Titel:
Versagung der Baugenehmigung für Einfamilienhaus wegen fehlenden Einfügens hinsichtlich der Geschosszahl
Normenketten:
BayBO Art. 6, Art. 63 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1
Leitsätze:
1. Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung ist die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung maßgebend. Das sind vor allem die (absolute) Grundfläche, die Anzahl der Vollgeschosse und die Höhe des Gebäudes. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Vorrang des Städtebaurechts vor dem Abstandsflächenrecht gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen; auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) kommt grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Frage, ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, ist stets zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Einfamilienwohnhaus mit Pool, Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, verneint, Verstoß gegen das Abstandflächenrecht, bejaht, Anspruch auf Erteilung einer Abweichung, Bestimmtheit der Bauunterlagen, nähere Umgebung, Geschosszahl, Atypik, sozialer Wohnfrieden
Fundstelle:
BeckRS 2020, 29687
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage, hilfsweise die Neuverbescheidung.
2
1. Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …76 der Gemarkung B** … (* …weg 7, … … …; Baugrundstück). Ein Bebauungsplan existiert nicht. Die Umgebung zeichnet sich durch Wohnbebauung aus. Das Grundstück, bei dem es sich um einen ehemaligen Weinberg handelt, fällt vom …weg aus nach Südosten stark ab. Das östlich angrenzende Grundstück Fl.Nr. …74 der Beigeladenen zu 1) ist mit einem Wohnhaus bebaut. Westlich und südlich des Baugrundstücks grenzen die Grundstücke Fl.Nrn. …77 und …78 an, die sich im Eigentum des Beigeladenen zu 2) befinden und auf denen sich südwestlich des klägerischen Grundstücks ein Wohnhaus befindet. Der überwiegende Teil des westlich gelegenen Grundstücks Fl.Nr. …77 ist als Biotop kartiert. Das Baugrundstück war in seinem vorderen, zum …weg hin gelegenen Teil seit ca. 1952 bis 2015 mit einem zweigeschossigen Wohnhaus bebaut.
3
Mit Bauantrag vom 27. Januar 2015 beantragten die Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für den „Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage“. In den Bauantragsplänen war auch das natürliche Gelände dargestellt, wie dies vom Entwurfsverfasser und Architekten ermittelt worden war. Die Beigeladene zu 1), Eigentümerin des Nachbargrundstücks Fl.Nr. …74, erteilte aufgrund einer Überschreitung der Abstandsfläche nach Nordosten die Zustimmung zur Abstandsflächenübernahme mit einer Tiefe von 2 m.
4
Mit Bescheid vom 23. März 2015 wurde die Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage erteilt. Dabei wurde eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften im nordöstlichen Bereich vor dem Hauptgebäude hin zum Grundstück Fl.Nr. …74 erteilt.
5
Mit Schreiben der Beklagten vom 19. August 2015 wurden die Kläger aufgefordert, die Bescheinigung über die Einhaltung der festgelegten Grundfläche und Höhenlage nach Art. 68 Abs. 6 Satz 2 BayBO i.V.m. § 21 Satz 1 PrüfVBau vorzulegen (Ziffer 2 der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung vom 23.3.2015). Mit Schreiben vom 4. Mai 2016 teilte das Planungsbüro der Beklagten mit, dass mit der Ausstellung der Bescheinigung das Vermessungsbüro G* … … … mbH, …, beauftragt worden sei. Weiter sei bei der Grobabsteckung des Gebäudes als Vorbereitung zum Aushub und zur Schnurgerüsterstellung festgestellt worden, dass der Bezugspunkt der Höhenkote gegenüber der ursprünglichen Festlegung der Höhe über NN nicht richtig sei. Die Höhe des Bezugspunkts über NN sei 69 cm höher. Dementsprechend laute die Höhenkote nicht 271 m über NN, sondern 271,69 m über NN. Alle weiteren Höhenpunkte der Planung änderten sich entsprechend um ca. 69 cm. Am Vorhaben selbst und dessen Verhältnis zum natürlichen Gelände und damit zur Nachbarbebauung und zur Straße hin ändere sich nichts. Die Höhenkote wurde daraufhin händisch im Plan abgeändert.
6
Mit Schreiben vom 3. November 2016 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass bei einer Baukontrolle am gleichen Tag festgestellt worden sei, dass die Bauausführung von den Darstellungen in den genehmigten Planunterlagen abweiche. Es sei festgestellt worden, dass entlang der Grundstücksgrenze zum Nachbaranwesen Fl.Nr. …77 Stützmauern mit Höhen von bis zu ca. 3 m über dem natürlichen Gelände des Nachbaranwesens errichtet worden seien. Die Stützmauern seien in dieser Form in den Planunterlagen nicht dargestellt. Auf Höhe des Untergeschosses sei ein Schwimmbadanbau mit einer zusätzlichen Unterkellerung hergestellt worden, welcher sich nicht in den genehmigten Plänen finde. Die Bauarbeiten seien daher unverzüglich einzustellen. Die Kläger wurden außerdem aufgefordert, bis 15. Dezember 2016 entsprechende Tekturpläne vorzulegen. Diese Frist wurde im Folgenden auf Bitten der Kläger verlängert. Am 26. Juli 2017 ging bei der Beklagten eine Absteckbescheinigung der Ingenieurgesellschaft G* … … … mbH mit einem Vermessungsprotokoll ein, woraufhin die Beklagte dem Kläger zu 2) mit E-Mail vom 3. August 2017 mitteilte, dass dies die erforderliche „Bescheinigung über die Einhaltung der festgelegten Grundfläche und Höhenlage“ nicht ersetze. Es sei eine Neuvermessung des Grundstücks durchzuführen, weil das Gebäude nicht korrekt eingestellt worden sei.
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Mit Antrag vom 6. Oktober 2017, eingegangen bei der Beklagten am 12. Oktober 2017, beantragten die Kläger unter Vorlage geänderter Planunterlagen die Genehmigung des „Neubaus eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage und Pool“. Der Tekturantrag wurde damit begründet, dass das Urgelände korrigiert worden sei, die Abstandsflächen und die Länge der Grenzbebauung an der Ostseite geändert worden seien, die Poolanlage einschließlich Technikraum sowie die Einfriedungsmauern ergänzt worden seien. In den Planunterlagen findet sich die Eintragung eines vermuteten ursprünglichen Höhenverlaufs. Mit dem Bauantrag wurde ein Antrag auf Abweichung von den westlichen und östlichen Abstandsflächen des geplanten Baukörpers nach Art. 6 BayBO gestellt.
8
Mit Schreiben vom 12. Januar 2018 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass eine Genehmigung der Tekturplanung in Aussicht gestellt werden könne, wenn das Vorhaben derart umgeplant werde, dass sich die Abstandsflächen des bestehenden Wohnhauses …weg 5 (Fl.Nr. …74) und des Bauvorhabens nicht mehr überschnitten. Das Gebäude sei im östlichen Bereich so anzupassen, dass die Abstandsflächen in diesem Bereich auf dem Baugrundstück zum Liegen kämen. Für die weiteren, auf den Nachbargrundstücken liegenden Abstandsflächen sollten die im Verfahren bereits in Aussicht gestellten Abstandsflächenübernahmen vorgelegt werden. Die Tekturplanung wurde daher abgeändert; die geänderten Unterlagen gingen bei der Beklagten am 29. Januar 2018 ein. In der Folge stimmten die Nachbarn dem Bauvorhaben jedoch nicht zu.
9
Mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 hob die Beklagte die Baugenehmigung vom 23. März 2015 auf. Zur Begründung hierfür wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nach Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden könne. Die der Baugenehmigung vom 23. März 2015 zugrundeliegenden Baupläne seien in Bezug auf das dargestellte Gelände unrichtig. Dies führe zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung.
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Mit einem weiteren Bescheid vom 9. Oktober 2018 lehnte die Beklagte die Genehmigung für die Tekturplanung vom 29. Januar 2018 ab. Die Baugenehmigung sei zu versagen gewesen, weil das Vorhaben bauordnungsrechtlichen Vorschriften widerspreche, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen seien. An der westlichen und der östlichen Grundstücksgrenze würden die Abstandsflächen nicht eingehalten. Die Abstandsflächen in Richtung Fl.Nr. …74 (* …weg 5) fielen auf einer Länge von 16,90 m mit einer Tiefe zwischen ca. 0,10 m und ca. 6,80 m auf das Nachbargrundstück. Diese resultierten aus den vorhandenen Gebäudehöhen von 9,76 m bis 6,21 m und einem Grenzabstand von ca. 3 m. In diesem Bereich sei auf dem Nachbargrundstück ein Nebengebäude (Garage) vorhanden. Garagen seien nach Art. 6 Abs. 9 BayBO innerhalb der Abstandsflächen zulässig. Die Abstandsflächen in Richtung Fl.Nr. …77 (* …straße 8) fielen auf einer Länge von 18,30 m mit einer Tiefe zwischen ca. 0,70 m und ca. 5,50 m auf das Nachbargrundstück. Diese resultierten aus den dort vorhandenen Gebäudehöhen von 9,84 m bis zu 3 m und den Grenzabständen der entsprechenden Gebäudeteile. Das Nachbargrundstück sei aufgrund der Lage im Außenbereich und einem kartierten Biotop in dem betroffenen Bereich nicht bebaubar. Die Übernahme der Abstandsflächen durch die Nachbarn wäre rechtlich möglich. Einen Anspruch hierauf habe der Bauherr jedoch nicht. Die Übernahme der Abstandsflächen habe er förmlich nachzuweisen. Dies sei nicht erfolgt. Ursprünglich sei zwar die Übernahme der Abstandsflächen durch die Nachbarn in Aussicht gestellt worden. Zuletzt hätten jedoch beide Nachbarn das Bauvorhaben insgesamt abgelehnt; der Bauwerber habe stattdessen eine Abweichung von den Abstandsflächen beantragt. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO sei im vereinfachten Genehmigungsverfahren über beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO zu entscheiden. Eine Abweichung von den Abstandsflächen des Art. 6 BayBO könne vorliegend nicht erteilt werden, da die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht vorlägen. Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden könne, müssten rechtlich erhebliche Umstände vorliegen, die das Vorhaben als einen atypischen Fall erscheinen ließen und dadurch eine Abweichung rechtfertigen könnten. Eine solche atypische Grundstückssituation sei vorliegend aber nicht erkennbar. Der Zuschnitt des Baugrundstücks sei nicht ungewöhnlich. Es verlaufe in Nord-Süd-Richtung und sei rechteckig geschnitten. Eine aus dem Rahmen fallende Bebauung auf den Nachbargrundstücken sei ebenso wenig gegeben. Auch könne das Grundstück in erheblichem Umfang und sinnvoll bebaut werden. Allein der Wunsch des Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen, als dies ohnehin schon zulässig sei, begründe keine Atypik. Mangels Einhaltung der erforderlichen Abstandsflächen sei das Bauvorhaben nicht genehmigungsfähig.
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2. Gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2018 ließen die Kläger mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. November 2018, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage erheben und beantragen,
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2018, Az.: … zu …, verurteilt, die Genehmigung für das Bauvorhaben Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage, …weg 7, … … …, auf dem Grundstück Fl.Nr. …76 der Gemarkung B** … entsprechend der Tekturplanung vom 29. Januar 2018 zu erteilen.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2018, Az.: … zu …, verurteilt, den Tekturantrag gemäß Tekturplanung von 29. Januar 2018 für das Bauvorhaben Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage* …weg 7, … … …, auf dem Grundstück Fl.Nr. …76 der Gemarkung B** … unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass den Klägern ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zustehe. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB lägen unstreitig vor. Das Vorhaben füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Entgegen der Auffassung der Beklagten verstoße das Vorhaben auch nicht gegen die Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 BayBO. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO seien von den Außenwänden von Gebäuden und vergleichbaren Anlagen grundsätzlich Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Dies gelte gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO allerdings nicht, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden müsse oder gebaut werden dürfe. Das Abstandsflächenrecht trete dabei auch zurück, wenn Gebäude anzutreffen seien, die an der Grundstücksgrenze errichtet worden seien, zugleich aber auch Gebäude vorlägen, die die Abstandsflächen einhielten (sog. regellose Bebauung). Zwar überwiege in der näheren Umgebung ohne weiteres die offene Bauweise. Zumindest vereinzelt fänden sich aber auch grenzständische Vorhaben in halboffener Bauweise.
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Jedenfalls stehe den Klägern ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null zu. Im vorliegenden Fall sei das Ermessen fehlerhaft ausgeübt worden. Die Beklagte habe die Erteilung einer Abweichung ausweislich der Begründung des Bescheids ausschließlich vor dem Hintergrund abgelehnt, dass ein atypischer Fall nicht vorliege. Mit der Novellierung der Bayerischen Bauordnung, die zum 1. September 2018 in Kraft getreten sei, habe der Gesetzgeber durch Einfügung des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO aber ausdrücklich klargestellt, dass das Vorliegen eines atypischen Falles nicht Voraussetzung für die Erteilung einer Abweichung sei. Ungeachtet dessen liege die Voraussetzung der Atypik hier aufgrund des ungewöhnlichen und problematischen Grundstückszuschnitts auch vor. Das Grundstück weise ein extrem starkes Gefälle auf. Es sei schmal und lang geschnitten. Eine zeitgemäße Wohnbebauung unter Einhaltung von Abstandsflächen sei auf diesem Grundstück faktisch ausgeschlossen. Damit beruhe die Ermessensentscheidung der Beklagten augenscheinlich auf einer unzutreffenden Grundlage und sei daher fehlerhaft.
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Tatsächlich lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung vor. Zu prüfen sei, ob städtebauliche und bausicherheitsrechtliche Belange sowie insbesondere die von Art. 6 BayBO geschützten nachbarlichen Belange durch die Abweichung beeinträchtigt würden. Derartige Belange kämen vorliegend nicht in Betracht. Zum Wohngrundstück und Wohnhaus des Beigeladenen zu 2) würden die Abstandsflächen eingehalten. Auch nach Nordosten hin zum Grundstück der Beigeladenen zu 1) drohe keine maßgebliche Beeinträchtigung der von Art. 6 BayBO geschützten nachbarlichen Belange. Zwar lägen die Abstandsflächen zum Wohnhaus der Beigeladenen zu 1) hin in geringfügigem Ausmaß auf dem Nachbargrundstück; die Abstandsflächen überschnitten sich jedoch nicht, sodass eine Beeinträchtigung der von den Abstandsflächenvorschriften geschützten Belange von vornherein nicht zu befürchten sei. Ungeachtet dessen liege das klägerische Wohnhaus exakt westlich des Wohnhauses der Beigeladenen zu 1), sodass eine Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung nicht bzw. allenfalls am späten Nachmittag oder Abend überhaupt in Betracht komme. Lediglich im weiter nördlichen, weiter oben gelegenen Grundstücksbereich lägen die Abstandsflächen in deutlich massiverem Umfang (bis zu 6,89 m) auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1). In diesem Bereich befinde sich auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) allerdings lediglich eine privilegierte Grenzgarage. Zu berücksichtigen sei im Rahmen der Ermessensausübung darüber hinaus die von der Beigeladenen zu 1) bereits erklärte Abstandsflächenübernahme im Rahmen des ursprünglichen Bauantrags, der faktisch dasselbe Vorhaben und „nur“ ein unzutreffend hohes Geländeniveau enthalten habe. Zu berücksichtigen sei hier insbesondere die Tatsache, dass augenscheinlich die Feststellung des natürlichen, ursprünglichen Geländes mit Schwierigkeiten verbunden sei. Hierbei ergebe sich ungeachtet der konkreten Höhe des natürlichen Geländes für die Nachbarn effektiv überhaupt keine Veränderung, da die Höhe des Gebäudes gleichbleibe. Lediglich die Geländehöhen seien geändert worden. Auch insoweit könne eine gesteigerte Schutzwürdigkeit der Eigentümer der Nachbargrundstücke im Vergleich zur ursprünglich genehmigten Planung nicht festgestellt werden. In diesem Zusammenhang sei weiter zu berücksichtigen, dass das Niveau des natürlichen Geländes tatsächlich nicht mehr zu rekonstruieren sei. Weiter sei im Rahmen der Ermessensausübung zu beachten, dass die Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 12. Januar 2018 die Genehmigung ausdrücklich in Aussicht gestellt habe, sofern durch Umplanung des Vorhabens sichergestellt sei, dass sich die Abstandsflächen des bestehenden Wohnhauses …weg 5 und des Bauvorhabens nicht mehr überschnitten. In Reaktion hierauf seien die entsprechenden Umplanungen vorgenommen worden. Die von der Beklagten aufgestellte Bedingung sei erfüllt worden. Die Beklagte habe bei dem Kläger ein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend erweckt, dass die Genehmigung bei Erfüllung der Bedingung erteilt werde. Schließlich seien im Rahmen der Ermessensausübung auch die Belange der Kläger zu berücksichtigen. Sie hätten tatsächlich selbst keinen Fehler gemacht, sondern auf die Richtigkeit der Darstellungen im ersten Bauantrag durch den Planersteller vertraut. Das Bauvorhaben sei letztlich genauso errichtet worden, wie es genehmigt worden sei, und zwar auch im Hinblick auf die Höheneinstellung. Lediglich die Darstellung des natürlichen Geländes sei unzutreffend gewesen. Die Kläger hätten enorme Aufwendungen sowohl finanzieller als auch tatsächlicher Natur, um eine Genehmigung für das Vorhaben herbeizuführen. Eine grundlegende Änderung des Gebäudes, die insbesondere in die Gebäudestatik eingreife, wäre wirtschaftlich verheerend und führe letztlich dazu, dass ein Abbruch und Neubau sinnvoller wäre. Dies könnten sich die Kläger aber nicht leisten. Jede andere Entscheidung als die Erteilung der beantragten Abweichung sei daher ermessensfehlerhaft.
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Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 21. Januar 2019 und vom 14. Oktober 2019 verwiesen.
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3. Die Beklagte ließ beantragen,
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Die Klage sei unbegründet, da der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2018 nicht zu beanstanden sei. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung, da die nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen nicht eingehalten würden und dieses Erfordernis auch nicht mittels der Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BayBO überwunden werden könne. Es könne daher offenbleiben, ob das Vorhaben im Übrigen bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zulässig sei.
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Zunächst sei angemerkt, dass im Rahmen der Baukontrolle am 3. November 2016 durchaus festgestellt worden sei, dass die Bauausführung erheblich von den Darstellungen in den ursprünglich genehmigten Planunterlagen abgewichen sei. So sei festgestellt worden, dass entlang der Grundstücksgrenze zum Nachbaranwesen Fl.Nr. …77 (* …straße 8) Stützmauern mit Höhen von bis zu 3 m über dem natürlichen Geländeverlauf errichtet worden seien. Weiter sei ein Schwimmbadanbau mit einer zusätzlichen Unterkellerung errichtet worden. Was die Problematik des Geländeverlaufs anbelange, sei auf die eigens von den Klägern eingereichte Schnittdarstellung hingewiesen, in der die verschiedenen Geländeverläufe dargestellt seien. Aus dieser Darstellung gehe deutlich hervor, wie stark das Vorhaben aus dem Gelände heraustrete.
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Entgegen der Auffassung der Kläger liege kein Fall des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO vor. Es gebe in der näheren Umgebung grundsätzlich keine entsprechende Grenzbebauung bzw. handele sich ausschließlich um an der Grenze zulässige Garagen und Nebengebäude gemäß Art. 6 Abs. 9 BayBO. Die von den Klägern behauptete regellose Bauweise gebe es nicht.
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Die Beklagte habe auch zu Recht keine Abweichung nach Art. 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BayBO zugelassen. Nach der Gesetzessystematik komme es nach wie vor auf das Kriterium der Atypik an. Der neu eingefügte Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO regele lediglich, dass Art. 63 BayBO unberührt bleibe. Eine Abweichung nach Art. 63 BayBO setze anerkanntermaßen stets einen von der Regel abweichenden Sonderfall voraus, denn im Normalfall werde das von der Norm verfolgte Ziel nur durch Beachtung der jeweiligen Anforderungen erreicht, sodass eine Preisgabe des einschlägigen Ziels im Regelfall nicht zulässig sei. Unabhängig davon lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO für die Erteilung einer Abweichung nicht vor. Eine Reduzierung der Abstandsflächen verschlechtere regelmäßig die Belichtung und die Belüftung sowie die Voraussetzungen des sozialverträglichen Wohnens, das einen ausreichenden Abstand zu den Nachbarn voraussetze. Hiervon sei angesichts des erheblichen Ausmaßes der Abstandsflächenüberschreitung (0,10 m bis 6,80 m Tiefe auf einer Länge von 16,90 m) gerade nach Osten zum Wohngrundstück der Beigeladenen zu 1) auszugehen. Es seien keinerlei Gründe ersichtlich, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheide und die bewirkten Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen ließen. Weder lägen überwiegende öffentliche Belange vor, noch überwögen vorliegend die Interessen der Bauherren. Das Baugrundstück sei rechteckig geschnitten und biete ausreichend Platz für eine sinnvolle Bebauung, die die Abstandsflächen nicht überschreite. Ein Anspruch auf maximale Grundstücksausnutzung folge weder aus Art. 14 GG noch dem einfachen Recht. Nicht von Relevanz im Rahmen der Abwägung seien die hier vorgebrachten subjektiven Verhältnisse des Bauherrn, insbesondere dessen wirtschaftliche Verhältnisse oder Mängel im Entwurf des Planfertigers oder bei der Bauausführung. Entgegen der Auffassung der Kläger sei zu deren Gunsten auch nicht zu berücksichtigen, dass die östliche Nachbarin, die Beigeladene zu 1), zum ursprünglichen Bauvorhaben die Übernahme der Abstandsflächen in einer Größenordnung von lediglich 2 m im Bereich der Garage erklärt habe. Denn die Übernahmeerklärung gelte nur für das konkrete Bauvorhaben und die dafür erteilte Baugenehmigung, nicht aber, wenn das Vorhaben - wie hier - in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht erheblich geändert werde. Unabhängig davon, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, sei auch für eine Ermessensreduzierung auf Null nichts ersichtlich.
21
4. Die Beigeladenen äußerten sich nicht und stellten keinen Antrag.
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5. Die vom Gericht angeregte Durchführung eines Mediationsverfahrens kam nicht zustande, weshalb das zunächst vom Gericht durch Beschluss vom 1. März 2019 ruhendgestellte Verfahren durch Beschluss vom 14. Mai 2019 wiederaufgenommen wurde.
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Die von den Klägern gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2018 gerichtete Klage, welche sich gegen die Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids vom 23. März 2015 richtet, wird unter dem Aktenzeichen W 5 K 18.1440 geführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Verpflichtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg, da den Klägern kein Anspruch gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO auf die Erteilung der von ihr beantragten Baugenehmigung zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Neuverbescheidung nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Die Ablehnung des Bauantrags durch die Beklagte war rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
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Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Da das genehmigungspflichtige Bauvorhaben jedoch nicht genehmigungsfähig ist, besteht ein solcher Anspruch im vorliegenden Fall nicht.
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Da es sich beim Bauvorhaben um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt, prüft die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 59 BayBO im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 ff. BauGB, den Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO), beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) sowie andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird (Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO).
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1. Die Erteilung einer Baugenehmigung setzt voraus, dass die Bauunterlagen nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinreichend bestimmt sind, d.h. das Bauvorhaben anhand von Bauantrag und Bauvorlagen geprüft werden kann. Schon diesbezüglich bestehen im vorliegenden Fall Bedenken.
29
Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmt, dass mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen sind. Art, Umfang und Inhalt der vorzulegenden Bauvorlagen ergeben sich dabei aus der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV), vgl. Art. 80 Abs. 4 BayBO. Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen dabei vollständig, richtig und eindeutig sein (Simon/Busse, BayBO, Stand: 137. EL Juli 2020, Art. 64 Rn. 75). Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Simon/Busse, a.a.O. Rn. 80; VG München, B.v. 28.11.2017 - M 8 SN 17.4766 - juris Rn. 57). Auf eine Klage des Bauherrn hin kann die Behörde zur Erteilung der Baugenehmigung dann nicht verpflichtet werden (Simon/Busse, a.a.O. Rn. 81).
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Dies zugrunde gelegt, spricht hier vieles dafür, dass die von den Klägern vorgelegten Bauvorlagen (Stand: 24.1.2018; Bl. 230 d.A.) unklar und nicht eindeutig sind. In den Ansichten des Vorhabens (vgl. Nord-Ost- und Süd-West-Ansicht) sind verschiedene Höhenlinien eingezeichnet. Die natürliche Geländeoberfläche, die unter anderem für die Berechnung der Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO entscheidend ist, ist als „vermutetes Urgelände an der Grenze“ ausgewiesen. Damit kommt nicht klar zum Ausdruck, ob der Planersteller die Geländeoberfläche abschließend aufgrund einer verlässlichen Vermessung des Grundstücks ermittelt hat, d.h. auf welcher Grundlage die Eintragung des Geländes beruht. Angesichts der Umstände und der Schwierigkeiten, die sich bereits in Umsetzung der Ausgangsgenehmigung vom 23. März 2015 ergeben haben, wäre zu erwarten gewesen, dass dieser Aspekt eine Klärung im Vorfeld und in der Folge in den vorgelegten Planunterlagen erfährt. Dass es (technische) Verfahren gibt, die eine (nachträgliche) Bestimmung der natürlichen Geländeoberfläche auch nach einer Veränderung der Geländeverhältnisse ermöglichen, ist in der Rechtsprechung hinreichend geklärt (vgl. etwa die Ermittlung mittels geradliniger Interpolation; hierzu VG München, B.v. 3.7.2020 - M 1 SN 19.5089 - juris Rn. 37 ff.).
31
Auch wenn aufgrund der Erkenntnisse der mündlichen Verhandlung nicht auszuschließen ist, dass die Eintragung des „vermuteten Urgeländes“ in den Planunterlagen der natürlichen Geländeoberfläche weitgehend entspricht bzw. zulasten der Bauherren und zugunsten der Nachbarn eine „worst case“-Betrachtung stattgefunden hat, bleibt die Planzeichnung dennoch unklar.
32
Ob die Beklagte auf Grund dessen die Baugenehmigung nicht erteilen durfte, kann jedoch dahinstehen, da auch aus anderen Gründen ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung ausscheidet.
33
2. Die Errichtung des streitgegenständlichen Bauvorhabens (Tekturplanung in der Fassung der Planvorlagen vom 24.1.2018) ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da es sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a) BayBO i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das Bauvorhaben soll in einem Bereich verwirklicht werden, für den weder ein qualifizierter noch ein einfacher Bebauungsplan Festsetzungen zu Art und Maß der baulichen Nutzung trifft, so dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB beurteilt.
34
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einer Gebietskategorie der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB.
35
Als „nähere Umgebung“ ist dabei der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder beeinflusst (BVerwG, U.v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 - juris Rn. 33; BVerwG, B.v. 20.8.1998 - 4 B 79/98 - juris Rn. 7; BVerwG, B.v. 11.2.2000 - 4 B 1/00 - juris Rn. 40). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BVerwG, B.v. 28.8.2003 - 4 B 74/03 - juris Rn. 2). Dies zugrunde gelegt, geht die Kammer aufgrund des vorgelegten Bild- und Planmaterials entsprechend der Beurteilung durch die Beklagte davon aus, dass der entscheidende Bereich sich durch die an die …straße und den …weg angrenzenden Gebäude bis hin zur B* …straße im Osten und zur Einmündung der G* …straße in die …straße im Westen bestimmt (vgl. Bl. 172 d.A.).
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Da dieser Bereich durch Wohnbebauung geprägt ist, fügt sich das Bauvorhaben aufgrund der Wohnnutzung nach seiner Art in die Eigenart der näheren Umgebung ein (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Dass von dem Vorhaben unzumutbare Belästigungen oder Störungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ausgingen, tritt zumindest nicht offenkundig zu Tage.
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Dies kann im Einzelnen auch dahinstehen, da sich das Vorhaben jedenfalls nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht einfügt, soweit die Geschosszahl bzw. der Eindruck von der Geschossigkeit betroffen ist. Vorrangig ist bei der Prüfung des „Einfügens“ im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB auf diejenigen Maßkriterien abzustellen, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt. Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung ist die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung maßgebend (vgl. BVerwG, B.v. 21.6.2007 - 4 B 8/07 - BauR 2007, 1691). Das sind vor allem die (absolute) Grundfläche, die Anzahl der Vollgeschosse und die Höhe des Gebäudes (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 - 4 C 17/92 - juris). Die Geschossflächenzahl hat für das Tatbestandsmerkmal des Einfügens des klägerischen Vorhabens wegen der insoweit ausschließlich maßgebenden konkreten Verhältnisse dagegen keine entscheidende Aussagekraft und muss daher vernachlässigt werden (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 - a.a.O.).
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Im vorliegenden Fall fehlt es an einem Einfügen hinsichtlich der Geschosszahl. Das Bauvorhaben tritt nunmehr im Unterschied zur Ausgangsplanung aus dem Jahr 2015 aufgrund der Ergänzung durch den Pool und dessen Betriebsräume (Pooltechnik) viergeschossig in Erscheinung (vgl. Bl. 230 d.A.; insbesondere die Süd-Ost-Ansicht). Insofern unterscheidet sich das Bauvorhaben von der vorhandenen Bebauung, die zwei- bzw. allenfalls dreigeschossig in Erscheinung tritt (vgl. Stellungnahme der Fachstelle Städtebau vom 9. November 2017, Bl. 177 d.A. sowie das Bildmaterial von der Umgebungsbebauung Bl. 173 ff. d.A.). Damit wird der vorhandene Rahmen wesentlich überschritten. Hierdurch können auch städtebauliche Spannungen auftreten, da das Vorhaben den vorhandenen Rahmen in unangemessener Weise überschreitet. Da das klägerische Vorhaben in Relation zu der Vorgängerbebauung zu sehen ist, ist durch die bauliche Massierung sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe eine erhebliche Nachverdichtung der Bebauung in diesem Bereich zu verzeichnen (vgl. BVerwG, B.v. 21.6.2007 - 4 B 8/07 - BauR 2007, 1691 = juris Rn. 6).
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Aus diesem Grund stellt sich das Vorhaben als bauplanungsrechtlich unzulässig dar.
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3. Das streitgegenständliche Vorhaben ist des Weiteren nicht genehmigungsfähig, da ein Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO vorliegt (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 b) BayBO) und kein Anspruch auf die beantragte Abweichung gemäß Art. 63 BayBO besteht (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO).
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3.1. Das Vorhaben der Kläger hat nach Art. 6 Abs. 1 und 5 Satz 1 BayBO zu den Nachbargrundstücken eine Abstandsfläche von 1 H einzuhalten.
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Dies ist im konkreten Fall auch nicht entbehrlich nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO. Hiernach ist die Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an den Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Der Vorrang des Städtebaurechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen; auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) kommt grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 - 4 B 53/94 - NVwZ 1994, 1008; BayVGH, U.v. 25.11.2013 - 9 B 09.952 - juris; U.v. 23.3.2010 - 1 BV 07.2363 - juris; VG Ansbach, U.v. 12.9.2012 - AN 9 K 11.01743 - juris). Eine geschlossene Bauweise, bei der die seitlichen Grundstücksgrenzen bebaut werden, kann sich also in den Fällen, in denen nach § 34 BauGB der planungsrechtliche Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens die vorhandene Bebauung ist, auch aus dieser ergeben, mit der Folge, dass sie dann die verbindliche Bauweise ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 30.5.2014 - W 4 S 14.472 - juris; VG Ansbach, B.v. 4.8.2014 - AN 9 S 14.00575 - juris). Denn aus § 34 Abs. 1 BauGB folgt, dass sich ein Vorhaben auch im Hinblick auf die Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung einzufügen hat.
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Unabhängig davon, dass es sich vorliegend nicht um ein grenzständiges Vorhaben handelt, kann die Kammer in der maßgeblichen Umgebungsbebauung (vgl. hierzu die Ausführungen zu 2.) keinen Zustand „regelloser Bebauung“ feststellen, bei dem aufgrund einer Mischung von Gebäuden mit und ohne Grenzabstand keine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise einzustufen wäre (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.2013 - 9 B 09.952 - juris; U.v. 23.3.2010 - 1 BV 07.2363 - juris) und in welche sich das Vorhaben insofern einfügen könnte. Vielmehr sind Abstandsflächen vorhanden; lediglich Nebengebäude befinden sich vereinzelt direkt an den jeweiligen Grundstücksgrenzen. Dass damit quasi „planungsrechtlich“ der Maßstab im Hinblick auf die seitlichen Grundstücksgrenzen und das Abstandsflächenrecht modifiziert wäre, lässt sich daher nicht konstatieren.
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3.2. Die nach Art. 6 Abs. 1 und 5 Satz 1 BayBO erforderlichen Anforderungen im Hinblick auf die Abstandsflächen sind nicht erfüllt. Das streitgegenständliche Vorhaben hält die Abstandsflächen auf dem eigenen Grundstück nicht ein, da die Abstandsflächen sowohl westlich hin zum Grundstück Fl.Nr. …77 als auch östlich hin zum Grundstück Fl.Nr. …74 in großem Umfang (westlich bis zu ca. 5,50 m und östlich bis zu ca. 6,80 m) auf die nachbarlichen Grundstücke fallen. An der Berechnung der Abstandsflächen, ausgewiesen im Abstandsflächenplan (Bl. 231 d.A.), bestehen insoweit keine Bedenken.
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3.3. Die Kläger haben am Maßstab von Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO keinen Anspruch auf Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächenbestimmungen. Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde eine Abweichung von Anforderungen der BayBO - mithin auch von Anforderungen des Art. 6 BayBO - zulassen, wenn diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO vereinbar ist.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
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Bisher ist für die Zulassung einer Abweichung von Abstandsflächenvorschriften eine atypische Fallgestaltung bzw. atypische Situation gefordert worden. Die Zulassung einer Abweichung erfordert danach Gründe, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. etwa BayVGH, U.v. 9.11.2017 - 2 B 17.1742 - juris Rn. 21 m.w.N.).
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Zum 1. September 2018 wurde jedoch Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO in die Bayerische Bauordnung eingefügt, wonach Art. 63 BayBO unberührt bleibe (§ 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10.7.2018, GVBl. S. 523). Nach der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/21574, S. 13) soll damit ausdrücklich klargestellt werden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Abweichung von Vorgaben des Abstandsflächenrechts ausschließlich in Art. 63 BayBO geregelt sind. Das Gesetz fordere demnach nicht die von der Rechtsprechung verlangte Atypik. Angesichts der Tatsache, dass dieses Motiv des Gesetzgebers aber weder in den Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO noch in den Wortlaut des Art. 63 BayBO Eingang gefunden hat, ist die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO und zu dem Fortbestehen des Erfordernisses der Atypik noch uneinheitlich (zum Streitstand vgl. VG Augsburg, B.v. 19.11.2019 - Au 4 S 19.1926 - juris Rn. 29; BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand: 15. Ed. 1.6.2020, Art. 63 Rn. 42.1).
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Ungeachtet der Klärung dieser streitigen Frage fehlt es hier schon an einer atypischen Grundstückssituation (vgl. BayVGH, U.v. 9.11.2017 - 2 B 17.1742 - juris, B.v. 5.11.2015 - 15 B 15.1372 - juris). Eine solche atypische Fallgestaltung ergibt sich weder aus einem besonderen Grundstückszuschnitt noch aus einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- bzw. auf dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation wie etwa der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris). Keine dieser diskutierten Fallgestaltungen liegt hier vor. Das Baugrundstück weist einen im wesentlichen rechteckigen Zuschnitt auf; eine an die Grundstückssituation angepasste Bebauung ist ohne die weitreichende Verletzung der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO möglich, so dass die Bebaubarkeit des Grundstücks jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Allein der Wunsch der Bauherren, ihr Grundstück stärker auszunutzen, als dies nach den gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften zulässig ist, begründet noch keine Atypik.
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Vorliegend kann es für die Beurteilung der Abweichung zudem dahinstehen, ob mit der Einführung des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO das ungeschriebene Merkmal der „Atypik“ entfallen ist. Selbst wenn auf das Erfordernis einer Atypik verzichtet würde, lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 63 Abs. 1 BayBO nicht vor. Bei der Frage, ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, ist stets zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 22). Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist dabei auch der Zweck der jeweiligen Anforderung, in diesem Fall des Abstandsflächenrechts‚ zu berücksichtigen. Der Zweck des Abstandsflächenrechts besteht darin‚ eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie die Sicherung des sozialen Wohnfriedens zu gewährleisten (vgl. BayVGH, U.v. 30.5.2003 - 2 BV 02.689 - juris Rn. 43; BayVGH, U.v. 14.10.1985 - 14 B 85 A.1224 - BayVBl. 1986, 143).
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Dies zugrunde gelegt, stehen der Erteilung der Abweichung vorliegend gewichtige nachbarliche Belange entgegen. Bei der Gewichtung der nachbarlichen Belange ist zu bedenken, dass diesen Interessen schon deshalb ein gewisser Vorrang zukommt, weil sie auf einem Interessenausgleich beruhen, den der Gesetzgeber im Regelfall für sachgerecht angesehen hat. Für die Erteilung einer Abweichung genügt auch nicht, dass die Belange des Nachbarn nur geringfügig beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (Simon/ Busse, BayBO, Stand: 137. EL Juli 2020, Art. 63 Rn. 33, 46).
52
Auf der einen Seite führt jede Verkürzung der Abstandsflächen zu einer Verschlechterung der Nachbarsituation. Im konkreten Fall wirkt sich diese Verkürzung sowohl auf der West- als auch der Ostseite erheblich auf die Nachbargrundstücke aus, da die Überschreitung der Abstandsflächen - wie bereits dargestellt - massiv ist. Dabei bleibt unbeachtlich, dass die unmittelbar an das Baugrundstück angrenzende Fläche des Grundstücks Fl.Nr. …77 derzeit als Biotop kartiert ist. Eine rechtlich oder tatsächlich gesicherte Unbebaubarkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO folgt daraus nicht, da jedenfalls Ausnahmeregelungen zur Bebauung denkbar sind. Auch unter dem Gesichtspunkt des Wohnfriedens und Sozialabstands insbesondere zum Grundstück Fl.Nr. …74 bestehen aufgrund der Einsehbarkeit auf das Nachbargrundstück erhebliche Bedenken. Insofern kann das klägerische Vorbringen, dass nachbarliche Belange nicht betroffen sind, nicht nachvollzogen werden. Auch die im Vorfeld der Baugenehmigung vom 23. März 2015 erteilte Abstandsflächenübernahme der Beigeladenen zu 1) muss angesichts der in der Tekturplanung geänderten Planungssituation außer Betracht bleiben.
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Im Übrigen sind überwiegende nachbarliche oder öffentliche Interessen, welche für die Abweichung sprechen könnten, nicht erkennbar. Etwaige finanzielle Auswirkungen der Versagung der Tekturgenehmigung zulasten der Kläger finden in den Abwägungsvorgang jedenfalls keinen Eingang. Darüber hinaus sind Fallgestaltungen, in denen das Normziel auf andere Weise erreicht werden kann, im Bereich des Abstandsflächenrechts kaum vorstellbar, da der Zweck der Vorschriften in der Regel nicht bspw. durch eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Bauausführung gewahrt werden kann (BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand: 15. Ed. 1.6.2020, Art. 63 Rn. 40).
54
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die nachbarlichen Belange die öffentlichen Belange überwiegen und daher eine Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften nicht in Betracht kommt.
55
4. Insgesamt steht den Klägern kein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung und, da die Rechtssache spruchreif ist, auch kein Anspruch auf Neuverbescheidung nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu, sodass sie durch den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2018 nicht in ihren Rechten verletzt sind. Die Klage ist daher abzuweisen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren Unterlegene haben die Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da die Beigeladenen keinen eigenen Antrag gestellt und sich mithin auch nicht dem Prozessrisiko ausgesetzt haben, tragen sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.