Inhalt

VG München, Beschluss v. 14.02.2020 – M 32 K 19.854
Titel:

Rechtsweg für Auskunftsverlangen gegen Krankenkasse

Normenketten:
GVG § 17a
SGB X § 25
SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
Der Verwaltungsrechtsweg ist schon dann zulässig, wenn sich nicht offensichtlich, dh nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Berufung auf eine materielle Anspruchsgrundlage, für die der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, steht einer Verweisung dann nicht entgegen, wenn diese Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts so offensichtlich nicht gegeben sein kann, dass kein Bedürfnis dafür besteht, den Rechtsstreit zu verweisen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwaltungsrechtsweg, Auskunftsanspruch, Insolvenzverfahren, Krankenkasse, Rechtsweg
Fundstellen:
ZInsO 2021, 1070
ZInsO 2020, 2217
LSK 2020, 26933
NZI 2021, 104
BeckRS 2020, 29657

Tenor

Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter die Übermittlung eines Kontoauszugs für das Beitragskonto der Insolvenzschuldnerin.
2
Der Kläger ist durch das Amtsgericht H* … als Insolvenzverwalter für die Firma … AG bestellt worden.
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Nachdem sein mit Schreiben vom … Januar 2018 bei der Beklagten gestellter Antrag auf Übersendung eines Beitragskontoauszuges mit Bescheid vom 4. Oktober 2018 abgelehnt und der mit Schreiben vom … Oktober 2018 dagegen eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2019 zurückgewiesen worden war, erhob der Kläger mit Schriftsatz vom … Februar 2019 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte,
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Die Beklagte wird - unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2019 - verpflichtet, an den Kläger einen Kontoauszug für das Beitragskonto der Firma … AG für die Beitragskontonummer … oder jede andere die Firma … AG betreffende Kontonummer zu übermitteln.
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Zur Begründung führte er aus, dass ein Anspruch nach § 25 SGB X bestehe, und äußerte sich zu den einzelnen Voraussetzungen der genannten Norm. Er sei insbesondere als Insolvenzverwalter Beteiligter und verfüge über ein rechtliches Interesse an der beantragten Information. Das im Bescheid genannte Sozialgericht H* … sei für das vorliegende Verfahren nicht zuständig, da verwaltungsrechtliche Streitigkeiten über den Informationszugang vor den Verwaltungsgerichten auszutragen seien, so dass keine verdrängende Zuständigkeit der Sozialgerichte bestehe.
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Mit Schriftsatz vom 9. April 2019 beantragte die Beklagte die Verweisung des Rechtsstreits an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht H* … Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten sei nicht gegeben, weil die Streitigkeit durch Bundesgesetz einer anderen Gerichtsbarkeit ausdrücklich zugewiesen sei (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Danach seien Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Auskunft über die bei einer Krankenkasse gespeicherten Daten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen, wenn auf Auskunft über Angelegenheiten aus dem eigenen Sozialrechtsverhältnis geklagt werde. Ein möglicher Anspruchsübergang auf den Insolvenzverwalter verändere die Rechtsnatur des Anspruchs nicht. Eine Klage des Insolvenzverwalters gegen eine Krankenkasse auf Auskunft über abgeführte Sozialversicherungsbeiträge werde hingegen dann von den Verwaltungsgerichten verhandelt, wenn und soweit der Auskunftsanspruch allein auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützt werde. Hier sei der Informationszugang auf Grundlage bestehender Vorschriften zum Informationsfreiheitsrecht jedoch nicht streitgegenständlich. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts H* … ergebe sich aus § 57a SGG, da der Kläger seinen Sitz in H* … habe.
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Mit Schriftsatz vom *. Mai 2019 nahm der Kläger erneut zum Verwaltungsrechtsweg Stellung. So bestehe keine abdrängende Sonderzuweisung zu den Sozialgerichten nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Das Klagebegehren könne auf Art. 39 Abs. 1 BayDSG gestützt werden, dessen Voraussetzungen vorlägen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der beschrittene Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.
10
Nach § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG kann das Gericht vorab aussprechen, dass der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Nach § 173 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG hat es vorab über die Zulässigkeit zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt. Eine solche Rüge ist hier im Antrag der Beklagten auf Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Sozialgericht H* … zu sehen.
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Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
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Eine solche abdrängende Sonderzuweisung findet sich hier insbesondere nicht in § 51 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 5 SGG. Danach entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden bzw. in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung. Darunter fallen grds. auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Auskunft über die bei einer Krankenkasse gespeicherten Daten, wenn auf Auskunft über Angelegenheiten aus dem eigenen Sozialrechtsverhältnis geklagt wird. Ein Anspruchsübergang auf den Insolvenzverwalter verändert die Rechtsnatur des Anspruchs in Bezug auf die Rechtswegzuständigkeit nicht (vgl. Wolff-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 51 Rn. 33, 35). Zwar wurde in der Rechtsprechung entschieden, dass in vergleichbaren Sachverhalten die Verwaltungsgerichte dann zuständig sind, wenn das Anspruchsbegehren allein auf das IFG bzw. das Landesdatenschutzgesetz gestützt wird (vgl. NdsOVG, B.v. 24.3.2017 - 11 OB 78/17 - juris; LSG BW, B.v. 12.11.2010 - L 5 KR 1815/10 B - juris; aA LSG NW, B.v. 26.4.2010 - L 16 B 9/09 SV), so dass nach dieser Rechtsprechung dann, wenn sich ein Kläger bezüglich seines Anspruchs ausschließlich auf Normen der Sozialrechts beziehen würde, konsequenterweise die Sozialgerichte zuständig wären. Im vorliegenden Fall berief sich der Kläger bei Klageerhebung zwar allein auf § 25 SGB X, schob jedoch in seiner Replik als weitere Anspruchsgrundlage Art. 39 Abs. 1 BayDSG nach.
13
Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Daraus folgt, dass der vom Kläger beschrittene Verwaltungsrechtsweg schon dann zulässig ist, wenn sich nicht offensichtlich, d.h. nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist. Die Berufung auf eine materielle Anspruchsgrundlage, für die der beschrittene Rechtsweg zulässig wäre, steht einer Verweisung aber dann nicht entgegen, wenn diese Anspruchsgrundlage aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts so offensichtlich nicht gegeben sein kann, dass kein Bedürfnis dafür besteht, den Rechtsstreit zu verweisen (BVerwG, B.v. 4.3.2015 - 6 B 58/14 - juris Rn. 11 f.; vgl. zur alten Rechtslage nach § 41 VwGO 1964 BVerwG, B.v. 15.12.1992 - 5 B 144.91 - juris Rn. 3; BGH U.v. 5.7.1990 - III ZR 166/89 - juris Rn. 18). Dass Art. 39 Abs. 1 BayDSG als Anspruchsgrundlage offensichtlich ausscheidet, kann an dieser Stelle nicht festgestellt werden.