Inhalt

LG München I, Endurteil v. 22.09.2020 – 3 O 4495/20
Titel:

Beschränkungen infolge der Corona Pandemie als Mietmangel - monatlich gestaffelte Minderungshöhen

Normenkette:
BGB § 535 Abs. 1, § 536
Leitsätze:
1. Da seit der Frühzeit der Anwendung des bürgerlichen Gesetzbuchs anerkannt ist, dass ein Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen für den Einzelhandel oder des Gastgewerbes ein Mangel im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB sein kann, stellen auch die Beschränkungen in der Corona-Pandemie für die Vermietung eines Geschäftsraumes zum Betrieb eines Einzelhandels einen Mangel dar. (Rn. 16 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dies führt - in Bayern - im April zu einer Mietminderung von 80 %, im Mai aufgrund der Teilöffnung von 50 % und im Juni aufgrund des Abstandsgebotes von 15 %. (Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Tauglichkeit der Mietsache, Gebrauch der Mietsache, Mietminderungsrecht, Corona-Pandemie, Mietminderung, Einzelhandel, Wegfall der Geschäftsgrundlage
Fundstellen:
GE 2020, 1493
ZfIR 2020, 839
BeckRS 2020, 28189
LSK 2020, 28189
COVuR 2020, 868
ZVertriebsR 2021, 36
ZMR 2021, 229

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 117.804,99 € nebst Zinsen i.H.v. 9% über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 15.200,64 € seit 4.4.2020 und aus 38.001,61 € seit dem 7.5.2020 sowie aus 64.602,-- € seit 4.6.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 47,38%, die Beklagte 52,62%.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert für den Rechtsstreit wird festgesetzt bis zum 1.7.2020 auf 76.003,22 €, ab dem 1.7.2020 auf 223,870,72 €.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt als Vermieterin der Geschäftsräume der Beklagten in der Münchner Innenstadt Mietzahlungen für die Monate April, Mai und Juni 2020. Die Beklagte sieht für den Zeitraum von Beschränkungen infolge der Corona-Epidemie die Mietzahlungspflicht auf bis zu 100% gemindert, im übrigen sei die Geschäftsgrundlage gestört.
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Die Parteien sind über einen Mietvertrag vom 10.10.2017 über Gewerberäume im verbunden. Vermietet ist eine Gesamtfläche von 2.929 Quadratmetern (Untergeschoß, Erdgeschoß, Obergeschoß und Lagerfläche im zweiten Untergeschoß). Als monatlicher Nettomietzins waren 52.668,25 € vereinbart, die Umsatzsteuer im Monat beträgt 10.006,97 € (§ 4 4.1 Mietvertrag). Brutto beträgt der Mietzins demgemäß 62.675,22 €. Daneben waren Betriebs- und Nebenkosten (§ 4 4.2 Mietvertrag) zu zahlen. Die Betriebskostenvorauszahlungen betrugen gem. § 4 4.5 des Mietvertrags 11.200,-- € zuzüglich Umsatzsteuer 2.128,-- €, also insgesamt 13.328,-- €. Aufaddiert waren als mietvertraglich monatlich 76.003,22 € zu entrichten. Gem. § 7 a, Ziffern 7 a 1, 7 a 2, 7 a 3 waren Schadensersatzansprüche bzw. Mietminderungsansprüche wegen vom Vermieter nicht zu vertretender Emissionen oder Störungen der Zugänge des Gebäudes bzw. wegen Mängeln des Mietgegenstandes beschränkt.
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§ 1 Mietgegenstand des Mietvertrages lautet auszugsweise in Ziffer 1 1:
„Vermietet werden die Flächen im Geschäftshaus zum Betrieb und zur Nutzung als Die Vermietung erfolgt ausschließlich zum Zwecke des Einzelhandels mit - im wesentlichen - . Der Vermieter erklärt, dass die Nutzung der Mieträume in ihrem baulichen Zustand und zu diesem Zweck am Tag der Übergabe baurechtlich zulässig ist; nur hierfür steht der Vermieter nach diesem Vertrag ein…Die Mieterin ist weiter verpflichtet, auf ihre Kosten und ihr Risiko alle weiteren etwaigen für ihren Betrieb erforderlichen behördlichen Genehmigungen einzuholen und aufrechtzuerhalten. Der Vermieter sorgt für ungehinderten Zugang zu den Mieträumen und zwar sowohl für die Kunden als auch für die Warenanlieferungen, soweit es in seinem Einflussbereich steht.
Eine Änderung des Mietzwecks bedarf der schriftlichen Zustimmung des Vermieters, die nur aufgrund von sachlichen Gründen verweigert werden darf…“
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Auf die eintretende Covid-19-Pandemie wurde im Rahmen mehrerer öffentlicher rechtlicher Maßnahmen, so durch Allgemeinverfügungen und Infektionsschutzmaßnahmeverordnungen durch den Freistaat Bayern reagiert. Durch die vorgenommenen behördlichen Einschränkungen wurde der Beklagten die Öffnung ihrer Ladenfläche in der Zeit vom 18.3.2020 bis zum 26.4.2020 vollständig untersagt. Seit dem 27.4.2020 bis zum 10.5.2020 ist der Beklagten der Betrieb nur eingeschränkt auf einer Fläche von 800 Quadratmetern im Erdgeschoß und teilweise im Untergeschoß möglich gewesen. Ferner musste die Beklagte ein umfangreiches Abstands- und Hygienekonzept einhalten, wobei in dem Ladengeschäft nur maximal der Aufenthalt eines Kunden je 20 Quadratmeter Verkaufsfläche zulässig ist. Diese Beschränkung der Kundenanwesenheit gilt auch seit dem 11.5.2020 fort, während die Verkaufsflächenbeschränkung weggefallen ist.
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Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 23.3.2020 (K 2) mitgeteilt, sie müsse ab April 2020 bis auf weiteres coronabedingt die Miete um 100% kürzen und beruft sich in diesem Schreiben auf höhere Gewalt im Sinne eines unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignisses.
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Die Klagepartei sieht Mietzahlungsansprüche für April 2020 i.H.v. 76.137,76 €, für Mai und Juni 2020 i.H.v. jeweils 73.866,48 €.
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Aus Sicht der Klägerin ist die Beklagte weiter in voller Höhe zur Mietzahlung verpflichtet. Die Miete sei trotz der behördlichen Schließungsanordnungen weder gemindert noch liege eine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Behördliche Schließungsanordnungen richteten sich als Allgemeinverfügung gegen den Betreiber als Adressaten gerade nicht gegen den Eigentümer der Mietsache. Die Mietsache selbst sei während der gesamten Zeit zum vertraglich vereinbarten Nutzungszweck vom Vermieter überlassen gewesen. Es sei lediglich die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art untersagt worden. So haben auch während der behördlichen Schließzeiten die Räumlichkeiten genutzt werden können, z.B. zur Durchführung von Instandhaltungsarbeiten oder zur Produktlagerung. Ein Mietmangel habe daher nicht bestanden. Dies ergebe sich zudem aus der Risikoverteilung des Mietverhältnisses, wonach in den Risikobereich der Beklagten die Umsetzung des Betriebs eines Möbelgeschäfts falle. Auch die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage seien nicht einschlägig. Diese kämen nur in Betracht, wenn sich die Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend ändern würden und für die Parteien ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar sei. Hier trage wiederum das Verwendungsrisiko ausschließlich der Mieter; eine gemeinsame Geschäftsgrundlage scheide insoweit auch aus, da die Parteien bei Vertragsschluss keine Vorstellungen zu einer Pandemie gehabt hätten.
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Die Klägerin beantragt daher zuletzt,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 223.870,72 nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 76.137,76 seit 04.04.2020 und aus jeweils EUR 73.866,48 seit 07.05.2020 und 04.06.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Aus Sicht der Beklagten ist sie nicht zur Mietzahlung verpflichtet, da die behördliche Untersagung der Nutzung des Mietobjekts einen Mietmangel begründe und im übrigen wegen der Covid-19 bedingten Nutzungsuntersagung auch ein Fall der Störung der Geschäftsgrundlage gegeben sei. Während der völligen Nutzungsuntersagung habe sie keine Umsätze mit während dieser Zeit in den Mietflächen getätigten Verkäufen erzielen können, weil diese nicht für Kunden zugänglich waren. Die Unnutzbarkeit bzw. folgende eingeschränkte Nutzbarkeit stelle einen Mietmangel dar; selbst wenn die Aufhebung der Tauglichkeit der Mietsache zur Nutzung zum vertraglich vereinbarten Mietzweck nicht als Mietmangel angesehen würde, läge ein Fall der Störung der Geschäftsgrundlage vor. Die Öffnung des Geschäfts der Beklagten für den Publikumsverkehr und der Betrieb zum vereinbarten Mietzweck gingen insoweit miteinander einher, dass es ohne den Zugang zum Ladenlokal auch keinen mietvertragsentsprechenden Geschäftsbetrieb geben könne. Dies ergebe sich insgesamt schon wegen der zentralen auf dem Publikumsverkehr ausgerichteten Lage des Mietobjekts, was ein maßgeblicher Grund für dessen Anmietung gewesen sei. Daher wirke sich auch die spätere Nutzungsbeschränkung sehr erheblich aus.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 2.6.2020 (Bl. 32/34 d.A.) sowie vom 11.8.2020 (Bl. 68/70 d.A.) Bezug genommen. Die Klägerin nahm Abstand vom Urkundsverfahren (Bl. 69 d.A.).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
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Die Beklagte konnte die Miete teilweise und in Abstufungen der jeweils geltend gemachten Mietmonate mindern.
I. Geminderter Mietzahlungsanspruch
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1. Gem. § 535 Abs. 2 BGB ist der Mieter verpflichtet, dem Vermieter die vereinbarte Miete zu entrichten, während der Vermieter gem. § 535 Abs. 1 BGB durch den Mietvertrag verpflichtet ist, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. Dies bedeutet, dass der Vermieter die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten hat. Die aktuelle Fassung entspricht damit weitgehend der Ursprungsfassung des BGB in den ehemaligen §§ 535, 536 BGB, wonach der Vermieter die vermietete Sache dem Mieter in einem zu dem vertragsgemäßen Gebrauche geeigneten Zustand zu überlassen hat und dem Mieter den Gebrauch der vermieteten Sache während der Mietzeit zu gewähren hat.
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2. Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit. Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten, wobei eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit außer Betracht bleibt (vgl. § 536 Abs. 1 BGB). Ähnlich formuliert ist § 537 BGB in der Ursprungsfassung: „Ist die vermietete Sache zur Zeit der Überlassung an den Mieter mit einem Fehler behaftet, der ihre Tauglichkeit zu dem vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder mindert oder entsteht im Laufe der Miete ein solcher Fehler, so ist der Mieter für die Zeit, während deren die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der Entrichtung des Mietzinses befreit, für die Zeit, während die Tauglichkeit gemindert ist nur zur Entrichtung eines nach …zu bemessenden Teiles des Mietzinses verpflichtet. Das gleiche gilt, wenn eine zugesicherte Eigenschaft fehlt oder später wegfällt…“
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a) Zunächst ist seit der Frühzeit der Anwendung des bürgerlichen Gesetzbuchs anerkannt, dass aufgrund Verbots der Öffnung von Verkaufsstellen für den Einzelhandel oder des Gastgewerbes ein Mangel im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegen kann, weil die Tauglichkeit der Mieträume für den vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben oder gemindert ist (vgl. beispielsweise Bieber, Grundeigentum 2020, 657 bis 658 nach juris). Soweit ersichtlich hat dies das Reichsgericht in vier Entscheidungen stabil bestätigt:
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aa) So führte das Reichsgericht (JW 1913, Seite 596, Nr. 10) aus, die auf einem gesetzlichen Verbot beruhende Unbenutzbarkeit der Mieträume zu dem bestimmungsgemäßen Gebrauche bilde einen Mangel im Sinne der §§ 537, 538 BGB a.F. Im damals gegenständlichen Fall ging es um Räume, welche zum Betrieb einer Fabrik vermietet waren, wobei dieser Fabrikbetrieb den Mietern durch die örtliche Polizeibehörde untersagt wurde. Das Reichsgericht führte aus, der Begriff des Sachmangels sei bei der Miete im allgemeinen „kein anderer als beim Kaufe“, wenn sich auch ein Unterschied daraus ergebe, dass nur die Fehler in Betracht kommen, welche die Tauglichkeit der Sache „zu dem vertragsgemäßen Gebrauche aufheben oder mindern“. Die Unbrauchbarkeit der Sache zu dem vertragsgemäßen Gebrauche müsse daher bei der Miete ebenso wie beim Kaufe auch dann als Sachmangel angesehen werden, wenn sie auf Bestimmungen des öffentlichen Rechts beruht.
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bb) In einer weiteren Entscheidung vom 9.11.1915, Rep. III.145/15 äußerte sich das Reichsgericht in Bezug auf ein Restaurantetablissement, das jedenfalls im nicht unwesentlicher Weise als Tanzbar betrieben war, wobei nach Beginn des 1. Weltkriegs Tänze polizeilich sehr eingeschränkt wurden. Hier führte das Reichsgericht aus, dass, so „der Tanzbetrieb die eigentliche Quelle des Erwerbs aus der Gastwirtschaft“ zur Zeit des Vertragsschlusses bildete, so der Minderungsanspruch der Kläger gerechtfertigt sei. Ein einschränkendes Verbot beeinträchtige die Möglichkeit des Pächters zur Fruchtziehung und nehme die Möglichkeit die vertragsgemäßen Nutzungen zu gewähren. Insoweit führte das Reichsgericht sogar aus, es sei ohne Bedeutung, wenn der Tanzbetrieb im schriftlichen Vertrage nicht erwähnt ist. Es habe somit ein behördliches Tanzverbot „den Pachtgegenstand selbst“ betroffen, die zum Tanzbetrieb eingerichteten und ihm seit langen Jahren dienenden Räume; sie wurden dadurch der Eigenschaft einer Tanzwirtschaft beraubt und waren so mit einem die Tauglichkeit zu der vertragsgemäßen Nutzung mindernden Fehler behaftet.
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cc) In einer weiteren Entscheidung vom 15.2.1916, Rep. III.333/15 äußerte sich das Reichsgericht zur Ermäßigung des Pachtzinses einer als Nachtlokal betriebenen Weinwirtschaft, wenn die Polizeistunde allgemein neu festgesetzt wird und dadurch der Nachtbetrieb zum großen Teil unmöglich gemacht wird. Seinerzeit wurde nach Beginn des 1. Weltkriegs die Polizeistunde allgemein vorverlegt. Hier führte das Reichsgericht aus, der Verpächter sei verpflichtet, dem Pächter den Gebrauch des verpachteten Gegenstands und den Genuss der Früchte während der Pachtzeit zu gewähren, wobei es im entschiedenen Fall feststellte, dass „die Wirtschaftsräume für den Nachtbetrieb bestimmt und nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien unter Vereinbarung einer dieser Art des Betriebs entsprechenden hohen Vergütung verpachtet worden“ waren. Durch die Vorverlegung der Polizeistunde könne von einem Nachtbetrieb in dem gewöhnlichen und auch im Sinne des Vertrags entsprechenden Sinne nicht gesprochen werden. Damit sei der Pachtgegenstand selbst in seiner Eigenschaft als Nachtwirtschaft getroffen und der vertragsgemäße Gebrauch insoweit entzogen.
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dd) In einer weiteren Entscheidung führte das Reichsgericht mit Urteil vom 26.10.1917 Rep. III 212/17 zu der Miete eines Ladens in einem Badeort zum Geschäftsbetrieb mit den Badegästen nach Erlass eines Verbots des Badebetriebs durch die zuständige Militärbehörde aus, dass dies für den vermieteten Laden „einen Fehler, einen Mangel“ herbeigeführt habe, der „die Tauglichkeit des Ladens zu dem vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt“. Weiter führte das Reichsgericht aus, dass die Mieter des Ladens sich nicht darauf verweisen lassen müssten, sie könnten den Laden zu Verkaufszwecken weiter benutzen, nämlich für Zwecke guter Geschäfte wegen der neuen starken Kriegsgarnison am Ort, da ein solcher Geschäftsbetrieb nach dem Gegenstand der Betriebsart ein völlig anderer wäre als der beiderseits zum Vertragsschlusse gemeinte und gewollte.
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In den Entscheidungen des Reichsgerichts ist offenkundig, dass die Begrifflichkeit „Mangel“ und „Fehler“ synonym und gleichbedeutend gebraucht werden.
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b) Auch in der jetzt aufkommenden Literatur gibt es starke Stimmen, welche vorrangig das Mietminderungsrecht zur Lösung von coronabedingten Konflikten von Mietparteien heranziehen (so beispielsweise Krepold, WM 2020, 726 - 734 oder auch Horst, MK 2020, 089-092). Die Autoren gehen jeweils vom Vermietungszweck aus, beispielsweise eines Hotel- oder Gaststättengewerbes (Krepold, a.a.O. 731) oder sogar von einer Unmöglichkeit der Vertragsfortführung bei Nutzungsverboten (Horst a.a.O.), wobei eine Mietminderung zu 100% in aller Regel in Betracht komme, was der gesetzlichen Automatik der genannten Garantiehaftung des Vermieters entspreche.
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Im übrigen ist ohnehin anerkannt, dass öffentlich rechtliche Beschränkungen als rechtliche Verhältnisse einen Mangel darstellen können, wenn sie sich auf Beschaffenheit, Benutzbarkeit oder Lage der Sache beziehen, wobei es auf den vereinbarten Geschäftszweck ankommt und die Beschränkung grundsätzlich bestehen muss (Palandt, BGB, 2020, § 536 Rd.Ziffer 18).
24
c) Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht die vorliegenden Beschränkungen der Mietsache als Mietmangel im Sinne von § 536 BGB an.
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Schriftlich festgelegter (§ 1 Mietvertrag) und überdies deutlich von den Parteien vorausgesetzter Mietzweck war der Betrieb zur Nutzung als Möbelgeschäft mit Wohnaccessoires zum Zwecke des Einzelhandels. Dieser Mietzweck konnte nach den öffentlich rechtlichen Beschränkungen infolge der Corona Epidemie nicht mehr eingehalten werden. Diese Beschränkungen fallen nicht in den Risikobereich der beklagten Mieterin. Soweit vertragsgemäß (§ 1 1.1) festgehalten ist, dass die Mieterin verpflichtet ist, auf ihr Risiko alle weiteren etwaigen für ihren Betrieb erforderlichen behördlichen Genehmigungen einzuholen und aufrechtzuerhalten, führt dies zu keiner anderen Risikoverteilung, da dies nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien nur baurechtliche oder ggf. arbeitsrechtliche Genehmigungen sein konnten; die Parteien haben sich sicherlich zur Zeit des Abschlusses des Mietvertrags keine Gedanken um Nutzungseinschränkungen in der Innenstadt wegen seuchenrechtlicher Maßnahmen gemacht. Damit trifft die behördliche Einschränkung die vertragsgemäß vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit der Mietsache selbst, da nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien gerade ein Ladengeschäft für hochwertige Möbel und hochwertige Möbelaccessoires in zentraler Münchner Lage betrieben werden sollte. An diesem Mietzweck muss sich auch die Vermieterin festhalten lassen, der zudem gelegen war eine hochwertige Umgebung für das Gesamtensemble zu erhalten. Damit unterscheidet sich die Situation auch grundsätzlich von der Situation einer Gaststätte, die von durch Volksentscheid herbeigeführter Bayerischen Rauchverbotsregelung betroffen ist. Eine Gaststätte kann nämlich weiterbetrieben werden, wobei durch Unterlassen von Rauchen ein stärkerer Kunden-, Gästewie auch insbesondere Arbeitsschutz für Bedienungen und Mitarbeiter zu erwarten ist. Derartige, letztendlich ins Arbeitsrecht hineingehende Schutzbestimmungen muss aber ein Gaststättenbetreiber immer hinnehmen, sie haben mit dem vereinbarten Mietzweck allenfalls in ungewöhnlichen Sondersituationen zu tun. Vorliegend ist aber der vereinbarte und von beiden Parteien vorausgesetzte Nutzungszweck der Mietsache, auf dem die Fruchtziehung der Beklagten beruht, erheblich gestört. Dies begründet in der vorliegenden Gewerbemiete mit oben angeführten Darlegungen einen Mietmangel.
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3. In der Folge des Vorhandenseins des Mangels war ein Minderungsbetrag zu bemessen, da der vorhandene Mangel nicht nur bagatellhafter Art ist. Entsprechend Mietvertrag geht das Gericht insgesamt von einer geschuldeten Bruttogesamtmiete einschließlich der Nebenkosten und Heizungskosten von 76.003,22 € aus. Die - wenn auch relativ geringfügig - abweichenden Beträge, welche die Klageseite angibt (Bl. 36 d.A) erschließen sich dem Gericht nicht. Der Zahlbetrag selbst war jeweils zwischen den Parteien umstritten (Beklagte Bl. 52) und ist auch anhand der internen Kontoverrechnungsanlage der Klagepartei (K 5) für das Gericht nicht nachvollziehbar.
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Die Minderung tritt ein, ohne dass sich der Mieter darauf berufen muss. Es ist eine angemessene Herabsetzung proportional zur Tauglichkeitsminderung durch Schätzung eines prozentualen Abschlags vorzunehmen, bei erheblicher Minderfläche entsprechend der prozentualen Flächenabweichung. Bei gewerblichen Räumen ist primär auf die Störung der Betriebsausübung abzustellen, wobei bei einer periodischen Störung die Minderung nur mit dem Zeitraum der Störung eintritt (Palandt, BGB, 2020, § 536, Rd.Ziffer 33). Auch bei ergänzenden vertraglichen Regelungen konnte die Beklagte hier sich auf die gesetzlich geminderte Miete berufen, da einen etwa überzahlten Betrag die Klagepartei ansonsten wieder an sie herausgeben müsste (dolo fazit qui petit, quod statim redditurus est, § 242 BGB).
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Dadurch ergeben sich folgende Bemessungen:
aa) April Miete 2020
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Im April 2020 war wegen der weitgehenden Schließung des Ladenlokals durch die Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen und Allgemeinverfügungen ein verkaufender Geschäftsbetrieb für den Publikumsverkehr fast unmöglich. Zur Verfügung standen die Räumlichkeiten im Prinzip für Mitarbeiter, die Aufrechterhaltung der Verwaltung oder Inventararbeiten, ggf. für einen Versandhandel.
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Daher geht das Gericht von einem weitgehenden Minderungsbetrag von 80% aus. Dies bedeutet, dass die Klagepartei ausgehend von einem Mietzahlungsanspruch einschließlich Steuern und Nebenkosten von 76.003,22 € ein Zahlungsanspruch i.H.v. 15.200,64 € hat.
bb) Mai Miete 2020
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Im Monat Mai konnte bis zum 11.5.2020 nur eine Fläche bis 800 Quadratmeter als Verkaufsfläche für Erdgeschoß und Untergeschoß genutzt werden (von insgesamt 2.929 Quadratmetern). Ab 11. 5.2020 bestanden ohne Beschränkung der Verkaufsfläche weiterhin Beschränkungen des Publikumsverkehrs. Dies bedeutet, dass im ersten Drittel des Mai nur gut 25% der an sich gemieteten Fläche zur Verfügung standen, die auch noch mit Aufwand abgegrenzt werden mussten. In den letzten zwei Dritteln des Mai war eine Kundenbeschränkung vorhanden, wobei Anpassungsaufwand anfiel. Daher schätzt das Gericht für den Monat Mai die Mietminderung mit 50% ein, so dass noch 38.001,61 € geschuldet sind.
cc) Juni Miete 2020
32
Für den Monat Juni 2020 geht das Gericht ausgehend von geschuldeten 76.003,22 € von einer deutlich abgeschmolzenen Mietminderung aus, da das Geschäft ohne Flächenbegrenzung wieder betrieben werden konnte, jeweils aber eine erhebliche Einschränkung der aufzunehmenden Kunden mit ein Kunde pro 20 Quadratmeter unter Einhaltung eines Hygienekonzepts vorzunehmen war. Hier bemisst das Gericht die Minderung auf 15%, so dass insoweit 64.602,74 € geschuldet sind.
3. Störung der Geschäftsgrundlage
33
In vorliegender Konstellation ist eine Störung der Geschäftsgrundlage gegeben, da die Parteien die Folgen einer eintretenden Coronapandemie und Infektionsschutzmaßnahmen durch den Staat offenkundig nicht bedacht haben und so den Vertrag kaum geschlossen hätten (vgl. § 313 Abs. 1, Abs. 2 BGB). In den Rechtsfolgen wäre die Anpassung ganz offenkundig in einer reduzierten Miete gelegen, wobei die Höhe der gesetzlichen Minderung entspräche. Indes erscheint die Anwendung der Mängelhaftungsregelungen vorrangig (Palandt a.a.O., § 313, Rd.Ziffern 12, 61).
II. Nebenforderungen
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Zinszahlungszeitpunkt und die Zinshöhe sind nicht bestritten. Sie ergeben sich im Übrigen aus dem Gesetz, §§ 286, 288, Abs. 2 BGB).
III. Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 92 Abs. 1 ZPO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709, Satz 1, 2 ZPO.