Inhalt

Vergabekammer Ansbach, Beschluss v. 12.02.2020 – RMF - SG 21-3194-5-2
Titel:

Vergaberechtswidriger Ausschluss eines Angebots

Normenketten:
GWB § 97 Abs. 6, § 134, § 160 Abs. 1, § 165 Abs. 1, Abs. 2
VgV § 57 Abs. 1 Nr. 4
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 S. 3
BGB § 133, § 157
Leitsätze:
1. Wenn sich der Wille der Vergabestelle nicht im Leistungsverzeichnis wiederfindet, kommt es auf den tatsächlichen Willen der Vergabestelle insoweit nicht an. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Vergabeverfahren ist ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen, wenn das Leistungsverzeichnis nicht alle erforderlichen Informationen enthält, um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten. (Rn. 59 – 60) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Merkmale des Auftragsgegenstandes müssen im Leistungsverzeichnis klar beschrieben werden. (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Angebotswertung, Angebotsabgabe, Vergabeverfahren, unzulässige Nachverhandlung, Präklusion, Auftragsgegenstand, Leistungsverzeichnis, Zuschlagserteilung, Transparenz, Klarheit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 28251

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
Die Vergabestelle wird verpflichtet unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer das Verfahren beginnend mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt … EUR. Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Tatbestand

Sachverhalt:
1
1. Die Vergabestelle schrieb die Beschaffung einer großen Klimakammer, einer kleinen Klimakammer und eines Sonnensimulators europaweit aus. Im Leistungsverzeich… waren die Geräte folgendermaßen ausgeschrieben:
2
Die Angebotsfrist endete am 25.11.2019. Mehrere Bieter gaben ein Angebot ab, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene.
3
2. Mit Schreiben vom 02.12.2019 übermittelte die Vergabestelle der Antragstellerin Nachfragen zu deren Angebot, die diese mit Schreiben vom 06.12.2019 unter anderem wie folgt beantwortete:
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3. Mit Schreiben vom 12.12.2019 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin gemäß § 134 GWB mit, dass beabsichtigt sei, das Angebot der Beigeladenen am 07.01.2020 zu bezuschlagen. Das Angebot der Antragstellerin habe nicht berücksichtigt werden können, da deren Planung vorsehe, dass die Sonnensimulation an der bauseitigen Decke befestigt werden solle. Dies überschreite die Anforderungen an die maximalen Außenmaße. Die Auskunft, dass gegen Aufpreis eine Befestigung an einem Stahlrahmen möglich sei, stelle eine gemäß § 15 Abs. 5 VgV unzulässige Nachverhandlung dar.
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Außerdem sei ein Betrieb der Sonnensimulation in der angebotenen Variante im Temperaturbereich von -20°C bis +60°C nicht möglich und nur mittels eines Vorschaltgeräts erreichbar, das ebenfalls erst nachträglich gegen Aufpreis angeboten worden sei, was wiederum eine unzulässige Nachverhandlung darstelle.
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4. Die Antragstellerin rügte den Ausschluss ihres Angebots mit Schreiben vom 19.12.2019 als vergaberechtswidrig.
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Es sei nicht ersichtlich, warum die Anforderungen an die maximalen Außenmaße überschritten worden seien. Der Sonnensimulator könne - wie stets - nicht an der Decke der Klimakammer angebracht werden, da diese nicht für derartige Lasten geeignet sei. Stattdessen werde regelmäßig der Sonnensimulator mittels einer durch die Decke der Klimakammer hindurchgeführten Aufhängung an der Decke des Raumes befestigt, in dem die Klimakammer stehe. Die Aufhängung sei nicht Teil der Ausschreibung gewesen. Warum dadurch die maximalen Ausmaße überschritten werden sollten, sei nicht ersichtlich. Ebenso sei in der Ausschreibung nicht dargelegt gewesen, warum dies aus anderen Gründen so nicht möglich sei.
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Die Angabe zum Betrieb des Sonnensimulators zwischen -20°C und +60°C habe sich nur bei den Mindestanforderungen an die große Klimakammer, nicht aber beim Sonnensimulator befunden. Die angebotene große Klimakammer erfülle diese Voraussetzung. Aus der Angabe bei der großen Klimakammer sei auch nicht zwingend zu folgern gewesen, dass dieselbe Mindestanforderung auch für den Sonnensimulator gelten solle, obwohl sie dort nicht aufgeführt sei. Welche Versuche im Einzelnen in den Klimakammern durchgeführt werden sollten, sei nicht bekannt und nicht in der Ausschreibung ausgeführt.
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5. Die Vergabestelle reagierte auf die Rüge nicht, die Antragstellerin erhob am 03.01.2020 einen Nachprüfungsantrag und beantragt:
1.
Das Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften bei der Ausschreibung der Antragsgegnerin zur Vergabe des Auftrags … - Klimakammer mit Sonnensimulator wird eingeleitet.
2.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin zurückzunehmen und die Angebotswertung unter Einbeziehung des Angebotes der Antragstellerin zu wiederholen.
3.3.
hilfsweise zu Ziffer 2:
Der Antraggegnerin wird untersagt, das Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung abzuschließen.
4.
Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gewährt.
5.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin.
6.
Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
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Zur Begründung vertieft sie den in der Rüge dargestellten Sachverhalt. Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sei vergaberechtswidrig, da das Angebot nicht vom Leistungsverzeichnis abweiche, und verletze die Antragstellerin damit in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB.
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6. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am 07.01.2020 an die Vergabestelle übermittelt und um Übersendung der Vergabekaten gebeten.
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7. Im Schriftsatz vom 14.01.2020 erwidert die Vergabestelle auf den Nachprüfungsantrag, dass die Geräte gemeinsam ausgeschrieben worden seien, was auch durch weitere Verfahrensteilnehmer so erkannt worden wäre. Jedenfalls wäre es der Antragstellerin möglich gewesen, im Rahmen einer Bieterfrage zeitgerecht vor Angebotsabgabe diesen Punkt abzuklären, was aber nicht erfolgt sei. Nach Öffnung der Angebote sei bei der Antragstellerin nochmals gezielt zu diesem Punkt nachgehakt worden, die angebotenen Lösungen jedoch nicht mehr berücksichtigt worden, da es sich um unzulässige Nachverhandlungen gehandelt hätte. Für die Antragstellerin sei aufgrund der Nachfragen klar ersichtlich gewesen, dass auch die Sonnensimulation im Temperaturbereich von -20°C bis +60°C sowie eine Befestigung der Sonnensimulation innerhalb der Maximalmaße gefordert gewesen sei. Soweit die Antragstellerin der Auffassung gewesen sei, dass das Leistungsverzeichnis hierzu keine Angaben enthalten habe, hätte sie dies innerhalb von 10 Kalendertagen ab dem 02.12.2019 gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB rügen müssen. Nachdem dies nicht erfolgt sei, sei sie präkludiert, der Nachprüfungsantrag daher unzulässig.
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8. Die Vergabekammer hat der Antragstellerin am 16.01.2020 Akteneinsicht unter Beachtung des Geheimschutzes gemäß § 165 Abs. 1, Abs. 2 GWB gewährt.
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9. Am 17.01.2020 wurde die Firma … zum Verfahren beigeladen.
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10. Die Antragstellerin ergänzt ihr Vorbringen mit Schriftsatz vom 22.01.2020.
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Ihr Vorbringen sei nicht präkludiert, da sie von dem Vergaberechtsverstoß erst mit dem Vorabinformationsschreiben und der Mitteilung des Ausschlusses ihres Angebots erfahren habe.
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Ihr Angebot weiche nicht vom Leistungsverzeichnis ab, sodass sie die von der Vergabestelle gestellten Fragen zu ihrem Angebot nicht dahingehend habe verstehen müssen, dass dieses ausgeschlossen werden würde. Somit habe keine Rügeverpflichtung bestanden.
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Der Ausschluss ihres Angebots sei vergaberechtswidrig, da dieses nicht vom Leistungsverzeichnis abweiche. Der Temperaturbereich sei bei der großen Klimakammer mit -20°C bis +60°C, bei der kleinen Klimakammer mit +15°C bis +25°C angegeben worden, beim Sonnensimulator habe sich keine Angabe befunden. Insoweit habe die Vergabestelle keine Mindestanforderung definiert. Die Vergabestelle könne die Klimakammern auch für Versuche einsetzen, bei denen der Sonnensimulator nicht genutzt werde, sodass der Temperaturbereich nicht zwingend übereinstimmen müsse. Aus dem Wortlaut des Leistungsverzeichnisses habe sich keine Veranlassung ergeben, dass der einstellbare Temperaturbereich auch für den Sonnensimulator gelten müsse. Es habe insofern auch keine Veranlassung für eine Bieterfrage gegeben. Ohnehin sei die Vergabestelle zur erschöpfenden Leistungsbeschreibung verpflichtet, § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB. Auch wenn andere Bieter dies anders verstanden haben sollten, ändere dies nichts.
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Es sei auch weiterhin nicht ersichtlich, warum die Maximalmaße überschritten worden sein sollten. Die Aufhängung sei nicht Ausschreibungsgegenstand gewesen, wie bereits in der Antragsschrift vorgetragen.
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11. Die Beigeladene erklärte mit Schreiben vom 27.01.2020, sie sehe keine Veranlassung, Stellung zu nehmen.
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12. Die Vergabestelle trug mit Schreiben vom 27.01.2020 vor, dass aus der Nachfrage zum Angebot vom 02.12.2019 eindeutig hervorgegangen sei, dass Befestigungen an der bauseitigen Decke nicht möglich seien. Ebenfalls sei zu erkennen gewesen, dass das Großgerät im Temperaturbereich von -20°C bis +60°C eingesetzt werden solle und nur genutzt werden könne, wenn auch der Sonnensimulator diesen Temperaturbereich einhielte. Aus der Antwort der Antragstellerin vom 06.12.2019 sei ersichtlich, dass diese zu diesem Zeitpunkt erkannt habe, dass die Leistungsbeschreibung etwas Anderes meine, als sie angeboten habe. Dies hätte sie gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB innerhalb von 10 Kalendertagen rügen müssen.
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13. Die Antragstellerin tritt dem Vortrag der Vergabestelle mit Schriftsatz vom 03.02.2020 entgegen. Das Schreiben der Vergabestelle vom 02.12.2019 sei nicht geeignet gewesen, die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB auszulösen. Die Vergabestelle habe in diesem Schreiben nicht mitgeteilt, dass das Angebot der Antragstellerin ausgeschlossen werden würde. Eine solche Entscheidung habe zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht getroffen sein können, da sonst die Vergabestelle keinerlei Anlass zu Nachfragen oder Nachforderungen gehabt hätte. Der maßgebliche Vergaberechtsverstoß, der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin, habe zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bestanden. Eine Rüge wegen eines möglichen künftigen Vergaberechtsverstoßes oder wegen des Verdachts auf einen solchen sei weder erforderlich noch zulässig.
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Auch sei dem Schreiben vom 02.12.2019 nicht mittelbar zu entnehmen gewesen, dass ein möglicher Ausschluss bevorstehen könnte. In der Frage Nr. 2 habe die Vergabestelle lediglich nachgefragt, ob ein Betrieb der Sonnensimulation im Temperaturbereich des „Großgeräts“ möglich sei. Dieser Frage sei nicht zu entnehmen gewesen, dass die Vergabestelle beabsichtigte, den Sonnensimulator in diesem Temperaturbereich zu verwenden. Mit dem „Großgerät“ könnten viele Versuche durchgeführt werden, für die ein Sonnensimulator nicht erforderlich sei. In der Leistungsbeschreibung sei diesbezüglich eindeutig definiert, dass nur die große Klimakammer einen einstellbaren Temperaturbereich von -20°C bis +60°C haben müsse, nicht aber der Sonnensimulator. Sofern die Vergabestelle nach Beantwortung der Frage zu dem Schluss gekommen wäre, dass die Leistungsbeschreibung nicht ihren eigentlichen Anforderungen entspricht, hätte sie eine entsprechende Korrektur vornehmen können.
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Die Frage Nr. 4 habe die Antragstellerin uneingeschränkt bejaht, hier habe nichts auf einen Ausschluss hingedeutet. Darüber hinaus sei die Aufhängung des Sonnensimulators nicht Gegenstand der Leistungsbeschreibung und demnach auch nicht mit anzubieten gewesen. Die Antragstellerin habe daher davon ausgehen können, dass der Sonnensimulator an der Decke aufgehängt werde, wie dies regelmäßig der Fall sei.
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14. Die Vergabestelle nimmt nochmals Stellung mit Schreiben vom 10.02.2020. Die Behauptung der Antragstellerin, die Aufhängung des Sonnensimulators sei nicht mit anzubieten gewesen, und die Behauptung, dass die Aufhängung an der Decke angebracht hätte werden sollen, widersprächen sich.
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Die Anmerkung im Schreiben vom 06.12.2019 belege, dass die Antragstellerin erkannt habe, dass eine Aufhängung an der Decke nicht möglich sei. Sie hätte daher innerhalb von 10 Tagen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB eine Rüge erheben müssen.
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15. In der mündlichen Verhandlung am 12.02.2020 hatten die Beteiligten Gelegenheit, sich zum Verfahren zu äußern. Auf das Protokoll wird verwiesen.
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Die Antragstellerin wiederholt ihre Anträge zu 2, 3, 5 und 6 aus dem Schriftsatz vom 3.1.2020
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Die Vergabestelle beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen und der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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Die Beigeladene ist nicht zur Verhandlung erschienen und stellt keine Anträge.

Gründe

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1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
32
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
33
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 GWB.
34
c) Bei dem ausgeschriebenen Lieferauftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB.
35
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert, § 106 Abs. 1 GWB.
36
e) Die ASt hat mit Schreiben vom 19.12.2019 rechtzeitig nach Erhalt des Informationsschreibens gemäß § 134 GWB vom 12.12.2019 die beabsichtigte Vergabeentscheidung gerügt.
37
Aus Sicht der Vergabekammer sind die Rügen der Antragstellerin nicht präkludiert. Die Nachfrage der Vergabestelle vom 2.12.2019 löst keine Rügeobliegenheit der Antragstellerin aus.
38
Die Vergabestelle trägt vor, dass die Antragstellerin aus der Nachfrage den vermeintlichen Verstoß gegen Vergabevorschriften erkannt hat. Die Nachfrage mache deutlich, dass die Vergabestelle für den Betrieb des Sonnensimulationsgerätes einen Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C verlangt. Die Nachfrage mache ebenfalls deutlich, dass der Sonnensimulator nicht an der bauseitigen Decke befestigt werden kann. Es kann jedoch nicht verlangt werden, dass die Antragstellerin schon vor dem Ausschluss ihres Angebotes eine Nachfrage rügt, bzw. Nachprüfungsantrag stellt. Erst der Ausschluss selbst stellt die Verfahrenshandlung dar. Die Nachfrage nach Angebotsabgabe löst keine separate Rügeobliegenheit aus. Von einem Erkennen eines Vergaberechtsverstoßes durch die Antragstellerin ist zu diesem Zeitpunkt nicht auszugehen.
39
Die Antragstellerin trägt vor, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Ausschluss gerechnet hat. Eine Kenntnis ist ihr insofern nicht zu unterstellen.
40
f) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hat i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass sie ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht. Sie hat geltend gemacht, dass das Vergabeverfahren nicht entsprechend den vergaberechtlichen Bestimmungen durchgeführt wurde und dass ihr dadurch ein Schaden droht.
41
g) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
42
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
43
Die Durchführung des Vergabeverfahrens verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
44
Die Antragstellerin ist durch den Ausschluss ihres Angebots in ihren Rechten verletzt. Das Vergabeverfahren ist ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen. Das Leistungsverzeichnis enthält nicht alle erforderlichen Informationen, um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten.
45
a) Die Vergabestelle durfte das Angebot der Antragstellerin nicht ausschließen gemäß § 57 Abs. 1 Nummer 4 VgV.
46
Das Angebot der Antragstellerin weicht nicht vom Leistungsverzeichnis ab.
47
aa) Die Vergabestelle begründet den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin unter anderem damit, dass der angebotene Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C nicht abdeckt.
48
Die Vergabestelle fordert in ihrem Leistungsverzeichnis nicht ausdrücklich, dass der Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdecken muss.
49
In den Vergabeunterlagen - Produkte/Leistungen - Ziffer 1 „Klimakammer mit Sonnensimulator“ sind die Mindestanforderungen an die große Klimakammer, an die kleine Klimakammer und an den Sonnensimulator separat formuliert. Während bei den Mindestanforderungen an die große Klimakammer und an die kleine Klimakammer jeweils ein Temperaturbereich angegeben ist, ist bei den Mindestanforderungen an den Sonnensimulator kein Temperaturbereich angegeben.
50
Die unter „vorgesehene Einsatzzwecke“ dargestellten Alternativen enthalten lediglich den Hinweis darauf, dass eine „sonnenlichtähnliche Bestrahlung einer kleinen Klimakammer sowie anderer zu untersuchende Objekte …“ stattfinden wird. Die kleine Klimakammer muss jedoch ausdrücklich nur den Temperaturbereich von +15 °C bis +25 °C abdecken.
51
Auch die Auslegung des Leistungsverzeichnisses nach objektivem Empfängerhorizont eines durchschnittlich verständigen und sachkundigen Bieters (gem. §§ 133, 157 BGB) ermöglicht kein anderes Ergebnis. Die Antragstellerin trägt glaubhaft vor, dass sie die Ausschreibung aufgrund des Wortlautes nicht so verstanden hat, dass auch der Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdecken muss.
52
Auf den tatsächlichen Willen der Vergabestelle kommt es insoweit nicht an, als dass der Wille der Vergabestelle sich nicht im Leistungsverzeichnis wiederfindet.
53
Die Einlassungen der Vergabestelle in der mündlichen Verhandlung, es sei klar ersichtlich, dass nur ein Gerät gefordert sei, welches den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdecken muss, überzeugt nicht. Diese Auffassung findet keine Niederlegung im Leistungsverzeichnis. Ein Ausschluss des Angebots der Antragstellerin scheidet aus diesem Grund aus.
54
bb) Die Vergabestelle begründet den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin weiterhin damit, dass die Anforderungen an die Außenmaße der großen Klimakammer, maximal 5,1 m Höhe, überschritten werden. In der mündlichen Verhandlung trägt die Vergabestelle vor, dass eine Befestigung des Sonnensimulators an der bauseitigen Decke nicht möglich sei. An der Hallendecke befänden sich Schienen eines Krans. Die Außenmaße der Klimakammer würden durch die Aufhängung an der Decke überschritten.
55
Die Auffassung der Vergabestelle überzeugt nicht. Im Leistungsverzeichnis fordert die Vergabestelle unter „sonstige Mindestanforderungen“ unter anderem Endmontage, Inbetriebnahme, Abnahmeprüfung und Übergabe der Klimakammer. Hinsichtlich der Montage hat die Vergabestelle keine genaueren Vorgaben getroffen.
56
Dem durchschnittlich verständigen und sachkundigen Bieter ist es aus dem Leistungsverzeichnis nicht ersichtlich, dass eine Aufhängung an der bauseitigen Decke nicht möglich ist. Dieser könne auch nicht erkennen, dass aufgrund der Angabe der Ausmaße der Klimakammer die Aufhängung an der Decke ausgeschlossen ist.
57
Die Antragstellerin hat glaubhaft vorgetragen, dass Sonnensimulatoren in den meisten Fällen an der Decke befestigt werden. Es sei aus dem Leistungsverzeichnis, insbesondere aus der Angabe der Außenmaße der Klimakammer, nicht zu erkennen gewesen, dass dieses eine Befestigung an der Decke ausschließt.
58
Auf den Willen der Vergabestelle, der im Leistungsverzeichnis keine Niederlegung gefunden hat, kommt es auch hier nicht an. Ein Ausschluss des Angebots der Antragstellerin scheidet aus diesem Grund aus.
59
b) Das Vergabeverfahren ist ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen.
60
Das Leistungsverzeichnis enthält nicht alle erforderlichen Informationen, um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten.
61
Gemäß § 31 Abs. 2 Nummer 1 VgV sind die Merkmale des Auftragsgegenstandes so genau wie möglich zu fassen. Das Leistungsverzeichnis muss ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln und hinreichend vergleichbare Angebote erwarten lassen, die dem öffentlichen Auftraggeber die Erteilung des Zuschlags ermöglichen.
62
Das ausgegebene Leistungsverzeichnis ist nicht hinreichend klar in diesem Sinne. Die Vergabestelle fordert im Nachhinein Merkmale des Auftragsgegenstandes, die sie im Leistungsverzeichnis nicht niedergelegt hat. Sie hat nicht ausdrücklich verlangt, dass der Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdeckt. Ebenfalls hat sie hinsichtlich der Montage nicht klar dargelegt, auf was es ihr ankommt, bzw. dass nicht jede Montagemöglichkeit genutzt werden kann aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten. Wird der Auftragsgegenstand nicht ausreichend klar im Leistungsverzeichnis beschrieben, so liegen zur Bewertung keine vergleichbaren Angebote vor. Die Bieter sind von unterschiedlichen Merkmalen des Auftragsgegenstandes ausgegangen. Die Angebote beruhen mithin auf unterschiedlichen Kalkulationsgrundlagen. Würden diese Angebote gewertet, wäre die Transparenz und die Gleichbehandlung im Wettbewerb nicht gewahrt.
63
Die Vergabestelle hat das Leistungsverzeichnis vorliegend vor einer neuen Aufforderung zur Angebotsabgabe zu überarbeiten. Die bislang unklaren Aspekte sind klar und eindeutig niederzulegen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
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a) Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1, 3 u. 5 GWB).
66
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der Antragstellerin ergibt sich aus § 182 Abs. 4 GWB.
67
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.).
68
Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
69
d) Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt. Sie hat daher das Risiko des Unterliegens nicht getragen und bekommt im Umkehrschluss dazu auch keine Aufwendungen erstattet.
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e) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin aus dem Angebot und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von … €.
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Die Vergabestelle ist von der Zahlung einer Gebühr befreit gemäß § 182 GWB in Verbindung mit dem Verwaltungskostengesetz in der am 14.8.2013 geltenden Fassung. Die Vergabestelle wird nach den Haushaltsplänen des Freistaates Bayern für dessen Rechnung verwaltet.
72
f) Der von der Antragstellerin geleistete Kostenvorschuss von … € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die Antragstellerin zurückgezahlt.