Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 14.10.2020 – Au 9 S 20.1967
Titel:

Duldungspflicht in Bezug auf eine mündlich angeordnete PCR-Testung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 123 Abs. 5
IfSG § 25 Abs. 3
Leitsatz:
Eine an die gesetzlichen Vertreter adressierte Duldungspflicht in Bezug auf eine mündlich angeordnete PCR-Testung des Vertretenen kann nur von den gesetzlichen Vertretern, nicht aber vom Vertretenen angefochten werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufiger Rechtsschutz, unzulässiger Antrag, Duldungspflicht in Bezug auf eine mündlich angeordnete PCR-Testung, Kontaktperson der Kat. I, Gesundheitsamt, Corona, Adressat, PCR-Testung, Quarantäne, Verhältnismäßigkeit, Covid 19
Fundstelle:
BeckRS 2020, 29775

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine gegenüber ihren gesetzlichen Vertretern angeordnete Duldungspflicht in Bezug auf eine Untersuchung auf das Vorliegen des Virus SARS-CoV-2 (COVID-19).
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Die Antragstellerin besucht derzeit eine ...-Schule im Landkreis .... Mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 teilte das Landratsamt ... dem Gesundheitsamt ... als der für die Antragstellerin zuständigen Gesundheitsbehörde mit, dass diese als Kontaktperson Kategorie I zu einem positiv getesteten COVID19-Fall ermittelt wurde und mündlich eine Quarantäne vom 7. Oktober 2020 bis 12. Oktober 2020 ausgesprochen worden sei. Die Einstufung als Kontaktperson Kategorie I erfolge aufgrund der relativ beengten Raumsituation bzw. schwer zu überblickender Kontaktsituation. Der letzte Kontakt zu dem Erkrankungsfall habe am 28. September 2020 stattgefunden.
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Weiter wurde die Antragstellerin am 7. Oktober 2020 mündlich aufgefordert, eine Untersuchung auf das Virus SARS-CoV-2 (PCR-Testung) durchführen zu lassen. Diese Testung wurde, soweit ersichtlich, bislang nicht durchgeführt.
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Mit Bescheid des Landratsamtes ... vom 13. Oktober 2020 wurden die gesetzlichen Vertreter der Antragstellerin verpflichtet, eine Untersuchung der Antragstellerin auf das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) in Gestalt eines Rachen- bzw. Nasenabstriches durch einen Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden (Ziffer I. des Bescheids). In Ziffer II. des Bescheides wurde für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500,00 EUR zur Zahlung angedroht.
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Zur Begründung führt das Landratsamt ... aus, dass nach § 25 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) Personen, bei denen anzunehmen ist, dass sie krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Ausscheider sind, durch das Gesundheitsamt vorgeladen und verpflichtet werden, u.a. Untersuchungen und Entnahmen von Untersuchungsmaterial an sich vornehmen zu lassen, insbesondere die erforderlichen äußerlichen Untersuchungen und Abstriche von Haut und Schleimhäuten durch die Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden (Nr. 1), sowie das erforderliche Untersuchungsmaterial auf Verlangen bereit zu stellen (Nr. 2). Beim Virus SARS-CoV-2 handele es sich um einen Krankheitserreger i.S.d. § 2 Nr. 1 IfSG, der sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet habe. Eine molekularbiologische Testung auf das Coronavirus im Wege eines Rachen- bzw. Nasenabstriches sei geeignet, mögliche Infektionsketten aufzudecken und zu unterbrechen, da sie das einzige Mittel sei, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren Nachweis über eine Infektion zu erbringen. Die Anordnung der Testung sei auch erforderlich. Eine freiwillige Vornahme der Testung sei verweigert worden. Die Maßnahme sei auch angemessen und verhältnismäßig. Die Androhung des Zwangsgeldes in Ziffer 2 stütze sich auf Art. 20 Nr. 1, Art. 29, 30 Abs. 1 Satz 1, 31 und 36 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG). Die Höhe des Zwangsgeldes sei im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen festgesetzt worden.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Landratsamtes ... vom 13. Oktober 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Die Antragstellerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az. Au 9 K 20.1965) über die noch nicht entschieden worden ist.
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Ebenfalls mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2020 hat die Antragstellerin im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
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1. anzuordnen, dass der Klage (Az. Au 9 K 20.1965) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 13. Oktober 2020 aufschiebende Wirkung zukommt.
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2. hilfsweise festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, eine Untersuchung auf das Coronavirus SARS-CoV-2 in Gestalt eines Rachen- bzw. Nasenabstriches durch einen Beauftragten des Gesundheitsamts zu dulden.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Antrag vorläufigen Rechtsschutzes zulässig und begründet sei. Die junge Antragstellerin sei in der Vergangenheit durch verschiedene Arztbesuche traumatisiert worden und reagiere stressbedingt sehr stark auf ungewollte Untersuchungen und ärztliche Behandlungsmaßnahmen jedweder Art. Die Mutter der Antragstellerin sei gleichfalls durch ärztliche Behandlungsmaßnahmen in der Vergangenheit traumatisiert worden. Die Traumatisierungslage der Mutter wirke sich mittelbar sehr stark auch auf deren Kinder aus. Infolge der Traumatisierung sei am letzten Freitag eine Abstrichnahme beim Hausarzt nicht möglich gewesen. Die Antragstellerin begehre daher die Aufhebung der vom Antragsgegner angeordneten PCR-Testung. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage habe zu erfolgen, wenn eine Interessenabwägung ergebe, dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners überwiege. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweise sich der angefochtene Bescheid des Antragsgegners mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig. Zunächst werde die Unzuständigkeit des Antragsgegners für den Erlass des angegriffenen Bescheides gerügt. Gemäß § 65 Zuständigkeitsverordnung (ZustV) werde davon ausgegangen, dass zuständige Behörde für den Vollzug des IfSG das Landratsamt ... sei. Auch sei die Annahme des Antragsgegners, dass die Antragstellerin Kontaktperson der Kat. I sei, nicht vertretbar. Schließlich werde angenommen, dass der SARS-CoV-2-Nachweis beim Quellfall mittels einer PCR-Testung stattgefunden habe. Der handelsübliche PCR-Test sei jedoch nicht für den Nachweis einer Infektion geeignet.
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Auf den weiteren Vortrag im Antragsschriftsatz vom 13. Oktober 2020 wird ergänzend Bezug genommen.
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Der Antrag wurde dem Antragsgegner zur Stellungnahme zugeleitet. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2020 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, die Einstufung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I sei durch das für die betroffene Schule zuständige Landratsamt erfolgt. Die Einstufung beruhe auf der relativ beengten Raumsituation und der schwer zu überblickenden Kontakt Situation in der Schule. Soweit bekannt sei ein größerer Teil der Schüler dort von der Maskenpflicht befreit. Es gebe aufgrund des „offenen Konzepts“ keine durchgehaltene Trennung der Schülerinnen und Schüler. Die Testung sei der derzeit verwendete Standard zum Nachweis von SARS-CoV-2. Die Entnahme des Abstrichs sei verhältnismäßig. Die Anordnung der Testung sei aufgrund einer Handlungsanweisung des Bayerischen Gesundheitsministeriums erfolgt. Da die Quarantäne am 12. Oktober 2020 geendet habe, sei nicht beabsichtigt, einen neuen Termin zur Untersuchung festzulegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg.
18
1. Der von der Antragstellerin gestellte Antrag vorläufigen Rechtsschutzes ist bereits unzulässig. Die Klage (Az. Au 9 K 20.1965), deren aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet werden soll, ist ersichtlich gegen den Bescheid des Landratsamtes ... vom 13. Oktober 2020 gerichtet, mit dem die gesetzlichen Vertreter der Antragstellerin verpflichtet wurden, eine Untersuchung auf das neuartige Coronavirus in Gestalt eines Rachen- bzw. Nasenabstriches an der Antragstellerin durch einen Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden. Adressaten des streitgegenständlichen Bescheides sind daher die gesetzlichen Vertreter der Antragstellerin. Diese wären daher gehalten gewesen, in eigener Person gegen die ausschließlich sie selbst betreffenden angeordneten Maßnahmen des Antragsgegners vorzugehen. Die Antragstellerin, gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, kann sich lediglich im Wege gerichtlichen Rechtsschutzes gegen eine ihr gegenüber selbst erfolgte Anordnung der Testung auf das SARS-CoV-2-Virus zur Wehr setzen. Eine solche Anordnung ist vorliegend jedoch in Klage- und Eilverfahren nicht verfahrensgegenständlich. In Bezug auf die im streitgegenständlichen Bescheid in Ziffer II. verfügte Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 2.500,00 EUR ergibt sich letztlich nichts Anderes. Zwar entfällt insoweit nach Art. 21a Satz 1 VwZVG die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2020 erhobenen Klage (Az. Au 9 K 20.1965), jedoch ist auch insoweit die Antragstellerin nicht Adressatin der im Bescheid ausgesprochenen Zwangsmittelandrohung. Diese ist ebenfalls ausschließlich gegen die Erziehungsberechtigten der Antragstellerin gerichtet und betrifft deren Duldungspflicht auf der Grundlage des § 25 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 IfSG. Auch insoweit war der Antrag daher bereits als unzulässig abzulehnen.
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2. Auch der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, eine Untersuchung auf das Coronavirus SARS-CoV-2 in Gestalt eines Rachen- bzw. Nasenabstriches durch einen Beauftragten des Gesundheitsamtes zu dulden, bleibt ohne Erfolg. Zwar war über diesen Antrag mit Erfolglosigkeit des Hauptantrages aufgrund der eingetretenen innerprozessualen Bedingung zu entscheiden, jedoch erweist sich dieser Antrag bereits als nicht statthaft. Der auf bloße Feststellung gerichtete Antrag vorläufigen Rechtsschutzes ist nach § 123 Abs. 5 VwGO unstatthaft, da die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 des § 123 VwGO nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a VwGO gelten. Der anwaltlich auf bloße Feststellung gerichtete Antrag kann lediglich als Antrag i.S.d. § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der begehrten Feststellung, verstanden werden. Insoweit wäre jedoch ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, gerichtet gegen die gegenüber der Antragstellerin, vertreten durch ihre gesetzlichen Vertreter, ergangene Anordnung des zuständigen Gesundheitsamts, als Kontaktperson Kat. I eine Testung auf das Vorliegen des Coronavirus SARS-CoV-2 vornehmen zu lassen, zu erheben gewesen. Ein solcher Antrag ist hier nicht verfahrensgegenständlich, da die Antragstellerin bzw. deren Bevollmächtigter ausdrücklich gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 13. Oktober 2020 gerichtlichen Rechtsschutz suchen, der inhaltlich lediglich eine Duldungspflicht für die Erziehungsberechtigten der Antragstellerin begründet. Die anwaltlich erhobenen Anträge sind einer weitergehenden Auslegung nicht zugänglich. Insoweit war auch der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag, gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO auf bloße Feststellung, bereits als unstatthaft und damit unzulässig abzulehnen.
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Der Antrag wäre jedoch auch unbegründet, da die Antragstellerin für die begehrte Feststellung keinen Anordnungsgrund geltend machen kann, da der Antragsgegner im Rahmen der Antragserwiderung mitteilte, dass nach Aufhebung der Quarantäne an der beabsichtigten Testung nicht weiter festgehalten werde.
21
Da sich der gestellte Antrag sowohl im Hauptwie auch im Hilfsantrag als unzulässig erweist, war über die weiteren im Antragsschriftsatz aufgeworfenen Fragen, ob es sich bei der Antragstellerin überhaupt um eine Kontaktperson der Kat. I nach den Kategorien des Robert-Koch-Instituts (RKI) handelt bzw. ob es sich bei der angeordneten PCR-Testung um einen tauglichen Nachweis zur Feststellung des Coronavirus handelt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 8.9.2020 - 20 NE 20.2001 - juris Rn. 26 bis 28), nicht mehr zu entscheiden. Gleiches gilt in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit des mit der Abnahme eines Rachen- bzw. Nasenabstrichs verbundenen körperlichen Eingriffs in Grundrechte (vgl. hierzu VG Augsburg, B.v. 20.5.2020 - Au 9 S 20.852 - juris Rn. 28) unter Berücksichtigung der konkret vorgebrachten individuellen Besonderheiten bei der Antragstellerin in Bezug auf die Vornahme ärztlicher Eingriffe.
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3. Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Sonderbeilage BayVBl. Januar 2014), wonach im hiervorliegenden Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes der in der Hauptsache gebotene Streitwert in Höhe von 5.000,00 EUR (§ 52 Abs. 2 GKG) zu halbieren war.