Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.10.2020 – 10 CE 20.2240
Titel:

Erfolgloses Beschwerde im Eilverfahren mit dem Ziel der Erteilung einer Ausbildungsduldung samt Beschäftigungserlaubnis

Normenketten:
BeschV § 32 Abs. 1
AufenthG § 4a, § 19d Abs. 1 Nr. 7, § 42 Abs. 2 Nr. 4, § 60c Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Das Erlöschen der Ausbildungsduldung führt automatisch auch zum Erlöschen der jeweiligen Beschäftigungserlaubnis. Bei der Beschäftigungserlaubnis, die – wie vorliegend – zu einer (Ausbildungs-)Duldung erteilt wird, handelt es sich nämlich um eine Nebenbestimmung, die jeweils mit der Duldung als Hauptverwaltungsakt erlischt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu den Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Beschäftigunserlaubnis an geduldete Ausländer im Eilverfahren. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Erlöschen einer Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis, Strafbefehl, Verhängung einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen, Wirksame Zustellung des Strafbefehls, isolierte Beschäftigungserlaubnis, Ermessensreduzierung nicht glaubhaft gemacht, Beschwerde, Afghanistan, Deutschkenntnisse, Ausbildungsduldung, Beschäftigungserlaubnis, Ausschlussgrund, keine Abänderung des gerichtlichen Beschlusses
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 24.09.2020 – Au 1 E 20.1601
Fundstelle:
BeckRS 2020, 30373

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Unter Abänderung der Nr.
III. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. September 2020 wird der Streitwert in beiden Instanzen auf jeweils 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Ausbildungsduldung samt Beschäftigungserlaubnis bzw. eine isolierte Beschäftigungserlaubnis zu erteilen, weiter.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. September 2020. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, weil er weder einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG noch auf Erteilung der entsprechenden Beschäftigungserlaubnis (§ 60c Abs. 1 Satz 3 AufenthG) hat. Einen Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach § 4a, § 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV hat er ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist die gerichtliche Entscheidung in der Tatsacheninstanz, bei einem Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung zur Erteilung einer Ausbildungsduldung und der entsprechenden Beschäftigungserlaubnis also der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung des Senats (BayVGH, B.v. 2.6.2020 - 10 CE 20.931 - juris Rn. 10).
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Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Antragsstellers auf die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis mit der Erwägung verneint, dass der Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 19d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG greife, weil gegen den Antragsteller mit Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 20. Mai 2020 eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen verhängt worden und dieser Strafbefehl am 11. Juni 2020 rechtskräftig geworden sei. Der Strafbefehl sei dem Antragsteller auch wirksam zugestellt worden, so dass die Einspruchsfrist bei Einlegung des Einspruchs mit Schreiben vom 7. September 2020 längst abgelaufen gewesen sei. Denn der Antragsteller sei der deutschen Sprache mächtig, so dass ihm keine Übersetzung des Strafbefehls zuzustellen gewesen sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung:sei zutreffend, auch wenn die Rechtsantragstelle eines Gerichts vorübergehend nicht erreichbar sei. Der Antragsteller hätte sich auf einen triftigen Grund zum Verlassen der Unterkunft berufen können. Der Antragsteller habe für den Strafbefehl Ratenzahlung beantragt. Dies werfe die Frage einer Verwirkung des Rechtsbehelfs auf.
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Dem hält der Antragssteller entgegen, das Erlöschen der Beschäftigungserlaubnis könne nicht auf § 60c Abs. 4 i.V.m. § 60c Abs. 2 Nr. 4, § 19d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG gestützt werden, da dort nur das Erlöschen der Ausbildungsduldung, nicht aber der Beschäftigungserlaubnis geregelt sei. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts gebe es keine Verwirkung von Rechtsmitteln durch (Raten-)Zahlungen. Aus der polizeilichen Vernehmung ließen sich keine Rückschlüsse auf die Sprachkenntnisse des Antragstellers ziehen, insbesondere darauf, dass er der deutschen Sprache auch in schriftlicher Form mächtig sei. In der Ausbildung lerne er nur Fachbegriffe, nicht aber Behördendeutsch. Jedenfalls sei er nicht in der Lage gewesen, das Institut des Strafbefehls, die Rechtsfolgen und die Rechtsmittelbelehrungzu verstehen. Hätte er die Rechtsmittelbelehrungverstanden, hätte er - wie auch nach Verlust der Beschäftigungserlaubnis - einen Anwalt beauftragt. Zumindest sei der Antragsgegner einstweilig zu verpflichten, dem Antragsteller eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen. Es sei zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller bereits im 3. Lehrjahr befinde und derzeit nicht nach Afghanistan abgeschoben werden könne. Er müsse ansonsten Sozialleistungen beziehen.
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Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Erlöschen der Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 4 i.V.m. § 60c Abs. 2 Nr. 4, § 19d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG (VGH BW, B.v. 7.7.2020 - 11 S 1076/19 - juris Rn. 16 f.) automatisch auch zum Erlöschen der jeweiligen Beschäftigungserlaubnis führt. Bei der Beschäftigungserlaubnis, die - wie vorliegend - zu einer (Ausbildungs-)Duldung erteilt wird, handelt es sich nämlich um eine Nebenbestimmung, die jeweils mit der Duldung als Hauptverwaltungsakt erlischt (vgl. zu § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG in der bis zum 29. Februar 2020 geltenden Fassung: OVG NRW, B.v. 21.7.2020 - 18 B 746/19 - juris Rn. 7 ff.; BayVGH, B.v. 7.5.2018 - 10 CE 18.464 - juris Rn. 6; VGH BW, B.v. 10.7.2017 - 11 S. 695 - juris Rn. 31). An dieser Rechtslage hat sich mit der Neuregelung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit in § 4a AufenthG zum 1. März 2020 durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz nichts geändert. Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zu einer Duldung findet nunmehr ihre Rechtsgrundlage in § 4a Abs. 4 i.V.m. § 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 4a Abs. 4 AufenthG soll für Ausländer ohne Aufenthaltstitel durch die geänderten Formulierungen in § 4a AufenthG keine Rechtsänderung gegenüber § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG a.F. erfolgen. Soweit wie bei einer Duldung auch ohne Besitz eines Aufenthaltstitels die Erwerbstätigkeit durch die Ausländerbehörde erlaubt werden kann, soll dies weiter gelten (vgl. BT-Drs. 19/8285, S. 87). Aus diesen Erwägungen folgt zugleich, dass sich auch an der grundsätzlichen Gesetzeskonstruktion der Beschäftigungserlaubnis als in zeitlicher Hinsicht von der Duldung abhängige Nebenbestimmung im weiteren Sinne nichts geändert hat (vgl. auch § 84 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG).
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Weiter hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass in der Person des Antragstellers der Ausschlussgrund des § 19d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG für die Erteilung einer Ausbildungsduldung und der entsprechenden Beschäftigungserlaubnis vorliegt (§ 60c Abs. 2 Nr. 4, Abs. 1 Satz 3 AufenthG), weil gegen ihn durch den Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 20. Mai 2020 eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen verhängt worden ist. Der Antragsteller konnte demgegenüber auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft machen, dass der Strafbefehl nicht rechtskräftig geworden ist. Insbesondere hat er nicht dargelegt, dass das Strafgericht positiv über seinen Wiedereinsetzungsantrag entschieden oder aufgrund seines Einspruchs einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt hätte. Auch der Annahme des Verwaltungsgerichts, er verfüge über ausreichende Deutschkenntnisse, so dass die Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 37 Abs. 3 StPO nicht vorlägen, ist er nicht substantiiert entgegengetreten. Dass der Antragsteller, der sich zwei Jahre in einer Berufsausbildung befunden und auch die Berufsschule, die nicht nur Fachbegriffe vermittelt, besucht hat, nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen soll, um einen inhaltlich und sprachlich leicht nachvollziehbaren Strafbefehl samt der Rechtsbehelfsbelehrung:zu verstehen, überzeugt nicht. Der Antragsgegner hat den Antragsteller mit Schreiben vom 8. Juli 2020 zum beabsichtigten Widerruf der am 18. Juli 2018 erteilten Beschäftigungserlaubnis angehört. Auch wenn er für die schriftliche Abfassung seiner Stellungnahme vom 29. Juli 2020 fremde Hilfe in Anspruch nehmen musste, war er in der Lage, den Inhalt des in „Behördendeutsch“ abgefassten Schreibens vom 8. Juli 2020 zu verstehen. Aus seiner Stellungnahme ergibt sich auch deutlich, dass er den Inhalt des Strafbefehls - dass er wegen Marihuana-Besitzes eine Geldstrafe bezahlen muss - nachvollziehen konnte. Zudem gibt der Antragsteller in seinem Lebenslauf an, die deutsche Sprache auf Niveau A2 in Wort und Schrift zu beherrschen. Wenn dem Antragsteller offensichtlich nicht bewusst war, dass die Verhängung der Geldstrafe zum Erlöschen seiner Beschäftigungserlaubnis führt, so lässt dies keinen Rückschluss auf nicht ausreichende deutsche Sprachkenntnisse zu, die für den Lauf der Rechtsmittelfrist eine Zustellung einer Übersetzung des Strafurteils erforderlich machen würden (§ 37 Abs. 3 StPO i.V.m. § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG). Im Übrigen ist strittig, ob § 37 Abs. 3 StPO auch bei der Zustellung von Strafbefehlen zu beachten ist. Die bisher dazu ergangene Rechtsprechung ist insoweit uneinheitlich. Teilweise wird § 37 Abs. 3 StPO im Strafbefehlsverfahren analog angewandt, teilweise wird rein formal auf den Wortlaut („Urteil“) abgestellt und der Betroffene auf den Weg der Wiedereinsetzung nach § 44 StPO verwiesen (vgl. Jens Bosbach in Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage 2017, StPO, § 37 Rn. 17a m.w.N.). Eine Rechtsbehelfsbelehrung:wird nicht dadurch inhaltlich unrichtig, dass die Stelle, bei der der Rechtsbehelf eingelegt werden kann, vorübergehend nicht erreichbar ist oder der Antragsteller seine Unterkunft wegen der Corona-Pandemie nicht verlassen kann. Dies vermag allenfalls eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Versäumnis der Rechtsbehelfsfrist zu rechtfertigen.
8
Auch das übrige Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Insbesondere ist ein Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zu der am 5. August 2020 wegen Passlosigkeit erteilten Duldung nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht. Anspruchsgrundlage für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis an geduldete Ausländer sind §§ 4a Abs. 4, 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV. Die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis steht danach im Ermessen der Ausländerbehörde. Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer solchen Erlaubnis im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gesichert werden kann oder dadurch gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache verstoßen würde (NdsOVG, B. v. 11.6.2008 - 4 ME 184/08 - juris Rn. 5; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 50), weil durch die einstweilige Gestattung einer Erwerbstätigkeit der jeweilige Antragsteller legal einer Beschäftigung nachgehen und dieser Zustand rückwirkend nicht mehr beseitigt werden könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung jedoch nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (BayVGH, B.v.7.5.2018 - 10 CE 18.464 - juris Rn. 8; HessVGH, B.v. 15.2.2018 - 3 B 2137/17- juris Rn. 2; OVG RhPf, B.v. 11.7.2017 - 7 B 11079/17 - juris Rn. 27). An letzterer Voraussetzung fehlt es hier. Denn es ist jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine erneute Ausübung des Ermessens zu einer Entscheidung zugunsten des Antragstellers führen wird. Gesichtspunkte, die eine Reduzierung des dem Antragsgegner eröffneten Ermessens hinsichtlich der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis begründen könnten, sind weder substantiiert dargelegt noch sonst ersichtlich. Der Antragsteller hält sich zwar seit Oktober 2015 im Bundesgebiet, besaß aber niemals einen gesicherten Aufenthaltsstatus und ist seit der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylantrags im März 2019 ausreisepflichtig. Sein Aufenthalt wird derzeit nur geduldet, weil er keinen Pass besitzt. Rechtlich geschützte Interessen (z.B. Art. 8 EMRK) für einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet, die über das Interesse an der Beendigung der bereits begonnenen Ausbildung hinausgehen, sind nicht ersichtlich. Zudem ist der Antragsteller bereits mehrfach im Bundesgebiet straffällig geworden. Wegen der gesetzlichen Wertung des § 60c Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 19d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG, die nicht über §§ 4a Abs. 4, 42 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV unterlaufen werden darf, spricht eher vieles dafür, dass einzig eine negative Entscheidung des Antragsgegners ermessensfehlerfrei ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2, § 39 Abs. 1 GKG. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist nicht nur auf eine Ausbildungsduldung samt Beschäftigungserlaubnis, sondern zusätzlich auf die Erteilung einer selbständigen Beschäftigungserlaubnis gerichtet.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).