Inhalt

OLG München, Urteil v. 29.04.2020 – 7 St 9/19 (4)
Titel:

Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland - Konkurrenz zwischen Mitgliedschaft und weiteren konkret begangenen Straftatenaten

Normenketten:
VStGB § 1 S. 1, § 9 Abs. 1
KrWaffKontrG § 1 Abs. 1
StGB § 51 Abs. 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 53 Abs. 1, § 129a, § 129b
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Maßgeblich für die Strafbarkeit einer Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (hier: IS) sind deren Betätigungs-handlungen für die Vereinigung, wobei es keinen prinzipiellen Unterschied macht, ob sie die Ziele der Vereinigung durch unterstützende Handlungen für ihren Ehemann in dessen Funktion als Kämpfer oder als Krankenpfleger förderte.       (Rn. 63) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als Mitglied einer terroristischen Vereinigung beteiligt sich jemand, der sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Vereinigung entfaltet. Dafür ist eine auf Dauer oder zumindest auf längere Zeit angelegte Teilnahme am Verbandsleben und eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation notwendig.  (Rn. 92 – 99) (redaktioneller Leitsatz)
3. Beteiligungshandlungen können auch darin bestehen, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten, weshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation ausreicht.  (Rn. 92 – 99) (redaktioneller Leitsatz)
4. Demgegenüber ist das bloße Leben im Herrschaftsbereich einer terroristischen Organisation für sich nicht als Beteiligung anzusehen, ebensowenig wie eine bloß formale oder passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitglied-schaft.   (Rn. 92 – 99) (redaktioneller Leitsatz)
5. Zwischen einer Straftat, die ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung in Verfolgung derer Ziele begeht und dem darin liegenden Verstoß gegen §§ 129a, 129b StGB besteht Tateinheit. Für das Konkurrenzverhältnis zwischen der als Mitglied begangenen sonstigen Straftaten und weiteren Beteiligungsakten (wie waffenrechtlicher Verstöße, Kriegsverbrechen gegen das Eigentum u.a.) kommt es darauf an, in welchem Verhältnis diese untereinander stehen. (Rn. 108 und 109) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
ausländische terroristische Vereinigung, Mitgliedschsft, Islamischer Staat, IS-Kämpfer, Krankenpfleger, Kriegsverbrechen, Kriegswaffen, Konkurrenzen
Fundstelle:
BeckRS 2020, 28596

Tenor

I. Die Angeklagte ist schuldig der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen das Eigentum und in einem Fall in Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen.
II. Die Angeklagte wird deshalb zur Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.
III. Die Freiheitsentziehung, die die Angeklagte in der Zeit vom 20. August 2017 bis 26. April 2018 im Irak erlitten hat, wird im Verhältnis 1 zu 3 auf die Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet.
IV. Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewandte Vorschriften: § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB, § 9 Abs. 1 Alt. 3 VStGB, § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG, §§ 51, 52, 53 StGB.

Entscheidungsgründe

A. Vorbemerkung
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Das Verfahren betrifft eine zum Islam konvertierte deutsche Staatsangehörige, die gemeinsam mit ihrem Ehemann nach islamischem Ritus, dem anderweitig verfolgten Deniz B., in das Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staats“ (im Folgenden: IS) ausreiste, um sich dieser terroristischen Vereinigung als Mitglied anzuschließen. Die Angeklagte betätigte sich für die Vereinigung in erster Linie als Ehefrau des Deniz B., der dem IS als Kämpfer diente. Beide hielten sich von März 2016 bis August 2017 in den vom IS besetzten Städten Mossul und Tal Afar auf irakischem Staatsgebiet auf. Sie übten die tatsächliche Gewalt über vom IS zur Verfügung gestellte Kriegswaffen aus und eigneten sich von Geflüchteten verlassene Häuser an, welche ebenfalls vom IS zur Verfügung gestellt wurden. Mit der Einnahme von Tal Afar durch die Anti-IS-Koalition am 20. August 2017 flüchteten die Angeklagte und Deniz B. und ergaben sich in der Nähe der Stadt kurdischen Einheiten. In der Folge wurden sie in einem Gefängnis der kurdischen Sicherheitskräfte in Erbil im Irak inhaftiert. Von dort wurde die Angeklagte am 26. April 2018 von Beamten des Bundeskriminalamts nach Deutschland zurückgebracht. Zuvor hatte sich die Angeklagte schon einmal bei ihrem vormaligen Ehemann nach islamischem Ritus von Dezember 2013 bis zu dessen Tod bei Kampfhandlungen im Januar 2014 in Syrien im Herrschaftsgebiet des IS aufgehalten.
2
Die Angeklagte ist weitgehend geständig. Eine verfahrensbeendende Absprache hat nicht stattgefunden.
B. Inhaltsverzeichnis
...
C. Prozessgeschichte
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Das Verfahren gegen die Angeklagte wurde ab April 2016 zunächst vom Polizeipräsidium S. wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a StGB geführt, nachdem sich Anhaltspunkte dafür ergeben hatten, dass die Angeklagte gemeinsam mit Deniz B. im März 2016 nach Syrien und in den Irak ausgereist war, um sich dort dem bewaffneten Kampf oder einer Terrororganisation anzuschließen. Am 4. Oktober 2017 wurde das Verfahren durch den Generalbundesanwalt übernommen und am selben Tag Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland beantragt. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2017 (2 BGs 936/17) abgelehnt. Auf die Beschwerde des Generalbundesanwalts vom 7. Dezember 2017 wurde die Entscheidung des Ermittlungsrichters durch den 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 22. März 2018 (StB 32/17 = NStZ-RR 2018, 206) bestätigt, weil das alltägliche Leben im „Kalifat“ keine mitgliedschaftliche Betätigung für den IS darstelle und insoweit kein dringender Tatverdacht vorliege. Ein am 29. März 2018 vom Generalbundesanwalt gestellter Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses wurde durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 4. April 2018 (2 BGs 208/18) ebenfalls zunächst abgelehnt. Auf die Beschwerde des Generalbundesanwalts vom 19. April 2018 wurde die Durchsuchung mit Beschluss des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Juni 2018 (StB 10/18) angeordnet, da jedenfalls ein Anfangsverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung beim IS gegeben sei. Die Durchsuchungsmaßnahmen - auch aufgrund des weiteren Durchsuchungsbeschlusses vom 25. Juli 2018 (2 BGs 583/18) - wurden am 26. Juli 2018 durchgeführt. Am 25. Juli 2019 wurde durch den Generalbundesanwalt erneut der Erlass eines Haftbefehls gegen die Angeklagte beantragt, der nunmehr am 26. Juli 2019 durch den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (2 BGs 504/19) erlassen, mit Beschluss vom 29. Juli 2019 (2 BGs 508/19) berichtigt und mit Beschluss vom 6. August 2019 (2 BGs 536/19) in Vollzug gesetzt wurde. Durch weiteren Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 3. September 2019 (2 BGs 637/19) wurde der Haftbefehl gegen Auflagen wieder außer Vollzug gesetzt. Unter dem 6. Dezember 2019 wurde durch den Generalbundesanwalt Anklage zum Oberlandesgericht München erhoben, die dort am 11. Dezember 2019 einging. Mit Verfügung des Vorsitzenden des 7. Strafsenats vom 12. Dezember 2019 wurde die Anklage den Verfahrensbeteiligten zugestellt. Mit Beschluss vom 29. Januar 2020 ließ der 7. Strafsenat die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren.
D. Feststellungen
I. Zur Person
1. Persönlicher Werdegang
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Die Angeklagte S1. A1. H. wurde am 10. März 1987 in A. geboren und wuchs als einziges Kind im Haushalt ihrer Eltern in K. in der Nähe von Aschaffenburg und Frankfurt am Main auf. Der verstorbene Vater der Angeklagten, ein türkischer Staatsangehöriger, arbeitete als Busfahrer, die Mutter betreibt als Friseurmeisterin bis heute ein Friseurgeschäft. Als die Angeklagte 16 Monate alt war, trennten sich ihre Eltern, und sie wuchs weiter bei der alleinerziehenden Mutter in gesicherten finanziellen Verhältnissen auf. Im Alter von drei bis sechs Jahren besuchte die Angeklagte den Kindergarten in K., wurde anschließend eingeschult und wechselte nach der Grundschule auf das Gymnasium in A. Da die Angeklagte nicht bereit war, die für den Besuch des Gymnasiums erforderlichen Anstrengungen zu erbringen, wechselte sie in der siebten Jahrgangsstufe auf die Realschule in A. In dieser Zeit entwickelten sich zwischen der Angeklagten und ihrer Mutter, von der sie sich nicht ausreichend wertgeschätzt und vernachlässigt fühlte, zunehmend Konflikte. Nachdem die Mutter der Angeklagten eine neue Beziehung eingegangen war, aus der ein rund zehn Jahre jüngerer Stiefbruder hervorging, verschärften sich diese Auseinandersetzungen. Der neue Stiefvater der Angeklagten verhielt sich gewalttätig gegenüber der Angeklagten, die er oft grundlos beleidigte und schlug. Bei der Angeklagten stellte sich in dieser Zeit eine große Unzufriedenheit mit ihrem Leben ein, welche sich - auch im Schulalltag - in einem renitenten Verhalten äußerte. So störte und schwänzte die Angeklagte häufig den Unterricht und provozierte die Lehrer. In der Folge musste die Angeklagte deshalb nach einem Jahr auf eine andere Realschule und anschließend in kurzen Abständen auf zwei weitere Privatschulen wechseln, wobei sie eine Klasse wiederholte. In dieser Zeit unternahm die Angeklagte auch einen Suizidversuch durch Einnahme von Tabletten, in dessen Folge ihr der Magen ausgepumpt werden musste und sie einige Tage stationär im Krankenhaus verbrachte. Außerdem ritzte sich die Angeklagte die Unterarme und Beine, um ihre psychischen Spannungen abzubauen. Im Alter von 17 Jahren beendete die Angeklagte ihre schulische Laufbahn ohne Abschluss und absolvierte anschließend zunächst zweieinhalb Jahre lang erfolgreich eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und dann eine weitere Ausbildung zur Altenpflegerin, die sie im Jahre 2009 ebenfalls erfolgreich abschloss. Im Anschluss arbeitete die Angeklagte etwa eineinhalb bis zwei Jahre bei einem ambulanten Pflegedienst in Frankfurt. Nach einem schweren unverschuldeten Verkehrsunfall gab die Angeklagte diese Tätigkeit auf, weil sie nicht mehr die erforderlichen langen Autofahrten unternehmen wollte und ihr Verdienst gering war, und begann eine Tätigkeit als Altenpflegerin in einem Pflegeheim in Hanau. In dieser Zeit unterhielt die Angeklagte ihre erste dauerhafte Beziehung zu einem Mann, Ali Al K., welche dieser beendete, nachdem er die Angeklagte unter einem Vorwand dazu gebracht hatte, für ihn einen Kredit über 10.000 Euro aufzunehmen. Den Gesamtbetrag hatte Al K. jedoch absprachewidrig für eine andere Frau verwendet. Seitdem die Angeklagte im August 2013 ihren ersten Ehemann nach muslimischem Recht, …, kennengelernt hatte und erstmals nach Syrien ausgereist war, nahm sie keine weitere Berufstätigkeit mehr auf.
2. Religiöse Radikalisierung
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Die Angeklagte wurde zunächst von ihrer Mutter im christlichen Glauben erzogen und betätigte sich in ihrer Gemeinde auch eine Zeitlang als Messdienerin, bevor im jugendlichen Alter die religiöse Einstellung für sie an Bedeutung verlor. Im Zusammenhang mit einem Schulprojekt über den Islam befasste sich die Angeklagte im Jahr 2008 erstmals mit dem muslimischen Glauben und besuchte aus diesem Anlass gemeinsam mit drei Mitschülerinnen auch eine Moschee in Hanau. Die warmherzige Art, mit der die Schülerinnen dort empfangen wurden, beeindruckte die Angeklagte stark. In der Folge befasste sich die Angeklagte mit einer Freundin intensiver mit dem Islam und besuchte unter anderem zwei Veranstaltungen des Salafistenpredigers … in Hanau. Am Ende der zweiten Veranstaltung sprach die Angeklagte auf offener Bühne das muslimische Glaubensbekenntnis nach und konvertierte damit zum Islam. Dieses Ereignis empfand die Angeklagte als sehr beglückend. Nachdem die Angeklagte wenig später ihre Ausbildung zur Altenpflegerin abgeschlossen hatte, arbeitete sie in dem muslimisch geführten Pflegedienst „Grüner Halbmond“ und hatte dort überwiegend Kontakt mit muslimischen Pflegebedürftigen, deren warmherziger Umgang die Angeklagte wiederum tief beeindruckte. Während dieser Zeit begann die Angeklagte regelmäßig die islamischen Gebetsriten einzuhalten und ein Kopftuch zu tragen, was sie jedoch vor ihrer Mutter und dem dörflichen Umfeld ihres Wohnortes verheimlichte. Nach der Trennung von Ali Al K. fand die Angeklagte Halt im Gebet und in ihrem Glauben. Im Jahre 2013 besuchte die Angeklagte eine Großkundgebung von … in Frankfurt und lernte dort eine deutsche Konvertitin mit dem Namen … kennen, welche die Angeklagte für den Jihad begeisterte und sie zur Ausreise nach Syrien zum islamischen Staat (IS) zu bewegen versuchte. Mit … sprach die Angeklagte auch über ihre Sehnsucht nach einer neuen Beziehung, und in der Folge stellte … einen Kontakt zwischen der Angeklagten und … her, der sich zu dieser Zeit bereits in Syrien auf dem Gebiet des IS aufhielt. Nachdem die Angeklagte sich einige Zeit über Internet mit … ausgetauscht und sich hierbei in diesen verliebt hatte, heiratete sie ihn nach islamischem Ritus im Oktober 2013 „am Telefon“. Kurze Zeit später reiste die Angeklagte gemeinsam mit einer weiteren Muslima über die Türkei nach Syrien aus, um dort, im Grenzgebiet zur Türkei, mit …, der sich als Kämpfer für den IS verdingte, zu leben. In diesem Zusammenhang entstand unter anderem ein Video, welches den mit einem Sturmgewehr AK 47 bewaffneten … zeigt, der Schießübungen macht und dabei erklärt: „So bereite ich mich mit meiner Frau auf die dreckigen Kuffar in Deutschland vor. Nehmt euch in Acht! Im Namen Gottes: Gott ist groß. Merkel, du bist die Nächste, du bist die Nächste! Gott ist groß!“ In einem anderen Video ist … ebenfalls bei Schießübungen zu erkennen und erklärt dazu: „Salam aleikum, mein Schatz. Ich bin hier, um diesen dreckigen Kuffar in Deutschland zu zeigen, dass wenn ich nach Deutschland müsste, möge Allah mich davon fernhalten, was ich mit denen anrichte, inshallah!“ Nachdem … Anfang 2014 bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen war, kontaktierte die Angeklagte dessen Familie in Deutschland, die sie bis dahin nicht kannte, und bat den Vater des …, den Zeugen Ahmet S., sie nach Deutschland zurückzuholen. Da Ahmet S. damit rechnete, dass die Angeklagte von … schwanger sein könnte - was tatsächlich nicht der Fall war -, reiste er ins syrisch-türkische Grenzgebiet, holte die Angeklagte dort ab und brachte sie nach Deutschland zurück. Bei ihrer Einreise am 20. Januar 2014 wurden die genannten Videos auf dem Mobiltelefon der Angeklagten sichergestellt. In der Folge beherbergte Ahmet S. die Angeklagte zwei Monate lang in seiner Familie, bevor sie anschließend wieder bei ihrer Mutter einzog. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland erfuhr die Angeklagte in den salafistischen Kreisen in Frankfurt, in denen sie verkehrte, als Witwe eines „IS-Märtyrers“ hohe Anerkennung und Wertschätzung, was sie genoss und in ihrer Hinwendung zum fundamentalistischen Islam bestärkte. Andererseits fühlte sich die Angeklagte, die mittlerweile in der Öffentlichkeit den Nikab trug, zunehmend von der Gesellschaft und auch von ihrer Mutter wegen ihres Glaubens abgelehnt und ausgegrenzt, weshalb der Wunsch in ihr reifte, Deutschland wieder zu verlassen, und in einem islamischen Land eine neue Heimat zu finden. Anfang 2015 lernte die Angeklagte den anderweitig Verfolgten Deniz B. kennen, der bereits vor mehreren Jahren zum Islam konvertiert und ebenfalls Anhänger des Salafismus war. Im Mai 2015 heiratete die Angeklagte Deniz B. nach islamischem Ritus in einer Moschee in Offenbach und lebte fortan mit ihm zusammen nach den Regeln des Islam. Zu dieser Zeit befassten sich die Angeklagte und Deniz B. intensiv mit dem Gedanken einer Ausreise zum IS, über den sie sich unter anderem mittels im Internet kursierender Propagandavideos informierten.
3. Psychische Verfassung
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Die Angeklagte leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung nach ICD-10: F 33.0. Erste Anzeichen hierfür traten bereits im Alter von zwölf Jahren auf, als die Angeklagte mit Medikamenten ihrer Mutter einen Suizidversuch unternahm. Im Jahr 2011 suchte die Angeklagte wegen ihrer depressiven Verstimmungen erstmals eine ambulante Therapie in einer Klinik in Aschaffenburg auf, von wo sie in eine psychosomatische Klinik überwiesen wurde, in der sie sich sechs Wochen lang stationär aufhielt. Ein zweiter stationärer Aufenthalt erfolgte für eine Dauer von drei Wochen Ende 2018 in einer Klinik in Bad Mergentheim. Depressive Verstimmungen kompensiert die Angeklagte nach wie vor insbesondere durch übermäßiges Essen. Darüber hinaus verfügt die Angeklagte über eine deutlich akzentuierte Persönlichkeit vom Borderline-Typus, was sich in emotionaler Instabilität, einer eingeschränkten Impulskontrolle und dem Bedürfnis, sich in Beziehungen unterzuordnen, äußert. Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigte die Angeklagte im Nachgang ihrer Erlebnisse im Kriegsgebiet des IS nicht.
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Im Übrigen ist die Angeklagte, abgesehen von einer Übergewichtigkeit, im Wesentlichen gesund. Sie trinkt keinen Alkohol und konsumiert keine Betäubungsmittel. Ihr lange zurückliegender Umgang mit solchen Substanzen beschränkt sich auf gelegentliches Probierverhalten während der Zeit ihrer Ausbildung.
4. Vorangegangene Straffälligkeit und Hafterfahrung
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Gegen die Angeklagte wurde nach ihrer (ersten) Ausreise nach Syrien im Jahr 2013 von der Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren wegen Ausreise zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat geführt (Az. 6120 Js 207596/14), welches mit Verfügung vom 20. Mai 2015 wegen nicht zu erbringenden Tatnachweises eingestellt wurde.
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Im Übrigen ist die Angeklagte strafrechtlich nicht vorgeahndet.
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Im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Tatvorwurf befand sich die Angeklagte vom 20. August 2017 bis 26. April 2018 in Haft in der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Zunächst war sie für einige Tage in einem Gefängnis in Dohuk, wo sie unter Bedrohungen durch die kurdischen Sicherheitskräfte und in ständiger Angst um ihr Leben auf engstem Raum mit einer Vielzahl anderer Terrorverdächtiger lebte, anschließend bis zu ihrer Rückführung nach Deutschland in einem Gefängnis in Erbil. Die Angeklagte war dort in einem Gefängnis für Terrorverdächtige gemeinsam mit rund 60 anderen Frauen und Kindern in einem etwa 50-60 Quadratmeter großen fensterlosen Raum, welcher 24 Stunden am Tag künstlich erleuchtet war und in dem sie auf einer Matratze auf dem Boden schlief, untergebracht. Sie musste sich mit den anderen Insassen drei verschmutzte Toiletten teilen. Die Verhältnisse waren unhygienisch, die medizinische Versorgung unzureichend. Gemeinsam mit der Angeklagten hielten sich in dem Gefängnis ihre Kinder Ju., bis zu dessen Abholung durch den Zeugen Ö. am 25. Januar 2018, und Ja., den sie am 10. Januar 2018 im Gefängnis unter unzureichenden hygienischen und medizinischen Verhältnissen zur Welt brachte, auf. Unter anderem wurde bei der Angeklagten ein Dammschnitt vorgenommen, der ohne Betäubung genäht wurde. Die beiden Kinder hatten kein kindgerechtes Umfeld zur Verfügung und litten an verschiedenen Infektionskrankheiten; die Angeklagte war in ständiger Sorge um ihr Wohlergehen.
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Vom 6. August 2019 bis 3. September 2019 befand sich die Angeklagte in Untersuchungshaft in der JVA Würzburg aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. Juli 2019 (2 BGs 504/19). Mit Beschluss vom 3. September 2019 (2 BGs 637/19) wurde der Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.
5. Nachtatverhalten und Deradikalisierung
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Unmittelbar nach ihrer Ankunft am 26. April 2018 in Frankfurt am Main erklärte die Angeklagte gegenüber dem Zeugen KHK Wi. und einem weiteren Beamten der örtlich zuständigen KPI Unterfranken, KHK Se., an den geplanten Maßnahmen des bayerischen Deradikalisierungsprogramms teilnehmen zu wollen. In der Folgezeit traten Mitglieder der salafistischen Szene Hessens mit der Angeklagten, unter anderem in Form von Besuchen und Geschenken für die Kinder, in Kontakt. Nach einer entsprechenden Empfehlung der Mitarbeiter des Deradikalisierungsprogramms beendete die Angeklagte diese Kontakte. Auch im Übrigen verhielt sich die Angeklagte gegenüber den Mitarbeitern des Deradikalisierungsprogramms uneingeschränkt einsichtig und kooperativ. Außerdem arbeitete sie mit dem Violence Prevention Network ihre Erlebnisse auf. Aufgrund ihrer depressiven Phasen erhielt sie zudem psychologische Unterstützung. Außerdem nahm die Angeklagte Hilfsangebote des Jugendamts an. Alle gerichtlichen Auflagen nach der Außervollzugsetzung ihres Haftbefehls am 3. September 2019 erfüllte die Angeklagte zuverlässig. Seit Juni 2019 trägt die Angeklagte kein Kopftuch mehr, obwohl sie sich immer noch dem islamischen Glauben zugehörig ansieht. Aufgrund ihrer vollzogenen Abkehr von der salafistischen Szene befürchtet die Angeklagte, Opfer von Repressalien zu werden. Für die Zukunft möchte die Angeklagte weiter am Deradikalisierungsprogramm teilnehmen und in absehbarer Zeit, soweit die Sorge für ihre Kinder das zulässt, wieder eine berufliche Tätigkeit aufnehmen.
II. Zur Sache
1. Tathandlungen der Angeklagten
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Die Angeklagte S1. A1. H. war seit 2012 Anhängerin des salafistischen Islams und pflegte Kontakte zu diversen Personen des salafistisch-jihadistischen Spektrums. In überwachten Telefonaten verdeutlichte sie ihre Abneigung gegen die westliche Gesellschaft und beschrieb den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) als einzig wahre Organisation. Bereits am 31. Oktober 2013 war die Angeklagte erstmalig zu ihrem damaligen Ehemann nach islamischem Ritus, dem verstorbenen …, nach Syrien zum IS ausgereist und nach dem Tod Soyers bei Kampfhandlungen am 20. Januar 2014 nach Deutschland zurückgekehrt.
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Anfang März 2016 reiste sie ihrer Ideologie folgend gemeinsam mit dem anderweitig verfolgten Deniz B. erneut in das Herrschaftsgebiet des IS aus, um sich dieser terroristischen Vereinigung anzuschließen und sich am Kampf gegen das Assad-Regime sowie an der Ausbreitung eines religiös-fundamentalistischen islamischen Staates nach den Regeln der Scharia zu beteiligen. Zu diesem Zweck beschafften sich die Angeklagte, die sich mittlerweile … nannte, und B. rund 7.000 Euro, unter anderem durch die Veräußerung von Vermögenswerten, holten über Facebook und Internetkontakte zu anderen IS-Mitgliedern Informationen zu Reisemöglichkeiten zum IS und die dortigen Lebensverhältnisse ein und machten eine Kontaktperson ausfindig. Am 1. März 2016 flogen die Angeklagte und B., die zur Verschleierung ihrer Absichten auch einen Rückflug gebucht hatten, in die Türkei nach Antalya, begaben sich dort in ein Hotel und warteten auf weitere Anweisungen. Nachdem sie per SMS eine Aufforderung erhalten hatten, sich eine örtliche SIM-Karte zu besorgen, wurde ihnen jeweils telefonisch mitgeteilt, sich mit dem Bus in die Grenzstadt Gaziantep und dort mit dem Taxi zu einem Treffpunkt zu begeben, wo sie von Schleusern in Empfang genommen wurden und mehrere Tage mit anderen Ausreisenden getrennt voneinander in einer Unterkunft warteten. Von dort wurden sie schließlich von einem Schleuser zu Fuß über die Grenze nach Syrien gebracht. Dort wurden sie von einem bewaffneten Mann empfangen, von dem sie sich mit dem Auto in eine vom IS kontrollierte Stadt, vermutlich Aleppo, bringen ließen. Die Angeklagte und Deniz B. wurden dort getrennt voneinander vom IS in einem Männer- bzw. Frauengästehaus untergebracht. Ihre Ausweispapiere gaben sie ab. Zwei Tage später wurden die beiden mit ihrem Einverständnis von einem Schleuser in einem Kleinbus in das ebenfalls zu diesem Zeitpunkt vom IS kontrollierte Raqqah gefahren, wo sie erneut getrennt voneinander in Gästehäusern des IS unterkamen. Schließlich ließ sich das Paar wenige Tage später von IS-Mitgliedern nach Mossul bringen, wo die Angeklagte H. in einem Gästehaus des IS für Frauen untergebracht wurde, wo sie auf weitere Weisungen durch den IS wartete, während Deniz B. eine etwa zweiwöchige ideologische und militärische Ausbildung durchlief. Während dieser Zeit erhielt die Angeklagte bereits finanzielle Zuwendungen vom IS. Gegenüber ihren Familien verschleierten die Angeklagte und B. den Zweck ihrer Reise, indem sie vorgaben, sich auf einer Pilgerreise oder einem Studienaufenthalt in Medina zu befinden (Fall 1).
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Nach Abschluss dieser Ausbildung bezogen B. und die Angeklagte im März 2016 zunächst eine Wohnung im Haus des aus Frankfurt stammenden gesondert verfolgten IS-Mitglieds Dominic Alexander R. alias … in Mossul, die dieser ihnen kostenlos zur Verfügung stellte. Außerdem trat R. für die Angeklagte und B. gegenüber dem IS, wie von der Organisation gefordert, als Bürge auf. In dieser Wohnung, in der auch eine Flagge des IS hing, bewahrte B., der im Zuge seiner Ausbildung vom IS bewaffnet worden war, zwei Kriegswaffen vom Typ Kalaschnikow AK 47 auf, auf welche die Angeklagte H., soweit die Waffen nicht von B. benutzt wurden, ungehindert Zugriff hatte. Die genannten Waffen, später auch ein Schnellfeuergewehr Typ COLT AR 15/M 16 und ein Sprengstoffgürtel, standen B. über den gesamten Zeitraum seines Aufenthalts auf dem Gebiet des IS bis zur Flucht im August 2017 zur Verfügung. Entsprechend hatte auch die Angeklagte H. während dieses Zeitraums immer wieder ungehinderten Zugriff auf die genannten Schusswaffen. Der Tagesablauf gestaltete sich so, dass der anderweitig Verfolgte B. in der Regel morgens bewaffnet und in militärischer Kleidung die Wohnung verließ, tagsüber für den IS als Kämpfer eingesetzt war und abends nach Hause zurückkehrte. Teilweise war B. aber auch mehrere Tage am Stück außer Haus. Die Angeklagte H. besorgte in der Abwesenheit B.s den Haushalt, ging Einkaufen, nähte Kleidung, bereitete die Mahlzeiten zu und verrichtete ihre Gebete. Für ihre Tätigkeiten für den IS erhielt B. für sich und die Angeklagte vom IS Versorgungsleistungen in Höhe von jeweils 50 USD je Familienmitglied, mithin gemeinsam 100 USD, die die Angeklagte H. für den Bedarf des täglichen Lebens verwendete. Nachdem es zu Spannungen mit R. gekommen war, mussten B. und die Angeklagte H. die Wohnung verlassen und bezogen in der Folge eine von ihnen angemietete Wohnung in einem anderen Stadtteil von Mossul (Fall 2).
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Mitte 2016 kam es zu vermehrten Angriffen der Anti-IS-Koalition auf Mossul. Wegen der Gefährlichkeit der dortigen Lage zogen Deniz B. und die Angeklagte H. deshalb im Juli 2016 mit Unterstützung anderer IS-Mitglieder von Mossul nach Tal Afar. Sie bezogen dort ein einfaches Haus, welches ihnen durch Vermittlung des IS-Mitglieds Abu M. von einem vom IS betriebenen „Amt für Immobilien“ zugeteilt und kostenfrei zur Verfügung gestellt worden war. Bei diesem Haus, das über eine voll ausgestattete Küche verfügte, handelte es sich um das Eigentum nicht näher identifizierter Personen, die das Gebäude nach der Gebietsübernahme durch den IS und ihrer Flucht vor der Terrororganisation zurückgelassen hatten, was die Angeklagte H. und B. zumindest billigend in Kauf nahmen. Indem die Angeklagte und B. das Haus durch den Austausch des Türschlosses und Bezug in Besitz nahmen, festigten sie zugleich den betreffenden Herrschafts- und Verfügungsanspruch des IS. In Tal Afar setzte B. seine Tätigkeit für den IS fort und die Angeklagte H. führte weiterhin den gemeinsamen Haushalt. Am 2. November 2016 brachte die Angeklagte H. in Tal Afar einen gemeinsamen Sohn zur Welt, den sie und B. zunächst Jundullah nannten, was „Soldat Gottes“ bedeutet, und später in Ju. umbenannten. In der Folge war insbesondere die Angeklagte H. auch für dessen Betreuung verantwortlich. Im Dezember 2016 zog die Familie aufgrund der wieder näherrückenden Kämpfe und einer Versetzung von B. zurück nach Mossul, wo sie in einem ehemaligen vom IS besetzten Krankenhaus unterkam. Bereits Ende Februar zog die Familie aufgrund der Sicherheitslage wieder zurück nach Tal Afar, wo sie rund einen Monat im Haus des Abu M. wohnte (Fall 3).
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Etwa Ende März 2017 erhielten B. und die Angeklagte H. erneut in Tal Afar ein eigenes Haus zur kostenlosen Nutzung durch den IS zugewiesen. Dieses großzügige zweistöckige Anwesen befand sich am Rande von Tal Afar, war möbliert und verfügte unter anderem über eine moderne Küche. Auch bei diesem Haus handelte es sich um das Eigentum nicht näher identifizierter Personen, die das Gebäude nach der Gebietsübernahme durch den IS und ihrer Flucht vor der Terrororganisation zurückgelassen hatten, was die Angeklagte H. und B. zumindest billigend in Kauf nahmen. Indem die Angeklagte und B. das Haus in Besitz nahmen, festigten sie zugleich den betreffenden Herrschafts- und Verfügungsanspruch des IS. In diesem Haus wohnten die Angeklagte und ihr Ehemann mit dem gemeinsamen Kind bis zu ihrer Flucht Mitte August 2017, während sie weiter ihren Tätigkeiten für den IS nachgingen (Fall 4).
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Am 20. August 2017 ergaben sich die Angeklagte H. und Deniz B. gemeinsam mit ihrem Sohn unweit von Tal Afar, das an diesem Tag von der Anti-IS-Koalition eingenommen wurde, den kurdischen Peschmerga. In der Folge wurden sie nach Erbil in den Nordirak verbracht und dort wegen Verdachts der Mitgliedschaft beim IS inhaftiert. Am 10. Januar 2018 gebar die Angeklagte H. im Gefängnis in Erbil einen weiteren gemeinsamen Sohn namens Ja. Am 26. April 2018 kehrte sie in Begleitung von Beamten des Bundeskriminalamts aus dem Irak nach Deutschland zurück. Deniz B. wurde im Februar oder März 2020 wegen seiner Mitgliedschaft beim IS von einem Gericht im Irak zur Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 1 Monat verurteilt. Er befindet sich weiterhin im Gewahrsam irakischer oder kurdischer Behörden.
2. Terrororganisation „Islamischer Staat“
a. Allgemeine Entwicklung und Bedeutung
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Der „Islamische Staat“ ist eine Organisation mit militant-islamistischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, jedenfalls einen das Gebiet des Irak und die historische Region „As-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jo.ien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ zu errichten. Wer sich den Ansprüchen dieser Vereinigung widersetzt, wird als „Feind des Islam“ begriffen, dessen Tötung oder Einschüchterung durch Gewaltakte als legitimes Kampfmittel angesehen werden. Im April 2014 gelang es dem IS, Territorien insbesondere im Nordosten Syriens und im Nordwesten Iraks zu beherrschen. Ende Juni 2014 rief der offizielle Sprecher des IS in einer Botschaft das „Kalifat“ aus und erklärte, dass ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum „Kalifen“ ernannt worden sei. Er forderte die Muslime weltweit auf, dem „Kalifen“ Gehorsam zu leisten. Zudem verkündete er die Umbenennung der vormals als „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) benannten Organisation in „Islamischer Staat“. Neben militärischen Operationen und Attentaten im eigentlichen Operationsgebiet im Irak und in Syrien hat der IS immer wieder Anschläge in Europa verübt. Zu den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 und in Brüssel am 22. März 2016, bei denen jeweils auch deutsche Staatsangehörige zu Tode kamen, hat sich die Vereinigung ebenso bekannt wie zu dem Anschlag mit zwölf Toten und zahlreichen Verletzten am Breitscheidplatz in Berlin am 19. Dezember 2016.
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Die Entstehung und Entwicklung des IS steht in einem engen Zusammenhang mit dem seit Anfang 2011 sich entwickelnden syrischen Bürgerkrieg. Die in Syrien seit Anfang Februar 2011 gegen die Regierung von Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 auf Grund gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen und der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Schauplatz der Demonstrationen waren - ausgehend von der Stadt Dara‘a - zunächst vorwiegend ländliche Gebiete und kleine Städte im überwiegend sunnitisch besiedelten Zentrum, im Norden und Osten des Landes. In den folgenden Wochen und Monaten weiteten sich die zumeist friedlichen Aktionen der Opposition gegen das Regime aus, worauf die Regierung zunehmend repressiv und gewalttätig reagierte. Dies wiederum führte zu einer Militarisierung der Protestbewegung. Bis Ende 2011 entwickelten sich die Proteste zu einem bewaffneten Aufstand. Seine Träger organisierten sich in lokalen Gruppierungen, die keiner zentralen Kontrolle unterstanden. Die Rebellion weitete sich auf die beiden Großstädte Hama und Homs aus. Homs wurde bis zum Frühjahr 2012 zur ersten Hochburg des Aufruhrs. Anfang 2012 hatte der Aufstand weite Teile des Landes erfasst und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausgeweitet. Spätestens seit dieser Zeit liegt in Syrien ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt vor.
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Dem syrischen Regime mit offizieller Armee, Polizei, Sicherheitskräften und zivilen Milizen steht eine Vielzahl von kämpfenden Gruppierungen gegenüber, die mittlerweile zumeist islamistisch motiviert sind. Zu Beginn des Bürgerkrieges war auf Seiten der bewaffneten Opposition die Freie Syrische Armee (FSA) Hauptakteur, die als Dachvereinigung eine Vielzahl inhomogener Kampfverbände und Gruppierungen mit unterschiedlichsten Motivationslagen zu vertreten versuchte. Im Wege der zunehmenden Radikalisierung wurde die FSA von nunmehr dominierenden islamistischen Milizen bekämpft und aus einem Großteil der von ihr besetzten Gebiete verdrängt. Mit militärischer Unterstützung der Russischen Föderation und der Islamischen Republik Iran konnte das syrische Regime zwischenzeitlich die meisten Gebiete des Landes mit Ausnahme des Nordens zurückerobern. Im Rahmen der intensiv geführten kriegerischen Auseinandersetzungen wurden von allen Konfliktparteien schwerste Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen. Nach Berichten der unabhängigen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen für Syrien, von Nichtregierungsorganisationen sowie nach Medienberichterstattungen geht das syrische Regime bei der Bekämpfung der Aufständischen teilweise unter Einsatz international geächteter Waffen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor. Es fanden systematische Tötungen und Folterungen von gefangenen gegnerischen Kämpfern, aber auch von Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, statt. Auch aufständische Gruppierungen, vorwiegend islamistisch motivierte Kampfeinheiten, begingen wiederholt schwerste Verbrechen und Massaker an der Zivilbevölkerung sowie an gegnerischen Kämpfern.
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Seit 2012 beteiligte sich auch der „Islamische Staat Irak“ (ISI), der sich 2013 in „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ und am 29. Juni 2014 schließlich in „Islamischer Staat“ umbenannte, an dem Bürgerkrieg in Syrien und entwickelte sich zumindest vorübergehend zum wichtigsten und stärksten nichtstaatlichen Konfliktakteur. Ende Dezember 2013 fiel der ISIG von Syrien kommend im Irak ein und eroberte im Zuge einer militärischen Offensive die irakischen Städte Ramadi und die benachbarte Stadt Falludscha. Des Weiteren kam es in den ebenfalls im Gouvernement al-Anbar gelegenen Distrikten Haditha und Hit zu erheblichen Kampfhandlungen, bei denen jedoch die irakische Armee zunächst die Oberhand behielt. Von al-Anbar weitete sich der Konflikt rasch auf die benachbarten Gouvernements Babil und Salah ad-Din im Süden und Norden aus. Spätestens seit dieser Zeit herrscht auch im Irak ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt. Eine weitere Eskalation des Konflikts war mit der Offensive des ISIG im Juni 2014 verbunden, die sich gegen die Städte Samarra, Mossul und Kirkuk richtete. Der ISIG erlangte am 10. Juni 2014 die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die in der Folgezeit den zentralen Ort seiner Herrschaft im Irak darstellte. Ende Juni 2014 fiel auch Tikrit in die Hand des ISIG, während die Regierung die Kontrolle über Samarra wiedererlangte. Etwa gleichzeitig fanden auch im Gouvernement Diyala nordöstlich von Bagdad Kampfhandlungen statt, bei denen das irakische Militär auch die Luftwaffe einsetzte. Nach Ausrufung des Kalifats mit dem Namen „Islamischer Staat“ begann ab Anfang August 2014 die IS-Offensive zur Einnahme des Ortes Sindjar und des gleichnamigen Distrikts im Gouvernement Ninawa im Irak, die die Flucht und Vertreibung von über 200.000 dort lebenden Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Jesiden zur Folge hatte. Im Rahmen des von der IS-Führung zentral geplanten, angeordneten und überwachten Angriffs auf die Bevölkerung im Distrikt Sindjar wurden tausende, insbesondere jesidische Zivilisten getötet, verschleppt, versklavt und vergewaltigt.
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Der IS ging im Irak und in Syrien mit einer auch im Vergleich zu den anderen Konfliktakteuren extremen Brutalität vor. Gefangene gegnerische Kämpfer wurden in großer Zahl hingerichtet. Zu Propagandazwecken, aber auch zur Einschüchterung gegnerischer Kämpfer und der Zivilbevölkerung wurden von Hinrichtungen Videos gefertigt und im Internet veröffentlicht. Zur Demoralisierung der Gegner wurden Selbstmordattentäter gezielt gegen Zivilisten eingesetzt. Die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten wurde drangsaliert, wenn sie sich der Herrschaftsmacht des IS und dessen religiös bemäntelter Ideologie nicht bedingungslos unterwarf. Auch geringfügige Verstöße gegen die vom IS aufgestellten Regeln wurden mit drakonischen Strafen bis hin zur Vollstreckung der Todesstrafe geahndet. Zivilisten wurden gegen Luftangriffe als menschliche Schutzschilde missbraucht. Angehörige von Religionsgemeinschaften oder Glaubensrichtungen, die den Vorstellungen der radikal-sunnitischen Führung des IS von „Rechtgläubigkeit“ nicht entsprachen, wurden aufgrund zentraler Anordnung verfolgt, vertrieben, versklavt oder ermordet. Nichtsunnitische Kultstätten wurden systematisch zerstört.
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Zwischenzeitlich haben irakische und kurdische Kampfverbände mit Luftunterstützung westlicher Streitkräfte die vom IS im Irak besetzten Territorien zurückerobert. Im Januar 2015 vertrieben irakische Truppen den IS aus der Provinz Diyala. Im März und April folgte die Rückeroberung Tikrits. Kurz vor dem Jahreswechsel 2015/2016 fiel schließlich Ramadi an die irakische Armee zurück, aus dem Distrikt Sindjar wurde der IS Anfang 2016 endgültig verdrängt. Fallujah wurde im Juni 2016 befreit. Am 16. Oktober 2016 begannen irakische und kurdische Einheiten mit Unterstützung der sogenannten Anti-IS-Koalition die Rückeroberung Mossuls, welche im Sommer 2017 schließlich abgeschlossen war. Der hiesige Tatort Tal Afar wurde als letzte Hochburg des IS im Nordirak erst am 27. August 2017 durch irakische Truppen und ihre internationalen Verbündeten zurückerobert. Nichtsdestotrotz gelangen dem IS wiederholt asymmetrische Angriffe wie Sprengstoffanschläge auf Zivilisten in den irakischen Großstädten.
b. Aktivitäten des IS und Kriegshandlungen in Mossul und Tal Afar im Tatzeitraum
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In dem in Rede stehenden Tatzeitraum zwischen März 2016 und August 2017 entfaltete der IS in der nordirakischen Region Ninawa, insbesondere in den Gegenden in und um Mossul und Tal Afar namentlich folgende militärischen und terroristischen Aktivitäten:
März 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im März 2016 229 Mal an, darunter 92 Mal im Raum Mosul, und 12 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count“ und „Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED)” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 164 und 600 Menschen ums Leben. Am 4. März griffen IS-Kämpfer, unter anderem mit mehreren Selbstmordattentätern, Stellungen der Peschmerga in Kisik, Mount Badush und Eski Mossul, westlich von Mossul und in Tal al-Rim, südlich von Mossul, an. Am 25. März gelang es kurdischen, jesidischen und Stammesmilizen, die Gegenden um Umm al-Dhiban and Umm Jaris zwischen Sindschar und der irakisch-syrischen Grenze, vom IS zu befreien. Nach Angaben des IS töteten eine Autobombe und acht Sprengfallen am 26. März mindestens 50 kurdische Kämpfer in Umm al-Dhiban.
April 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im April 2016 270 Mal an, darunter 137 Mal im Raum Mossul, und 14 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count“ und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 189 und 588 Menschen ums Leben. Bei einem Luftschlag der Koalition auf ein Ausbildungszentrum des IS in der Altstadt von Mossul kamen am 5. April 50 IS-Mitglieder ums Leben. Am 18. April gelang es Stammesmilizen die Dörfer Barima and al-Nawaran, nordöstlich von Mossul zurückzuerobern. Am 8. April wurden vom IS 18 Zivilisten als vermeintliche Spione in Mossul hingerichtet, einige davon verbrannt und andere enthauptet. Am 20. April wurden fünf Zivilisten in der Mossuler Innenstadt wegen Verdachts der Homosexualität von einem hohen Gebäude gestoßen und getötet. Sieben weitere Zivilisten wurden am 27. April in Metallkäfigen ertränkt, wegen des Verdachts auf Kollaboration mit den irakischen Sicherheitskräften.
Mai 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Mai 2016 258 Mal an, darunter 137 Mal im Raum Mossul, und 31 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 347 und 408 Menschen ums Leben. Am 3. Mai griffen mehr als 100 IS-Kämpfer Peschmerga-Stellungen in Tal Asqaf im Norden Mossuls mit mindestens drei Autobomben, gepanzerten Fahrzeugen und Bulldozern an und erschossen mindestens einen US-Militärberater. Ein massiver Gegenangriff der Koalition mit über 30 Luftschlägen tötete bis zu 60 IS-Kämpfer. Am 18. Mai starben bei Gefechten zwischen Peschmerga und dem IS in der Nähe von Kisik über 60 Kämpfer auf beiden Seiten. Am 29. und 30. Mai nahmen Peschmerga-Kräfte mit Hilfe internationaler Luftunterstützung neun Dörfer östlich von Mossul ein und töteten bis zu 140 IS Kämpfer. Am 10. Mai wurden 45 IS-Kämpfer vom IS in Qayyarah hingerichtet (lebendig begraben), weil sie bei der Schlacht von Bashir geflohen waren. Am 14. Mai steinigten IS-Mitglieder 18 Männer und eine Frau wegen vermeintlichen Ehebruchs am Tor der Al-Zahra Moschee in Ost-Mossul (al-Tahreer) zu Tode.
Juni 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Juni 2016 250 Mal an, darunter 96 Mal im Raum Mossul, und 16 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 126 und 525 Menschen ums Leben. Am 3. Juni kam es zu Gefechten mit vielen Kämpfern in Wardak, 40km südöstlich von Mossul, bei dem mindestens ein Peschmerga Kämpfer und 17 IS-Mitglieder getötet wurden. Am 27. Juni griff die irakische Armee ein Hauptquartier des IS in Qayyarah an und tötete bei anschließenden Feuergefechten 15 IS-Mitglieder. Auch im Juni kam es wiederholt zu Hinrichtungen: Am 4. Juni richtete der IS 15 irakische Zivilisten in der Zitadelle von Tal Afar hin, die zuvor versucht hatten, in Richtung des Dorfes Hardan zu fliehen. Ebenfalls in der Provinz Ninawa richtete der IS am selben Tag 22 seiner eigenen Kämpfer hin, weil diese in Al Qayyarah fahnenflüchtig geworden waren. Am 6. Juni richtete der IS 65 Zivilisten in Mossul hin, darunter 19 jesidische Frauen, die Berichten zufolge verbrannt wurden, und elf Kinder. Am 12. Juni richtete der IS 18 seiner eigenen Mitglieder in Qayyarah hin, die zuvor in der Schlacht um Kharabat Jabr desertiert waren. Am 26. Juni richtete der IS etwa 20 seiner eigenen Kämpfer hin, die in der Nähe von Qayyarah vor Gefechten geflohen waren.
Juli 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Juli 2016 161 Mal an, darunter 60 Mal im Raum Mossul, und 13 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 166 und 272 Menschen ums Leben. Zwischen dem 7. und 13. Juli gelang es der irakischen Armee, das Flugfeld von Qayyarah einzunehmen, das Dorf I‘jhala östlich der Luftbasis zu erobern und damit beidseitig des Tigris, wo man kurz zuvor Hajj Ali am Ostufer eingenommen hatte, den Süden Ninawas vollkommen zu kontrollieren. Im Zuge der Eroberung der Luftwaffenbasis kam es auch zu Luftschlägen der Koalition gegen IS-Ziele im Südosten der Basis, um einen Angriff auf Hajj Ali zu verhindern. Dabei wurden mindestens 18 IS-Kämpfer erschossen. Am 17. Juli gelang es Peschmerga-Kräften, einen IS-Angriff in Zummar im Distrikt Tal Afar abzuwehren, bei dem vier IS-Selbstmordattentäter, einer davon durch Detonation des Sprengsatzes, zu Tode kamen. Am 24. Juli beschossen IS-Kämpfer das Dorf I’jhala mit ungelenkten Mörsergranaten und töteten dabei mehr als 30 Einwohner. Im Nachgang der Gefechte um Qayyarah richteten IS-Mitglieder zwischen dem 25. und 27. Juli 37 Zivilisten in Mossul und anderen Orten in Ninawa wegen vermeintlicher Kollaboration und Fluchtversuchen hin.
August 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im August 2016 147 Mal an, darunter 62 Mal im Raum Mossul, und 11 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 271 und 536 Menschen ums Leben. Dem Zentrum der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UNHABITAT) zufolge wurden im Monat August in Mossul vor allem durch Luftschläge 135 Wohnhäuser in Mossul stark beschädigt oder vollständig zerstört. Am 07. August wehrte die irakische Armee mit Luftunterstützung der internationalen Koalition einen groß angelegten Angriff des IS auf Stellungen südlich von Qayyarah und Makhmur (Erbil) ab, bei dem 104 IS-Kämpfer getötet wurden. Am 14. und 15. August nahmen Peschmerga-Milizen gemeinsam mit Luftunterstützung der internationalen Koalition zwölf Dörfer südöstlich von Mossul ein (darunter Abzakh, Takh, Talhameed, Qarqashah, Sateeh und Hamra). Bei Gefechten kamen 150 IS-Kämpfer und 3 kurdische Kämpfer um, 15 Peschmergas wurden verwundet. Am 19. August wurde davon berichtet, dass von IS-Mitgliedern 14 Zivilisten, die der Spionage und Kollaboration mit dem Feind bezichtigt worden waren, in einen Metallkäfig gesperrt und in einem Schwimmbecken in al-Faisaliyah im Norden von Mossul Stadt ertränkt wurden. Auch am 21. August richtete der IS 40 Einwohner Mossuls wegen vermeintlicher Verschwörung hin. In der Altstadt von Mossul (Dour Al Toub) wurden am selben Tag vier Zivilisten wegen des Vorwurfs der Homosexualität hingerichtet. In Hasan Koy in Tal Afar wurden am 23. August sechs IS-Anführer, die versucht hatten, nach Syrien zu fliehen, von IS-Mitgliedern durch den Einsatz von Flammenwerfern hingerichtet.
September 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im September 2016 155 Mal an, darunter 82 Mal im Raum Mossul, und 13 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 303 und 310 Menschen ums Leben. Am 12. September griff der IS im Süden und Osten Qayyarahs unter anderem vom Dorf al-Hawd aus, das sich noch unter IS-Kontrolle befand, das 8. irakische Polizeiregiment an. Beim Gegenangriff mit Luftunterstützung der Koalition kamen zwischen 70 und 100 IS-Kämpfer zu Tode. Im selben Dorf erschossen IS-Mitglieder am 18. September sechs Männer, die versucht hatten, mit ihren Familien zu fliehen. Ebenfalls am 18. September griff der IS Stellungen der Peschmerga östlich von Mossul, in Bashiqa, Gwer und Khazar, an. Dabei kamen bei einem Selbstmordangriff in Zahra Khatoon zwei Peschmerga-Kämpfer ums Leben. Am 22. September griffen mehrere Dutzend IS-Kämpfer die 71. Brigade der 5. Armeedivision nahe Qayyarah an, darunter mindestens neun Selbstmordattentäter. Beim Gegenangriff mit internationaler Luftunterstützung wurden mehr als 40 IS-Mitglieder getötet. Am 11. September hatte der IS acht Zivilisten wegen vermeintlicher Kooperation mit den irakischen Sicherheitskräften in Eisenkäfige gesperrt und in einem Schwimmbad in der Dawasa Nachbarschaft in Mossul ertränkt.
Oktober 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Oktober 2016 189 Mal an, darunter 127 Mal im Raum Mossul, und 11 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 176 und 1327 Menschen ums Leben. Im Oktober nahm die Offensive der internationalen Koalition auf Mossul an Fahrt auf, was zu einer deutlichen Gewalteskalation führte. Am 16. Oktober erklärte der irakische Premierminister Haider al-Abadi den Beginn der Operation Direkt und indirekt beteiligt daran waren 54.000 irakische Sicherheitskräfte, 40.000 Peschmerga-Kämpfer, 14.000 schiitische und andere Milizen und etwa 500 US-Soldaten. In zunehmendem Maße waren auch die schiitischen Milizen der „Volksmobilmachungskräfte” (Al-Haschd asch-Schaʿbī, PMF) an Gefechten beteiligt und verlegten hunderte Kämpfer in die Gegend um Mossul. Am 24. Oktober griffen Kräfte der irakischen Armee, Polizei und der Peschmerga-Miliz IS-Stellungen im Nordosten Mossuls an und eroberten neun Ortschaften, darunter Ibrahim al-Khalil, Al-Adalah und Kani Harami zurück. Am Ende des Monats erklärten die Peschmerga-Milizen, dass sie seit Beginn der Operation ein Gebiet von 500 Quadratkilometern im Umland von Mossul zurückerobert hatten. In den ersten Wochen der Offensive wurden der irakischen Armee zufolge 2.000 IS-Kämpfer getötet. Bereits am 26. Oktober gab das irakische Ministerium für Migration und Vertreibung bekannt, dass 2.000 Menschen aus Mossul geflohen waren und in Camps in der Nähe von Qayyarah Zuflucht gesucht hatten. Hinweise über Hinrichtungen in großem Umfang häuften sich ebenfalls: Am 20. und 21. Oktober erschossen IS-Mitglieder zwischen 215 und 282 Einwohner Mossuls, darunter mindestens 60 Minderjährige, unter anderem auf dem Campus der Landwirtschaftsschule. Am 26. Oktober erschossen IS-Mitglieder zwischen 232 und 300 Zivilisten in Hammam al-Alil und al-Arij. Am 31. Oktober erschossen IS-Kämpfer auf der Ghazlani Militärbasis westlich von Mossul 50 ihrer eigenen Mitglieder wegen Fahnenflucht.
November 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im November 2016 193 Mal an, darunter 155 Mal im Raum Mossul, und 22 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 354 und 1150 Menschen ums Leben. Am 07. November eroberte die irakische Polizei Hammam al Alil, südlich von Mossul, vollständig zurück. Am 14. November beschoss der IS die zuvor von der irakischen Armee befreite Nachbarschaft Qadisiya im Mossuler Distrikt Al-Zuhur im Nordosten der Stadt mit schwerer Artillerie und Raketen. In Folge der Angriffe starben 63 Zivilisten. Nach heftigen Gefechten, die auch den Einsatz von Autobomben durch den IS beinhalteten, eroberten die PMF am 16. November einen Luftwaffenstützpunkt nahe Tal Afar. Angesichts des Vorstoßes der PMF auf die Stadt Tal Afar am 22. November flohen etwa 3.000 sunnitische Familien in Richtung Syrien und der kurdischen Gebiete. Am 26. November eroberten die PMF die Dörfer Al Ajbouri, Sitta und Maflaka westlich von Tal Afar und das südlich gelegene Al Baynouna zurück. In der Mossuler Innenstadt wurden am 8. November zwischen 30 und 40 Zivilisten wegen vermeintlicher Kollaboration mit den ISF erschossen und ihre Leichen öffentlich zur Schau gestellt. Am 29. November erschossen IS-Mitglieder 13 Zivilisten in der Nachbarschaft Qalaa in Tal Afar, die vermeintlich mit der irakischen Armee kooperiert hatten.
Dezember 2016
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Dezember 2016 116 Mal an, darunter 102 Mal im Raum Mossul, und 7 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 347 und 588 Menschen ums Leben. Dem Zentrum der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UNHABITAT) zufolge wurden im Monat Dezember in Mossul vor allem durch Luftschläge 351 Wohnhäuser in Mossul stark beschädigt oder vollständig zerstört. Am 12. Dezember verlegte die irakische Regierung 4.000 Polizisten nach Hamdaniya im Südosten von Mossul. Mehr als 100 IS-Kämpfer wurden am 16. Dezember im Zuge paralleler Angriffe unter anderem auf die Nachbarschaften Al-Tamiam und Bakr im Osten Mossuls getötet, bei dem auch mindestens fünf Autobomben eingesetzt wurden. Mit drei von Selbstmordattentätern gesteuerten Autobomben griff der IS am 22. Dezember gegnerische Stellungen in Gogjali im Osten Mossuls an. Bei dem Anschlag starben mindestens 23 Menschen. Am 3. Dezember starben 13 Kämpfer der PMF in der Nähe von Tal Afar bei einem vom IS verübten Selbstmordanschlag, bei einem Gegenangriff wurden 17 IS-Kämpfer getötet. Zwischen dem 8. und 13. Dezember eroberten schiitische Milizen die Ortschaften Tal Abta und Ashwa im Süden Tal Afars und damit strategisch wichtige Routen im Westen Ninawas und Grenzgebiet zu Syrien.
Januar 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Januar 2017 182 Mal an, darunter 136 Mal im Raum Mossul, und 20 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 374 und 730 Menschen ums Leben. Zwischen dem 1. und 19. Januar wurden UNHABITAT zufolge in Mossul vor allem durch Luftschläge 391 Wohnhäuser stark beschädigt oder vollständig zerstört. Bei schweren Gefechten zwischen IS-Kämpfern und der irakischen Polizei mit Verstärkung der Armee im südöstlichen al-Salam Distrikt von Mossul-Stadt kamen am 1. Januar 182 IS-Mitglieder ums Leben, und es gelang den irakischen Sicherheitskräften, die strategisch wichtige Straße Nr. 60 sowie die Nachbarschaften Younis Sabawi, al-Karama und Jaffa einzunehmen. Weitere 179 IS-Kämpfer wurden am 3. Januar in verschiedenen Gefechten an den südöstlichen, nördlichen und östlichen Fronten in Mossul getötet, bei denen auch Kampfflugzeuge der internationalen Koalition zum Einsatz kamen. Am 7. Januar wehrten Polizeikräfte einen Angriff dutzender IS-Kämpfer auf Stellungen in Bakhira westlich von Mossul ab und töteten dabei etwa 20 Angreifer. Am 19. Januar gelang es der irakischen Armee, den Distrikt Tal Kayyaf im Norden Mossuls nach dreimonatiger Belagerung einzunehmen. Am 24. Januar hatten die irakischen Sicherheitskräfte den Osten Mossuls vollständig eingenommen. Am 20. Januar griffen IS-Kämpfer Stellungen der PMF im Dorf al-Nazaza südöstlich von Tal Afar an. Bei Gefechten wurden Dutzende Angreifer getötet.
Februar 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Februar 2017 177 Mal an, darunter 128 Mal im Raum Mossul, und 21 Mal im Raum Tal Afar. Den Beobachtungsstellen „Iraq Body Count” und „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen zwischen 191 und 581 Menschen ums Leben. Zwischen dem 19. Januar und 25. Februar wurden UNHABITAT zufolge in Mossul vor allem durch Luftschläge 223 Wohnhäuser stark beschädigt oder vollständig zerstört. Am 11. Februar enthaupteten IS-Mitglieder 12 eigene Kämpfer im Westen von Mossul, die zuvor versucht hatten, in den Ostteil der Stadt zu fliehen. Zwischen dem 12. und 14. Februar griff der IS mit hunderten Kämpfern Stellungen der PMU in Tal Abta, südwestlich von Tal Afar an, sowohl von Richtung Tal Afar als auch von Baaj, um die Kontrolle über die Straße zwischen Mossul und Raqqa zurückzugewinnen. Nur unter hohen Verlusten und mit Unterstützung der irakischen Luftwaffe konnte der Angriff zurückgeschlagen werden. Auch in den folgenden Tagen kam es immer wieder zu heftigen Gefechten zwischen IS und PMF im Westen Mossuls, so auch am 18. Februar, als 12 IS-Kämpfer in Ein Talawi getötet wurden. Am selben Tag starben mindestens 25 PMF-Mitglieder und 44 IS-Kämpfer bei zwei Angriffen des IS auf Stellungen in Tal Afar und Tal Abta. Am 19. Februar begann die irakische Armee offiziell mit ihrem Versuch, West-Mossul zurückzuerobern. Am 25. Februar stießen irakische Sicherheitskräfte auf das mit geschätzten 4.000 Opfern bisher größte Massengrab in der Senkgrube von Khafsa südlich von Mossul; die Explosion einer Sprengfalle tötete einen Journalisten und mindestens drei Soldaten.
März 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im März 2017 200 Mal an, darunter 152 Mal im Raum Mossul, und 31 Mal im Raum Tal Afar. Der Beobachtungsstelle „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen mindestens 268 Menschen ums Leben. Zwischen dem 25. Februar und dem 30. März wurden UNHABITAT zufolge in Mossul vor allem durch Luftschläge 914 Wohnhäuser, besonders im Westen der Stadt (al-Jadeda), stark beschädigt oder vollständig zerstört. Am 12. März nahmen irakische Streitkräfte das Regierungsviertel in West-Mossul ein und kappten mit der Rückeroberung der Stadt Badush nordwestlich von Mossul am 15. März die Versorgungsroute nach Tal Afar. Ebenfalls am 12. März wehrte die irakische Armee einen IS-Angriff auf den Flughafen von Tal Afar ab und tötete dabei 18 IS-Kämpfer, inklusive fünf Selbstmordattentäter, die planten, Autobomben nahe des Flughafens zu zünden. Am 17. März traf ein US-Luftschlag ein Sprengstofflager des IS in der al-Jadeda Nachbarschaft in West-Mossul. Mindestens 105 Zivilisten kamen ums Leben. Zwischen 16 und 23 Zivilisten wurden am 30. März von IS-Kämpfern in West-Mossul erschossen, weil sie sich einer Umsiedlung durch den IS verweigert hatten.
April 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im April 2017 223 Mal an, darunter 180 Mal im Raum Mossul, und 20 Mal im Raum Tal Afar. Der Beobachtungsstelle „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen mindestens 368 Menschen ums Leben. Zwischen dem 30. März und 26. April wurden UNHABITAT zufolge in Mossul vor allem durch Luftschläge 988 Wohnhäuser, besonders im Westen der Stadt (al-Jadeda), stark beschädigt oder vollständig zerstört. Am 03. April wurden mindestens 32 Zivilisten von Mörsergranaten getötet, die IS-Kämpfer auf Wohngebiete abgefeuert hatten, welche zuvor unter die Kontrolle der Regierung geraten waren. Am 02. April töteten IS-Kämpfer insgesamt 106 Zivilisten im Mossuler Stadtteil Mekkawi, die versucht hatten, aus Mossul zu fliehen. Am 29. April zündeten sechs IS-Selbstmordattentäter Sprengstoffgürtel in der Mossuler Altstadt und töteten dabei mindestens 14 irakische Polizisten. Bei anschließenden Luftangriffen wurden 17 IS-Kämpfer getötet. Am 29. April töteten PMF Kräfte 80 IS-Angreifer bei deren Vorstoß auf das Dorf Marahiya, südwestlich von Tal Afar.
Mai 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Mai 2017 202 Mal an, darunter 161 Mal im Raum Mossul, und 22 Mal im Raum Tal Afar. Der Beobachtungsstelle „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen mindestens 561 Menschen ums Leben. Zwischen dem 26. April und dem 28. Mai wurden UNHABITAT zufolge in Mossul vor allem durch Luftschläge 418 Wohnhäuser stark beschädigt oder vollständig zerstört. Am 12. Mai begannen PMF-Kräfte mit der Rückeroberung Qayrawans, südwestlich von Tal Afar, bereits in den Tagen zuvor hatten sie mehr als 20 Ortschaften zwischen Mossul und Tal Afar eingenommen und mehr als 70 IS-Kämpfer, vor allem durch den Einsatz von Kampfhubschraubern, getötet. Am 30. Mai wehrten PMF-Kämpfer zwei Angriffe des IS in Al-Mahalibiya nahe Tal Afar und Tal Zalat westlich von Mossul ab, wobei auch mindestens 13 IS-Kämpfer ums Leben kamen. Am 15. Mai gelang es irakischen Sicherheitskräften, sowohl al-Oraibi in der Altstadt als auch Al-Rifai (al-Rabee Distrikt) zurückzuerobern. Bei den schweren Gefechten wurden 173 IS-Kämpfer getötet. Auch am 20. Mai kam es zu Gefechten in Al-Rabee (Eqtesadieen und Tammuz), bei der 66 ISMitglieder getötet wurden. Mindestens 64 Zivilisten, die versucht hatten, am 11. Mai aus dem Westen Mossuls nach Osten zu fliehen, wurden von IS-Scharfschützen getötet.
Juni 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Juni 2017 165 Mal an, darunter 128 Mal im Raum Mossul, und 13 Mal im Raum Tal Afar. Der Beobachtungsstelle „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen mindestens 103 Menschen ums Leben. Zwischen dem 28. Mai und dem 8. Juli wurden UNHABITAT zufolge in Mossul vor allem durch Luftschläge 6.466 Wohnhäuser, besonders in der Altstadt, stark beschädigt oder vollständig zerstört. Am 3. Juni eroberten irakische Spezialkräfte den Bezirk Saha al-Oula in West-Mossul, nördlich der Altstadt. Bei diesen und anschließenden Gefechten in Zanjili und al-Shifaa im al-Rabee-Distrikt wurden mindestens 32 Soldaten getötet. Bis es der irakischen Polizei am 10. Juni gelang, Zanjili einzunehmen, starben bei tagelangen Gefechten in al-Rabee mindestens 49 Selbstmordattentäter des IS, ebenso 22 Scharfschützen. Am 21. Juni sprengten IS-Mitglieder die historische Al-Nuri Moschee in der Mossuler Altstadt. Die Detonation brachte auch zahlreiche Wohnhäuser zum Einsturz. Zwischen dem 24. und 30. Juni kamen etwa 213 Zivilisten bei Gefechten in der Altstadt ums Leben.
Juli 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im Juli 2017 135 Mal an, darunter 21 Mal im Raum Mossul, und 64 Mal im Raum Tal Afar. Der Beobachtungsstelle „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen mindestens 196 Menschen ums Leben. Am 2. Juli starben bei Gefechten in Bab al-Jadid in der Mossuler Altstadt, bei der auch die Luftwaffe eingesetzt worden war, 79 IS-Kämpfer und 22 irakische Sicherheitskräfte. Am 5. Juli griffen IS-Kämpfer und Selbstmordattentäter Stellungen von Stammesmilizen im Dorf Imam Gharbi nahe al-Qayara südlich von Mossul an und töteten 13 Milizionäre sowie zwei irakische Journalisten. Bei Gegenangriffen mit Raketen starben auch einige IS-Kämpfer. Beim Versuch, den umkämpften Westteil Mossuls Richtung Osten zu verlassen, wurden 35 IS-Mitglieder von irakischen Sicherheitskräften getötet. Am 10. Juli erklärte Premierminister Abadi den IS in Mossul für besiegt. Am 11. Juli beschossen Peschmerga-Milizen nach einer Kontrolle im Dorf Muthalath im Distrikt Rabia nahe der syrischen Grenze einen IS-Konvoi mit einer Panzerabwehrrakete und töteten dabei 17 IS-Kämpfer. Am 4. Juli wurden 200 im vorangegangenen Monat vom IS aus Tal Afar entführte turkmenische Zivilisten erschossen.
August 2017
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Den Angaben der Internationalen Koalition zufolge griff diese Stellungen des IS und ähnliche Ziele in Ninawa im August 2017 184 Mal an, darunter 2 Mal im Raum Mossul und 151 Mal im Raum Tal Afar. Der Beobachtungsstelle „ACLED” zufolge kamen in diesem Monat in Ninawa bei Kampfhandlungen und außergerichtlichen Hinrichtungen mindestens 621 Menschen ums Leben. Mit der Eroberung Mossuls verlagerte sich das Kampfgeschehen in Richtung Tal Afar. Medienberichten zufolge hatte die irakische Armee 400.000 Soldaten für die Befreiung der Stadt mobilisiert und hatten bis zum 25. August etwa 500 Familien die Stadt verlassen. Mehr als 20 IS-Kämpfer wurden beim Versuch, am 13. August eine Stellung der PMF in Tal Sufuk nahe Tal Afar einzunehmen, getötet. Am 18. August griffen mindestens 16 IS-Kämpfer, darunter vier Selbstmordattentäter, irakische Sicherheitskräfte bei Tal Afar an und kamen beim Gegenangriff der Armee zu Tode. Am 20. August nahmen die irakischen Sicherheitskräfte Tal Afar und umliegende Ortschaften wieder ein. Am 3. September gab die irakische Regierung die Zahl der bei der Schlacht um Tal Afar getöteten IS-Kämpfer mit 2.000 an.
3. Rolle von Frauen im IS
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Frauen erfüllen für die Terrororganisation IS vielfältige Funktionen und profitieren umgekehrt von der Vereinigung, namentlich durch wirtschaftliche Zuwendungen. Nach der Ideologie des IS können Frauen durch das Eingehen einer Ehe mit einem Kämpfer zugleich ihre religiösen Pflichten erfüllen und einen wichtigen Beitrag für den Jihad leisten. Neben den Pflichten gegenüber dem Ehemann gehören das Gebären, Versorgen und Erziehen von Kindern im Sinne der IS-Ideologie zu den wichtigsten Aufgaben der Frauen im IS. Frauen werden deshalb angehalten, ihre Kinder mit der Ideologie des IS, etwa durch das Ansehen von Videoveröffentlichungen, vertraut zu machen, Söhne zu Kämpfern und Mädchen zu deren Ehefrauen zu erziehen. Übergeordnetes Ziel ist dabei die Stärkung des „Staatsvolks“. Ausländische weibliche IS-Mitglieder, insbesondere aus „westlichen“ Staaten, bedeuten für die Vereinigung zudem einen wichtigen ideellen und propagandistischen Zugewinn, da sie die Überlegenheit der IS-Ideologie gegenüber der „westlichen“ Lebensart verkörpern. Sie erhalten deshalb besondere Vergünstigungen. Darüber hinaus erfüllen Frauen beim IS auch wichtige operative Funktionen, unter anderem in der Propagandaarbeit, als Mitglieder der Religionspolizei, als Zeuginnen bei Hinrichtungen, für den Einsatz bei Selbstmordanschlägen und zu einem Teil auch als Mitglieder von Kampfeinheiten.
4. Strafverfolgungsermächtigung
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Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erforderliche Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“, vormals „Islamischer Staat Irak und Großsyrien“, wurde durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 6. Januar 2014 erteilt (II B 1 zu 4030 E (1027) - 21 1158/2013) und am 13. Oktober 2015 neu gefasst (II B 1 zu 4030 E (1326) - 21 495/2015).
E. Beweiswürdigung
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Der festgestellte Sachverhalt beruht im Wesentlichen auf dem umfassenden Geständnis der Angeklagten, dem keine verfahrensbeendende Absprache zugrunde lag. Gestützt wird dieses Geständnis insbesondere durch die Erkenntnisse aus dem sichergestellten Chatverkehr der Angeklagten im Vorfeld ihrer Ausreise ins Gebiet des IS sowie den Angaben der glaubwürdigen Zeugen aus dem persönlichen Umfeld der Angeklagten, insbesondere der Zeugen Ba., Mü. und Ö. Die Feststellungen zum Islamischen Staat und zur politischen und gesellschaftlichen Situation im Nordirak (Mossul und Tal Afar) beruhen auf den Gutachten der Islamwissenschaftler Dr. Ki. und Dr. St., die Feststellungen zur Tätigkeit des anderweitig Verfolgten Deniz B. auf den Aussagen und Ermittlungen des polizeilichen Sachbearbeiters KHK Wo. sowie den von ihm vorgelegten Urkunden bzw. deren Übersetzungen, die Feststellungen zum Nachtatverhalten der Angeklagten auf den Aussagen der Polizeibeamten Th. und Wi. Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten und deren Persönlichkeit schließlich gründen auf den Gutachten der psychologischen bzw. psychiatrischen Sachverständigen Ko. und Dr. Li. Der noch im Irak befindliche Deniz B. wurde nicht selbst als Zeuge vernommen, da er auf Anfrage erklärt hatte, auf Anraten seines Anwalts für eine Befragung nicht zur Verfügung zu stehen.
I. Zur Person
1. Persönlicher Werdegang
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Die Angeklagte H. hat sowohl in der Hauptverhandlung als auch im Rahmen ihrer forensisch-psychiatrischen Untersuchung durch die Sachverständige Dr. Li. umfassende und in sich kohärente Angaben zu ihrem persönlichen Werdegang gemacht. Dabei wurde deutlich, dass die Angeklagte sich seit frühester Kindheit in einem äußerst problembehafteten Verhältnis zu ihrer Mutter befindet, deren hohe Erwartungen sie nicht einzulösen vermochte und von der sie sich mehr Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung erhoffte. Dieses schwierige Verhältnis zur Mutter wurde von den Zeuginnen Sonja Ba. und Diana Mü., die die Angeklagte seit der Zeit ihrer Jugend kennen und mit ihr eng befreundet waren, bestätigt. Die Kindheit der Angeklagten war außerdem nach deren eigenen Angaben geprägt von Gewalttätigkeiten ihres Stiefvaters ihr und ihrer Mutter gegenüber. Demgegenüber idealisierte die Angeklagte ihren leiblichen Vater, zu dem sie bis zu seinem Tod im Alter von 48 Jahren einen losen Kontakt unterhielt. Nach der überzeugenden Einschätzung der Sachverständigen Dr. Li. ist in dieser das Aufwachsen der Angeklagten begleitenden familiären Konstellation ein wesentlicher Grund dafür zu sehen, dass die Angeklagte im Erwachsenenalter nur eingeschränkt in der Lage war und ist, stabile partnerschaftliche Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Die Angeklagte neige einerseits dazu, den Partner zu idealisieren und sich ihm vollständig unterzuordnen, im Falle eintretender Konflikte jedoch die Beziehung grundsätzlich in Frage zu stellen. Diese Ambivalenz spiegelt sich nach Auffassung des Senats auch im Tatgeschehen. So reiste die Angeklagte im Jahr 2013, nachdem kurze Zeit vorher ihre Beziehung zu Ali Al K. gescheitert war, zu ihrem neuen Partner … nach Syrien aus, obwohl sie diesen bis zu diesem Zeitpunkt nur telefonisch und über Internetkontakte kennengelernt hatte. Auch nach dem Tod von … und ihrer Rückkehr nach Deutschland überhöhte sie diesen und sein Wirken für den IS. Dass die Angeklagte unmittelbar nach dem Tod von … Anstrengungen entfaltete, um nach Deutschland zurückzukehren, zeigt, dass es ihr bei der Entscheidung zur ersten Ausreise in das Gebiet des IS weniger um dessen Sache als um die mit der Person des … verknüpften Hoffnungen ging. Andernfalls hätte es näher gelegen, dass die Angeklagte - wie viele andere verwitwete IS-Anhängerinnen auch - beim IS geblieben wäre und ihre Rolle als Ehefrau eines anderen Kämpfers ausgefüllt hätte, anstatt sich hilfesuchend an die Familie des …, die sie bis dahin gar nicht persönlich kannte, zu wenden. Das Muster einer unüberlegten, die Konsequenzen des eigenen Handelns nicht abschätzenden und letztlich naiven Hinwendung und Überhöhung einer partnerschaftlichen Beziehung lässt sich auch im Verhältnis der Angeklagten zu Deniz B., in dem sie - auch physiognomisch betrachtet - einen „Ersatz“ für … erblickte, erkennen. So schmiedete die Angeklagte schon kurze Zeit nach dem Beginn dieser Beziehung und der bald darauf erfolgenden Heirat nach islamischem Ritus gemeinsam mit B. Pläne zur erneuten Ausreise in das Herrschaftsgebiet des IS, ohne sich überhaupt vertieft mit den Lehren des Islam und den politischen Zielen des IS auseinandergesetzt zu haben. Obwohl die Angeklagte bereits aus eigener Anschauung die belastenden Lebensumstände in Syrien kannte und dort ihren früheren Partner verloren hatte, überlagerte die idealisierte Vorstellung eines dortigen gemeinsamen unbeschwerten Lebens mit Deniz B. eine realitätsgerechte Einschätzung des Vorhabens. Nachdem die Angeklagte und B. ihren Plan mit einigem Aufwand in die Tat umgesetzt und sich dem IS als Mitglieder angeschlossen hatten, war die Angeklagte, wie sie selbst schilderte, alsbald schon enttäuscht von dem tatsächlichen Leben beim IS. Die Angeklagte berichtete eindrücklich, sie habe sich schon bald nach ihrer Ankunft in Syrien von B. entfremdet, welcher sich nach seiner zweiwöchigen Ausbildung sehr verschlossen gegeben und mit dem sie in der Folge kaum mehr über seine Tätigkeit für den IS gesprochen habe. In der Folge sei es immer wieder zu Konflikten und auch körperlichen Auseinandersetzungen mit B. gekommen. Im April 2017 habe sie ohne Wissen von B. erfolglos versucht, aus dem Herrschaftsgebiet des IS zu fliehen. Im Mai 2017 habe sie sich schließlich von B. scheiden lassen wollen, was von einem Scharia-Richter aber abgelehnt worden sei. Diese enge Abhängigkeit des Bekenntnisses der Angeklagten zur Mitgliedschaft im IS von ihrer persönlichen Beziehung zu Deniz B. legt nahe, dass neben den islamistisch-ideologischen Überzeugungen der Angeklagten der ausschlaggebende Grund für deren Beitritt zu der Terrorvereinigung in romantisierenden Vorstellungen von einem sorgenfreien Familienleben im Einklang mit dem Islam sowie in dem Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung, die die Angeklagte nach ihrer Rückkehr von ihrem ersten Syrienaufenthalt in salafistischen Kreisen in Deutschland erfahren hatte, zu sehen ist. In diesen Beweggründen kommt eine zur Tatzeit geringe persönliche Reife und Eigenverantwortlichkeit der Angeklagten zum Ausdruck.
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In dieses Bild der Angeklagten passen die von der Sachverständigen Dr. Li. diagnostizierte wiederkehrende depressive Störung und Borderline-Symptomatik, an denen die Angeklagte seit der Zeit ihrer Jugend leidet. Die Angeklagte neigt deshalb zu Stimmungsschwankungen, Selbstzweifeln und Störungen der Affektregulation. Letzteres konnte auch im Rahmen der Hauptverhandlung gut nachvollzogen werden, wenn die Angeklagte immer wieder von ihren eigenen Emotionen überwältigt wurde. Die Selbstzweifel der Angeklagten äußerten sich zudem, wie von dem psychologischen Sachverständigen Ko. eindrücklich dargelegt, im Rahmen der testpsychologischen Untersuchung der Angeklagten, welche ihr eigenes Leistungsvermögen unterschätzte. Aufgrund ihrer instabilen Persönlichkeitsstruktur suchte die Angeklagte einerseits immer wieder Selbstbestätigung, Trost und Anerkennung in ihrer Hinwendung zu ihren Partnern und ihrem Glauben. Persönliche Misserfolge und depressive Episoden bewältigte die Angeklagte andererseits durch dysfunktionale Copingstrategien wie selbstverletzende Handlungen und übermäßiges Essen. Gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen und dem Gericht berichtete die Angeklagte von innerer Leere, Halt- und Ziellosigkeit, Unzufriedenheit und dem starken Bedürfnis, von anderen Personen Halt und Unterstützung zu erfahren. In geradezu kurioser Weise äußern sich diese Wesenszüge der Angeklagten in ihrem verlesenen Brief an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Dr. Paul, den sie allein anhand seines Namens und ohne ihn persönlich zu kennen, mit prägenden Persönlichkeiten aus ihrem privaten Umfeld vergleicht und zu einer Erlösung verheißenden Gestalt stilisiert. Trotz der auch darin zum Ausdruck kommenden deutlich akzentuierten Persönlichkeit der Angeklagten nach dem Borderline-Typus haben diese Wesenszüge nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. Li. noch keinen Krankheitswert. Die rezidivierende depressive Störung, an der die Angeklagte leidet, besitzt zwar Krankheitswert, begründet aber keine Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten mit Blick auf das Tatgeschehen.
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Mit der psychiatrischen Sachverständigen Dr. Li. geht der Senat daher davon aus, dass die mittelgradige depressive Episode weder den Schweregrad einer Krankheit erreicht hat, die sich der willentlichen Steuerung entzieht, noch zu einer Erschütterung des Persönlichkeitsgefüges führte, welche ein Ausmaß erreichte, welches die klinisch bedeutsame Schwelle überschritt. Das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung ist damit nicht erfüllt. Die Persönlichkeitsauffälligkeit im Sinne einer emotional instabilen Persönlichkeitsakzentuierung bewegt sich innerhalb der normalpsychologischen Bandbreite und hat damit nicht das Ausmaß einer schweren psychischen Störung, so dass auch eine schwere andere seelische Abartigkeit nicht vorliegt.
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An der Belastbarkeit der Ausführungen der Sachverständigen Dr. Li. zum psychischen Zustand der Angeklagten und insbesondere ihrer Schuldfähigkeit, die den eigenen Eindruck, den der Senat von der Angeklagten gewonnen hat, stützen, bestehen keine Zweifel. Bei der forensischen Psychiaterin Dr. Li. handelt es sich um eine gerichtsbekannt äußerst erfahrene Sachverständige, die als Oberärztin eine Station im kbo-Isar-Amper-Klinikum München Ost leitet und für den Senat bereits in einer Vielzahl früherer Verfahren als forensische Sachverständige tätig gewesen ist. Die Ausführungen der Sachverständigen in der Hauptverhandlung waren in jeder Hinsicht in den von ihr herangezogenen Basistatsachen, insbesondere den eigenen Angaben der Angeklagten, deren Untersuchung durch die Sachverständige am 25. Februar, 10. und 11. März 2020 sowie den Ergebnissen der testpsychologischen Zusatzuntersuchungen, gut fundiert und in den Folgerungen, die der Senat aufgrund eigener Überzeugungsbildung teilt, schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Dasselbe gilt für den psychologischen Sachverständigen Ko., welcher detailliert die Methodik der von ihm durchgeführten Tests und das Testverhalten der Angeklagten dargestellt hat.
2. Radikalisierung der Angeklagten
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Vor dem Hintergrund dieser Persönlichkeitsstruktur ist auch die Hinwendung der Angeklagten zum radikalen Islam zu sehen. Aufgrund ihrer instabilen Persönlichkeit war die Angeklagte äußerst empfänglich für die einfach strukturierten Verheißungen des radikalen Islams und die durch Propagandavideos, den persönlichen Austausch in salafistischen Kreisen und die Beziehung zu Deniz B. genährte Hoffnung auf ein von Anerkennung und Wertschätzung ihrer Person geprägtes Leben im „Islamischen Staat“. Die emotionale Bedeutung des Islams für die Angeklagte zeigt sich bereits in ihrer ersten Berührung mit dieser Glaubensrichtung zu Schulzeiten. Die Angeklagte besuchte im Rahmen eines Schulprojekts, wie sie und die Zeugin Diana Mü. berichteten, eine Moschee und war von der Aufmerksamkeit und menschlichen Wärme, mit der man ihr dort begegnete, tief beeindruckt. In der Folge fand die Angeklagte im muslimischen Glauben Halt und eine spirituelle Heimat, ohne sich aber, wie von der Zeugin Sonja Ba. geschildert und wie auch die mit der Angeklagten nach ihrer Rückkehr im Deradikalisierungsprogramm arbeitenden Polizeibeamten KHK Th. und KHK Wi. berichteten, diese Religion theologisch näher zu erschließen. Sie betete viel, wenn sie in eine depressive Episode fiel. Zugleich erfuhr die Angeklagte in den salafistischen Kreisen, in denen sie zunehmend verkehrte, wie sie selbst schilderte, viel persönliche Anerkennung und Wertschätzung. Das von ihr dort erfahrene Gemeinschaftsgefühl wurde durch die gemeinsame Ablehnung des „westlichen“ Lebensstils und den Austausch über geteilte Diskriminierungserfahrungen als Muslime in Deutschland bestärkt. Auch auf das Privat- und Intimleben der Angeklagten strahlte diese emotionale Bindung an den Islam aus. Der Kontakt der Angeklagten zu … wurde in diesen Kreisen durch eine … hergestellt. Nach der Rückkehr der Angeklagten nach ihrem ersten Syrien-Aufenthalt wurde ihr in diesen Kreisen gerade deshalb große Achtung entgegengebracht, weil sie die Witwe eines islamischen „Märtyrers“ war. In diesem Lichte muss auch die Mitnahme der zwei jihadistischen Videos von … durch die Angeklagte nach Deutschland gesehen werden. Die entsprechenden Feststellungen zu dem gegen die Angeklagte anlässlich ihrer ersten Ausreise nach Syrien von der Staatsanwaltschaft Frankfurt geführten und eingestellten Ermittlungen beruhen auf den Angaben der Zeugin KOKin Ho. (geb.) und der verlesenen Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Frankfurt vom 20. Mai 2015.
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In der Folge suchte die Angeklagte gezielt in ihrem salafistischen Umfeld nach einem neuen Partner und fand ihn durch die Vermittlung von Freunden des … in Deniz B. Die Radikalisierung der Angeklagten war daher von vornherein neben den ideologischen auch maßgeblich von emotionalen Beweggründen getragen, nämlich der Hinwendung zu einem von der Angeklagten als warmherzig empfundenen Leben in der muslimischen Gemeinschaft und der Ablehnung eines privaten - das ihrer Mutter - und gesellschaftlichen Umfelds, in dem hohe Erwartungen an sie gerichtet wurden, denen sie nicht zu genügen meinte, und in dem sie an Selbstzweifeln, Versagensängsten und empfundener Ablehnung litt. Hätte die Angeklagte Zugang zu anderen ideologischen Gruppierungen mit ähnlich wirkenden Botschaften gehabt, ist gut vorstellbar, dass die Radikalisierung der Angeklagten sich in eine ganz andere Richtung entwickelt hätte. Entsprechend empfänglich war und ist die Angeklagte nach ihrer Rückkehr nach Deutschland für die anderweitigen Hilfestellungen, die sie insbesondere von staatlicher Seite erfährt. In der Hauptverhandlung betonte die Angeklagte wiederholt die große Bedeutung, die die Unterstützung durch Mitarbeiter des Deradikalisierungsprogramms des Bayerischen Landeskriminalamts, des Violence Prevention Network und des Jugendamts für sie habe. Die Angeklagte bezeichnete diese Personen als „Lichtblick“ und als „Netz“, das sie trage. Sie hat erkannt, dass sie der professionellen Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Lebensführung und psychischen Probleme bedarf. Ihre Kooperation mit den Mitarbeitern des Deradikalisierungsprogramms wurde von den Zeugen Th. und Wi. als vorbildlich beschrieben. Die Formbarkeit der Angeklagten erweist sich daher für ihre - nach den Angaben der genannten Zeugen noch nicht abgeschlossene - Deradikalisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft von Vorteil.
II. Strafbare Handlungen der Angeklagten
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Die Angeklagte räumte die ihr im Anklagesatz zur Last gelegten Handlungen umfassend ein und beantwortete Nachfragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. Angaben zu ihrem früheren Syrien-Aufenthalt bei … machte die Angeklagte nicht.
1. Einlassung der Angeklagten
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Zu der Zeit unmittelbar vor ihrer Ausreise im März 2016 gab die Angeklagte an, sie habe sich damals gefühlt, „als wäre ich IS“. Deren Mitglieder habe sie für „die Heiligen“ gehalten. Von den brutalen Gräueltaten des IS habe sie damals nichts gewusst, sondern erst nach ihrer Ausreise in das Gebiet des IS erfahren. Sie habe in Deutschland Propagandavideos gesehen, in denen ein sorgenfreies Leben im „Kalifat“ im Einklang mit dem Islam dargestellt worden sei. Danach habe sie sich gesehnt. Sie habe für ihren Glauben auf etwas verzichten wollen. In Deutschland habe sie sich wegen ihres Glaubens und ihrer Verschleierung zunehmend als Teil eines unterdrückten Volkes gefühlt. Die Botschaft der Videos sei gewesen: Kommt her, damit der Staat wächst; hier könnt ihr in Ruhe Nikab tragen. Sie habe das „toll“ gefunden und sich dem IS anschließen wollen, um das Volk zu vergrößern. Sie habe dann gemeinsam mit B. nach Reisewegen gesucht und Personen über Internet, darunter einen Abu A., kontaktiert, von denen sie Informationen erhalten habe. Am 1. März 2016 sei sie mit B. vom Flughafen Köln, weil dort die Flüge billiger gewesen seien, in die Türkei gereist. Sie hätten etwa 5.000 bis 7.000 Euro an Ersparnissen, die unter anderem aus dem Verkauf persönlicher Gegenstände stammten, mit sich geführt. Gegenüber ihrer Familie und Freunden hätten sie nicht über ihre Pläne gesprochen, weil sie gewarnt worden seien, dass die Ausreise bei Bekanntwerden verweigert werden würde. Sie habe gewusst, dass es nicht richtig sei, dorthin zu gehen. Nach ihrer Ankunft in Antalya hätten sie zunächst wegen ihrer Pässe Probleme mit der Polizei gehabt. Sie seien dann in ein Hotel gegangen und hätten auf Anweisungen gewartet. Sie hätten per SMS eine Aufforderung erhalten, sich eine örtliche SIM-Karte zu besorgen. Abu A. habe dann angerufen und gesagt, sie sollten sich in die Grenzstadt Gaziantep begeben. Nach ihrer dortigen Ankunft mit dem Bus sei erneut telefoniert worden und sie seien mit dem Taxi zu einem Treffpunkt gefahren, wo sie von einem Schleuser in Empfang genommen worden seien. Sie hätten sich einige Tage - Männer und Frauen getrennt - mit anderen Reisenden in einem Haus aufgehalten. Dann seien sie zu einem anderen Schleuser gebracht worden, welcher ihr, der Angeklagten, den Rucksack und ihr gesamtes Gold abgenommen habe. Gemeinsam mit fünf oder sechs anderen Personen seien sie an einen Syrer übergeben worden, mit dem sie zu Fuß die Grenze nach Syrien überquert hätten. Dort seien sie mit einem Auto abgeholt und in eine Stadt gebracht worden. Sie seien dann drei oder vier Tage gemeinsam mit vielen anderen - wiederum nach Geschlechtern getrennt - in einer Sporthalle untergebracht gewesen. Sie hätten ihre Ausweise, Telefone und Laptops abgeben müssen. B. habe sie in dieser Zeit nicht gesehen. Dann seien sie mit einem Kleinbus weggebracht worden. Sie, die Angeklagte, habe nicht gewusst, wohin die Fahrt gehe. Sie habe im hinteren Teil des Busses hinter einem Vorhang mit anderen Frauen gesessen und nichts gesehen. Nach etwa zehn Stunden Fahrt habe es plötzlich geheißen „Merhaba Mossul“. Sie habe erst nicht gewusst, dass Mossul im Irak liege. Sie sei dann wieder von B. getrennt in einem Frauenhaus des IS untergebracht worden, in dem sich hauptsächlich russischstämmige Frauen aufgehalten hätten. Dort habe sie von der Leiterin „fürs Nichtstun“ 20 USD bekommen und ihr Telefon und ihren Laptop wiederbekommen. Sie sei mit der dortigen Situation des Eingesperrtseins und der Untätigkeit sehr unzufrieden gewesen und ihr seien Zweifel gekommen, ob sie das richtige getan habe. In dieser Zeit sei sie einmal zu einem Frauenarzt gegangen und habe erfahren, dass sie schwanger sei. Nach etwa zwei Wochen habe B. sie abgeholt. Er sei verändert, nicht zugänglich und sehr in sich gekehrt gewesen. Er habe gesagt, er habe eine Scharia-Ausbildung gemacht. Über eine Waffenausbildung habe er nichts erzählt, er sei aber mit einem großen Gewehr bewaffnet gewesen, welches er vom IS erhalten hätte. Später habe er weitere Waffen und einen Sprengstoffgürtel bekommen. Auch habe er Magazine und Munition gehabt. Sie, die Angeklagte, sei davon ausgegangen, dass die Waffen funktionsfähig waren. B. habe gesagt, sie sollten die Waffen zur Abschreckung und für den Fall eines Angriffs immer in ihrer Reichweite haben. Die dortige Bevölkerung sei generell bewaffnet gewesen. Sie, die Angeklagte, habe in der Folge jederzeit Zugriff auf die Waffen gehabt und aus einem Schulreferat auch gewusst, dass es sich um Kalaschnikows handelte. In Mossul seien sie dann zunächst bei Dominik R., den sie aus Deutschland kannten, in dessen Haus untergekommen. Es habe sich um eine separate Wohnung im Obergeschoss gehandelt, die sehr heiß gewesen sei. R. habe eine vom IS ausgestellte Bescheinigung gehabt, dass das Haus ihm gehöre. Der IS habe höherrangigen Mitgliedern kostenlos Häuser zur Verfügung gestellt. Sie seien jedoch „Schlusslichter“ gewesen und nicht bedacht worden. Sie hätten mit R. eine Privatvereinbarung geschlossen. Nach einigen Monaten sei es zu Spannungen mit R. gekommen, der sie „rausgeschmissen“ habe. B. habe dann im Stadtteil Hadba eine Wohnung für 150.000 bis 200.000 Dinar von einem Iraker, der nicht zum IS gehört habe, angemietet. Er habe in der gesamten Zeit in Mossul als Krankenpfleger in einem Krankenhaus gearbeitet. Er kenne sich aus seiner Tätigkeit als Fitnesstrainer sehr gut mit Medikamenten aus, verfüge jedoch über keine medizinische Ausbildung. Er habe in der Früh die Wohnung verlassen und sei fast täglich abends nach Hause gekommen, manchmal aber auch nicht. Wenn er über Nacht weggeblieben sei, habe er gesagt, es gebe viele Notfälle. Manchmal sei ihr das etwas „mysteriös“ vorgekommen, aber sie habe nicht nachgefragt, obwohl sie sich gedacht habe, „es könnte etwas anderes sein“, etwa Wachdienste an Grenzposten. B. habe jedoch immer klar gesagt, dass er nicht an die Front möchte. Wenn er wieder nach Hause gekommen sei, sei oft er in sich gekehrt, nicht zugänglich, nicht ansprechbar und wie verstört gewesen. Er habe gesagt, er habe „krasse Sachen“ gesehen, wie „verkohlte Kinder und Männer, bei denen das Gehirn rauskam“. B. sei insgesamt ein ganz anderer Mensch geworden, er habe gewirkt wie jemand, der etwas machen muss, was er nicht tun möchte, sie habe nicht mehr mit ihm reden können, sich die Situation aber schöngeredet. Vom IS habe man Geld zum Leben erhalten, darüber, woher das Geld kam, habe sie sich keine Gedanken gemacht. Etwa Mitte 2016 sei sie mit B. wegen der in Mossul zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen mit Hilfe von Abu M. nach Tal Afar umgezogen. Dort sei ihnen von Abu M. im Namen eines vom IS betriebenen „Amts für Immobilien“ ein kleines Haus zur Verfügung gestellt worden. Ihnen sei nicht gesagt worden, dass es sich um das Haus von Geflüchteten gehandelt habe, es sei jedoch allgemein bekannt gewesen, dass der IS solche Häuser zur Verfügung stelle. Ihnen sei auch bewusst gewesen, dass dieses Haus wahrscheinlich von Geflüchteten zurückgelassen worden war. Auch in Tal Afar habe B. im dortigen Krankenhaus gearbeitet. Am 2. November 2016 habe sie zuhause ohne ärztliche Versorgung ihren Sohn zur Welt gebracht. Sie habe ihn Jundullah genannt, weil ihr dieser Name, den sie aus einem Naschid kannte, gut gefallen habe. Mit dem IS habe der Name nichts zu tun. Später hätten sie das Kind in Ju. umbenannt. Weil die Sicherheitslage in Tal Afar gefährlicher geworden sei, sei die Familie im Dezember 2016 zurück nach Mossul gezogen und habe ein leerstehendes Zimmer in einem ehemaligen Krankenhaus bezogen. Deniz B. habe in dieser Zeit weiter im Krankenhaus in Tal Afar gearbeitet. Bereits Ende Februar 2017 sei man wegen der schlechten Sicherheitslage wieder zurück nach Tal Afar gezogen und habe einen Monat im Haus des Abu M. gewohnt, bevor ihnen vom IS ein großzügiges und modernes Wohnanwesen am Stadtrand zur Verfügung gestellt worden sei. Die Beziehung zu B. sei in dieser Zeit schwierig gewesen und es sei auch zu Gewalttätigkeiten gekommen. Sie sei heimlich zu einem IS-Richter gegangen, um sich scheiden zu lassen, aber das Gericht habe B. kontaktiert und der Richter die Scheidung abgelehnt. Im April 2017 habe sie dann einen Fluchtversuch unternommen, sei aber vom IS gefangengenommen worden. Sie habe um ihr Leben gefürchtet. B. habe sie aus dem Gefängnis geholt. B. habe dann seinen Vater kontaktiert, damit der ihnen Geld schicke, um aus dem IS-Gebiet fliehen zu können. Am 20. August 2017 seien sie schließlich zu den kurdischen Peschmerga geflüchtet. Mehrere Soldaten hätten versucht, sie zu vergewaltigen und auf sie onaniert. Deniz B. sei geschlagen und gefoltert worden.
2. Die Angaben der Angeklagten stützende Beweismittel
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Das Geständnis der Angeklagten wird gestützt durch die Angaben des Zeugen KHK Wo., bei dem es sich um den polizeilichen Hauptsachbearbeiter des Bundeskriminalamts handelt. KHK Wo. hatte sowohl die Angeklagte als auch den anderweitig Verfolgten Deniz B. zwischen dem 12. und dem 14. September 2017 in deren kurdischer Gefangenschaft in Erbil aufgesucht und zur Sache vernommen. Außerdem hatte KHK Wo. die Angeklagte erneut nach ihrer Rückkehr nach Deutschland am 26. Juli 2018 zur Sache vernommen. Die Angaben des Zeugen zu den Inhalten dieser Vernehmungen decken sich weitgehend mit den Angaben, die die Angeklagte - auch auf Nachfrage - in der Hauptverhandlung zur Sache gemacht hat sowie mit ihren verlesenen schriftlichen Einlassungen im Rahmen der Haftprüfung beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 28. August 2019. Weiter gestützt wird das Geständnis der Angeklagten durch die Angaben des Zeugen Hüsamettin Ö., bei dem es sich um ihren Schwiegervater und den Vater von Deniz B. handelt. Der Zeuge Ö. schilderte zum einen die von der Angeklagten und B. ihm gegenüber verübten Anstrengungen zur Verheimlichung ihrer Ausreise ins Gebiet des IS, indem sie den Zeugen glauben machten, sie befänden sich auf einer Pilgerreise bzw. einem Studienaufenthalt in Medina. Zum anderen schilderte der Zeuge die Kontaktaufnahmen der Angeklagten und seines Sohnes zu ihm ab Mai 2017 mit dem Ziel, ihnen bei einer Flucht und Rückkehr nach Deutschland behilflich zu sein. Hinsichtlich der die Ausreise ins Gebiet des IS vorbereitenden Handlungen der Angeklagten wird deren Geständnis weiter gestützt durch die von der Zeugin KOKin Me. ausgewerteten und dargestellten Chats der Angeklagten mit einer Marcia M. alias …, in denen die Angeklagte sich über die Lebensverhältnisse auf dem Gebiet des IS erkundigt, eigene Ängste im Zusammenhang mit der vorläufigen Unterbringung in einem Frauenhaus während der Ausbildung ihres Mannes und der Übermittlung persönlicher Daten an den IS thematisiert, nach dem „Bewerbungsverfahren“ für den IS und den dort zulässigen Mobiltelefonen und Tabletcomputern fragt, sich mit M. über den Kampfdienst von deren Mann unterhält und in diesem Zusammenhang den „Märtyrertod“ begrüßt.
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Hinsichtlich der von der Angeklagten ausgeübten Verfügungsgewalt über Kriegswaffen wird ihr Geständnis weiter durch die in Augenschein genommenen Lichtbilder gestützt, auf denen entsprechende Waffen in den von der Angeklagten und B. bewohnten Räumlichkeiten in Mossul und Tal Afar zu erkennen sind. Aus dem verlesenen Waffengutachten des Bundeskriminalamts ergibt sich, dass es sich dabei um zwei vollautomatische Selbstladegewehre Kalaschnikow AK 47 und ein vollautomatisches Selbstladegewehr COLT AR 15/M 16 handelt. Keine Überzeugung vermochte der Senat hingegen davon zu erlangen, dass die Angeklagte selbst Erfahrung im Umgang mit Kriegswaffen hatte. Das bei der Angeklagten nach der Rückkehr von ihrem ersten Syrien-Aufenthalt zusammen mit den beiden Videos von … sichergestellte Lichtbild, das eine verschleierte Frau zeigt, welche ein Sturmgewehr im Anschlag hält, hat der Senat in Augenschein genommen, ohne die abgebildete Frau als die Angeklagte identifizieren zu können. Die Angeklagte ließ sich selbst dahingehend ein, … habe in Syrien eine zweite Frau gehabt, was sich letztlich nicht widerlegen lässt.
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Bei den auf einem Teil der Lichtbilder und des Videomaterials, die die Kriegswaffen zeigen, zu erkennenden Wohnräumen handelt es sich zugleich um die beiden Häuser in Tal Afar, welche die Angeklagte und B. vom „Amt für Immobilien“ des IS zur Verfügung gestellt bekommen und sich dadurch im Sinne des Völkerstrafgesetzbuchs angeeignet hatten. Insoweit ist das Geständnis der Angeklagten, die in der Hauptverhandlung das Bildmaterial umfassend kommentierte, als überschießend zu werten, denn ohne ihre Einlassungen wäre eine Zuordnung zu den Häusern und die Feststellung des Besitzerwerbs nicht möglich gewesen. Mit Blick auf die von Deniz B. im April 2016 in Mossul angemietete Wohnung konnte sich der Senat deshalb weder eine Überzeugung davon verschaffen, dass es sich um Eigentum einer gegnerischen Partei gehandelt hat, noch dass dieses vom IS völkerrechtswidrig angeeignet wurde. Der Umstand, dass diese Wohnung, wie von der Angeklagten angegeben, von B. zu einem nicht unerheblichen Preis angemietet wurde, spricht gegen beides. Es ist zwar durchaus denkbar, dass die Anmietung vom IS erfolgte und dieser die betreffende Wohnung zuvor mit Gewalt übernommen hatte. Dass eine derartige Vorgehensweise nicht unüblich war, erschließt sich auch aus den entsprechenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. Ki. (s. u. VI. 2. a. E.). Allein auf deren Grundlage vermag sich der Senat jedoch nicht mit der für eine Verurteilung hinreichenden Sicherheit eine Überzeugung davon zu bilden, dass die angemietete Wohnung zuvor vom IS rechtswidrig angeeignet worden war. Hinzu kommt, dass die Zeugin S. angab, es habe in Mossul auch einen Markt für Mietwohnungen von Einheimischen gegeben.
3. Widerlegte und nicht bestätigte Einlassungen der Angeklagten
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Soweit die Angeklagte versuchte, den Eindruck zu erwecken, sie habe vor ihrer Ausreise zum IS wenig über dessen terroristische Aktivitäten gewusst und auch später vor Ort davon sowie von einer Tätigkeit des anderweitig Verfolgten Deniz B. als Kämpfer nichts mitbekommen, wertet der Senat diese Einlassungen als Schutzbehauptungen.
a. Unkenntnis von Aktivitäten des IS zum Zeitpunkt der Ausreise
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Nicht zu folgen vermochte der Senat den Angaben der Angeklagten, soweit diese in der Hauptverhandlung zunächst versuchte, den Eindruck zu erwecken, sie sei in Unkenntnis der Lebensbedingungen im Herrschaftsgebiet des IS und in Unkenntnis von dessen Wirken dorthin ausgereist. Dagegen spricht schon der Umstand, dass die Angeklagte beides aus eigener Anschauung von ihrem ersten Syrien-Aufenthalt kannte. Zwar bestritt die Angeklagte zunächst, sich Ende 2013 bis Anfang 2014 in Syrien aufgehalten zu haben und betonte, sie habe lediglich im Grenzgebiet zu Syrien auf türkischer Seite gelebt. Diese Einlassung, gegen die auch die Angaben des Zeugen Ahmet S., der die Angeklagte, wie von ihm geschildert, im syrisch-türkischen Grenzgebiet abgeholt und nach Deutschland zurückgebracht hatte, sprechen, gab sie aber im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung auf. Gegen eine entsprechende Unkenntnis der Angeklagten sprechen zudem der genannte Chatverkehr mit Marcia M. und die Angaben der Zeugin Diana Mü., die berichtete, sie habe sich schon vor 2014 mit der Angeklagten über den bewaffneten Jihad und darüber, dass Ungläubige getötet würden, unterhalten und jeder habe gewusst, „was da unten abgehe“.
b. Unkenntnis von Aktivitäten des IS während der Dauer des Aufenthalts
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Nicht zu folgen vermochte der Senat zudem der Darstellung der Angeklagten, das Leben in Mossul und Tal Afar sei im Wesentlichen ruhig gewesen, vom Wirken des IS und von Kampfgeschehen habe sie wenig mitbekommen. Hiergegen spricht, dass die Angeklagte und B. sich mehrfach veranlasst gesehen haben, ihren Wohnort zu wechseln. Die entsprechenden Zeitpunkte - wie auch der der letztlichen Flucht - koinzidieren, wie sich aus dem ergänzenden und verlesenen Gutachten der Sachverständigen Dr. Ki. erschließt - mit den Offensiven der Anti-IS-Koalition auf die jeweiligen Orte und der damit einhergehenden Zunahme von Kampfhandlungen. Außerdem belegen die Auswertungen der Sachverständigen Dr. Ki. eindrucksvoll, in welchem Maße extralegale und öffentlichkeitswirksam durchgeführte Hinrichtungen durch den IS in den Gebieten Mossul und Tal Afar an der Tagesordnung waren. Videos von derartigen Hinrichtungen wurden als Teil der Propaganda vom IS auch über Internet, zu dem die Angeklagte jedenfalls zeitweilig Zugang hatte, verbreitet. Zudem hatte die Angeklagte, wie sie selbst einräumt, während ihres Aufenthalts in Mossul Kontakt zur Zeugin S., welche selbst, wie sie erklärte, öffentlichen Hinrichtungen beigewohnt hatte. Es wäre lebensfremd, anzunehmen, die Angeklagte habe von solchen terroristischen Aktivitäten des IS nichts mitbekommen, zumal sie selbst angab, im Zusammenhang mit ihrem Fluchtversuch ihre Hinrichtung durch den IS befürchtet zu haben.
c. Rolle des Deniz B. im IS
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Schließlich vermochte der Senat der Einlassung der Angeklagten auch insoweit nicht zu folgen, als diese angab, Deniz B. habe für den IS nicht als Kämpfer, sondern als Krankenpfleger in verschiedenen vom IS betriebenen Krankenhäusern gedient, von anderen Aktivitäten habe sie jedenfalls nichts mitbekommen und darüber auch nicht mit B. gesprochen. Die Überzeugung, dass Deniz B. dem IS tatsächlich auch als Kämpfer zur Verfügung gestanden hat, bezieht der Senat aus verschiedenen Dokumenten, welche von USamerikanischen Behörden bei IS-Einrichtungen sichergestellt, den deutschen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt und in der Hauptverhandlung in Übersetzung verlesen wurden. So wird Deniz B., wie von der Zeugin KOKin Jo. dargestellt, mit seinem Echtnamen nebst Geburtsdatum und seinem Kampfnamen … sowie der Registrierungsnummer 1200020939 in einer die Monate Oktober 2016 bis Januar 2017 betreffenden Gehaltsliste des IS als einer „Ayn Jalut Division“ und einem „Battalion Diwans“ zugehörig geführt. Der letzte B. betreffende Eintrag in der Liste ist mit dem Vermerk „Forward Deployed“ versehen. Das korrespondiert mit einem anderen, die „Brigade Al Ghuraba (die Fremden)“ betreffenden Dokument der „Soldatenabteilung“ des IS, in dem Deniz B. unter derselben Registrierungsnummer als „einsatzbereit“ klassifiziert und seine Versetzung in die Brigade zum 24. Januar 2017 dokumentiert wird. Ein weiteres Dokument enthält eine Auflistung des Personalbestands der „Ayn Jalut Division“, unterteilt in verschiedene Kategorien von Kämpfern. Angaben zu Krankenpflegern enthält die Liste nicht, weshalb es fern liegt, dass Deniz B. bei dieser Division als Sanitäter oder in einer ähnlichen Funktion tätig gewesen ist. Auch eine vom IS ausgestellte Geburtsurkunde für den Sohn von B. und der Angeklagten J. enthält nebst anderen personenbezogenen Daten zum Vater des Kindes die Angabe „Kämpfer“. Nach dem verlesenen Vermerk von KHK Wo. vom 26. März 2020 wurde ferner dem Bundeskriminalamt von der Commission for International Justice and Accountability (CIJA) eine Liste von IS-Mitgliedern mitgeteilt, auf der sich personenbezogene Angaben zu einem Kämpfer mit dem Kampfnamen … befinden, die eine Zuordnung zu Deniz B. erlauben. Schließlich spricht für eine Kämpfereigenschaft von Deniz B. auch, dass es sich nach dem verlesenen Vermerk von KHK Wo. vom 8. Januar 2018 bei dem Krankenhauskomplex „Jumhuri“ in Mossul, in dem B. gearbeitet haben will, nach Medienberichten um ein Hauptquartier des IS gehandelt hat, welches keinerlei medizinischer Nutzung mehr gedient habe. Hinzu kommt, dass Deniz B. über keinerlei medizinische Ausbildung verfügte. Soweit er, wie der Zeuge Ö. berichtete, diesem gegenüber Angaben gemacht hat, die mit einer Tätigkeit im Bereich des Verletztentransports vereinbar sind, sind diese in dem Licht zu sehen, dass B. seinem Vater gegenüber stets bestrebt gewesen ist, seinen Aufenthalt beim IS zu verheimlichen oder zu bagatellisieren. Außerdem sind die von B. mitgeteilten Erfahrungen, er habe etwa sterbende Kinder gesehen, ohne weiteres auch mit einer Tätigkeit als Kämpfer vereinbar.
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Dass Deniz B. jedenfalls auch in der Funktion als Kämpfer für den IS tätig war, wird weiter dadurch belegt, dass er von der Vereinigung mit mehreren Kriegswaffen ausgerüstet wurde. Dabei handelt es sich, wie auf den in Augenschein genommenen, auf einer Speicherkarte der Angeklagten sichergestellten Lichtbildern erkennbar ist und sich aus dem verlesenen Waffengutachten des Bundeskriminalamts ergibt, zumindest um zwei vollautomatische Selbstladegewehre Kalaschnikow AK 47, ein vollautomatisches Selbstladegewehr COLT AR 15/M 16 und einen von B. getragenen Sprengstoffgürtel. Derlei Kriegswaffen gehören nicht zur üblichen Ausstattung eines Krankenpflegers. Ihr Gebrauch ist - entgegen der entsprechenden Einlassung der Angeklagten - in einem vom IS kontrollierten Gebiet auch nicht zur Selbstverteidigung von Zivilisten gegen etwaige IS-Gegner nahe liegend. Hierfür wäre eine einzelne kleine handliche Waffe, etwa eine Faustfeuerwaffe, praktischer und ausreichend. Darüber hinaus erschließt sich aus dem in Augenschein genommenen Bildmaterial, dass Deniz B. häufig Kampfmontur im Kamouflage-Muster trug. Bilder von ihm in Krankenhaus- oder Sanitätskleidung finden sich demgegenüber bei dem Material nicht. Hinzu kommt, dass die Angeklagte in ihrer ersten polizeilichen Vernehmung in Erbil - was von ihr, wie von dem Zeugen KHK Wo. dargelegt, anschließend handschriftlich korrigiert wurde - zunächst selbst angegeben hatte, sie sei viel allein gewesen und Deniz B. sei nur ein bis zwei Mal pro Woche nach Hause gekommen. Für eine Tätigkeit als Kämpfer ist das typisch, für eine solche als Krankenpfleger eher untypisch. Dass die Angeklagte in diesem Punkt versuchte, Deniz B. zu decken, erschließt sich auch daraus, dass sie - nachweislich wahrheitswidrig - in derselben polizeilichen Vernehmung angab, dieser habe gar keine Waffe besessen. In Widerspruch zu ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung erklärte sie damals außerdem noch, Waffen seien im Krankenhaus verboten gewesen. Da es sich bei Deniz B. um den Vater der beiden Kinder der Angeklagten handelt, verfügt diese auch über ein nachvollziehbares Motiv, ihn zu entlasten. Schließlich schilderte die Angeklagte in der Hauptverhandlung plastisch, dass B. nach längeren Abwesenheiten verstört nach Hause zurückgekehrt sei und wie jemand gewirkt habe, der etwas tun müsse, was er nicht wolle. Auch diese Verhaltensweise passt eher zu den Erlebnissen eines Kämpfers als eines Krankenhelfers.
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Vor diesem Hintergrund geht der erkennende Senat davon aus, dass Deniz B. für den IS jedenfalls auch als Kämpfer tätig gewesen ist und die Angeklagte dies auch wusste. Eine entsprechende Unkenntnis der Angeklagten wäre lebensfremd. Letzten Endes kommt es für die Frage der mitgliedschaftlichen Betätigung der Angeklagten für den IS auf die Frage, ob Deniz B. dort als Kämpfer oder Krankenpfleger tätig gewesen ist, jedoch gar nicht entscheidend an. Maßgeblich für die Strafbarkeit der Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sind deren Betätigungshandlungen für den IS. Ob die Angeklagte die Ziele der Vereinigung durch unterstützende Tätigkeiten für einen Kämpfer oder Krankenpfleger förderte, macht keinen prinzipiellen Unterschied. Auch die Verfügbarkeit und Tätigkeit von Krankenpflegern war für den IS, gerade angesichts der gegebenen kriegerischen Auseinandersetzungen, von großer, für den Erhalt der Kampffähigkeit sogar zentraler Bedeutung.
4. Würdigung der Zeugenaussagen
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Soweit die Überzeugungsbildung des Gerichts auf den Angaben der vernommenen Zeugen beruht, sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die deren Glaubwürdigkeit oder die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben in Frage stellen. Die jeweiligen Angaben waren in sich widerspruchsfrei und ohne jeden Belastungseifer vorgetragen. Das gilt auch für die Zeugin Diana Mü., welche zwar auf Vorhalt ihre bereits in ihrer polizeilichen Vernehmung geäußerte Überzeugung, die Angeklagte sei immer noch IS-Anhängerin, bekräftigte, im Übrigen aber sehr sachlich aussagte und auch nicht verhehlte, dass sie die Angeklagte zuletzt 2014 gesehen und keinen Kontakt in die Szene mehr habe. Die Überzeugung der Zeugin von der weiteren IS-Mitgliedschaft der Angeklagten stellt sich vor diesem Hintergrund als bloße Vermutung dar. Soweit der Zeuge Ahmet S. nur begrenzt in der Lage war, auf Fragen des Gerichts fokussiert zu antworten, sieht der Senat die Ursache hierfür im Alter des Zeugen sowie in dem Umstand, dass er den Tod seines Sohnes nicht richtig verarbeitet hat. Zweifel an der Richtigkeit seiner Angaben zu den Umständen des Abholens der Angeklagten von ihrem ersten Syrien-Aufenthalt ergeben sich daraus nicht. Auch der Zeuge Hüssametin Ö. antwortete auf Fragen des Gerichts mitunter ausweichend, was nach Überzeugung des Senats dem Umstand geschuldet ist, dass der Zeuge seinen Sohn, den anderweitig Verfolgten B., gegen den in Deutschland noch ein laufendes Strafverfahren anhängig ist, nicht übermäßig belasten wollte. Andererseits unternahm der Zeuge aber keinen Versuch, die Verantwortung für den Aufenthalt von B. und der Angeklagten beim IS auf diese abzuwälzen, was ihm leicht möglich gewesen wäre. Vielmehr beschrieb er die Angeklagte als höflich, nett und liebevolle Mutter. Die Zeugin Sabine S. äußerte sich ebenfalls in ruhiger sachlicher Weise. Nachdem sie bereits rechtskräftig wegen ihrer Mitgliedschaft beim IS verurteilt ist, besitzt sie keinen Anreiz für eine Falschaussage. Ihre Angaben zur Haftsituation in Erbil decken sich umfänglich mit den sachlichen Beweismitteln. Die Zeugin Sonja Ba. schließlich, bei der es sich um eine frühere enge Freundin der Angeklagten handelt, stellte in flüssiger, lebendiger Erzählung die früheren gemeinsamen Aktivitäten mit der Angeklagten dar, namentlich deren Ringen nach Anerkennung und Zuneigung und deren schwierige familiäre Verhältnisse. Die Angaben aller Zeugen weisen untereinander und im Vergleich zur Einlassung der Angeklagten keine substanziellen Widersprüche auf, sondern stützen die Angaben der Angeklagten vielmehr. Dass diese Kohärenz auf einer vorangegangenen Absprache beruhen könnte, ist auszuschließen, da die Zeugen untereinander und mit Ausnahme der Zeugin Ba. und des Zeugen Ö. zur Angeklagten keinen Kontakt hatten. Andere Anhaltspunkte, die die Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen in Frage stellen könnten, liegen nicht vor. Das gilt insbesondere auch für die vernommenen Polizeibeamten.
III. Hafterfahrung der Angeklagten im Irak
1. Haftbedingungen
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Die Feststellungen zu der von der Angeklagten in einem Gefängnis der kurdischen Sicherheitskräfte in Erbil/Irak erlittenen Haft beruhen zunächst auf deren eigenen Angaben. Die Angeklagte schilderte, sie sei nach ihrer Festnahme gemeinsam mit anderen Terrorverdächtigen zunächst für einige wenige Tage in ein Gefängnis in Dohuk verbracht worden. Festgenommene Personen seien dort gefoltert und getötet worden. Auch ihr Ehemann, Deniz B. sei geschlagen und gefoltert worden, ihr selbst habe man jedoch keine Gewalt angetan. Sie habe große Angst um ihr Leben und das von B. gehabt. Sie sei auf engstem Raum mit einer Vielzahl anderer Personen untergebracht gewesen. Nach einigen Tagen sei sie in das Gefängnis in Erbil gebracht worden. Dort habe sie in einem völlig überfüllten, vom Tageslicht abgeschnittenen und 24 Stunden am Tag künstlich erleuchteten Raum gemeinsam mit rund 60 anderen Frauen und Kindern gelebt. In diesem Haftraum sei es heiß, stickig und laut gewesen. Es habe keine Privatsphäre bestanden. Sie habe mit ihren Kindern auf einer Matratze auf dem Boden schlafen müssen und nur eine einzige verschmutzte Decke zur Verfügung gehabt. Auch die von ihnen getragene Kleidung sei sehr schmutzig gewesen. Die sanitäre Versorgung sei unhygienisch, die medizinische unzureichend gewesen. Ihre beiden Kinder hätten unter bronchialen Erkrankungen gelitten, welche nicht behandelt worden seien. Spielmöglichkeiten für die Kinder seien nicht vorhanden gewesen. Der Aufenthalt für die Kinder im Gefängnishof im Rahmen des täglichen einstündigen Hofgangs sei nicht kindgerecht und aufgrund der baulichen Gegebenheiten gefährlich gewesen. Sie sei in ständiger Sorge um ihre Kinder gewesen. Vom Gefängnispersonal seien die kurdischen Insassen, etwa bei der Ausgabe von Hygieneartikeln, bevorzugt worden. Auch in den sichergestellten und verlesenen Tagebuchaufzeichnungen der Angeklagten aus ihrer Haftzeit in Erbil wird die dortige Situation in entsprechender Weise dargestellt. Insbesondere äußert sich die Angeklagte dort mehrfach verärgert - und auch gegenüber den Peschmerga abwertend - über die im Vergleich zu den heimischen Insassen ungerechten Behandlung, die sie erfahre.
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Diese Einlassung wird gestützt durch entsprechende Angaben der Zeugin Sabine S., welche über mehrere Monate hinweg den Haftraum mit der Angeklagten teilte und schließlich gemeinsam mit dieser durch Beamte des Bundeskriminalamts zurück nach Deutschland gebracht wurde. Die Einlassung der Angeklagten deckt sich jedenfalls auch in wesentlichen Punkten mit einer verlesenen Behördenerklärung des Bundeskriminalamts zu den dortigen Erkenntnissen über die Haftbedingungen in dem Gefängnis in Erbil. Zunächst gibt diese Behördenerklärung Angaben der Angeklagten und der Zeugin S. über ihre Haftbedingungen anlässlich eines konsularischen Haftbesuchs im Februar 2018 wieder. Diese Angaben entsprechen denen in der Hauptverhandlung, woraus sich schließen lässt, dass die Angeklagte ihre Schilderung nicht erst im Rahmen des gegen sie geführten Strafverfahrens in einem für sie günstigen Sinne angepasst hat. Des Weiteren gibt die Behördenerklärung in Auszügen einen Bericht des Generalkonsulats Erbil über einen Gefängnisbesuch im Mai 2019 - also rund ein Jahr nach der Rückkehr der Angeklagten und der Zeugin S. nach Deutschland - wieder. Dort wird unter anderem geschildert, dass die Hafträume etwa 50-60 Quadratmeter groß sind und in ihnen im Regelfall 20 bis 23 Frauen nebst Kindern untergebracht sind. Einmal am Tag dürften sich die Inhaftierten für eine Stunde auf dem Gefängnishof aufhalten, der bei Temperaturen von bis zu 50 Grad im Sommer keine Möglichkeit biete, sich im Schatten aufzuhalten. Da die meisten von der Haftanstalt angebotenen Beschäftigungsprogramme nur auf Kurdisch verfügbar seien, sei die Situation für nicht-kurdische Inhaftierte problematisch. Konkret zur Zelle der Zeugin S. führt der Bericht aus, der Raum sei etwa 50 Quadratmeter groß gewesen und habe über eine separate Toilette verfügt. Der Raum sei fensterlos gewesen. Aufgrund der Überbelegung hätten manche Personen auf dem mit Teppich ausgelegten Boden schlafen müssen. Die Zelle habe „einen sauberen, aber durch die Menge an dort lebenden Personen sowie die fehlenden Fenster sehr bedrückenden Eindruck“ gemacht. Die Geräuschkulisse sei durch den vorhandenen Fernseher und die Anzahl der Personen hoch gewesen.
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Obwohl sich aus dem Bericht des Generalkonsulats Erbil auch Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Gefängnisleitung - jedenfalls im Mai 2019 - bemüht gewesen ist, den inhaftierten Personen einen menschenwürdigen Aufenthalt zu ermöglichen - namentlich durch die Bereitstellung von Beschäftigungsangeboten, die Schulung des eigenen Personals an europäischen Standards und die programmatische Ausrichtung des Vollzugs am Ziel der Resozialisierung - ist bei einer Gesamtbetrachtung der Schilderungen der Angeklagten aus ihrer Haftzeit und in der Hauptverhandlung, der Angaben der Zeugin S. und des Eindrucksberichts des Generalkonsulats Erbil vom Mai 2019 unverkennbar, dass die Haftbedingungen der Angeklagten deutlich von deutschen und europäischen und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für die Mitgliedstaaten des Europarats geforderten Standards der Unterbringung abwichen.
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Hiergegen spricht auch nicht, dass die Polizeibeamten EKHK Kl. und KHK Wo., welche die Angeklagte aus dem Irak nach Deutschland zurückbegleitet bzw. im Irak polizeilich vernommen hatten, keinerlei durch die schweren Haftbedingungen verursachte Auffälligkeiten im äußeren Erscheinungsbild der Angeklagten erkennen konnten. Zum einen kannten die Beamten die Angeklagte zuvor nicht, weshalb ihnen die Beurteilung einer Veränderung ihres Aussehens aus eigener Anschauung nicht möglich war. Zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass sich die Angeklagte für den Kontakt mit deutschen Hoheitsträgern und insbesondere für ihre Rückreise mit den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten in einen einigermaßen reinlichen Zustand versetzte.
2. Haftgründe
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Dass die Angeklagte sich in Erbil in kurdischer Haft aufgrund des Vorwurfs ihrer Betätigung für den IS befand, steht zur Überzeugung des Senats aufgrund folgender Gesichtspunkte fest: In dem verlesenen Schreiben des Generalkonsulats Erbil vom 3. September 2017 an das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland wird mitgeteilt, dass kurdische Peschmerga etwa 50 „mutmaßliche IS-Kämpfer“, die sich unter die aus Tal Afar flüchtende Zivilbevölkerung gemischt hatten, verhaftet hätten. Unter diesen mutmaßlichen IS-Kämpfern befänden sich auch zwei deutsche Staatsangehörige mit Kleinkind, bei denen es sich um Deniz B. und die Angeklagte handeln könne. Diese mutmaßlichen deutschen IS-Kämpfer würden am 22. August 2017 nach Erbil verbracht, in „welches Gefängnis/Untersuchungshaft sie eingeliefert würden“, stehe noch nicht fest. Im Vorfeld eines Haftbesuchs bei den beiden deutschen Inhaftierten am 30. August 2017 habe es ein Treffen von Mitarbeitern des Generalkonsulats mit den zuständigen Beamten der kurdischen Sicherheitskräfte gegeben. Dabei sei von diesen mitgeteilt worden, B. und der Angeklagten „werde vorgeworfen, auf Seiten des IS aktiv gewesen zu sein.“ Außerdem habe B. „eine militärische Ausbildung von mehreren Wochen durch den IS erhalten.“ Bei der Durchführung eines Verfahrens im Nordirak sei „eine 5- bis 10-jährige Inhaftierung zu erwarten.“ Diese Darstellung der Hintergründe für die Inhaftierung der Angeklagten in Erbil weist deutlich darauf hin, dass die Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit der ihr vorgeworfenen Mitgliedschaft beim IS erfolgte und es sich nicht, wie seitens der Staatsanwaltschaft gemutmaßt, lediglich um eine Art Abschiebehaft wegen illegalen Aufenthalts und zur Vorbereitung und Sicherung der Rückführung nach Deutschland handelte. Hiergegen spricht insbesondere auch die Inaussichtnahme eines langwierigen Verfahrens mit anschließender langjähriger Haftstrafe für den Fall des Verbleibens im Irak. Entsprechend wurde der anderweitig Verfolgte B. wegen seiner Betätigung für den IS nach einer verlesenen Mitteilung des Auswärtigen Amts im Irak zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 1 Monat verurteilt. Schließlich spricht für die Inhaftierung der Angeklagten wegen Terrorverdachts auch der Umstand, dass sie in einem abgetrennten Bereich für unter Terrorismusverdacht stehende Inhaftierte untergebracht war. Dies ergibt sich aus dem Erfahrungsbericht des Generalkonsulats Erbil betreffend Mai 2019, in dem davon die Rede ist, die Terrorverdächtigen seien in einem separaten Bereich gemeinsam mit ihren kleinen Kindern untergebracht. Dagegen, dass die Angeklagte gemeinsam mit „regulären“ Gefangenen untergebracht war spricht, dass sie sich mehrere Monate die Zelle mit der Zeugin S. - der selbst unter Terrorismusverdacht stehenden Ehefrau eines hochrangigen IS-Führers - teilte. Außerdem befanden sich laut Bericht des Generalkonsulats Erbil im Zeitraum 2017 bis 2018 überwiegend unter Terrorverdacht stehende Inhaftierte in dem Gefängnis, nämlich rund 550 von insgesamt etwa 700 inhaftierten Frauen.
IV. Strafrechtliches Vorleben der Angeklagten
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Dass die Angeklagte in Deutschland strafrechtlich nicht vorbelastet ist, hat der Senat der Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 17. April 2020 entnommen.
V. Strukturerkenntnisse
1. Entstehung und Entwicklung des Bürgerkriegs in Syrien und des IS
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Die Feststellungen zur Entstehung und Entwicklung des Bürgerkriegs in Syrien und zur Entwicklung des IS beruhen auf den beiden verlesenen Gutachten des islamwissenschaftlichen Sachverständigen Dr. St. [Gutachten zur terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ (IS), Stand: Februar 2016; Addenda zum Gutachten zur terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ (IS), Stand: April 2019]. Der Sachverständige war für den erkennenden Senat bereits in einer Mehrzahl von Verfahren, in denen der Senat sich von der Sachkunde des Sachverständigen überzeugen konnte, tätig. Außerdem beruhen die entsprechenden Feststellungen des Senats auf dem von der Sachverständigen KOKin Zi. erstellten verlesenen Auswertebericht des Bundeskriminalamts zum Islamischen Staat (Stand: Januar 2018). Die Entstehung und Entwicklung des Bürgerkriegs in Syrien und des IS war zudem bereits vielfach Gegenstand einschlägiger höchstrichterlicher Judikate, die entsprechenden Erkenntnisse können daher als gerichtsbekannt gelten.
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Zu dem von Neuankömmlingen beim IS zu durchlaufenden Ausbildungsprogramm führt der Sachverständige Dr. St. unter Berufung auf mehrere Quellen aus, dieses habe etwa 21 bis 25 Tage gedauert und vor allem den Umgang mit den Standardwaffen des IS, namentlich AK 47, schwere Maschinengewehre, RPGs und Handgranaten umfasst. Nach dem Ende der Grundausbildung hätten die IS-Kämpfer eine eigene AK 47 mit Munition und militärische Kleidungsstücke erhalten und seien einer Katiba zugeteilt worden. Die Kämpfer des IS hätten einen Sold von 50 oder 100 US-Dollar Sold erhalten, desgleichen deren Ehefrauen und für Kinder sei eine Zulage von je 35 US-Dollar bezahlt worden. Außerdem seien den Kämpfern und ihren Familien Wohnungen gestellt worden.
2. Aktivitäten des IS in und um Mossul und Tal Afar im Tatzeitraum
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Die Feststellungen zu den militärischen und terroristischen Aktivitäten des IS in und in der Gegend um Mossul und Tal Afar im hier gegebenen Tatzeitraum beruhen auf den verlesenen Gutachten der Sachverständigen Dr. Ki. Die Sachverständige ist Landesdirektorin der Friedrich-Ebert-Stiftung für Afghanistan und war zuvor Mitarbeiterin des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK). In dieser Funktion betreute sie die Erstellung der von mehreren wissenschaftlichen Mitarbeitern des HIIK erarbeiteten Gutachten „Der ‚Islamische Staat‘ in Syrien und im Irak“ von Februar 2015 und „Der ‚Islamische Staat‘ in Syrien und im Irak. II: Hintergrundanalyse zu Struktur und Entwicklung“ von April 2015. Aufgrund entsprechenden Auftrags des Senats ergänzte die Sachverständige diese beiden Gutachten durch das auf den Tatzeitraum und die Orte Mossul und Tal Afar bezogene Zusatzgutachten „Ninawa im Herrschaftsgebiet des Islamischen Staats in Syrien und Irak 2016/17“ von März 2020. Nach der vom Heidelberger Institut für Konfliktforschung entwickelten Methodik werden mit Waffengewalt ausgetragene Konflikte hinsichtlich ihrer Intensität anhand multidimensionaler Faktoren in fünf Kategorien unterteilt, um ihre vergleichende Bewertung zu ermöglichen. Die Basistatsachen für die Kategorisierung bezieht die Methode aus Veröffentlichungen der Konfliktparteien, Presseberichterstattung, Veröffentlichungen im Internet, wissenschaftlichen Quellen, Berichten nationaler und internationaler Stellen zur Krisenbeobachtung und zum Schutz der Menschenrechte sowie individuellen Opferangaben. Die Gutachten weisen durchgehend einen hohen wissenschaftlichen Anspruch auf. Sie würdigen das Quellenmaterial kritisch im Hinblick auf seine Herkunft und Belastbarkeit, legen die Methodik der wissenschaftlichen Vorgehensweise offen und lassen wissenschaftliche Vorsicht beim Ziehen von Schlussfolgerungen und Deduzieren allgemeiner Aussagen erkennen. Die analytische Folgerichtigkeit des Vorgehens und der Gedankenführung ist in jeder Hinsicht nachvollziehbar und klar verständlich. Die Gutachten erlauben einen substantiierten Überblick insbesondere über die militärischen und terroristischen Aktivitäten des IS in Mossul und Tal Afar zwischen März 2016 und August 2017. Sie belegen, dass in den genannten Regionen durch den IS durchgehend Handlungen vorgenommen wurden, bei denen es zu zahlreichen Tötungen kam, darunter auch viele extralegale Hinrichtungen von Zivilisten, zum Teil unter besonders grausamer Vorgehensweise. Aus dem Zusatzgutachten geht insbesondere hervor, dass die Konflikte im Tatzeitraum in der Region durchgehend der höchsten Eskalationsstufe 5 (Krieg) zuzurechnen sind.
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Außerdem enthält das Gutachten Ausführungen zu systematischen Plünderungen und Vertreibungen als Teil des Staatsprojekts des IS. Die systematische Vertreibung und Enteignung von Minderheiten und Repräsentanten der irakischen Regierung habe im Staatsprojekt des IS sowohl eine politisch-ideologische als auch eine wirtschaftliche Funktion besessen. Der International Organization for Migration (IOM) zufolge seien systematische Verletzungen von Eigentumsrechten Angehöriger ethnischer und religiöser Minderheiten sowie von Staatsangestellten und Mitgliedern der Sicherheitskräfte integraler Teil der Kriegsstrategie des IS gewesen. Nach einer Studie der IOM und der EU aus dem Jahre 2015 hätten interviewte Personen angegeben, dass der IS systematisch konfiszierten Wohnraum vermietet und verkauft und dies auch schon vor der Einnahme Mossuls geplant und vorbereitet habe. Durch die Konfiszierungen hätten IS-Kämpfer und deren Familien zusätzlich zu ihrem Sold freie Unterkunft erhalten. Von den Konfiszierungen seien besonders religiöse und ethnische Minderheiten, Angestellte des Staates, Richter und Mitglieder der Sicherheitskräfte betroffen gewesen, was als Teil einer gezielten und dauerhaften Vertreibungsstrategie verstanden worden sei. Christen sei es erlaubt gewesen, im Kalifat zu leben, in Mossul habe der IS ab dem 18. Juli 2014 eine Schutzsteuer (Jizya) für sie eingeführt. Nicht-Muslime hätten keine Heiligtümer erbauen, keine sichtbaren religiösen Zeichen oder Waffen tragen, und kein Schweinefleisch oder Alkohol konsumieren oder verkaufen dürfen. Wer diese Degradierung zum Bürger zweiter Klasse weder akzeptieren noch konvertieren wollte, dem seien 48 Stunden zur Flucht geblieben. Christen seien ab Juni 2014 vor die Wahl gestellt worden, entweder eine Sondersteuer zu zahlen, zum Islam zu konvertieren oder ihre Häuser innerhalb von drei Tagen zu verlassen. Einem Augenzeugen zufolge seien ehemals von Christen bewohnte Häuser nach der Übernahme durch den IS mit dem Schriftzug „Eigentum des Islamischen Staates” versehen worden. Ehemalige Bewohner hätten berichtet, dass die meisten, wenn nicht sogar alle christlichen Besitztümer geplündert und an gegenüber dem IS loyale Personen übergeben worden seien. Häuser von Christan, schiitischen Turkmenen und Schabaken seien mit einem „R“ für „Rafidah“ (Abweichler) markiert und konfisziert worden, nachdem innerhalb weniger Tage fast alle aus der Stadt geflohen waren. In vielen Ortschaften habe der IS nach Einnahme den ethnischen und religiösen Minderheiten deutlich gemacht, dass für sie im Kalifat kein Platz sei, auch indem deren Heiligtümer und Kulturerbe systematisch zerstört wurde. In Mossul und Tal Afar seien schon im Juni 2014 schiitische Moscheen gesprengt und sei mindestens eine Kirche in Mossul geplündert worden. Im Juli 2014 sei das Grab des Propheten Jonas und im August desselben Jahres seien der schiitische Schrein Imam Redha Maqam, Jesidische Tempel in Sinjar und Bashiqa sowie der Kakai Tempel in al-Hamdaniya durch den IS zerstört worden. Sämtliche christliche Einrichtungen in Mossul seien zerstört, besetzt oder zu Moscheen umfunktioniert worden. Das durch die Vertreibung entstandene Vakuum habe der IS durch gezielte Ansiedlungen gefüllt.
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Informationen des Londoner Internationalen Zentrums für Radikalisierungsstudien zufolge habe der IS allein im Jahr 2014 zwischen 500 Millionen und einer Milliarde US-Dollar durch Plünderungen eingenommen, vor allem durch die Eroberung Mossuls im Juni 2014. Durch die abnehmende Gebietskontrolle und damit auch schrumpfende zu besteuernde Bevölkerung und Stagnation von Konfiszierungen, habe diese Zahl 2015 auf 200 bis 300 Millionen US-Dollar abgenommen. Nach der Einnahme von Ninawa habe der IS Häuser, Gewerbeflächen und Felder und mit Verweis auf das islamische Konzept „Bayt almal“ (Haus des Geldes), die öffentliche Finanzverwaltung übernommen. In Mossul habe es im Juni 2014 mindestens 5000 Geschäfte gegeben von denen der IS Steuereinnahmen bezogen habe. Muslime, welche in Häusern wohnten, die Christen gehörten, seien aufgefordert worden, an den IS die Miete zu zahlen. Der IS habe auch selbst die neuen Besitzstände mit entsprechenden Papieren legalisiert und versucht, konfiszierte Gebäude weiter zu verkaufen. Alle Einrichtungen des Staates seien Ziel von Plünderungen, Zerstörung und der systematischen Aneignung der Dokumente und Archive durch die neue, von IS errichtete Verwaltung gewesen. Viele Polizeistationen seien symbolisch zerstört, andere öffentliche Gebäude als militärische Einrichtungen genutzt worden. Spätestens im März 2015 hätten sich alle religiösen und öffentlichen Gebäude unter IS-Kontrolle befunden. Sämtliche Arten von Privateigentum der Geflohenen, neben Wohnraum auch Einrichtungsgegenstände bis hin zum Essbesteck, seien vom IS geplündert und konfisziert worden. Der IS habe zudem den öffentlichen Besitz und die laufenden Einnahmen der Stadtverwaltung, der Zentralregierung und der sunnitischen Stiftung, die religiöse Liegenschaften und Landbesitz verwaltet, konfisziert. Ursprüngliche Register seien zerstört oder umgeschrieben worden. Die konfiszierten Gegenstände seien vom IS gelagert und an IS-Kämpfer und ihre Familien verschenkt worden. Im Februar 2015 habe der IS in Mossul den Markt „Spoils of the Nazarenes“ eröffnet, wo Medienberichten zufolge aus christlichen Häusern geplünderte Waren verkauft wurden. Wohnungen und Häuser seien zu niedrigeren Raten weitervermietet oder verkauft worden, besonders hochwertige Immobilien in den Besitz von hochrangigen IS-Kommandeuren, sowie ausländischen Kämpfern und ihren Familien übergegangen. Durch diese Praxis habe der IS ausländischen Kämpfern kostenlosen Wohnraum anbieten können. Entsprechende Erkenntnisse ergeben sich auch aus dem verlesenen islamwissenschaftlichen Gutachten der Sachverständigen Sch.
3. Rolle der Frauen beim IS
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Nach den verlesenen gutachterlichen Ausführungen der islamwissenschaftlichen Sachverständigen Sch. erfüllten Frauen für die terroristische Vereinigung IS vielfältige Funktionen und profitieren im Gegenzug von der Vereinigung. Ausländische Musliminnen seien durch die Propaganda des IS ausdrücklich unter Verweis auf die religiöse Pflicht zur Hijra - gegebenenfalls auch ohne männliche Begleitung - zum Zuzug auf das Herrschaftsgebiet des IS aufgefordert worden, um dessen regionalen Machtanspruch im „Kalifat“ zu stärken. In einer in dem Gutachten zitierten Publikation des IS werden die Ehefrauen von IS-Kämpfern als deren „Zwillingshälften“ bezeichnet, was das Selbstverständnis des IS verdeutlicht, nach islamischem Ritus verheiratete Mitglieder als Einheit zu begreifen. Auch werden Frauen als „Fundamente der Unterstützung Sicherheit“ und Ratgeber für ihre männlichen Familienangehörigen angesehen, denen daher „eine der Schlüsselrollen im Land des Dschihads“ zukomme. Durch das Eingehen einer Ehe mit einem Kämpfer könne eine Frau nach der Ideologie des IS gleichzeitig ihre religiösen Pflichten erfüllen und einen wichtigen Beitrag für den Jihad leisten. Frauen seien nach dieser Ideologie ihren Männern zu Gehorsam verpflichtet, was zugleich als religiöse Pflicht begriffen wird. Neben den Pflichten gegenüber dem Ehemann gehörten das Gebären, Versorgen und Erziehen von Kindern im Sinne der IS-Ideologie zu den wichtigsten Aufgaben der Frauen im IS. In einer Ausgabe des IS-Onlinemagazins RUMIYAH ist ausdrücklich von den „Segnungen“ eines Aufwachsens von Söhnen unter dem „Anblick von Waffen und Ausrüstung, inkl. Gewehren, taktischen Westen, Munition, Granaten und Sprengstoffgürteln“ die Rede. Das Ansehen der Videoveröffentlichungen und Verfolgen der Nachrichten der Mujahidin führe bei den Söhnen „zur Stärkung der Liebe für den Dschihad (…) sowie zur Vergrößerung des Hasses auf den Feind“. Der Frau komme dabei die Rolle zu, ihre Söhne durch die Verwendung von Publikationen der Mujahidin gemeinsam mit dem Vater zu Kämpfern zu erziehen. Durch eine Umsetzung der vom IS propagierten Erziehungsziele schafften die Eltern die Basis für eine etwaige Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen zu Propagandazwecken und zu einem Einsatz im Kampf noch als Minderjährige. Einzelne vom IS publizierte Videos zeigten den Einsatz von Kindern bei der Hinrichtung angeblicher Spione. In einer anderen Ausgabe von RUMIYAH wird die Bedeutung des Gebärens möglichst vieler Kinder zur Stärkung der Gemeinschaft betont. Mit der Vergrößerung der Anzahl der Muslime würden deren Feinde verdrängt. Die Gutachterin folgert, dass sich Frauen, welche zum IS ausgereist sind, bereits mit ihrer Einreise unter eine Herrschaft begeben, für die ein dem beschriebenen Rollenmuster entsprechendes Verhalten von immenser Bedeutung und Nutzen ist. Im Gegenzug erhielten ausländische Frauen, die hierzu bereit sind, kostenlose Versorgung im Herrschaftsgebiet des IS für sich und ihre Familien, was die Bereitstellung von Wohnraum und Nahrungsmitteln, kostenlose Versorgung mit Elektrizität und Wasser, medizinische Versorgung und monatliche Zahlungen beinhalte. Nach ihrer Einreise würden zugereiste Frauen zunächst in einem Gästehaus untergebracht, Ehepaare würden getrennt und der Mann erhalte eine militärische Ausbildung. Die Frauen seien in dieser Zeit den strengen Verhaltensvorschriften des IS unterworfen und dürften das Gästehaus nicht ohne Begleitung verlassen. Gegenüber einheimischen Frauen hätten aus dem Ausland zugereiste weibliche IS-Mitglieder nach den Ausführungen der Gutachterin grundsätzlich einen höheren Status genossen, was auch mit dem mit ihrer Zureise für den IS verbundenen Imagegewinn und der hohen medialen Aufmerksamkeit, die solche Frauen erfahren und die dem IS nutze, zusammenhänge.
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Die Sachverständige Dr. Ki. weist in ihrem Zusatzgutachten darauf hin, dass die Machtsicherungsstrategien des IS auch eine massive soziale Kontrolle unter Einbindung weiblicher IS-Mitglieder beinhaltet habe. Weibliche IS-Mitglieder, auch ausländische Frauen, hätten z.B. als Mitglieder der Religionspolizei eine aktive Rolle gespielt und auch an Folterungen teilgenommen. In einer im September 2019 ausgestrahlten Dokumentation zur Rolle von Frauen im Herrschaftsgebiet des IS habe eine Frau aus Raqqah davon berichtet, dass einer Frau, die verbotenerweise Nagellack getragen hatte, von anderen Frauen die Fingernägel gezogen wurden. Aus mehreren Städten unter IS-Kontrolle (Raqqah, Mossul, Tal Afar) habe es Berichte über weibliche „Beißerinnen“ („biter women“) gegeben, welche die Funktion einer Sittenpolizei ausübten. Diese Frauen führten ein metallenes Schlagwerkzeug mit scharfen Zähnen mit sich, mit dem sie andere Frauen, welche vermeintlich gegen Regeln der Scharia verstoßen haben, verletzten. Auch die Sachverständige Dr. Sch. schildert eine Reihe weiterer außerhäuslicher Tätigkeiten, die im IS von Frauen übernommen wurden, darunter die Kontrolle der Einhaltung der Kleidungs- und Verhaltensvorschriften, die Übernahme von Propagandatätigkeiten, das Anwerben anderer Frauen und den Einsatz für Selbstmordanschläge.
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Die verlesenen gutachterlichen Ausführungen zur Rolle von Frauen im System des IS überzeugen durch ihr hohes wissenschaftliches Niveau, namentlich die lückenlose und leicht nachvollziehbare Angabe der verarbeiteten Quellen und die gut strukturierte leicht verständliche inhaltliche Darstellung. Zugleich decken sich die Feststellungen der Gutachterinnen in wesentlichen Bereichen mit den eigenen Angaben der Angeklagten, die ebenfalls ihre Alimentierung durch den IS und ihre Unterbringung in einem Gästehaus in der Anfangszeit getrennt von ihrem Ehemann, welcher eine „Ausbildung“ durchlaufen habe, schilderte, sowie mit den Angaben der Zeugin Sabine S., die sich unter anderem auch propagandistisch für den IS betätigte und die Rolle von Frauen beim IS schilderte. Der Senat gewinnt aus diesen Erkenntnisquellen die Überzeugung, dass das Leben von aus dem Ausland auf das Herrschaftsgebiet des IS zugezogenen Frauen nicht mit einem gewöhnlichen „alltäglichen“ Leben im „Kalifat“ zu vergleichen ist. Aus dem Ausland zugezogene Frauen mussten zunächst aktiv Hindernisse wie Reisebeschränkungen und beschwerliche Reisewege auf sich nehmen und erhebliche wirtschaftliche Aufwendungen erbringen, um sich überhaupt zum IS zu begeben. Aus diesem Grund und weil für den IS mit dem Zuzug ausländischer Frauen ein großer Imagegewinn und eine erwünschte hohe mediale Aufmerksamkeit verbunden war, genossen diese Frauen in der Vereinigung einen hohen sozialen Status und Privilegien. Mit dem Bekenntnis dieser Frauen zur Ideologie des IS war zugleich deren Bereitschaft verbunden, die von der Vereinigung von Frauen erwartete Rolle auszufüllen, das heißt insbesondere Befehle des Ehemanns auszuführen, Kinder zu gebären und dadurch das „Staatsvolk“ zu stärken, diese Kinder im Sinne der IS-Ideologie als künftige Kämpfer und deren Ehefrauen zu erziehen sowie weitere für die Vereinigung nützliche Tätigkeiten zu übernehmen. Diese Bereitschaft unterscheidet sich letzten Endes nur funktional und nicht prinzipiell von der eines einsatzbereiten Kämpfers.
VI. Gang des Verfahrens
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Die Feststellungen zum Gang des Ermittlungsverfahrens beruhen auf den Angaben des Zeugen KOK Qu. vom Polizeipräsidium Südosthessen, der als polizeilicher Hauptsachbearbeiter mit der Sache bis zu ihrer Abgabe an das Bundeskriminalamt befasst war, für den daran anschließenden Zeitraum auf den Angaben des Zeugen KHK Wo.. Angaben zu den Umständen der Rückführung der Angeklagten nach Deutschland machte der Zeuge EKHK Kl.
VII. Irakische Normen
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Sämtliche von der Angeklagten begangenen und nach deutschem Recht strafbaren Handlungen waren im Tatzeitraum auch im irakischen Recht durchgängig unter Strafe gestellt. Die einschlägigen Normen des irakischen Rechts lauten nach den verlesenen Gutachten des Max-Planck-Instituts:
1. Aus dem irakischen Strafgesetzbuch
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Artikel 194
Wer eine bewaffnete Gruppe organisiert, leitet oder irgendeine Befehlsgewalt bei ihr innehat, die irgendeinen Teil der Bevölkerung angreift, oder das Ziel hat, die Anwendung der Gesetze zu verhindern, eine Invasion des Territoriums oder die gewaltsame Aneignung von staatlichem Eigentum oder das einer Gruppe von Leuten bezweckt, oder die sich mit Waffengewalt Vertretern der staatlichen Gewalt widersetzt, wird mit dem Tode bestraft.
Jede Person, die sich ohne bei ihrer Gründung mitzuwirken oder irgendeine Befehlsgewalt über sie innezuhaben, der Gruppe anschließt, ist mit lebenslangem oder zeitigem Zuchthaus zu bestrafen.
2. Aus dem irakischen Antiterrorgesetz
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Artikel 1 Definition von Terrorismus
Jede strafbare Handlung, die von einem Einzelnen oder einer organisierten Gruppe begangen wurde und die einen Einzelnen, eine Gruppe von Einzelnen, eine Gemeinschaft, eine öffentliche oder nicht öffentliche Institution zum Ziel hat, öffentlichem oder privatem Eigentum Schaden zufügt, um die Sicherheitslage, Stabilität und die nationale Einheit zu beschädigen oder Furcht und Schrecken zu verbreiten, oder Bürgerkrieg oder Chaos zur Verwirklichung terroristischer Zwecke zu stiften.
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Artikel 2 Terroristische Taten
(…)
Nr. 3: Wer eine bewaffnete terroristische Organisation organisiert, leitet oder eine Befehlsgewalt bei ihr innehat, die terroristische Akte ausführt oder plant, ebenso die Beteiligung und die Teilnahme an dieser Tat.
84
Artikel 4 Strafen
Nr. 1: Mit dem Tode wird bestraft, wer als Haupttäter oder Teilnehmer eine der terroristischen Taten der Artikel 2 und 3 dieses Gesetzes begeht. Der Anstifter, Planer oder Finanzier sowie jeglicher, der es den Terroristen ermöglicht, die in diesem Gesetz genannten Taten zu begehen, wird mit der Strafe für den Haupttäter bestraft.
(…)
3. Aus dem irakischen Waffengesetz
85
Das irakische Waffengesetz Nr. 13/1992 blieb grundsätzlich nach der Besetzung durch die amerikanischen Truppen in Kraft, wurde aber durch die Coalition Provisional Authority (CPA) Order Nr. 3 in der Fassung vom 31. Dezember 2003 an einigen Stellen geändert. Sowohl das Waffengesetz Nr. 13/1992 wie auch die CPA Order Nr. 3 wurden durch das neue Waffengesetz Nr. 51/2017, welches am 20. März 2017 in Kraft trat, ersetzt.
a. Waffengesetz Nr. 13/1992
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Artikel 27
(3) Mit Zuchthaus bis zu sieben Jahren oder mit Gefängnis von mindestens einem Jahr und Geldstrafe nicht unter 50.000 und nicht über 100.000 irakDinar wird bestraft, wer ohne Erlaubnis der ausstellenden Behörde Feuerwaffen oder ihr Zubehör besitzt, führt, verkauft oder repariert.
b. Waffengesetz Nr. 51/2017
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Artikel 1
Die folgenden Ausdrücke haben folgende Bedeutung:
Nr. 1: Feuerwaffen: Revolver, Schnellfeuergewehre, Gewehre und Jagdgewehre (…).
Nr. 2 Kriegswaffen: Waffen, die von den bewaffneten Kräften und von den inneren Sicherheitskräften verwendet werden, außer denen, die in Nr. 1 dieses Artikels aufgeführt sind.
(…)
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Artikel 3
Ein- und Ausfuhr, Besitz, Erwerb, Führen, Produktion, Reparatur, Transport, Übergabe oder Übernahme von Kriegswaffen, ihrer Teile oder ihres Zubehörs sowie der Handel damit ist verboten, außer für den Sicherheits- und den militärischen Apparat.
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Artikel 4
(1) Ein- und Ausfuhr sowie Produktion von Feuerwaffen, ihrer Teile oder ihres Zubehörs ist verboten, außer für den Sicherheits- und den militärischen Apparat.
(2) Besitz, Führen, Verkauf oder Reparatur von Feuerwaffen außer mit einer Erlaubnis der ausstellenden Behörde ist verboten.
(…)
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Artikel 24
(…)
(3) Mit Gefängnis bis zu einem Jahr wird bestraft, wer Feuerwaffen oder ihr Zubehör ohne eine Erlaubnis der ausstellenden Behörde führt, verkauft oder repariert. Mit Geldstrafe nicht unter 500.000 und nicht über 1.000.000 irakDinar wird bestraft, wer Feuerwaffen oder ihr Zubehör ohne eine Erlaubnis der ausstellenden Behörde besitzt.
(…)
(5) Mit Gefängnis und mit Geldstrafe von mindestens 100.000 und höchstens 250.000 irakDinar oder einer dieser beiden Strafen wird bestraft, wer abgesehen von den in den Absätzen 1 bis 4 genannten Fällen diesem Gesetz, Verordnungen oder Erklärungen, die dazu erlassen wurden, zuwiderhandelt.
c. Coalition Provisional Authority (CPA) Order Nr. 3
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Sektion 1 Nr. 3 definiert Feuerwaffen als automatische Waffen vom Kaliber .308 und weniger sowie nichtautomatische Gewehre, Flinten und Pistolen für den persönlichen Gebrauch. Nr. 6 definiert militärische Waffen als alle Waffensysteme, Munition oder explosive Stoffe jeder Art, die für den Gebrauch durch das Militär bestimmt, aber nicht Feuerwaffen im Sinne von Nr. 3 sind. Sektion 4 Nr. 1 verbietet den nicht autorisierten Besitz, Transport, die Verteilung oder Benutzung von Feuerwaffen oder militärischen Waffen. Sektion 6 Nr. 2 sieht für Verstöße gegen die Order Nr. 3 Strafen vor, darunter in Nr. 2 Buchstabe a) für den nicht autorisierten Besitz, Transport, die Verteilung oder Benutzung einer militärischen Waffe einen Strafrahmen von sechs Monaten bis lebenslanger Gefängnisstrafe.
F. Rechtliche Würdigung
I. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland
1. Mitgliedschaftliche Beteiligung
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Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung beteiligt sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung, wer sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Vereinigung entfaltet. Notwendig ist dafür eine auf Dauer oder zumindest auf längere Zeit angelegte Teilnahme am Verbandsleben und eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation, wodurch dieser als zum Kreis der Mitglieder gehörend gekennzeichnet und von Nichtmitgliedern unterscheidbar wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1963, 3 StR 5/63, BGHSt 18, 296, 299 f.; BGH, Urteil vom 14. August 2009, BGHSt 54, 69, 111 ff.). Beteiligungshandlungen eines Mitglieds können darin bestehen, unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Vereinigung beizutragen, aber auch darauf gerichtet sein, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten, weshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation ausreicht (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019, AK 22/19, Rn. 24 = NStZ 2020, 26 m. w. N.). Demgegenüber ist das bloße Leben im Herrschaftsbereich einer terroristischen Organisation für sich nicht als Beteiligung anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018, StB 32/17 = NStZ-RR 2018, 206). An einer Beteiligung fehlt es auch in Fällen einer bloß formalen oder passiven, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslosen Mitgliedschaft (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019, AK 22/19, Rn. 24).
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Hier ging die Betätigung der Angeklagten über ein bloßes Leben im „Kalifat“ des IS deutlich hinaus. Die Angeklagte lebte nicht lediglich im Gebiet des IS, sondern reiste erstens aktiv dorthin aus, gliederte sich zweitens einvernehmlich in die Organisation ein und entfaltete drittens eine unterstützende Tätigkeit für ihren Ehemann Deniz B., der dem IS auch als Kämpfer diente. Jedenfalls in der Gesamtschau dieser Betätigungen muss eine mitgliedschaftliche Beteiligung an der Vereinigung gesehen werden:
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Die Angeklagte begab sich gemeinsam mit dem anderweitig Verfolgten B. aus eigenem Antrieb und aktiv in das vom IS beherrschte Gebiet, um, wie es ihr in den von ihr konsumierten Propagandavideos und von anderen Unterstützern des IS im persönlichen Gespräch als religiöse Pflicht vermittelt worden war, einen Beitrag zur Stärkung des Herrschaftsanspruchs des IS und seiner im Entstehen begriffenen quasi-staatlichen Strukturen zu leisten. Hierzu traf die Angeklagte umfangreiche Vorbereitungshandlungen, indem sie sich unter anderem durch den Verkauf von Vermögensgegenständen Bargeld verschaffte, sich bei anderen IS-Mitgliedern danach erkundigte, welche persönlichen Gegenstände sie mitnehmen solle und indem sie gegenüber dritten Personen das Ziel ihrer Reise und ihres Aufenthalts im Gebiet des IS verschleierte. Im Verlauf der Einreise in das Gebiet des IS musste die Angeklagte zahlreiche Hindernisse überwinden, angefangen von der Polizeikontrolle in Antalya, über die Kontaktaufnahme zu den Schleppern, die Anreise ins Grenzgebiet und zu dem vereinbarten Treffpunkt bis hin zu mehrtägigen Wartezeiten, in denen die Angeklagte auf weitere Anweisungen wartete. In all diesen Aktivitäten äußert sich ein unbedingter Zugehörigkeitswille zum IS und die Bereitschaft, Schwernisse auf sich zu nehmen, um der Vereinigung anzugehören. Schon das unterscheidet das Verhalten der Angeklagten deutlich von einem bloßen Leben im „Kalifat“.
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Die Angeklagte gliederte sich außerdem einvernehmlich in die Organisation ein. Schon nach ihrer Ankunft im Grenzgebiet der Türkei vertraute sich die Angeklagte für die weitere Reise vom IS beauftragten Schleusern an und ordnete sich deren Anweisungen unter, unter anderem, indem sie zunächst ihre Vermögensgegenstände und dann ihre Ausweispapiere abgab. Nach ihrer Ankunft in Syrien und im Irak begab sich die Angeklagte für mehrere Wochen in die Obhut vom IS geführter Gästeunterkünfte und Frauenhäuser. Auch dort ordnete sie sich den an sie gestellten Verhaltenserwartungen unter, etwa der strikten Trennung von Männern und Frauen, und gliederte sich dadurch einvernehmlich in das Verbandsleben ein, nahm daran teil und war für Außenstehende - etwa Besucher - als zum Kreis der Mitglieder gehörend erkennbar. Spätestens mit der rund vierzehntägigen Unterbringung der Angeklagten in einem Frauenhaus des IS, während Deniz B. eine Ausbildung durch die Vereinigung durchlief, was zwingend eine Art von Registrierung voraussetzt, war eine gewisse formale Eingliederung der beiden in die Vereinigung gegeben. In dem „russischen“ Frauenhaus erhielt die Angeklagte zudem bereits finanzielle Unterstützung durch den IS.
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Schließlich beteiligte die Angeklagte sich auch aktiv als Mitglied an der Vereinigung, indem sie im Sinne der IS-Ideologie Deniz B., der dem IS auch als Kämpfer diente, als Ehefrau zur Seite stand. Nach ihrer Ankunft in Mossul nahmen die Angeklagte und B. Wohnung im Haus eines IS-Mitglieds, welcher sich gegenüber der Vereinigung für die Loyalität der beiden Neuankömmlinge verbürgen musste, und erhielten vom IS ein monatliches „Gehalt“ für ihre Tätigkeiten für die Vereinigung. In diesen vom IS auch für die Angeklagte erbrachten Leistungen zeigt sich, dass deren Mitgliedschaft nicht bedeutungslos für die Vereinigung war. Vielmehr entsprach es dem Interesse und Selbstverständnis des IS, dass die Angeklagte ihre Rolle als Ehefrau des IS-Kämpfers Deniz B. verlässlich ausfüllte und dadurch gemeinsam mit diesem einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des IS erbrachte, der von der Vereinigung durch regelmäßige Geldzahlungen und Zurverfügungstellen von unentgeltlichem Wohnraum entlohnt wurde.
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Bereits in dem aktiven Zuzug in das Herrschaftsgebiet des IS unter Erbringen eines erheblichen persönlichen Einsatzes und Überwindung beträchtlicher Hindernisse mit dem Ziel, durch die dortige persönliche Präsenz und die Bereitschaft zur Übernahme von durch die Vereinigung zugewiesenen Aufgaben deren Herrschaftsanspruch zu stärken, ist nach Auffassung des erkennenden Senats ein Verhalten zu sehen, mit dem die Angeklagte sich für die Terrororganisation IS mitgliedschaftlich betätigt hat (ähnlich BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019, AK 22/19, Rn. 26 = NStZ 2020, 26, 27 f.). Insbesondere ist ein solches Handeln nicht mit einem „bloßen Leben“ im Herrschaftsgebiet der Vereinigung oder einem reinen „Sympathisieren“ mit dieser vergleichbar. Wer beispielsweise nach der Übernahme der Gebietsherrschaft durch eine terroristische Vereinigung seinen Aufenthalt in dem betreffenden Gebiet beibehält und sich mit den veränderten Verhältnissen arrangiert oder diese sogar befürwortet oder als „Mitläufer“ nichts gegen ihre Änderung unternimmt, betätigt sich dadurch noch nicht für die Vereinigung. Insbesondere Verhaltensweisen, die lediglich der Sicherung der eigenen Existenzgrundlagen oder derer nahestehender Personen dienen, haben danach nicht die Qualität von Betätigungshandlungen. Das gilt auch für Handlungen, durch die zwar objektiv die Ziele der Vereinigung gefördert werden, zu denen die betroffene Person aber gezwungen wird. Weniger trennscharf erscheint demgegenüber als Abgrenzungskriterium zwischen einem mitgliedschaftlichen Betätigen und einem „bloßen Leben“ im Herrschaftsgebiet der Begriff des „alltäglichen“ oder „sozialadäquaten“ Verhaltens [vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018, StB 32/17, Rn. 24 = NStZ-RR 2018, 206, 207: „Dementsprechend stellt das alltägliche Leben derartiger Personen im ‚Kalifat‘ als solches keine mitgliedschaftliche Betätigung für den IS dar.“; ähnlich BGH, Beschluss vom 28. Juni 2018, StB 11/18, Rn. 19 = NStZ-RR 2018, 369, 371; Paul, GSZ 2019, 39, 40: „Allgemein formuliert dürfte die Grenzziehung dort vorzunehmen sein, wo das vereinigungsbezogene Verhalten ausschließlich in sozialadäquaten Tätigkeiten besteht (…).“; zurecht krit. zur Übertragbarkeit der Lehre von der Sozialadäquanz auf Konstellationen wie die gegebene Fahl, JR 2018, 276, 279 f. und ders., NStZ 2020, 28, 29, der als maßgebliche Grenze die „Solidarisierung“ mit dem Verbrechen und den Verbrechern ansieht]. Der Begriff der Sozialadäquanz ist relativ zu den gegebenen sozialen Verhältnissen, auf die er sich bezieht. Sozialadäquat für das Leben in einer kriminellen Vereinigung ist gerade das Begehen milieutypischer Straftaten, sozialadäquat und alltäglich für das Leben im „Kalifat“ die Teilnahme an öffentlichen Hinrichtungen, das Unterdrücken Andersdenkender, die Aneignung fremden Wohneigentums, das Führen von Kriegswaffen und dergleichen. Gerade die Tätigkeit von terroristischen Vereinigungen zielt in ihrem Kern darauf ab, eine bestehende staatliche Ordnung zu beseitigen und durch eigene Strukturen zu ersetzen, die auf lange Sicht durch ihre Alltäglichkeit in Legitimität erwachsen sollen. Die Alltäglichkeit des Terrors - die sich hier eindrucksvoll aus den vom IS im Tatzeitraum in den Gegenden um Mossul und Tal Afar verübten Kriegshandlungen und extralegalen Hinrichtungen ablesen lässt - ändert aber nichts an seinem strafwürdigen Unrecht. Das gilt insbesondere auch für ein menschenverachtendes Aufziehen von Kindern mit dem Ziel ihrer späteren Verwendung im Jihad. Solches alltägliche Handeln läuft elterlicher Fürsorge zuwider und unterscheidet sich in nichts von dem international geächteten Einsatz von Kindern zu militärischen Zwecken.
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Ein mitgliedschaftliches Betätigen der Angeklagten für die Terrororganisation „Islamischer Staat“ war daher schon mit ihrer Einreise in dessen Herrschaftsgebiet und aktiven Unterwerfung unter die dortigen quasi-staatlichen Strukturen gegeben. Die Angeklagte, die zuvor in Deutschland ein Leben in gesicherten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen geführt hatte, handelte dabei nicht aus existenzieller Not oder unter Zwang, sondern weil sie davon überzeugt war, durch ihren Zuzug der Sache des IS, die sie uneingeschränkt befürwortete, zu dienen, weil sie erneut die Anerkennung und Wertschätzung suchte, die sie bereits nach der Rückkehr von ihrem ersten Syrien-Aufenthalt durch Gleichgesinnte erfahren hatte, und weil sie sich allgemein von ihrem Handeln ein gutes und sorgenfreies Leben im „Kalifat“ versprach. Darüber hinaus ist die Haushaltsführung durch die Angeklagte hier als auf Dauer angelegtes vereinigungstypisches Verhalten zu bewerten. Es diente ersichtlich auch der Aufrechterhaltung der Kampf- und Einsatzbereitschaft B.s, entsprach dem vom IS propagierten Rollenverständnis zwischen den Geschlechtern und wurde wegen seiner Bedeutung für die Vereinigung eigens und ebenso hoch entlohnt wie die Tätigkeit als Kämpfer. Die Angeklagte erfüllte damit nicht lediglich die „häuslichen Pflichten“, die sich aus dem Zusammenleben mit ihrem Ehemann ergaben, sondern erbrachte hiermit Leistungen gegenüber dem IS. Dass sie vornehmlich Haushaltstätigkeiten verrichtete, steht ihrer mitgliedschaftlichen Beteiligung ebenso wenig entgegen wie die Tatsache, dass die Angeklagte ursprünglich in Syrien im Kalifat des IS leben wollte. Diese rein geographische Abweichung hat keinerlei Einfluss auf die übrigen Feststellungen und rechtlichen Bewertungen.
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Mit den im weiteren Verlauf der Mitgliedschaft hinzutretenden strafbaren Betätigungshandlungen des Aneignens von Wohneigentum und des Besitzes von Kriegswaffen bekräftigte die Angeklagte ihre mitgliedschaftliche Beteiligung an der Vereinigung. Diese Handlungen hatten das Ziel, den mit Waffengewalt aufrechterhaltenen Herrschaftsanspruch des IS zu stärken und eine Rückkehr der berechtigten Personen und deren Wiederinbesitznahme ihrer Häuser zu erschweren. Es entsprach dem Interesse des IS, dass zwei Angehörige der Vereinigung, darunter ein einsatzbereiter Kämpfer, die Häuser unter Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht bezogen und hierdurch - zumal in Anbetracht der Bewaffnung - die tatsächliche Gebietsherrschaft festigten.
2. Rechtswidrigkeit
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Für die mitgliedschaftliche Beteiligung der Angeklagten im IS besteht kein Rechtfertigungsgrund. Weder nach nationalem Recht noch nach völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen ergeben sich Rechtfertigungsgründe für die von der Vereinigung verübten Tötungen und für ihre sonstigen Handlungen.
101
Nach den getroffenen Feststellungen ist auszuschließen, dass die von der Vereinigung begangenen tatbestandsmäßigen Handlungen jeweils von einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff und mithin von einer Notwehr- oder Nothilfelage im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB abhingen. Die Taten des IS setzten nach den Zielen der Vereinigung gerade nicht voraus, dass nur solche Personen angegriffen werden sollten, die selbst unmittelbar zu einem rechtswidrigen Angriff ansetzten oder einen solchen durchführten. Ein rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB kann die Tötung von Menschen ebenfalls nicht rechtfertigen, weil eine Abwägung „Leben gegen Leben“ bei einem rechtfertigenden Notstand nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1988, 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347 ff.; BGH, Urteil vom 25. März 2003, 1 StR 483/02, BGHSt 48, 255 ff.).
102
Es bestand für die Mitglieder des IS auch kein Kombattantenprivileg nach Art. 43 Abs. 2 des Ersten Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 II S. 1550). Eine hierauf gestützte Berechtigung von Kombattanten zur unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten in bewaffneten Konflikten setzt einen internationalen Konflikt voraus. Fraglich ist schon, ob ein solcher im Tatzeitraum im Herrschaftsgebiet des IS überhaupt vorlag (vgl. ablehnend BGH, Beschluss vom 17. November 2016, AK 54/16, Rn. 24, juris für das Staatsgebiet Syriens und den Zeitraum bis Herbst 2012; OLG Düsseldorf, Urteil vom 3. November 2016, III-6 StS 2/16, 52, unveröffentlicht, für einen Tatzeitraum bis Ende 2013). Jedenfalls findet das Kombattantenprivileg eine Grenze im Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts (vgl. insbesondere Art. 48 und 51 des Ersten Zusatzprotokolls und Art. 13 des Zweiten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen), welches vom IS zweifellos, wie seine zahlreichen gezielten Massaker an der Zivilbevölkerung belegen, nicht beachtet wurde.
103
Die vom IS begangenen Tötungen sind auch nicht durch ein allgemeines übergesetzliches Widerstandsrecht gerechtfertigt. Ein übergesetzliches Widerstandsrecht erfasst als Notrecht grundsätzlich nur solche Widerstandshandlungen, durch die eine gegenwärtige Gefahr für die Bevölkerung abgewendet und eine die allgemeinen Menschenrechte achtende Grundordnung wiederhergestellt werden soll. Ein solches Widerstandsrecht kann daher nur im konservierenden Sinn eingesetzt werden, das heißt als Notrecht zur Verteidigung oder (Wieder-)Herstellung einer solchen Rechtsordnung (vgl. Rönnau, in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., vor § 32 Rn. 128; OLG München, Urteil vom 15. Juli 2015, 7 St 7/14, Rn. 451, juris). Mit dieser Zielrichtung handelten die Mitglieder des IS gerade nicht. Sie wollten die staatliche Ordnung in Syrien und im Irak durch einen islamischen Staat unter Geltung der Scharia ersetzen.
3. Verschulden
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Die Angeklagte handelte schuldhaft. Sie hat die Voraussetzungen eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes nicht irrig angenommen. Sie ging nicht davon aus, dass ihr Handeln mit nationalem oder Völkerrecht in Einklang stand, sondern ihr war bewusst, dass sie mit der Mitgliedschaft beim IS gegen die zur Tatzeit im Irak und international geltende Rechtsordnung verstieß.
105
Die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, war weder aufgehoben noch erheblich vermindert. Die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB liegen mangels Eingangskriteriums nicht vor.
II. Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz
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Nach § 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG macht sich strafbar, wer über Kriegswaffen ohne Genehmigung nach diesem Gesetz oder eine Anzeige nach § 12 Abs. 6 Nr. 1 oder § 26a des Gesetzes die tatsächliche Gewalt ausübt. Bei den beiden Sturmgewehren des Typs AK 47 sowie dem des Typs COLT M16 handelt es sich um Kriegswaffen im Sinne des § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG i. V. m. der Anlage zur Kriegswaffenliste Teil B, Abschnitt V, Nr. 29 Buchstabe c. Der Begriff des Ausübens der tatsächlichen Gewalt entspricht demjenigen des allgemeinen Waffenrechts und ist im Wesentlichen gleichbedeutend mit den Begriffen des unmittelbaren Besitzes und des Gewahrsams. Eine alleinige Ausübung der tatsächlichen Gewalt ist nicht erforderlich, ausreichend ist die bloße tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Waffe (Heinrich, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2018, KrWaffG § 22a Rn. 73 m. w. N.). So liegt es hier. Indem die Angeklagte jederzeit die Möglichkeit hatte, auf die in der gemeinsamen Wohnung offen aufbewahrten Kriegswaffen des Deniz B. zuzugreifen, hat sie den Tatbestand des abstrakten Gefährdungsdelikts objektiv erfüllt und die Möglichkeit des Mitbesitzes auch wenigstens billigend in Kauf genommen. Dass die Angeklagte Anstrengungen unternommen hätte, den ihr möglichen Zugriff auf die Waffen zu unterbinden, was den subjektiven Tatbestand ausschließen könnte, ist nicht erkennbar. Der Umstand, dass der Angeklagten die Präsenz der Waffen in den Wohnungen, wie sie angab, „unangenehm“ gewesen sei, reicht hierfür jedenfalls nicht.
III. Aneignung von Wohnraum
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Eine Aneignung im Sinne des § 9 Abs. 1 VStGB besteht in dem auf einen nicht unerheblichen Zeitraum angelegten Entzug einer Sache gegen oder ohne den Willen der berechtigten Person (Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2018, VStGB § 9 Rn. 9 m. w. N.). Unerheblich ist dabei, ob es sich um den ersten oder einen späteren Fall der Inbesitznahme handelt. Der Aneignung steht auch nicht entgegen, dass die berechtigten Personen zum Zeitpunkt der Inbesitznahme durch die Angeklagte und B. bereits geflohen waren, denn die Aneignung im Sinne des § 9 Abs. 1 VStGB setzt keine Anwesenheit oder unmittelbare Verfügungsgewalt der berechtigten Person über den Gegenstand voraus (BGH, Beschluss vom 4. April 2019, AK 12/19, Rn. 35 f. = NStZ-RR 2019, 229). Die Übernahme der beiden Häuser samt Einrichtungsgegenständen in Tal Afar vom IS durch die Angeklagte und B. stellt eine solche Inbesitznahme dar. Aus dem Umstand, dass aufgrund der massiven Zerstörung von Wohnhäusern in den umkämpften Gebieten im Tatzeitraum Knappheit an Wohnraum herrschte und die Vergabe der Häuser organisiert durch ein eigens vom IS hierfür eingerichtetes Amt erfolgte, lässt sich schließen, dass es sich bei beiden Objekten um Kriegsbeute handelte, die gegen den Willen der berechtigten Personen in die Verfügungsgewalt des IS gelangt waren. Auch der erforderliche funktionale Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt ist hier gegeben, denn die Angeklagte und B. konnten die beiden Häuser nur in Besitz nehmen, weil die berechtigten Personen vor den vom IS veranlassten militärischen Auseinandersetzungen fliehen mussten oder vom IS vertrieben wurden. In dieser Flucht bzw. Vertreibung kommt auch die von § 9 Abs. 1 VStGB geforderte Gegnerschaft zum Ausdruck, denn der IS ging, wie sich unter anderem an den alltäglichen Hinrichtungen von Zivilisten zeigt, gezielt gegen Zivilpersonen vor, die sich nicht bedingungslos seiner Ideologie anschlossen und unterordneten (vgl. auch BGH, a. a. O., Rn. 44). Schließlich ist gerade bei dem hier in Rede stehenden Wohneigentum auch das Merkmal des erheblichen Umfangs als erfüllt anzusehen, da Wohnungen und Häuser regelmäßig sowohl einen hohen wirtschaftlichen Wert verkörpern als auch für die berechtigten Personen von existenzieller Bedeutung sind (vgl. auch BGH, a. a. O., Rn. 50). Die unentgeltliche Besitznahme der Häuser samt Inventar durch die Angeklagte und ihren Ehemann war ferner darauf angelegt, diese den Berechtigten ohne deren Willen dauerhaft zu entziehen und für eine unbestimmte Zeit zu nutzen. Planungen, wonach die Berechtigten ihre Häuser oder das Inventar zurückerhalten würden, bestanden nicht. Auch ein völkerrechtlicher Rechtfertigungsgrund für die Aneignung ist nicht erkennbar. Gerade das Privateigentum untersteht einem besonderen völkerrechtlichen Schutz (vgl. Ambos, a. a. O., Rn. 14).
IV. Konkurrenzen
108
Zwischen einer Straftat, die ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung in Verfolgung von deren Zielen begeht und dem darin liegenden Verstoß gegen §§ 129a, 129b StGB besteht nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung Tateinheit. Für das Konkurrenzverhältnis zwischen der als Mitglied begangenen sonstigen Straftat und weiteren mitgliedschaftlichen Beteiligungsakten kommt es darauf an, in welchem Verhältnis diese untereinander stehen. Bilden mehrere Straftaten miteinander eine Handlungseinheit, wie dies bei mehreren waffenrechtlichen Verstößen der Fall sein kann, die zusammen ein „Dauerdelikt“ bilden, steht diese Handlungseinheit wiederum in Tateinheit mit der Mitgliedschaft in der Vereinigung. Die Begehung einer weiteren selbständigen Straftat, die den Zweck der Vereinigung fördert, verkörpert einen eigenständigen Unrechtsgehalt und steht deshalb zu anderen fördernden Handlungen, durch die ein gesonderter Straftatbestand verwirklicht wird, in Tatmehrheit, zugleich aber in Tateinheit mit dem Tatbestand der Mitgliedschaft (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015, 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 319 ff.; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016, 3 StR 355/16; BGH, Beschluss vom 8. November 2017, AK 54/17, Rn. 28 f.; jew. juris). Dabei bildet die sukzessive Verwirklichung solcher zusätzlicher Straftatbestände - auch wenn dies kontraintuitiv erscheinen mag und in Abweichung zu der Rechtsprechung bei den Waffendelikten (vgl. BGHSt 60, 308 Rn. 31; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018, AK 75-77/17, Rn. 37 f., juris) - nach den vom BGH entwickelten Maßstäben keine zeitliche Zäsur („vertikale Tatmehrheit“). Vielmehr handelt es sich jeweils um funktionale Handlungseinheiten („horizontale Tatmehrheit“) der Mitgliedschaft und der jeweiligen strafbaren fördernden Handlungen (vgl. BGHSt 60, 308 Rn. 35), die sich zeitlich überschneiden können, worauf im Rahmen der Einzelstrafzumessung Rücksicht zu nehmen ist, um eine mehrfache Berücksichtigung derselben Zeitspanne der Mitgliedschaft zu vermeiden.
109
Nach diesen Maßstäben gilt hier Folgendes: Durch den tatsächlichen, sich überschneidenden Zugriff auf insgesamt mindestens drei Kriegswaffen im Zeitraum von Ende März 2016 bis zur gemeinsamen Flucht im August 2017 hat die Angeklagte in drei Fällen gegen das KrWaffKontrG verstoßen. Diese drei Taten bilden eine Handlungseinheit, da nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung das sich zeitlich überschneidende Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen nur als ein selbständiger Verstoß gegen das Waffenrecht gilt. Insoweit handelt es sich um ein Dauerdelikt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 1997, 1 StR 800/96 = NStZ 1997, 446; BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003, 1 StR 457/02 = NStZ-RR 2003, 124; BGH, Beschluss vom 30. November 2010, 1 StR 574/10 = StraFo 2011, 61; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2013, 4 StR 258/12 = NStZ-RR 2013, 321; BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2017, AK 72/17, Rn. 22, juris; Heinrich, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2018, KrWaffG § 22a Rn. 107 m. w. N.). Dieses Dauerdelikt erfährt hier keine weitere zusätzliche Zäsur, da sich die Angeklagte nicht zu einer weiteren Straftat unter Verwendung einer der Waffen entschlossen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018, AK 75-77/17, Rn. 37, juris). Diese waffenrechtliche Handlungseinheit steht aber in Tateinheit mit der Mitgliedschaft in der Vereinigung, im Hinblick auf deren Ziele sie eine selbständig strafbare fördernde Handlung darstellt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 39). Jeweils eine weitere selbständige Tat bildet der Verstoß gegen das VStGB durch Aneigung der beiden Häuser in Tal Afar. Diese Taten stehen zueinander und zu den Verstößen gegen das KrWaffKontrG in Tatmehrheit, zugleich aber ebenfalls in Tateinheit zur Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung. Wiederum in Tatmehrheit zu den drei Handlungseinheiten, in denen selbstständige Straftatbestände verwirklicht wurden, steht die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung als solche, ohne dass weitere selbständig strafbare Handlungen hinzutreten. Danach war die Angeklagte wie tenoriert schuldig zu sprechen.
V. Anwendbarkeit deutschen Strafrechts und Strafverfolgungsermächtigung
110
Obwohl die Angeklagte die Taten im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen hat, sind sie nach deutschem Recht strafbar.
111
Die Anwendbarkeit von § 129b Abs. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB ergibt sich bereits aus § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB, ohne dass zusätzlich auch die Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB vorliegen müssen. Der für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gemäß § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erforderliche spezifische Inlandsbezug liegt vor, weil es sich bei der Angeklagten um eine Deutsche handelt (§ 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2 StGB). Die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung für Taten des IS liegt ebenfalls vor.
112
Im Übrigen ist deutsches Strafrecht gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB anwendbar. Die von der Angeklagten im Irak begangenen Taten sind am Tatort grundsätzlich mit Strafe bedroht. Für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung kann dies sowohl aus dem Begriff des „Sich-Anschließens“ in Artikel 194 Satz 2 des irakischen Strafgesetzbuchs als auch aus dem der „Beteiligung und Teilnahme“ in Artikel 2 Nr. 3 des irakischen Antiterrorgesetzes hergeleitet werden.
113
Für die verfahrensgegenständlichen Verstöße gegen das KrWaffKontrG besteht eine Strafbarkeit auch nach irakischem Recht nach Artikel 3 des Waffengesetzes Nr. 51/2017 und vor dessen Inkrafttreten am 20. März 2017 nach Artikel 27 Abs. 3 des Waffengesetzes Nr. 13/1992 sowie Sektion 4 Nr. 1 der CPA Order Nr. 3 vom 31. Dezember 2003.
114
Für die in Rede stehenden Straftaten nach dem VStGB ergibt sich die Anwendbarkeit des Gesetzes für im Ausland begangene Taten aus § 1 Satz 1 VStGB.
G. Rechtsfolgen
I. Strafzumessung
1. Einzelstrafen
a. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (Fall 1)
115
Der Strafrahmen für die Mitgliedschaft der Angeklagten in der terroristischen Vereinigung des IS ergibt sich aus § 129b i. V. m. § 129a Abs. 1 StGB und reicht von einem Jahr bis zehn Jahren Freiheitsstrafe.
116
Die Annahme eines minder schweren Falls gem. § 129a Abs. 6 StGB kam hier nicht in Betracht. Erforderlich hierfür wäre das kumulative Vorliegen einer subjektiv geringen Verantwortlichkeit und eines objektiv geringen Tatbeitrags (Schäfer, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 129 Abs. 153). Gegen eine subjektiv geringe Schuld der Angeklagten sprechen jedoch die lange Dauer ihrer Mitgliedschaft in der Vereinigung und der Umstand, dass sie zum zweiten Mal in voller Kenntnis der Umstände, die sie erwarten würden, in das Herrschaftsgebiet des IS ausgereist ist, um sich dieser Vereinigung anzuschließen. Gegen eine untergeordnete Mitwirkung sprechen zudem die Unterstützung eines einsatzbereiten Kämpfers und die besonders große Gefährlichkeit der Vereinigung. Vor diesem Hintergrund kann keine Rede davon sein, dass die Angeklagte einem Mitläufer gleich in die Mitgliedschaft „hineingeraten“ ist oder sich dieser nicht hätte entziehen können.
117
Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat der Senat strafmildernd gewertet, dass der von der Angeklagten für die Vereinigung geleistete Beitrag hinsichtlich seiner fördernden Wirkung eher in einem unteren Bereich anzusiedeln ist. Die Mitgliedschaft von Frauen war für die Vereinigung, wie dargelegt, zwar generell von großem Nutzen und sogar unverzichtbar für die Umsetzung des Projekts eines „Kalifats“, zugleich war die Angeklagte aber nur eine unter vielen einheimischen und ausländischen Frauen, die zu diesem Ziel beitrugen. Eine irgend hervorgehobene Stellung kam ihr in der Vereinigung nicht zu, auch nicht ihrem Ehemann. Zugunsten der Angeklagten sprach weiter deren Persönlichkeitsstruktur, insbesondere der Umstand, dass die Angeklagte aufgrund fehlender Anerkennung und Zuneigung im sozialen Umfeld empfänglich war für die Propaganda der Salafisten und sich im „Kalifat“ eine Verbesserung ihrer persönlich unbefriedigenden Situation erhoffte. Weiter hat der Senat zugunsten der Angeklagten deren umfassendes Geständnis gewertet, ferner den Umstand, dass sie strafrechtlich nicht vorbelastet ist, ihre glaubwürdige Distanzierung von der salafistischen Szene und ihr kooperatives Nachtatverhalten im Rahmen des Deradikalisierungsprogramms. Zulasten der Angeklagten hat der Senat berücksichtigt, dass es sich bei der Terrorvereinigung IS um eine äußerst gefährliche Organisation handelt, welche in brutaler und menschenverachtender Weise ihre ideologischen Ziele umsetzt und dabei gezielt und häufig auch medial inszeniert mit terroristischen Anschlägen und grausamen Ermordungen sowie anderen schweren Straftaten gegen die Zivilgesellschaft, auch gegen Frauen und Kinder, vorgeht, um global Angst und Schrecken zu verbreiten. Weiter hat der Senat zulasten der Angeklagten gewürdigt, dass diese sich bereits zum zweiten Mal in das Herrschaftsgebiet des IS begeben, sich der Vereinigung für eine beträchtliche Dauer von fast eineinhalb Jahren angeschlossen und durch ihren Beitrag einem einsatzbereiten Kämpfer, also einer in erhöhtem Maße gefährlichen Person, „den Rücken freigehalten“ hat.
118
Vor diesem Hintergrund hat der Senat für den Fall 1 eine Einzelfreiheitsstrafe von 2 Jahren 3 Monaten als schuld- und tatangemessen erachtet.
b. Mitgliedschaft und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (Fall 2)
119
Die Annahme eines minder schweren Falls bei dem Delikt nach § 129b i. V. m. § 129a Abs. 1 StGB kam auch hier aus den dargelegten Gründen nicht in Betracht. Damit ist der Strafrahmen auch im Fall der tateinheitlichen Verwirklichung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen dem § 129a Abs. 1 i. V. m. § 129b StGB als dem schwereren Delikt zu entnehmen. Die zur Mitgliedschaft tateinheitlich hinzutretende Verwirklichung des Delikts nach dem KrWaffKontrG in drei tateinheitlichen Fällen ist strafschärfend zu berücksichtigen, wobei besonders der lange Zeitraum ins Gewicht fällt, über den die Angeklagte Zugriff auf die Kriegswaffen hatte. Demgegenüber hat der Senat unter Beachtung der Vorgabe, dass es durch die Verwirklichung eines weiteren Delikts nicht zu einer zeitlichen Zäsur kommt, die Dauer der Mitgliedschaft während der Dauer der Waffendelikte nicht mehr strafschärfend in Ansatz gebracht, weil diese sonst eine doppelte Berücksichtigung erfahren würde. Weiter fällt zu Lasten der Angeklagten ins Gewicht, dass die durch das Verfügbarhalten von Kriegswaffen hergestellte Wehrhaftigkeit für die Vereinigung, die sich in einem dauerhaften bewaffneten Konflikt befand, von nicht unerheblicher Bedeutung war. Zugleich wurde durch die Verfügbarkeit der Waffen die Zugehörigkeit der Angeklagten zum IS, dessen militärische Macht und der hohe Stellenwert des bewaffneten Jihads gegenüber Außenstehenden dargestellt. Die ständige Verfügbarkeit und Sichtbarkeit von Kriegswaffen stellt einen wirkmächtigen Teil der Symbolik des IS und seines Machtanspruchs dar. Die - von der Vereinigung grundsätzlich erwünschte - entsprechende psychologische Wirkung auf das eigene Kind der Angeklagten hat der Senat wegen dessen jungen Alters hingegen nicht berücksichtigt. Zugunsten der Angeklagten spricht hier neben den bereits unter a. dargelegten Gesichtspunkten, insbesondere ihrem Geständnis auch in Bezug auf den Besitz der Kriegswaffen, dass diese nicht von ihr selbst, sondern von Deniz B. verfügbar gemacht und aktiv geführt wurden, die Angeklagte also nur die Möglichkeit des Zugriffs hatte.
120
Vor diesem Hintergrund erschien dem Senat für Fall 2 eine Einzelstrafe von 1 Jahr 9 Monaten als schuld- und tatangemessen.
c. Mitgliedschaft und völkerrechtswidrige Aneignung von Wohnraum (Fälle 3 und 4)
121
Auch hier kam die Annahme eines minder schweren Falls bei dem Delikt nach § 129b i. V. m. § 129a Abs. 1 StGB aus den dargelegten Gründen nicht in Betracht. Hinsichtlich der Fälle 3 und 4 ist der Strafrahmen daher diesen Normen wie auch § 9 Abs. 1 VStGB zu entnehmen, der einen identischen Strafrahmen vorsieht. Strafschärfend war hier neben der tateinheitlichen Verwirklichung des Verbrechens der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung die jeweils erhebliche Dauer der Aneignung von knapp einem halben Jahr zu berücksichtigen. Außerdem war strafschärfend der Umstand zu würdigen, dass Wohnraum für das persönliche Leben eine große existenzielle und affektive Bedeutung zukommt und zudem von nicht unbedeutendem materiellen Wert ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das zweite in Tal Afar bezogene Haus. Strafmildernd war jeweils zu berücksichtigen, dass es sich um eine weitere, der ursprünglichen Beschlagnahmung der Häuser durch den IS nachfolgende Aneignung handelte. Die Hemmschwelle bei einer solchen abgeleiteten Aneignung liegt gegenüber dem erstmaligen Entziehen des Eigentums deutlich niedriger. Zugunsten der Angeklagten war in diesem Zusammenhang außerdem die große Bedeutung ihres Geständnisses für den Tatnachweis der Aneignung von Wohnraum zu werten.
122
Vor diesem Hintergrund hat der Senat für die Fälle 3 und 4 jeweils eine Einzelfreiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten als schuld- und tatangemessen erachtet.
2. Gesamtstrafe
123
Diese Einzelstrafen hat der Senat unter maßvoller Erhöhung der Einsatzstrafe von 2 Jahren 3 Monaten unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte und unter Berücksichtigung des engen motivationalen, situativen und zeitlichen Zusammenhangs der einzelnen Taten auf eine
Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren
zurückgeführt.
II. Anrechnung im Ausland erlittener Haft
124
Darüber hinaus war die Anrechnung der von der Angeklagten in Erbil erlittenen Freiheitsentziehung auf die erkannte Gesamtstrafe festzustellen. Nach § 51 Abs. 1 StGB, der gem. § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB auf im Ausland erlittenen Freiheitsentzug entsprechend anzuwenden ist, hat eine solche Anrechnung dann zu erfolgen, wenn die verurteilte Person aus Anlass der Tat, die Gegenstand der Verurteilung ist, eine Freiheitsentziehung erlitten hat. Nach den von der verfassungsgerichtlichen und höchstrichterlichen fachgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben reicht es insoweit aus, dass zwischen der abgeurteilten Tat und derjenigen, aufgrund derer der Freiheitsentzug erfolgte, ein funktionaler Zusammenhang oder irgendwie gearteter sachlicher Bezug vorhanden ist oder war (BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 1999, 2 BvR 116/99 = NStZ 1999, 477; BGH, Beschluss vom 26. Juni 1997, StB 30/96, BGHSt 43, 112, 116). Nach Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 StGB soll jede Art von Freiheitsentziehung, die aus Anlass der Tat stattgefunden hat, auf die ausgesprochene Strafe angerechnet werden, unabhängig davon, ob die Freiheitsentziehung nach den Vorschriften der Strafprozessordnung erfolgt ist oder aufgrund anderer Regelungen, unabhängig auch davon, ob deutsche oder ausländische Behörden die Freiheitsentziehung angeordnet haben. Daher ist z. B. auch eine im Ausland erlittene Auslieferungs- oder Abschiebehaft anzurechnen, wenn sie aus Anlass der Tat infolge der internationalen Fahndung durch die deutschen Behörden erfolgt ist (BGH, Beschluss vom 10. April 1997, 5 StR 674/96, Rn. 5 = NStZ 1997, 385; BGH, Urteil vom 5. November 2014, 1 StR 299/14, Rn. 27 = BeckRS 2014, 23680; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 1994, 2 BvR 2352/93 = NStZ 1994, 607). Nichts anderes kann für - wie hier - aus Anlass der Tat im Ausland erlittene Untersuchungs- oder Sicherungshaft gelten. Irrelevant is dabei, dass die Behörden der Autonomen Region Kurdistan letztlich von einer eigenen Strafverfolgung zugunsten der mit dem Auswärtigen Amt vereinbarten Rückführung der Angeklagten nach Deutschland abgesehen haben, da nach dem Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB jede Art der justizförmigen Freiheitsentziehung anrechnungsfähig ist.
125
Dass sich die von der Angeklagten in Erbil erlittene Freiheitsentziehung auf denselben Sachverhalt bezog, der Gegenstand des hiesigen Strafverfahrens ist, steht außer Zweifel. Die Angeklagte wurde, wie sich aus der Mitteilung des Generalkonsulats Erbil unzweideutig ergibt, wegen des Verdachts der Mitgliedschaft beim IS von kurdischen Peschmerga-Kämpfern festgenommen und inhaftiert. Sie befand sich in Erbil in einem Gefängnis, in dem generell ganz überwiegend Terrorverdächtige festgehalten wurden, und wurde getrennt von „regulären“ Inhaftierten in einem für Terrorverdächtige vorgesehenen Bereich untergebracht. Ihr gemeinsam mit ihr in Haft genommener Ehemann wurde mittlerweile wegen Mitgliedschaft beim IS von einem irakischen oder kurdischen Gericht zu einer mehr als fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Freiheitsentziehung der Angeklagten erfolgte dabei durch eine Sicherheitsbehörde der Autonomen Region Kurdistan. Es handelte sich also um eine hoheitlich veranlasste Freiheitsentziehung, da die Region Kurdistan über weitreichende Autonomierechte und eigene staatliche Strukturen verfügt. Gerade auch der Umstand, dass die Angeklagte laut Anklagesatz von den Sicherheitsbehörden der Autonomen Region des Landes verwiesen wurde, ist ein Zeichen bestehender staatlicher Hoheitsgewalt. Schließlich hat die Angeklagte auch nicht durch ihr Verhalten nach der Tat Veranlassung gegeben, eine Anrechnung der Haft im Irak zu versagen.
126
Nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB war der Maßstab der Anrechnung der ausländischen Freiheitsentziehung vom Gericht festzustellen. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Bedingungen, unter denen die Angeklagte in Erbil inhaftiert war, deutlich von denen, die vom deutschen und europäischen Recht als mit der Menschenwürde inhaftierter Personen vereinbar angesehen werden, abwichen. Dies betrifft bereits die massive Überfüllung des Haftraums. Folgt man der Einlassung der Angeklagten, so hatte jede inhaftierte Person durchschnittlich nur etwa einen Quadratmeter Platz zur Verfügung (vgl. Bl. 53). Selbst das Generalkonsulat in Erbil berichtet über einen persönlichen Bereich jeder inhaftierten Person von unter drei Quadratmetern (vgl. Bl. 54). Mit den in Deutschland und dem übrigen Geltungsbereich der EMRK geltenden Anforderungen ist das nicht zu vereinbaren (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2012, 42525/07, Ananyev ./. Russland = NVwZ-RR 2013, 284, 288 m. w. N.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2017, 2 BvR 424/17, Rn. 39, juris: Vermutung für Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 1 Abs. 1 GG bei einem persönlichen Bereich von weniger als drei Quadratmeter je Häftling in einem Gemeinschaftshaftraum; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Februar 2011, 1 BvR 409/09, Rn. 30 f. = NJW-RR 2011, 1043, 1044 m. w. N.: Verletzung der Menschenwürde bei Nichteinhaltung der Mindestfläche von 6 oder 7 Quadratmetern je Gefangenem und fehlender Abtrennung bzw. Entlüftung der Toilette). Rückzugsmöglichkeiten und irgendeine Art von Privatsphäre gab es nicht. Die Angeklagte musste sich mit allen anderen in ihrem Haftraum untergebrachten Personen drei verschmutzte Toiletten teilen. Die Haftbedingungen massiv erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass der Haftraum nicht nur völlig vom Tageslicht abgeschnitten, sondern zudem 24 Stunden am Tag künstlich erleuchtet war. Als der lokalen Sprache unkundige Person konnte die Angeklagte zudem an Beschäftigungsangeboten nicht teilnehmen und war der Vollzug für sie besonders belastend. Die Entbindung ihres zweiten Kindes erfolgte unter unzumutbaren hygienischen und medizinischen Bedingungen. Schließlich war die Angeklagte in ständiger Sorge um das Wohlergehen ihrer beiden Kleinkinder, die kein für Kinder adäquates Umfeld zur Verfügung hatten und unter diversen Erkrankungen litten, ohne dass eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet war. Betreuungsangebote für die Kinder waren nicht vorhanden. Von den gebotenen deutschen Standards für Mutter-Kind-Haftplätze (vgl. §§ 80, 142 StVollzG; Steinhilper, in: Schwind/Böhm/Jehle/Lauben-thal, Strafvollzugsgesetz, 6. Aufl. 2013, § 142 Rn. 4 ff.) unterschieden sich diese Bedingungen ganz gravierend und sogar in einer den aus der Menschenwürde der Angeklagten resultierenden Achtungs- und Schutzanspruch verletzenden Weise. Vor diesem Hintergrund erschien dem Senat eine Anrechnung der in Erbil erlittenen Freiheitsentziehung im Verhältnis 1:3 als geboten. Die Haftbedingungen für den wenige Tage währenden Aufenthalt in dem Gefängnis in Dohuk unterschieden sich von denen in Erbil nach der Darstellung der Angeklagten nicht wesentlich. Hinzu kommt, dass die Angeklagte dort Bedrohungen durch das Sicherheitspersonal ausgesetzt war sowie Folterungen und Tötungen anderer Gefangener erlebte und deshalb in ständiger Angst um ihr eigenes Leben war. Vor diesem Hintergrund erschien dem Senat insoweit eine Differenzierung im Anrechnungsverhälntnis nicht angezeigt.
H. Kosten
127
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 StPO.