Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 09.10.2020 – Au 9 S 20.1904
Titel:

Rechtsschutz gegen Anordnung einer häuslichen Isolation einer Schülerin

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
IfSG § 16, § 28
Leitsatz:
Eine Allgemeinverfügung, wonach sich Kontaktpersonen der Kategorie I unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert-Koch-Instituts (RKI) als Kontaktperson der Kategorie I gelten, bis zum Ablauf des 14. Tags nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Isolation begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamtes erfolgt, kann voraussichtlich auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt werden. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, 14-tägige häusliche Isolation, Kontaktperson der Kategorie I, Vorbeugender Rechtsschutz (verneint), Ermessensentscheidung, Corona, vorläufiger Rechtsschutz, vorbeugender Rechtsschutz, Robert-Koch-Institut, Allgemeinverfügung, Krankheitsverlauf
Fundstelle:
BeckRS 2020, 29768

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine 14-tägige häusliche Isolation als Kontaktperson der Kategorie I bzw. vorbeugend gegen eventuelle Testungen in Bezug auf das Vorliegen des SARS-CoV-2-Virus (COVID-19).
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Die Antragstellerin besucht nach eigenen Angaben die 11. Jahrgangsstufe eines Gymnasiums.
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Die Allgemeinverfügung des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen (Az. GZ6a-8000-2020/572, BayMBl. 2020 Nr. 464) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 2020 (Az. G5ASz-G8000-2020/122-622), enthält insoweit folgende Regelungen:
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"Allgemeinverfügung (…)
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2.1.1 Kontaktpersonen der Kategorie I müssen sich unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamts gemäß Nr. 1.1 und bis zum Ablauf des 14. Tags nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall, in Isolation begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamts erfolgt. (…)
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6.1 Bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, endet die häusliche Isolation, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind.
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6.2 Hierüber entscheidet das Gesundheitsamt. Im Falle eines positiven Testergebnisses endet die Isolation beim asymptomatischen Krankheitsverlauf frühestens zehn Tage nach Erstnachweis des Erregers, bei leicht symptomatischem Krankheitsverlauf frühestens zehn Tage nach Symptombeginn und Symptomfreiheit seit mindestens 48 Stunden (definiert als nachhaltige Besserung der akuten COVID-19-Symptomatik gemäß ärztlicher Beurteilung). Hierüber entscheidet das Gesundheitsamt.
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8.1 Diese Allgemeinverfügung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Sie tritt am 19. August 2020 in Kraft und mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft."
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Zu Schulbesuchen sieht der auf Grundlage des § 16 der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) in der Fassung vom 19. Juni 2020 (BayMBl. Nr. 348, BayRS 2126-1-10-G) erarbeitete, zuletzt am 22. September 2020 (BayMBl. Nr. 535) geänderte, Rahmen-Hygieneplan des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Umsetzung des Schutz- und Hygienekonzepts für Schulen nach der jeweils geltenden Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 2. September 2020 (im Folgenden: Rahmenhygieneplan) unter IV. Nr. 13 Buchst. b) u.a. folgendes Vorgehen bei Auftreten eines bestätigten Falls einer COVID-19-Erkrankung vor:
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„aa) Reguläres Vorgehen in allen Klassen außer bei Abschlussklassen während der Prüfungsphase
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Tritt ein bestätigter Fall einer COVID-19-Erkrankung in einer Schulklasse bei einer Schülerin bzw. einem Schüler auf, so wird die gesamte Klasse für vierzehn Tage vom Unterricht ausgeschlossen sowie eine Quarantäne durch das zuständige Gesundheitsamt angeordnet. Alle Schülerinnen und Schüler der Klasse werden am Tag 1 nach Ermittlung sowie am Tag 5 bis 7 nach Erstexposition auf SARS-CoV-2 getestet. Ob Lehrkräfte getestet werden, entscheidet das Gesundheitsamt je nach Einzelfall. Sofern durch das Gesundheitsamt nicht anders angeordnet, kann im Anschluss an die vierzehntägige Quarantäne der reguläre Unterricht wiederaufgenommen werden.“
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In der Oberstufe (Jahrgangsstufe 11) des von der Antragstellerin besuchten Gymnasiums wurde ein positiver COVID-19-Fall festgestellt. Für den Klassenverbund, dem die Antragstellerin angehört, wurde als Reaktion hierauf eine 14-tägige häusliche Isolation angeordnet.
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Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit dem vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz.
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Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt die Antragstellerin über ihren gesetzlichen Vertreter mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 sinngemäß,
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den Antragsgegner zu verpflichten, die angeordnete häusliche Isolation aufzuheben, und eine Entbindung von etwaigen Verpflichtungen zu Testungen auf das Vorliegen des SARS-CoV-2-Virus festzustellen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass die verfügte 14-tägige häusliche Isolation einen willkürlichen Akt darstelle. Es handle sich um einen unverhältnismäßigen Eingriff für einen ungewissen Zweck. Auch werde die Wahrscheinlichkeit bezweifelt, hiermit die Verbreitung der Erkrankung COVID-19 wirksam einzudämmen. Ein wissenschaftlicher Nachweis hierfür sei bislang nicht erbracht worden. Die Maßnahme erfolge lediglich auf Verdacht.
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Auf das weitere Vorbringen im Schreiben vom 7. Oktober 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege ist dem Antrag für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2020 entgegengetreten und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Antrag sei bereits unzulässig. Es sei nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin vorliegend durch ihren Vater ordnungsgemäß vertreten werde. Aufgrund der gemeinsamen Vertretungsbefugnis beider Elternteile gemäß §§ 1626, 1629 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hätte die Vertretung der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren auch durch deren Mutter erfolgen müssen. Soweit der Antrag auf die Entbindung von etwaigen Verpflichtungen auf Corona-Tests gerichtet sei, sei er ebenfalls bereits unzulässig. Derartige Verpflichtungen folgten nicht bereits aus der Allgemeinverfügung „Isolation“. Der Antrag sei aber auch unbegründet. Gründe für eine Suspendierung der in § 28 Abs. 3 i.V.m § 16 Abs. 8 Infektionsschutzgesetz (IfSG) gesetzlich normierten Vollziehbarkeit der Regelungen der Allgemeinverfügung „Isolation“ seien nicht ersichtlich. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen die Regelungen der Allgemeinverfügung habe keinen Erfolg. Auch eine Folgenabwägung falle zu Lasten der Antragstellerin aus. Bei der gebotenen summarischen Überprüfung sei die Allgemeinverfügung rechtmäßig. Es seien zudem keine besonderen Gesichtspunkte gegeben, die ein Überwiegen des Aussetzungsgegenüber dem Vollzugsinteresse geboten erscheinen lassen würde.
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Auf den weiteren Vortrag im Antragserwiderungsschriftsatz vom 8. Oktober 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Ebenfalls mit Schreiben vom 7. Oktober 2020 hat die Antragstellerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az. Au 9 K 20.1904), über die noch nicht entschieden worden ist.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist teilweise bereits unzulässig, im Übrigen aber unbegründet.
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1. Soweit der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz darauf gerichtet ist, die Unzulässigkeit von eventuellen Testungen der Antragstellerin auf Vorliegen des SARS-CoV-2-Virus festzustellen, ist er bereits unzulässig. Da eine derartige Anordnung keine Rechtsgrundlage in der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 (Az. GZ6a-G8000-2020/572, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 29. September 2020, Az. G5ASz-G8000-2020/122-622) findet und nicht ersichtlich ist, dass gegenüber der Antragstellerin bereits eine Einzelanordnung zur Durchführung einer derartigen Maßnahme erfolgt ist, begehrt die Antragstellerin insoweit die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes. Ein solcher Antrag ist regelmäßig unzulässig. Die Konzeption der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geht davon aus, dass zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein gerichtliches Vorgehen nach Erlass einer entsprechenden Verwaltungsentscheidung dem Grunde nach ausreichend ist (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, vor § 40, Rn. 33 m.w.N.). Irreparable Nachteile der Antragstellerin, die ausnahmsweise zur Zulässigkeit der Inanspruchnahme vorbeugenden gerichtlichen Rechtsschutzes führen könnten, sind auch im Hinblick auf den mit einer Testung auf das Vorliegen des Coronavirus (COVID-19) verbundenen geringfügigen körperlichen Eingriff (vgl. hierzu VG Augsburg, G.v. 5.8.2020 - Au 9 K 20.851 - juris Rn. 31) nicht ersichtlich.
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2. Soweit sich der Antrag vorläufigen Rechtsschutzes gegen die gegenüber der Antragstellerin wohl angeordnete 14-tägige häusliche Isolation richtet, ist er zwar zulässig, aber unbegründet.
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2.1. Der Antrag ist zulässig.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage kraft Gesetzes entfällt, ganz oder teilweise anordnen. Da die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 (Az. GZ6a-G8000-2020/572) zur Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I, von Verdachtspersonen und von positiv auf das Coronavirus getesteten Personen gemäß § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, ist der Antrag gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft.
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Der Antrag war gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, zu richten, nachdem sich die Verpflichtung zur Isolation unmittelbar aus der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18. August 2020 in der Fassung vom 29. September 2020 ergibt. Eines weiteren Verwaltungsaktes seitens einer Behörde bedarf es deshalb nicht.
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Aufgrund der gegebenen Eilbedürftigkeit ist zugunsten der Antragstellerin im Rahmen des Eilverfahrens auch vom Vorliegen einer ordnungsgemäßen Vertretung durch ihren Vater als sorgeberechtigten Elternteil auszugehen. Im Fall eines gemeinsamen Sorgerechts ist zwar grundsätzlich gem. §§ 1626, 1629 BGB eine gemeinsame Vertretung notwendig, hiervon kann jedoch nach § 1678 BGB bei tatsächlicher Verhinderung des anderen Elternteils abgesehen werden. Eine weitergehende Aufklärung der gesetzlichen Vertretung der Antragstellerin war im Eilverfahren ungeachtet der gerichtlichen Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO nicht angezeigt. Weitergehende gerichtliche Ermittlungen würden die Anforderungen im hier anhängigen Verfahren des Eilrechtsschutzes überspannen.
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2.2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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2.2.1 Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung - hier § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG - zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs in der Hauptsache abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich der streitgegenständliche Verwaltungsakt bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
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2.2.2 Vorliegend spricht bei der gebotenen summarischen Überprüfung von Sach- und Rechtslage viel dafür, dass die von der Antragstellerin gleichzeitig erhobene Klage (Az. Au 9 K 20.1902) gegen die streitgegenständliche Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 18. August 2020 in der Fassung vom 29. September 2020 erfolglos bleiben wird. Die Antragstellerin wurde voraussichtlich zu Recht nach Nr. 2.1.1 i.V.m. Nr. 1.1.1 der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 18. August 2020, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 29. September 2020 (Allgemeinverfügung „Isolation“) der Isolation unterworfen.
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2.2.2.1 Nach der Allgemeinverfügung „Isolation“ müssen sich Kontaktpersonen der Kategorie I unverzüglich nach der Mitteilung des Gesundheitsamtes, dass sie aufgrund eines engen Kontakts zu einem bestätigten Fall von COVID-19 nach den jeweils geltenden Kriterien des Robert-Koch-Instituts (RKI) als Kontaktperson der Kategorie I gelten, bis zum Ablauf des 14. Tags nach dem vom Gesundheitsamt mitgeteilten letzten Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Isolation begeben, sofern keine anderweitige Anordnung des Gesundheitsamtes erfolgt. Nach Nr. 6.1 der Allgemeinverfügung „Isolation“ endet die häusliche Isolation bei Kontaktpersonen der Kategorie I, bei denen kein positives Testergebnis auf das Vorhandensein von Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt, wenn der enge Kontakt zu einem bestätigten COVID-19-Fall mindestens 14 Tage zurückliegt und während der Isolation keine für COVID-19 typischen Krankheitszeichen aufgetreten sind.
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2.2.2.2 Nach den Angaben im Klage- und Antragsschriftsatz vom 7. Oktober 2020 handelt es sich bei der Antragstellerin aufgrund des Auftretens eines COVID-19-Falls innerhalb des Klassenverbands, dem die Antragstellerin angehört, um eine Kontaktperson der Kategorie I.
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Nach den Empfehlungen des RKI wird bei der Einstufung des Infektionsrisikos von Personen, die mit einem bestätigten COVID-19-Fall Kontakt hatten, zwischen drei Kategorien unterschieden. Nach den Vorgaben des RKI für „Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei respiratorischen Erkrankungen durch das Coronavirus SARS-CoV-2“, Stand: 9. September 2020, besteht ein „erhöhtes Infektionsrisiko“ insbesondere bei Personen der Kategorie I. Zu dieser Kategorie zählen nach Einschätzung des RKI insbesondere Personen mit kumulativ mindestens 15-minütigem Gesichts- („face-to-face“) Kontakt mit einem bestätigten COVID-19-Fall, zum Beispiel im Rahmen eines Gesprächs (z.B. Personen aus demselben Haushalt), bei Personen mit direktem Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten, insbesondere zu respiratorischen Sekreten eines bestätigten COVID-19-Falls (z.B. Küssen, Kontakt zu Erbrochenem, Mund-zu-Mund Beatmung, Anhusten, Anniesen, etc.), bei Personen, die nach Risikobewertung durch das Gesundheitsamt mit hoher Wahrscheinlichkeit einer relevanten Konzentration von Aerosolen auch bei weiterem Abstand zum bestätigten COVID-19-Fall als 1,5 m entfernt ausgesetzt waren (z.B. Feiern, gemeinsames Singen oder Sporttreiben in Innenräumen) oder wenn sich zusätzlich vorher der bestätigte COVID-19-Fall eine längere Zeit (>30 min) im Raum aufgehalten hat oder bei Personen in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation mit dem bestätigten COVID-19-Fall (z.B. Kitagruppe, Schulklasse), unabhängig von der individuellen Risikoermittlung. Bei einem Kontakt mit weiterem Abstand als 1,5 m und einem längeren Aufenthalt als 30 Minuten sind nach der Tabelle zur Einstufung von Kontaktpersonen der Kategorie I (KP I) die Faktoren Lüftung/Frischluftzufuhr, Aufenthaltsdauer (von Quellfall bzw. Kontaktperson und Aerosolproduktion des Quellfalls gegeneinander abzuwägen. Insoweit werden vom RKI keine absoluten Angaben gemacht.
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Ein „geringeres Infektionsrisiko“ besteht nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts insbesondere bei Kontaktpersonen der Kategorie II. Dazu zählen insbesondere Personen, die sich im selben Raum wie ein bestätigter COVID-19-Fall aufhielten, wie zum Beispiel am Arbeitsplatz, jedoch keinen kumulativ mindestens 15-minütigen Gesichts- („face-to-face“) Kontakt mit dem COVID-19-Fall hatten und keine Situation stattgefunden hat, bei der Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Aerosolübertragung auch bei Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m erfolgen konnte.
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2.2.2.3 Ausgehend von diesem Maßstab handelt es sich bei der Antragstellerin nach den Vorgaben des RKI um eine Kontaktperson der Kategorie I, sodass sie als Ansteckungsverdächtige im Sinn des § 2 Nr. 7 IfSG tauglicher Adressat einer auf die Allgemeinverfügung „Isolation“ vom 18. August 2020 gestützten Maßnahme ist.
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Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung „Isolation“ ist im streitgegenständlichen Fall auch anwendbar und begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet bei der gebotenen summarischen Prüfung in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine ausreichende Rechtsgrundlage und ist mit höherrangigem Recht vereinbar.
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Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Infektion mit dem SARS-CoV-2, der zur Lungenkrankheit Covid-19 führen kann, um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, sodass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist. Nach § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Sie kann nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. § 28 Abs. 1 Satz 1 1. HS IfSG n.F. enthält insoweit eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet. Nur hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt, das sie entsprechend dem Zweck der Ermessensermächtigung im Interesse des effektiven Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszuüben hat.
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Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach wie vor weder ein Impfstoff noch eine wirksame Therapie gegen eine COVID-19- Erkrankung vorhanden sind und insbesondere bei älteren Menschen und bei Menschen mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung mit erheblichen Folgen für Leben und Gesundheit der Bevölkerung und einer Überforderung des Gesundheitssystems besteht. Nach der Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts handelt es sich weltweit und in Deutschland nach wie vor um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland ist nach wie vor insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einzuschätzen. Angesichts teilweise schwerer und lebensbedrohlicher Krankheitsverläufe ist es Ziel, durch geeignete Maßnahmen eine Ausbreitung der Infektion mit SARS-CoV-2 einzudämmen und so weit wie möglich zeitlich zu verlangsamen. Nur so können die vorgenannten Risikogruppen ausreichend geschützt werden. Die häusliche Isolation von Kontaktpersonen der Kategorie I ist dabei aus infektionsmedizinischer Sicht eine entscheidende Maßnahme zur Unterbrechung möglicher Infektionsketten, sodass diese Maßnahme daher nicht zu beanstanden ist.
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Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Allgemeinverfügung keine Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung der Quarantäne z.B. wegen eines negativen Testergebnisses vorsieht. Nach den Erkenntnissen des RKI, das bei der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung der Verbreitung von Infektionen eine besondere Sachkunde aufweist (§ 4 IfSG), ist davon auszugehen, dass bis zum 14. Tag nach dem letzten direkten Kontakt noch eine (geringe) Wahrscheinlichkeit für eine Infektion besteht. Auch eine Person, die in den Tagen davor noch negativ auf das Virus getestet wurde, kann also bis zum 14. Tag noch eine Infektion entwickeln, so dass ein Test erst zu einem späteren Zeitpunkt positiv anschlägt. Daher müssen sich alle Personen, die in den letzten 14 Tagen einen engen Kontakt im Sinne der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts mit einem COVID-19-Fall hatten, in Quarantäne befinden. Erst nach dem Ablauf von 14 Tagen ist sichergestellt, dass sich diese Person nicht bei der ursprünglich positiv getesteten Person angesteckt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Quarantäne daher zwingend.
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2.2.2.4. Die durch die Quarantäneverpflichtung zwangsweise eintretende Einschränkung der Grundrechte der Antragstellerin ist voraussichtlich auch in Abwägung mit den Grundrechten der Allgemeinheit angemessen. Das Coronavirus stellt eine ernste Bedrohung für Leben und Gesundheit einzelner, insbesondere älterer und kranker Menschen, sowie auch für das Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung als Ganzes dar. In der Abwägung der privaten Interessen der Antragstellerin mit den Interessen der Allgemeinheit an einer effektiven Eindämmung des Virus ist den Interessen der Allgemeinheit im konkreten Fall der Vorrang einzuräumen (vgl. zum Ganzen VG Augsburg, B.v. 15.9.2020 - Au 9 S 20.1620 - juris; VG Augsburg, B.v. 15.9.2020 - Au 9 S 20.1627 - n.v.; VG Würzburg, B.v. 18.9.2020 - W 8 S 20.1325 - juris; VG Regensburg, B.v. 18.9.2020 - RO 14 S 20.2260 -juris).
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Damit ist die Verpflichtung der Antragstellerin zur häuslichen Isolation auf der Grundlage der Allgemeinverfügung „Isolation“ aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Sie steht auch in Einklang mit dem vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus zur Umsetzung des Schutz- und Hygienekonzepts für Schulen erarbeiteten Rahmen-Hygieneplans, der seinerseits bei der gebotenen summarischen Überprüfung keinen rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. VG Augsburg, B.v. 24.9.2020 - 9 S 20.1703 - n.v.).
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2.2.3. Die Frage, ob der Antragstellerin eventuell ein Anspruch auf vorzeitige Aufhebung der 14-tägigen häuslichen Isolation zur Seite steht, ist im hier zu entscheidenden Verfahren nicht gegenständlich. Insoweit sind die Antragstellerin bzw. deren gesetzliche Vertreter angehalten, unter Vorlage entsprechender ärztlicher Testergebnisse einen Antrag beim örtlich zuständigen Gesundheitsamt zu stellen und bei Ablehnung eventuell erneut gerichtlichen Rechtschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. hierzu VG Würzburg, B.v.18.9.2020 - W 8 S 20.1326 - juris Rn. 31).
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3. Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge auf § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (BayVBl, Sonderbeilage Januar 2014). Da vorliegend von der Antragstellerin auch eine Klage in der Hauptsache (Au 9 K 20.1902) erhoben wurde, erachtet das Gericht im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes eine Halbierung des in der Hauptsache gebotenen Streitwerts von 5.000,00 EUR (§ 52 Abs. 2 GKG) für geboten.