechtlich in Erscheinung treten und das erkennungsdienstliche Material zur Tataufklärung benötigt werde, verwendet würden. Dem stehe gegenüber, dass ohne erkennungsdienstliches Material die Strafverfolgungsbehörden nur schwer oder gar nicht in der Lage wären Straftaten aufzuklären. Es sei außerdem damit zu rechnen, dass sich der Kläger in Kenntnis der polizeilichen Verfügbarkeit erkennungsdienstlicher Unterlagen von weiteren Straftaten abhalten lasse. Auf die weiteren Ausführungen im streitgegenständliche Bescheid wird verwiesen.
4
Mit Telefax seiner früheren Bevollmächtigten vom 13. August 2015 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der KPI B. vom 10. Juli 2015 aufzuheben.
5
Der Kläger sei Mitglied des Motorradclubs „…“. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das BtMG sei aufgrund einer falschen Aussage des Kronzeugen K. eingeleitet worden. Dessen Beschuldigungen entbehrten jeder Grundlage. Bei dem Zeugen handle es sich um einen rechtskräftig verurteilten Kriminellen, der selbst drogenabhängig gewesen sei. Außer den falschen Behauptungen des Zeugen lägen keinerlei weitere Beweise vor, die einen Tatverdacht gegen den Kläger begründen oder die falschen Behauptungen des Zeugen stützen könnten. Der Kläger habe noch nie Drogen genommen, da er diese strikt ablehne, und sei noch nie wegen Drogendelikten auffällig geworden. Zuletzt sei er mit Urteil des Amtsgerichts B* … vom 18. November 2010 wegen falscher Versicherung an Eides statt zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er führe sich nunmehr seit bald 5 Jahren völlig straffrei. Die angegriffene Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung sei rechtswidrig, da das strafrechtliche Ermittlungsverfahren einzig auf der falschen Verdächtigung durch den unglaubwürdigen Zeugen beruhe; die angeblichen Vorfälle lägen weit über 4 Jahre zurück. Sonstige, den Kläger belastende objektive Beweismittel lägen nicht vor. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es unzulässig, den Kläger einzig und allein aufgrund der falschen Verdächtigung des Zeugen wie einen potentiellen Rechtsbrecher zu behandeln. Der Zeuge K. habe aufgrund der gewährten Kronzeugenstellung und Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm sowie wegen offensichtlich gewährter weiterer rechtsstaatswidriger Vorteile unter dem enormen Druck gestanden, andere Personen falsch zu verdächtigen. Der Zeuge sei vom Amtsgericht R* … wegen Diebstahls und Handeltreibens mit Marihuana zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt worden. Dies sei lediglich die „Spitze des Eisbergs“.
6
Es bestehe keinerlei Wiederholungswahrscheinlichkeit für irgendwelche Drogendelikte. Die aufgrund der Mitgliedschaft in dem Motorradclub vorgenommene generelle Vorverurteilung als potentieller Krimineller verstoße gegen Verfassungsrecht.
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Mit Schriftsatz vom 18. September 2015 beantragte das Polizeipräsidium O. für den Beklagten,
die Klage abzuweisen.
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Der ermittelte Sachverhalt stütze sich auf eine nach polizeilicher Auffassung glaubhafte Zeugenaussage. Trotz der von Klägerseite behaupteten Drogenabhängigkeit des Zeugen spreche für die Validität der Zeugenaussage, dass der Zeuge die Party und die Räumlichkeiten vom 17. Oktober 2010 detailliert geschildert habe. Im Zeitpunkt der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung habe sich der Kläger im Status eines Beschuldigten befunden. Die KPI B* … habe aufgrund der Klageerhebung eine Abhilfeprüfung vorgenommen. Die erkennungsdienstliche Behandlung erscheine aus polizeilicher Sicht weiter notwendig, zweckmäßig und berechtigt. Sie stelle sich als verhältnismäßig dar. Im konkreten Fall könne aufgrund der in Rede stehenden Menge an Betäubungsmitteln nicht von einem Bagatelldelikt ausgegangen werden. Die unentgeltliche Überlassung an Dritte und der anschließende gemeinsame Konsum lasse auf eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr schließen (wird ausgeführt). Der Besitz einer nicht geringen Menge Amphetamin spreche gegen einen erstmaligen Kontakt des Klägers mit Betäubungsmitteln. Es dränge sich auch der Verdacht des Handels auf. Dieser werde durch die Aussage des Zeugen untermauert. Sowohl der Besitz der erheblichen Menge an Amphetamin als auch das Angebot des Klägers ließen auf eine Einbindung in die Drogenszene schließen. Der Kläger sei weiterhin in der Rockerszene verhaftet, in dessen Zusammenhang die Abgabe und der Konsum der Betäubungsmittel stattgefunden habe. In der Gesamtschau sprächen die angeführten Umstände für eine konkrete Wiederholungsgefahr. Eine Erneuerung der Daten bzw. Unterlagen der am 9. Juli 2008 beim Kläger durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung sei im Hinblick auf den zeitlichen Abstand erforderlich. Fehler, die sich aufgrund der länger zurückliegenden erkennungsdienstlichen Unterlagen auswirken könnten, würden so minimiert.
9
Das Verfahren wurde aufgrund der Mitteilung des Polizeipräsidiums O. über die bevorstehende Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht B., wobei es auch auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen K. ankomme, ruhend gestellt.
10
Der Kläger wurde mit Urteil des Amtsgerichts B. vom 11. Februar 2016 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit dreijähriger Bewährungszeit verurteilt. Nach erfolgloser Berufung und Revision trat die Rechtskraft am 30. Oktober 2018 ein.
11
Das Verfahren wurde unter dem vorliegenden Aktenzeichen wiederaufgenommen.
12
Die Bevollmächtigten des Klägers trugen vor, dass der Kläger den ihm zur Last gelegten Sachverhalt des angeblichen Besitzes von Amphetamin am 17. Dezember 2010 immer bestritten habe. Die Verurteilung sei einzig und allein aufgrund der falschen Beschuldigungen des Zeugen K. erfolgt. Es sei erforderlich, dass sich das Gericht selbst einen Eindruck von dem Zeugen verschaffe, um dessen Glaubwürdigkeit beurteilen zu können.
13
Das Polizeipräsidium O. führte noch aus, es werde nicht verkannt, dass der Kläger (was den Besitz von Betäubungsmitteln anbelangt) in den vergangenen Jahren nicht mehr polizeilich in Erscheinung getreten sei. Im ureigenen Interesse von Motorradclubs liege es, dass eventuelle Straftaten nicht nach außen dringen. Es sei immer wieder erforderlich, Vertrauensmänner einzuschleusen. Mitglieder von Rockerclubs legten Wert darauf nach außen den Anschein zu erwecken, dass keine Straftaten, insbesondere im Betäubungsmittelbereich, begangen würden. Auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit der „…“ aufgrund der Strukturmerkmale der Gruppierung werde verwiesen. Der Kläger habe im Rockermilieu eine herausgehobene Stellung. Vor diesem Hintergrund sei in einer Gesamtschau die erkennungsdienstliche Behandlung nach wie vor notwendig. Der Kläger sei in den Jahren 2008 und 1997 erkennungsdienstlich behandelt worden, woraus sich zusätzlich zur Zugehörigkeit zu der Rockergruppierung „…“ die Annahme einer Wiederholungsgefahr begründen lasse.
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Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 30. Juni 2020 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der KPI B* … vom 10. Juli 2015 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass die Klage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach § 81b Alt. 2 StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Die Vorschrift dient der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die künftige Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Voraussetzung ist, dass der von der erkennungsdienstlichen Behandlung Betroffene im Zeitpunkt der Behördenentscheidung, vorliegend also im Zeitpunkt des Bescheidserlasses am 10. Juli 2015 Beschuldigter eines strafrechtlichen Verfahrens war (hierzu a.), die Maßnahme notwendig war und nach wie vor ist (hierzu b.) und die Behörde das Ermessen in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt hat (hierzu c.).
17
a. Der Kläger war bei Erlass der Anordnung Beschuldigter i.S.d. § 81b StPO. Dabei wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der weite Beschuldigtenbegriff zugrunde gelegt, der die verschiedenen Phasen des Ermittlungs- und Strafverfahrens umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.1982 - 1 C 29.79; U.v. 27.06.2018 - 6 C 39/16).
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Ein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO muss nicht bestehen. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt daher die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Beschuldigteneigenschaft unberührt.
19
Vorliegend war die Beschuldigteneigenschaft des Klägers im maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung unzweifelhaft gegeben. Gegen ihn wurde seit geraumer Zeit wegen des Betäubungsmitteldelikts vom Dezember 2010 ermittelt.
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b. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahme ist auch notwendig. Dies bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere unter Berücksichtigung der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten. Ferner muss sich die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens herleiten. Maßgeblich ist demnach, ob der Kläger vorliegend mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an noch aufzuklärenden Handlungen dieser oder ähnlicher Art einzubeziehen ist.
21
Hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit ist wegen des Übermaßverbots nicht (nur) auf den Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung, sondern auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Vornahme der Maßnahmen abzustellen. Bei einer noch nicht vollzogenen Anordnung kommt es deshalb für die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Maßnahmen auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Damit kann in zeitlicher Hinsicht dem Übermaßverbot mit Blick auf mögliche, dem Betroffenen günstige Änderungen der Sachlage hinreichend Rechnung getragen werden. Eine Strafaussetzung zur Bewährung lässt die Notwendigkeit nicht von vorneherein entfallen.
22
Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Notwendigkeit“ unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung; hinsichtlich der von der Behörde getroffenen Prognose ist namentlich darauf abzustellen, ob sie auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht und vertretbar ist (vgl. z.B. VGH BW, U.v. 27.09.1999 - 1 S 1781/98; Krause in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, Rn. 11 zu § 81b).
23
Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers nach wie vor notwendig.
24
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er in der Vergangenheit noch nie wegen Drogendelikten auffällig gewesen sei, vermag dies die notwendige Wiederholungsgefahr nicht zu entkräften. Er ist seit 1997 in mehr oder weniger größeren Zeiträumen immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Kläger wurde vorliegend wegen einer nicht unerheblichen Straftat verurteilt. Der Beklagte hat in nachvollziehbarer und überzeugender Weise dargelegt, weshalb von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann. Die Menge des vom Kläger im Dezember 2010 in Besitz befundenen Rauschgifts und die Art und Weise der Tatbegehung zeigen, dass es sich bei der der Verurteilung zugrunde liegenden Tat nicht um ein einmaliges Ereignis gehandelt hat, sondern dass sich der Kläger vielmehr im Drogenmilieu bewegt hat und daher daraus geschlossen werden kann, dass er Drogen an andere Personen - nicht nur einmalig - abgegeben hat. Daraus kann ohne weiteres eine Wiederholungsgefahr geschlossen werden. In den Blick zu nehmen ist weiterhin das Milieu, in dem sich der Kläger im Zusammenhang mit dieser Tat bewegt hat bzw. er sich immer noch bewegt. Er ist nach wie vor ein führendes Mitglied (* …*) beim Rockerclub der … Nach den allgemeinen polizeilichen Erkenntnissen, gegen die nichts zu erinnern ist, besteht bei Gruppierungen wie den … ein strenger Ehrenkodex, ein starkes Maß an innerer Verbundenheit sowie ein hoher Loyalitätsdruck, der es für die Polizeibehörden schwierig macht, innerhalb dieser Gruppierungen Ermittlungen zu führen.
25
b. Soweit der Kläger vorträgt, die strafrechtliche Verurteilung könne deshalb nicht als Grundlage für die erkennungsdienstliche Behandlung herangezogen werden, weil sie auf den falschen Aussagen des Zeugen K. beruhe, der selbst erheblich straffällig geworden und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei, kann dem nicht gefolgt werden.
26
Eine Erhebung von erkennungsdienstlichen Daten wäre nur dann nicht mehr notwendig, wenn im strafrechtlichen Verfahren sämtliche Verdachtsmomente gegen den Beschuldigten restlos ausgeräumt worden sind (vgl. BayVGH, B.v. 05.01.2017 - 10 ZB 14.2603). Vorliegend wurde der Kläger aber zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Strafgerichte haben sich ausführlich in zwei Tatsacheninstanzen und der Revisionsinstanz mit dem der Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalt und der Glaubwürdigkeit des Zeugen K. auseinandergesetzt (vgl. insbesondere die Ausführungen im Urteil des AG Bamberg vom 11. Februar 2016, S. 4 und im Urteil des LG Bamberg vom 16. Februar 2018, S. 4 ff., S. 20 ff.). Im vorliegenden Verfahren besteht keine Veranlassung, den damaligen Zeugen K. zu hören, zumal sich nicht erschließt, welcher Erkenntnisgewinn für das Verwaltungsgericht aus dieser „Momentaufnahme“ zu ziehen sein sollte. Das Verwaltungsgericht ist auch nicht gehalten, das strafrechtliche Verfahren in allen seinen Einzelheiten nachzuvollziehen oder gar erneut aufzurollen, denn es muss den Strafgerichten vorbehalten bleiben zu klären, ob sich ein Betroffener strafbar gemacht hat oder nicht (BayVGH, B.v. 05.01.2017 - 10 ZB 14.2603; VG München, U.v. 14.08.2013 - M 7 K 12.3618).
27
c. Auch der Zeitablauf seit der Tatbegehung lässt vorliegend die Notwendigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht entfallen. Zwar ist der Kläger seit der Tat vom 17. Dezember 2010 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Für die Frage, wann einem Betroffenen der zur erkennungsdienstlichen Behandlung führende Sachverhalt nicht mehr vorgehalten werden kann, dürfte als absolute Obergrenze die Tilgungsfrist des BZRG anzunehmen sein (so OVG Magdeburg, B.v. 08.03.2019 - 3 L 238/17). Diese beträgt vorliegend nach § 46 Nr. 2b BZRG zehn Jahre ab dem Tag des ersten Urteils (§ 36 BZRG) und ist damit noch nicht abgelaufen. Auch ein Anknüpfen an den Ablauf der Bewährungszeit führt zu keinem anderen Ergebnis (vgl. hierzu BVerwG, U.v.19.10.1982 - 1 C 29/79).
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d. Die Ermessensentscheidung ist hinsichtlich der konkret angeordneten Maßnahmen nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Das Entschließungsermessen wurde ordnungsgemäß ausgeübt. Der Notwendigkeit der erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung steht nicht entgegen, dass der Kläger bereits 1997 und 2008 erkennungsdienstlich behandelt wurde. Die früheren Erkenntnisse liegen im Zeitpunkt des Bescheidserlasses sieben Jahre und im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sogar zwölf Jahre zurück. Der Beklagte hat im Bescheid dargelegt, weshalb eine erneute erkennungsdienstliche Behandlung notwendig ist, dies in der mündlichen Verhandlung nochmals erläutert und darauf verwiesen, dass die polizeiinternen Richtlinien grundsätzlich von einem Zeitraum von fünf Jahren ausgehen, nach dem eine erneute Erfassung zulässig sei, um die Daten auf einem aktuellen Stand zu halten. Wenn die zuletzt erfolgte erkennungsdienstliche Behandlung - wie hier - schon längere Zeit zurückliegt, steht der mit der Aktualisierung der vorhandenen Daten einhergehende Grundrechtseingriff nicht außer Verhältnis zu dem mit der Maßnahme verfolgten gewichtigen öffentlichen Interesse an der Aufklärung künftiger Straftaten. Datenmaterial, das möglicherweise nicht mehr hinreichend aktuell ist, ist für eine wirksame Ermittlungstätigkeit der Polizeibehörden ungeeignet. Hierbei ist auch mit in den Blick zu nehmen, dass die Anordnung nur dann rechtlich zulässig ist, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Anordnung Beschuldigter war und die Prognose vorliegt, er könne auch künftig strafrechtlich in Erscheinung treten (vgl. hierzu OVG Lüneburg, U.v. 21.02.2008 - 11 LB 417/07 -, das unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Aktualisierung und unter Bezugnahme auf die Richtlinien des Bundeskriminalamtes einen Zeitraum von fünf Jahren für angemessen und verhältnismäßig ansieht).
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Sonstige Gesichtspunkte, die zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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2. Die Klage ist daher abzuweisen. Der Kläger trägt als unterliegende Partei nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens.
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3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.