Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 24.07.2020 – Au 3 K 19.137
Titel:

Rückforderung der Förderung einer Kindertageseinrichtung wegen Angabe falscher Buchungszeiten

Normenketten:
SGB X § 42, § 45, § 50
BayKiBiG Art. 18 Abs. 1, Art. 21
BayAVKiBiG § 23 Abs. 4, § 25, § 26 Abs. 3
Leitsätze:
1. § 23 Abs. 4 AVBayKiBiG enthält für die Rücknahme eines Bescheids über die Förderung einer Kindertageseinrichtung eine spezielle, allgemein verbindliche Regelung der örtlichen Zuständigkeit; Verstöße dagegen sind indes bei „faktischer Alternativlosigkeit“ der Behörde unbeachtlich, wozu auch die Ermessensreduzierung auf Null zählt. (Rn. 22 – 23 und 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Förderfähige Buchungszeit i.S.d. Art. 21 Abs. 4 S. 2 BayKiBiG ist nur diejenige Zeit, in der das Kind tatsächlich in der Einrichtung anwesend ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die pauschale Angabe einer früheren Betreuungszeit durch die Einrichtung, um damit Schulausfälle zu kompensieren, ist grob fahrlässig. (Rn. 37 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Förderung einer Kindertageseinrichtung, Rücknahme des Bewilligungsbescheids, Rückforderung, örtliche Unzuständigkeit, Zuständigkeit der Aufenthaltsgemeinde, Ermessensreduzierung auf Null, Vertrauensschutz, grobe Fahrlässigkeit, Kindertageseinrichtung, Förderung, Rücknahme, Buchungszeit, örtliche Zuständigkeit, Aufenthaltsgemeinde
Fundstelle:
BeckRS 2020, 29439

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Rückforderung der Förderung einer Kindertageseinrichtung für die Bewilligungsjahre 2013/2014 und 2015.
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Der Kläger ist Träger des in * gelegenen Hortes „*“. Dem Betrieb liegt eine Betriebserlaubnis des Landratsamtes * zugrunde. Im Hort können bis zu 100 Kinder betreut werden. Ausweislich des Konzepts richtet sich der Hort in erster Linie an Grundschüler und ist Montag bis Donnerstag von 6:30 Uhr bis 17 Uhr und am Freitag von 6:30 Uhr bis 16 Uhr geöffnet. Sowohl im Betreuungsjahr 2013/14 als auch im Betreuungsjahr 2015 besuchte jeweils ein Kind, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Beklagten hatte, die Kindertageseinrichtung des Klägers.
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Für die dort betreuten Kinder erhält der Kläger eine kindbezogene Förderung nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz. Grundsätzlich haben die jeweiligen Träger zur Beantragung einer Förderung die relevanten Daten in das vom Freistaat Bayern zur Verfügung gestellte Computerprogramm KiBiG.web einzutragen und freizugeben. Diesen Angaben liegen die von den Trägern und Eltern zu unterzeichnenden Buchungsvereinbarungen zugrunde. Daraufhin erzeugt das Programm automatisch ein Antragsformular, das der jeweilige Träger auszudrucken und zu unterschreiben hat. Er sendet es dann an die Aufenthaltsgemeinde. Die Gemeinde wiederum bestätigt den Antrag und beantragt auf dieser Grundlage beim Freistaat Bayern für Kinder aus dem eigenen Gemeindegebiet die staatlichen Fördermittel, die dann gemeinsam mit den kommunalen Fördermitteln von der Gemeinde an den jeweiligen Träger ausbezahlt werden.
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Mit Bescheiden der Beklagten vom 4. Mai 2015 und vom 10. Juni 2016 wurde dem Kläger nach Endabrechnung eine kindbezogene Förderung gewährt. Diese betrug für das Bewilligungsjahr 2013/2014 (von September 2013 bis Dezember 2014) 4.537,29 EUR, für das Bewilligungsjahr 2015 (Januar 2015 bis Dezember 2015) 3.206,36 EUR. Die Bescheide enthielten jeweils einen Hinweis auf eine mögliche Belegprüfung.
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Vom 4. bis zum 7. Dezember 2017 fand in der Einrichtung „*“ * eine Belegprüfung für die Abrechnungsjahre 2011 bis 2015 statt. Die Prüfung ergab Beanstandungen, die aus Sicht der Beklagten zu Förderkürzungen führen mussten. Mit Aktenvermerk vom 26. März 2018 führte die Beklagte aus, dass sie den staatlichen Anteil der Förderung an das Landratsamt * zurückzuerstatten habe. Grundsätzlich erfolge die Rückforderung des staatlichen und kommunalen Anteils durch die Sitzgemeinde der Einrichtung für alle Kommunen, also hier den Markt *. Dieser habe zugesagt, die Forderung samt Zinsen einzutreiben. Handschriftlich wurde vermerkt, dass nach Rücksprache mit dem Landratsamt * die Rückforderung doch selbst durch die betroffenen Gemeinden durchzuführen sei.
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Mit Schreiben vom 23. Juli 2018 wurde der Kläger zur beabsichtigten Neufestsetzung der Fördersumme und zur Rückforderung angehört. Er nahm mit Schreiben vom 21. August 2018 Stellung.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2018 wurden die Bescheide vom 4. Mai 2015 und vom 10. Juni 2016 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Fördersumme wurde für das Abrechnungsjahr 2013/2014 auf 3.464,29 EUR und für das Abrechnungsjahr 2015 auf 2.880,36 EUR festgesetzt. Der überzahlte Betrag in Höhe von insgesamt 1.577,15 EUR (1.399,-- EUR Hauptforderung sowie Zinsen in Höhe von 178,15 EUR) sei zurückzuerstatten. Es hätten sich Beanstandungen ergeben, die zu Kürzungen der Fördersumme führten. Grundsätzlich sei der Wochendurchschnitt der Betreuungszeit zu ermitteln. Die Buchungszeit des Kindes mit der ID * (7. Klasse) im Jahr 2013/2014 sei jedoch unabhängig vom Unterrichtsende auf 11.00 Uhr festgesetzt worden. Dies erfordere eine Korrektur von bisher vier bis fünf Stunden täglich auf zwei bis drei Stunden täglich für den Zeitraum von September 2013 bis August 2014. Die Ermittlung der tatsächlichen Betreuungszeit des Kindes sei auf Grundlage der Betreuungsverträge/Buchungsbelege, der Stundentafel des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und der Unterrichtsschlusszeiten ermittelt worden. Bei dem Kind mit der ID * seien im Jahr 2015 fälschlicherweise nicht die von den Eltern im Buchungsbeleg beantragten Ferientage abgerechnet worden. Deshalb sei eine Korrektur von 30 auf 15 Tage erforderlich. Die grundsätzliche Förderlichkeit von Hortbuchungen ab 11.00 Uhr werde nicht in Frage gestellt. Ein Berufen auf schutzwürdiges Vertrauen sei nicht möglich, da der Kläger unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht habe. Der Kläger als Mitglied in den Spitzenverbänden der Wohlfahrtsverbände und ständiger Gesprächspartner der Bayerischen Staatsregierung sei rechtlich und fachlich kompetent. Deshalb habe er nicht damit rechnen dürfen, dass mit der Auszahlung der Endabrechnung eine Entlastung erteilt worden sei. Dies ergäbe sich auch aus § 23 AVBayKiBiG, wonach der Träger innerhalb von fünf Jahren mit einer Belegprüfung rechnen müsse; hierauf sei der Kläger auch im Bewilligungsbescheid hingewiesen worden. Das Ermessen sei auf Null reduziert.
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Dagegen legte der Kläger am 10. Oktober 2018 Widerspruch ein und trug vor, dass die Festsetzung des Buchungszeitbeginns auf 11.00 Uhr im Umkehrschluss zu § 25 AVBayKiBiG rechtmäßig sei. Die Eltern hätten entsprechende Buchungen vorgenommen, um eine durchgehende Betreuung der Kinder sicherzustellen. Seit 2009 sei im Hortbereich geprüft und diese Praxis nie bemängelt worden. Der Aufhebung und Rückforderung stünde Vertrauensschutz entgegen. Die Fördermittel seien zweckgerichtet für Betriebs- und Personalkosten verwendet worden. Mit der Festsetzung der Fördermittel in der Endabrechnung und der entsprechenden Bewilligung durch die Beklagte sei das jeweilige Jahr abgeschlossen gewesen, deshalb sei nicht mehr mit einer Änderung zu rechnen gewesen. Man habe aufgrund der erhaltenen Abschlagszahlungen und Bewilligungsbescheide auf die Förderlichkeit der Buchungen vertraut. Die Ferienbuchung bei dem Kind ID * sei aus Versehen erfolgt. Nachdem die betroffenen Schulen keine Zusagen über ein gesichertes Unterrichtsende über 11.00 Uhr hinaus machen hätten können, habe der Kläger Buchungen ab 11.00 Uhr zugelassen. Die Eltern hätten infolge dessen Hortbuchungen vorgenommen, um eine durchgehende Betreuung ihrer Kinder sicherzustellen. Eine durchgehende Betreuung im Falle von unplanmäßig früherem Schulschluss liege im Interesse der Schulkinder und deren Eltern. Dies erleichtere auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
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Unabhängig davon wurde der geforderte Betrag inklusive Zinsen vom Kläger an die Beklagte unter Vorbehalt bezahlt.
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Mit Widerspruchsbescheid des Landratsamts * vom 2. Januar 2019 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die gewährte Förderung sei rechtswidrig gewesen, weil der Berechnung des Förderbetrags eine regelmäßige Anwesenheit des Schulkindes an allen Wochentagen ab 11.00 Uhr zugrunde liege. Eine solche Anwesenheit aller Schulkinder ab 11.00 Uhr sei jedoch mit der Stundentafel des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst für die Grundschule unvereinbar. Selbst in der 1. Klasse ende der Unterricht an nicht mehr als drei Wochentagen nach der vierten Schulstunde, also frühestens um 11.35 Uhr. An anderen Wochentagen oder in höheren Klassen ende der Unterricht nach der fünften oder sechsten Schulstunde oder sogar noch später. Daher scheide eine regelmäßige Anwesenheit des die 7. Klasse besuchenden Kindes mit der ID * ab 11 Uhr aus. Es könne auch nicht überzeugen, dass es im Interesse der Eltern und der Schule liege, die Kinder bei unplanmäßigem früherem Schulende im Hort zu betreuen. Dies begründe keinen Förderanspruch des Klägers. Ferner werde dies bereits durch den erhöhten Gewichtungsfaktor für Kinder ab dem Schuleintritt zum Ausdruck gebracht. Es komme nicht darauf an, ob Hortbuchungen ab 11.00 Uhr grundsätzlich förderfähig seien. Diese Frage werde von der Beklagten nicht verneint. Der Kläger könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil es seine Aufgabe gewesen sei, die korrekten Daten in das Computerprogramm ein- und freizugeben. Die bewusste Angabe eines regelmäßigen Betreuungsbeginns ab 11.00 Uhr verletze die Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße. Auch ein Mitverschulden der Beklagten liege nicht vor. Zugunsten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass von einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit auszugehen sei. Überdies seien die erhaltenen Fördergelder vollständig zweckgebunden verwendet worden. Auch die dargestellte Motivation, die zur Angabe „11.00 Uhr“ geführt habe, sei nachvollziehbar: Der Träger habe es wohl als seine Aufgabe angesehen, etwaige zeitliche Betreuungslücken aufzufangen. Demgegenüber sei zu berücksichtigen, dass es sich beim Kläger um einen großen, erfahrenen Träger der Kindertagesbetreuung handele, bei dem das Förderwesen nach dem Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz in hauptamtlicher Tätigkeit bearbeitet werde. Darüber hinaus sei der Rückforderungsbetrag nicht hoch.
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Am 31. Januar 2019 erhob der Kläger Klage. Er beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts * vom 2. Januar 2019 aufzuheben.
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Die Beklagte sei für die Rückforderung sachlich nicht zuständig gewesen, sondern allein die Sitzgemeinde der Kindertageseinrichtung, also der Markt *. Da neben der Beklagten auch der Markt * als Sitzgemeinde angebliche Förderverstöße geltend gemacht habe, fehle der Beklagten infolge der Konzentrationswirkung des § 23 Abs. 4 Satz 2 AVBayKiBiG die sachliche Zuständigkeit für Rücknahme und Rückforderung. Der Bescheid sei auch materiell rechtswidrig. Das Hortkonzept sei mit der Beklagten und dem Landratsamt * abgestimmt gewesen, insbesondere die Öffnungs- und Buchungszeiten seien erörtert worden. Es entspreche den allgemeinen Gepflogenheiten im Landkreis * und im Gebiet der Beklagten (sowie in weiten Teilen Bayerns), dass Schüler vor dem regulären Schulschluss bei Unterrichtsausfall in die Horte geschickt würden. Darüber hinaus habe es sogar eine dahingehende Absprache zwischen der Leiterin der Einrichtung und der Leitung der benachbarten Schule gegeben. Die Praxis sei nie gerügt worden. Deshalb sei auch der Kläger davon ausgegangen, dass gegen den Beginn der Buchungszeit ab 11 Uhr keine durchgreifenden Bedenken bestünden. Die Beklagte habe des Weiteren den Vertrauensschutz des Klägers nicht hinreichend berücksichtigt. Sie habe das Hortkonzept gekannt und nach jahrelanger Duldung nun erstmals Verstöße geltend gemacht. Mit der Bekanntgabe der Bewilligungsbescheide habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte die Buchungszeitregelungen als förderfähig ansehe. Grobe Fahrlässigkeit liege nicht vor. Der Kläger habe keine unrichtigen Angaben gemacht, sondern Buchungen ab 11 Uhr zum Teil seines Konzepts gemacht. Der Beklagten sei diese Problematik auch nie aufgefallen. Die Rechtslage sei auch unklar gewesen und es habe erstmals mit dem Erlass des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 12. Januar 2017 Hinweise zu den buchbaren Zeiten in den Horten gegeben. Das Vertrauen sei auch schutzwürdig, weil der Kläger weder wirtschaftliche noch sonstige unlautere Überlegungen verfolgt habe. Die Fördermittel seien außerdem bereits verbraucht worden. Hinzu komme, dass die Beklagte bereits früher habe tätig werden können. Die Rücknahme sei überdies ermessensfehlerhaft. Es sei auch eine teilweise Aufhebung des Bescheids möglich gewesen. Der Kläger müsse nun die Einrichtung über zwei Jahre ohne entsprechende öffentliche Förderung finanzieren. Die Beklagte habe aus Verhältnismäßigkeitsgründen zumindest auf die Zinsen verzichten müssen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte sei für den Erlass des Rücknahme- und Erstattungsbescheides sachlich und örtlich zuständig gewesen, denn zuständige Behörde für den Rücknahmebescheid sei grundsätzlich die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen habe. Die Vorschrift des § 23 Abs. 4 Satz 2 AVBayKiBiG sei eine bloße Verwaltungsvorschrift, der keine Außenwirkung zukomme. Überdies habe der Markt * der Durchführung des Rücknahmeverfahrens durch die Beklagte zugestimmt.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitgegenstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 24. Juli 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts * vom 2. Januar 2019 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
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Die Bewilligungsbescheide vom 4. Mai 2015 und vom 10. Juni 2016 der Beklagten wurden zu Recht zurückgenommen.
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1. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG darf ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Bereits erbrachte Leistungen sind nach § 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG zu erstatten. Die Vorschriften der §§ 45 ff. SGB X finden vorliegend Anwendung, da § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKibiG eine Rechtsvorschrift im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayVwVfG darstellt, die abweichend von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayVwVfG die Anwendung der Verfahrensvorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch für die Rücknahme und den Widerruf konstitutiv anordnet (im Ergebnis ebenso für die Anwendung BayVGH, B.v. 1.10.2015 - 12 ZB 15.1698 - BeckRS).
21
2. Der Rücknahmebescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist formell rechtmäßig.
22
a) Die Beklagte war zum Erlass des Bescheids zwar nicht örtlich zuständig. Grundsätzlich entscheidet nach § 45 Abs. 5 i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X die zuständige Behörde über die Rücknahme eines Verwaltungsakts. § 23 Abs. 4 AVBayKiBiG, aus dem sich überhaupt erst die Anwendung der §§ 45 ff. SGB X als Rechtsgrundlage für die Rücknahme ergibt, enthält jedoch ausdrücklich eine von dieser Verweisung abweichende spezielle Regelung der örtlichen Zuständigkeit. Denn nach § 23 Abs. 4 Satz 2 AVBayKiBiG betreibt die Sitzgemeinde der jeweiligen Kindertageseinrichtung das Rücknahme-, Widerrufs-, Erstattungs- und Vollstreckungsverfahren gegen den Träger mit Wirkung für alle Aufenthaltsgemeinden, soweit mehrere Aufenthaltsgemeinden nach Art. 18 Abs. 1 BayKiBiG betroffen sind. Diese Vorschrift bündelt lediglich die örtliche Zuständigkeit, da nicht auf die vertikale Aufgabenverteilung zwischen den Verwaltungsebenen abgestellt wird, sondern ausdrücklich die Sitzgemeinde in den Blick genommen wird.
23
Es handelt sich bei der Kinderbetreuungsverordnung auch nicht - wie die Beklagte meint - um eine bloße Verwaltungsvorschrift ohne Bindungswirkung, sondern um eine Verordnung. Verordnungen sind Rechtsnormen, die allgemein verbindlich sind. Dies begründet den Unterschied zu den Verwaltungsvorschriften, die Innenrecht der Verwaltung darstellen, also rechtliche Verbindlichkeit nur innerhalb der Verwaltung entfalten.
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Vorliegend waren mehrere Aufenthaltsgemeinden vom Rücknahmeverfahren betroffen, da sich die Einrichtung „*“ in * befindet und diese im streitgegenständlichen Zeitraum sowohl von Kindern aus * als auch aus dem Gemeindegebiet der Beklagten besucht wurde. Letztere war Aufenthaltsgemeinde nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayKiBiG, weil jeweils ein Kind dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB hatte.
25
Eine Aufgabenübertragung nach § 23 Abs. 4 Satz 4 AVBayKiBiG fand nicht statt, so dass für das Betreiben des Rücknahmeverfahrens der Markt * örtlich zuständig gewesen wäre.
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b) Der Fehler ist jedoch unbeachtlich im Sinn des § 42 Satz 1 SGB X. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Davon ist bei „faktischer Alternativlosigkeit“ der Behörde auszugehen, wozu auch die Ermessensreduzierung auf Null zählt (Steinwedel in Kasseler Kommentar, 108. EL März 2020, § 42 SGB X Rn. 8). Eine solche liegt hier vor, so dass in der Sache keine andere Entscheidung durch die zuständige Behörde möglich gewesen wäre.
27
Zwar steht die Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 1 SGB X grundsätzlich im Ermessen der Behörde. (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.1987 - 5 C 26.84 - BVerwGE 78, 101 [105 f.]), weshalb die Rechtmäßigkeit der Rücknahme in der Regel eine entsprechende Ermessensausübung voraussetzt. Besonderheiten gelten jedoch, wenn der zu treffenden Entscheidung durch das einschlägige Fachrecht eine bestimmte Richtung vorgegeben ist und ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vorliegt (sog. intendiertes Ermessen). Trifft dies zu, so bedarf es, wenn in dem durch das Gesetz vorgegebenen Sinne entschieden wird, keiner Abwägung des Für und Wider mehr, womit zugleich eine nähere Begründungspflicht der Behörde entfällt (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 - 8 C 68 und 70.90 - BVerwGE 92, 82 [90] m.w.N.). So liegt der Fall hier. Das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz bestimmt in Art. 18 Abs. 1 Satz 1, dass ein Anspruch des Trägers besteht, wenn die Fördervoraussetzungen nach Art. 19 BayKiBiG erfüllt werden. Das schließt für den Fall einer unter Verstoß gegen diese Vorschrift erfolgten Förderleistung die Anordnung der Rücknahme des entsprechenden Bewilligungsbescheids und die Rückforderung des gezahlten Betrages ein (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 - 8 C 68 und 70.90 - BVerwGE 92, 82 [90 f.] - für die missbräuchliche Gewährung von Wohngeld). Auch die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung zeichnen in der Regel die Rücknahme von rechtswidrigen Geldleistungsbescheiden als nicht weiter begründungsbedürftige Konsequenz vor (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1997 - 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 [57 f.]; U.v. 10.12.2003 - 3 C 22/02 - NVwZ-RR 2004, 413 [415] m.w.N.). Bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach § 45 Abs. 1 SGB X bleibt deshalb im Regelfall für die Ausübung von Ermessen kein Raum (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2015 - 12 ZB 15.1698 - juris für die Rückforderung von Fördermitteln des Freistaats gegenüber einer Gemeinde; BSG, U.v. 25.6.1986 - 9 a RVg 2/84 - juris, LS 3 u. Rn. 29; U.v. 5.11.1997 - 9 RV 20/96 - juris, Rn. 16). Zwar sind Ausnahmen denkbar, wenn besonders gewichtige Gründe eine andere Entscheidung rechtfertigen (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 - 8 C 68 und 70.90 - BVerwGE 92, 82 [91]). Solche sind hier auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht ersichtlich. Stellt sich jedoch heraus, dass Vertrauensschutz zu versagen ist, so dass für eine Ermessensausübung keine Gesichtspunkte bleiben, ist das Rücknahmeermessen regelmäßig auf Null reduziert (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2015 - 12 ZB 15.1698 - juris; BSG, U.v. 5.11.1997 - 9 RV 20/96 - juris, Rn. 16). In diesem Fall kann nur eine Entscheidung richtig sein, nämlich die Leistungsbewilligung zurückzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 - 8 C 68 und 70.90 - BVerwGE 92, 82 [90]; U.v. 16.6.1997 - 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 [57]). Dies folgt aus Art. 18 Abs. 1 und 2 BayKiBiG, der den Förderanspruch der Gemeinde gegenüber dem Staat an die Einhaltung der Fördervoraussetzungen durch den Einrichtungsträger bindet. Erfüllt der Träger die Fördervoraussetzungen des Art. 19 BayKiBiG nicht, so muss die Gemeinde nicht nur ihren eigenen Förderanteil (Art. 18 Abs. 1, 22 BayKiBiG), sondern auch den staatlichen Anteil (Art. 18 Abs. 2, 21, 22 BayKiBiG) zurückfordern (§ 23 Abs. 4 AVBayKiBiG); sie ist aber ihrerseits zugleich auch dem Rückforderungsanspruch des Freistaats hinsichtlich des staatlichen Förderanteils ausgesetzt (dazu BayVGH, B.v. 1.10.2015 - 12 ZB 15.1698 - juris).
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Da von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen ist und ein Ausnahmefall nicht vorliegt, ist offensichtlich, dass die Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Überdies hat der Markt * im vergleichbaren Sachverhalt betreffend für die Förderung der gemeindeangehörigen Kinder eine inhaltlich gleiche Entscheidung erlassen und im Vorfeld gegenüber der Beklagten zugesagt, die Forderung samt Zinsen einzutreiben.
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3. Der Rücknahmebescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Dies erfordert in materieller Hinsicht, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X vorlagen und der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 SGB X berufen konnte. Überdies muss das Ermessen - sofern es nicht ohne auf Null reduziert ist - fehlerfrei ausgeübt und nach § 45 Abs. 4 SGB X die Rücknahmefrist gewahrt worden sein.
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a) Bei den oben genannten Bewilligungsbescheiden handelt es sich um begünstigende Verwaltungsakte nach § 45 Abs. 1 SGB X, die rechtswidrig sind, weil die Fördervoraussetzungen des Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayKiBiG nicht erfüllt sind. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayKiBiG haben Träger von Kindertageseinrichtungen einen kindbezogenen Förderanspruch gegenüber den Aufenthaltsgemeinden. Dieser besteht nach Art. 22 Satz 1 BayKiBiG in Höhe der staatlichen Förderung an die Gemeinden erhöht um einen Eigenanteil der Gemeinden. Der Träger ist nach Art. 19 Nr. 8 und 10 BayKiBiG verpflichtet, die aktuellen Daten in das Förderprogramm einzugeben und die Vorschriften des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes und der Kinderbildungsverordnung zu beachten. Nach Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG gibt die Buchungszeit den von den Eltern mit dem Träger der Einrichtung vereinbarten Zeitraum an, während dem das Kind regelmäßig in der Einrichtung vom pädagogischen Personal gebildet, erzogen und betreut wird. Der zweite Halbsatz der Vorschrift stellt klar, dass es auf die tatsächliche Anwesenheit des Kindes in der Einrichtung ankommt. Für die Ermittlung der Buchungszeit sind nach Art. 21 Abs. 4 Satz 6 BayKiBiG, § 25 AVBayKiBiG Buchungszeitfaktoren zu ermitteln.
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Diese Voraussetzung war in den streitgegenständlichen Bewilligungsjahren nicht erfüllt, weil die Buchungszeiten im Sinn von Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG nicht korrekt angegeben wurden.
32
aa) Vorliegend wurde das die 7. Klasse besuchende Kind mit der ID * täglich ab 11 Uhr im Hort eingebucht. Dies entsprach jedoch nicht der tatsächlichen Anwesenheit des Kindes. Dem ist der Kläger auch nicht entgegengetreten. Mithin lagen keine aktuellen und korrekten Daten nach Art. 21 Abs. 4 Satz 2, Art. 19 Nr. 8 BayKiBiG vor. Darüber hinaus regelt § 25 Abs. 2 AVBayKiBiG lediglich die grundsätzliche Zulässigkeit von Hortbuchungen während der Schulzeit ab 11 Uhr, trifft jedoch keine Aussage zur tatsächlichen Buchung. Die Buchungszeit kann zwar um 11 Uhr beginnen, dies setzt aber voraus, dass das Kind auch tatsächlich in der Einrichtung anwesend ist. Sog. „Luftbuchungen“ (Zeiten, die die Eltern vorsorglich buchen, ohne sie regelmäßig zu nutzen) sind nicht zulässig und widersprechen Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG. Eine Buchung kommt in der Regel nur für Betreuungszeiten nach dem regulären Unterrichtsende in Betracht (so auch Dunkl in Dunkl/Eirich, BayKiBiG, April 2020, Erl. 3.1 zu § 25 AVBayKiBiG).
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Eine regelmäßige Anwesenheit ab 11 Uhr ist jedoch nicht denkbar. Selbst in der Grundschule endet der Unterricht nach der Stundentafel des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst an nicht mehr als drei Wochentagen nach der vierten Schulstunde um 11:35 Uhr, an den übrigen Tagen dauert der Unterricht bis zur fünften oder sechsten Schulstunde. Damit kann das Kind, das bereits in der 7. Klasse war, nicht regelmäßig um 11 Uhr im Hort gewesen sein. Sofern die Schule ungeplant früher endet, ist die Schule verpflichtet, im Anschluss eine Betreuung sicherzustellen (Dunkl in Dunkl/Eirich, BayKiBiG, April 2020, Erl. 3.1 zu § 25 AVBayKiBiG).
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bb) Die Ferienbuchung im Jahr 2015 für das Kind mit der ID * wurde unstrittig ebenfalls falsch abgerechnet. Nach Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG, § 25 Abs. 2 i.V.m. § 26 Abs. 3 AVBayKiBiG kann bei zusammengezählten Buchungszeiträumen von mindestens 15 Betriebstagen ein Kalendermonat, ab mindestens 30 Betriebstagen zwei Kalendermonate und ab 45 Betriebstagen drei Kalendermonate abgerechnet werden. Bei dem Kind wurden im Jahr 2015 nicht die von den Eltern im Buchungsbeleg angegebenen 15 Tage abgerechnet, sondern stattdessen 30 Tage.
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b) Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 SGB X berufen. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
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aa) Der Kläger ist zwar nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X entreichert. Er hat nach eigenen Angaben, denen der Beklagte nicht entgegengetreten ist, die gewährten Mittel zweckbestimmt verwendet und darüber hinaus Verträge mit Personal geschlossen, die nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen sind.
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bb) Vertrauensschutz scheidet aber aus, weil der Kläger grob fahrlässig falsche Angaben nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gemacht hat. Maßgebend dafür ist die Einsichtsfähigkeit des Begünstigten, also ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab (stRspr seit BSG, U.v. 13. 12. 1972 - 7 RKg 9/69 - BSGE 35, 108). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt danach insbesondere, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stRspr, seit BSG, Uv.v. 31. 8. 1976 - 7 RAr 112/74 - BSGE 42, 184). Entscheidend ist danach das Vermögen, die Fehlerhaftigkeit der gemachten Angabe erkennen zu können. Bei geschäftsmäßig tätigen Organisationen wie der klägerischen sind dabei strengere Anforderungen zu stellen als etwa bei ehrenamtlich Tätigen.
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Zugunsten des Klägers und gegen eine Sorgfaltspflichtverletzung spricht zwar, dass der Kläger mit seiner Buchungspraxis den Eltern entgegenkommen und Schulausfälle kompensieren wollte. Auch der (klarstellende) Erlass des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst stammt erst aus dem Jahr 2017, d.h. deutlich nach Vornahme der entsprechenden Eintragungen.
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Vorliegend hat der Kläger aber Angaben im Programm KiBiG.web gemacht, die nicht der Realität entsprachen. Gemäß § 19 AVBayKiBiG ist der Träger dafür verantwortlich, die förderrelevanten Daten einzutragen; Fehleintragungen liegen im Verantwortungsbereich des Trägers (VG München, U.v. 10.11.2016 - M 17 K 15.4663 - juris). Dem Kläger muss sich aufgedrängt haben, dass die im KiBiG.web angegebenen Anwesenheitszeiten der großen Mehrheit der Kinder nicht mit der Realität übereinstimmten.
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Die Fehlerhaftigkeit seiner Angaben muss für den Kläger damals ersichtlich gewesen sein.
41
Nach Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG gibt die Buchungszeit den von den Eltern mit dem Träger der Einrichtung vereinbarten Zeitraum an, während dem das Kind regelmäßig in der Einrichtung vom pädagogischen Personal gebildet, erzogen und betreut wird. Dies setzt also voraus, dass nicht nur eine entsprechende Vereinbarung mit den Eltern über die Anwesenheit des Kindes geschlossen wird, sondern dass das Kind auch tatsächlich zu den vereinbarten Zeiten anwesend ist. Denn der Wortlaut des Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG stellt darauf ab, dass das Kind gerade während des vereinbarten Buchungszeitraums gebildet, erzogen und betreut wird. Zwangsläufig muss das Kind dafür in der Einrichtung präsent sein.
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Wenn der Kläger anführt, er habe die Buchungszeit auf 11 Uhr angesetzt, weil er Schulausfälle habe kompensieren und demzufolge Personal vorhalten müssen, so kann er damit nicht durchdringen. Denn die Überhangzeiten sind nicht notwendig, um einen früheren Schulschluss aufzufangen oder gar um Rüstzeiten zu erlangen. Vielmehr wird dem erhöhten Aufwand für Schulkinder bereits durch eine erhöhte Förderung nach Art. 21 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BayKiBiG mit einem Gewichtungsfaktor von 1,2 begegnet. Damit sind die Aufwendungen und Vorbereitungen dafür abgegolten.
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Der pauschale Buchungsbeginn um 11 Uhr lässt sich insgesamt mit dem Ausfall einzelner Schulstunden und damit mit einem vorzeitigen Ende des Unterrichts auch nicht ansatzweise in Einklang bringen. Es handelte sich dabei nicht um komplexe Angaben, für die besonderer Sachverstand notwendig war, sondern um Tatsachenfragen. Vielmehr hätten einfachste Überlegungen genügt, um die Zeiten korrekt einzutragen. Hinzu kommt, dass die Eingaben in das Förderprogramm zwar von der Hortleitung vor Ort vorgenommen, allerdings auf Ebene des Bezirksverbands überprüft und ggf. korrigiert wurden. Wie die Vertreterin des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, wurde die Freischaltung der Angaben klägerseits vorgenommen. Es muss davon ausgegangen werden, dass zumindest auf dieser Ebene entsprechende Erfahrungen für den Umgang mit Buchungsdaten vorgelegen haben, so dass dort die offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Buchungen hätte erkannt werden müssen. Überdies verfügt der Kläger über eine hauptamtliche Struktur auf Landes- und Bundesebene, so dass klägerseits ohne Weiteres die Möglichkeit offen gestanden hätte, bei Unklarheiten Erkundigungen anzustellen. Allerdings gab es nach Auskunft Vertreterin des Klägers in der mündlichen Verhandlung sogar eine informelle Absprache auf Vorstandsebene im Hinblick auf § 25 Abs. 2 AVBayKiBiG,11 Uhr als einheitlichen Beginn der Buchungszeit einzutragen.
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Die gesetzliche Regelung zu den Buchungszeiten war ferner nicht missverständlich. Der Wortlaut des Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG mag im ersten Halbsatz noch nahelegen, dass auf die Vereinbarung zwischen dem Träger und den Eltern abzustellen ist. Allerdings wird im zweiten Halbsatz deutlich (und ist auch ohne juristischen Sachverstand verständlich), dass es auf die tatsächliche Anwesenheit des Kindes in der Einrichtung ankommt. Darüber hinaus regelt § 25 Abs. 2 AVBayKiBiG lediglich die Unzulässigkeit von Hortbuchungen während der Schulzeit zwischen 8.00 Uhr und 11.00 Uhr, trifft jedoch keine Aussage darüber, welche Buchungszeiten im Einzelfall förderfähig sind. Der Schluss des Klägers, dass aufgrund dieser Regelung 11 Uhr pauschal als Beginn der Buchungszeit angesetzt werden könne, ist offenkundig unrichtig.
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Auch für die Frage der Ferienbuchungen ist eindeutig, dass dem Kläger hätte einleuchten müssen, dass eine Buchung von 30 Tagen statt der von den Eltern gewünschten 15 Tage nicht korrekt sein konnte. Es drängt sich hier sogar der Vorwurf zielgerichteten und vorsätzlichen Handelns auf, weil nach § 26 Abs. 3 Satz 2 AVBayKiBiG ab 30 Betriebstagen Ferienbuchung zwei Monate abgerechnet werden können, bei 15 Tagen jedoch nur ein Monat.
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Das Argument, der Kläger verfüge nicht über juristischen Sachverstand und habe daher derartige Angaben gemacht, vermag ihn nicht zu entlasten. Denn bei Unklarheiten wäre es in seinen Verantwortungsbereich gefallen, sich (externen) juristischen Sachverstands zu bedienen. Ansonsten könnten hier grobe Sorgfaltspflichtverletzungen im wesentlichen nur Juristen zur Last gelegt werden.
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Gegen den Kläger spricht auch, dass nach Aussage des für die Belegprüfungen zuständigen Landratsamts * der Hort eines anderen Trägers in * durchaus in der Lage war, korrekte Buchungszeiten anzugeben. Soweit ersichtlich, ist die systematische Angabe fiktiver Buchungszeiten bayernweit nur beim Kläger und seinen Schwesterorganisationen vorgekommen.
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Die Sorgfaltspflichtverletzung wird nicht dadurch gemindert, dass der Beklagte und das Landratsamt * über das Hortkonzept informiert waren. Denn die Vorlage des Hortkonzepts erfolgte im Verfahren zur Erteilung der Betriebserlaubnis. Im Rahmen dieses Verfahrens ging es jedoch nicht um die konkrete Vornahme von Buchungen, sondern um andere Aspekte.
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c) Die Rücknahme war auch nicht ermessensfehlerhaft. Wie bereits dargelegt, war das Rücknahmeermessen vorliegend auf Null reduziert (BayVGH, B.v. 1.10.2015 - 12 ZB 15.1698 - juris).
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d) Die Bewilligungsbescheide wurden innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zurückgenommen. Danach muss die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Hierzu gehören jedenfalls die Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsakts ergibt. Frühestens beginnt die Frist nach erfolgter Anhörung (BSG, U.v. 7.7.2000 - B 7 AL 88/99 R - NJOZ 2001, 121). Die Stellungnahme des Klägers im Rahmen der Anhörung erfolgte vorliegend mit Schreiben vom 21. August 2018, so dass die am 4. Oktober 2018 erfolgte Rücknahme die Jahresfrist in jedem Fall wahrte.
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e) Der Umstand, dass der Zeitraum zur Belegprüfung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AVBayKiBiG fünf Jahre umfasst, wirkt sich auf Rechte des Klägers nicht aus. Die Begrenzung auf fünf Jahre dient nur der Aufgabenbegrenzung der Bewilligungsbehörden. Träger, die sich z. B. Leistungen aufgrund falscher Angaben erschlichen haben, können sich auf die zeitliche Befristung des Prüfauftrags nicht berufen. Es handelt sich dabei um keine Schutzvorschrift für Träger, die auf rechtswidrige Weise Fördermittel erhalten haben (Dunkl in Dunkl/Eirich, BayKiBiG, April 2020, Erl. 2.2 zu § 23 AVBayKiBiG). Die Vorschrift soll dem Träger keine individuelle Rechtsposition vermitteln, auf die er sich zu seinen Gunsten berufen kann.
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4. Da die Bewilligungsbescheide somit zu Recht gemäß § 45 SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG zurückgenommen wurden, konnten auch die gewährten Fördermittel gemäß § 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 23 Absatz 4 Satz 1 AVBayKiBiG zurückgefordert werden. Die Berechtigung zur Erhebung von Zinsen und deren Berechnung folgt aus § 50 Abs. 2a SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG. Dass der Beklagte nicht auf die Zahlung von Zinsen nach § 50 Abs. 2a Satz 2 SGB X verzichtet hat, war aufgrund der festgestellten Sorgfaltspflichtverletzung nicht ermessensfehlerhaft.
II.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfrei.
III.
54
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.