Titel:
Rücknahme einer rechtswidrigen Baugenehmigung
Normenketten:
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1
BayBO Art. 64 Abs. 4 S. 1
Leitsatz:
Eine Baugenehmigung ist rechtswidrig, wenn die ihr zugrundeliegenden Planzeichnungen unrichtig sind und dies auf der fehlerhaften Darstellung der natürlichen Geländeoberfläche durch den Planersteller beruht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rücknahme einer rechtswidrigen Baugenehmigung, unrichtige Angaben in den Bauvorlagen, fehlerhafte Bestimmung der natürlichen Geländeoberfläche, Ausschluss des Vertrauensschutzes, Aufhebung, Bauantrag, Baugenehmigung, Bauvorhaben, Bescheid, Genehmigung, Grenzbebauung, Neubau, Zustimmung, Rücknahme, Bauvorlage, Erteilung, Geländeoberfläche, Einfamilienhaus
Fundstelle:
BeckRS 2020, 29686
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Aufhebung eines Bescheids der Stadt Bad Kissingen, mit welchem diese eine den Klägern erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage zurückgenommen hat.
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1. Die Kläger sind Eigentümer des Baugrundstücks Fl.Nr. …76 der Gemarkung Bad Kissingen (* …, … … …*). Ein Bebauungsplan existiert nicht. Die Umgebung zeichnet sich durch Wohnbebauung aus. Das Grundstück, bei dem es sich um einen ehemaligen Weinberg handelt, fällt vom …weg aus nach Südosten stark ab. Das östlich angrenzende Grundstück Fl.Nr. …74 ist mit einem Wohnhaus bebaut. Westlich und südlich des Baugrundstücks grenzen die Grundstücke Fl.Nrn. …77 und …78 an, auf denen sich südwestlich des klägerischen Grundstücks ein Wohnhaus befindet. Das Baugrundstück war in seinem vorderen, zum …weg hin gelegenen Teil seit ca. 1952 bis 2015 mit einem zweigeschossigen Wohnhaus bebaut.
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Mit Bauantrag vom 27. Januar 2015 beantragten die Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für den „Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage“. In den Bauantragsplänen war auch das natürliche Gelände dargestellt, wie dies vom Entwurfsverfasser und Architekten ermittelt worden war. Die Eigentümerin des Nachbargrundstücks Fl.Nr. …74 erteilte aufgrund einer Überschreitung der Abstandsfläche nach Nordosten die Zustimmung zur Abstandsflächenübernahme mit einer Tiefe von 2 m.
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Mit Bescheid vom 23. März 2015 wurde die Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage erteilt. Dabei wurde eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften im nordöstlichen Bereich vor dem Hauptgebäude hin zum Grundstück Fl.Nr. …74 erteilt.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 19. August 2015 wurden die Kläger aufgefordert, die Bescheinigung über die Einhaltung der festgelegten Grundfläche und Höhenlage nach Art. 68 Abs. 6 Satz 2 BayBO i.V.m. § 21 Satz 1 PrüfVBau vorzulegen (Ziffer 2 der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung vom 23. März 2015). Mit Schreiben vom 4. Mai 2016 teilte das Planungsbüro der Beklagten mit, dass mit der Ausstellung der Bescheinigung das Vermessungsbüro G* … … … mbH, …, beauftragt worden sei. Weiter sei bei der Grobabsteckung des Gebäudes als Vorbereitung zum Aushub und zur Schnurgerüsterstellung festgestellt worden, dass der Bezugspunkt der Höhenkote gegenüber der ursprünglichen Festlegung der Höhe über NN nicht richtig sei. Die Höhe des Bezugspunkts über NN sei 69 cm höher. Dementsprechend laute die Höhenkote nicht 271 m über NN, sondern 271,69 m über NN. Alle weiteren Höhenpunkte der Planung änderten sich entsprechend um ca. 69 cm. Das Verhältnis bleibe also jeweils gleich. Es ändere sich nicht die tatsächliche Höhenlage des Gebäudes zum Gelände. Alle Höhenunterschiede (Straße - Oberkante Fertigfußboden) und Abstandsflächen blieben unverändert.
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Mit Schreiben vom 3. November 2016 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass bei einer Baukontrolle am gleichen Tag festgestellt worden sei, dass die Bauausführung teilweise erheblich von den Darstellungen in den genehmigten Planunterlagen abweiche. Es sei festgestellt worden, dass entlang der Grundstücksgrenze zum Nachbaranwesen Fl.Nr. …77 Stützmauern mit Höhen von bis zu ca. 3 m über dem natürlichen Gelände des Nachbaranwesens errichtet worden seien. Die Stützmauern seien in dieser Form in den Planunterlagen nicht dargestellt. Auf Höhe des Untergeschosses sei ein Schwimmbadanbau mit einer zusätzlichen Unterkellerung hergestellt worden, welcher sich nicht in den genehmigten Plänen finde. Die Bauarbeiten seien daher unverzüglich einzustellen. Die Kläger wurden außerdem aufgefordert, bis 15. Dezember 2016 entsprechende Tekturpläne vorzulegen. Diese Frist wurde auf Bitten der Kläger verlängert. Am 26. Juli 2017 ging bei der Beklagten eine Absteckbescheinigung der Ingenieurgesellschaft G* … … … mbH mit einem Vermessungsprotokoll ein, woraufhin die Beklagte dem Kläger zu 2) mit E-Mail vom 3. August 2017 mitteilte, dass dies die erforderliche „Bescheinigung über die Einhaltung der festgelegten Grundfläche und Höhenlage“ nicht ersetze. Es sei eine Neuvermessung des Grundstücks durchzuführen, weil das Gebäude nicht korrekt eingestellt worden sei.
7
Mit Antrag vom 6. Oktober 2017, eingegangen bei der Beklagten am 12. Oktober 2017, beantragten die Kläger unter Vorlage geänderter Planunterlagen die Genehmigung des „Neubaus eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage und Pool“. Der Tekturantrag wurde damit begründet, dass das Urgelände korrigiert worden sei, die Abstandsflächen und die Länge der Grenzbebauung an der Ostseite geändert worden seien, die Poolanlage einschließlich Technikraum sowie die Einfriedungsmauern ergänzt worden seien. Mit dem Bauantrag wurde ein Antrag auf Abweichung von den westlichen und östlichen Abstandsflächen des geplanten Baukörpers nach Art. 6 BayBO gestellt.
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Mit Schreiben vom 12. Januar 2018 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass eine Genehmigung der Tekturplanung in Aussicht gestellt werden könne, wenn das Vorhaben derart umgeplant werde, dass sich die Abstandsflächen des bestehenden Wohnhauses … * (Fl.Nr. …74) und des Bauvorhabens nicht mehr überschnitten. Das Gebäude sei im östlichen Bereich so anzupassen, dass die Abstandsflächen in diesem Bereich auf dem Baugrundstück zum Liegen kämen. Für die weiteren, auf den Nachbargrundstücken liegenden Abstandsflächen sollten die im Verfahren bereits in Aussicht gestellten Abstandsflächenübernahmen vorgelegt werden. In der Folge stimmten die Nachbarn dem Bauvorhaben jedoch nicht zu.
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Mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 lehnte die Beklagte die Genehmigung für die Tekturplanung vom 29. Januar 2018 ab. Mit einem weiteren Bescheid vom 9. Oktober 2018 hob die Beklagte den Bescheid vom 23. März 2015 auf. Zur Begründung hierfür wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nach Art. 48 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 BayVwVfG ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden könne. Die der Baugenehmigung vom 23. März 2015 zugrundeliegenden Baupläne seien in Bezug auf das dargestellte Gelände unrichtig. Das natürliche Gelände sei höher dargestellt worden, als es in Wirklichkeit sei. Infolgedessen seien auch die dargestellte Höhe des Gebäudes, seine Geschossigkeit sowie die eingezeichneten Abstandsflächen unrichtig. Dies führe zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Denn Baugenehmigungen müssten inhaltlich hinreichend bestimmt, also vollständig, klar und unzweideutig sein. Ungenauigkeiten und Unrichtigkeiten in den genehmigten Bauvorlagen gingen zulasten des Bauherrn. Die Entscheidung über die Rücknahme der Baugenehmigung stehe im Ermessen der Stadt. Im Rahmen ihres Ermessens habe die Stadt die für die Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts und die für die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts und den Bestandsschutz sprechenden Gründe abgewogen. Gegenüber stünden sich vorliegend das etwaige schutzwürdige Vertrauen des Bauherrn analog Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG und das öffentliche Interesse an der Herstellung des an sich nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften gebotenen Rechtszustandes. Ein etwaiges Vertrauen des Bauherrn in den Bestand der Baugenehmigung genieße vorliegend keinen Schutz. Zum einen habe er die Baugenehmigung durch Tatsachen erwirkt, die in wesentlicher Hinsicht unrichtig gewesen seien (Art. 48 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG). Zum anderen habe der Bauherr selbst sein Bauvorhaben abweichend von den genehmigten Plänen errichtet, sodass die bestandskräftige Baugenehmigung ohnehin keine Genehmigungsgrundlage für sein Bauvorhaben mehr sein könne. Vorwiegend überwiege daher das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtskonformer Zustände. Eine teilweise Aufhebung oder Einfügung von Auflagen scheide vorliegend aus. Die Rücknahme der Baugenehmigung sei zeitlich noch möglich. Nach Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG sei in dem Fall, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhalte, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigten, die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Vorliegend habe die Stadt mit Einreichung der Tekturpläne am 12. Oktober 2017 von der Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung erfahren. Die Rücknahme erfolge daher noch innerhalb der Jahresfrist.
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2. Gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2018 ließen die Kläger mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. November 2018, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Klage erheben und beantragen,
der Bescheid der Beklagten vom 09.10.2018, Az.: …, wird aufgehoben.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die Rücknahme der Baugenehmigung vom 23. März 2015 nach Art. 48 BayVwVfG bereits deshalb unzulässig sei, weil die Baugenehmigung nicht rechtswidrig sei. Soweit die Beklagte darauf verweise, dass die der Baugenehmigung vom 23. März 2015 zugrundeliegenden Baupläne in Bezug auf das dargestellte Gelände unrichtig seien und dass das natürliche Gelände höher dargestellt worden sei, als es in Wirklichkeit sei, so sei genau dies nicht erwiesen. Tatsächlich hätten die Kläger absolut keine Ahnung, wo das ursprüngliche Gelände verlaufen sei und ob die Darstellung des natürlichen Geländes in den Bauantragsplänen zutreffend gewesen sei oder nicht. Der mit der ursprünglichen Planung beauftragte Architekt habe zahlreiche Male ausdrücklich versichert, dass die von ihm ermittelten und im Bauantrag angegebenen Höhen zutreffend seien. Das natürliche Gelände sei nach Art. 6 Abs. 4 BayBO Grundlage der Ermittlung der Wandhöhe und damit zugleich der Tiefe der Abstandsfläche. Es spiele hier keine Rolle, dass die derzeitige Situation und insbesondere auch der derzeitige Geländeverlauf im Baubetrieb wohl im Wesentlichen der Darstellung des Tekturantrags entspreche. Die natürliche Geländeoberfläche gemäß Art. 6 Abs. 4 BayBO sei die gewachsene und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche. Relevant sei also, wie konkret das Gelände vor Durchführung der Bauarbeiten verlaufen sei und seit wann das Gelände bereits diesen Verlauf aufgewiesen habe. Zwar könne vermutet werden, dass die vom ursprünglich mit der Planung beauftragten Architekten angenommenen Höhen nicht zutreffend ermittelt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt aber sei das natürliche Gelände aufgrund der Bauarbeiten und der damit zusammenhängenden Abgrabungen faktisch nicht mehr vorhanden gewesen. Soweit der im Rahmen der Tektur planende Architekt im Nachgang den Tekturplänen ein natürliches Gelände zugrunde gelegt habe, handele es sich letztlich schlicht um eine Vermutung, ausgehend von der nach Abgrabung noch vorhandenen Geländeoberfläche. Eigene Ermittlungen hierzu seien seitens der Beklagten offensichtlich weder durchgeführt noch dem Bescheid zugrunde gelegt worden. Ungeachtet dessen sei die Ermessensentscheidung der Beklagten zu beanstanden. Die Kläger hätten die Baugenehmigung nicht durch Tatsachen erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig gewesen seien. Selbst wenn die Höhenangaben im Rahmen des Bauantrags nicht der tatsächlichen Höhe des Geländes entsprochen hätten, so läge die Voraussetzung des Art. 48 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG nicht vor. Zwar müsse sich der Bauherr das Verhalten seines Architekten zurechnen lassen. Im vorliegenden Fall sei aber nicht davon auszugehen, dass der Architekt die Genehmigung durch zweck- und zielgerichtete falsche Angaben habe erwirken wollen. Selbst wenn die Höhenangaben unzutreffend dargestellt worden sein sollten, so sei dies allenfalls „aus Versehen“ geschehen. Es sei auch nicht ohne weiteres zutreffend, dass die Kläger das Bauvorhaben quasi „sehenden Auges“ abweichend von den genehmigten Plänen errichtet haben. Das Vorhaben sei nahezu unverändert wie genehmigt errichtet worden; lediglich die Gestaltung des Geländes habe (zumindest bislang) nicht entsprechend den genehmigten Plänen erfolgen können. Unzutreffend sei daher die Auffassung, wonach die Kläger im Rahmen des Ermessens keinen Schutz genössen, weshalb das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtskonformer Zustände gleichsam automatisch überwiege. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die Kläger bereits seit über zwei Jahren intensive Bemühungen entwickelten, das Vorhaben auch unter Berücksichtigung anderweitiger Geländehöhen genehmigen zu lassen und dieses hierfür auch nach den Vorgaben der Beklagten „abgespeckt“ hätten. Letztlich komme es hierauf jedoch nicht an. Die Rücknahme der Baugenehmigung nach Art. 48 BayVwVfG sei jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil die Jahresfrist nach Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Rücknahmebescheids abgelaufen gewesen sei. Die Kläger hätten die Beklagte zeitnah nach der Baueinstellung über die Problematik der abweichenden Darstellung der Geländeoberfläche informiert. Dies sei Thema zahlreicher Besprechungen gewesen, so etwa am 17. August 2017. Am 2. Oktober 2017 sei die dann am 12. Oktober 2017 bei der Beklagten eingereichte Tekturplanung mit der Beklagten besprochen worden. Hier sei es wiederum um die abweichende Darstellung der Höhen gegangen. Damit habe die Beklagte nachweislich bereits vor dem 12. Oktober 2017 positive Kenntnis von der abweichenden Darstellung des natürlichen Geländes und vom Verdacht gehabt, dass die Höhen im ursprünglichen, der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bauantrag unzutreffend dargestellt seien. Die Rücknahme sei daher verfristet und der Rücknahmebescheid insoweit rechtswidrig.
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Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 21. Januar 2019 und vom 9. Januar 2020 verwiesen.
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3. Die Beklagte ließ beantragen,
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Die Klage sei unbegründet, weil der Rücknahmebescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2018 rechtmäßig sei. Die ursprüngliche Baugenehmigung vom 23. März 2015 sei rechtswidrig, da die dieser Baugenehmigung zugrundeliegenden Baupläne in Bezug auf das dargestellte Gelände unrichtig seien. Baugenehmigungen könnten insbesondere auch dann rechtswidrig sein, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen von der Genehmigungsbehörde nicht zutreffend beurteilt worden seien, weil die Angaben in den Bauvorlagen in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Vorliegend sei das natürliche Gelände höher dargestellt, als es in Wirklichkeit sei. Vergleiche man die Darstellungen des vermuteten Urgeländes in den Schnittzeichnungen der am 12. Oktober 2017 eingereichten Tekturpläne mit den Planvorlagen des ursprünglich mit der Planung beauftragten Architekten, so ergebe sich stellenweise ein Höhenunterschied von über 2 m. Auch der Vergleich mit dem dargestellten neuen Gelände bzw. der neuen Höhe ergebe noch einen Höhenunterschied von teilweise über 1,50 m. Dass das Gelände in der Ursprungsplanung falsch dargestellt worden sei, ergebe sich auch aus der Absteckbescheinigung der Ingenieurgesellschaft G* … … … mbH vom 1. Juli 2017, denn auch dort sei von einer falschen Bezugshöhe in der Entwurfsvermessung die Rede. Daher seien sowohl die dargestellte Gebäudehöhe als auch die Geschossigkeit sowie die eingezeichneten Abstandsflächen unrichtig, was zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führe. Unklarheiten gingen zulasten des Bauherrn. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass die Kläger die in Ziffer 2 der Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung vom 23. März 2015 geforderte Einmessbescheinigung nicht beigebracht hätten. Wäre die Gebäudehöhe richtig dargestellt worden, hätte die Beklagte die Baugenehmigung nicht erteilt, wie auch die Ablehnung des Tekturantrags zeige.
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Ferner sei die Ermessensausübung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe zu Recht angenommen, dass die Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen könnten. Sie hätten die Baugenehmigung durch Tatsachen erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig gewesen seien (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG). Wie die Kläger zutreffend ausführten, seien sämtliche Mängel der Bauvorlagen dem Bauherrn zuzurechnen. Auf ein Verschulden des Bauherrn oder des Fertigers der Bauvorlagen komme es dabei aber entgegen der Auffassung der Kläger nicht an. Angesichts des Ausmaßes der fehlerhaften Geländedarstellung sei vorliegend aber auch von einer zurechenbaren groben Fahrlässigkeit des Bauvorlagenfertigers auszugehen. Überdies sei das Vorhaben nicht „nahezu unverändert“ errichtet worden, denn es sei zusätzlich unter anderem ein Schwimmbadanbau mit zusätzlicher Unterkellerung erbaut worden. Schließlich seien auch die schutzwürdigen Nachbarbelange im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Die unrichtige Geländedarstellung wirke sich deutlich zulasten der Nachbarn auf die Abstandsflächen aus. Diese überlappten sich mit den Abstandsflächen des bestehenden Wohnhauses auf dem östlichen Nachbargrundstück Fl.Nr. …74. Daher sprächen auch die schutzwürdigen Nachbarbelange für eine Rücknahme der Baugenehmigung vom 23. März 2015.
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Die Rücknahme der Baugenehmigung sei rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG erfolgt. Zwar sei es zutreffend, dass es bereits vor der Einreichung der Tekturplanung Gespräche zwischen den Beteiligten gegeben habe. Die erforderliche, uneingeschränkte und zweifelsfreie Tatsachenkenntnis, insbesondere von der Erheblichkeit der fehlerhaften Geländedarstellung, habe die Beklagte aber erst mit dem offiziellen Eingang der Tekturpläne am 12. Oktober 2017 gehabt. Erst zu diesem Zeitpunkt seien ihr prüffähige Unterlagen endgültig und physisch vorgelegen.
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4. Die vom Gericht angeregte Durchführung eines Mediationsverfahrens kam nicht zustande, weshalb das zunächst vom Gericht durch Beschluss vom 1. März 2019 ruhend gestellte Verfahren durch Beschluss vom 14. Mai 2019 wieder aufgenommen wurde.
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Das Klageverfahren der Kläger, welches die Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 9. Oktober 2018 und die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Genehmigung für das Bauvorhaben „Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage“ entsprechend der Tekturplanung vom 29. Januar 2018 zum Gegenstand hat, wird unter dem Aktenzeichen W 5 K 18.1443 geführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Rücknahmebescheid vom 9. Oktober 2018 rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die materiellen Voraussetzungen nach Art. 48 Abs. 1 bis 4 BayVwVfG für die Rücknahme des Baugenehmigungsbescheids vom 23. März 2015 liegen vor.
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1.1. Der Bescheid vom 23. März 2015 erweist sich gemäß Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG als rechtswidrig. Die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach Art. 48 BayVwVfG setzt voraus, dass der Verwaltungsakt bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war, d.h. gegen geltendes Recht verstoßen wurde (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 48 Rn. 57). Hierunter ist im Falle der Baugenehmigung nicht nur das Baurecht, sondern das gesamte im bauaufsichtlichen Verfahren zu berücksichtigende öffentliche Recht zu verstehen (Simon/Busse, BayBO, Stand: 137. EL Juli 2020, Art. 68 Rn. 740).
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Vorliegend hat sich zur Überzeugung der Kammer aus den Erkenntnissen, die in der mündlichen Verhandlung gewonnen werden konnten, bestätigt, dass die Beklagte zu Recht von der Unrichtigkeit der der Genehmigung vom 23. März 2015 zugrundeliegenden Planzeichnungen ausgegangen ist und dies auf der fehlerhaften Darstellung der natürlichen Geländeoberfläche durch den ersten Planersteller der Kläger im Bauantrag vom Januar 2015 beruht. Damit ist die Beklagte bei der Entscheidung über die Baugenehmigung von einem Sachverhalt ausgegangen, der so nicht vorlag. Daraus folgt des Weiteren die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung vom 23. März 2015, obwohl eine falsche Auslegung oder Anwendung geltenden Rechts unmittelbar nicht zu verzeichnen ist. Vielmehr kann eine Rechtswidrigkeit im Sinne des § 48 VwVfG bzw. Art. 48 BayVwVfG auch darauf beruhen, dass sich ein Sachverhalt als unrichtig erwiesen hat (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 48 Rn. 53 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 30.1.1969 - III C 153.67 - BVerwGE 31, 222 = BeckRS 1969, 30429522).
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Dies ist hier der Fall. Aufgrund der Vorlage von Tekturplänen eines neuen Planerstellers und Architekten im Oktober 2017, in welchen die Einzeichnung des Urgeländes erhebliche Korrekturen erfahren hat, hat sich ergeben, dass die ursprüngliche Darstellung des Geländes, die der Baugenehmigung zugrunde lag, in wesentlichen Punkten unzutreffend ist. Dies betrifft - wie sich in der mündlichen Verhandlung in Folge der Ausführungen der Klägerseite zu der neuen Planung gezeigt hat - zum einen die Festlegung der Bezugspunkte für die Höheneinstellung des Gebäudes, zum anderen in unmittelbarer Folge daraus den gesamten Verlauf des natürlichen Geländes. Da der natürliche Geländeverlauf wiederum der für die Berechnung der Wandhöhe und Abstandsflächen beachtliche Ausgangspunkt ist (vgl. Art. 6 Abs. 4 BayBO), ist auch die Aussage der Baugenehmigung zu den abstandsflächenrechtlichen Aspekten nicht zutreffend. Daher sind die der Baugenehmigung vom 23. März 2015 zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen aufgrund bisher unbekannt gewesener Tatsachen erschüttert worden (zu dieser Fallgruppe vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 48 Rn. 61). Der Verwaltungsakt hätte so nicht ergehen dürfen; er ist deshalb als von Anfang an rechtswidrig anzusehen (Kopp/Ramsauer, a.a.O.). Eine Baugenehmigung ist nämlich auch dann rechtswidrig, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen von der Genehmigungsbehörde nicht zutreffend beurteilt wurden, weil die Angaben in den Bauvorlagen in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig waren; dies gilt auch, wenn der Behörde die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit nicht bewusst war (Simon/Busse, BayBO, Stand: 137. EL Juli 2020, Art. 64 Rn. 82). Anerkannt ist eine rechtmäßige Rücknahme einer Baugenehmigung in einer ähnlichen Fallkonstellation etwa auch dann, wenn sich aus den genehmigten Bauvorlagen aufgrund unvollständiger oder falscher Angaben ein tatsächlich gegebener Abstandsflächenverstoß nicht erkennen ließ (BeckOK, Bauordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, Spannowsky/Saurenhaus, Stand: 1.8.2020, § 74 BauO NRW Rn. 117 mit Verweis auf OVG Münster, B.v. 21.8.2012 - 2 A 2150/11). Der vorliegende Fall ist entsprechend zu behandeln, da durch die fehlerhafte Angabe der Höhenlage und des Urgeländes die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 1, 4 und 5 BayBO nicht zutreffend bestimmt werden können.
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1.2. Die von der Beklagten getroffene Entscheidung über die Rücknahme des rechtswidrig erlassenen, nicht auf Geld- oder Sachleistung gerichteten Verwaltungsaktes, die nach Art. 48 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG im Ermessen der zuständigen Behörde steht, hält einer rechtlichen Prüfung stand. Sie erweist sich - entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten - als frei von Ermessensfehlern.
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Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Nach Art. 40 BayVwVfG hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Ob die Ermessensausübung im Einzelfall pflichtgemäß oder fehlerhaft erfolgte, lässt sich nur anhand der nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG erforderlichen Begründung ermitteln.
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Ein Ermessensfehler liegt zunächst dann vor, wenn die Behörde überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (sog. Ermessensausfall), wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat (sog. Ermessensüberschreitung), wenn sie nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre Ermessensentscheidung eingestellt, sie ihre Entscheidung also auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (sog. Ermessensdefizit) und schließlich wenn von dem durch die Befugnisnorm eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, die Behörde sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder ein Belang willkürlich falsch gewichtet (sog. Ermessensfehlgebrauch) worden ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 114 Rn. 14 ff.).
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Bei der von der Behörde im vg. Sinn durchzuführenden Ermessensentscheidung im Rahmen des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG sind nach dem Zweck der Ermächtigung die für die Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts und die für die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts und den Bestandsschutz sprechenden Gründe gerecht abzuwägen. Gegenüber stehen sich das etwaige schutzwürdige Vertrauen des Betroffenen analog Abs. 2 und das öffentliche Interesse an der Herstellung des an sich nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften gebotenen Rechtszustandes. Für das Gewicht des Vertrauensschutzes spielt die Möglichkeit eines nach Absatz 3 zu gewährenden Vermögensausgleichs und die Frage, ob ein solcher Ausgleich die für den Betroffenen entstehenden Nachteile aufzuwiegen geeignet ist, eine wichtige Rolle (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 48 Rn. 136). Maßgebend ist also im vorliegenden Fall die Vorschrift des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG. Wird ein nicht unter Abs. 2 fallender Verwaltungsakt zurückgenommen, hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Belangen schutzwürdig ist (vgl. Art. 48 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG). Allerdings kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Art. 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG). Nach h.M. sind Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht nur bei der Entscheidung über die Festsetzung des Vertrauensschadens nach Abs. 3 Satz 4, sondern auch bei der Rücknahmeentscheidung zu berücksichtigen. Das schutzwürdige Vertrauen und in Anlehnung an Abs. 2 Satz 2 insbesondere auch der Schutz der im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts getroffenen Dispositionen, die der Betroffene nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen wieder rückgängig machen kann, sind i.d.R. gewichtige gegen eine Rücknahme sprechende Gesichtspunkte (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 48 Rn. 137 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 7.11.2000 - 8 B 137/00 - NVwZ-RR 2001, 198).
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Hier hat die Beklagte eine Ermessensentscheidung vorgenommen, die den vg. Grundsätzen entspricht. Sie hat erkannt, dass ihr Ermessen eingeräumt ist. Sie hat eine Ermessensentscheidung getroffen und in diese die verschiedenen Belange, insbesondere die für eine Aufhebung sprechenden öffentlichen Belange (vor allem die Durchsetzung des Baurechts) sowie die für die Kläger sprechenden Belange hinreichend eingestellt. Im Ergebnis sind auch die Ausführungen der Beklagten zu einem Entfall des Vertrauensschutzes auf Klägerseite nicht zu beanstanden. Insofern verweist Art. 48 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG auf Art. 48 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG. Demnach kann sich der Begünstigte u.a. dann nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2) oder wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Betroffen sind vorliegend die Aussagen der Bauvorlagen zu den maßgeblichen Bezugspunkten für die Höheneinstellung des Gebäudes sowie die Bestimmung der natürlichen Geländeoberfläche. Die Kläger müssen sich dabei die Mängel der Bauvorlagen zurechnen lassen, da aufgrund der Unterschrift unter die Bauvorlagen und den Bauantrag (Art. 64 Abs. 4 Satz 1 BayBO) sämtliche Inhalte der vom Entwurfsverfasser oder einer anderen Person angefertigten Bauvorlagen Angaben des Bauherrn darstellen (Simon/Busse, BayBO, Stand: 137. EL Juli 2020, Art. 64 Rn. 82). Die Beklagte stellt im streitgegenständlichen Bescheid darauf ab, dass die Baugenehmigung durch Tatsachen erwirkt wurde, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG). Voraussetzung eines „Erwirkens“ im Sinne von Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG ist, dass ein darauf gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln vorliegt und die Angaben in diesem Sinne entscheidungserheblich gewesen sind (BayVGH, U.v. 15.3.2001 - 7 B 00.107 - NVwZ 2001, S. 931 ff. = juris Rn. 21). Dabei muss sich die Kausalität auf die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes, nicht auf den Erlass als solchen beziehen. Die Angaben oder das Unterlassen von Angaben müssen deshalb ursächlich dafür sein, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wobei es ausreicht, dass das Handeln oder Unterlassen für den Mangel mitursächlich war; schuldhaftes Handeln ist nicht erforderlich (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 48 Rn. 116 ff.).
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Im vorliegenden Fall hat der Planersteller der Kläger seiner Planung aus dem Jahr 2015 eine das Vorhaben der Kläger im Hinblick auf die Abstandsflächen günstige natürliche Geländeoberfläche zugrunde gelegt. Die Beklagte hat daraufhin das Vorhaben wie beantragt genehmigt. Dies hat der Planersteller, dessen Verhalten den Klägern insofern zuzurechnen ist, auch bezweckt, so dass die Angaben zielgerichtet auf den Erlass des Genehmigungsbescheids gerichtet waren und diesen auch bedingt haben, womit die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BayVwVfG verwirklicht sind.
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Ferner kann auch davon ausgegangen werden, dass der Planersteller die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 BayVwVfG). Grobe Fahrlässigkeit bedeutet die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in einem besonders schweren Maße, was unter anderem dann zu bejahen ist, wenn ein Adressat einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 48 Rn. 124). Hierzu ist nicht auf den Horizont eines juristisch Vorgebildeten abzustellen, sondern auf eine Parallelwertung in der Laiensphäre des Betroffenen (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2015, § 48 Rn. 162). Aufgrund der fachlichen Qualifikation des Planerstellers und Architekten hätte dieser bei der Vermessung des Grundstücks und der Aufnahme der natürlichen Geländeoberfläche in die Baupläne angesichts der Tatsache, dass es sich um ein steiles Hanggrundstück handelt und im Hinblick auf die Abstandsflächen sensible Nachbarrechte betroffen sind, besondere Sorgfalt walten lassen müssen. Es hätte hierbei insbesondere auffallen müssen, dass die Bezugspunkte für die Bestimmung der Höhenlage offensichtlich falsch gewählt wurden. Dies führte zu einer Unrichtigkeit der Planvorlagen und infolge dessen zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Dies musste dem Architekten als sachverständigem Entwurfsverfasser bewusst sein. Auch insofern ist der Vertrauensschutz auf Klägerseite begrenzt.
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Auf der anderen Seite hat die Beklagte angemerkt, dass zudem in erheblichem Maße planabweichend gebaut wurde. Dies allein ist zwar kein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Rücknahmeentscheidung ausschlaggebend sein kann. Allerdings ist diese Feststellung wohl in einem weiteren Sinne zu verstehen: nämlich dahingehend, dass die anlässlich der Durchführung des Bauvorhabens getroffenen Investitionen der Kläger im Rahmen der Ermessensausübung nicht erheblich ins Gewicht fallen, da die Investitionen gerade nicht getroffen wurden, um das genehmigte Vorhaben zu realisieren, sondern ein in wesentlichen Punkten von den genehmigten Plänen abweichendes Gebäude zu errichten. Daher kann der Aspekt der getätigten Investitionen zumindest nicht umfänglich zugunsten der Kläger wirken.
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1.3. Die zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis gemäß Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG steht der streitgegenständlichen Entscheidung der Beklagten nicht entgegen.
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Nach Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG ist in dem Fall, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig.
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Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG beginnt zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und die für die Rücknahme außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Die Frist zur Entscheidung über die Rücknahme beginnt damit erst mit dem Zeitpunkt, in dem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen. Hierzu gehört zunächst die Kenntnis davon, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, und damit die Kenntnis derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ihrerseits ergibt. Das sind Tatsachen, die den im Einzelfall unterlaufenen Rechtsanwendungsfehler und die Kausalität dieses Fehlers für den Inhalt des Verwaltungsakts ausmachen (BVerwG, B.v. 19.12.1984 - GrSen 1/84 - BVerwGE 70, 356).
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Darüber hinaus verlangt Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber auch, dass der Behörde sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Hierzu gehören alle Tatsachen, die im Falle des Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände. Die Frist beginnt damit erst zu laufen, wenn die Behörde ohne weitere Sachverhaltsaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu entscheiden (BVerwG, B.v. 19.12.1984 - GrSen 1/84 - BVerwGE 70, 356).
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Dies ist hier mit der Einreichung der Pläne zum Tekturantrag am 12. Oktober 2017 der Fall, da erst dann für die Beklagte erkennbar ist, welche Folgen die abweichende Einmessung der maßgeblichen Bezugspunkte für die Bestimmung der Höhenlage insgesamt zeitigt. Aus den vorgelegten Behördenakten ist nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte schon vorher über die maßgeblichen Informationen verfügte. Insbesondere gibt die „Absteckbescheinigung“ vom 25. Juli 2017 (Bl. 133 f. d.A.) über den angenommenen ursprünglichen Geländeverlauf anhand der ermittelten Bezugspunkte hierüber keinen Aufschluss.
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Bei Erlass der strittigen Entscheidung am 9. Oktober 2018 war die Jahresfrist demnach noch offen.
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2. Da der Bescheid vom 9. Oktober 2018 rechtmäßig ist, ist die Klage abzuweisen.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.